Kitabı oku: «Balancieren statt ausschließen», sayfa 6

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1.2 Zweiheiten pastoraler Ortsbestimmung heute – zum Zusammenhang von Untersuchungsgegenstand und Untersuchungsmethodik
1.2.1 Pastorale Ortsbestimmungen

Die Pastoral ist von den Begegnungen mit Menschen und von den Orten und Differenzen geprägt, an denen und in denen sie stattfinden. An diesen Orten begegnen sich Menschen und an ihnen kann auch Gott erfahren werden. Dies gibt den Orten eine Autorität, der die Pastoral nicht ausweichen kann. Dabei setzen die Orte einen Rahmen und sie spielen eine wichtige Rolle in den Diskursen, die geführt werden. Es spielt eine Rolle und hat eine Bedeutung, ob Frauen sich z. B. in einem Seminarraum, privat oder in einem Sakralraum treffen, um miteinander Liturgien zu feiern. Mit den Orten kommen jeweils eigene Perspektiven in den Blick und die Orte markieren zugleich Positionen. Der gewählte Ort zeigt, wofür man steht und worauf man sich bezieht. Die Orte stehen für Standpunkte, Perspektiven und Traditionen. Und jene, die sich an diesen Orten aufhalten, sie wählen und aufsuchen, verhalten sich unweigerlich dazu. Sie beziehen zu diesem Raum Stellung, bewusst oder unbewusst. All dies macht deutlich, dass die Ortsfrage keine Nebensächlichkeit ist, sondern von zentraler Bedeutung. Wer ich bin und was ich tue, leitet sich nicht zuletzt auch von dem her, wo ich bin. „Eine Größe über das Wo zu identifizieren, führt unweigerlich zu einer Auseinandersetzung mit dem Wer; umgekehrt aber besteht im Modus des Wer die Versuchung und auch die Chance, dem auszuweichen, was bedrängend und prekär ist“ (Sander 2007, 112).

Im Duktus dieser Arbeit wird die Frage nach den Menschen in Verbindung mit der Ortsfrage gestellt. Dieser Ansatz geht über den allgemeinen pastoraltheologischen Duktus hinaus, der sich an Institutionen und den Menschen orientiert.15 Die Orientierung an den Menschen ist richtig und gut und hat sich auch bewährt, allerdings können in Verbindung mit der Ortsfrage neue Aspekte in den Blick kommen und für die Pastoral genutzt werden (vgl. Sander 2005a, 190–194).

Jede Theologie ist von den Orten und den Menschen an diesen Orten herausgefordert. Das, was Kirche zu sagen hat, ergibt sich aus der Konfrontation mit denen, denen sie etwas sagen will. Insofern sie den (möglichen) Differenzen zwischen der eigenen Botschaft und der Realität der Orte nicht ausweicht, gewinnt sie Autorität. Dann kann sie zu einer eigenen Sprache für das Evangelium finden wie für das, was die Menschen hier und heute bewegt und betrifft. Auf dem Boden ihrer Tradition werden so Neuinterpretationen für den Glauben möglich, die Zukunft verheißen. Die Orte, zu denen sich die Kirche aufmacht, und die Orte, an denen Begegnungen stattfinden, verschärfen (oder entschärfen) die Problemlage durch die Differenzen, die dabei in den Blick kommen. Unterschiedliche Orte provozieren je verschiedene Anfragen und verlangen nach spezifischen Antworten, wenn der Autorität des jeweiligen Ortes nicht ausgewichen werden soll. An diesen Orten muss sich zeigen, ob die jeweilige Sprache für das Evangelium sich behaupten kann.

In diesem Sinn sind die Frauen ein pastoraler Ort mit Autorität in der Kirche. Sie sind Personen, die mit ihrer spirituellen Not und ihrer eigenen rituellen Praxis die Kirche, ihre Liturgien und ihren rituellen Glaubensvollzug anfragen. Frauen und die Erfahrungen, die sie machen, sind eine Anfrage an die Kirche und ihre Verkündigung. Inwiefern sie sich ihnen stellt, zeigt sich vonseiten der Kirche nicht zuletzt darin, welche Orte und damit Repräsentanz in ihr selbst sie ihnen ermöglicht. Vonseiten der Frauen ist es entscheidend, ob sie Orte in der Kirche einklagen, weil sie zum Volk Gottes gehören, oder ob sie sich zurückziehen in den privaten Raum und so der Anfrage durch die Kirche ausweichen. Die Ortsfrage ist in diesem Zusammenhang eine entscheidende Frage für das Verhältnis und die Balance zwischen der Kirche und den Frauen. Die gewählten Orte sind in jedem Fall auch ein Zeichen der Verhältnisbestimmung von Kirche und Frauen.

