Kitabı oku: «Unabwendbare Zufälligkeiten», sayfa 7
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Sonntagmittag erwachte Siglinde Haas endlich. Sie erkannte das Krankenhauszimmer sofort und war auch erstaunlicherweise augenblicklich hellwach. „Was mache ich hier, was soll das?“, schrie sie und begann fluchend zu randalieren.
Es war schwierig für die Krankenschwester, die erschreckt zu Hilfe eilte, die Patientin zu halten und sie rief lautstark nach ihrer Kollegin und dem Arzt. Der herbeieilende Stationsarzt warf nur einen Blick auf die verworrene Situation und ordnete an, noch mal ein starkes Mittel zur Beruhigung der Infusion beizugeben. Dies hörte Frau Haas und bevor es dieses Mal dazu kommen konnte, riss sie sich die Kanüle aus dem Arm, womit sie sich zusätzlich selbst verletzte. Zwei Schwestern hatten alle Hände voll zu tun, um die neue Blutung zu stillen und gleichzeitig die sich wie wild gebärdende Patientin zu bändigen.
„Weg da, geht weg“, keifte Frau Haas, „ich will nach Hause, ich muss zu ihm. Diesmal mache ich endgültig Schluss, jetzt ist es aus mit ihm!“
Der Polizist, er stand in der offenen Türe, notierte das eifrig auf seinem Block, drückte gleichzeitig die Kurzwahltaste auf seinem Handy fürs Kommissariat und leitete damit live dieses Spektakel an die einzig richtige Stelle weiter.
Der Arzt machte kurzen Prozess. „Los, wieder fixieren!“, rief er ärgerlich. Worauf Frau Haas gewaltsam ins Bett gedrückt und durch einen breiten Gurt festgehalten wurde. Im Augenblick gab es nur diese eine Möglichkeit, um sie vor sich selbst zu schützen. Das durfte sie sich nun selbst zuschreiben. Außerdem, ihre Drohungen konnten sich eventuell auch ganz schnell hier auf das Krankenhauspersonal ausweiten, denn rasende Menschen haben bekanntlich eine ungeahnte Kraft! Dennoch, trotz ihrer jetzt eingeschränkten Bewegungsfreiheit schrie und tobte sie völlig außer Kontrolle weiter. Laufend brüllte sie die fast identischen Worte: „Lasst mich nach Hause, ich muss zu ihm! Jetzt ist endgültig Schluss mit ihm“ oder auch, „ich mache ihn fertig, diesen Nichtsnutz!“
Der Versuch, dieser wütenden Patientin Haas keine weiteren Beruhigungsmittel zu verabreichen, war damit fehlgeschlagen. Die Kommissare mussten sich weiterhin gedulden. Wenigstens schaffte man es nun auf diese Weise, ihr erneut ein Mittel zu spritzen, welches sie innerhalb weniger Sekunden außer Gefecht setzte. Die neue Wunde am Arm, ebenso die erneut blutende Wunde im Nacken wurden versorgt.
Diese derartig heftigen Worte, von Frau Haas hinaus geschrien, ihr dringendes Bedürfnis sofort nach Hause zu müssen um Schluss ‚mit ihm‘ zu machen, sorgten für eine sofortige Wende in der polizeilichen Untersuchung. Mit den aus ihren harten Worten resultierenden Infos, brachte jetzt der vor Ort postierte Beamte, unkompliziert und direkt zum Mithören über sein Handy, völlig neue Überlegungen ins Rollen. Ganz unvermittelt entstand ein vollkommen anderes Bild.
„Sag mal Hans“, sprach die Kommissarin ihren Kollegen an. „Dieses Hackmesser wurde doch neben der Terrasse gefunden, nahe der Stufen, die in den überwucherten Garten führen. Was, wenn es nicht weg geworfen wurde, wie wir es bisher annahmen, sondern, was weiß ich wie sie das Beil an sich gebracht hätte, irgendwie? Nur mal so angenommen, der Krach in der Küche ging draußen weiter, sie erwischte ihn, ließ das Ding fallen, konnte trotz ihrer Wunde auch wieder bis in die Küche gelangen, ehe sie umkippte. Die Finger- und Handabdrücke waren doch teilweise verwischt! Die Spurensuche hätte in das Gestrüpp ausgedehnt werden müssen, Hans! Das haben wir versäumt!“
Löffler versuchte den Gedanken seiner Kollegin zu folgen. „Du meinst, wenn die Frau unbedingt nach Hause will um mit ihm Schluss zu machen? Wie meint sie das denn? Und was heißt, ihn fertig machen? Mein Gott, wo ist denn der Mann? Er wird am Ende stärker verletzt sein, wie wir dachten und gar nicht das Weite gesucht haben! Hat sie ihn da an der Treppe erwischt? Aber da waren doch keine Blutspuren! Und die Frau, woher hat sie die Wunde? War er das wirklich? Verstehe ich nicht! Oder, wenn du Recht hast, konnte er durch das Gebüsch davonkommen? Ohne Blutspuren? Vielleicht war seine Wunde auch nur oberflächlich und deshalb gab es keine Spur? Aber das Auto? Wo zum Teufel ist dieses verdammte Auto hin? Ist er durch die hinter dem Grundstück liegenden Wiesen damit abgehauen, oder stellte er irgendwo vorher das Auto ab?“ Kommissarin Schneider sah ihren Kollegen Löffler an, kam ihnen gerade der gleiche Gedanke in den Sinn? Wortlos legten sie ihre Halfter mit Waffen an und rannten los.
