Kitabı oku: «Existenzielle Psychotherapie», sayfa 5
Die Interdependenz von Leben und Tod
Eine ehrwürdige Denkrichtung, die bis zum Beginn geschriebener Gedanken zurückreicht, betont die wechselseitige Abhängigkeit von Leben und Tod. Es ist eine der offensichtlichsten Wahrheiten des Lebens, dass alles vergeht, dass wir das Vergehen fürchten und dass wir dennoch angesichts des Vergehens, angesichts der Furcht leben müssen. Der Tod, sagen die Stoiker, ist das wichtigste Ereignis im Leben. Gut zu leben heißt zu lernen, gut zu sterben. Cicero sagte: »Philosophieren heißt, sich auf den Tod vorzubereiten«,2 und Seneca: »Niemand erfreut sich des wahren Geschmacks am Leben, außer derjenige, der bereit und willens ist, es zu verlassen.«3 Der Heilige Augustinus drückte die gleiche Idee aus: »Nur angesichts des Todes wird das Selbst des Menschen geboren.«4
Es ist nicht möglich, den Tod den Sterbenden zu überlassen. Die biologische Grenze zwischen Leben und Tod ist relativ genau; aber psychologisch gesehen gehen Leben und Tod ineinander über. Der Tod ist eine Tatsache des Lebens; wenn wir einen Moment lang nachdenken, werden wir uns bewusst, dass der Tod nicht nur der letzte Moment im Leben ist. »Sogar in der Geburt sterben wir; das Ende ist von Anfang an da« (Manilius).5 Montaigne fragte in seinem tiefgehenden Essay über den Tod: »Warum fürchtest du den letzten Tag? Er trägt nicht mehr zu deinem Tod bei als irgendein anderer. Der letzte Schritt verursacht nicht die Erschöpfung, sondern enthüllt sie.«6 Es wäre eine einfache Angelegenheit (und eine sehr verführerische), immer weiter wichtige Zitate über den Tod anzuführen. Praktisch jeder große Denker (normalerweise in der ersten Hälfte seines Lebens oder gegen Ende) hat tiefgründig über den Tod nachgedacht und darüber geschrieben; und viele haben den Schluss gezogen, dass der Tod ein untrennbarer Teil des Lebens ist, und dass eine lebenslange Betrachtung des Todes das Leben eher bereichert als es verarmen zu lassen. Obwohl die Physikalität des Todes den Menschen zerstört, rettet ihn die Idee des Todes.
Dieser letzte Gedanke ist so wichtig, dass er einer Wiederholung wert ist: Obwohl die Physikalität des Todes den Menschen zerstört, rettet ihn die Idee des Todes. Was genau bedeutet diese Aussage? Wie rettet die Idee des Todes den Menschen? Und wovor rettet sie ihn?
Ein kurzer Blick auf ein Grundkonzept existenzialistischer Philosophie kann Klärung bringen. Martin Heidegger erforschte im Jahr 1926 die Frage, wie die Idee des Todes den Menschen retten kann, und gelangte zu der wichtigen Einsicht, dass die Bewusstheit von unserem eigenen Tod als Ansporn für den Wechsel von einem Modus der Existenz zu einem höheren dient. Heidegger glaubte, dass es zwei fundamentale Modi des Existierens in der Welt gibt: (1) einen Zustand des Vergessens des Seins oder (2) einen Zustand des Bewusstseins des Seins.7
Wenn man im Zustand des Vergessens des Seins lebt, lebt man in der Welt der Dinge und taucht in die täglichen Ablenkungen des Lebens ein: Man ist »nivelliert«, voll beschäftigt mit »müßigem Geschwätz«, verloren in dem »sie«. Man gibt sich an die alltägliche Welt hin, an eine Beschäftigung damit, wie die Dinge sind.
In dem anderen Zustand, dem Zustand des Bewusstseins des Seins, rätselt man nicht darüber, wie die Dinge sind, sondern dass sie sind. In diesem Modus zu existieren heißt, dass man sich ständig des Seins bewusst ist. In diesem Modus, auf den oft als »ontologischer Modus« (von dem griechischen ontos, was »Existenz« bedeutet) Bezug genommen wird, bleibt man sich des Seins bewusst, nicht nur der Zerbrechlichkeit des Seins, sondern auch seiner Verantwortung für sein eigenes Sein (wie ich es im sechsten Kapitel diskutieren werde). Da man nur in diesem ontologischen Modus in Berührung mit seiner eigenen Selbst-Schöpfung ist, kann man nur hier Zugang zu der Macht des Wandels selbst erhalten.
