Kitabı oku: «Lavanda», sayfa 5

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Jeweils zwei Treppen zugleich nehmend, überwand Lilian die drei Stockwerke hoch zum Zimmer Nummer achtunddreißig. Er öffnete die wuchtig-altertümliche dunkelbraune mit farblosem Lack bestrichene Holztür –

»Wie üblich auf den letzten Drücker!«, wurde er von einer echauffierten, ihm viel zu vertrauten Frauenstimme begrüßt – und ein Blick, kalt wie Dezemberschnee.

Hass, Nervosität, Schmerz überfielen ihn wie eine hungrige Meute Straßenköter.

Sabrina.

Das rotgefärbte, mit voluminösen Locken ausstaffierte Haar fiel selbstgefällig und erhaben über ihre Schultern bis knapp über die üppige Oberweite. Elegantes, businessmäßig gehaltenes Make-up, dunkelrot lackierte Fingernägel sowie ein perfekt sitzendes cremefarbenes Kostüm inklusive High Heels und rubinroter Handtasche rundeten ihre männermordende Erscheinung ab.

Kein bisschen verändert hatte sie sich. Nicht einmal ihr überheblich-entnervtes Mienenspiel. Sogar ihre Figur hatte nichts von ihrer erotischen Grazie verloren – trotz der erst wenigen Monate zurückliegenden Entbindung. Lediglich ihre Brüste hatten ordentlich an Größe zugelegt. Verständlich, wenn die Milch einschoss …

»Wie zu einstigen Zeiten gelingt es dir nach wie vor nicht, mit Pünktlichkeit zu glänzen.« Angewidert verzog Sabrina die zugekleisterte Schnute. »Wann wirst du endlich erwachsen werden? Wann wirst du endlich damit aufhören, mich vor fremden Leuten bloßzustellen?« Sie wandte sich an ihren Rechtsanwalt, ein großgewachsener schwarzhaariger schlanker Schlipsträger in seinen späten Dreißigern. »Du musst wissen, Karl, mein Mann liebt es, mich zu demütigen.«

Diese verfluchte Beißzange!

Diese elendige berechnende Musche!

Obwohl ihm unzählige beleidigende Argumente auf der Zunge lagen, hielt Lilian sich davon ab etwas Unbedachtes zu erwidern.

Sabrina sollte sich mit ihren haltlosen Anschuldigungen selbst bloßstellen.

»Ich habe dich nie gedemütigt«, sprach Lilian erzwungen ruhig. »Das weißt du – und das weiß ich. Allerdings trittst du unsere Liebe mit Füßen.«

Anders konnte er Sabrinas Aktionen nicht in Worte fassen.

Letztgenannte geizte nicht damit, ihren Hass und Ekel in Form von mimischen Höchstleistungen darzubieten. »Du hast mich hintergangen und mich belogen! Ich habe mein Gesicht verloren! Weißt du eigentlich, welchem Klatsch ich in der Firma seit unserer Trennung ausgesetzt bin?« Pathetisch bedeckte sie das wabbelige Dekolleté mit der linken Hand. »Du kannst dir nicht im Geringsten vorstellen, wie sehr ich darunter zu leiden habe! Und von deinen persönlichen Eskapaden meiner Person gegenüber sowie deiner Unfähigkeit, sich in einen gedemütigten Mitmenschen einzufühlen, spreche ich noch gar nicht!«

Es war Lilian unmöglich zu sagen, ob er eben rot anlief vor Zorn, oder wie sein Gesichtsausdruck im Speziellen anmutete, auf jeden Fall entstand in ihm das enorme Verlangen, diese garstige, verlogene, hinterfotzige Frau aus dem Fenster zu werfen.

»Wir wissen beide«, entgegnete Lilian kühl. »Wer von uns lügt, betrügt und seinen Mitmenschen das Leben zur Hölle macht.«

»Was?!« Schien Sabrina zuvor noch angewidert-erhaben, erweckte sie nun den Eindruck, ihn zerstückeln und entmannen sowie darauffolgend bei lebendigem Leibe verbrennen zu wollen. »Was erlaubst du dir eigentlich?! Nach all den Jahren unserer Ehe behandelst du mich wie den allerletzten Dreck!«

Ihr Gekeife schmerzte ihm in den Ohren – doch Gott sei Dank nicht mehr in der Seele. Dafür war diese schlichtweg nicht mehr lebenskräftig genug.

Lilian wollte etwas einwerfen, der ergraute Scheidungsrichter namens Kornhammer, welcher bis eben noch still hinter seinem Mahagonitisch gesessen hatte, hielt ihn davon ab, indem sich dieser ausgesprochen würdevoll, autoritär, aber vor allem maßregelnd erhob. Verstärkt wurde dieser Eindruck durch des Mannes immense Körperfülle.

