Kitabı oku: «The sound of your soul», sayfa 2

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Wie jetzt … ?

Er hatte bemerkt, wie wenig ich Komplimenten etwas abgewinnen konnte?

Was hatte mich verraten? Mein Mienenspiel, meine Körpersprache, meine Äußerungen?

Üblicherweise gelang Menschen es nicht, mich zu durchschauen oder einzuschätzen – günstigstenfalls mich zu verletzen.

Ich atmete tief durch und lehnte mich zurück. »Nun gut. Ich akzeptiere.«

Vorerst.

»Na endlich!« Ein niedliches Kichern durchdrang die mit Gesang und gelegentlichen Gesprächen durchsetzte, stickige Luft. »Ich fürchtete bereits, Sie würden nie mehr nachgeben.«

Echt jetzt?

Ich fasste nach meinem Kakao. »Flirten Sie andauernd in dieser Heftigkeit?«

»Flirten?« Der Mann schien äußerst erschrocken, den weit aufgerissenen Augen nach zu urteilen. »Das war kein Flirtversuch.«

»Für mich sehr wohl.« Ich nippte an der Tasse. »Das war sogar ein ziemlich billiger und alter Anmachspruch.«

Der nicht eben zu deiner eleganten, verhaltenen, gentlemanmäßigen Ausstrahlung passt.

»Bitte verzeihen Sie.« Er besah mich flehentlich. »Solcherweise wollte ich nicht anmuten.« Nach einer kurzen Weile, in welcher seine Verzweiflung sekündlich größere Ausmaße angenommen hatte, fügte er hinzu: »Habe ich mir dadurch alles verdorben?«

Sollte ich noch überrascht sein?

Zuallererst strandete ich in diesem Lokal, dann setzte sich ein atemberaubend schöner Jüngling zu mir … und nun hatte dieser ernste Sorgen, er könnte mich mit seinem – im Grunde genommen, sehr vornehmen – Geplapper verjagen?

War ich im falschen Film gelandet?

Ich blickte auf meinen Kakao.

Oder hatte man mir etwas in mein Diabetes auslösendes Heißgetränk geschüttet?

Ich wandte mich wieder meinem Tischnachbarn zu.

War ihm all dies ernst, oder gehörte dieses Pseudo-Rosamunde-Pilcher-Männertraumverschnitt-Verhalten ebenfalls zu seiner Anmachnummer?

Fakt war: Ein attraktiver Mann wie er brauchte sich grundsätzlich keine Gedanken zu machen, wie er auf das weibliche Geschlecht wirkte – ausgenommen, er kämpfte gegen dieselben Vorurteile wie ich. Dann konnte ich es teilweise nachvollziehen. Nichtsdestoweniger mutete mir sein Verhalten eine Idee zu gespielt und verkrampft an … als müsste er sich dazu zwingen, mit mir zu sprechen. Andersrum präsentierte er echte Selbstsicherheit. Salopp gesprochen erweckte er den Anschein, mit gezogener Handbremse zu fahren.

Gedanklich schlug ich mir an die Stirn.

Weshalb deduzierte, wertete und interpretierte ich wie wild durch die Gegend?

Weil ich insgeheim und trotz gegenteiliger Faktizitäten hoffte, noch die Liebe meines Lebens zu finden? Weil die Sehnsucht nach einem Partner stetig größere Ausmaße annahm? Weil ich verzweifelt, frustriert und desillusioniert tagtäglich für ein Wunder betete?

Himmel, Arsch und Zwirn!

Ich war nicht dumm – ich war der größte Idiot der Menschheitsgeschichte!

Wahre Liebe existierte nicht. Verständnisvolle, selbstlose Männer existierten nicht.

Und dieses Prachtexemplar hier vor mir?

Sicherlich war ihm nichts von seinem Gerede ernst. Er wollte eine flotte Nummer schieben – nicht mehr, nicht weniger.

Ich zuckte die Achseln. »Nein, keine Sorge.«

Atmete er erleichtert aus? Angesichts der lauten Musik konnte ich das nicht mit Sicherheit feststellen.

»Das beruhigt mich. Schließlich will ich mich mit Ihnen noch etwas länger unterhalten … falls es für Sie in Ordnung geht.«

Mit einer solchen Antwort hatte ich noch weniger gerechnet.

