Kitabı oku: «In Your Arms», sayfa 4
»Nun … ich –«
Darüber hatte ich keinen einzigen Moment lang nachgedacht – weder heute noch in den vergangenen Tagen.
»Ich muss gestehen, ich habe keine Ahnung. Darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht.«
Sein Lächeln wuchs an. »Hatten dich dann – ähnlich wie mich – unanständige Gedankenspiele abgelenkt?«
Viel heißer konnte es mir fürwahr nicht mehr werden …
Räuspernd versuchte ich, das Thema zu wechseln. »Ist Tina hier? Ich wollte sie kurz begrüßen … Weil ich doch ohne Verabschiedung weggefahren bin.«
Seine Züge nahmen verständnisvolle – nein … wissende – Milde an.
Meine gewaltige Sehnsucht nach ihm war mir abermals deutlich anzusehen!
Himmel!
Es war mir peinlich … solchermaßen peinlich. Hoffentlich gelang es mir bald, dieser sekündlich anwachsenden Begierde Herr zu werden.
…
Aber die Autofahrt würde lang werden … Jan sah atemberaubend aus …
O Gott, o Gott …
»Ja, sie ist da. Ich glaube, sie hält sich zurzeit in der Wäschekammer auf. Sollen wir kurz zu ihr schauen?«
Ich nickte.
Dann konnte ich ihr zur Verlobung gratulieren … und in weiterer Folge mich dadurch von Jans charmant-erregendem Aussehen ablenken –
Jans Lippen, welche sich unvermutet auf meinen wiederfanden, entrissen mir sämtliche Überlegungen, um stattdessen reine, grenzenlose Lust zu entfesseln – exakt den Umstand, welchen ich zu verhindern versuchte!
Das liebevolle Gleiten seiner Zunge und seine meinen Po zärtlich knetenden Hände löschten meinen gesamten Verstand, entlockten mir ungewollte Seufzer und sanft-ziehende Gefühle zwischen den Beinen.
Grundgütiger!
Wenn Jans Kuss nicht bald ein Ende fand, würden wir es wahrscheinlich nicht weiter denn in sein Zimmer schaffen …
»Da sind ja die zwei Frischverliebten!«
Ein Kübel mit eiskaltem Wasser über meinen Kopf ausgeschüttet – exakt dieselbe Wirkung erzielte die Äußerung dieser allzu bekannten weiblichen Stimme – infolge dessen wir uns voneinander losrissen.
»Tina«, keuchte Jan mit dunkelroten Wangen und weit aufgerissenen Augen. »Wir wollten eben zu dir.«
Ihr mit Schelm gefüllter Blick pendelte zwischen uns hin und her. »Ich denke wohl eher, dass ihr auf den Weg in dein Zimmer wart.«
»Nein, nein … ich … wir wollten –«
Um die fürchterliche Situation etwas zu entschärfen, reichte ich dem rothaarigen Energiebündel die Hand. »Ich wollte dir alles Gute zu deiner Verlobung wünschen.«
Sie machte eine wegwerfende Geste. »Ach, lassen wir doch das Händeschütteln.« Und damit schloss sie mich in eine feste Umarmung. »Du hast mir meinen Ehemann gebracht. Ohne deine und Jans Hilfe hätte ich ihn niemals näher kennengelernt. Das werde ich nie vergessen.«
Eine nächste Hitzewelle überkam mich – eine Hitze geboren aus Verlegenheit, Freude und Glück.
»Ich glaube, ihr hättet euch auch ohne unsere Hilfe gefunden.«
Wir ließen voneinander ab.
»Du weißt genau, dass das nicht stimmt.« Ihr Gesichtsausdruck härtete sich geringfügig. »Also, nimm das Lob ruhig an.«
Währenddessen ich mir ein paar Haarsträhnen hinter das rechte Ohr strich und nebenbei Argumente suchte, um Tinas Erwiderung zu entkräften, spürte ich, wie Jans Arm sich um meine Taille schlang. Behutsam zog meine Seelenhälfte mich zu sich, küsste mich auf die Wange – ein glückseliges Lächeln auf den Lippen zur Schau tragend.
»Und?«, fragte Tina. »Wo geht es denn jetzt hin? Ins Schlafzimmer? Zu Lizas Eltern? Oder vielleicht in die nächstgelegene Therme?«
Es war gut zu erkennen, wie viel Mühe Jan es machte, um sich von meinem Anblick zu lösen und Tina anzuschauen.
Was diese Erkenntnis in mir hervorrief, vollbrachte ich nicht in hundert Jahren zu beschreiben.