»Ich bitte die Herrschaften, sich zu beruhigen.« Erbost blickte er zuerst zu Sabrina und anschließend zu Lilian. »Achten Sie auf Ihren Ton und gebieten Sie Ihren Emotionen ein wenig Einhalt.« Sachtes Verständnis auf seinen schmalen Lippen verdrängte etwas von der anfänglichen Missstimmung. »Ich verstehe es ganz und gar, dass diese Situation belastend und verletzend für einen jeden von Ihnen beiden sein muss. Nichtsdestotrotz sind wir erwachsene Menschen. Sie waren fünf Jahre lang ein Liebespaar. Denken Sie daran zurück und besinnen Sie sich auf Vernunft und Anstand.«

Lilian begriff es nicht.

Weshalb wurde andauernd in seiner Gegenwart auf ein erwachsenes Verhalten plädiert? Weshalb wurde er strafend angeblickt? Er hatte nichts verbrochen und sich nicht wie eine Furie verhalten! Wenn überhaupt traf all dies auf Sabrina zu!

»Nehmen Sie bitte Platz.« Der Richter deutete auf vier vor dem protzigen Bürotisch aufgereihte verschnörkelte Vollholzstühle, deren gepolsterte Sitzflächen mit rotem Samt überzogen worden waren.

Sie taten wie verlangt.

»Herr Lilian Gruber-Steiner.« Herr Kornhammer faltete die aufgedunsenen Hände und legte diese entspannt auf das Tischblatt. »Sie traten zu mir heran, um Ihre Ehe mit Frau Sabrina Gruber-Steiner aufzulösen.«

Lilians Herzschlag beschleunigte sich enorm. »Das ist korrekt.«

»Ihre Frau dagegen hat mir in einem vertraulichen Gespräch von diesem plötzlichen, unverständlichen Wunsch Ihrerseits berichtet.« Der Augenausdruck des Richters wurde schneidend, wütend. »Und nicht zuletzt, wie sehr diese Entscheidung Frau Gruber-Steiner erschüttert.«

Lilian kam beinahe die Galle hoch.

Es war typisch.

Sabrina gelang es stets, Männer um ihren kleinen verkrümmten Finger zu wickeln – vorzugsweise alternde Typen, welche knackigen Frauen gerne einmal auf den Hintern fassen wollten.

Offenbar war auch Herr Kornhammer auf Sabrinas zuckersüße, einlullende Masche der betrogenen, hintergangenen Ehefrau hereingefallen, womit Lilians Chancen, heil aus dieser Ehehölle zu entkommen, nahezu auf null gesunken waren.

Machen Sie sich nichts draus, Herr Kornhammer, dachte Lilian. Sie sind nicht der Erste, welcher sich von dieser Drecksfotze manipulieren lässt.

Da gab es einmal Lilians Ärzteschar bestehend aus Hausarzt, Zahnarzt, Therapeut, dann seine ehemaligen Arbeitskollegen, seine Ex-Nachbarn und sein einstiger Freundeskreis …

Wie Sie sehen, befinden Sie sich in guter Gesellschaft.

Lilian richtete sich gerader auf und sammelte seine letzten noch verbliebenen Nerven zusammen. »Meine Frau weiß seit Längerem darüber Bescheid.«

Der Richter stutzte und drehte sich dieser vermaledeiten Schreckschraube zu. »Ach? Wie lange ist Ihnen dieser Sachverhalt bewusst?«

»Überhaupt nicht!«, protestierte Sabrina gekünstelt überrascht. »Keinen Moment lang habe ich davon geahnt.« Demütig neigte sie das aufgedonnerte Haupt. »Ich gebe es zu: Wir führen nicht unbedingt eine Bilderbuchehe.« Sie wandte sich Lilian zu – und flugs trat der Dämon in den Vordergrund. »Obwohl du mich nicht eben auf Händen trägst oder jemals getragen hast – solch eine hinterfotzige, verlogene, gefühlskalte Reaktion deinerseits hätte ich dir niemals zugetraut! Die ganzen Jahre habe ich dich geliebt! Ich habe mich aufgeopfert – mein Geld, meine Kontakte, meinen guten Glauben mit dir geteilt. Und auf diese abscheuliche Weise dankst du es mir? Du mieser Verräter!«

In Lilians Magen setzte ein Brennen ein, sein Schädel begann zu pochen und seine Muskeln zu krampfen.

