Kitabı oku: «Unabwendbare Zufälligkeiten», sayfa 8
Glücklicherweise kam Brigitta jetzt mit Helenes Wagen zurück, sie war im Anwaltsbüro gewesen. Erschreckt stellte sie das Fahrzeug ab und kam näher. „Was ist denn hier los?“, fragte sie irritiert. Eine Antwort bekam sie allerdings nicht, denn in dem Moment riss sich Rosi von Frau Ballerts Hand los und kam laut rufend auf Brigitta zu gerannt: „Tante Gitta, holst du mit mir meine anderen Anziehsachen aus meinem Zimmer? Gehst du mit mir? Bitte.“ Ein Nicken der Kommissarin und Brigitta kam der Bitte nach.
Frau Ballert bewegte sich auf die Gruppe zu, ihre bedauernde Handbewegung sagte alles. „Die Kleine wollte unbedingt in den Garten, mit ihrem Papa arbeiten. Da habe ich mich verplappert. Ich wusste ja nicht, dass der Kleinen der Tod ihres Vaters verschwiegen wurde. Tut mir leid.“
Rosi würde einige Zeit brauchen, mit der neuen Situation fertig zu werden. Ihre oft so böse Mutter lebte und ihr lieber Vater war gestorben. Ihre Mutter derzeit unzurechnungsfähig. Doch das wusste Rosi zum Glück nicht, würde wahrscheinlich sowieso nicht verstehen, wie das zu deuten war.
Die Suche nach Spuren, die wegen allgemeiner Verschmutzung ziemlich erschwert gewesen war, führte zu dem Ergebnis, dass möglicherweise Bernhard Haas seine Frau von hinten mit dem Küchenbeil schlug. Ob im Reflex, aus dem Ärger heraus, oder ob er sie eventuell sogar wirklich töten wollte, dies stand in den Sternen. Sie musste ihm dann dieses Beil irgendwie aus der Hand geschlagen haben, vielleicht war es ihm aber auch von der Wucht des Schlages selbst aus der Hand gefallen. Fest stand, es fiel zu Boden. Sie hob es offensichtlich auf und ging damit auf ihn los. Dann war Bernhard Haas anscheinend quer durchs Gestrüpp vor ihr her zu dem Gerätehaus gelaufen. Erst dort musste sie ihn eingeholt und ernsthaft mit dem Beil in den Rumpf getroffen haben. Und entweder schubste sie ihn in den Schuppen hinein oder er war selbst hinein geflüchtet. Jedenfalls konnte nur sie die Türe hinter ihm abgesperrt haben. Vermutlich machte sich erst dann ihre eigene Wunde schmerzlich bemerkbar und sie wollte zurück ins Haus laufen. In der kurzen Zeit musste viel Blut ihre Kleidung durchtränkt haben, bevor überhaupt etwas an die Sträucher gelangen konnte und sie war einer Ohnmacht nahe gewesen. Deshalb verlor sie wohl das Beil und schleppte sich mit letzter Kraft gerade noch so in die Küche, wo sie zusammenbrach und der Länge nach hinschlug. Vermutungen, die so aus den recht schwierig erkennbaren Spuren gedeutet werden konnten. Vermutungen, die endlich nach dem Wissen über den Verkauf des Autos, bis auf geringfügige Kleinigkeiten, zeitlich harmonierten.
Rosi hörte offenbar nur den Au-Schrei ihres Vaters aus dem Garten, stufte ihn zuerst als nichts Besonderes ein, da sie an Streitereien ihrer Eltern gewöhnt war. Erst als es eine Weile sehr ruhig blieb, war sie nachsehen gegangen und entdeckte ihre Mutter blutend und leblos in der Küche liegend. Fand ihren Vater nicht und lief hinaus, wo sie dann auch das Auto vermisste und einfach nur noch schrie.
So musste es gewesen sein und Siglinde Haas hatte sich der gefährlichen Körperverletzung mit Todesfolge strafbar gemacht. Einer Verurteilung würde eventuell ihre eigene Verletzung, für die ihr Mann nicht mehr belangt werden konnte, auf Grund ihrer derzeitigen Lebenslage mildernd entgegenstehen. Ob sie jemals vor Gericht gestellt werden würde, war ohnehin nicht sicher. Derzeit galt sie jedenfalls als verwirrt. Zumindest sah es so aus, dass sie zum Zeitpunkt des Streites und den Tagen danach nicht als zurechnungsfähig gelten konnte. Eigentlich bestanden zurzeit daran keinerlei Zweifel, bedachte man ihre mehrmals wiederholt heraus geschrienen Drohungen gegen ihren Mann. Da man auch inzwischen die verwahrloste Wohnung kannte, konnte ohne weiteres ihr jetziger Zustand schon länger bestanden haben.