Ein weiterer dieser unschätzbaren Liebesbeweise, welche mit Geld oder materialistischen Gütern niemals aufzuwiegen war …
»Wir fahren gleich zu Lizas Eltern.« Dies gesprochen schenkte er mir wieder seine gänzliche Aufmerksamkeit. »Ich bin neugierig … aber auch gewaltig aufgeregt. Hoffentlich mache ich einen guten ersten Eindruck.«
»Mit diesem Outfit?« Tina beäugte ihn kritisch. »Wenn sie nichts gegen altmodische Klamotten haben – dann bestimmt.«
Noch ehe Jan etwas entgegnete, spürte ich dessen Schamgefühl in meinem Innersten.
Seine Emotionen nun ebenfalls gut in seinem Antlitz widerspiegelnd schüttelte er irritiert den Kopf. »Wieso fängst du erneut damit an?«
Seine Kollegin warf uns ein entschuldigendes Lächeln zu und klopfte ihm dabei besänftigend auf die Schulter. »Es tut mir leid.« Ein kurzes Achselzucken folgte. »Du kennst mich ja. Manchmal rede ich schneller, als ich denke.«
Offensichtlich hatte Tina einmal sofort bemerkt, wie sehr ihre Aussage Jan verletzte.
Meine Seelenhälfte stieß einen zagen Seufzer aus. »Na gut … Ich gebe gern zu, er ist mittlerweile etwas in die Jahre gekommen. Schließlich habe ich ihn damals für meine Buchvorstellung gekauft. Dennoch bedeutet dies noch lange nicht, ihn deshalb nicht mehr tragen zu dürfen.«
»Ich wollte dich wirklich nicht verunsichern«, ruderte Tina weiter zurück. »Tut mir echt leid. Ich nehme alles zurück.«
Um ihm selbst den letzten Zweifel zu rauben, schlang ich meine Arme um den seinigen und redete ihm gut zu: »Mach dir keine Sorgen. Meine Eltern sind vieles, jedoch niemals oberflächlich. Sie halten selbst nicht viel von aktueller Mode. Außerdem –« Scheu küsste ich ihn auf die Wange. »Siehst du mit dem Anzug einfach atemberaubend schön aus. Gleichgültig wie alt er sein mag. Er steht dir unfasslich gut.«
»Ja?« Strahlendes Seelenlicht erfüllte seine Augen. »Findest du?« Mit Freuden durfte ich beobachten, wie seine Wangen dieses unsagbar niedliche aus Betretenheit hervorgerufene Pink annahmen. »Ich hatte gehofft, dass er dir gefällt.«
Und unsere Blicke verschmolzen. Seine Herzenswärme drang in meine Seele, in meinen Geist. Ich fühlte mich schwerelos, berauscht, unendlich glücklich.
»Okay Leute …« Tina vermochte ich kaum zu hören, dergestalt zog Jan mich in seinen Bann aus Liebe und Zärtlichkeit. »Ich denke, ihr solltet jetzt echt fahren, sonst landet ihr wirklich noch in einem Hotelzimmer.«
Hüstelnd drehte Letztgenannter sich zu Tina um. »Ja, höchstwahrscheinlich hast du recht …«
»Übernachtet ihr drüben?«, fragte sie schnell. »Oder kommt ihr wieder zurück?«
»Ich weiß noch nicht«, erwiderte ich. »Wenn meine Eltern nichts dagegen haben, wäre es sicherlich einfacher, bei ihnen zu übernachten.«
Ein in Tinas Augen aufflackerndes unheilbringendes Strahlen entfesselte eine über meinen Körper rennende Gänsehaut.
Was würde jetzt folgen?
Etwas Zweideutiges? Ein Seitenhieb? Eine weitere Frage? Oder eine pikante Anspielung?
»Dann hoffe ich, dass ihr euer Zimmer absperren könnt.«
Zur Abwechslung liefen Jan und ich einmal gleichzeitig knallrot an.
»Tina!« Verlegenheit ließ Jans Stimmlage deutlich höher erklingen. »Reiß dich ein wenig zusammen!«
»Das kann ich aber nicht!«, gab sie laut lachend zurück. »Ihr seht einfach zu süß aus, wenn ihr vor Scham im Boden versinkt …« Sie trat einen Schritt näher. »Ich würde ja zu gerne wissen, wie ihr euch das erste Mal nähergekommen seid. Das muss ein köstlicher Anblick gewesen sein: Zwei schüchterne Verliebte, die nicht wissen, wie sie einander anfassen sollen …«
Wenn du wüsstest …
Beinahe hätte ich meine Gedanken laut ausgesprochen.