Er ertrug es nicht mehr. Er ertrug diese Frau nicht mehr – keine Sekunde lang.

»Frau Gruber-Steiner!«, drang des Richters autoritärer Bariton durch das Rauschen in Lilians Ohren. »Vorwürfe bringen uns nicht weiter. Wir sind hier, um diese Ehe vernünftig und geschlichtet zu trennen. Stimmen Sie mir in diesem Punkt zu?«

Das Engelsgesicht überlagerte Sabrinas tiefschwarze Seele. »Selbstverständlich! Nichtsdestotrotz müssen Sie mich ebenfalls verstehen: Ich fühle mich gekränkt und hintergangen.«

»Darum wollen wir sachlich und objektiv bleiben«, erwiderte der Herr streng und äugte zu Lilian. »Herr Gruber-Steiner, welche konkreten Gründe liegen Ihrer Meinung nach vor, um die Ehe zu Ihrer Gemahlin aufzulösen?«

»Unüberwindbare Differenzen.«

Des Richters Augenbrauen zogen sich tief nach unten. »Eine etwas genauere Formulierung wäre in diesem Fall äußerst wünschenswert.«

»Die Reaktion meines Mannes zeigt deutlich, was ich Ihnen während unseres letzten Termins zu erklären versucht habe.«

Lilians Innerstes kochte. »Dürfte ich erfahren, worüber meine Frau sich mit Ihnen unterhielt?«

Der Richter mutete sekündlich angenervter an – und Lilian ahnte Fürchterliches.

Sie hatte Herrn Kornhammer mit ihrem Geschwätz und den Lügen längst erfolgreich vereinnahmt und ihm jegliche Objektivität geraubt. Folglich hatte Lilian keine Chance mehr, dieses verschissene Ehebündnis ohne Abstriche aufzulösen.

Seine Schlussfolgerung: Sabrina würde ihn ausnehmen wie eine Weihnachtsgans. Sein Leben war gelaufen.

»All die Jahre hast du mich erniedrigt!«, setzte Letztgenannte ihren Vorwurfsmarathon fort. »Du hast mich belogen und betrogen –«

»Du hast mich betrogen!«, platzte es aus ihm heraus. »Meine Liebe, vielleicht erinnerst du dich noch daran, du betrogst mich mit meinem besten Freund! Du missbrauchtest mein Vertrauen und meine Gutgläubigkeit, wolltest mir ein Kind unterjubeln, welches nicht einmal meines ist!« Er blickte zum Richter. »Alleine deshalb verlange ich die Scheidung! Sie hat ein Kind bekommen von meinem besten Freund! Überdies setzte Sabrina, ohne mich darüber zu informieren, die Anti-Baby-Pille ab!«

Weshalb hatte sie das Kind nicht mitgenommen? Wahrscheinlich kümmerte ihr Nachwuchs sie einen feuchten Dreck. Und hundertprozentig hatte sie den Kindsvater bereits auf Alimente geklagt. Alles für den Mammon, natürlich – und nicht zum Wohle des Kindes.

Herr Kornhammer weitete die Augen. »Wurde etwa ein pränataler Vaterschaftstest durchgeführt?«

»Nein«, knurrte Lilian. »Da ich keine Kinder mehr zeugen kann, ist eine Vaterschaft meinerseits ausgeschlossen. Ein Test ist hinfällig.«

»Können Sie sich das vorstellen!«, keifte Sabrina dazwischen. »Mein eigener Mann unterzieht sich einer Vasektomie und gibt mir nicht einmal darüber Bescheid! Bis vor Kurzem wusste ich nichts davon! Ich lebte mit der naiven Annahme, irgendwann einmal meinem Mann Kinder zu schenken!«

Wohl eher, dachte Lilian. Mich mit Kindern stärker an dich zu binden, beziehungsweise mich finanziell gänzlich in den Ruin zu treiben.

»Der Eingriff liegt eineinhalb Jahre zurück.«

»Und Sie haben nichts davon bemerken wollen?«, fragte der Scheidungsrichter verwundert an Sabrina gerichtet.

