Kitabı oku: «In Your Arms», sayfa 2

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Das Leben war kein romantischer Hollywoodfilm. Manchmal passierten schöne Dinge, manchmal passierten schreckliche Dinge. Alles andere dazwischen waren Träume oder Einbildung.

»Ich weiß nicht … ich kann mir nicht vorstellen, derart viel ausrichten zu können.«

»Jan.« Ernst wie gütig, sanft wie streng sprach der alternde Mann seinen Namen aus. »In diesem Fall kommt es nicht darauf an, ob du gut genug bist. Genauso wenig bedeutet es, egoistisch zu sein, wenn du von dir selbst denkst, Liza gesund machen zu können.« Er beäugte ihn eindringlich. »Es geht darum, ob Liza durch deine Liebe wieder aktiv am Leben teilnehmen kann. Du brauchst dich nicht schlecht zu fühlen, wenn du mir jetzt sagst, dass du es sein kannst, der sie zur glücklichsten Frau macht.«

»Ich … also … ich –«

Aber exakt darum ging es doch!

Er wollte viel, jedoch bestimmt nicht wie ein Macho anmuten, der sagte: »Ich bin ein Geschenk an die Frauen, Chef. Ich werde die Kleine schon dazu bringen, dass sie jede Nacht meinen Namen schreit. Nur durch mich wird und kann sie glücklich werden und bleiben.«

Ebenso wenig wollte er sich in den Vordergrund drängen oder den starken Mann markieren.

Ausgerechnet er! Derjenige, welcher durch ein einfaches Gewitter tausend Tode starb. Derjenige, welcher an dutzenden Minderwertigkeitskomplexen litt. Derjenige, welcher sich jahrelang nicht traute, eine Frau direkt anzusprechen.

Nein.

Im Endeffekt wusste er nicht, ob er Liza für den Rest ihres Lebens glücklich machen konnte. Er wusste nicht, ob sie sich durch ihn ein Leben lang wohlfühlen würde.

Er wusste lediglich, dass er sie liebte.

Bedingungslos.

Ein jeder andere Gedankengang wäre eigennützig, selbstverliebt, unanständig und naiv.

»Jan!« Des Chefs mahnende Stimme riss ihn aus seinen unkontrollierbaren Grübeleien. »Du denkst viel zu viel nach.«

»Aber ich kann doch nicht sagen, sie glücklich zu machen.«

»Wieso nicht?« Herr Weiß schenkte ihm ein verständnisvolles Lächeln. »Etwa, weil es für dich egoistisch klingt?«

Er nickte verhalten.

»Und wie hat sich Liza bei dir gefühlt? Hat sie dir etwas gesagt?«

Gleichgültig, wie diese Nacht wird, du bedeutest mir bereits jetzt meine ganze Welt.

Für mich bist du schlichtweg der beste Liebhaber, den es auf dieser Welt gibt.

Deine Zärtlichkeit, dein sanfter Charakter, deine liebevolle Art – das sind die Dinge, durch die ich mich so glücklich fühle.

Herrn Weißs neugierig-wissender Blick intensivierte sich. »Also? Was denkst du?«

Jan straffe die Gestalt. »Nun … ja … ich –«

»Druckse nicht so herum!« Kichernd trank sein Vorgesetzter einen weiteren Schluck. »Sag mir einfach, was du denkst.«

Er unterdrückte seine Unsicherheit und versuchte zu erklären: »Nun … vielleicht … Ja, womöglich kann ich ihr wirklich helfen.«

Manfreds rundliches Gesicht erstrahlte.

Und dieser unbändige durch Lizas Liebe hervorgerufene Stolz fand zurück in Jans Seele.

Ja … der Chef hatte recht.

Liebe vermochte es, Menschen zu heilen. Denn Liebe verband. Liebe vereinte. Liebe tröstete und kräftigte, beruhigte und inspirierte.

»Und nichts anderes will ich tun«, fuhr er ehern fort. »Bis an mein Lebensende.«

Manfred schloss die Augen, nickte, seufzte. »Das wollte ich hören.«

Es war ihm klar, er würde immer auf Liza achtgeben. Er würde sie beschützen. Er würde ihr seine gesamte Liebe schenken. Er würde schlichtweg alles tun.

All die zahllosen Dinge, die auch sie für ihn bereit war, zu tun …

Der Hotelbesitzer öffnete die Lider. »Kommt sie uns wieder einmal besuchen?«

»Ja, den kommenden Samstag schon.«

Diese Äußerung getätigt jagte eine jache Gewissheit einen gellenden Adrenalinausstoß durch Jans ohnehin unter Strom stehenden Körper.