…
Meine Verliebtheit schien mich tagtäglich selbstsicherer und mutiger zu machen …
Jan, welcher den Eindruck machte, am liebsten im Boden verschwinden zu wollen, zeigte jäh festigende Gesichtszüge. Ein spezieller in seinem Blick entstehender Glanz wie seine sich straffende Gestalt gaben meiner auflodernden Vermutung letzte Gewissheit: Seine sinnliche Selbstsicherheit war über ihn gekommen – wie an dem Sonntagmorgen, als ich mich auf den Bauch gedreht und er mich leidenschaftlich genommen, wie während unserer ersten Dusche, als er mich auf eine solch selbstverständliche Weise verwöhnt hatte …
»Du hast nicht die geringste Vorstellung«, begann Jan bedächtig zu erklären. »Welch Dinge wir bereits taten … wie schön es sich anfühlte und wie wenig Verunsicherung wir empfinden.« Seine Züge wurden sanfter, versonnener. »Bei Liza fühle ich mich daheim, angekommen … es ist, als kennen wir uns bereits unser gesamtes Leben. Ich blicke in ihre betörenden Augen –« Er drehte sich zu mir, um exakt dies zu tun. »Und ich weiß, was ihr wohltut, was ihr behagt und was sie nicht will. Ich fühle, was sie fühlt.« Es entstand eine sich ewig anfühlende Pause, ehe er seine bewegende Erklärung mit einem »Ich liebe dich, Liza« beendete und meine Hand zärtlich drückte.
Ein heißer Schauer brachte sämtliche Härchen meines Körpers dazu, sich glückstrunken aufzurichten. Dazu rauschte ein Prickeln durch meine Adern, ähnlich heftig, wie welches, das ich empfand, wenn wir uns vereinigten. Es vernebelte meinen Blick und meinen Verstand, einzig um Platz für Lust zu machen.
Mein Gott …
Was sollte ich auf Jans kostbare Liebeserklärung erwidern? Ein Dankeschön? Ein Kompliment? Ein Kuss?
Ich war vollends neben der Spur …
»Also damit habe ich jetzt aber echt nicht gerechnet!« Soweit ich dies in meinem Taumel beurteilen konnte, blickte Tina ziemlich verblüfft drein. »Jan, Jan, Jan. Steckt da doch mehr in dir, als ich für möglich gehalten habe?« Grinsend stupste sie ihm in die Seite. »Hast du den Schüchternen vielleicht sogar nur gespielt, und damit dutzende Weiber abgeschleppt?«
Abermals stieß Letztgenannter ein sanftes Seufzen aus. »Nein … Tina. Und das weißt du selbst genauso gut wie ich.«
Sie lachte. »Du hast recht.«
Damit drehte Jan sich zu mir zurück – ein stolzes, liebliches aber vor allem ein aus Vorfreude entstandenes Lächeln im Gesicht tragend. »Gehen wir?«
Ich wusste, welche Vorfreude da über ihn gekommen war – nämlich eine Vorfreude auf eine weitere unglaubliche Nacht …
Stumm nickte ich ihm zu.
»Habt viel Spaß!«, verabschiedete sich Tina. »Wir sehen uns dann morgen!«
Ich wollte ihr noch etwas Nettes zurückrufen. Letzten Endes brachte ich es lediglich zustande, ein Danke und ein bis morgen hervorzuwürgen.
Alsbald ich im Auto saß, atmete ich einmal tief durch.
Himmel! Herrgott!
Das war wahnsinnig … unglaublich … Wie konnte ich mich für einen solchen Liebesbeweis angemessen erkenntlich zeigen? Weder fühlte ich mich mutig genug, eine derartige Äußerung in Gegenwart anderer Personen zu machen, noch wollte mein Verstand in derlei Situationen vernünftige Sätze bilden.
»War ich zu offen?« Enorme Verunsicherung veranlasste Jans Augenbrauen, sich nach oben zu ziehen. »Habe ich zu viel verlautet? Ich dachte … ich sage ihr die Wahrheit, da wir … Ich meine –«
O nein!
Weil ich mich zum wiederholten Male wie ein Mauerblümchen benommen hatte, nahm er an, ich würde mich für seine Aussage schämen!
