Kitabı oku: «The sound of your soul», sayfa 3

Yazı tipi:

Alleinsein stellt das höchste Gut dar,

Einsamkeit den tiefsten Schmerz


Ich erwachte am frühen Morgen nach einer von Albträumen durchsetzten Nacht, in welcher ich eine ausgedehnte Tiefschlafphase herzlich vermisst hatte und ich mich nun ähnlich erschöpft fühlte wie vor dem Zubettgehen. Den Barbesuch hätte ich besser sein lassen sollen. Zu viele fremde Menschen auf einem Haufen und Lärm gepaart mit mir unmöglich einzuschätzenden Situationen brachten mir stets unruhige Nächte.

Ich streckte mich.

Tom.

Ein sachter Adrenalinausstoß jagte mir quer durch die Blutbahn.

Alsbald mein Gehirn diesen Namen hervorgebracht hatte, sah ich seine durchdringenden, mich liebevoll betrachtenden Augen vor mir.

Gerne hätte ich gewusst, welche Farbe sie trugen …

Wie sahen sie aus, wenn die Strahlen der Sonne sie beschienen?

Himmelherrgott!

Welche Dinge kamen mir da in den Sinn?! Es wurde stündlich schlimmer mit mir!

Behäbig stemmte ich mich hoch, schlurfte ins Bad und duschte mich. Nach einem ausgiebigen Frühstück, das aus einem Dinkeltoast mit Tomaten, Mozzarella, ein wenig Ketchup und einer heißen Tasse Kakao bestand, setzte ich zu meinem wöchentlichen Wohnungsputz an. Da ich wochentags arbeitete und Samstag meinen Erholungstag bildeten, hatte ich mich vor einigen Jahren dazu entschlossen, Putzarbeiten stets auf Sonntag zu verlegen. Erstens waren sämtliche Geschäfte geschlossen, womit ich nirgendwo großartig hingehen konnte, zweitens bereitete ich mich dadurch auf den Start in eine neue Woche vor.

Indessen ich das Bett überzog, musste ich neuerlich an Tom und unser Gespräch zurückdenken. Und dieses warme, verbindende Empfinden trat zurück in mein Herz – und verstärkte sich. Gleichzeitig schlug mir ein schmerzhafter Blitz in die Seele, ausgelöst durch die bittere Tatsache, für Tom bestenfalls eine Bettgeschichte darzustellen.

Ich atmete tief durch, versuchte, meine Enttäuschung zu verdrängen. Zu meinem Pech wollte es mir nicht gelingen.

Tom hatte etwas so Einzigartiges an sich besessen – eine ehrliche, liebevolle Ausstrahlung, respektvolle Selbstsicherheit … und diese seltsame Schüchternheit, welche dann und wann in den Vordergrund trat und ihn für wenige Sekunden schier gänzlich ausfüllte.

Sein delikates Aussehen, seine Aufmerksamkeit …

Weshalb war es mir nicht möglich, einen Mann kennenzulernen, bei dem ich mich wohlfühlte und welcher sich eine Beziehung mit mir vorstellen konnte … und wollte?

Selbstverständlich, wahre Liebe existierte nicht. Bedingungsloses Vertrauen existierte nicht. Doch zumindest einen halbwegs anständigen Partner an meiner Seite zu wissen, auf den ich mich verlassen konnte – war dies zu viel verlangt?

Ich warf das Bettzeugs in die Waschmaschine und fing mit dem Abstauben an. Kästen, Lichtschalter, Türen, Türgriffe, Fensterbänke und der Bürotisch. Danach reinigte ich Bad und WC.

Du bist eine Niete, hallte es just durch meine Gehirnwindungen. Zum Glück habe ich bloß drei Monate meines Lebens mit dir verschwendet.

Mein Ex-Freund hatte mir diese wundervollen Worte vor die Füße gespuckt. Genauer gesagt: erster und bisher letzter Freund.

Weshalb hatte ich mich auf ihn eingelassen? Wahrscheinlich, weil er mich mit dummen und verlogenen Komplimenten um den Finger gewickelt hatte. Ich war zu naiv gewesen, hatte angenommen, Menschen wären grundsätzlich nett und zuvorkommend. Dabei ging es ihnen seit jeher um Machtmissbrauch und Erfüllung ihrer egoistischen Ziele. Solange ich ihnen half und alles tat, was sie wollten, waren sie halbwegs freundlich zu mir. Alsbald jedoch ich etwas forderte oder wünschte, wurde ich ignoriert – oder, wie im Falle meines Ex-Freunds, fallengelassen.