Für Susanne, die ihre Unterschrift bereits geleistet hatte, das Kind in ihre Obhut zu nehmen, blieb somit diese Anordnung auch weiterhin bestehen.
Frau Schneider entdeckte etliche Papiere in einer Plastiktüte, unter einem Mantel an der Garderobe hängend, die sie an sich nahm, denn sie hoffte immer noch, endlich einen Hinweis auf weitere Verwandte zu finden. „Vielleicht sollte man das Kind mal nach seinem Großvater fragen, denn von dem Vater der Frau Haas existieren diverse Unterlagen. Können Sie das übernehmen, Frau Schnells?“, fragte sie und übergab Susanne die Schlüssel des Haas-Hauses mit der Erlaubnis, jederzeit Zutritt zum Haus und Grundstück zu haben. Die Untersuchungen am Tatort galten endgültig als abgeschlossen.
Susanne wollte aber das Anwesen, besonders das Haus, nur in Begleitung ihrer Schwägerin oder Freundin betreten. Dieses verwahrloste Haus barg für sie etwas gespenstisches, ja Furcht einflößendes. Sie sagte: „Bestimmt werde ich nicht alleine da hinein gehen. Schon bei dem Gedanken daran, bekomme ich das kalte Grauen. Ich weiß auch nicht warum. Aber wenn meine Schwägerin Kleidung für Rosi holt, gehe ich mit. Ich werde alle Fenster öffnen und die Rollläden auf Luke stellen.“
Die Kommissarin lächelte verständnisvoll. „Ja, das ist hiermit genehmigt. Nehmen Sie mit, wer immer dazu bereit ist.“
Jedoch schon nach wenigen Stunden konnten gemeinsame Überlegungen Susannes Abwehr in dieser Sache weit in den Hintergrund stellen. So holten nämlich die Frauen mit Michaels Hilfe eine Kommode und einen kleinen Schreibtisch, sowie weitere Kleidung, Spielsachen und sogar Geschirr aus dem Haus, eben alles, um was Rosi bat. Nach der Reinigung, die sie alle gemeinsam vornahmen, kam die Kommode in Susannes Zimmer, die Malerei wurde etwas zusammengerückt. Der Schreibtisch fand seinen Platz im Esszimmer. Möglich, dass dieser Umzug überstürzt war. Doch Rosi hatte unter Tränen, beinahe panisch vor Angst, darum gebeten und wie hätte man ihr diese Wünsche derzeit abschlagen können? Sie wollte weg, nur raus aus dem Haus. Es schien, als flüchtete sie vor den Bildern, die sie vor ihrem inneren Auge sah, der im Blut liegenden Mutter und dem toten Vater, was immer sie sich auch bei Letzterem vorstellen mochte. Es war ein Schock für sie alle gewesen, dem Kind hätten sie jede Bitte erfüllt, nichts wäre ihr abgeschlagen worden.
Wie mit der Kommissarin abgesprochen, fragte Susanne Rosi nach ihrem Opa. Aber die Kleine kannte keinen Opa, auch keinen Großvater. War das möglich, erwähnte ihre Mutter nie einen Opa? Rosi war klug, sie wüsste es, wenn es einen gäbe. Rosi, mal abgesehen von der Trauer über den Verlust ihres Vaters, nahm nach dem ersten Schock inzwischen alles sehr ruhig, oder eher altklug auf. So kam eine Äußerung von ihr, die Susanne sehr fragwürdig, mehr noch, überaus erstaunlich fand.
„Das Haus gehört nur Mama und mir!“
Die Frauen waren viel zu verblüfft, um nachzuhaken. Konnte das möglich sein? Stimmte das?
Wenig später sprach Rosi mit Michael darüber: „Wenn Mama stirbt, gehört das Haus mir ganz alleine, hat sie gesagt! Hilfst du mir dann aufräumen und es so sauber und schön machen, wie es bei deiner Mama ist, ja? Micha magst du?“ Rosis Kopf war jetzt völlig klar, erstaunlich klar für eine Fünfjährige! Sie schien genau zu wissen, über was sie sprach. Beredete Siglinde mit dem Kind Dinge, welche normalerweise Erwachsene unter sich erörtern?
Michael schluckte und nickte schweigend, wenn es auch so gut wie nie vorkam, dies verschlug ihm die Sprache.
Und nicht nur ihm.