»Mach dir bitte keine Gedanken«, versuchte ich verzweifelt zu beruhigen. »Ich habe überhaupt kein Problem mit dem, was du ihr gesagt hast … Ganz im Gegenteil!« Erneut atmete ich tief durch, sammelte mich, versuchte, all die eben erlebten Eindrücke zu verarbeiten und verständliche Erklärungen zu formen. »Es liegt einzig an mir …« Ich benetzte die trocken gewordenen Lippen. »Ich habe dir ja gesagt, wie schwer es mir fällt, angemessene Worte zu finden, um meiner Liebe zu dir Ausdruck zu verleihen.« Durch meine Aufregung hörte meine Stimme sich eigenartig trocken und irgendwie schief an. »Die deinen sind unvorstellbar kostbar … schön … lieblich … erregend. Stets sprichst du solch wundervolle Dinge … Doch ich kann da, sosehr ich es will, schlichtweg nicht mithalten … Dabei … dabei möchte ich nichts lieber, als dir gleichwertige Worte verkünden … Ich möchte deine Seele auf dieselbe Weise berühren, wie du die meine damit berührst.« Meine zu einer leichten Faust geballte Hand an meinen Oberkörper drückend richtete ich den Blick auf den grauen Schaltknauf. »Ich will nicht mehr wie ein verlorenes Kind wirken, welches nach passenden Ausdrücken sucht. Ich will dir gerade heraus mitteilen, wie ich empfinde … Manchmal klappt es wohl … meistens weiß ich allerdings nicht, wie ich adäquat auf deine lieblichen Äußerungen reagieren soll. Dann fühle ich mich auf eine eigenartige Weise wie gelähmt.«
Seine warme unter mein Kinn gleitende Hand brachte mich dazu, ihm zurück ins Gesicht zu schauen.
»Derart viel Liebe«, verhalf ich meinem einfältigen Gestottere zu einem Ende. »Wurde mir noch nie zuvor entgegengebracht.«
Sachte schüttelte er das Haupt. »Du sprichst genügend schöne Worte.« Seine sanftmütigen Augen kurbelten meinen Puls nochmals kräftig an. »Fühle dich deshalb bitte nicht minderwertig. Meine Worte sind doch auch nichts im Vergleich zu der Liebe, die du mir entgegenbringst.«
»Siehst du!« Peinlich berührt machte ich eine Geste mit meinem rechten Arm in seine Richtung. »Jetzt hast du wieder etwas derart Schönes gesagt.«
Ein sanftes Lächeln offenbarte strahlend weiße Zähne. »Das klingt ja beinahe wie ein Vorwurf.« Ehe ich etwas einwerfen konnte, sprach Jan weiter. »Bitte hab nicht permanent ein schlechtes Gewissen. Ich sage diese Dinge, weil du mich dazu inspirierst, jedoch niemals, um dich damit zu beschämen oder zu bedrängen. Was ich begehre, ist dir damit zu schmeicheln – nicht mehr und nicht weniger.«
Ich schluckte. »Das tust du. Du hast ja keine Vorstellung, wie sehr.«
»Mehr wollte ich nicht erreichen, und mehr brauchst du mir nicht zu sagen.« Er lehnte sich zu mir … und küsste mich – langsam, behutsam, liebevoll.
Nachdem er von mir abgelassen hatte, startete ich den Motor und fuhr los – mit leichten Herzrhythmusstörungen und zitternden Gliedmaßen.
Für die restliche üblicherweise einstündige Fahrtstrecke benötigte ich dieses Mal eineinhalbstunden. Zum einen lag dies an einer großen Baustelle, an welcher eine ewig rot anzeigende Ampel den Verkehr regelte. Und zum Anderen an Jan, welcher mich durch gelegentliche Küsse andauernd dazu nötigte, rechts ranzufahren. Zehn Minuten vor Ankunft – und dutzende Liebkosungen später – hätte er mich beinahe so weit gebracht, mit ihm intim zu werden.
Es war verrückt … es war surreal … es war wunderschön.
Ein weiterer Wunsch, welchen ich seit vielen Jahren tief in meiner Seele getragen hatte, war in Erfüllung gegangen: mit dem Menschen meines Herzens eine kleine Autoreise zu machen.
Langsam lenkte ich den Wagen über die aus Rollsplitt, Steinen und festgefahrener Erde bestehende unebene Waldstraße, welche mir jeden Winter einen Großteil meiner Nerven kostete. Hatte man im Sommer schlimmstenfalls mit Schlaglöchern zu kämpfen, stellten Glatteis, Matsch und Schnee in der kalten Jahreszeit ein schier unüberwindbares Hindernis dar – speziell für kleine unscheinbare Kraftfahrzeuge wie das meinige.
Nicht umsonst hatten meine Eltern sich bereits vor Abschluss des Hauskaufs einen alten Jeep Wrangler zugelegt.