Und andere Männer, welchen ich in den darauffolgenden Jahren begegnet war? Diese wollten allesamt kurze Affären oder einen Blowjob.

Nun, eigentlich waren es lediglich drei Dreckskerle gewesen, die mich angesprochen hatten. Und alle drei waren verheiratet. Die Blowjob-Nummer hingegen bot mir ein Alkoholiker in seinem Suff an. Seine verfaulten Zähne und der penetrante aus Talg und Schweiß zusammengesetzte Körpergeruch hatten mich mindestens genauso abgestoßen wie das verwahrloste Erscheinungsbild und die Frage an sich.

Ja, liebes Leben, du beschenkst mich andauernd mit Lorbeeren. Womit habe ich derart viel Glück verdient?

Frustriert und verzweifelt packte ich den Staubsauger und schaltete das Lärmmonster ein.

In meinen Kindheitstagen hatte ich das Geräusch eines Staubsaugers nicht eine Sekunde lang ertragen. Alsbald meine Mutter zu saugen begann, hatte ich mir entweder die Ohren zugehalten oder mich ins entlegenste Zimmer der Wohnung verkrochen. Glücklicherweise gewöhnte ich mich nach und nach daran – und heute gelang es mir problemlos, selbst zum Teleskopauszug zu greifen und lästigem Feinstaub den Garaus zu machen.

Nach getaner Arbeit trat ich ans Küchenfenster. Es gewährte mir den Ausblick auf den parkähnlich angelegten Hinterhof des dreistöckigen Mehrparteienhauses.

Im Sommer tummelten sich dort Kinder und Rentner. Im Winter traf man meistens niemanden an. Die Spielgeräte wurden stets abmontiert und im Keller untergebracht, um sie vor starker Witterungseinwirkung zu schützen. Ebenso vergeblich suchte man Bänke.

Ich war zufrieden damit. Das penetrante Kindergeschrei reichte mir die Sommermonate über.

Schleierhafte Winterwolken tauchten den Himmel in ein cremiges Eisblau. Helios selbst präsentierte sich in Form einer weißlich-gelben Kugel, welche ihr schwaches, kaltes Januarlicht teilnahmslos gen Erde sandte.

Ich dachte zurück an Tom, und mit welchen negativen Gefühlen ich das Lokal verlassen hatte.

Einst hatte ich nicht solcherweise überreagiert. Ich hatte keinerlei Vorurteile gehegt und jedem Menschen die Chance eingeräumt, sich mir vorzustellen. Ich war ausnahmslos objektiv und hatte Verständnis und Mitgefühl für jeden – selbst für charakterlose Dreckskerle. Stets dachte ich: Hinter einem jeden Menschen steckt ein Schicksal, eine Geschichte, ein einschneidendes Erlebnis. Niemand reagiert grundlos kalt, unfreundlich, verängstigt oder fröhlich.

Aufgrund meiner Naivität hatte ich allerdings Egoismus, Eigennutz, Gier, Dummheit und andere negative Persönlichkeitsmerkmale nicht miteinbezogen – da ich dachte, diese würden sich zumeist im Rahmen halten. Stattdessen suchte ich die Schuld bei mir selbst. Ich dachte, wenn Menschen unfreundlich auf mich reagierten, läge es ausnahmslos an mir.

Wie man in den Wald hineinruft, hallt es zurück. Dieses Sprichwort hatte ich gegen mich gewendet, hatte mich geändert, mich freundlicher und nochmals freundlicher verhalten – und ich wurde noch weniger akzeptiert, noch mehr belächelt, ignoriert, ausgenutzt.

Ja, meine Metamorphose hatte lange angedauert. Doch nun stand da eine andere Sara. Eine, die sich nicht mehr belügen ließ.

Es war ein schmerzhafter Prozess gewesen – und manchmal fühlte ich mich erst recht schuldig, nun wie all die anderen asozialen, verkommenen, emotionslosen, nutzlosen Menschen geworden zu sein. Nichtsdestoweniger hatte ich einen Erfolg vorzuweisen: Niemand mehr hatte mich verletzt.