»Ja, sicher«, gab ich kühl zurück.

Das musste seine typische Masche sein. Anders konnte ich mir seine Aussagen beim besten Willen nicht erklären. Vor allem in meinem Fall nicht! Männer flirteten nicht mit mir. Männer sprachen mich nicht an. Und derart respektvoll war ohnehin noch niemand mit mir umgegangen.

Eine Kellnerin mit platinblondem Bobhaarschnitt trat zu uns und nahm die Bestellung des Mannes auf: ein stilles Mineralwasser ohne Zitrone, ohne Eiswürfel. Ehe sie wieder davoneilte, warf sie ihm ein seltsames Grinsen zu.

War sie eine seiner Liebschaften?

»Erzählen Sie mir etwas über sich«, meinte Mr. Mysteriös. »Ich bin neugierig.«

Weshalb sollte ich einem mir wildfremden Mann irgendetwas über mich erzählen?

»Erzählen lieber Sie mir, warum Sie jeden Tag hier zugegen sind. Ist Ihnen zu Hause solcherweise langweilig?«

Er legte den Kopf etwas schief. »Nein, ich arbeite hier.«

Oh!

Das erklärte einiges.

»Darum Ihr elegantes Outfit. Sind Sie Kellner?«

»Gefällt es Ihnen?«, kam es samt frechem Unterton schlagfertig zurück.

»Sollte es?«, entgegnete ich in einem ähnlichen Tonfall.

Hatte sein Kichern sich bis vorhin noch ziemlich verdeckt angehört, klang es nun befreit und offen. Zu diesem Kichern gesellte sich ein unschuldig-kindlicher Dackelblick, dem es ohne Weiteres möglich gewesen wäre, sämtliche Permafrostböden des Planeten in sekundenschnelle aufzutauen. »Es würde mich sehr freuen.«

Noch so eine vornehme, süße Anspielung …

Im Prinzip wollte ich mich nicht auf ihn einlassen. Ich wollte mich nicht ein zweites Mal veräppeln und ausnehmen lassen – aber wie dieser Mann sich mir gegenüber verhielt, würde es mir ziemlich schwerfallen, weiterhin hart zu bleiben. Erst recht bei einem solchen niedlichen Gesichtsausdruck und meinem nagenden, beißenden, brennenden Wunsch, endlich in meinem Leben geliebt zu werden.

Er intensivierte sein herzallerliebstes Mienenspiel. »Das ist mein Ernst.«

Hatte er etwa Gefallen an mir gefunden? An mir, dem flachen Männerschreck?

Was denkst du da?!

Männer, vorzugsweise attraktive, hatten sich niemals um mich geschert. Weshalb sollte dieser Umstand plötzlich eine Änderung erfahren haben?

Ich nippte an meinem Kakao.

Na, egal.

Ob er Interesse hegte oder nicht, war irrelevant. Und da es ihm ohnehin bloß um einen One-Night-Stand gehen konnte, brauchte ich mir nichts einzubilden oder mich tötenden Hoffnungen hinzugeben, weshalb ich das Gespräch am liebsten abbrechen und gehen wollte. Ich interessierte mich nicht für eine Bettgeschichte, selbst bei einem schönen Äußeren wie dem seinen nicht. Seine niedliche Bemühung, es mir recht machen zu wollen sowie seine galante Art weckten dennoch eine leichte Neugier in mir, und in weiterer Folge das Bedürfnis, mich intensiver mit ihm zu unterhalten.

Eine Unterhaltung würde mich ja nichts kosten. Des Weiteren war ich aus exakt diesem Grund hierher gekommen: Ich wollte mich amüsieren, neue Leute kennenlernen, ein wenig dem eintönigen Alltag entfliehen.

Nun hatte ich die Gelegenheit.

Nach einem weiteren Schluck des süßen Kakaos – und am Rande bemerkend, dass die talentierte Sängerin eine Pause eingelegt hatte – antwortete ich ihm.