Vor diesem Hintergrund werden in den weiteren drei Unterpunkten spezifische Aspekte in den Blick genommen, die eine Bedeutung für die Schaffung von Balancen gewinnen können. Im ersten Punkt geht es darum, die Perspektive nicht nur auf das Gegenwärtige und Vergangene zu richten, sondern im Jetzt schon Spuren für eine mögliche Zukunft zu benennen. Dies geschieht mit dem Ziel, neue Perspektiven in die Pastoraltheologie einzubringen, die sich auf ein unerhörtes Problem beziehen. Diese Pastoraltheologie orientiert sich an der Gegenwart pastoraler Vollzüge, sofern sich in ihnen Veränderungen andeuten oder Probleme sichtbar werden. Deshalb folgt an dieser Stelle der Bezug auf die Größen von Heute und Morgen, von Gegenwart und Zukunft.

Im zweiten Unterpunkt wird ein erstes Mal auf das Denken von Michel Foucault Bezug genommen und die Relevanz des Denkens des Außen in den Mittelpunkt gerückt. Wer etwas über die Strukturen und Muster von Gesellschaften und Institutionen erfahren will, muss nach Foucault an den Rand gehen, an jene Orte, wo die ausgeschlossenen Personen und Diskurse auszumachen sind. Dieser Logik folgt die Arbeit, wenn sie ihren Fokus auf Frauenliturgie- und -ritualgruppen legt, die sich allesamt am Rand der Kirche bzw. schon darüber hinaus verortet haben. Aus diesem Grund wird das Außen als Kategorie der pastoraltheologischen Wissensform eingeführt.

Im dritten Unterpunkt wird dann der Blick auf Rituale allgemein gelegt. Diese Daten sind erforderlich, um Rituale auch tatsächlich in ihrem Sinn und ihrer Bedeutung einschätzen zu können.

1.2.1.1 Die Zukunft der Kirche zeigt sich im Heute. Eine ekklesiologische Balance

Seit Anfang der Moderne hat die katholische Kirche sich als Religionsgemeinschaft organisiert. Mit dem Augsburger Frieden (cuius regio eius religio) stellt sich Kirche als politikfähige societas perfecta vor, die bis heute mit Konkordaten und kodifiziertem Kirchenrecht arbeitet. Sie schafft sich mit einem eigens an Seminaren ausgebildeten Priesterstand ihr Führungspersonal (vgl. Sander 2002, 83, 90). Sie gibt sich eine durchsetzungsfähige Organisationsstruktur mit Territorialpfarreien und Diözesanbehörden, die in der römischen Kurie kulminiert. Sie normiert den Glauben in eine diskursfähige Sprache, die in Lehrentscheidungen formuliert und mit den Traktaten der Dogmatik eingeübt wird. „Die societas perfecta ist der politische Selbstanspruch der Religionsgemeinschaft Kirche gegenüber den anderen Mächten und Gewalten. […] Kirche als societas perfecta läuft sowohl auf ihre staatliche Privilegierung als Rechtsgröße hinaus wie auf einen gesellschaftlichen Vorrang im Hinblick auf die Werteorientierung“ (ebd., 89).