Und daran würde sich auch in Zukunft nichts ändern! Selbst wenn ich für den Rest meines erbärmlichen Lebens alleine bleiben musste!

Ich strich mir das Haar zurück und wandte mich der Küchenanrichte zu. Aus dem oberen Schrank holte ich ein Dinkelweckerl hervor, brach es entzwei und legte es zum Austrocknen auf die Heizung. Anschließend kredenzte ich mir gebratene Hühnerfleischstreifen auf gemischtem Blattsalat verfeinert mit Tomaten und Radieschen.

Ich liebte es, frisch zu kochen. Das Empfinden etwas zu kreieren, ließ mich den Aufwand gerne vergessen – zumal Fertiggerichte mir nicht sonderlich schmeckten und ich davon Hautunreinheiten und Bauchkrämpfe bekam.

Besonders gerne mochte ich Hühnerfleisch in Kombination mit Brokkoli, Rosenkohl oder Blattspinat mit Zitronensaft. Teigwaren, Obst und Pilze sagten mir ebenfalls sehr zu. Und süße Nachspeisen sowieso. Was mir überhaupt nicht schmeckte, waren Innereien, Kren, Spargel, Schweinefleisch und Hülsenfrüchte. Ausnahmen bildeten Leberstreichwurst, Frankfurter Würstel und zartgeräucherter Schinken.


Nach Essen und Abwasch nahm ich mein neu gekauftes Taschenbuch – ein Spionagethriller – zur Hand und setzte mich auf meine zwar neuwertige nichtsdestotrotz ungemütliche hellgraue Couch. Sie war zwei Meter lang, hart wie Beton und obendrauf rau wie Schurwolle. Ursprünglich hatte ich sie entsorgen wollen. Leider Gottes kannte ich niemanden, der mir beim Hinuntertragen dieses sperrigen Dings vom zweiten Stock ins Erdgeschoss geholfen hätte. Ferner wollte ich kein Geld für eine andere Sitzgelegenheit ausgeben. So hatte ich mich erzwungenermaßen dazu entschlossen, sie zu behalten.

Solche Momente erinnerten mich daran, dass ich nicht alles alleine bewerkstelligen konnte – gleichgültig, wie sehr ich es wollte oder wie viele Belange des Lebens ich bislang erfolgreich selbst geregelt hatte.

Wie dem auch sei – jammern brachte mich nicht weiter. Ich musste froh sein, eine Couch zu besitzen. Andere Menschen hatten nicht einmal das!

Obwohl ich mir dieser Tatsache vollauf bewusst war, gelang es mir nicht, diesen bitteren Beigeschmack der Verleugnung loszuwerden.

War es in Ordnung, angesichts meiner Einsamkeit mir durchgehend Ausreden zu suchen, um Positivität und irgendeinen Sinn in mein Leben zu bringen?

Jahrelang hatte ich nicht einmal bemerkt, dies ständig zu tun. Ich hatte all meine Wünsche und Sehnsüchte verdrängt, mich ausnahmslos auf den Alltag konzentriert, gegen auftretende Panikattacken gekämpft und sämtlichen Problemen aus dem Weg zu gehen versucht.

Stellte dies das Leben dar? Sich tagtäglich zu fürchten, zu bangen – und letztendlich Dankbarkeit zu empfinden, zumindest auf frisches warmes Wasser Zugriff zu haben und in einem kuscheligen Bett schlafen zu dürfen? Lebten sämtliche Menschen in diesem Land auf dieselbe Weise?

Aber … weswegen jammerten sie alle über jede unbedeutende Kleinigkeit: Das Wetter, den Ehepartner, die Kinder, die Arbeit, den Urlaub, das Auto, die Wohnung?

Falls sie ebenfalls dankbar und überdies gesundheitlich oder mental relativ stark waren … weshalb mussten diese Leute zetern?

Ich verdrängte die Gedanken und erfreute mich lieber an meiner Freiheit, tun und lassen zu können, was ich wollte.

Denn eines war klar: Solange ich allein lebte, brauchte ich keine Kompromisse einzugehen. Ich war frei, musste mich auf niemanden einstellen oder Rücksicht nehmen.

Lediglich dieses mich folternde Verlangen nach körperlicher wie gefühlsmäßiger Nähe, Geborgenheit, einem Zuhause … dies brachte mich allmählich um.