16
Susanne versuchte gegen 16 Uhr Frank auf seinem Handy zu erreichen, aber da meldete sich nur die Box und sie legte wieder auf. So saß sie mit Rosi und Michael auf der Couch und schaute mehr oder weniger interessiert in den Fernseher. Natürlich war die Arbeit am Fluss weiterhin zurückgestellt worden und so blieb derzeit nur ein bisschen Ablenkung am Fernsehapparat. Susanne gab sich Mühe, konnte aber die Handlung des Dokumentarfilms nicht so aufmerksam verfolgen wie gewohnt, ihre Gedanken schweiften ständig ab. Kein Wunder, die Ereignisse der letzten Tage hatten sich regelrecht überschlagen, wie sollte sie sich jetzt auf diesen Tierfilm konzentrieren können? Die Sendung, die sie eigentlich sonst gerne sah, jetzt kam sie ihr unwirklich und überzogen vor.
Rosi lehnte ihren Kopf an Michaels Schulter. Die Kinder fühlten sich zu einander hingezogen, das war längst spürbar. Vor Jahren, als Mark noch lebte, fragte Michael eines Tages nach einem Geschwisterchen. Nicht bei ihr, bei der Mutter, nein, bei seinem Vater musste er dies gar als ‚dringenden Wunsch‘ geäußert haben. Damals kicherte sie darüber: ‚Er kennt schon die richtige Adresse‘. Doch daraus war leider nichts mehr geworden. Ob er diesen Wusch immer noch hegte, sah er in Rosi so etwas wie eine kleine Schwester? Nach einer Weile schubste Michael seine Mutter an, zeigte auf Rosi. „Sieh mal, sie ist eingeschlafen“, flüsterte er.
Susanne erhob sich und nahm das Kind vorsichtig auf ihre Arme. „Geh vor und mach mir die Türen auf, ich lege sie aufs Bett. Wahrscheinlich wird sie gleich wieder wach und kommt runter, aber sie schläft nachts sehr schlecht, es wird ihr gut tun“, erklärte sie leise ihrem Sohn.
Michael saß wieder vor dem Fernseher als sie zurückkam, er lächelte ihr entgegen. „Komisch, sehr komisch Mama, ich dachte immer, ich hätte dich für mich alleine und nun?“
„Oh nein mein Sohn, das glaube ich dir nicht, das kannst du nicht ernsthaft meinen. Du bist doch nicht etwa eifersüchtig, Micha? Ich kann dir versichern, du bist die Hauptperson in meinem Leben und das wird sich auch nicht ändern!“
„Na, ich weiß nicht, mit Frank musste ich dich ja auch schon teilen“, feixte er.
Susanne zog ihn an sich. „Das, mein Lieber, ist etwas ganz Anderes! Warte noch ein wenig, dann wirst du das verstehen.“
Michael schmunzelte verschmitzt vor sich hin. Es war lange her, dass er mit seiner Mutter den späten Nachmittag, gemütlich wie jetzt, verbrachte. „Mama, vielleicht können wir morgen am Steg Ordnung schaffen“, sagte er etwas später. „Wenigstens schon mal anfangen. Und wenn du mit Frank telefonierst, bestelle ihm Grüße von mir. Übrigens, das eben, das habe ich natürlich nicht so gemeint, das war nur Spaß, vom Teilen mit Frank und so.“
Susanne lachte. „Weißt du, manchmal war es eher so, da fragte ich mich, ist Frank wegen dir oder mir hier? Aber inzwischen wissen wir es ja besser, er ist wegen uns hier.“
Susanne scheiterte auch bei einem weiteren Versuch, Frank über sein Handy zu erreichen. Dafür fühlte sie, wie sich allmählich eine eigenartige Unruhe in ihr ausbreitete. Seltsam, Frank sagte doch er wolle sein Handy eingeschaltet lassen, wieso nahm er dann das Gespräch nicht an, was konnte denn da schon wieder passiert sein? Sie grübelte darüber nach und die absurdesten Dinge machten sich in ihrem Kopf breit. Ich werde die ganze Nacht kein Auge zu tun, war ihr klar. Sie versuchte noch einmal Frank zu erreichen, und wieder war alle Hoffnung umsonst.
„Mama, nun setz dich endlich wieder hin, lass uns den Film zu Ende ansehen, es sind nicht mal mehr zehn Minuten. Frank sieht das doch, dass du ihn erreichen willst und er ruft zurück, sobald er kann“, versuchte Michael sie zu beruhigen.
Aber sie war inzwischen fahrig und stand ein wenig neben sich, der Film war ihr sowieso egal, dann schellte das Telefon. Michael kannte sich aus. Aber, das war nicht Franks Stimme, das war vielmehr die eines Polizei-Hauptkommissars: „… ich möchte Ihnen mitteilen, Herrn Hauff geht es gut. Er meldet sich sobald er Gelegenheit dazu bekommt, derzeit ist er bei uns in Gewahrsam. Er bat mich Sie anzurufen, regen Sie sich bitte nicht auf, es wird nicht so heiß gegessen, wie gekocht.“ Mit diesem albernen Sprichwort endete auch das Gespräch.