Er hatte Liza ein Versprechen gemacht, von welchem er nicht einmal wusste, ob er es einlösen konnte!

Kruzitürken!

Hitze kroch ihm in die Wangen. »Ich –« Nervös fuhr er sich durchs Haar. »Ist es möglich … ich meine … könnte ich diesen Samstag noch einmal freibekommen? Weil … Liza will mit mir zu ihren Eltern fahren.«

Restlos verschüchtert beobachtete er, wie Manfred vergeblich versuchte, ein Schmunzeln zu verkneifen. »Aber sicher doch. Es wäre nicht sonderlich nett von mir, dich mit deiner Herzensdame hier abwaschen zu lassen, nicht?«

»Nun … ich –«

Des gutmütigen Mannes Lachen erfüllte den Raum. »Aber im Gegenzug dazu sagst du mir das nächste Mal schlicht und einfach, wenn du Sehnsucht nach ihr hast, bevor du so mir nichts dir nichts davonläufst und uns unwissend und geschockt zurücklässt.«

Sein Herz hatte heute fürwahr viele Emotionen ertragen müssen. Die nun über ihn hereinbrechenden Schuldgefühle ließen es allerdings derart hart klopfen, es hatte mehr mit einem carnevalschen Getrommel gemein denn mit einem menschlichen Organ, welches Blut durch den Körper pumpte.

»Es tut mir leid«, entschuldigte er sich. »… Ich kann nicht erklären, was da über mich kam. Es war wohl eine Art Kurzschlussreaktion. Bitte verzeihen Sie. Es wird nie wieder vorkommen.«

»Ist schon gut.« Herrn Weißs verständnisvoller Tonfall half ihm nur bedingt, seine tobenden Nerven zu beruhigen. »Ich kann gut nachvollziehen, weshalb du auf diese Weise reagiert hast. Trotzdem.« Mahnend hob Manfred den Zeigefinger. »Versprich mir, mich das nächste Mal aufzusuchen, wenn es dir schlecht geht. Keiner lacht dich deshalb aus. So etwas dulde ich in diesem Haus nicht. Das weißt du. Du kannst immer zu mir kommen. Wir können über alles reden.«

Samtene Freude sowie stechende Trauer breiteten sich in Jans Innersten aus.

Liza hatte einen Chef wie Manfred verdient – nicht er. Sie mühte sich in der Arbeit ab und wurde dennoch gerügt. Er hingegen verließ unangekündigt seinen Arbeitsplatz – aufgrund infantilen Liebeskummers – und wurde mit Verständnis und Hilfsbereitschaft beschenkt.

Das Leben war einfach nicht fair.

»Vielen Dank.« Demütig senkte Jan das Haupt. »Das nächste Mal werde ich daran denken. Ich verspreche es.«

»Dann ab in die Küche mit dir. Tina freut sich bestimmt, dich zu sehen. Sie war außer sich vor Sorge.«

Deutlich bedrückter erhob er sich.

Ein zweites Mal hatte er Tina falsch eingeschätzt. Ein zweites Mal hatte er ihr großen Kummer bereitet!

Ein toller Freund bist du!, schimpfte er sich.

»Aber gib Acht!« Manfreds Grinsen zog sich in die Länge. »Sie wird dir wahrscheinlich eine größere Standpauke halten, als ich das jemals zusammenbringe.«

Und das hatte er ohne Zweifel verdient …

»Da haben Sie bestimmt recht.« Schmunzelnd drehte Jan sich um und schritt zur Tür. Ehe er den Raum verließ, blickte er noch einmal zu diesem wunderbaren Menschen, welchen er seinen Chef nennen durfte, und bedankte sich.

»Nichts zu danken«, erwiderte dieser fröhlich. »Wir sind eine Familie. Und Familie hält zusammen.«

»Mhm.« Nickend und einen sanften Kloß im Halse spürend schloss er die Tür und eilte in die Küche.

Mit einer Kündigung hatte er zwar nicht mehr gerechnet. Mit einem weiteren Urlaubswochenende jedoch ebenso wenig, ganz zu schweigen von einer derartigen Besorgnis um Lizas sowie sein eigenes Wohlergehen!