»Nein! Gar nichts!«

»Sind Ihnen keine Narben des Eingriffes aufgefallen?«

»Nein! Wie gesagt, mir ist nichts aufgefallen!«

»In Ordnung.« Der Richter lehnte sich seufzend zurück. »Dadurch verändert sich die Sachlage signifikant – und Ihre Bedingung, der Trennung zuzustimmen, wenn Ihr Mann Unterhaltszahlung leistet, kann nicht stattgegeben werden.«

»Wie bitte?!« Sabrina sprang vom Stuhl hoch. Alleine durch dessen ausgeprägtes Gewicht kippte das Möbelstück nicht um. »Mit diesem Eingriff hat mein Mann mich im höchsten und abscheulichsten Maße hintergangen! Normalerweise müsste ich mich von ihm scheiden lassen! Aber ich bin nach wie vor zu gutgläubig und versuche unsere Ehe mit allen Mitteln zu retten!«

Etwas Vehementes blitzte in des Richters Konterfei auf. »Gnädige Frau, ich muss Sie bitten, sich hinzusetzen und Ihre Anschuldigungen zu beenden. Ansonsten bin ich dazu gezwungen, Sie des Raums zu verweisen.«

Sabrina schnappte nach Luft. Ihr Rechtsanwalt tätschelte ihr liebevoll den Arm, woraufhin sie sich zögerlich hinsetzte. Lilian sah und spürte es gleichermaßen, wie viel Energie Sabrina dazu aufbringen musste, um nicht gänzlich die Beherrschung zu verlieren.

Wie einst, als sie ihm das einzige Erbstück seines Vaters, eine wunderschön verzierte lilafarbene Vase, entgegengeschleudert hatte.

Tausende Erinnerungen waren mit dem Gegenstand verknüpft. Die meisten aus Lilians Kindheit. Vor sieben Jahren hatte sein Vater ihm die Vase weitervererbt – es war ein Einstandsgeschenk für seine erste Wohnung gewesen.

Dann, mit einem Wutausbruch, war das Kunstwerk in Abertausend Stücke an der Wohnzimmerwand zerschellt. Ein jede einzelne Scherbe hatte einen Teil von Lilians Seele dargestellt.

Sabrinas aalglatter, abgeschleckter Rechtsanwalt flüsterte ihr etwas ins Ohr.

Lilian konnte sich längst denken, was es war.

»Herr Gruber-Steiner.« Nun brachte der Beamte eine unerwartete Milde zum Ausdruck. »Durch die Geburt des Kindes Ihrer Ehefrau sowie den Betrug möchten Sie die Scheidung einreichen, habe ich dies korrekt zusammengefasst?«

»Ja.«

»Wie lange leben Sie beide getrennt?«

»Knapp neun Monate. Ich bin von unserer gemeinsamen Eigentumswohnung ausgezogen.«

Der Richter wollte etwas einwerfen, Lilian kam ihm zuvor. »Da ich die Eigentumswohnung komplett auf meine Frau überschrieben habe, kann ich dahingehend nichts einfordernd – und ich muss gestehen, ich habe es satt, um einen jeden Stuhl zu kämpfen. Sabrina erhielt längst alles, was sie wollte: den SUV, das Ersparte, meine Filmsammlung … Soll sie damit glücklich werden. Dafür will ich alleine eines: Meinen zukünftigen Frieden vor ihrem Telefonterror, den Verleumdungen und Ihren Vorwürfen. Ich musste bereits Gesprächstherapien beginnen, da ich diesen Dauerstress nicht mehr ertrage. Ich leide an Schlaf- und Konzentrationsstörungen. Ausnahmslos meinen Frieden möchte ich zurückerhalten – dieses Kapitel meines Lebens abschließen. Diese Frau hat mich systematisch fertiggemacht. Ich will nichts mehr mit ihr zu tun haben. Niemals mehr.«

»Ihre Situation kann ich sehr gut nachempfinden.« Herr Kornhammer erfasste einen Stift und kritzelte etwas auf ein Blatt Papier. »Allerdings werden Sie beide sich noch einmal hier einfinden müssen, um die Scheidungsdokumente zu unterzeichnen.«

»Ich unterzeichne erst, wenn er mir Unterhalt zahlt!«, kam es polternd von der Seite, woraufhin sich Sabrinas Anwalt einschaltete. »Wir finden bestimmt einen Kompromiss. Das Gehalt meiner Mandantin liegt unter dem ihres Mannes, zudem muss sie, neben den Ausgaben durch ihr Kind, enorme Kosten stemmen, welche sich auf tausend Euro pro Monat belaufen.«

Der Beamte blickte über seine Brille. »Welche da wären?«

»Ihr tägliches Fitnessprogramm, das Frau Gruber-Steiner bezüglich Rückenschmerzen konsequent durchführen muss.«

»Meine Ehefrau hat noch nie über Rückenschmerzen geklagt.«

»Ich habe ein Gesundheitsattest!«, kreischte Sabrina dazwischen. »Das lege ich dir gerne vor!«

Lilian wandte sich dem Richter zu. »Im Vergleich zu meiner Frau verdiene ich um läppische fünfzig Euro brutto mehr. Darüber hinaus habe ich keinen Besitz mehr. Ich kann Unterhaltszahlungen, in welchem Umfang auch immer, unmöglich leisten.«

Sabrina war in der Firma Ihres Vaters im Vorstandssekretariat angestellt. Ihr Bruttolohn betrug zweitausendzweihundert Euro – für zwanzig Wochenstunden. Dachte er an all ihre weiteren zahllosen Vorzüge und Vergütungen, wurde ihm erst recht kotzübel.