Gewöhnlich leben wir im ersten Zustand. Das Vergessen des Seins ist der alltägliche Modus der Existenz. Heidegger beschreibt diesen als »unauthentisch« – als einen Modus, in dem wir uns der Urheberschaft des Lebens und der Welt nicht bewusst sind, in welchem wir »fliehen«, »fallen« und beruhigt werden, in welchem wir die Wahlmöglichkeiten des Seins vermeiden, indem wir durch den »Niemand weitergetragen werden.«8 Wenn wir jedoch in den zweiten Modus des Seins eintreten (Bewusstsein des Seins), existieren wir authentisch (daher der häufige Gebrauch des Begriffs »Authentizität« in der gegenwärtigen Psychologie). In diesem Zustand werden wir uns vollständig unserer selbst bewusst – bewusst unserer selbst als transzendentales (konstituiertes) Ich ebenso wie als ein empirisches (konstituierendes) Ich; wir umfassen unsere Möglichkeiten und Begrenzungen; wir stellen uns der absoluten Freiheit und dem Nichts – und angesichts dessen haben wir Angst.
Was hat nun der Tod mit all dem zu tun? Heidegger war sich bewusst, dass man nicht durch einfache Kontemplation von einem Zustand des Vergessens des Seins zu einem erleuchteteren, ängstlicheren Bewusstsein des Seins gelangen kann, auch nicht, indem wir uns beugen oder die Zähne zusammenbeißen. Es gibt bestimmte unveränderbare, unauslöschliche Bedingungen, bestimmte »dringliche Erfahrungen«, die uns aufrütteln, die uns vom ersten, alltäglichen Zustand der Existenz zu dem Zustand des Bewusstseins der Existenz zerren. Unter diesen dringlichen Erfahrungen (Jaspers bezog sich später auf sie als »Grenz«-Situationen9) hat der Tod nicht seinesgleichen: Der Tod ist die Bedingung, die es für uns möglich macht, das Leben auf authentische Art und Weise zu leben.
Diese Ansicht – dass der Tod einen positiven Beitrag zum Leben leistet wird nicht so leicht akzeptiert. Gewöhnlich sehen wir den Tod als totales Übel an, so dass wir jede gegenteilige Ansicht als einen unangemessenen Scherz verwerfen. Wir kommen ganz gut ohne diese Plage aus, vielen Dank.
Aber schieben wir dieses Urteil einen Augenblick lang auf und stellen uns das Leben ohne einen Gedanken an den Tod vor. Das Leben verliert etwas von seiner Intensität. Das Leben schrumpft, wenn der Tod verleugnet wird. Freud, der aus Gründen, auf die ich später kurz zurückkommen werde, wenig über den Tod sprach, glaubte, dass die Vergänglichkeit des Lebens unsere Freude an diesem erhöht. »Die Begrenzung in der Möglichkeit einer Freude erhöht den Wert einer Freude«. Freud schrieb während des Ersten Weltkriegs, dass die Verlockung des Krieges darin bestand, dass er den Tod wieder in das Leben brachte: »Das Leben wurde in der Tat wieder interessant; es hat wieder seinen vollen Inhalt erhalten.«10 Wenn der Tod ausgeschlossen wird, wenn man aus dem Auge verliert, was auf dem Spiel steht, verarmt das Leben. Es wird zu etwas, wie Freud schrieb, »so Seichtem und Leerem, wie zum Beispiel ein amerikanischer Flirt, bei dem von Anfang an klar ist, dass nichts daraus wird, im Gegensatz zu einer Liebesaffäre auf dem alten Kontinent, bei der beide Partner ihre Konsequenzen ständig im Bewusstsein haben müssen.«11 Viele haben darüber spekuliert, dass die Abwesenheit der Tatsache des Todes ebenso wie der Idee des Todes zu einem Abstumpfen der Sensibilität für das Leben führen würde. Beispielsweise gibt es in Jean Giraudouxs Theaterstück Amphitryon eine Unterhaltung zwischen den unsterblichen Göttern. Jupiter erzählt Merkur, wie es ist, weltliche Gestalt anzunehmen und eine sterbliche Frau zu lieben:
Sie gebraucht wenige Ausdrücke, und das erweitert den Abgrund zwischen uns … sie sagt, »Als ich ein Kind war« – oder »Wenn ich alt bin« – oder »Niemals in meinem ganzen Leben« – Das bringt mich um, Merkur … Uns fehlt etwas, Merkur – die Ergriffenheit des Übergangs – die Andeutung der Sterblichkeit – jene süße Traurigkeit des Ergreifens von etwas, was man nicht halten kann?«12
Auf ähnliche Weise stellt sich Montaigne ein Gespräch vor, in dem Chiron, halb Gott, halb Sterblicher, Unsterblichkeit zurückweist, als sein Vater Saturn (der Gott der Zeit und Dauer) beschreibt, was mit der Wahl verbunden ist:
Stell dir mal aufrichtig vor, wie viel unerträglicher und schmerzhafter ein ewig dauerndes Leben für den Menschen wäre als das Leben, das ich ihm gegeben habe. Wenn du den Tod nicht hättest, würdest du mich unaufhörlich verfluchen, weil ich dich seiner beraubt habe. Ich habe es absichtlich mit ein wenig Bitterkeit vermischt, um dich daran zu hindern, es zu gierig und maßlos zu umarmen, wenn du seine Annehmlichkeit siehst. Um dich in den gemäßigten Zustand zu versetzen, den ich von dir fordere, indem du weder dem Leben entfliehst, noch vor dem Tod zurückweichst, habe ich beide von ihnen zwischen Süße und Bitterkeit gemildert. 13
Ich möchte nicht an einem nekrophilen Kult teilhaben oder für lebensverleugnende Morbidität eintreten. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass unser grundlegendes Dilemma darin besteht, dass jeder von uns sowohl Engel als auch Bestie ist; wir sind die sterblichen Geschöpfe, die, weil wir uns unserer selbst bewusst sind, wissen, dass wir sterblich sind. Eine Verleugnung des Todes auf irgendeiner Ebene ist eine Verleugnung unserer grundlegenden Natur und erzeugt eine zunehmende und durchgreifende Verringerung der Bewusstheit und Erfahrung. Die Integration der Idee des Todes rettet uns; statt uns zu einer Existenz des Schreckens oder des düsteren Pessimismus zu verurteilen, wirkt sie als Katalysator, damit wir in authentischere Modi des Lebens eintauchen können, und sie vergrößert unsere Freude am Leben. Als Bekräftigung dafür haben wir das Zeugnis von Personen, die eine persönliche Begegnung mit dem Tod hatten.
Konfrontation mit dem Tod: Persönlicher Wandel
Einige unserer größten Werke der Literatur haben die positiven Wirkungen, die eine nahe Begegnung mit dem Tod auf einen Menschen hatte, dargestellt.
Tolstois Krieg und Frieden liefert uns eine ausgezeichnete Illustration davon, wie der Tod einen radikalen persönlichen Wandel initiieren kann.14 Pierre, der Protagonist, fühlt sich von dem bedeutungslosen, leeren Leben der russischen Aristokratie abgestumpft. Als verlorene Seele stolpert er durch die ersten neunhundert Seiten des Romans und sucht nach irgendeinem Sinn des Lebens. Es kommt zum Höhepunkt des Buches, als Pierre von Napoleons Truppen gefangen genommen und zum Tod durch Erschießen verurteilt wird. Er steht mit sechs anderen in einer Reihe, er beobachtet die Exekution der fünf Männer vor ihm und bereitet sich daraufvor zu sterben – erst im letzten Augenblick wird er unerwarteterweise begnadigt. Die Erfahrung verwandelt Pierre, der dann während der letzten dreihundert Seiten des Romans sein Leben begeistert und zweckvoll lebt. Er begibt sich voll in die Beziehung zu anderen, ist sich seiner natürlichen Umgebung voll bewusst, entdeckt eine Aufgabe im Leben, die Bedeutung für ihn hat, und widmet sich ihr.
Auch Dostojewskij wurde im Alter von neunundzwanzig Jahren vor der Exekution durch ein Erschießungskommando in letzter Minute begnadigt – ein Ereignis, das sein Leben und sein Werk nachhaltig beeinflusste.