»Warum wohnen deine Eltern solchermaßen abgelegen?«, beförderte Jan mich aus meinen Rückblicken.
»Sie wollten Ruhe – vor den Menschen, vor der Hektik, vor dem Lärm.« Ich warf Jan einen kurzen Blick zu. »In der Vergangenheit … in der Stadt … gab es stetig Probleme mit Nachbarn. Hier in der Natur wohnen keine heimtückischen Personen, welche ihnen alte Bierdosen, Hundekot oder benutzte Taschentücher in den Garten werfen oder heimlich durch das Grundstück schleichen. Hier trifft man bloß auf einen strengen Winter und im Idealfall auf erhabene Wildtiere.«
»Ich verstehe.« In meinen Augenwinkeln beobachtete ich, wie meine Seelenhälfte die Umgebung betrachtete. »Manchmal können Menschen sehr schwierig sein.«
Ja, das konnten sie.
»Der Wald sieht wunderschön aus«, wechselte er das Thema. »… Mischwald … Der Anblick im Herbst muss überwältigend sein.«
»Das ist er tatsächlich.«
Blätter in dunklem Rot, leuchtendem Gelb, Hellbraun und Orange, dazwischen dunkelgrünes Nadelgehölz – im Oktober schien der Wald in Flammen zu stehen.
Von den Erinnerungen ein Lächeln auf die Lippen gezaubert überwand ich den letzten steilen Hügel, indem ich etwas mehr Gas gab.
Ich parkte den Fiat seitlich auf dem kleinen aus Waldboden und Kies bestehenden Vorplatz, betätigte die Handbremse und schaltete den Motor ab. »Da wären wir.«
»Darf ich mich kurz umsehen?« Kindliche Neugier spiegelte sich in Jans Antlitz wider. »Bloß ein paar Meter in den Wald. Ich will seinen Duft einatmen.«
Lachend gab ich ihm mein Einverständnis. »Darf ich mitkommen?«
»Ja liebend gerne doch!« Seine Augen leuchteten auf. »Das ist mir noch viel lieber.«
Hand in Hand sausten wir die kleine Erhöhung hoch, rutschten beinahe aus und hechteten lachend und kichernd weiter hinein in das duftende Gehölz.
»Hier ist es fürwahr wundervoll!« Er richtete den Blick gen Himmel, welcher von einem saftig grünen von Sonnenstrahlen hingebungsvoll getätschelten Blätterdach teilweise verdeckt wurde. »Und der Duft.« Für eine kurze Weile schloss er die Lider. »Moos, Pilze, Rinde – ich liebe diese Mischung.«
»Inspiriert die Natur dich?«
Ein glückseliges Lächeln zur Schau tragend zog er mich zu sich – legte seine Lippen auf meine und begann mich zu verwöhnen. Solchermaßen innig wie während der Autofahrt … vielleicht sogar intensiver. Jans sanftes Aftershave vermischte sich mit dem Geruch von nassen Blättern und Erde. Meine Seufzer gepaart mit den uns umringenden süßen Vogelgesängen verschmolzen zu einer Symphonie des Glücks. Das Glück, am Leben sein zu dürfen und solch kostbare Momente zu erleben.
»Du bist es, die mich am allermeisten inspiriert.« Sein Lächeln wuchs an. »Aber der Wald macht dir schwere Konkurrenz.«
Ich konnte mir ein Lachen beim besten Willen nicht verkneifen. »Dann muss ich mich wohl mehr anstrengen.«
»Und ich weiß auch, wie.«
Ein heißer Schauer jagte durch meinen Körper.
Er wollte doch nicht etwa …?
»Ein langer Spaziergang.« Er stupste meine Nase mit der seinigen an. »Wir beide, die singenden Wildvögel und die sanften Riesen.«
Erleichtert atmete ich aus. »Aber erst müssen wir meinen Eltern Hallo sagen. Spazieren gehen können wir später noch immer.« Ich hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen. »Außerdem ist es abends tausendmal schöner. Da singen die Amseln und der Duft nimmt intensivere Ausmaße an.«
»Stimmt.« Er legte die Arme um meine Taille. »Wenn ich in den Seedorfer Wäldern spaziere, sind mir die Abendstunden auch stets die liebsten.«
»Dann gehen wir zurück?«
Zweifel huschten über seine Züge. »Ja, in Ordnung.«
»Fürchtest du dich?«
Sein Haupt gesenkt zuckte er die Achseln. »Nun … ein wenig.«
»Ich mich auch.«
Damit fand sein Blick zurück zu mir. »Tatsächlich? Ich meine … es sind immerhin deine Eltern.«
»Das ändert aber nichts an meiner Aufregung – an einer wahnsinnigen und sekündlich zunehmenden Aufregung, um ehrlich zu sein. Bereits seit Mittwoch zerbreche ich mir ständig den Kopf, wie das Treffen verlaufen wird … Außerdem –« Jähe Hitze stieg mir ins Gesicht. »Außerdem habe ich solche Sehnsucht nach dir … deine Küsse haben mir nicht eben dabei geholfen, meinen Körper abzukühlen. Im Gegenteil. Die gesamte Zeit über verdränge ich hochwallende … Gedankenspiele.«
Irgendwie musste ich ihn beruhigen. Seine Nervosität übertrug sich schließlich eins zu eins auf mich … und umgekehrt. Was lag da somit näher, als ihm zu beichten, wie sehr ich ihn wollte?