»Jan!« Es war Tina, welche seinen Namen aufgebracht ausrief – und ihn zusammenfahren ließ. »Wie geht es dir?« Seine beste Freundin stürmte zu ihm und schlang die Arme um seinen starr gewordenen Körper. »Ich habe mir solche Sorgen gemacht! Jag uns nie mehr so einen Schrecken ein! Das geht ja über keine Kuhhaut nicht!«

»Bitte verzeih mir«, war alles, was ihm hervorzubringen gelang. Allerdings nicht infolge unmöglich zurückzuhaltender Tränen – obwohl sein Kloß schmerzhafte Ausmaße angenommen hatte –, denn vielmehr aufgrund Tinas etwas zu gut gemeinten innigen Umarmung.

Durch ihre kleine Größe drückte sie ihm mit dem rechten Unterarm gegen den Hals.

»Ich bekomme keine Luft.«

»Oh … Entschuldigung.« Sie ließ von ihm ab – furchteinflößende funkelnde Augen inklusive. »Aber sieh es gleich als Bestrafung, dass du mich so einfach hast stehen lassen!«

Das musste ja kommen …

»Es tut mir wirklich leid.« Er atmete tief durch. »Ich kann dir nicht erklären, was da mit mir los war.«

Er wusste es wahrhaftig nicht mehr.

Im Nachhinein betrachtet mutete es wie ein Filmriss an. Eine Kurzschlussreaktion, ausgelöst durch Kummer, Verzweiflung und Seelenschmerz.

Ein anwachsendes Grinsen auf ihren vollen Lippen tragend stupste Tina ihm in die Seite. »Du bist verliebt. Das ist los.«

»Und das nächste Mal«, ertönte Christofs strenge Stimme, wodurch es ihm ungleich mulmiger wurde. »Läufst du nicht einfach davon, wie ein heulendes Mädchen, sondern sagst, was dich bedrückt.« Etwas ruppig klopfte dieser ihm auf die Schulter und blickte ihm dabei tief in die Augen. »Ich weiß selbst, wie das ist, wenn man Sehnsucht und Kummer hat. Ich denke, ein jeder hier kennt das Gefühl nur zu gut.«

Da hatte Christof zweifelsfrei recht. Ein jeder in diesem Team – nein – generell kannte das Gefühl von Kummer und Sorgen, Zweifeln und Ängsten. Er war kein Einzelfall – er war einer von vielen.

Jan nickte. »Ich verspreche es.«

Und Christofs Miene hellte sich auf. »Aber jetzt erzähl uns endlich genau, wie es dir mit Liza ergangen ist.«

Als hätte jemand einen Schalter in seinem Körper umgelegt, jagte frische Hitze in seine Wangen.

»Wir waren auf der DS Thalia«, brachte er schluckend hervor. »Wir redeten viel … kochten gemeinsam …«

»Und ihr seid euch näher gekommen!«, jubelte Tina. »Gib’s doch endlich zu!«

Oh … wenn sie nur wüsste, wie näher sie sich gekommen waren … was sie angestellt hatten …

»Dein leuchtendes Gesicht schreit ja förmlich: Wir hatten Sex!«, witzelte seine Freundin weiter.

Anstatt sich gekränkt zu fühlen, überkam ihn überraschenderweise bloß ein leichtes Schamgefühl. Und selbst dieses wurde keinen Moment später von neuem unbezwingbaren Stolz verdrängt.

»Ja … wir sind uns nähergekommen.«

Grundsätzlich hatte er mit einem weitaus heftigeren Gefühlschaos seinerseits gerechnet – ähnlich, wie die in der Vergangenheit stets erlebten.

Erinnerungen an zahllose peinliche Situationen stürmten ihm durch den Verstand – gingen einher mit Empfindungen der Verunsicherung, Angst, Verzweiflung und Scham. Doch gleichermaßen schnell, wie sie auftauchten, waren sie wieder in den tausenden Windungen seiner manchmal selbst für ihn nicht zu verstehenden Seele verschwunden.

Die glücklichen Gesichter seiner Arbeitskollegen gaben ihm mehr Mut. »Ich glaube, ich darf sagen, dass das vergangene Wochenende das schönste in meinem bisherigen Leben darstellt.«

Tinas Grinsen nahm immense Ausmaße an. »Ich freue mich ja so für dich! Du hast das so was von verdient!« Abermals drückte sie ihn an sich. »Heute Abend musst du mir alles erzählen.«

Er befreite sich aus ihrer Umarmung. »Ja, mache ich.«

Bestimmt nicht sämtliche intime Details – aber ein paar winzige Andeutungen schon.

Überfallartig zerzauste sie ihm das Haar. »Unser kleiner Jan ist endlich erwachsen geworden.«

Tinas freche Bemerkung schickte ihm neben einer weiteren beschämenden Gesichtshitze überdies eine Welle an aufwallender magenerwärmender Wut.