Tolstois Geschichte »Der Tod des Iwan Iljitsch« enthält eine ähnliche Botschaft.15 In Iwan Iljitsch, einem engstirnigen Bürokraten, entwickelt sich eine tödliche Krankheit, wahrscheinlich Darmkrebs, und er erleidet ungewöhnliche Schmerzen. Seine Qual dauert unvermindert an, bis Iwan Iljitsch kurz vor seinem Tode auf eine bestürzende Wahrheit stößt: er stirbt schlimm, weil er schlimm gelebt hat. In den wenigen Tagen, die ihm verbleiben, erfährt Iwan Iljitsch eine dramatische Verwandlung, die mit keinem anderen Begriff beschrieben werden kann als persönliches Wachstum. Wäre Iwan Iljitsch ein Patient, würde jeder Psychotherapeut vor Freude über den Wandel in ihm strahlen: er bezieht sich viel einfühlsamer auf andere; seine chronische Bitterkeit, Arroganz und Selbstverherrlichung verschwinden. Kurz und gut, in den letzten wenigen Tagen seines Lebens erreicht er eine weit höhere Ebene der Integration, als er sie jemals zuvor erreicht hat.
Dieses Phänomen ereignet sich häufig in der Welt des Klinikers. Beispielsweise deuten Interviews mit sechs von zehn Selbstmordwilligen, die von der Golden Gate Bridge sprangen und überlebten, darauf hin, dass diese sechs als Ergebnis ihres Sprungs in den Tod ihre Ansichten über das Leben verändert hatten.16 Einer berichtete: »Mein Lebenswille hat sich eingestellt … es gibt einen wohlwollenden Gott im Himmel, der alle Dinge im Universum durchdringt.« Ein anderer: »Wir haben alle Anteil an der Göttlichkeit – jenem großen Gott Menschlichkeit.« Ein anderer: »Ich habe jetzt einen starken Lebenswillen … mein ganzes Leben ist wiedergeboren … ich bin aus den alten Pfaden ausgebrochen … ich kann jetzt die Existenz anderer Menschen empfinden.« Ein anderer: »Ich spüre, dass ich Gott jetzt liebe und möchte etwas für andere tun.« Ein weiterer:
Ich war erfüllt von einer neuen Hoffnung und einem neuen Zweck des Lebens. Es geht über das Verständnis der meisten Menschen hinaus. Ich schätze das Wunder des Lebens – wie wenn ich einen Vogel beim Fliegen beobachte – alles ist bedeutungsvoller, wenn du nahe daran bist, es zu verlieren. Ich erlebte ein Gefühl der Einheit mit allen Dingen und des Eins-Seins mit allen Menschen. Nach meiner psychischen Wiedergeburt habe ich auch Mitgefühl für die Schmerzen von anderen. Alles war klar und hell.
Es gibt unzählige klinische Beispiele. Abraham Schmitt beschreibt im Detail eine chronisch depressive Patientin, die einen ernsthaften Selbstmordversuch unternahm und durch reinen Zufall überlebte, und er hebt die »vollständige Diskontinuität zwischen den beiden Abschnitten ihres Lebens« hervor – vor und nach ihrem Selbstmordversuch. Schmitt spricht von seinem professionellen Kontakt mit ihr nicht im Sinne einer Therapie, sondern im Sinne einer Dokumentation ihrer drastischen Lebensveränderung. Um sie zu beschreiben, verwenden ihre Freunde das Wort »pulsierend«, was so viel wie »vor Leben und Enthusiasmus sprühend« heißt. Der Therapeut stellt fest, dass sie nach ihrem Selbstmordversuch »in Kontakt mit sich selbst, ihrem Leben und ihrem Ehemann war. Ihr Leben wird nun voll gelebt und erfüllt das Leben vieler anderer. … Innerhalb eines Jahres nach dem Selbstmordversuch und dem Wandel wurde sie schwanger mit dem ersten von mehreren Kindern, die in rascher Folge geboren wurden (sie war lange unfruchtbar gewesen).«17
Russel Noyes studierte zweihundert Personen, die todesnahe Erfahrungen hatten (Autounfälle, Ertrinken, Abstürze in den Bergen u.a.), und er berichtete, dass eine ansehnliche Zahl (23 Prozent) sogar viele Jahre später beschrieb, dass sie über so etwas verfügten wie ein
starkes Empfinden für die Kürze des Lebens und seinen Wert … einen größeren Schwung im Leben, eine erhöhte Wahrnehmung der und emotionale Reaktionsfähigkeit auf die unmittelbare Umgebung … eine Fähigkeit, im Augenblick zu leben und jeden Moment zu genießen, wenn er vorbeikommt … ein größeres Bewusstsein vom Leben – ein Bewusstsein vom Leben und den lebenden Dingen und den Drang, sich ihrer jetzt zu erfreuen, bevor es zu spät ist.18
Viele von ihnen beschrieben eine »Neubewertung von Prioritäten«, und dass sie mehr Mitgefühl und mehr menschliche Orientierung hatten als zuvor.