Blöd, Susanne stand eine Weile völlig ratlos da, wie vor den Kopf geschlagen. Sie brauchte etliche Sekunden, ehe sie die neue Situation begriff. Offensichtlich registrierte sie weder den Namen noch die Dienststelle innerlich, vergaß sie vielleicht auch sofort wieder oder sie konzentrierte sich nur auf das, was Frank direkt betraf. Ihr Gefühl sagte ihr nur, da war etwas ganz und gar nicht wie es sein sollte! Langsam stieg Ärger in ihr hoch, der sich bis zur Wut steigerte. Diese blöde Ziege, in was zieht sie ihn da hinein? Doch sogleich zwang sie sich selbst zur Ruhe und wusste augenblicklich, was zu tun war! Ihre Bereitschaft zur sozialen Hilfeleistung für das kleine Nachbarkind bestätigte sie mit ihrer Unterschrift. Nun würde sie für Frank bürgen, sollte es hart auf hart kommen, auch eine Kaution zahlen. In Unkenntnis, wie eventuell diese gesetzlichen Begebenheiten ablaufen könnten, war sie auf alles gefasst. Wenn sie schon mit sozialen Tätigkeiten begann, dann auch richtig! Sie versuchte Lukas Rhode, Franks Freund, in der Firma zu erreichen, aber er war nicht anwesend.
„Ich bin Hannah, Herrn Rhodes Sekretärin, kann ich etwas für Sie tun?“
„Ach ja, bitte, wissen Sie, wo ich Herrn Rhode erreichen kann? Es ist sehr wichtig!“
„Dann gebe ich Ihnen seine Privat-Nummer, versuchen Sie es dort.“ Hannah gab die Telefon-Nummer durch.
Susanne bedankte sich und erreichte Lukas Rhode tatsächlich in seiner Wohnung, erklärte ihr Vorhaben und bat: „Bitte Herr Rhode, finden Sie heraus was ich tun kann, sollte eine Kaution nötig werden, erfragen Sie die Summe und wohin ich überweisen soll, hier kann ich nicht weg, das geht nicht!“ Es entstand eine Gesprächspause, Susanne dachte schon, sie seinen getrennt worden. „Hallo? Herr Rhode, sind Sie noch da?“
„Ja, bin ich. Die Sache mit der Kaution, das habe ich schon in die Wege geleitet, Frau Schnells, ich denke, Frank kommt dann raus. So wie ich das aber verstanden habe, muss er jederzeit zur Verfügung stehen! Das heißt, er wird nicht verreisen dürfen, er muss hier in der Stadt bleiben.“
Susanne hätte gerne mehr in Erfahrung gebracht, offensichtlich war Herr Rhode ja bestens im Bilde, doch sie bemerkte die eigenartige Ablehnung dieses Mannes und gab sich erst einmal mit seiner Auskunft zufrieden. Das Gespräch wurde beendet, brachte aber so gut wie nichts. Doch je länger sie darüber nachdachte, desto mehr fand sie: Ich habe doch nichts von verreisen gesagt, was soll das, meint er etwa damit, Frank kann nicht nach hier kommen? Da stimmt doch was nicht und ahnte noch nicht, wie nahe sie der Wahrheit kam. Wie dreist ihr soeben eine dicke Lüge aufgetischt worden war.
„Was ist eigentlich los, Mama, mit wem hast du telefoniert, das war doch nicht Frank?“ Michael, jetzt auch etwas beunruhigt, stand plötzlich neben ihr.
„Nein, Frank sitzt in Gewahrsam oder U-Haft, weiß nicht. Ich rufe jetzt bei der Polizei dort an, werde mich durchfragen, da ist was gewaltig faul!“
17
Eben genau an diesem Tag fuhr Frank Hauff zum Kommissariat und bestand auf einem Besuch bei Monika, um sie zur Rede zu stellen. Auch um sich überhaupt erst einmal ein Bild zu machen von dem Warum und was überhaupt das Ganze für einen Sinn ergeben sollte. Was sie mit den Scheinbuchungen bezwecken wollte, ob sie damit gedachte ihr Gehalt aufzubessern? Er grübelte darüber nach, lange. Zu ärgerlich. Wieso macht sie das, ihr Gehalt ist doch fürstlich, ich muss da hin, sie selbst fragen. Deshalb saß er nun in diesem nüchtern wirkenden Raum und wartete. Aus Lukas Reden oder Gestammel, war er nicht schlau geworden. Also konnte nur seine geschiedene Frau selbst seine Fragen beantworten, ihm den irren Sinn oder Grund ihrer Machenschaften erklären, für die er bisher kein Verständnis aufbringen konnte.