„Tobias, wir brauchen Verstärkung, auch noch mal die Spusi und den Arzt, wir sind in der Bergstraße 4 bei Haas, es gibt neue Erkenntnisse!“ Löffler rief es im Hinauseilen einem weiteren Kollegen zu. Der wusste was in solchen Fällen zu tun war und würde sofort alles Nötige veranlassen.
„Wo ist Wolfgang?“ Kommissar Löffler sah sich um, und als er den Jungen am Getränkeautomat sah: „Aha, los zieh deine Jacke über, komm mit! Kannst noch was lernen!“ Ja, er wollte den jungen Anwärter vom Kommissariat dabeihaben und es sollte sich später auch noch herausstellen, dass genau diese Anordnung als besonders wertvoll bezeichnet werden konnte.
Diesmal schalteten sie Blaulicht und Sirene ein, erschreckten damit die gesamten Bewohner der Siedlung. Spätestens mit Eintreffen weiteren Einsatz- und dem Notarztwagen sammelten sie sich auf der Straße. Selbst die beiden ältesten Herren, Schmitz und Scholz, standen dabei. Aufgebrachte, teils hörbar verärgerte Stimmen waren zu hören. Manche Leute wirkten auch irgendwie verschlafen. Nachbarn, die sich bisher nur wenig kannten, sie redeten nun mit einander, erlebten Gemeinsames, zumindest reichte es aus, bis zur allgemeinen Empörung. Sensationshungrig vermutete ohnehin jeder etwas Anderes oder glaubte gar zu wissen, was Sache war. Die Satz- und Wortfetzen schwirrten nur so durch die Gegend. Doch eigentlich fühlten sie sich mehr in ihrer gewohnten Sonntagsruhe gestört, das erkannte man nun deutlich aus etlichen verärgerten Bemerkungen: „Was machen wir eigentlich hier?“ – „So was gab es hier noch nie!“ – „Diese unmöglichen Haas!“ – „Verkommene Leute, ein Schandfleck in der ganzen Siedlung!“ – „Immer ist es nur dieses Haus.“ – „Dreckiges Pack!“ – „Die wollen Ökos sein? Seht euch den Garten an, dann wisst ihr alles.“ – „Ökos? Eher Schlamper, denkt mal wie es im Haus ist, da stinkt es doch wie die Pest!“
Susanne fasste es nicht, ihre Entrüstung über das Benehmen der Leute war echt. Haas waren schließlich auch Nachbarn und die Eltern dieses kleinen Mädchens. Sie raunte Brigitta und Michael zu: „Bitte geht ein wenig mit Rosi zum Fluss, wer weiß was hier sonst noch abgeht, sie muss das nicht alles mithören“, ehe auch sie sich, wie schon Helene vorher, dem Menschenpulk etwas näherte. Allerdings hielten beide einigen Abstand zum Grundstück und Haus der Chaos familie. Sie hörten sich schweigend die vielen Äußerungen ihrer Nachbarn an und konnten manchmal nur verständnislose, verwunderte Blicke austauschen. Besonders Helene war über einige Bemerkungen mehr als erstaunt, es schien ihr doch sehr viel entgangen zu sein. Zum Glück behinderte aber niemand die Polizei bei ihren Ermittlungen. Jedenfalls versuchte keiner neugierig auf das Grundstück Haas zu gelangen. Sie würden ohnehin erfahren was geschehen war, was einen Großeinsatz nötig machte. Als alle Einsatzkräfte endgültig im Haus verschwanden, die Haustür sich hinter ihnen schloss, leerte sich auch allmählich die Straße. Nur Susanne und Helene blieben noch stehen. Sie wollten keinesfalls wie neugierige Hühner hinter der Gardine am Fenster stehen, sie gedachten hier draußen geduldig zu warten, auf das, was noch geschehen würde. Wenn sie auch nicht die direkten polizeilichen Aktionen mitbekamen, irgendeinen Grund musste es doch geben plötzlich das Haus zu stürmen. Es erschien ihnen zwar rätselhaft, denn eigentlich konnte niemand mehr in diesem Hause sein, dennoch entschlossen sie sich einfach auszuharren.