Abdul Hussain und Seymour Tozman, Ärzte für die »Todeszellen« in einem Gefängnis, beschreiben drei Menschen in einem klinischen Fallbericht, die zum Tode verurteilt waren und in letzter Minute begnadigt wurden. Alle drei zeigten dem Autor zufolge einen tiefen Wandel ihres Persönlichkeitsstils und einen »bemerkenswerten Wandel ihrer Einstellung«, der während der folgenden Monate anhielt.19
Krebs: Konfrontation mit dem Tod. Das chinesische Piktogramm für »Krise« ist eine Kombination von zwei Symbolen: »Gefahr« und »Gelegenheit«. Während vieler Jahre war ich bei meiner Arbeit mit unheilbar kranken Krebspatienten erstaunt darüber, wie viele von ihnen ihre Krise und ihre Gefahr als eine Gelegenheit für Wandel nutzten. Sie berichten von erstaunlichen Verschiebungen, inneren Verwandlungen, die nicht anders als als »Persönlichkeitswachstum« charakterisiert werden können:
• Ein neues Arrangement der Prioritäten im Leben: eine Trivialisierung des Trivialen.
• Ein Gefühl der Befreiung: die Fähigkeit, darüber zu entscheiden, Dinge nicht zu tun, wenn sie nicht wollten.
• Ein gesteigertes Gefühl für das Leben in der unmittelbaren Gegenwart, statt das Leben bis zur Pensionierung oder einem anderen Zeitpunkt in der Zukunft zu verschieben.
• Eine lebhafte Wertschätzung der elementaren Tatsachen des Lebens: Wandel der Jahreszeiten, Wind, fallende Blätter, letztes Weihnachtsfest und so weiter.
• Tiefergehende Kommunikation mit geliebten Menschen als vor der Krise.
• Weniger zwischenmenschliche Ängste, weniger Besorgnis, zurückgewiesen zu werden, größere Bereitschaft, Risiken auf sich zu nehmen als vor der Krise.
Senator Richard Neuberger beschrieb diese Verwandlungen kurz vor seinem Tod durch Krebs:
Ein Wandel ergriff mich, von dem ich glaube, dass er nicht wieder rückgängig zu machen ist. Fragen des Prestiges, des politischen Erfolges, des finanziellen Status’ wurden auf einmal unbedeutend. In jenen ersten Stunden, als mir bewusst wurde, dass ich Krebs hatte, dachte ich nicht an meinen Sitz im Senat, an mein Bankkonto oder an das Schicksal der freien Welt … meine Frau und ich hatten keinen Streit, seit meine Krankheit diagnostiziert wurde. Ich pflegte sie auszuschimpfen, weil sie die Zahnpasta von oben herausdrückte statt von unten her, weil sie nicht genügend für meinen sehr eigenwilligen Appetit gesorgt hatte, weil sie eine Gästeliste anfertigte, ohne mich zu befragen, weil sie zu viel für Kleider ausgab. Jetzt sind mir diese Dinge entweder nicht bewusst oder sie scheinen mir unbedeutend …
Stattdessen kam eine neue Wertschätzung von Dingen, die ich einst für selbstverständlich hielt – mit einem Freund zusammen Essen gehen, Muffets Ohren kraulen und ihrem Schnurren zuhören, die Gesellschaft meiner Frau, ein Buch oder eine Zeitschrift in dem ruhigen Lichtkegel meiner Nachttischlampe lesen, den Kühlschrank plündern: ein Glas Orangensaft oder ein Stück Kuchen. Zum ersten Mal glaube ich, dass ich das Leben genieße. Schließlich werde ich mir bewusst, dass ich nicht unsterblich bin. Es schaudert mich, wenn ich an all die Gelegenheiten denke, die ich mir – selbst als ich bei bester Gesundheit war – durch falschen Stolz, künstliche Werte und eingebildete Kränkungen verdarb.20
Wie verbreitet sind positive persönliche Veränderungen nach einer Konfrontation mit dem Tod? Die Krebspatienten, die ich untersuchte, waren eine von mir selbst ausgewählte Stichprobe von psychologisch interessierten Frauen mit Krebs, die sich entschieden hatten, eine Selbsthilfegruppe für Krebspatientinnen aufzusuchen. Um die allgemeine Verbreitung dieses Phänomens zu untersuchen, entwarfen mein Kollege und ich ein Forschungsprojekt, um Patienten in einem rein medizinischen Kontext zu studieren.21 Wir entwarfen einen Fragebogen, um einige dieser persönlichen Verwandlungen zu messen, und teilten ihn nacheinander an siebzig Patienten aus, die zur Behandlung ihrer Brustkrebsmetastasen Onkologen aufsuchten. Es handelt sich um ambulante Patienten: Nur wenige von ihnen hatten physische Schmerzen oder Behinderungen. Sie alle kannten die Diagnose und wussten auch, dass sie, obwohl sie noch einige Monate oder sogar Jahre leben konnten, schließlich an ihrer Krankheit sterben würden. Ein Teil des Fragebogens bestand aus siebzehn Aussagen über Persönlichkeitswachstum, jede der Patienten wurde gebeten, auf einer Fünferskala (die von »fast nie« bis »immer« reichte) Einschätzungen für zwei Zeitperioden zu geben: »vor« dem Ausbruch des Krebses und »jetzt«.