Der Richter schrieb eifrig. »Das werden Sie nicht müssen.« Einige Momente später blickte er auf. »Frau Gruber-Steiner hat durch ihren Betrug zur Zerrüttung der Ehe maßgeblich beigetragen, womit sie keinerlei Ansprüche fordern kann – unerheblich irgendwelcher außertürlicher Ausgaben.«

»Was erlauben Sie sich?!«, durchschnitt Sabrinas hasserfüllter Ausruf den Raum.

»Lass gut sein«, versuchte ihr Rechtsanwalt sie zu beruhigen. »Sich aufzuregen bringt dir in dieser Situation rein gar nichts.«

Unterdessen hatte sich des Richters Gemüt sichtlich verdunkelt. »Ich habe viel Geduld, gnädige Frau. Nun allerdings langt es. Ich muss Sie bitten, das Zimmer zu verlassen. Die Einzelheiten wird Ihnen Ihr Rechtsanwalt gerne übermitteln.«

Abermals wurde Lilian Zeuge von Sabrinas hollywoodreifer Gesichtsakrobatik. Wie ein frisch ausgesetztes Hundebaby musterte sie den Richter demütig und unschuldsvoll. Ihr Rechtsanwalt versuchte es auf verbaler Ebene: »Ich bitte Sie, Herr Kornhammer –«

Durch Vollführung einer minimalen Handgeste brachte der Richter den Rechtsanwalt zum Schweigen. »Ich dulde keine Störungen. Frau Gruber-Steiner, verlassen Sie das Zimmer. Wir werden ohnehin nicht mehr benötigen.«

Lilian sah und spürte gleichermaßen, wie gerne Sabrina getobt und geschrien hätte. Unglaublicherweise gelang es dieser Fotze nochmals, sich zusammenzureißen und samt tödlichem Augenausdruck des Richters Anweisung Folge zu leisten.

Alsbald sie die Tür hinter sich mit einem Knall in die Angeln geworfen hatte, konnte Lilian sich nicht mehr davon abhalten, einmal tief durchzuatmen.

»Nun.« Herr Kornhammer richtete sich etwas auf. »Die Scheidung wird ohne weitere Bedingungen durchgeführt. Herr Gruber-Steiner, Sie haben keine Verpflichtungen gegenüber Ihrer Frau zu leisten, weder im ersten Scheidungsjahr noch in den darauffolgenden. Zudem lege ich Ihnen nahe, sämtliche Kosten, welche durch die Trennung direkt oder indirekt entstanden, durch ein gesondertes Gerichtsverfahren einzuklagen.«

»Dazu fehlen mir leider die finanziellen Mittel.«

Der Richter nickte. »Ich verstehe. Nun. Alsbald die Scheidungspapiere vorbereitet wurden, wird meine Sekretärin Sie zeitnah kontaktieren. Anschließend setzen Sie die Unterschrift, und die Auflösung ist vollzogen.«

»Ich danke Ihnen vielmals.«

»Nichts zu danken.« Der Richter besah ihn verständnisvoll. »Manchmal irrt man sich in einem Menschen. Dass dadurch das restliche Leben zerstört werden soll, halte ich jedoch für grausam.« Er erhob sich, Lilian und Sabrinas Rechtsanwalt taten es ihm gleich. »Sollten noch Fragen auftreten, können Sie gerne mit meiner Sekretärin in Kontakt treten.«

Lilian schüttelte dem Richter die Hand, bedanke sich nochmals und verließ das prunkvolle Zimmer.

»Na?!«, kam es keifend von links. »Hast du bekommen, was du wolltest?!« Sabrina schien kurz davor zu stehen, einen der wuchtigen Besucherholzstühle in seine Richtung schmettern zu wollen. »Du bist das Allerletzte, was diese Welt hervorgebracht hat! Ein verlogenes, hinterhältiges, nutzloses Miststück! Weshalb habe ich fünf Jahre meines Lebens mit dir vergeudet?!«

»Eigenartig.« Lilian hatte wahnsinnige Mühe dabei, die Stimme voll und kräftig erklingen zu lassen. Die beschleunigte Atmung sowie das rasende Herz waren fatalerweise nicht sonderlich hilfreich dabei, ganz zu schweigen von seinen im Zerreißen befindlichen Nervensträngen. »Exakt diese Worte kommen mir in den Sinn, sobald ich dich ansehen oder an dich denken muss.« Ohne Sabrina eines weiteren Blickes zu würdigen, drehte er sich um und marschierte los – das Gezeter und Gebrülle ihrerseits geflissentlich ignorierend und eine bittersüße, sich kontinuierlich ausbreitende Leichtigkeit in seinem Innersten empfindend.