Indessen prüften zwei Beamte noch einmal jeden Winkel im Haus, fanden aber auch heute nur die gleiche Unordnung wie schon am Tattag zuvor. Es gab keine Veränderung, hier war inzwischen niemand gewesen. Die Kommissare Schneider und Löffler mit Assistenten übernahmen den Garten, immerhin befand sich das mit Blut besudelte Beil draußen. Das, was sie bisher unbeachtet ließen, musste nun näher untersucht werden. Nämlich dieser total verwilderte Garten, der so ziemlich blickdicht genannt werden konnte. Zuerst suchten sie nach so etwas wie einem Gartenweg. Logisch wäre, wenn er von diesen Stufen abginge, in deren unmittelbarer Nähe das Küchenbeil am Freitag entdeckt worden war. Also drückten sie mit Händen und Armen die Sträucher seitlich weg, hielten dabei gleichzeitig ständig nach irgendwelchen verräterischen Spuren Ausschau. Tatsächlich entdeckten sie nun bei näherem Hinsehen an einigen Blättern einer Forsythie verwischtes Blut. Jedenfalls sah es nach Blut aus und einige dünne Äste hingen geknickt oder auch gebrochen herunter. Hier schien sich also wirklich jemand entlang gekämpft zu haben. Es ergab sich dadurch eine vage Spur, die offensichtlich noch tiefer in die Wildnis hinein führte und auch so etwas wie einen alten Gartenweg erkennen ließ. Über diesen Pfad arbeiteten sie sich mühsam vorwärts. Nach wenigen Metern erkannten sie, durch einen hohen Haselnussstrauch schimmernd, eine Holzwand. Sie gehörte zu einem fast gänzlich versteckten Gerätehaus, welches derartig zugewachsen war, dass es vom Haus aus nicht einmal sichtbar, geschweige denn auch nur hätte vermutet werden können. Dorthin schlängelten sie sich jetzt durch. Herr Haas würde doch nicht etwa den Schuppen als Versteck oder Unterschlupf nutzen? Seit Freitag? Und sein Auto? Nein unmöglich, auch heute passte noch nichts zusammen. Gar nichts! Kopfschüttelnd standen sie staunend vor der Türe. Hier hielt sich niemand auf! Diese Türe war mit einem gebogenen Stahlstab, der in einer relativ stabilen Verschlussöse, ebenfalls aus Stahl, steckte, gesichert. Seltsamerweise konnte die Tür sowie das nahe Umfeld frei zugänglich genannt werden. Dieser Schuppen wurde anscheinend benutzt, nur jetzt konnte niemand drin sein! Er war zugesperrt! Also weiter das Gesträuch absuchen? Viel größer konnte doch das Grundstück gar nicht sein. Ratlosigkeit stand in ihren Gesichtern geschrieben. Die vermutliche Blutspur fehlte sowieso seit etwa zwei Metern. Schweigend sahen sie einander an. Standen sie vor dem nächsten Problem? War der Mann tatsächlich über den Zaun geklettert und durch die Wiesen geflüchtet? War sein Auto wirklich irgendwo abgestellt gewesen und er kam zu Fuß zurück, um seine Frau los zu werden? Denn wenn sich hier jemand aufgehalten hatte, dann war er längst auf und davon. Auch lagen überall alte und neuere Strauchruten zertreten am Boden. Aber es konnte definitiv niemand hier sein! Bestimmt nicht im Schuppen! Wie erklärte sich aber sein Blut auf dem Beil? Verletzte er sich wirklich zuerst selbst beim Zerteilen des Fleischstückes? Aber sein Blut war doch zuletzt auf das Beil gekommen! Und wieso wollte Frau Haas nach Hause, um mit ihrem Mann Schluss zu machen, war die Frau nicht mehr ganz bei Sinnen?