Wie jede Religionsgemeinschaft lebt auch die Kirche dabei auf Machterfahrungen hin. Es sind Ereignisse wie Papstwahlen, Kardinalsernennungen, Pontifikalämter, Primizfeiern, Heilige Jahre, internationale Wallfahrten, Weltjugendtage, an denen Bedeutung, Pracht und gesellschaftliches Gewicht der kirchlichen Religionsgemeinschaft demonstriert werden (vgl. Sander 2002, 93 f.). Mit diesen Instrumenten kommuniziert sie nach innen, in ein System, in dem auf konfessionelle Hegemonie geachtet wird und dem für alle Lebenslagen und Bereiche etwa Verbände zur Verfügung stehen: Katholische Arbeitnehmer/-innenbewegung (KAB), Kolping, Bund Katholischer Unternehmer (BKU), Katholische Junge Gemeinde (KJG) und Katholische Frauen Deutschlands (kfd) usw. Darüber hinaus erhebt die Kirche Rechtsansprüche gegenüber dem Staat, die in Konkordaten festgehalten und gesichert sind. Mit diesen Instrumenten strukturiert sie Religion und das Leben ausschließlich ihrer Gläubigen (vgl. Sander 2006, 458). „Diese Kirche erhebt einen breiten politischen Rechtsanspruch gegenüber dem Staat, einen umfassenden moralischen Führungsanspruch gegenüber der Gesellschaft und einen lebenslänglichen Seelsorgeanspruch gegenüber der Person“ (ebd., 458). Diese Religionsgemeinschaft übersteht die Wirren der Zeiten – den Absolutismus, die Aufklärung und den Kommunismus. Dessen ungeachtet ist festzuhalten, dass beginnend mit der Entfremdung der Arbeiter, mit dem Werteumbruch Ende der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts und in einer globalisierten Welt die Macht dieser Religionsgemeinschaft verdunstet (ebd., 458). Aktuell wird dies durch einen fortgesetzten Trend des Mitgliederrückgangs deutlich, aber auch in dem massiven Rückgang finanzieller Ressourcen. Daran wird deutlich, dass sich die Zeiten geändert haben. Die Instrumente, mit denen Kirche ihre Religion strukturiert hat, greifen heute vielfach nicht mehr. Diese Religionsgemeinschaft verliert an Macht und Einfluss. Sie kann auf keinen Absolutheitsanspruch mehr bestehen und sieht sich in die Konkurrenz mit anderen Religionsgemeinschaften gestellt. Gleichzeitig fordern innerkirchlich unerhörte Minderheiten (Frauen, Homosexuelle) Rechte ein. „Für die Kirche bedeutet das eine doppelte Ohnmachtserfahrung: Säkularisierung und religiöse Pluralität“ (Sander 2002, 92). Und es zeigt sich, wie schwer sie sich tut, angesichts dieser Gegebenheiten Strategien für die Zukunft zu entwickeln.

Pluralität und Heterogenität im Innen wie im Außen sind daher der Rahmen der Kirche und sie wirken in ihre institutionellen Bereiche. Sie steht im Dienst der Traditionen und der Ordnung. Aber Kirche ist auch und in besonderer Weise dazu da, den Menschen in ihrer Zeit und vor Ort zu dienen. So muss es fortdauerndes Anliegen und Ziel sein, in Raum und Zeit taugliche Orte zu schaffen und zu prägen, an denen Menschen der Hoffnung und der befreienden Macht Gottes begegnen können (vgl. Sander 2002, 121). In den Ohnmachtserfahrungen von Menschen kann die Kirche zu Orten finden, an denen sich im Heute ihre Zukunft zeigt. An diesen Orten zeigt sich nicht die Religionsgemeinschaft Kirche, sondern Kirche als Pastoralgemeinschaft. „Der Weg der Macht, den die Pastoralgemeinschaft geht, entsteht nicht aus ihr heraus, sondern aus der Macht in den Gesellschaften von heute, allerdings aus dem verworfenen und verschämten Teil dieser Macht, der Ohnmacht. Die Pastoralgemeinschaft Kirche sucht nicht die Ohnmacht, sondern gerade jene Macht, die Menschen aus der Gewalt von Ohnmacht herausführen kann. […] Es ist eine Erfahrung Gottes, der sich als erlösende und befreiende Tätigkeit einer Macht aus der Ohnmacht offenbart. Diese bedrängende Erfahrung gehört zur Kirche. Sie kann ohne sie nicht existieren. Diese Erfahrung erreicht die Kirche, indem sie durch ihre religionsgemeinschaftliche Form hindurchgeht“ (ebd., 27). Und ein solcher exemplarischer religionsgemeinschaftlicher Ort sind Frauenliturgiegruppen.