1. Ich kommuniziere offen mit meinem Ehemann.
2. Ich schätze die Schönheit der Natur.
3. Ich habe ein Gefühl persönlicher Freiheit.
4. Ich versuche, mit meinen Kindern offen zu reden.
5. Es ist wichtig, dass mich jeder mag.
6. Ich habe viel Spaß am Leben.
7. Ich bin im Gespräch ehrlich und frei.
8. Ich tue nur die Dinge, die ich wirklich tun will.
9. Ich lebe mehr in der Gegenwart als in der Vergangenheit oder Zukunft.
10. Ich habe Augenblicke tiefer Gelassenheit.
11. Ich trete für meine persönlichen Rechte ein.
12. Ich habe ein Empfinden für psychisches Wohlbefinden.
13. Ich teile mich meinen Freunden offen mit.
14. Ich habe das Gefühl, dass ich anderen etwas Wertvolles über das Leben beibringen kann.
15. Ich bin in der Lage, das zu wählen, was ich tun will.
16. Mein Leben hat Sinn und Zweck.
17. Religiöser/spiritueller Glaube hat große Bedeutung für mich.
Als wir die Ergebnisse überprüften, erfuhren wir, dass die Mehrheit der Patienten keinen Wandel zwischen »vorher« und »jetzt« eingeschätzt hatten. Bei denjenigen Patienten jedoch, die über Unterschiede zwischen »vorher« und »jetzt« berichteten, gingen die Unterschiede fast einheitlich in Richtung größeren Wachstums seit des Ausbruchs des Krebses. Mehr Patienten berichteten über positive statt negative Veränderungen bei vierzehn von siebzehn Items.
Die einzigen zwei Items, die das Gegenteil anzeigten, waren Item 3 (»Ich habe ein Gefühl persönlicher Freiheit«), was wahrscheinlich, wie ich glaube, von den größeren physischen Beschränkungen beeinflusst war, unter denen die Krebspatienten litten, und Item 13 (»Ich teile mich meinen Freunden offen mit«). Die Erklärung für die gegenteilige Einschätzung bei letzterem mag in der Tatsache liegen, dass viele der Freunde der Patienten extremes Unbehagen zeigten; die Patienten fanden heraus, dass während einige enge Beziehungen gestärkt wurden, viele andere belastet waren.
In einigen der Items wurden signifikante Unterschiede deutlich: Beispielsweise berichteten achtzehn Patienten bei Item 14 (»Ich habe das Gefühl, dass ich anderen etwas Wertvolles über das Leben beibringen kann«) eine positive Veränderung, drei eine negative; bei Item 11 (»Ich trete für meine persönlichen Rechte ein«) – zwölf positive, drei negative Veränderungen; bei Item 2 (»Ich schätze die Schönheit der Natur«) – elf positive, zwei negative Veränderungen. Wer würde vermuten, dass unheilbarer Krebs die »Augenblicke tiefer Gelassenheit« (Item 10) eines Menschen vermehren würde? Und doch berichteten achtzehn Patienten von solch einem Zuwachs (im Gegensatz zu acht, die von einer negativen Veränderung berichteten). Ein anderer Teil des Fragebogens untersuchte die Veränderungen in der Intensität verbreiteter Ängste. Neunundzwanzig Ängste wurden aus einer Standardliste von Ängsten ausgewählt, und die Patienten wurden gebeten, deren Ausmaß einzuschätzen (»vor« dem Krebs und »jetzt«).