„Ist er am Ende doch im Haus? Vielleicht eingesperrt?“ Löffler wollte gerade die Suche in dieser merkwürdigen Gartenanlage abblasen. Doch genau da trat Wolfgang in Aktion. Normalerweise käme kein Mensch auf die Idee, eine so von außen abgesperrte Türe zu öffnen, wäre da nicht Wolfgang das Greenhorn, wie sie ihn oft scherzhaft nannten! Ihm kamen jedoch die an dieser Türe sichtbaren dunklen Spritzer suspekt vor, die sichtbar geworden waren bei näherem Hinsehen. „Hier könnte doch die Hauptaktion stattgefunden haben“, fand er wichtigtuend. Bekam jedoch einen Vogel gezeigt. Kein Laut war zu hören, weder auf Klopfen und das „Hallo“ von Frau Schneider, die Wolfgang zuliebe scherzhaft auch noch an der Türe zu rütteln begann. Natürlich tat sich nichts, wie auch, die Türe war nun mal zu. Verriegelt von außen!
Aber das Wort ‚eingesperrt‘ existierte nun mal jetzt vorrangig in Wolfgangs Kopf! Die Spuren auf dem Holz sahen zwar älter aus. Und ob das Blut war an der Tür? Es konnte genauso gut altes Öl oder was Ähnliches sein. War alles nur blinder Alarm? Würde jemand zuerst eine Türe zusperren und dann flüchten? Bestimmt nicht, wenn ein Täter vorsätzlich handelt! Egal ob die Türe nun auf oder zu gewesen war, würde der nicht einfach nur schnellstens abgehauen sein? Die Tür war bestimmt immer verriegelt. Wieso eigentlich? Wer sollte hier in dieser Wildnis etwas suchen wollen, außer den Ökos Haas selbst? Also weiter das Gestrüpp am Zaun entlang kontrollieren, oder den Einsatz ergebnislos abbrechen? Eine Probe der getrockneten dunklen Flecke, die Wolfgang für Blut hielt, von der Türe abkratzen und mitnehmen! Ebenso einige der befleckten Blätter von den Sträuchern – und Schluss!
Doch dann, im nächsten Moment geschah es!
Der Jüngste, dieser vorwitzige Assistent Wolfgang Ließem, von Natur aus mit einer so genannten großen Klappe bedacht, drängte sich ungeduldig an seiner Chefin vorbei, zog kurz entschlossen den Stab aus der Öse, beförderte ihn achtlos über seine Schulter hinter sich, riss die Türe auf und flog sogleich, wie von Geisterhand gestoßen, rückwärts zu dem entsorgten Stab. Und, oh Schreck, mitten hinein in ein Brennnesselfeld. Zu jedem anderen Zeitpunkt hätten sie ihn zuerst gerügt, wegen eventueller Vernichtung von Beweismitteln, danach schallend ausgelacht, zumal er sich nicht aus den Brennnesseln so einfach befreien konnte, ohne diese unter Schmerzen immer wieder zu berühren. Nein! Sie fanden nicht einmal die Zeit, ihm hinterher zu sehen bei seinem Fall in das Nesselfeld. Seine eigenständige Aktion war mit einem Mal vorläufig in den Hintergrund gerückt.
Das blanke Entsetzen ermächtigte sich ihrer. Sie vergaßen augenblicklich und auch noch eine ganze Weile länger, das Missgeschick ihres Jünglings. Keiner half ihm, sie starrten nur wie hypnotisiert ins Innere des Gerätehauses. Und ihnen kam auch nicht im Entferntesten der Gedanke, Wolfgang und seinen richtigen Riecher anerkennend zu würdigen. Denn der Anblick, der sich ihnen bot, ließ sie betroffen und entsetzt verstummen. Jedes Denken, alle Mutmaßungen der letzten halben Stunde gerieten auf der Stelle in Vergessenheit! Auch Wolfgangs stets kluges Mundwerk stand nun still. Er bekam ohnehin gerade eine sehr brennende Lektion erteilt und verzog schmerzhaft sein Gesicht.
Vor ihnen lag ein Mann, seitlich gekrümmt, halb über einem Holzklotz hängend. Sein Hemd war zerrissen und gab den Blick auf eine hässliche, blutverkrustete Wunde in seinem oberen Bauchbereich frei. Blutige Stoff- und Papiertuchfetzen lagen überall herum. Er musste vergeblich versucht haben die blutende Wunde abzudrücken. Für diesen, gelinde gesagt, hageren, eher schmächtigen Mann war es wohl zu schwer gewesen, die von außen gesicherte Türe aus den Angeln zu hebeln. Womöglich, kopflos und panisch vor Angst, kam ihm diese Möglichkeit nicht in den Sinn. Vermutlich war er aber auch einfach nur ohnmächtig geworden und umgekippt, durch den starken Blutverlust, oder eingeschlafen vor Schwäche und nicht wieder aufgewacht. Die übrigen Einsatzkräfte und der Arzt erreichten nun ebenfalls den Holzschuppen. Auch sie standen still, fast andächtig, vor der offenen Türe, vor diesem Anblick des Schreckens. Keiner sprach auch nur ein einziges Wort. Sie fanden offensichtlich Bernhard Haas, die Suche nach ihm konnte beendet werden.