In unserer Gesellschaft haben Menschen eine Sehnsucht nach Religion, sie suchen Religion, aber nicht mehr zwingend bei den Kirchen. „Was überwunden schien, kehrt zurück. Was als veraltet galt, macht dem Neuen den Rang streitig. Nahezu alle Bereiche von Kultur und Gesellschaft sind von dieser Dialektik geprägt. Auch die Religion macht hier keine Ausnahme. Hinsichtlich ihrer sozio-kulturellen Signatur lassen sich sowohl Prozesse der Säkularisierung und zugleich der Respiritualisierung ausmachen. In den weitgehend säkularisierten Gesellschaften (West- und Mittel-)Europas tritt sie vor allem in ihren lebenspraktischen Äußerungen, im Bereich lebensweltlicher Sinnfmdung und Daseinsgestaltung wieder in Erscheinung. Je unübersichtlicher und vertrauter eine von ständigen Innovationen geprägte Gesellschaft wird, umso notwendiger werden offenkundig kulturelle Widerlager, die Wirklichkeitsvertrautheit, Biographiekohärenz und Identitätsvergewisserung ermöglichen. Unbestreitbar sind dagegen Funktions- und Bedeutungsverluste auf gesamtgesellschaftlicher Ebene für die institutionellen Ausprägungen religiöser Weltdeutungen. Mit weltanschaulich pluralen Gesellschaften sind offenkundig nur pluralitätsfähige religiöse Großinstitutionen kompatibel. Den bestehenden religiösen Körperschaften fällt es gleichwohl konstitutionell schwer, in ihrem Binnen- und Außenverhältnis produktive Umgangsformen mit religiöser und weltanschaulicher Pluralität auszubilden“ (Höhn 2004, 15). Menschen wünschen sich Rituale an Schwellen und in prekären Situationen ihres Lebens, aber sie nehmen mehr und mehr freie Ritualanbieter/-innen in Anspruch (vgl. Fincke 2004).

Schon an diesen beiden Punkten wird deutlich, dass die Kirchen ihr Monopol auf dem Gebiet von Religion und Ritual verloren haben. Diese Faktenlage ist ernüchternd und enttäuschend. Sie legt die kirchlichen Defizite in der Darstellung des Glaubens frei. Was Kirche sagt und was sie tut, ist für sie selbst sinnvoll, aber im Außen ihrer selbst vielfach bedeutungslos. Sie benutzt binnenkirchliche Sprachspiele und sollte sich doch auf die Suche nach einer neuen Sprache und nach Zeichen begeben, die die Menschen hier und heute brauchen und verstehen. Die Kirche steht vor der Aufgabe, eine neue Grammatik zu lernen und das Verstummen der Unerhörten wahrzunehmen und ins Wort zu bringen. Dadurch, dass die Kirche den/dem Unerhörten Repräsentanz gibt, kann sie zu ihrer eigenen Berufung finden: allen Menschen die Frohe Botschaft zu verkünden. In diesem Prozess gilt es von der eigenen Hoffnung und dem eigenen Glauben Rechenschaft ablegen zu können, wenn danach gefragt wird (vgl. 1 Petr 3,15).

Nach Hoffnung fragt, wer sie im Leben nötig hat. Dies bedeutet für die Pastoral der Kirche, dass sie die Macht Gottes inmitten der Ohnmachtserfahrungen heutiger Menschen repräsentieren kann und soll (vgl. Sander 2001). Dabei sind die spirituelle und rituelle Dimension des Glaubens einzubeziehen und zum Ausdruck zu bringen. Sie sollte sich auf das besinnen und ausbauen, wo ihre Kompetenzen liegen und sie auf eine lange Tradition von Erfahrungen aufbauen kann, im Bereich ihrer spirituellen und rituellen Kompetenz sowie in den Feldern ihrer tätigen Hilfe (vgl. Zulehner 2004, 39–43). Dieser Prozess wird nur dann fruchtbar werden, wenn es ihr gelingt, tatsächlich bei der Lage der Menschen anzusetzen und ihnen zu ihrer Sprachfähigkeit zu verhelfen. „Die Gemeinschaft im Wort des Evangeliums ist eine mächtige Größe. Sie ermächtigt die einzelnen Mitglieder, sich in dem auszusprechen, was sie wirklich sind. Sie erniedrigt diejenigen nicht, die Ohnmacht erfahren, sondern gibt ihnen die Macht, die Erfahrung zu benennen. Das macht diese Gemeinschaft gegen Bedrohungen von außen widerständig. Menschen, die wissen, wer sie auch in der Ohnmacht sind, und die im Durchgang durch ihre dunklen Seiten authentisch werden, lassen sich nicht einfach brechen“ (Sander 1999, 50 f.).

Dies bedeutet, dass kirchliche Pastoral viel stärker gegenwartsbezogen und prozessorientiert arbeiten sollte. Dies erfordert Professionalität und Entschlossenheit. Mut wird ihr vor allem dort abverlangt, wo sich die Pastoral der Ohnmacht von Menschen stellt – an den Orten also, wo sie sich den Ohnmächtigen zuwendet und solidarisch in den konkreten Bezügen von Menschen handelt. Kirche wird in ihrem Sprechen und Handeln glaubwürdig, wenn sie tatsächlich die Frohe Botschaft verkündet, die allen Menschen ein Leben in Fülle verheißt (Joh 10,10), und danach handelt. „An ihren Taten wird gemessen, was sie sagt“ (Klinger, 2003, 139).