»Ja, er sieht toll aus. Der Anzug steht Ihnen.«

Das Lächeln, welches sich bislang ausschließlich auf seine Lippen beschränkt hatte, begann sich in seinem gesamten Gesicht auszubreiten. Auf eine Weise erinnerte der Mann mich an mein einstiges Selbst – als ich meinen Glauben an die Gesellschaft noch nicht verloren hatte. Eine naive, unbeschwerte, beschwingte Zeit der Jugend, welche mir niemals auszukosten erlaubt gewesen war.

Dieser Mensch hatte etwas Reines, Unschuldiges an sich. Etwas, das man normalerweise nicht mehr in Erwachsenen vorfand. Es war ein Leuchten, das alleine Kinder zu zeigen vermochten – eine Unbeflecktheit, ein Glauben an Magie und Wunder.

»Ist Ihre Schicht zu Ende?«

Er bejahte – und mir fiel etwas ein. »Aber wenn Sie in dieser Bar kellnern, müssen Sie bereits einige hübsche Frauen angetroffen haben.«

»Nun fangen Sie abermalig damit an?« Verständnislosigkeit drängte seine Freude zurück. »Sie können wahrlich kein Kompliment annehmen, oder?«

Ich zuckte die Achseln. »Männer machen mir keine Komplimente.«

Keine Ehrlichen.

»Das sollten Sie aber«, erwiderte er prompt.

Nun wurde es mir etwas zu warm. Darum versuchte ich, abzulenken. »Wie ist es, hier Getränke auszuteilen? Können Sie sich mit den Sängern unterhalten? Oder verschwinden diese nach dem Auftritt sofort?«

»Was faselst du da?«, kam es jäh von der Kellnerin, die meiner hübschen Gesellschaft das Wasser hinstellte. Keinen Moment später schaute sie zu mir. »Er hilft nur ab und zu aus. Normalerweise –«

»Du musst diesen Sachverhalt nicht andauernd an die große Glocke hängen!«, unterbrach er sie unsicher. »Das mag ich nicht – und das weißt du ganz genau!«

Was ging denn nun ab?

»Aus dem Grund tue ich es ja!« Mit einer sich zunehmend verhärtenden Augenpartie legte die Servierkraft das dunkelbraune Tablett auf den Tisch. »Du kannst viel mehr von dir halten! Du hast großes Talent, aber spielst es andauernd herunter, als wärst du irgendein drittklassiger Amateur!« Um ihren für mich nicht nachvollziehbaren Standpunkt klarer zu machen, stemmte sie die Hände in die Hüften.

»Aber ich bin nicht besser als der Durchschnitt!«, erwiderte er.

Sie schüttelte theatralisch das Haupt, wodurch ihr Haar sanft wie blühendes Schilf hin und her schaukelte. »Es ist hoffnungslos mit dir!«

Ich blickte zwischen den beiden hin und her. »Worum geht es, wenn ich fragen darf?«

Gütig-verschmitzt lächelte sie mich an. »Er spielt Sax. Wie ein Gott!«

Mir wurde es kalt.

Er war Musiker?

Na ganz fein!

Dann ging es ihm tatsächlich um ein sexuelles Abenteuer!

Warum hatte ich mir für eine Millisekunde etwas Gegenteiliges erhofft? Nach derart vielen Jahren musste ich es längst besser wissen! Himmelherrgott! Gerne hätte ich mir selbst Gewalt angetan.

»Übertreib nicht solcherweise!« Die hysterische Stimme des Mannes riss mich aus meinem Selbstmitleid und nötigte mich, mich ihm zuzuwenden.

Seine Wangen erwärmten sich.

»Ich habe noch niemanden derart erotisch spielen gehört«, säuselte die Kellnerin.

»Du bist unmöglich!«, presste er hervor. Seine rechte Hand, welche krampfhaft seinen linken Unterarm festhielt, sprach von enormem Unbehagen. »Das gibt es gar nicht!«

Die sanfte Wärme seiner Wangen hatte sich in der Zwischenzeit in ein kräftiges dunkles Rot verwandelt, wodurch seine klaren Augen erheblich strahlender anmuteten.

Ich musste mir eingestehen: Seine Beschämung schenkte seinem niedlichen Äußeren noch dreimal mehr Liebreiz und Kuschelfaktor.