»Ich bin erwachsen!«, protestierte er. »Ich bin nicht jünger als du.«

Tausendmal hatte er solche Anspielungen vernommen – jedoch niemals im Spaße, wie dies bei Tina nun der Fall war. Und tausendmal hatte er kein Sterbenswörtchen dagegengehalten. Diese Zeiten allerdings gehörten für immer der Vergangenheit an. Wie er es sich während der Zugfahrt zu Liza versprochen hatte: Ab jetzt würde er nie mehr passiv bleiben – unbedeutend ob Worte im Scherze oder absichtlich beleidigend ausgesprochen wurden.

Tinas mildes Lächeln linderte seine sanfte Rage. »Ich weiß … aber für mich wirst du immer ein kleiner Junge sein, der gerade mal aus der Schule rausgestolpert ist.«

Das konnte doch nicht ihr Ernst sein!

Er verzog das Gesicht. »Ich war Autor!«

Darüber hinaus war er bereits verlobt gewesen!

Nun … über dieses Detail hatte er nie ein Wort verloren.

Sie zeigte ihm die Zähne. »Aber das Buch hat keine richtigen Sexszenen.«

Allmählich wurde es lächerlich …

»Was hat das denn bitte schön mit mir zu tun?«

Sie kicherte. »Na, das macht dich noch unschuldiger als du sowieso schon aussiehst.«

Er zog eine Augenbraue nach unten. »Unschuldig?«

Nach all den sexuellen Erlebnissen der letzten Tage? Nachdem er einer fest in seinen Armen haltenden, zutiefst beschämten, seinen Namen wimmernden Liza selbstbewusst und fordernd einen Höhepunkt beschert hatte – im Vorhaus, vor dem großen Spiegel … splitterfasernackt?

»Leute, jetzt ist aber genug!« Elegant schwang Christof einen dieser gewaltigen aus Edelstahl bestehenden Suppenschöpfer durch die Luft. »Wir haben eine Menge zu tun! Heute treffen neue Gäste ein. Und wir sind erst ab morgen wieder vollzählig. Über kindischen Kleinkram könnt ihr euch in der Pause unterhalten. Jetzt wird gearbeitet.«

Wie ein Blitz schoss es Jan in den Kopf.

Er musste Liza anrufen!

»Ich muss schnell mein Handy holen«, meinte er mit Blick zum Küchenchef. »Ich habe gänzlich vergessen, Liza über meine Ankunft zu benachrichtigen. Kann ich noch für ein paar Minuten verschwinden?«

Tina warf ihm ein wissendes Lächeln zu. »Nicht einmal drei Tage zusammen – und schon verhaltet ihr euch wie ein altes Ehepärchen … Wann folgt die Hochzeit?«

Hochzeit?

Daran hatte er keine einzige Sekunde lang gedacht.

Wahrscheinlich aus dem einfachen Grund, weil er sich mit Liza dergestalt komplettiert fühlte, als wären sie mittlerweile zwanzig Jahre lang verheiratet – oder länger …

»Geh nur.« Christof nickte knapp. »Wenn wir diese Zeitspanne nicht ohne dich auskämen, dann muss ich wohl meinen Job an den Nagel hängen.« Eben wollte er sich wegdrehen, da hielt er schlagartig inne.

Jan fürchtete bereits eine weitere angedeutete Rüge.

»… Und vergiss nicht, Liza Grüße von uns auszurichten.«

Dankend und mit leichtem Herzen eilte er aus der Küche.

Seine Kollegen und Vorgesetzten waren neben Liza das wunderbarste, das ihm hatte passieren können.

Er hechtete die Stufen hoch, flitzte den Korridor entlang und hielt stolpernd an seiner Zimmertür. Hastig drückte er die Klinke nach unten, rutschte ab – und der goldfarbene Mechanismus schnellte gellend zurück. Der markerschütternde Lärm tat ihm sowohl in den Ohren als auch im Magen sowie in einem jeden einzelnen seiner Zähne weh.

Von dem Schock noch leicht benebelt, trat er ins Zimmer – und wurde von einem intensiven Vanilleduft begrüßt, welcher seinen Nerven sachte Beruhigung schenkte.

Sein Blick schweifte durch den mit gediegenen Holzmöbeln eingerichteten Raum.