1. Tote Menschen
2. Wütende Menschen
3. Trennung von Freunden
4. Geschlossene Räume
5. Sich von anderen zurückgewiesen fühlen
6. Sich missbilligt fühlen
7. Ignoriert werden
8. Dunkelheit
9. Menschen mit Deformierungen
10. Fehler machen
11. Albern aussehen
12. Die Kontrolle verlieren
13. Mit Entscheidungen beauftragt oder dafür verantwortlich sein
14. Geisteskrank werden
15. Schriftliche Tests machen
16. Von anderen berührt werden
17. Sich anders als die anderen fühlen
18. Allein sein
19. An einem fremden Ort sein
20. Öffentlich reden
21. Schlechte Träume
22. Fehlschläge
23. Einen Raum betreten, in dem schon andere Menschen sitzen
24. Von hohen Gebäuden herunterschauen
25. Fremde
26. Sich ärgerlich fühlen
27. Autoritätspersonen
28. Gesprächspausen
29. Kriechende Insekten
Die Ergebnisse dieses Fragebogens deuteten auf den gleichen Trend wie bei den persönlichen Wachstums-Items hin, jedoch nicht in der gleichen Größenordnung. Bei neun Items berichteten die Patienten von größerer Angst seit dem Ausbruch des Krebses; bei einem Item gab es eine gleichmäßige Umverteilung (genauso viele Patienten berichteten von weniger Angst »jetzt«, wie von mehr Angst »jetzt«); und bei neunzehn der neunundzwanzig Items berichteten mehr Patienten von weniger Ängsten »jetzt« als »vor« dem Ausbruch ihrer Krebskrankheit.
Die meisten Therapeuten können anekdotisches klinisches Material beisteuern, um das zu veranschaulichen. Viele Therapeuten haben mit Patienten gearbeitet, die mitten in der Therapie eine Auseinandersetzung mit dem Tod hatten, was zu einem raschen Wandel in der Lebensperspektive und zu einer Neuordnung der Prioritäten im Leben führte. In der Literatur gibt es kaum weitere Untersuchungen über dieses Phänomen. Einige Studien22 wurden bei hospitalisierten Patienten, die dem Tode nahestanden, durchgeführt und berichten von viel negativeren Befunden als in unserer Studie; aber solche Patienten sind oft isoliert, kachektisch und haben große Schmerzen. Vor kurzem nahm sich ein Krebspatient Kübler-Ross wegen eben dieser Angelegenheit vor und betonte, dass die »Stadien« des Sterbens bei Kübler-Ross durch eine kachektische Krankenhauspopulation verzerrt würden und sie die »goldene Periode« übersah, die sich ereignet, wenn ein Patient Zeit hat, um seine Begegnung mit dem Tod zu assimilieren.23
Schmitt hatte eine Patientin, die ein Nierenversagen extrem nah an den Tod herangeführt hatte. Nach einer langen Periode der Nierendialyse hatte die Patientin eine erfolgreiche Nierentransplantation und kehrte mit einem Gefühl sowohl physischer wie psychischer Wiedergeburt in das Leben zurück. Sie beschreibt ihre Erfahrung:
Wirklich die einzige Möglichkeit, wie ich mich beschreiben kann, ist, dass ich von mir selbst glaube, zwei Leben gehabt zu haben. Ich nenne sie sogar die erste und die zweite Kathy. Die erste Kathy starb während der Dialyse. Angesichts des Todes konnte sie es nicht länger durchstehen. Eine zweite Kathy musste geboren werden. Das ist die Kathy, die mitten im Tod geboren wurde … die erste Kathy war eine frivole Göre. Sie lebte immer nur von einer Minute zur anderen. Sie stritt sich über kaltes Essen in der Cafeteria herum, über die Langweiligkeit chirurgischer Vorlesungen für Krankenschwestern, über die Unfairness ihrer Eltern. Ihr Ziel im Leben war es, am Wochenende Spaß zu haben … die Zukunft war weit weg und von nur geringem Interesse. Sie lebte nur für Trivialitäten.