Wie üblich erwachte ich Montag morgen relativ ausgeruht und gestärkt. Diese Energie nutzte ich, um in der Arbeit sämtliche schwierigen Aufgaben zuerst abzuarbeiten. Zwar tauchten komplizierte oder anstrengende Tätigkeiten logischerweise ebenfalls an allen anderen Wochentagen auf, allerdings musste ich mich dann nicht unbedingt einen kompletten Vor- oder Nachmittag mit komplexen Themen herumquälen, sondern durfte mir mentale Pausen durch leichte Obliegenheiten zwischenschieben.

Als Webseitenbetreuer eines kleinen Online-Shops fielen großteils knifflige oder lästige Probleme an. Da ich überdies für den Kundensupport zuständig war, läutete meistens durchgehend das Telefon und wurde mein Mail-Account mit Dummies-Anfragen überschwemmt.

Der überwiegende Teil meiner Anfragen fiel in die Kategorien irrtümliche Bestellungen, Einloggschwierigkeiten aufgrund vergessener Passwörter sowie Unzufriedenheit mit der Paketzustellung.

Obwohl Telefonate und Kundenanfragen mich ziemlich nervten, mochte ich meine Arbeit. Ich hatte ein Büro für mich allein, durfte mir meinen Alltag zumeist frei einteilen und die Bezahlung war ebenfalls in Ordnung.

Meine halbstündige Mittagspause verbrachte ich gern in einem nahe gelegenen überschaubaren Park. Auf einer schmiedeeisernen Bank, welche das gesamte Jahr über unter einer zwanzig Meter hohen Linde stand, aß ich mein Pausenbrot und fütterte nebenbei die Tauben.

Ja, im Winter war es eisig kalt. Dennoch zwang ich mich hierher. Ein wenig Frischluft war wichtig und Abhärtung zugleich. Außerdem liebte ich es, die Vögel zu beobachten. Wie sie frech nach meinen getrockneten Brotkrumen pickten und geschäftig hin- und herstolzierten. Und das niedliche Gurren erst! Ein wenig erinnerte es mich an das Schnurren einer zufriedenen Katze.

Eben wollte ich mich von der Bank erheben, da bemerkte ich, wie ein schlanker Mann auf der gegenüberliegenden Straßenseite in eine schmale Gasse trat.

Tom, hallte es mir unwillkürlich durch meinen Geist. Und unmittelbar danach fragte ich mich, was mit meinem Verstand nicht stimmte.

Von dieser Distanz aus war es mir unmöglich zu sagen, wer dort herum irrte. Bedeutend lachhafter war es anzunehmen, es wäre Tom gewesen, wo ich nicht einmal seine Haarfarbe oder sein Alltagsoutfit kannte! Und überhaupt: Weshalb kam mir dieser Mann fortwährend in den Sinn?

Herrschaftszeiten!

Ich steckte die Hände in die Manteltaschen und eilte los.


Um halb fünf verließ ich das Büro und fuhr nach Hause. Erschöpft und ausgebrannt fühlte ich mich, weshalb ich mich sofort unter eine kochend heiße Dusche stellte. Danach schlüpfte ich in meinen übergroßen, schneeweißen Bademantel, belegte mir ein Brötchen mit Kantwurst, schlang dieses hinunter und kuschelte mich ins Bett.

Meine Schwäche nervte mich. Normalerweise müsste ich voller Energie sein. Schließlich leistete ich keine Akkordarbeit, ebenso wenig musste ich Lieferungen auspacken oder am Bau ackern. Trotzdem quälte ich mich immer wieder mit immensen Erschöpfungszuständen herum – seit meiner Schulzeit.

An einem Vitaminmangel litt ich jedenfalls nicht. Dies hatte ich erst vor Kurzem austesten lassen. Womöglich sollte ich mich sportlich betätigen? Ein Aufbautraining? Oder schlichtweg jeden Tag lange Spaziergänge unternehmen? Verkehrt war es sicherlich nicht …

Auf der anderen Seite war ich zu schwach, um nach der anstrengenden Büroarbeit überdies körperlich Leistung zu erbringen.

Leichter wäre es, mit einem Zwanzig- oder Dreißigstundenjob. Finanziell konnte ich mir einen solchen Luxus aber leider nicht leisten.

Wäre dies mit einem Partner möglich?

Ach, verdammt!

Wozu über etwas nachgrübeln, das ohnehin in unerreichbarer Ferne lag?