Warme Sonnenstrahlen fielen durch zwei kleine mit altrosafarbenen Gardinen umrahmte Kastenfenster, strichen zärtlich über den quadratischen unter dem rechten Fenster befindlichen hellen Holztisch, wanderten weiter über den in Pastellfarben gehaltenen Teppichboden, auf welchem große Blumenmuster prangten, und malten aufgrund der groben Storespitze verschwommene Schattenbilder von Rosen und Veilchen auf die gegenüberliegende feinkörnig verputzte weiße Wand.

Vereinzelte durch die Luft tanzende Staubpartikel funkelten wie kleine Sterne in einer klaren Winternacht – oder wie Schneeflocken während ihres Spaziergangs damals im Schneegestöber …

Liza.

Er stürmte zum Holztisch. Auf dessen linker Seite stand sein Buch – mit dem weiß-goldenen Einband und den goldenen Lettern. Rechts befanden sich aufeinandergestapelte Reise- und Naturzeitschriften. In der Mitte lagen ein Dutzend alte Zettel beschrieben mit törichten Ideen, die zu vermeintlichen neuen Romanen hätten führen sollen. Dazu gesellten sich verpackte Schokoriegel, verstreute Toffees, zwei weiße Plastikkugelschreiber, sein zugeklapptes Elf-Zoll-Notebook, drei noch nicht vollständig ausgefüllte Lohnsteuerjahressausgleiche, Hermann Hesses Briefe- und Gedichtsammlung »Mit der Reife wird man immer jünger« sowie sein schwarzes Portemonnaie, eine Packung Taschentücher und die letzte von ehemals eintausend Visitenkarten, welche er einzig aufgrund seines Autorendaseins hatte drucken lassen.

In anderen Worten: Es wurde allmählich Zeit, ein wenig aufzuräumen.

Er verjagte die unwichtigen Gedanken und richtete den Blick auf den lackierten hellen Holzsessel mit elfenbeinfarbener Stoffpolsterung.

Da lag es – wie er es Donnerstag Abend hingelegt hatte: sein weißes Samsung Galaxy S.

Donnerstag … keine vier Tage waren seitdem vergangen. Dennoch schien es wie eine Ewigkeit … wie ein anderes Leben.

Jan aktivierte das Display – nichts geschah.

Akku leer!

Natürlich!

Mit klopfendem Herzen fasste er nach dem Ladekabel, steckte es in die Steckdose und verband es mit dem Smartphone. Quälend langsam vergingen die Sekunden bis das Display zum Leben erwachte und ihm einen ansteigenden Ladebalken zeigte.

Endlich.

Er schaltete das Gerät ein, wartete ungeduldig, bis die charakteristische Samsung-Melodie erklang und er den PIN-Code eintippen durfte. Alsbald das Hintergrundbild erschien – ein NASA-Foto der Milchstraße – rief er die Mailapp auf und wartete auf den Eingang neuer Nachrichten. Keine zehn Sekunden später trudelte Lizas Mail ein, bestückt mit Fotos und ihrer Telefonnummer, welche er sofort zu den Kontakten hinzufügte und daraufhin anwählte.

Drei Freizeichen musste er warten, bis Lizas vertraute Stimme erklang. In dem Augenblick wünsche er sich nichts sehnlicher, denn für immer mit ihr zusammen zu sein.

Würde dieser Wunsch in Erfüllung gehen? Würden sie bald eine Wohnung teilen dürfen? Gemeinsam aufwachen, gemeinsam schlafen gehen, gemeinsam essen, gemeinsam fern sehen?

Damals hatte er nicht im Geringsten geahnt, wie bald und welch schreckliche Ereignisse zu diesem Umstand führen sollten. Ganz zu schweigen von den Strapazen, welche sie beide danach zu bewältigen hatten.

Hätte er zu jener Zeit davon gewusst, er hätte seinen Wunsch expliziter formuliert.



Kapitel 32 – Neuigkeiten


Nach einem anstrengenden Arbeitstag ließ ich mich erschöpft ins Bett fallen.

Anna hatte mir selbstredend einige Fehler unter die Nase gerieben. Glücklicherweise konnte sie mir damit nicht mehr dermaßen wehtun, wie noch eine Woche zuvor. Lediglich ein Gedanke an Jan – und unangenehme Emotionen verpufften. Seine Liebe wirkte wie ein Schild, welcher mich vor sämtlichen Angriffen schützte.

Meine Seele sich leicht wie eine Daune anfühlend kuschelte ich mich tief ins Kissen.

Sollte ich mein neu erstandenes Trailermusic-Album Kaleidoscope von Jo Blankenburg anhören, oder doch lieber nur an Jan denken?

Ich brauchte nicht lange darüber nachzugrübeln, denn mein Herz nahm mir die Entscheidung gerne ab.