»Dein Spiel klingt wie heißer Sex in einer ebenso heißen Sommernacht.«

Dies brachte den Musiker gänzlich aus der Fassung – davon bezeugten seine traumatisierten Gesichtszüge wie seine versteifende Körperhaltung. »Hast du komplett den Verstand verloren?! Wie kommst du darauf, solche Sachen auszusprechen?«

Sie kicherte. »Ich sage einfach, was stimmt. Und dass du dich zu ihr gesetzt hast, bedeutet, dass du heute einmal etwas extrovertierter bist.«

Einmal etwas extrovertierter?

War er normalerweise etwa scheu? Reagierte er deshalb dermaßen heftig? Rührte daher sein eigenartig selbstsicheres wie zurückhaltendes Auftreten?

Halt! Er war doch Musiker! Da konnte er gar nicht scheu sein. Vielleicht nervös vor dem Auftritt … heftiges Lampenfieber – davon berichteten Stars und Sternchen ja immer wieder. Scheue hingegen passte da rein gar nicht ins Profil.

»Flirtet er sonst nicht?«, fragte ich vorsichtig.

Die junge Frau bejahte, der Saxofonspieler versteifte erheblich mehr und ich wusste allmählich nicht mehr, was ich von all diesen neuen Erkenntnissen halten sollte … zumal ich keine Zeit bekam, um diese vernünftig auszuwerten.

»Ich habe dich lange nicht mehr an einem besetzten Tisch gesehen.« Ihr Blick durchbohrte ihn förmlich. »Gefällt sie dir?«

Diese plumpe, rotzfreche und erst recht nicht taktvolle Äußerung der Kellnerin verwandelte des Mannes Antlitz in eine Leuchtrakete.

Es war ein köstlicher Anblick. Dessen ungeachtet erhob sich in mir das zwingende Bedürfnis, den Musiker in Schutz nehmen zu wollen.

Ich wusste zu gut um dieses beschämende Gefühl des Bloßgestellt-Werdens Bescheid. Es war grauenhaft, seelenvernichtend, entwürdigend und schier körperlich schmerzhaft.

»Sie haben ihn genug in Verlegenheit gebracht, oder?«

Vollumfänglich verunsichert doch ebenfalls große Dankbarkeit zum Ausdruck bringend, blickte der Mann kurzzeitig zu mir, ehe dieser sich zur Kellnerin zurückdrehte. »Vermutlich wäre es besser, noch etwas auszuhelfen. Nun hast du mir nämlich die gesamte Tour vermasselt.«

Das brachte neben der jungen Frau selbst mich zum Lachen – allerdings einzig aufgrund der Tatsache, auch ihn ungezwungen lachen zu sehen.

Seine Reaktion ließ auf zwei wichtige Dinge schließen. Erstens: Der Musiker fühlte sich nicht tief verletzt. Zweitens: Es ging nicht um ein beginnendes Mobbing oder absichtliche Sticheleien vonseiten der Kellnerin. Ergo: Das freche Verhalten war ihr Naturell – und der Musiker hatte damit keine groben Schwierigkeiten.

Das vehemente Kopfschütteln der Servierkraft lenkte meine Aufmerksamkeit auf diese zurück. »Du bleibst schön brav hier und unterhältst dich mit ihr. Ich habe dich seit Ewigkeiten nicht mehr mit anderen reden gesehen. Außerdem hast du die letzten Wochen permanent durchgearbeitet. Erhole dich ein wenig.«

Eine überfallsartige, mir einen brennenden Stich versetzende Ernsthaftigkeit verscheuchte alle fröhlichen Gefühlsregungen des jungen Mannes. »Aber, du weißt –«

Ein Nicken ihrerseits ließ ihn verstummen. »Ja, doch leider geht das nicht mehr. Du hast die Chefin gehört. Und ich würde ja, wenn mein Freund nicht so durchgeknallt wäre. Du weißt, wie er ist.«

Nun war er es, der nickte.

Worum ging es jetzt wohl?

Sie griff nach dem Tablett. »Bis Ladenschluss ist es kein Problem, nur dann …«

Der Musiker nickte ein zweites Mal.

»Genieße es.« Dies gesprochen verließ sie uns.