Nachdem er das Gerichtsgebäude verlassen hatte, war diese eigenwillige Leichtigkeit zu schierer Beschwingtheit herangewachsen.

Endlich war er frei. Frei und selbstbestimmend. Keine Frau konnte ihm mehr Vorschriften machen, ihn diffamieren oder bloßstellen. Nun würde er sein Leben genießen – ausnahmslos auf seine Weise.

Trotz dieses kostbaren süßen Gefühls in ihm wusste er: Es lag noch ein harter Weg vor ihm, bis dieser Neubeginn auch in seiner Seele Einzug gefunden hätte.

Er fuhr nach Hause, oder besser gesagt, in seine einstweilige Behausung: eine kostengünstige Vierzig-Quadratmeter-Mietwohnung am stark frequentierten Südring.

Neben der minimalen Größe und der ständigen Lärmbelästigung – die hochgelobte Dreifachverglasung half kaum etwas – musste die Behausung überdies mit Strom beheizt werden. Ein finanziell zukünftig nicht mehr zu bewältigender Umstand, wenn er an die Stromnachzahlung im März zurückdachte.

Lilian war sich bewusst, er musste umziehen. Je eher, desto besser, zumal sein Mietvertrag mit Ende September ablief und er sich nicht sicher war über eine Verlängerung.

Egal.

Dieser Problematik würde er sich in den kommenden Wochen annehmen. Nun musste er sich erst einmal von den seelischen Strapazen erholen. Konkret duschte er lange und siedend heiß und gammelte auf der Couch vor laufendem Fernseher herum. Er besaß keine Energie mehr, sich für sportliche Aktivitäten zu erheitern oder durch die Stadt zu bummeln.

Sabrinas Anschuldigungen hatten ihm seine noch übrig gebliebenen Kraftreserven geraubt.

Einst hatte er es geliebt, im stadtnahen Hallenbad seine Runden zu ziehen. Drei Kilometer an einem Stück in einer Stunde – das perfekte Fitnessprogramm.

Damit angefangen hatte er, um seine nicht übermäßig üppig ausfallende Muskelmasse zu erhöhen …

Die letzten sechs Monate jedoch brachte er es nicht einmal mehr zuwege, einen ausgedehnten Spaziergang zu unternehmen.

Zum Glück hatte seine Figur nicht großartig unter dem Bewegungsmangel gelitten.

Sobald es mir etwas besser geht, werde ich das Training wieder aufnehmen, dachte er, schloss die Lider und entglitt in einen tiefen, traumlosen Schlaf … welcher durch das nervtötende kratzende wie scheppernde Klingeln des Türmelders abrupt beendet wurde.

Schweißausbrüche und irrsinniges Herzrasen lähmten Lilian.

Er versuchte sich zu erheben. Es gelang ihm nicht. Sein Körper gehorchte ihm noch nicht.

Erneut wurde die Türglocke betätigt, Stromstöße durchfuhren seine Muskeln und Sehnen.

Verflucht noch einmal!

Da hätte er einmal etwas Schlaf nachholen können, und sofort wurde er durch Besuch massakriert!

Übelkeit und Kopfschmerzen setzten ein.

Er schluckte, atmete einige Male kräftig durch und stemmte sich verzweifelt hoch.

Ein drittes Mal klingelte es.

Das Geräusch stellte ihm ein jedes einzelne gottverdammte Haar auf.

Er hasste diesen Lärm! Er hasste diesen verschissenen Türmelder! Er hasste sein verfluchtes unstetes Leben!

Seit einem halben Jahr hatte er keinen Besuch mehr verzeichnet! Aber nun, wenn er einmal schlafen wollte – und es ihm sogar einzuschlafen gelungen war –, musste irgendein Vollidiot an seiner Tür Sturm läuten?!

Silberne Punkte vor seinem Gesichtsfeld hüpften quickfidel umher, zu seiner sich hebenden und senkenden Schädeldecke gesellte sich ein ausgeprägter Schwindel.

Klasse!

Dies hätte ihm eben noch gefehlt – zusammenzubrechen aufgrund eines verschissenen unangemeldeten Besuchs!