Fest stand auch jetzt, seine Frau war ihm körperlich um einiges überlegen gewesen. Was war da geschehen? Wieso vernahm keiner der Nachbarn Rufe oder Geschrei? Mit Sicherheit war das nicht stumm vonstatten gegangen. Waren sie bei dieser Familie an laute Auseinandersetzungen gewöhnt oder war es nur zu unbequem hinzuhören? War das Gezeter über das Grundstück und das vermüllte Haus wichtiger? Hätte bereits am vermeintlichen Unglückstag die Spurensuche auf das Grundstück ausgedehnt werden müssen, obwohl sich alles so darstellte, als wäre die Verletzte mit dem Kind alleine gewesen, sie anfangs auch noch Zweifel hegten, was das kleine Mädchen betraf? Zumindest so lange, bis die Spuren an dem Fleischerbeil untersucht gewesen waren. Wäre Herr Haas zu retten gewesen? Der Arzt konnte jedenfalls zu diesem Zeitpunkt nur noch den Tod feststellen.
„Wie lange?“, fragte Löffler.
„Seit vorgestern? – Kann erst nach der Obduktion mehr sagen.“
„Verdammt.“ Löffler drehte sich um, er erlag wieder einmal einer gehörigen Portion Selbstzweifel. „Verdammt noch mal“, stöhnte er, da fiel sein Blick auf Wolfgang, er schluckte und ging auf ihn zu. „Komm Junge, du wirst mal ein ganz großer Detektiv! Wie kamst du nur darauf, konntest dir so sicher sein?“
Der Gefragte hob verlegen die Schultern. „Nur Gefühl!“
Langsam verließen sie den wüsten Garten. „Danke Junge, ohne dich wüssten wir immer noch nicht die Wahrheit.“
„Ach Kommissar, Sie haben doch selbst gedacht: Vielleicht eingesperrt! Und ich habe doch immer gesagt, dass ich so lange ich lesen kann alle Krimis verschlungen habe. Die Frau hat ihn eingesperrt!“
„Ja, sicher! Jetzt gibt ihr Geschrei im Krankenhaus auch einen Sinn.“ Sie entfernten sich von diesem grausigen Ort. Den Rest mussten die Leute der Spurensicherung und Gerichtsmedizin nun übernehmen.
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An diesem Sonntag, der bisher einiges an Schrecken brachte, rief abends Frank Hauff bei Susanne Schnells an. Nach seiner Abfahrt am Freitag begann ja merkwürdigerweise das Unglück in der Siedlung und von Frank kam nun auch keine gute Nachricht. „Tag Susanne, wie geht es bei euch, hier ist es fürchterlich! Und ich vermisse dich!“
„Seit du weg bist, ist hier der Teufel los. Wir haben Zuwachs bekommen, die kleine Rosi von gegenüber, mit polizeilicher Anordnung!“ Susanne schilderte ihm in Kurzfassung bis zum Zinksarg, in welchem Bernhard Haas vor wenigen Stunden aus dem Haus getragen worden war, von den ihr bereits bekannten entsetzlichen Ereignissen und versicherte Frank: „Ich vermisse dich auch. Und du, sag wie geht es bei dir, was hat sich bei dir denn Fürchterliches getan?“
„Es ist zwar keine blutige Sache, aber eine für uns alle sehr enttäuschende finanzielle krumme Tour, wie es Lukas schon ausgedrückt hat“, berichtete Frank: „Meine geschiedene Frau hat offensichtlich schon seit mehreren Jahren immer wieder sehr dreist Unterschlagungen vorgenommen. Oder Scheinbuchungen vom Firmenkonto, jedenfalls betrügerische Taten gemacht, was weiß ich, das muss jetzt ans Tageslicht gekommen sein. Es steht noch nicht der Fehlbetrag fest, aber er muss ziemlich hoch sein.“
Susanne fühlte plötzlich Hass für diese Frau, ja sie hasste sie, ohne sie zu kennen, alleine schon deshalb, weil Frank ihretwegen sogar seinen Urlaub verfrüht abbrechen musste. Das plötzlich aufsteigende Gefühl von Ärger in ihr, ließ ihre Worte sehr frostig klingen: „Das hat keiner gemerkt, oder gibt es Mitwisser die ihre Hände aufgehalten haben?“
„Vermutlich ja, das wird sich noch herausstellen, vorläufig ist Monika in Untersuchungshaft.“
„Nicht zu fassen. Meinst du denn, du kannst trotzdem nächstes Wochenende zu uns kommen?“, fragte Susanne erregt.