Als Monika hereingeführt wurde, flog sie halb jubelnd, halb weinend auf Frank zu. Er sprang auf. Mit seinen Armen fing er sie gezwungenermaßen auf. Sie klammerte sich regelrecht an ihm fest und weinte Stein erweichend. „Du bist da, oh Gott, hol mich hier raus, bitte! Ich habe einen schweren Fehler begangen, ich gebe es ja zu, aber das wird nicht wieder vorkommen. Hilf mir, oh bitte, bring mich hier raus.“
Die strenge Beamtin zeigte auf den Stuhl gegenüber dem Tisch. „Setzen Sie sich, Frau Hauff, Sie haben genau zehn Minuten, nützen Sie die etwas besser!“
Frank kannte Monika gut genug um zu wissen: Sie spielt mir was vor. Also machte er es kurz. „Du kannst dich nicht einfach wie ein kleines Kind herausreden, ‚ich will‘s nicht wieder tun‘. Sag mir lieber wofür du das Geld gebraucht hast, was sollte das überhaupt? Hältst du das für klug? Soviel Dämlichkeit passt doch gar nicht zu dir! Dein Gehalt ist doch reichlich, mehr als eine einzelne Person verbrauchen kann! Also – antworte mir, was hast du dir dabei gedacht, wozu das Ganze? Welchen Sinn und Zweck soll das haben? Und wo ist das Geld, was ist davon noch übrig? Oder ist dein Leben inzwischen so langweilig, ging es dir nur um Nervenkitzel?“
Monika begann kläglich zu jammern: „Ich konnte es nie überwinden, dass es mit uns nicht geklappt hat, bitte lass uns noch mal von neuem beginnen, bitte Frank.“ Sie versuchte über den Tisch hinweg seine Hände zu ergreifen, doch er zog sie rasch zurück.
„Nein! Monika, nein und nochmals nein! Was hat das eine denn mit dem anderen zu tun? Spinnst du jetzt total? Was spielst du mir hier eigentlich vor? Deine falschen Tränen rühren mich nicht! Wenn du aber nicht reden willst, dann lass es, dann kann ich dir allerdings auch nicht helfen!“ Frank erhob sich, Monikas Getue widerte ihn an. Er musste hier raus. Er nickte kurz der Beamtin zu, die ihm die Tür öffnete, und er verließ ohne ein weiteres Wort den ungastlichen Raum. Hinter sich hörte er erneut das laute Aufschluchzen seiner Ex-Gattin. Es fröstelte ihn und er war immer noch völlig ahnungslos, als er den langen Gang in Richtung Ausgang hinunter schritt. Diesen Besuch hätte er sich sparen können, der verstärkte nur seinen Frust noch mehr.
Er fuhr in die Firma, ging in Monikas Büro. Doch leider waren alle Unterlagen, alle Ordner zur Untersuchung abgeholt worden. Selbst ihre Mitarbeiterin war beurlaubt worden, nach einem mehrstündigen Verhör. Ratlos stand Frank vor dem Schreibtisch, finden werde ich hier wohl nichts, dachte er, als plötzlich sein Freund Lukas hereinkam.
Lukas lehnte sich an den Schreibtisch, ihm war da plötzlich in den Kopf gekommen: Ich muss den Spieß umdrehen, das ist meine einzige Rettung, und er grinste frech. „Du solltest nicht alle Schuld auf Monika schieben, stell dich, das gibt weniger!“
Frank starrte seinen Freund verständnislos an, was faselte der da? „Was? Was ist, spinnst du? Sag das noch mal! Soll das witzig sein? Ich glaube, ich habe dich nicht richtig verstanden!“
„Du hast mich schon richtig verstanden, gib doch zu, dass du mit Monika Halbe-Halbe gemacht hast.“ Damit stieß Lukas sich vom Schreibtisch ab, lachte hämisch und ging hinaus.
Frank schluckte, starrte auf die Tür, die sich soeben hinter seinem Freund schloss. Sein Freund? Sein jahrelanger bester Freund? Diese Seite kannte er noch nicht an ihm und langsam ging ihm ein Licht auf. Da schob sich etwas in sein Hirn, wie ein gefühltes abruptes Erwachen. Lukas war mit Monika befreundet, privat! Gegenseitige Besuche, gemeinsame Unternehmungen, was spielten die zwei ihm jetzt vor? Neigte Lukas nicht schon immer dazu von sich auf andere zu schließen? Frank machte sich auf den Weg in Lukas Büro, war das ein Eigentor, steckte der mit da drin? Das musste erst klargestellt werden, so konnten Freunde nicht miteinander umgehen!