Und meine Neugier war endgültig entfacht. Ich trank den letzten Schluck Kakao, dann konnte ich mich nicht mehr davon abhalten, ihn auf den geheimnisvollen Dialog anzusprechen.

»Die letzten Sätze klangen überaus dramatisch. Gibt es Schwierigkeiten?«

»Nein, nein, es handelt sich bloß um etwas Dienstliches«, wehrte er ab und klärte die Stimmbänder. »Erzählen Sie mir noch etwas über sich? Über mich wissen Sie nun ohnehin bestens Bescheid.«

Offenbar sprach er nicht gerne über sich – was ihm neue Sympathiepunkte einbrachte.

Ich mochte Männer nicht, die überheblich über ihre tausend Hobbys und Erfolgsgeschichten berichteten. Auszeichnungen hier, Ehrungen da, Siege dort – es widerte mich an. Was aber nicht bedeutete, ausschließlich eine Schwäche für verklemmte, verschüchterte, unselbstständige Männer zu haben, welche gerne unter der Fuchtel der Frau standen.

Ein ehrlicher, offener, demütiger, die selbstverständlichen Dinge des Lebens schätzender, loyaler Mann stellte für mich das Nonplusultra dar. Jemand mit Herz und Hirn – keine unsäglichen Egospielchen und Machtkämpfe in Form von Erniedrigung und besserwisserischem Getue.

»Ich kenne nicht einmal Ihren Namen«, entgegnete ich.

Dies nahm mein mysteriöser Unbekannter sofort zum Anlass, um mir seine Hand entgegenzustrecken. »Ich heiße Tom.«

Ich zögerte. Letztlich schüttelte ich sie. »Sara.«

Er strahlte mich an. »Mit oder ohne stummes H?«

Ich kicherte. »Ohne.«

Himmelherrgott!

Mit seiner charmanten Art schaffte er es im Handumdrehen, mich zu erreichen.

»Na denn, Sara. Jetzt wissen Sie wahrhaftig genug über mich. Dann können Sie mir doch getrost etwas über sich verraten.«

Sollte ich? Sollte ich nicht?

Ich atmete hörbar durch. »Was möchten Sie wissen?«

»Überraschen Sie mich.«

Dieser Mann wurde minütlich rätselhafter.

Wie sollte ich jemanden überraschen? Mein Leben war langweilig. Da passierte nichts. Ein Tag reihte sich an den nächsten.

»Bedauerlicherweise muss ich Sie enttäuschen. Ich kann Sie nicht überraschen. Es gibt nichts Interessantes über mich zu erzählen.« Mit meiner rechten Hand deutete ich auf den Tisch. »Deshalb sitze ich ja hier.« Etwas leiser fügte ich hinzu: »Oder gehe überhaupt nicht außer Haus, da ich sowieso nicht weiß, was ich tun soll.«

»Und Freunde? Sie müssen ja nicht alleine ausgehen.«

Seine Aussage tat mir, ob ich es wollte oder nicht, in der Seele weh.

»Ich habe keine.«

Und hatte es nie gegeben.

Ich konnte Menschen schlichtweg nicht vertrauen – weder damals in der Schulzeit noch heute in der Arbeit.

Verwundert musterte er mich. »Gar keine? Ich meine … es gibt Arbeitskollegen, Nachbarn, Schulfreunde …« Das letzte Wort brachte ihn dazu, eine witzig-angewiderte Schnute zu ziehen. »Nun … Schulfreunde bilden wohl einen etwas eigenwilligen Zustand.«

Ich musste schmunzeln. »Ich glaube, ich brauche nichts Weiteres zu sagen. Offensichtlich haben Sie ähnlich schlechte Erfahrungen gesammelt, wie ich sie mein Eigen nennen darf.«

Soweit ich mich zurückerinnern konnte, hatte ich stets alleine gespielt. Kinder oder Jugendliche in meinem Alter hatten meistens nichts mit mir zu tun haben wollen. Besser sollte ich sagen, sie hatten mich nie akzeptiert. Wenn ich mich beispielsweise zu einer Gruppe spielender Kinder gesellt hatte, hatte es andauernd geheißen: »Du gehörst nicht zu uns! Geh weg! Verschwinde!« Ähnlich verhielt es sich mit Geburtstagsparties. Lud ich die gesamte Klasse ein, kam eine Person.