„Ich weiß es noch nicht. Im Moment kann ich Lukas und die Buchhaltung nicht hängen lassen.“ Frank holte tief Luft und schlug vor: „Vorerst sollten wir uns mit dem Telefon begnügen. Falls irgendetwas Wichtiges ist, ruf mich auf dem Handy an, ich lasse es eingeschaltet. Ich melde mich aber auch bald wieder.“
Als sie sich verabschieden wollte, kam Michael ungestüm zur Tür herein. „Mit wem telefonierst du, etwa mit Frank?“ Susanne nickte und Frank, der ihn hörte, bat: „Gib ihn mir mal kurz und mach’s gut, bis bald.“
Michael nahm den Hörer hastig an sich, atemlos rief er: „Frank, wir haben noch nicht den Wildbewuchs am Fluss geschlagen, keine Zeit. Wann kommst du?“
„Das wird so bald nichts, frag deine Mutter, sie weiß Bescheid. Tschüss Micha, bis demnächst.“
Der Junge war sichtlich enttäuscht und Susanne sagte tröstend: „Ach Micha, wir wollen dir doch sowieso helfen und können morgen gemeinsam anfangen, wenn du das unbedingt jetzt schon willst.“
„Aber Michael muss doch in die Schule“, wunderte sich Rosi, die mit ihm hereingestürmt war.
„Immer nach dem Mittagessen gehen wir alle zusammen zum Steg, Tante Brigitta geht auch mit und wenn Tante Helene von Herrn Scholz kommt, kann sie noch nachkommen“, versprach Susanne.
Damit war Rosi zufrieden, aber auch müde. Heute stand ihre dritte Nacht bei Schnells bevor. Sie schlief bei Susanne im Bett und manchmal schreckte sie weinend auf, dann musste Susanne sie liebevoll beruhigen, sie in ihren Arm nehmen und sie fragte sich längst, ob die Mutter ihr Kind auch manchmal in ihrem Arm schlafen ließ? Ihre Nächte waren jedenfalls ziemlich unruhig, seit Rosi bei ihr schlief.
Montagmorgen, nachdem Michael zur Schule aufgebrochen war, wollte Susanne versuchen, etwas mehr über und von Rosi zu erfahren. Während ihrem gemeinsamen Frühstück, das Kind genoss es sichtlich, begann Susanne mit ihren Fragen: „Rosi, wie alt bist du eigentlich und weißt du deinen Geburtstag?“
„Ja, weiß ich. Ich bin fünf Jahre alt und habe am 12. Dezember Geburtstag, dann werde ich sechs Jahre.“
„Und Lehrerin Stein möchte, dass du schon dieses Jahr in die Schule kommst?“, fragte Susanne verblüfft. Eigentlich war das Kind viel zu zart, um schon einen Schulranzen mit Inhalt zu tragen, fand sie. „Wie kam das denn, ging deine Mama mit dir zu Frau Stein?“
„Mama und Papa. Alle zwei waren mit mir bei Frau Stein in der Sprechstunde, die unterrichtet nämlich die erste Klasse. Sie hat mit mir einen Text gemacht und den habe ich bestanden. Deshalb kann ich nach den Ferien in die Schule gehen.“
„Du meinst einen Test?“
„Sag ich doch!“
Susanne schmunzelte. „Aber einen Schulranzen hast du noch nicht, oder doch?“
„Nein. Ach so, deshalb war Mama so böse!“ Rosi schien sich zu erinnern, sie stockte für Sekunden, aber dann sprudelten die nächsten Worte so plötzlich und schnell über ihre Lippen, dass Susanne Mühe hatte alles zu verstehen. „Papa brachte kein Geld mit, wir konnten nicht einkaufen. Mama schimpfte mit ihm. Da bin ich in mein Zimmer gegangen. Ich habe mir die Ohren zugehalten. Immer schimpft Mama! Immer, immer! Jetzt fällt mir alles wieder ein, Papa hat das Auto verkauft, deshalb konnte ich es nicht sehen.“ Dann dachte sie angestrengt nach und Susanne beobachtete sie genau, bereit jederzeit einzugreifen, falls dem Kind noch weitere Einzelheiten einfallen würden, wozu sie eventuell tröstenden Beistand brauchte. Susanne fiel wiederholt auf, dass Rosi bisher nicht ein einziges Mal nach ihrer Mutter fragte. Sie musste sich doch Gedanken machen, wo sie geblieben war. Das Kind war doch nicht dumm oder gar oberflächlich. Konnte es sein, dass Rosi vielleicht so etwas wie Erleichterung verspürte ohne Mutter? Armes Kind! „Tante Susanne?“ Rosi trank von ihrer Milch, „können wir mal zu uns nach Hause? Gehst du mit mir?“