Die Sekretärin Hannah, wegen ihres komplizierten russischen Namens von allen nur beim Vornamen genannt, kochte gerade Kaffee und bot Frank eine Tasse an, die er jedoch dankend ablehnte. Lukas war allerdings nicht in seinem Büro und Frank fragte nach ihm. „Wo ist Ihr Chef? Er war doch gerade noch bei mir.“
„Herr Rhode? Ach, ich dachte Sie hätten das vereinbart. Herr Rhode ist wieder mit seiner Mappe voll Arbeit nach Hause, er will zuhause arbeiten. Möchten Sie wirklich keinen Kaffee?“ Hannah setzte ihr süßestes Lächeln auf, doch heute übersah Frank es.
Das war ja interessant. „Wieso zuhause arbeiten, macht Ihr Chef das öfter?“ Frank war vielleicht gutmütig, glaubte an einen Freund, aber schwer von Begriff konnte man ihn nicht nennen!
„Sehr oft, ja! Und meistens ging Frau Hauff ihm später nach. Manchmal rief er auch erst an und bat um Unterlagen, die er vergessen hatte mitzunehmen, dann packte sie die zusammen und fuhr zu ihm!“ Hannah zwinkerte mit den Augen. „Na ja, Sie sind doch geschieden, da kann es Ihnen auch egal sein, wenn zwischen den Zweien was läuft.“
Stimmte natürlich, das sollte ihm egal sein, war es auch, aber arbeiten von zuhause aus, das nicht, schon gar nicht nach der neuesten Erkenntnis der Veruntreuungen! In dieser Firma war es nicht üblich, Arbeit mit nach Hause zu nehmen! Konnte Lukas so gemein sein, wollte ihm etwas anhängen, was er selbst getan hatte? Wollte er seine eigene Verfehlung mit Gemeinheiten gegen den Freund vertuschen? War das zwischen Lukas und Monika eventuell eine abgekartete Sache, ihn, den Freund zu belasten, gar auszutricksen? Aber wozu und warum? Wie war das letztendlich gedacht? Welches Ziel sollte das Ganze haben? Wollten sie ihn aus der Firma mobben? „Danke Hannah, ich möchte keinen Kaffee. Aber das, was Sie über Rhode und seinem ‚von zuhause arbeiten‘ gesagt haben, war sehr aufschlussreich. Den Wink hätten sie mir nur viel eher schon mal geben sollen!“ Frank ging resigniert in sein Büro. Aber der Gedanke, die beiden wollten ihn hereinlegen, machte ihn fast verrückt! Er war nicht ganz drei Wochen in Urlaub gewesen und jetzt? Ein Gefühl voller Enttäuschung beschlich ihn, instinktiv begann er, die sich angesammelten Papiere auf seinem Schreibtisch durchzublättern, sah in die Schubladen, blätterte flüchtig in den Akten und Ordner. Warum eigentlich, aber seine Hände zitterten, die mussten jetzt beschäftigt werden. Plötzlich hielt er einen Moment inne, schüttelte den Kopf als er eine grüne Mappe fand mit der Aufschrift: Privat! Wer hat die denn hier liegen lassen? Er schlug sie auf und fand etliche Quittungen und Rechnungen diverser Großeinkäufe. Von Autos, Möbeln, Schmuck, Hotelrechnungen, fein säuberlich gelocht und abgeheftet, von zurückliegenden Jahren bis vorigen Monat, alles auf den Namen: F. Hauff, einige älteren Datums auch auf Eheleute Hauff ausgestellt, da begriff er. Monika und Lukas machten tatsächlich gemeinsame Sache, was immer sie auch mit dem Geld bisher anstellten, es war vermutlich das vom Firmenkonto entwendete. Die Daten verrieten ihm, sogar während seiner Ehe mit Monika, mussten die beiden schon als Gaunerpaar unterwegs gewesen sein! Das Ärgste daran war nur, F. bedeutete ‚Frank‘! Mit anderen Worten, Monika belastete tatsächlich ihn damit! Lukas war fein raus! Wieso aber heulte sie ihm vorhin vor: ‚Lass uns von vorne beginnen‘? Wie unglaublich idiotisch war das denn?
Frank Hauff schüttelte sich und ihm kam der Gedanke, in wie weit es von Nutzen sein könnte die Mappe einfach zu vernichten, als es kurz an der Türe klopfte und sofort zwei Polizeibeamte in Zivil eintraten. Nach einem knappen Tagesgruß wurden Frank wortlos ein Durchsuchungs-Beschluss und Dienstausweise vors Gesicht gehalten. Die beiden Herren Thomas und Mecklinger vom Betrugsdezernat machten also nur ihre Arbeit.