Wie würde der Samstag verlaufen? Was würde Jan mit mir anstellen?

Jäh zog mein Magen sich krampfhaft zusammen.

Das Treffen!

Meine Eltern!

Ich musste noch meine Eltern anrufen! Ich hatte es komplett vergessen …

Dabei war heute bereits Freitag!

Die Woche war wie im Fluge vergangen – einerseits aufgrund der vielen Arbeit im Büro, andererseits aufgrund Jans und meiner ewig andauernden Telefongespräche. Jeden Tag hatten wir uns angerufen, weniger über die Arbeit denn vielmehr über unser Wochenende gesprochen. Über all die erregenden Dinge, die wir getan hatten, und ebenso viel über das Thema Hochsensibilität.

Mit wild hämmernden Herzen griff ich nach dem Handy und rief den Kontakt meiner Mutter auf.

Hoffentlich hatten sie sich nichts vorgenommen … Hoffentlich war ich nicht zu spät dran …

»Liza!« Die Stimme meiner Mutter überschlug sich regelrecht – und ich konnte mich nur mit Glück davon abhalten, einen Satz in die Luft zu machen.

Gab es Probleme? War jemand erkrankt?

Noch nie hatte Mama sich dergestalt aufgewühlt angehört.

»Ist etwas passiert?« Bleierne Sorge umwickelte mein Herz. »Geht es dir gut?«

»Nein, ja … alles bestens!«, rief sie freudetrunken aus. »Du hast ja keine Ahnung, was für gute Neuigkeiten ich habe!«

Mein Herzschlag mäßigte sich. »Gott sei Dank … Du hast mich ungemein erschreckt.«

Großartig besser fühlte ich mich dadurch dennoch nicht. Schließlich war ich eben dabei, ein Treffen auszumachen, damit meine Eltern meinen ersten Freund kennenlernten …

Meinen ersten Freund.

Dreißig Jahre alt hatte ich werden müssen.

Das war doch wahnsinnig …

»Aber ehe du mir sagst, was los ist«, fuhr ich schluckend fort »Eine schnelle Frage: Habt ihr beide am Samstag etwas vor?«

Ein Moment der Stille folgte. »Nun … es kommt ganz darauf an.« Ihr verschwörerischer Tonfall war vieles, jedoch zweifelsohne keine Hilfe, um meine auflodernde Panik zurückzudrängen.

Krampfhaft ignorierte ich ihre eigenartige Bemerkung sowie allfällige Adrenalinausstöße meinerseits. »Ich würde nämlich gerne zu euch kommen. Habt ihr Zeit? Wenn nicht, dann ist es natürlich ebenfalls kein Problem.«

Einer kurzen Galgenfrist war ich nicht abgeneigt …

Selbstverständlich wollte ich meinen Eltern Jan vorstellen. Immerhin liebte ich ihn – wie nichts anderes auf dieser Welt. Ebenso war ich mir der Tatsache gewahr, mit ihm mein restliches Leben verbringen zu wollen. Angesichts der vielen möglichen Komplikationen dieser gänzlich neuen Situation fühlte ich mich allerdings – gelinde gesagt – überfordert.

Ich wollte keine Fehler machen. Weder wollte ich Jan beschämen noch meinen Eltern Schande bereiten.

Und dann gab es da noch mich selbst.

Wie verhielt man sich – neben Eltern und großer Liebe? Welche Themen sollte ich ansprechen? Was würden meine Eltern von Jan denken, wenn dieser mich neben ihnen leidenschaftlich küsste?

Fragen über Fragen, die wie ausgebrochenes Wild durch meinen Verstand hetzten.

»Nein … nein!«, brachte meine Mutter mich zurück in die Realität. »Das trifft sich bestens. Dann erzähle ich dir die tolle Neuigkeit, wenn du bei uns bist.«

Was war es wohl, was sie mir sagen wollte? Hatten sie sich ein neues Auto gekauft? Eine Reise gebucht? Den Garten umdekoriert?

Meine Mutter liebte einen ordentlichen Garten – gepflegte Wiesen, schön geschnittene Hecken und Bäume, üppig blühende Grünpflanzen … Womöglich hatte sie sich endlich diese innigst von ihr gewünschte Trauerweide gekauft und damit die abseitsgelegene sonnenarme moosige Gartenecke aufgehübscht.

»In Ordnung.« Mein Herzschlag beschleunigte sich. Meine Hände begannen zu zittern. »Übrigens habe ich ebenfalls eine kleine Überraschung, welche ich euch am Samstag zeigen werde.«

»Eine Überraschung?«, flötete sie. »Was denn? Kuchen?«

Ich musste kichern.