Aber die zweite Kathy – das bin ich jetzt. Ich bin verrückt nach Leben. Schau dir die Schönheit des Himmels an! Er ist herrlich blau! Ich gehe in einen Blumengarten, und jede Blume nimmt so fantastische Farben an, dass ich von ihrer Schönheit benommen bin … Eines weiß ich: Wäre ich meine erste Kathy geblieben, hätte ich mein ganzes Leben verspielt und ich hätte niemals gewusst, was Freude am Leben bedeutet; ich musste dem Tod Auge in Auge begegnen, bevor ich leben konnte. Ich musste sterben, um zu leben.24
Eine ungewöhnliche Begegnung mit dem Tod bewirkte einen Wendepunkt im Leben Arthurs, eines Alkoholpatienten. Der Zustand des Patienten ver schlechterte sich ständig. Er hatte mehrere Jahre lang stark getrunken und hat keine Periode der Nüchternheit gehabt, die lang genug gewesen wäre, um effektiven psychotherapeutischen Kontakt zu ermöglichen. Er kam in eine Therapiegruppe, und eines Tages kam er so vergiftet in die Sitzung, dass er bewusstlos wurde. Die Gruppe setzte ihr Treffen fort, mit dem bewusstlosen Arthur auf der Couch, diskutierte darüber, was sie mit Arthur tun sollten, und brachten ihn schließlich geschlossen von der Sitzung ins Krankenhaus.
Glücklicherweise wurde die Sitzung auf Video aufgenommen, und später, als Arthur das Videoband ansah, hatte er eine tiefe Begegnung mit dem Tod. Alle hatten sie ihm jahrelang gesagt, dass er sich zu Tode trinken würde. Aber bis zu dem Zeitpunkt, als er das Videoband sah, hatte er dies niemals wirklich für möglich gehalten. Das Videoband von ihm selbst, ausgestreckt auf der Couch, und den Gruppenmitgliedern, die um seinen Körper herumstanden und über ihn redeten, hatte eine unheimliche Ähnlichkeit mit dem Begräbnis seines Zwillingsbruders, der ein Jahr zuvor an Alkoholismus gestorben war. Er stellte sich selbst bei seiner eigenen Totenwache vor, auf einer Bahre ausgestreckt und umgeben von Freunden, die über ihn redeten. Arthur war von der Vision tief erschüttert, begann die längste Periode der Nüchternheit, die er in seinem Erwachsenenleben hatte, und ließ sich zum ersten Mal auf therapeutische Arbeit ein, die schließlich sehr nützlich für ihn war.
Mein Interesse an existenzieller Therapie wurde zu einem großen Teil dadurch geweckt, dass ich vor vielen Jahren Zeuge der Wirkung des Todes auf eine meiner Patientinnen war. Jane war eine fünfundzwanzigjährige ewige Collegestudentin, die in die Therapie kam, weil sie niedergeschlagen war, schwere gastritische Funktionsstörungen hatte und sich dauernd hilflos und nutzlos fühlte. In ihrer ersten Sitzung präsentierte sie ihr Problem in diffuser Weise und jammerte wiederholt: »Ich weiß nicht, was los ist.« Ich wusste nicht, was sie mit dieser Aussage meinte, und weil sie in eine lange Litanei der Selbstabwertung eingeflochten war, vergaß ich sie bald. Ich führte Jane in eine Therapiegruppe ein, und in der Gruppe hatte sie wieder ein starkes Empfinden davon, dass sie nicht wusste, was los war. Sie wusste nicht, was mit ihr geschah, warum die anderen Mitglieder so desinteressiert an ihr waren, warum sie eine Gesprächsparalyse entwickelte, warum sie masochistische Beziehungen mit anderen Mitgliedern herstellte, warum sie so fixiert auf den Therapeuten war. Das Leben war zu einem großen Teil ein Geheimnis, etwas »außerhalb«, das ihr zustieß, etwas, das auf sie herabregnete.
In der Therapiegruppe war Jane ängstlich und langweilig. Jede ihrer Aussagen war vorhersagbar; bevor sie sprach, suchte sie das Meer der Gesichter in der Gruppe nach Anzeichen darauf ab, was andere wollten, und dann formte sie ihre Aussage so, dass möglichst viele Leute erfreut waren. Alles nur um zu vermeiden, dass andere beleidigt oder abgestoßen waren. (Was natürlich geschah, war, dass die Leute sich abwendeten, nicht aus Ärger, sondern aus Langeweile.) Es war klar, dass sich Jane chronisch vom Leben zurückzog. Jeder in der Gruppe versuchte, »die wirkliche Jane« in dem Kokon der Fügsamkeit, den sie um sich gesponnen hatte, zu finden. Sie versuchten, Jane zu ermutigen; sie drängten sie, Gesellschaft zu suchen, zu studieren, das letzte für ihre Graduierung nötige Examenspapier zu schreiben, sich Kleider zu kaufen, ihre Rechnungen zu bezahlen, sich zu pflegen, ihr Haar zu kämmen, ihren Lebenslauf zu schreiben, sich nach Jobs umzusehen.