Eine Kirche, die die Tabus in der Gesellschaft benennt und immer mehr lernt, die Schatten in ihrer eigenen Organisation zur Sprache zu bringen, erfährt, dass dies zu Auseinandersetzungen führt. Die Auseinandersetzungen und die eigene Botschaft sind in eine Balance zu bringen. „Denn die Kirche ist Kirche in der Welt von heute, ist ein Teil dieser Welt und immer auch von ihren Stärken und Schwächen, Pathologien und ihrer Größe gekennzeichnet. Sie hat genau dieser Welt einen Horizont zu geben, den sie ohne die Botschaft der Kirche nicht hätte, oder besser: von dem sie ohne die Botschaft der Kirche von Gott nichts wüsste“ (Bucher 2004b, 23)

Die Kirche sollte Konflikte nicht scheuen, sondern zum notwendigen Störpotenzial in der Gesellschaft werden und so zugleich an der fortwährenden Erneuerung ihres Selbst arbeiten. Die Kontroversen im Außen wie im Innern gilt es zu benennen, auszuhalten und zu gestalten. Und damit gilt es einen Weg zu beschreiten, der die Macht in der eigenen Ohnmacht entdeckt. Steht sie dazu, dann gelingt es ihr, ungesicherte Orte und Erfahrungen im Leben der Menschen von heute mit Hoffnung zu beleben.

1.2.1.2 Das Denken des Außen – unerhörte Spuren von Macht und Ohnmacht

Die Koordinaten, in welche sich die Kirche hier und heute gestellt sieht, sind zum einen von der vergangenen Macht, zum anderen von der zunehmend erfahrenen Ohnmacht in der Gegenwart geprägt. Das, was die Kirche sagt, hat nach wie vor Sinn, aber immer weniger Bedeutung im Leben von Menschen. Sie kann diesen Fakten nicht ausweichen. Am Umgang mit ihnen wird sichtbar, wer sie in der Welt von heute für die Menschen sein kann und sein will. Es wird sich zeigen, ob sie in der Lage ist, Zeichen auszubilden und eine Sprache zu finden, die den Menschen einen Zugang zu ihrer Frohen Botschaft ermöglicht, die nicht nur sinnvoll, sondern auch bedeutungsvoll ist.16 Denn das, was im Innern der Kirche fraglos Sinn ergibt und Bedeutung hat, kann in ihrem Außen unverstanden und bedeutungslos sein. Es gibt diese Diskrepanz von „sinnvoll“ und „bedeutungslos“ und diese ist es, die eine bedrängende Ohnmachtserfahrung für die Kirche ist. Sie konfrontiert die Kirche mit ihrer eigenen Sprachlosigkeit.

In Konstellationen, in denen Sprachlosigkeit herrscht, kann es hilfreich und erhellend sein, sich mit den Machtanalysen von Michel Foucault auseinanderzusetzen. Er bietet eine Sprache und Analyse, die auf Ausschließungen bezogen ist und deshalb an Sprachlosigkeiten ansetzt. Basis und Ausgangspunkt seines Denkens über Macht ist der folgende Gedanke: Nicht wer Macht hat, ist entscheidend, sondern wie Macht funktioniert. Und wer ihr auf die Spur kommen will, muss sich an dem orientieren, was in Diskursen gerade nicht gesagt wird, was in Gesellschaften mit Tabus belegt wird, verdrängt und eingesperrt wird. „Die Macht ist kein Eigentum, sie ist keine Potenz; die Macht ist eine Relation, die ausschließlich als Funktion der Begriffe studiert werden kann und muß, welche diese Relation ausmachen. Man kann also weder die Geschichte der Könige noch die Geschichte der Völker erzählen, sondern nur die Geschichte der Konstitution dieser beiden Begriffe, deren einer niemals unendlich und deren anderer niemals null sein kann“ (Foucault 1999, 194). Es geht also zugleich darum, „mit Hilfe einer anderen Theorie der Macht ein anderes Raster der historischen Entzifferung zu entwickeln und sich mit einem näheren Blick auf das historische Material Schritt für Schritt mit einer anderen Konzeption der Macht vorzuarbeiten. Den Sex ohne das Gesetz und die Macht ohne den König zu denken“ (Foucault 1977, 112).