Frank schaltete schnell. „Hier, das ist, was Sie wahrscheinlich interessieren wird!“ Frank Hauff warf die grüne Mappe über den Schreibtisch und Herr Thomas konnte gerade noch danach greifen, sie festhalten, ehe sie zu Boden gefallen wäre. „Meine drei Wochen Urlaub reichten wohl, die waren nicht mal ganz um, aber Zeit genug mir das da unterzujubeln!“ Frank zeigte verächtlich auf die Mappe, er war wütend, jedes Wort fiel ihm schwer. „Die habe ich eben selbst erst gefunden und sie gehört mir nicht! Ich habe nicht die geringste Ahnung wie das abgelaufen ist, und was es zu bedeuten hat, das weiß ich auch noch nicht wirklich, tappe gerade im Dunkeln.“
„Das wird sich herausstellen, Herr Hauff, was da gelaufen ist. Kommen Sie bitte mit zum Verhör und danke im Voraus für ihre Kooperation.“ Kommissar Mecklinger besaß allerdings genug Menschenkenntnis um zu wissen, dieser Mann spricht die Wahrheit, er ist im Grunde unwissend wie wir.
Staatsanwalt Andechs wohnte der Vernehmung bei, nun wiegte er seinen Kopf leicht hin und her, wer sprach nun die Wahrheit? Lukas Rhode, der sich völlig ahnungslos stellte und derzeit unauffindbar war, Frank Hauff oder dessen geschiedene Frau? Oder waren sie alle drei an dem jahrelangen Betrug beteiligt? War eventuell alles nur ein ausgeklügeltes, ein vermeintlich „klug“ erdachtes Ablenkungsmanöver, eine Irreführung, um Zeit zu gewinnen und zu verduften? Dass diese Quittungen und Belege vermutlich fingiert waren, von Dilettanten fein säuberlich abgeheftet, schien genauso offensichtlich wie undurchschaubar. Möglicherweise waren sie aber doch echt? Nur, wer hebt Belege auf von Zahlungen, die von unterschlagenem Geld geleistet wurden? Doch nur, wenn man von sich selbst ablenken und einen anderen hereinlegen will. Oder? Jedenfalls konnte das heute nicht mehr geklärt werden. Herrn Andechs Order war klar und knapp: „Sobald ihr den Rhode erwischt habt, bringt ihn her, solange bleibt Frank Hauff hier! Morgen unterhalten wir uns noch mal mit ihm. Vielleicht fällt ihm heute Nacht noch was Brauchbares ein.“
Frank stand in der kahlen, schmalen Zelle und raufte sich die Haare. Seit Stunden hielt man ihn fest, er war todunglücklich. Er hatte darum gebeten, Susanne kurz telefonisch zu informieren. Wie das Gespräch ausgegangen war, ob es überhaupt geführt wurde, bekam er nicht mitgeteilt. Es war ihm nicht möglich gewesen, zur Klärung der unverschämten Betrügereien, auf die Schnelle etwas beizutragen. Enttäuscht und niedergeschlagen, wusste er nach wie vor nicht, was er von den Buchungskünsten Monikas in eigene Tasche halten sollte. Wo war der Sinn, und wo das Ziel? Mit dieser Frage drehte er sich im Kreis, seit Stunden. Und Lukas? Welches Ziel verfolgten die beiden? In dieser Nacht schwor er sich: Wenn ich hier raus komme, kündige ich fristlos und gehe zu Susanne und Michael, hier breche ich alle Brücken ab, verkaufe meine Wohnung und fange ganz neu an! Doch jetzt, er musste sich auf eine Nacht in dieser Zelle, auf einer harten Liege, einstellen. Das Essen verweigerte er, nahm nur die Flasche Wasser und war überzeugt, niemals zuvor in seinem ganzen Leben so am Boden zerstört gewesen zu sein. Wenn man ihm wenigstens sein Handy gelassen hätte. Susanne und Michael, immer wieder kehrten seine Gedanken zurück zu der kleinen Familie, zu der er gerne selbst gehören würde. Er dachte darüber nach, wahrscheinlich wäre es unter normalen Umständen eine Wochenendbeziehung geworden, auf lange Zeit und vielleicht sogar auf Dauer dieser starken Belastung nicht hätte standhalten können. Aber konnte es nicht einfacher kommen, musste es unbedingt derartig kompliziert sein, so weit hergeholt, um zu erkennen wohin er gehörte? War das wirklich alles Schicksal, vorbestimmt für ihn, Frank Hauff? Musste er seinem Freund am Ende, trotz seiner gemeinen Mithilfe zur Betrügerei, dankbar sein? Denn Lukas wusste davon, das war sicher, wie sonst hätte er im Büro so gezielt darauf anspielen können? Oder musste er wirklich seinem Freund gerade deshalb dankbar sein? Auch dankbar dafür, weil er ihm jenen Urlaubsort schmackhaft machte, der ihm die Begegnung mit Susanne und Michael überhaupt erst ermöglichte? Oder waren das alles doch nur ganz einfache Zufälle, wie Michael es sehen würde?