Unkoordiniert taumelte er quer durch das winzige Schlafzimmer hinaus auf den ungleich winzigeren Flur.

In der gegenwärtigen Situation war er dankbar für dieses Rattenloch. Dadurch konnte er sich zumindest an Schränken und Wänden festhalten, um nicht elegant über seine eigenen Füße zu stolpern und mit der Hackfresse voraus auf den dunkelbraunen verschlissenen Parkettboden zu knallen …

Ja, der Boden benötigte seit Langem eine Intensivbehandlung durch Politur und Einscheibmaschine.

Nun, damit konnte sich sein Vermieter herumplagen! Schließlich hatte Lilian keine einzige der unzähligen Abnützungserscheinungen verursacht, unter anderem Risse, blasse Stellen und tiefe Einkerbungen.

Zittrig langte er nach dem sich im Mantel befindenden Schlüsselbund, steckte diesen in das Schlüsselloch, welches von einem abgegriffenen silbrigen Langschild aufgehübscht wurde, und öffnete die Eingangstür.

Wenn man vom Teufel spricht …

»Guten Tag Herr Gruber-Steiner«, wurde er von seinem kleinwüchsigen Vermieter mit Namen Gernot Truppe begrüßt. »Komme ich ungelegen?«

Nein, überhaupt nicht, dachte er entnervt. Ich konnte bloß einmal in drei Monaten halbwegs friedlich durchschlafen.

Wie lange hatte er eigentlich geschlummert? Zehn Minuten? Eine halbe Stunde?

»Nein, nein. Kommen Sie herein.«

Der um die fünfzig angesiedelte deformierte Mann mit der Halbglatze, dem übermäßig groß geschnittenen dunkelbraunen Hosen und dem Trachtenhemd watschelte an ihm vorbei in die – hatte irgendjemand etwas Gegenteiliges erwartet? – winzige Küche.

»Ursprünglich wollte ich Ihren Mietvertrag verlängern«, sprach dieser nüchtern. Ein Beschwichtigung andeutender Unterton sowie die ausgesprochenen Worte an sich ließen Lilian Fürchterliches bis Katastrophales erahnen.

»Eine Nichte meinerseits benötigt dringend eine kurzfristige oder auch längerfristige Unterkunft. Sie ist im siebten Monat schwanger, ihr Freund hat die Beziehung beendet und sie aus der gemeinsamen Wohnung geworfen. Kurz und knapp: Ich bin gezwungen, unseren Vertrag vorzeitig aufzukündigen.«

Lilian rang um Nervenstärke, Begriffe und Sauerstoff.

Um in den Genuss dieser Wohnung zu kommen, hatte er geschlagene drei Monate gesucht, gebettelt, gebetet und während dieser Zeit teilweise in seinem rostigen Ford oder bei seinem Kumpel Mike übernachtet.

Die Eskapaden seines damaligen Arbeitgebers – Sabrinas Vater –, Kollegen und Freunde seiner verschissenen zukünftigen Ex-und der nächtliche Telefonterror hervorgerufen durch Letztgenannte hatten diese drei Monate zu den bislang schlimmsten seines abgewrackten Lebens gemacht.

Tagsüber das Mobbing und fürchterliche Gerede von Kollegen und Chef, dazu die Anspielungen, Anklagen, mahnenden und angeekelten Blicke der gesamten Belegschaft sowie das eiskalte Ignorieren vonseiten Sabrina, alsbald Lilian ihr ein Schriftstück brachte oder eine Unterschrift benötigte … abends folgten die Vorwürfe und Drohungen, dazu gesellte sich das unerträgliche Suchen und sich Vorstellen bei unzähligen Vermietern sowie Firmen – immerhin hatte er eine neue Arbeit ebenso benötigt wie eine eigene Wohnung, wenn er Abstand zu Sabrina halten wollte …

O Gott … es war eine einzige Tortur gewesen.

Diese Zeit wollte er nicht noch einmal durchleben müssen. Doch wenn Herr Truppe ihn hinauswarf, würde der Weg höchstwahrscheinlich in eine ähnliche Richtung führen.

Lilian wurde es außerordentlich blümerant.

Freilich, es gab dutzende leerstehende Wohnungen von Privatvermietern. In kaum fünf Sekunden war es möglich, eine halbwegs passende Behausung im Umkreis von fünfzig Kilometern zu finden. Mieter zu werden, einen Vertrag aufsetzen zu dürfen dagegen stellte eine schier unlösbare Aufgabe dar.

Insbesondere in Lilians Fall.