Für Foucault ist Macht etwas Dynamisches, etwas, das sich in Techniken zeigt. „Das Prinzip der Macht liegt weniger in einer Person als vielmehr in einer konzentrierten Anordnung von Körpern, Oberflächen, Lichtern und Blicken; in einer Apparatur, deren innere Mechanismen das Verhältnis herstellen, in welchem die Individuen gefangen sind“ (Foucault 1976, 259). Das bedeutet aber auch, dass Macht bei Foucault real, konkret zu bestimmen und zu lokalisieren ist. Sie ist etwas Historisches und Empirisches (vgl. Schneider 2004, 168). „Die Analyse der Machtmechanismen ist keine allgemeine Theorie dessen, was Macht ist. Vielmehr geht es darum, wo, zwischen wem, auf welche Weise und zu welchem Zweck sie ablaufen“ (Foucault, zit. n. ebd., 177). In seinen Forschungen hat er sich dafür interessiert, wen eine Gesellschaft aussperrt, wegsperrt und wie sie überwacht und straft (vgl. Foucault 1976).

Neben der Frage, wer in die Gefängnisse und Irrenanstalten gesperrt wird, interessierte Foucault auch der Diskurs über Sexualität und Sexualpraktiken. Immer hat er sich dabei für sozial randständige Figuren interessiert, „weil er der Normalität auf der Spur war, die sich abseits soziologischer Untersuchungen besonders deutlich an jenen Schnittstellen zeigt, an denen individuelle Schicksale zur Reflexion gesellschaftlichen Drucks bewegt werden, wo administratives Material plötzlich mit Bekenntnisschriften und Beichtversuchen gemischt ist“ (Schneider 2004, 140). Er hat das dokumentarische Material von Einzelfällen untersucht, um gewissermaßen vom Rand her auf einen Diskurs zu blicken und „die Errichtung einer diskursiven Normalität innerhalb der Gesellschaft zu studieren“ (ebd., 145).

Von den Rändern aus kann man nach Foucault an jene Diskurse herankommen, die für das Innere einer Gesellschaft, einer Institution von Bedeutung sind. In dem, was ausgeschlossen wird, zeigt sich, was wichtig ist und bedrohlich zugleich. Vom Rand her lässt sich erfahren, was die beherrschende Ordnung der Dinge ist, nach welcher Logik das Innen funktioniert. Will man z. B. etwas über die moderne Arbeitsgesellschaft erfahren, dann kann ein Blick auf jene Menschen erhellend sein, die keine Arbeit haben. Sie sind es anscheinend, die die Arbeitsgesellschaft nicht braucht. Und auch in der Art und Weise, wie Frauen sich an den Rändern der Kirche oder in ihrem Außen mit Fragen nach Spiritualität, Sinn und Heilung auseinandersetzen und welche Formen sie dafür finden, zeigt sich, woran es der Kirche in ihrem Innern mangelt. Der Kirche droht, z. B. den Zugang zu den Frauen zu verlieren, weil ihre Sprache bei den Frauen nur noch bedingt verstanden wird und weil ihre rituellen Formen nicht die Lebenserfahrungen von Frauen treffen.

Mit dem Blick auf Frauen an unterschiedlichen Orten will diese Arbeit die unerhörten Spuren von Macht und Ohnmacht freilegen, mit dem Ziel, eine Praxis zu entwerfen, in der sich Mitte und Rand, Innen und Außen, Kirche und Frauen produktiv aufeinander beziehen können. Dies ist bislang unzureichend der Fall, auch vonseiten der Frauen. Die Liturgien, die Frauen feiern, haben einen Schwachpunkt: Sie trennen sich vielerorts von der Kirche und damit steht ihnen keine Tradition zur Verfügung, um in Situationen der Sprachlosigkeit sprachfähig zu werden. In ihnen kommt die kirchliche Wirklichkeit in produktiver Form kaum vor. Der „verworfene Teil“ (Georges Bataille), das Unerhörte der Frauenliturgien ist die Kirche selber. Sie ist jener Teil, aus dem man kommt, aber man kann oder will sich nicht mehr produktiv darauf beziehen. Indem die Kirche nicht mehr vorkommt, nehmen sich die feiernden Frauen zugleich die Möglichkeit, zu benennen, warum ihre liturgische Feierform andere in der Kirche etwas angeht und bereichern kann.

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