Kommissar Mecklinger stand breitbeinig in der Tür, er kaute auf einem Zahnstocher, vielleicht war es auch ein abgebrochenes Streichholz, seine linke Hand in der Hosentasche, wirkte er äußerst lässig. Frank Hauff versuchte in seinem Gesicht zu lesen und erwiderte sein kleines Lächeln. Ein recht sympathischer Mann. „Kommen Sie, Herr Hauff, raus hier! Ein paar Fragen habe ich aber noch, und die muss ich auch noch los werden, ehe ich Sie nach Hause gehen lassen kann.“ Er machte eine einladende Handbewegung. „Gehen wir in mein Büro.“
„Fragen Sie, es gibt keine Geheimnisse meinerseits, ich werde alle Ihre Fragen beantworten, falls neue aufgetaucht sind.“
„Also gut, Sie haben ausgesagt, Sie hätten die Mappe, bevor wir in ihr Büro kamen, selbst erst gefunden. Stimmt doch, oder? Gesammelte Rechnungen und Quittungen von knapp zehn Jahren, ausgestellt auf F. Hauff, zwei auch auf Eheleute Hauff.“
Frank Hauff nickte.
Mecklinger fuhr fort: „Suchten Sie, oder war das Zufall?“
Schon wieder dieses Wort. Inzwischen waren sie im Büro des Kommissars angekommen und Frank ließ sich auf einem Stuhl nieder, es schien doch noch etwas länger zu dauern. „Ich habe gesucht, allerdings ohne zu wissen wonach. Ich war wütend und musste mich irgendwie beschäftigen. Wie ich gestern schon sagte, Lukas Rhode war voll im Bilde, er hätte mich sonst nicht so gezielt ansprechen können, wäre er ahnungslos gewesen. Er ist Mittäter! Und auch aufgrund einer Bemerkung seiner Sekretärin ist klar, er steckt da von Anfang an mit drin. Sie sagte, ihr Chef habe seine Tasche mitgenommen, um zuhause zu arbeiten. Nur, Minuten vorher war Lukas bei mir aufgetaucht und warf mir diese Unverschämtheit an den Kopf, von wegen Halbe-Halbe, dass ich nachhaken wollte. Dazu kam es ja dann nicht mehr. Lukas Rhode musste wie auf der Flucht den Betrieb verlassen haben, er fürchtete wohl die Konfrontation mit mir und wohl auch, dass er womöglich mir gegenüber nicht lange hätte dicht halten können.“
„Passen Sie auf, Herr Hauff“, unterbrach der Kommissar und lachte „das reimt sich sogar.“
„Darf ich kurz eine Frage an Sie richten, Herr Mecklinger?“, fragte Frank dazwischen, er hielt die Ungewissheit nicht mehr länger aus.
Der Kommissar lächelte immer noch. „Ja selbstverständlich, ach ich weiß schon, Sie möchten wissen wie Ihre Frau Schnells reagiert hat, stimmt‘s, habe ich recht?“
„Ja, genau, das wollte ich fragen.“ Frank schmunzelte.
„Die Frau ist die Beste, sie hat gestern Abend noch Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, wollte eine Kaution für Sie zahlen und mit ihrer Unterschrift für Sie bürgen. Eine solche Frau findet man nicht alle Tage, die sollten Sie nicht wieder los lassen! Sie hat übrigens durch ihren Anruf auf Lukas Rhode aufmerksam gemacht, der hat ihr gegenüber gelogen und das machte ihn endgültig verdächtig!“ Der Kommissar war ernst geworden, fast ein wenig traurig. „Folgendes, also folgendes Herr Hauff, Sie sind natürlich frei und auch sofort entlassen. Den guten Rhode, Ihren vermeintlichen Freund, haben wir heute Nacht am Flughafen erwischt. Alleine! Meine Leute haben ihn mit Handschellen abgeführt, das hat ihn mürbe gemacht, er hat gestanden. Erwarten Sie keine Einzelheiten von mir. Nur etwas interessiert mich doch noch, wenn wirklich Sie diese Unterschlagungen gemacht hätten, sicher gäben es dann keine so penetrant aufbewahrten Belege, oder?“