Susanne erschrak. „Warum denn Rosi?“
„Ich muss zum Papa, der ist bestimmt da und arbeitet im Garten, da ist ganz viel zu tun, er sucht mich sicher schon? Ich kann ihm doch wieder helfen.“
Die letzten Tage konnten Susanne und Michael, besonders auch Brigitta, die Kleine immer wieder unter dem einen oder anderen Vorwand zurückhalten, ihr vor allen Dingen den Blick auf ihr Elternhaus ersparen. Verschwiegen ihr ebenso, dass ihr Vater nicht mehr lebte. Und nun? Es musste ja so kommen. Rosi wollte nach Hause. Susanne brauchte eine neue Ausrede und zwar augenblicklich! Sie versuchte es damit: „Wir können nicht ins Haus, ich habe doch keinen Schlüssel, Rosi“ und noch während sie es sagte wusste sie, Rosi würde nicht darauf hereinfallen.
„Aber wir können doch klingeln!“ Rosi war anscheinend von der Anwesenheit ihres Vaters überzeugt.
Susanne überlegte, ich muss ihr reinen Wein einschenken und begann vorsichtig mit der Aufklärung, immerhin war dieses Kind sehr verständig für sein Alter, trotzdem, leicht fiel es Susanne nicht. „Rosi, deine Mama kam mit einer schlimmen Wunde ins Krankenhaus. Du weißt bestimmt noch, wie sie in der Küche lag und blutete?“
„Ja, wieso? Ist sie denn nicht tot? Ich dachte doch – dann, dann müssen wir sie besuchen, das macht man doch immer so, wenn jemand im Krankenhaus liegt!“ Rosi war schon aufgesprungen und begann hektisch, vielleicht auch mehr verängstigt und verwirrt, den Tisch abzuräumen. Das Kind agierte wie unter Zwang.
Susanne hielt sie zurück. „Nein, Rosi, wir können nicht deine Mama im Krankenhaus besuchen, es geht ihr sehr schlecht. Ich werde erst mal nachfragen, vielleicht geht es ja morgen oder übermorgen.“
„Gehst du denn mit mir rüber? Vielleicht ist die Terrassentür nur angelehnt, dann können wir doch rein.“ Rosi sprach leise mit zittriger Stimme und Tränen in den Augen. Die Nachricht, dass ihre Mutter noch lebte, traf sie offensichtlich anders als es üblicherweise bei einem Kind sein sollte! Rosi zeigte nicht die Spur von Freude. Eher schien sie sich damit abgefunden zu haben, bei Susanne zu bleiben. Und nun? Offenbar stand sie wieder an dem Punkt: Fortlaufen.
Susanne wünschte sich Brigitta herbei, dann müsste sie die Entscheidung, Rosi die Wahrheit zu sagen, nicht alleine treffen. Doch heute, ausgerechnet heute, ließ sich Brigitta so viel Zeit. „Komm Rosi, komm, ich will dir etwas zeigen.“ Susanne nahm das Kind bei der Hand und ging mit ihm zur Haustür. Sie öffnete die Türe und sofort fielen ihnen die zwei fremden Fahrzeuge gegenüber auf. Beim Haas-Haus stand die Haustür halb offen und von den Polizei-Siegeln war nichts mehr zu sehen. Genau diese Siegel wollte Susanne dem Kind aber zeigen und es mit der Realität bekannt machen. Was nun?
Auf der Fahrertüre eines Wagens sah Susanne eine Schrift, konnte sie aber nicht entziffern, weil sich die Sonne im Lack spiegelte. Also blieb nichts weiter übrig, als sich mit Rosi den Fahrzeugen zu nähern. Vielleicht würde sich jetzt einiges von selbst klären. Das Auto gehörte der Stadt, genauer gesagt, es gehörte zum Jugendamt. Klar, die müssen natürlich auch hier aufkreuzen, dachte Susanne und ihre sowieso angeschlagene Stimmung rutschte noch eine Etage tiefer. Ausgerechnet in dieser stillen Bergstraßen-Siedlung musste ein derartig beschämender Trubel Angst und Schrecken verbreiten, immer ausgehend von diesem Haus dort schräg gegenüber. Sie fand allmählich Verständnis für die teils rüden Äußerungen, die Entrüstung der aufgebrachten Nachbarn vom Vortag.