»Dann weißt du jetzt«, erwiderte er kess. »Weshalb ich dich immer wieder dazu brachte, auf die Seite zu fahren und mich zu küssen.« Behutsam legte er die Hände um meine Kinnbögen. »Es waren lediglich fünf törichte Tage … Und obschon sie dermaßen schnell vorüberzogen, halte ich es beinahe nicht mehr aus.«
Stürmisches Prickeln preschte mir durch die Adern. »Das liegt dann wohl an der Verliebtheit.«
Jan schüttelte den Kopf. »Nein … es liegt nicht an Lust oder Begehren.« Er lehnte seine Stirn an meine. »Es liegt schlichtweg an unserer kostbaren Liebe, an dem Verlangen, dich spüren zu wollen … Ein Höhepunkt ist sekundär – deine Liebe empfinden, das ist es, wonach es mich dürstet. Ich will dich festhalten, dich küssen, dich verwöhnen, dich betrachten, mich nackt an dich schmiegen. Es muss keine Vereinigung geben … Ich will dich bloß bei mir wissen. Immer.«
Ich führte meine Hände zu seinem Nacken und kraulte diesen. »Das werde ich auch sein – für heute und morgen.«
»Ja, aber zu meinem Leidwesen nicht länger.« Er stieß einen melodramatischen Seufzer aus. »Und aus diesem Grunde möchte ich unbedingt mit dir spazieren gehen. Mit dir alleine. In diesem weiten, wunderschönen, friedlichen Wald. Nur du und ich … Dies wünschte ich mir mein gesamtes Leben lang: Mit meiner Seelenhälfte eingehakt durch einen duftenden Wald lustwandeln.«
Ich schenkte ihm einen zagen Kuss. »Dann bringen wir dieses erste schauderhafte Gespräch schnell hinter uns, damit wir den Abend im Wald und später dann … eng umschlungen verbringen können.«
Kichernd ließ er von mir ab. »In Ordnung.«

Das einstöckige Haus mit den schwarzen Tondachziegeln, den quadratischen Fenstern und der naturweiß gestrichenen Fassade hatte sich kein bisschen verändert.
Mit krampfendem Magen und mäßig zitternden Händen betätigte ich die Türglocke.
Bedeutend lieber wäre ich nun in meinem Bett und in Jans Armen gelegen. Am innigsten wünschte ich mir allerdings, ihn immer bei mir zu wissen – nicht bloß am Wochenende.
Grundsätzlich musste ich dankbar sein, meine Seelenhälfte überhaupt sehen zu dürfen. Schließlich hatte Jan mir erst kürzlich erklärt, selbst wochenends nicht immer arbeitsfrei zu bekommen. Seine Dienstzeiten waren flexibel: Manchmal arbeitete er mittwochs bis sonntags, dann wieder dienstags bis samstags oder donnerstags bis dienstags. Da Jan kein eigenes Auto besaß, und öffentliche Verkehrsmittel überdies selten mit seinen Arbeitszeiten übereinstimmten, bedeutete dies: Die nächste Zeit würden wir uns bestenfalls einmal im Monat sehen.
Die einen Tick zu stürmisch aufgehende Tür riss mich aus meinen Gedanken.
Meine Mutter trat hervor – mit etwas zu heftig strahlenden Augen und ungewöhnlich überschwänglicher Gestik.
…
Ich kannte meine Mutter gut. Ich kannte sie besser als mich selbst.
Sie war eine lebenslustige, liebenswerte, offenherzige Frau. Es gab nichts und hatte auch niemals etwas gegeben, das ihre positive Grundstimmung zu rauben in der Lage gewesen wäre. Ebenso unmöglich war es, sie aus der Bahn zu werfen. Für sie gab es keine ausweglose Situation, keine Hoffnungslosigkeit. Sie war eine Kämpferin und sanfte Frohnatur.