Anfangs hatte ich mich einsam und verloren gefühlt. Nun war dieses Einzelgängersyndrom zu einem selbstverständlichen Teil meines Lebens geworden.

Und ich wollte niemals mehr etwas daran ändern.

Kurze Bekanntschaften waren in Ordnung – doch richtige Freunde? Nein! Weder brauchte ich Menschen zur erheiternden Konversation noch zum Ideenaustausch. Lieber schwieg ich für den Rest meines Lebens und verkroch mich in meiner Wohnung. Wenn ich mich mit Leuten intensiv unterhielt, wurde ich meistens ohnehin verletzt, missbilligend angeblickt oder mit unnötigen neunmalklugen Sprüchen bombardiert.

Beispiele gefällig?

Du musst dich öffnen, dann kommen die Leute auf dich zu!

Du musst dich an die Gesellschaft anpassen, dann wirst du dir keine blöden Meldungen mehr anhören müssen!

Du musst deine Mitmenschen akzeptieren, wie sie sind! Du darfst keine Vorurteile hegen!

Insbesondere die Sache mit den Vorurteilen hatte mir eine regelrechte Ohrfeige verpasst. Stets war ich diejenige gewesen, die Menschen bedingungslos und mit all ihren Macken und Vorurteilen akzeptiert und niemanden in eine Schublade gesteckt hatte. Ich hatte lediglich ebenfalls akzeptiert werden wollen – ob Personen meine Geisteshaltung und Lebenseinstellung verstanden oder nicht, war mir gleichgültig. Hauptsache in einem normalen vernünftigen Maß als Mitmensch und Individuum angesehen zu werden. Doch nein, das Gegenteil traf ein: Man machte sich lustig über mich, man ignorierte mich oder man beleidigte mich. Darum hatte ich mich an die Gesellschaft angepasst, indem ich mich von dieser abgewandt hatte.

Eine jede Person war ein singulärer, in sich geschlossener Mikrokosmos, in welchem unbekannte Naturgesetze vorherrschten. Solange Menschen nicht reif oder weise genug waren, um diese Wahrheit zu begreifen oder zumindest zu akzeptieren, würde ich mich weiterhin von ihnen distanziert halten.

»Was die Schule anbelangt«, erwiderte Tom und beendete damit meine philosophischen Ergüsse. »Ja wahrscheinlich. Ansonsten jedoch –« Die Intensität seines mich aufwühlenden Seelenblicks verdreifachte sich. »Sind Sie … nun … arbeitslos?«

Noch nie hatte ein Mensch mich dermaßen interessiert gemustert. Keine Sekunde blickte er zur Seite – ausschließlich meine Augen hielt er anvisiert. Zu meiner eigenen Überraschung fühlte sich diese Seelenerkundung zu keiner Zeit unbehaglich oder aufdringlich an. Eher sogar angenehm, vertraut, verschmelzend.

Es war irrsinnig …

Diese ganze Situation war irrsinnig … und maßlos verwirrend.

»Nein, nein. Ich bin nicht arbeitslos«, erwiderte ich und zwang mich krampfhaft, mich nicht noch weiter von seinem hypnotisierenden Blick einlullen zu lassen. »Allerdings mag ich es nicht, Arbeit und Privates zu vermischen.«

Betrachtete er eine jede Person auf diese eindringliche Art? War dies eine natürliche Verhaltensweise seinerseits?

Ich dachte zurück an den kurzen Wortwechsel mit der Kellnerin – und meine Frage war beantwortet. Ja, auch sie hatte er auffallend angeblickt … Womit meine minimale Hoffnung auf eine ehrliche Sympathie Toms zu meiner Person hin augenblicklich verstarb.

Es lag ihm eben nichts an mir. Hier ging es, wie üblich, um Selbstsucht, sprich ein unbefangenes Gespräch, um die Zeit totzuschlagen, oder die Hoffnung auf einen One-Night-Stand.