Aber jetzt kamen dort drei Leute aus dem Haus heraus, ein Mann und zwei Frauen, wovon die eine Kommissarin Schneider war. „Ach Frau Schnells, gerade wollten wir zu Ihnen.“ Frau Schneider kam rasch auf sie zu, reichte ihr, dann Rosi die Hand. „Hallo Rosi, geht’s dir gut?“ Jedoch ohne eine Antwort abzuwarten, raunte sie: „Ich möchte Sie alleine sprechen, Frau Schnells!“
Susanne nickte. „Warten Sie, ich bringe Rosi schnell zu meiner Schwägerin“, und sich an Rosi wendend: „Wir gehen zu Tante Brigitta.“ Sie eilten die paar Schritte zu Helenes Haus und schellten, aber es öffnete niemand. Brigitta war also gar nicht da. Susanne hob die Schultern, sah zurück zur Kommissarin, und jetzt? Sie ging zurück mit dem Kind.
„Na, da wird sicher Frau Ballert ein wenig mit Rosi plaudern, ja?“ Die Kommissarin gab damit der Dame vom Fürsorgeamt den Wink, sich um das Kind zu kümmern. Frau Ballert kam der versteckten Bitte nach, ergriff Rosis Hand und gehorsam lief das Kind mit ihr einige Schritte den Fußweg entlang.
Frau Schneider stellte Herrn Kuntze vom Jugendamt vor, der ebenfalls wie Frau Ballert des Kindes wegen mitgekommen war. Anschließend bekam Susanne die neueste Information: „Heute früh sind wir schon aus dem Krankenhaus angerufen worden, es wird dringend nötig, endlich Verwandte von Familie Haas ausfindig zu machen. Frau Haas hat leider schon drei Anfälle bösester Art gehabt und muss immer wieder gewaltsam ruhig gestellt werden. Bisher konnten wir sie noch nicht vernehmen. Jetzt heißt es, sobald die Wunde einigermaßen verheilt ist, soll sie in die Psychiatrie verlegt werden, zwecks einer Therapie, dem muss sie aber selbst zustimmen. Es wird also nicht einfach mit ihr. Psychiatrie kann allerdings auch bedeuten, wenn sich kein Verwandter findet, braucht nicht nur Rosi, sondern auch sie einen gesetzlichen Betreuer. Man hofft natürlich auch, sie wird noch zugänglicher und das bleibt ihr erspart.“ Und nach einer kleinen Pause fragte sie: „Was ist eigentlich mit dem Vater von Frau Haas, ich habe Papiere von ihm gefunden, lebt der noch?“
Susanne hatte keine Ahnung, sie fragte nur entsetzt: „Was denn für böse Anfälle?“
„Sie schreit und tobt und sagt immer wieder das gleiche: ‚Ich muss oder will nach Hause, ich mache ihn fertig oder mache Schluss mit ihm, der Schlappschwanz, der Nichtsnutz‘ und so weiter. Sie meint damit ihren Mann, von dessen Tod sie demnach nichts weiß, nicht einmal ahnt.“ Nach kurzer Überlegung fügte Frau Schneider hinzu: „Deshalb haben wir auch das komplette Grundstück abgesucht und Herrn Haas gefunden. Ohne den ersten Wutanfall läge er immer noch im versteckten, abgesperrten Gerätehaus.“
„Oh mein Gott, und ich dachte, er wäre im Haus gefunden worden. Wenn ich es mir auch nicht erklären konnte.“ Susanne bekam am ganzen Körper eine Gänsehaut. „Ich glaube mir wird schlecht“, flüsterte sie fast erstickt. Im nächsten Augenblick fiel ihr Rosis Aufklärung von vorhin ein und sie sagte: „Übrigens, es gab eine ganz einfache Erklärung dafür, dass Herrn Haas‘ Auto fehlte, Rosi hat das eben erzählt, er muss es verkauft haben. Er war also doch zur fraglichen Zeit zuhause. Der von Rosi gehörte Au-Schrei war aktuell.“
„Rosi konnte sich erinnern? Ja, nachdem wir den Toten fanden, passten die Zeiten der Verletzungen auch zeitlich zusammen. Dann ist das also auch mit dem Fahrzeug endlich geklärt, mein Kollege wird aufatmen!“