Wenn sie wüsste! Und welch Augen sie machen würde, wenn sie Jan neben mir erblickte!

»Nein, kein Kuchen … Etwas Besseres.«

»Jetzt hast du mich aber gewaltig neugierig gemacht. Willst du es mir nicht schon jetzt verraten?«

»Nein.« Gut gelaunt aber beträchtlich nervöser schüttelte ich den Kopf. »Keine Chance. Du brauchst dich ja nur bis morgen zu gedulden.«

»Du klingst so fröhlich. Fühlst du dich besser?«

Sie bemerkte meine Stimmungen allzeit viel zu gut …

»Ja, mir geht es tatsächlich viel besser.«

Ein erleichtertes Ausatmen ihrerseits erweckte altbekannte Gewissensbisse. »Das ist ja wundervoll. Dann wird das morgen bestimmt ein wunderschöner Tag.«

Welch fürchterlicher Mensch war ich bloß!

Unerheblich wie weit wir voneinander entfernt wohnten oder wie alt ich war – stets musste ich meinen Eltern Sorgen bereiten.

Eine jede andere Tochter in meinem Alter lebte längst mit einem Partner zusammen. Einzig ich tanzte aus der Reihe.

Hätte ich Jan bloß fünf oder acht Jahre früher kennengelernt! Dann hätten meine Eltern sich nicht andauernd den Kopf über mein Singledasein zerbrochen und Jan und ich hätten uns ewig lange Jahre der Einsamkeit erspart …

Wie dem auch sei. Die Vergangenheit konnte ich nicht mehr ändern. Aber dafür die Zukunft!

Für mich war klar: Ab dem heutigen Tage durfte ich etwaige Probleme unter keinen Umständen mehr preisgeben.

Niemals mehr.

Und mit Jan an meiner Seite musste dieser Vorsatz leicht zu halten sein!

»Ja, es wird sicherlich schön werden«, antwortete ich. »… Zumindest hoffe ich es.«

Ob Probleme, Kummer, Ängste oder nicht – meine Hauptsorge galt nach wie vor dem Zusammentreffen zwischen Jan und meinen Eltern.

Wie würden sie auf ihn reagieren? Würden sie ihn wohl mögen? Würden sie ihn akzeptieren?

»Wann wirst du denn circa bei uns ankommen?«

Ich richtete den Blick zum Fenster, welches mir einen von Wolkentürmen umgebenen blutroten Sonnenuntergang präsentierte. »Um die Mittagszeit, denke ich.«

»Sehr gut. Soll ich für dich mitkochen?«

Ach Mama.

Immerdar bemühte sie sich um mich! Eine bessere Mutter gab es nicht auf dieser Welt.

»Nur, wenn es dir keine Umstände bereitet.«

»Das tut es nie!«, erwiderte sie seufzend-tadelnd. »Und das weißt du auch.«

Ein Grinsen stahl sich auf meine Lippen. »Du hast ja recht … aber ich will schlichtweg nicht zur Last fallen. Das weißt du ja auch.«

Ich vernahm ihr liebliches Kichern. »Das stimmt … Und wie geht es dir in der Arbeit?«

Für den Moment eines Wimpernschlags erhöhte sich mein Herzschlag.

»Besser.«

»Wirklich?«

»Ja, wirklich. Ich lüge nicht.«

Dieses Mal nicht. Und hoffentlich auch in Zukunft nicht mehr.

»Ach Liza! Du hast ja keine Ahnung, wie sehr mich das freut! Anscheinend geht es langsam aufwärts, hm?«

Nach Jahrzehnten der Einsamkeit und des Ausgestoßen-Seins hatte ich endlich meine andere Hälfte gefunden. Im Job lief es besser. Und meine Mutter klang ebenfalls unbeschreiblich glücklich.

Es schien nicht nur aufwärtszugehen – es ging aufwärts.

»Es sieht ganz so aus«, gab ich zurück. »Ich kann ehrlich zugeben: Das erste Mal seit Langem fühle ich mich unfasslich gut und leicht.«

»Unfasslich?« Mama gluckste. »So einen Ausdruck hab ich ja noch nie gehört.«

Ich errötete.

Mein Wortschatz, meine Gefühle, mein Auftreten hatten durch Jan eine Hundertachtzig-Grad-Wendung vollzogen.