Hilflosigkeit in Kombination mit vorgegaukelter Wertschätzung wirkte beim weiblichen Geschlecht wie ein Brandbeschleuniger. Waren Männer sich dieses Vorteils bewusst, nutzten sie diesen schamlos aus – was im Umkehrschluss bedeutete, dass die leidtragenden Frauen ausgenutzt und schlussendlich weggeworfen wurden.

»Oh.« Er hielt inne – schien angestrengt zu überlegen. »Ich verstehe.«

Wertete er mein Verhalten? Suchte er eine Bestätigung? Ein Zeichen, ob ich Interesse an ihm hegte? Ob ich willig war, ihm blind zu vertrauen … ?

Kälte kroch mir in die Glieder.

Wollte Tom mich rumkriegen und ausnutzen … wie mein fürchterlicher Ex-Freund?!

Eine heftige Gänsehaut raste mir stechend über den Körper.

Nein, nein! Von mir erhielt kein Mann mehr Bestätigung, Verständnis oder Mitgefühl! Diese Zeit war lange vorüber! Ich war nicht mehr das naive, blinde Schulmädchen!

Wahrscheinlich war es besser zu gehen, ehe ich mich noch gänzlich von diesem Mann einlullen ließ und mir gar eine Beziehung mit ihm zu wünschen begann.

Ich wollte mich erheben, da startete die zweite Hälfte des Auftritts – und wie das Schicksal es wollte, musste die afrikanische Frau einen meiner Lieblingssongs anstimmen: »Hallelujah« von Leonard Cohen.

Sie sang sämtliche Verse: die aus seiner ersten Version sowie die aus den späteren.

Ich liebte die Melodie und Cohens Stimmfarbe, viele Stellen des Textes jedoch waren blanker Hohn. Hohn gegenüber Frauen. Es war mir schleierhaft, weshalb gut aussehende Frauen von Männern im Allgemeinen stets manipulierend angesehen wurden. Ob im biblischen oder im alltäglichen Sinne, Frauen waren die Verführer: Eiskalt und berechnend … und sobald sie hatten, was sie wollten, schlugen sie erbarmungslos zu. Dabei waren es die Männer, welche Frauen die große Liebe vorgaukelten, einzig um sie kurz darauf stehenzulassen – nein, fallenzulassen, in einen dunklen Abgrund …

Männer betrogen ihre Ehefrauen, kümmerten sich nicht um ihre unehelichen Kinder oder schlugen gar ihre Familie. Aber es war ja bekanntlich leichter, eine hübsche Frau zum Sündenbock zu degradieren, anstatt seine eigene Schwäche einzugestehen und zu sagen: »Ja, ich fand sie schlicht und ergreifend attraktiv und deshalb habe ich meine Frau betrogen.«

Wie hieß es noch gleich?

Zu einem Betrug gehören immer noch zwei.

Selbst wenn eine wunderschöne Frau einen verheirateten Mann bezirzte, bedeutete dies noch lange nicht, seinen Trieben nachzugeben und mit ihr ein Techtelmechtel anzufangen. Falls einem Mann etwas an seiner Ehefrau lag, hinterging er diese nicht. Punkt. Alles andere waren billige Ausreden. Ebenso verhielt es sich vice versa. Entweder man war treu und liebte einander, oder man musste sich trennen.

Fatalerweise lief es heutzutage nicht mehr auf diese einfache, korrekte Weise. Vor allem, da Männer sich seit jeher in die Opferrolle hüllten – betrogen und ausgenutzt von Frauen, von der Arbeit, von Kollegen, von der Welt …

Und schließlich folgte das i-Tüpfelchen: die Mütter.

Hatte eine Frau mehrere Kinder und darunter befand sich ein Sohn, wurde dieser zumeist verhätschelt ohne Ende. Insbesondere, wenn dieser überdurchschnittlich schlecht in der Schule war und selbst rein gar nichts auf die Reihe brachte. Dann bekam dieser Geld zugesteckt, erbte später Haus und Hof … und allfällige Töchter? Die mussten schauen, wo sie blieben.

Ach ja, die armen Männer! Mein Mitleid hielt sich in Grenzen.

»Gefällt Ihnen das Lied?«

Ich drehte mich zu Tom.

Ich musste gestehen, kurzzeitig hatte ich ihn vergessen.