Die Ausstrahlung von heute hingegen schien mir dennoch ein wenig – ja, zu exzessiv.
Zwar hatte ich sie wohl irrsinnig glücklich erlebt – doch diese funkelnden Augen?
…
Hier stimmte etwas hinten wie vorne nicht. Zumal meine Hände jählings wie verrückt zu beben begannen – und dies lag einmal nicht an meiner eigenen Aufgekratztheit!
Während mir all diese Dinge durch den Kopf sausten, hatte Erstaunen ihre Hochstimmung verdrängt.
Dies konnte dann nur an Jan liegen. Woran auch sonst? Schließlich hatte ich nie zuvor einen Mann mit nach Hause gebracht.
»Hallo Mama«, grüßte ich sie nach einem leisen Hüsteln und zog Jan etwas näher zu mir. »Ich wollte dich überraschen … nun … ja …« Ich fuhr mir über die Nase, räusperte mich und schluckte einen anwachsenden Brocken Beunruhigung hinunter. »Deshalb erwähnte ich nichts.« Während meines kläglichen Versuches, ihr zu erklären, wer da neben mir stand und weshalb, breitete eine unbehagliche Hitze sich in meinem Gesicht aus. »Das ist Jan … Wir lernten uns damals im Hotel kennen.«
Letztgenannter reichte ihr die Hand – für meinen Geschmack einen Tick zu förmlich, zu steif, zu verhalten – im Klartext: Wir alle waren komplett durch den Wind.
»Ich hoffe, ich störe nicht.« In seiner Stimme schwang eine gehörige Portion Verunsicherung mit. Ident mit derjenigen, welche sich in mein Herz bohrte.
Was würde Mama von ihm halten? Fand sie ihn sympathisch? Wie würde der Nachmittag verlaufen? Und was würde Papa erst sagen?
Aber die allerwichtigste Frage: Was war mit Mama selbst los?
…
Die Sekunden verstrichen.
Meine Mutter blickte uns unentwegt verdutzt an.
…
Sorgen begannen sich durch mein Herz zu fressen.
Hatte ich sie in irgendeiner Weise brüskiert, verschreckt, zu einer ungelegenen Zeit ertappt?
Ungeachtet der längeren Hinfahrt waren wir eine halbe Stunde früher dran denn ausgemacht.
Seit jeher drängte meine Angst vor Verspätungen mich dazu, überdurchschnittlich viel Zeit einzuplanen. Bis zum heutigen Tage hatte diese Angewohnheit mir keinerlei Probleme bereitet. In diesem Augenblick allerdings wäre mir eine Verspätung weitaus lieber gewesen.
»Ist es in Ordnung, dass ich ihn mitgebracht habe? Ich wollte dir keine Umstände bereiten.«
Sie blinzelte – und plötzlich schien sie sich aus ihrer Lethargie befreien zu können. »Nein … nein, natürlich nicht.« Sie fasste nach Jans Hand und schüttelte diese. »Bist du dann –« Sie schaute zu mir. »Ist er dein … Freund?« Über ihre eigene Erkenntnis geschockt drehte sie sich zu meiner Seelenhälfte zurück und musterte diese ungleich kritischer. »Du bist der Freund meiner Tochter?«
Jans rote Wangen nahmen Ähnlichkeiten mit einem Warnschild an.
»Ja.« Der Druck seiner linken Hand, mit welcher er meine rechte festhielt, verstärkte sich enorm. »Ich … es hat etwas gedauert, doch jetzt haben wir uns gefunden.« Nach weiteren Erklärungen suchend fuhr er sich durchs Haar. Darauf folgten ein krächzendes Räuspern und eine Gewichtsverlagerung von einem Bein auf das andere, wodurch ich mich genötigt sah, helfend das Wort zu ergreifen.
»Damals sagtest du, ich würde noch einmal denjenigen finden, der zu mir gehört … Du hattest recht. Ich habe es nicht mehr glauben können – aber Jan ist hier. Er ist tatsächlich hier.«
Ich war mir selbst gut im Klaren, wie töricht meine Äußerung sich anhörte. In diesem Moment wäre mir etwas Vernünftigeres jedoch nicht einmal dann eingefallen, wenn es um Leben und Tod gegangen wäre.
Miteins begann Mama wieder zu strahlen. »Ich kann es nicht glauben! … Das ist komplett verrückt … Erst der Gewinn –« Sie gestikulierte in Jans Richtung. »Und jetzt das! … ich meine du –« Ein freudetrunkenes Kichern unterbrach ihre wirre Rede. »Halleluja!«
…
Was hatte sie da eben gesagt?