Meine Seelenhälfte hatte etwas in mir erweckt, das jahrelang ungeduldig darauf gewartet hatte, in Erscheinung treten zu dürfen. Nun hatte es seine Flügel ausgebreitet – mit dem einzigen Ziel: die rechte Gelegenheit abzupassen, um abzuheben und dem Leben entgegenzusegeln. Einem Leben, welches gekennzeichnet war von gegenseitigem Respekt, zärtlicher Liebe und verwichenen Werten.

Aber gleichwohl ich nichts lieber tat, denn mich mit Jan auf diese kostbare Weise zu unterhalten, musste ich mich langsam vorsehen. Ein falsches Wort zur falschen Zeit – und ich machte mich zum größten Gespött.

Räuspernd wich ich aus. »Wie mir scheint, bist auch du viel fröhlicher.«

»Das liegt an meiner guten Nachricht.«

»Die du mir nicht sagen willst.«

Sie lachte. »Ganz genau!«

Und ich gähnte. »Dann haben wir morgen ja viel zu bereden.«

»Was soll ich denn kochen?«

Grinsend richtete ich mich auf. »Du kennst mich doch. Ich habe keine Ahnung … Aber warte! …«

In der Vergangenheit hatte sie mich des Öfteren angerufen und gefragt, was sie kochen sollte. Und jedes Mal hatte mir nichts Vernünftiges einfallen wollen.

Nicht so heute.

»Wie wäre es mit einem Burger? Dinkelbrötchen, Hühnerfleisch, Cocktailsoße, Eissalat und Rucola – schmeckt gut und braucht nicht lange. Und wenn du mehrere davon machst, hättest du auch noch welche fürs Abendbrot.«

»Hey, das klingt gar nicht mal schlecht … Ich werde darüber nachdenken.«

Und Jan bekäme eine Portion, ohne Mama über seinen Besuch in Kenntnis setzen zu müssen …

Die mir bis vor vorhin noch gnädig gewesene Müdigkeit nahm allmählich an Kraft zu. Sie drückte meine Lider nach unten, brachte meine Augen zum Brennen und schickte mir dieses kuschelig-schwere Gefühl der Ermattung in die Glieder.

Ich schaute zur kleinen goldenen mir zwanzig Uhr fünfundvierzig anzeigende viereckige kleine Tischuhr, welche ich auf der rechten Bürotischseite platziert hatte. »Ich glaube, es ist besser, wenn wir aufhören. Ich bin schon ungemein müde. Die Gewitter, welche da die letzte Zeit durchziehen, machen mich ganz schön fertig.«

Wetterfühligkeit quälte mich mittlerweile seit einem Jahrzehnt. Einst noch recht selten hatten Beschwerden wie Müdigkeit und leichte Kopfschmerzen sich in den darauffolgenden Jahren stetig erhöht.

Die teils heftigen Gewitter der letzten zwei Tage – selbst mit Hagel und Orkanböen hatte Klagenfurt erneut vorliebnehmen müssen – hatten an meinen Kraftreserven jedoch um einiges beträchtlicher genagt, denn üblicherweise … Nun … womöglich trugen auch Jans und meine bis in die Nacht angedauerten Telefongespräche eine Mitschuld. Schlief ich für gewöhnlich um zwanzig Uhr dreißig längst tief und fest, hatte ich in den letzten Tagen kein einziges Mal vor zweiundzwanzig Uhr die Augen zugemacht.

»Mir gehts nicht anders«, erwiderte meine Mutter. »Morgen sollen auch Regenschauer durchziehen. Vielleicht liegt es ja daran.«

Hoffentlich nicht weitere Gewitter! Jan sollte sich nicht neuerlich dergestalt arg fürchten müssen. Andererseits fand ich seine sanfte Ängstlichkeit überaus niedlich. Seine nackte Panik war es, welche mir das Herz selbst jetzt zusammenzog …

Aber wie auch immer das Wetter morgen werden würde, wenigstens musste Jan sich in Seedorf nicht mit Gewittern herumplagen. Laut seiner Erzählung wurden sie dort zwar öfters von Starkregen heimgesucht – von Blitz, Donner und Hagelstürmen hingegen waren sie in den letzten Jahren durchwegs verschont geblieben.

»Ja, bestimmt liegt es daran.« Ich stand auf, trat zum Fenster und ließ das Rollo hinunter. »Dann sehen wir uns also morgen. Sollte etwas dazwischen kommen, gib mir einfach Bescheid.«

»Mach ich«, antwortete sie. »Also dann … bis morgen, Schätzchen. Und fahr langsam.«

Lächelnd aktivierte ich die Farbwechsellampe. »Das tue ich doch immer … Und grüß Papa von mir.«

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