Meine gedanklichen Ausschweifungen wurden von Jahr zu Jahr schlimmer …

Toms durchdringender wie fragender Gesichtsausdruck brachte mich komplett in die Realität zurück.

Ich wollte mich doch längst auf dem Nachhauseweg befinden!

Verfluchte Musik!

Immer dasselbe! Vernahm ich ein schönes Lied, konnte ich mich nicht davon abhalten, es bis zum Schluss anzuhören.

Seufzend lehnte ich mich zurück.

»Sara?« Tom sah mich nach wie vor neugierig an. »Gefällt Ihnen dieses Lied?«

»Ja.«

Er lächelte vergnügt. »Dann erzählen Sie mir, weshalb.«

Langsam wurde mir dieser Typ zu aufdringlich – und in exakt diesem Augenblick endete der Song.

Wahrhaftig, Halleluja!

»Tut mir leid, ich muss jetzt gehen. Morgen habe ich noch einige wichtige Dinge zu erledigen.«

Ein Schatten flog nahezu unmerklich über Toms Gesichtszüge, welcher durch ein einladendes, antrainiertes Lächeln restlos bekämpft wurde. »Kann ich Sie irgendwie überreden, noch etwas länger zu bleiben?«

Ernsthaft?

Allmählich musste er begreifen, dass ich kein Interesse an einem One-Night-Stand hegte und sein Hypnose-Seelenblick an mir längst abgeprallt war.

Stumm schüttelte ich den Kopf – und Tom wirkte sichtlich verzweifelt.

Ich verstand seine Reaktion nicht. Eigentlich verstand ich diesen Menschen per se nicht. Deshalb, und angesichts meiner Lebenserfahrung und das daraus erwachsene Misstrauen fremden Personen gegenüber, entschied ich mich, nach meiner Tasche zu fassen und aufzustehen.

»Kommen Sie bald wieder vorbei?« Die Traurigkeit in seiner Äußerung war trotz der Musik unüberhörbar.

Ein guter Schauspieler.

Wollte er mich warmhalten?

»Das weiß ich noch nicht. Wie gesagt: Ich gehe nicht gerne aus, da ich alleine nicht weiß, was ich machen soll.«

Ein kindliches Strahlen schenkte dem Musiker diese zuckersüße Niedlichkeit, gegen welche ein jedes Katzenbaby und erst recht jede Anime-Zeichnung alt aussah. »Nun … ab jetzt können Sie sich mit mir unterhalten! Wir können über die verschiedensten Themen plaudern. Sie werden nicht mehr allein dasitzen müssen. Ich leiste Ihnen gerne Gesellschaft.«

Für eine Sekunde schloss ich die Lider.

Gleichermaßen wie er mir auf die Nerven ging, berührte mich seine liebevolle Hartnäckigkeit.

»Wir werden sehen.«

»Nein, Sie müssen es mir versprechen.« Er erhob sich – langsam, elegant, selbstsicher. Da war keine Schüchternheit mehr. Von einer Sekunde auf die andere verhielt er sich wie jemand, dem die gesamte Welt gehörte.

Dies gab Raum für drei Vermutungen: Entweder litt Tom an Schizophrenie oder einer ähnlichen Geisteskrankheit, versuchte er durch seine Körpersprache seine große Unsicherheit zu überspielen oder aber, er mimte den schüchternen Jüngling.

Die dritte Theorie erschien am wahrscheinlichsten. Alsbald Tom bemerkt hatte, dass er mit seinem Shy-Guy-Verhalten bei mir nicht landen konnte, versuchte er eben eine andere Methode.

Es war logisch. Es war typisch. Es war die einzige vernünftige Erklärung.

Bestimmt dachte Tom, durch seine Attraktivität sowie dem Dackelblick mich im Handumdrehen einwickeln und eine kurze Nummer mit mir schieben zu können.

Mein Hass wuchs im Takt meines ankurbelnden Herzschlags, brannte in meinem Magen, krampfte in meinen Muskelsträngen.

Verdammte Menschen!

Verdammte Männer!

Verdammtes Leben!

»Auf Wiedersehen.«

Ohne mich noch einmal umzudrehen, ging ich zur Garderobe, langte nach meinem Mantel und trat hinaus in die eisige Nacht.

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