»Der Gewinn?«
Ein regelrechtes Feuerwerk schien in ihren Augen zu explodieren. »Ja! Wir haben im Lotto gewonnen!«
Mein Herz blieb kurzzeitig stehen. »Was?!«
»Ja! Kannst du dir das vorstellen?! Wir haben gewonnen! Fünf Richtige, und eine Zusatzzahl!«
…
Irgendwie stand ich auf dem Schlauch.
Im Lotto? Sie hatten im Lotto gewonnen?!
Das konnte doch nicht sein!
Beinahe zwanzig Jahre spielte meine Mutter mittlerweile Lotto … doch mehr als den Einsatz hatte sie nie zurückgewonnen.
Eine stürmische Umarmung ihrerseits schob sämtliche meiner Gedankengänge zur Seite.
Herzlich drückte sie uns beide an sich. »Diesen Tag müssen wir feiern!«
Und damit zog sie uns ins Haus.

Meine zitternden Hände griffen nach dem hellgrünen mit Holundersaft gefüllten Wasserglas. Jan und ich hatten auf der lang gezogenen Esstischbank Platz genommen. Mein kritisch dreinblickender Vater, welcher Jan keine Sekunde aus den Augen ließ, sowie meine grinsende Mutter saßen uns gegenüber.
Köstlich duftender Kaffeegeruch erfüllte das von zarten Sonnenstrahlen durchflutete Esszimmer. Skandinavische Holzmöbel, luftige hellgelbe Vorhänge, ein kuscheliger mittelbrauner Hochflorteppich auf hellem Laminat und drei bauchige von der Decke hängende Lampen aus Milchglas luden zum Plauschen ein.
Normalerweise.
Heute fühlte ich mich wie ein Rind auf der Schlachtbank. Oder wie ein Kind vor der ersten Schularbeit. Oder ein frisch ausgeschulter Jugendlicher während seines ersten Bewerbungsgespräches mit darauffolgender Absage …
Oder so …
»Jetzt erzählt erst einmal vom Gewinn«, fragte ich, nachdem Papas prüfender Blick sukzessiv misstrauischer und ich sekündlich kribbeliger wurde. »Wie viel habt ihr denn gewonnen? Reicht es, damit ihr nicht mehr arbeiten gehen müsst?«
Nach alldem, was diese zwei wunderbaren Geschöpfe in ihrem Leben geschuftet hatten, hätten sie ein finanziell und gesundheitlich sorgenfreies restliches Leben mehr denn verdient.
Ich überlegte.
Bei einem Gewinn von einer Million Euro und einer guten Investition zum Beispiel vermochte man selbst in wirtschaftlich ungünstigen Zeiten eine Menge herauszuholen, um seinen Lebensabend absichern und genießen zu können.
Und fünf Richtige mit Zusatzzahl? Da musste ein vernünftiger Betrag doch herausschauen …
Meine Mutter schüttelte den Kopf. »Nein … das leider nicht, aber es reicht, um endlich die Auffahrt zu asphaltieren.«
Ich seufzte.
Es hatte auch zu schön geklungen!
»Wieso müssen Sie die Asphaltierung selbst bezahlen?«, fragte Jan. »Kann man da nicht die Straßenverwaltung einschalten?«
Der Blick meines Vaters wurde eine Idee verzwickter. »Nein. Die Straße ist in unserem Besitz. Hier hat die Straßenverwaltung keinen Einfluss.«
»Würde die Straße der Gemeinde gehören«, ergänzte meine Mutter. »Würde die Sachlage natürlich anders aussehen.«
»Ich verstehe.«
Ich spürte Jans Unsicherheit mit einer jeden Zelle meines Körpers.
Er tat mir fürchterlich leid. Da litt er ohnedem an mindestens ebenso vielen Komplexen wie ich selbst, und dann musste er überdies die prüfenden Blicke meiner Eltern über sich ergehen lassen.
»Ich freue mich trotzdem«, versuchte ich von Jans kleinem Fauxpas abzulenken – und fasste nach seiner Hand. »Selbst, wenn ein höherer Gewinn schöner gewesen wäre. Die Asphaltierung ist längst überfällig.«
»Und damit«, meinte meine Mutter mich anzwinkernd. »Hast du auch keine Ausrede mehr, uns im Winter nicht öfter zu besuchen.«
Da hatte sie mich eiskalt erwischt …
»Stimmt.« Ich warf ihr ein besänftigendes Lächeln zu. »Jetzt wird es wirklich einfacher.«