Sabrinas Bekanntheitsgrad und ihre Verbindungen reichten bis weit über die österreichischen Grenzen. All diese erfolgreichen, selbstständigen oder in gehobenen Positionen arbeitenden Personen, welche Sabrinas verlogenem Charme verfallen waren, würden es selbstverständlich niemals zulassen, einen sie respektlos behandelnden, sie hintergehenden, sie für seine Zwecke benützenden Mann Obdach zur Verfügung zu stellen – ganz zu schweigen, dass Lilian nicht ausreichend finanzielle Mittel besaß, um die typischen drei Monatsmieten im Vorhinein zu bezahlen.

Sein jetziger Vermieter hatte sämtliche Hühneraugen zugedrückt und ihm diese kleine Unterkunft ohne Mehrkosten angeboten, welche Lilian unaussprechlich dankbar angenommen hatte.

Und nun sollte dieser Spießrutenlauf von vorn beginnen?

Das ertrug er nicht mehr – selbst ohne Sabrinas Gekeife und den missfallenden Blicken verschissener Kollegen.

Verflucht …

Nun … zumindest blieb ihm die Arbeitssuche erspart.

Kurz nach Erhalt dieser Wohnung war es ihm nämlich möglich gewesen, eine Stelle in einem nahe gelegenen Baumarkt anzunehmen und dieser zusammengeschweißten, dekadenten, überheblichen, grausamen Bagage endgültig zu entfliehen. Zwar arbeitete er bloß in der Gartenabteilung – nichtsdestotrotz gefiel es ihm. Er mochte Pflanzen, hatte seit jeher ein Händchen dafür gehabt. In seinen Kindheitstagen hatte er oft im Garten seiner Eltern gespielt. Im Gegensatz zu seiner Mutter hatte sein Vater ihm einiges Wissenswertes über Kräuter, Blumen, Obst und Gemüse nähergebracht. Seine Mutter hasste den Garten, den wild wuchernden Efeu, die üppigen Obstbäume, die hochgewachsenen Gräser, die unzähligen Gemüsesorten. Für sie bildete eine jede Pflanze eine Belastung und unmöglich zu zähmendes Chaos. Lilian hatte die Farbenpracht geliebt, insbesondere die blühenden Bäume im Frühling. Wie eine verborgene Märchenwelt hatte der zweitausend Quadratmeter große Garten angemutet. Die durch die Lüfte tänzelnden Schmetterlinge, die summenden Bienen, die zwitschernden Vögel – ein Paradies auf Erden.

Alsbald er nun in die Arbeit kam, die unzähligen exotischen Pflanzen sah, fühlte er sich zurückversetzt in diese zu kurz geratene Zeit der Unbeschwertheit.

Da er zudem jahrelange Erfahrung im Office-Management besaß, war er für den Papierkram in seiner Abteilung verantwortlich. Dadurch durfte er überdurchschnittlich oft und viel im Büro sitzen und Dokumente, Abschriften und Bestellungen abarbeiten. Ein weiteres Tätigkeitsfeld stellte das Zuliefern übergroßer Gewächse wie Bäume oder Palmen dar. Manchmal spielte er den Pflanzenchauffeur, manchmal erledigte dies ein Kollege.

Alles in allem gefiel ihm sein neuer Job. Sein Leben hatte dadurch – von all den anderen Schwierigkeiten einmal abgesehen – halbwegs erträgliche Züge angenommen.

Bis zu diesem Augenblick.

Jetzt sollte er neuerlich auf der Straße landen … womöglich verlöre er dadurch überdies seine Anstellung!

Irgendwann und nach Verdrängung einer auffachenden frischen Übelkeitsattacke fielen ihm endlich Worte ein.

»Wann genau muss ich aus der Wohnung draußen sein?«

»Es wäre der Dame sehr geholfen, wenn Sie innerhalb eines Monats ausziehen.«

»Ein Monat?!«

Lilian wurde es abermalig schwindlig.

Um ein Zu-Boden-Gehen zu verhindern, lehnte er sich an die minimalistische dunkelgraue Küchenarbeitsplatte.

»Wie soll ich in solch kurzer Zeit eine neue Wohnung finden?«

Herr Truppe wrang entschuldigend die Hände. »Eine Möglichkeit wäre das Ansuchen bei einer Genossenschaft. Dringliche Fälle erhalten üblicherweise kurzfristig eine Unterbringung.«

Ja, eine Unterbringung in einer vom Schimmel verseuchten Einzimmerwohnung, die Blick auf eine Müllverbrennungsanlage bot oder sich in einem Gettoviertel befand. Und von dem einzuzahlenden Bau- und Grundkostenbeitrag sprach er noch gar nicht!

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