Die restliche Woche verlief ruhig und unspektakulär. Ich erledigte meinen Job, erholte mich von den Strapazen und unterdrückte lästige wiederkehrende Gedankenspiele über Tom und unser Gespräch.

Ich kapierte nicht, weshalb ich diesen Menschen nicht mehr vergessen konnte – Aussehen hin oder her. Er war ein niemand. Ich würde ihn niemals mehr wiedersehen. Punkt. Aus. Fertig.

Darüber hinaus wollte ich nichts mit Musikern zu schaffen haben. Natürlich waren nicht alle davon notorische Fremdgeher oder egozentrische, alkoholabhängige Exzentriker. Künstler blieb trotzdem Künstler – womit Konflikte ausgelöst durch verschrobene Persönlichkeitsmerkmale unvermeidbar waren.

Stopp.

Was, zur verfluchten Hölle, dachte ich da?

Ich wollte keine Beziehung mit ihm. Ich kannte diesen Typ doch gar nicht!

Offenbar war ich verzweifelter, als ich es mir selbst eingestand …


Es war Samstag. Erneut. Traditionell gesehen war er der letzte Wochentag und somit ein Feiertag. Die standardisierte Zählung des ISO 8601 machte Schluss mit dieser Gepflogenheit.

Einst hatte ich diesen Tag inniglich geliebt, mich wahnsinnig darauf gefreut.

Und nun?

Nun empfand ich im besten Falle Trauer.

Ausschlafen konnte ich zwar nach wie vor – meine Arbeitswoche ging glücklicherweise ausnahmslos von Montag bis Freitag – das hibbelige Gefühl, welches mich überkam, wenn ich am Donnerstag bemerkte, dass das Wochenende mittlerweile in greifbarer Nähe lag, war jedoch zur Gänze verschwunden.

Ausgelöst hatte diese Verstimmung mein Ex-Freund. Nachdem dieser Dreckskerl mich grauenhaft behandelt und schlussendlich schäbigst verlassen hatte, hatte mich alles verlassen: meine Heiterkeit, mein Glück, meine Hoffnung, meine Lebensfreude. Obgleich Letztes noch nie recht zu meinen Charaktereigenschaften gezählt hatte.

Ich schob mein Selbstmitleid zur Seite und streckte mich – und wie in den vergangenen Tagen schoss Tom mir durch mein Gehirn.

Verflucht!

Irgendwann würde ich noch durchdrehen!

Freilich, er sah umwerfend gut aus, und Sympathiepunkte hatte er bei mir längst in voller Zahl abkassiert … Davon einmal abgesehen brächte mir eine Liebäugelei mit ihm bestenfalls frische Seelenqualen. Ich hatte nicht das Händchen dafür, verständnisvolle, anständige Männer kennenzulernen – falls solche Traumwesen unter uns wandelten.

Es war ein Fluch. Ein unmöglich zu brechender Fluch. Damit musste ich mich abfinden! Hoffentlich würde mein Herz dies irgendwann verstehen und Ruhe geben.

Nach einigem Krafttanken schwang ich mich aus dem Bett, duschte mich heiß und zog mich an. Mein heutiges Frühstück bestand aus Dinkelcornflakes mit Milch und Honig. Ich machte mein Bett, wusch das Geschirr ab und fuhr im Anschluss daran ins Einkaufszentrum.

Mein Kühlschrank musste befüllt werden. Außerdem ging das Mehl zur Neige.

Und was war schlimmer denn eine leere Vorratskammer?

Exakt.

Ein leerer Kühlschrank und eine leere Vorratskammer.

Zwar konnte man heutzutage jeden Tag und zu beinahe jeder Uhrzeit einkaufen gehen, und erhielt man sämtliche saisonale Produkte das gesamte Jahr über, doch das Wissen, zu wenig oder gar keine Lebensmittel zu Hause griffbereit zu haben, ertrug ich schlichtweg nicht. Speziell im Winter war es mir wichtig, Essensvorräte für mindestens zwei Wochen eingelagert zu wissen.

Die wenigsten Menschen dachten an Ausnahmesituationen. Da sprach ich gar nicht von Kriegen, Seuchen oder Terrorismusangriffen. Bereits ein Wetterphänomen, wie lang anhaltender Schneefall, konnte sämtliche Infrastruktur lahmlegen. Besaß man genügend Vorräte, gab es keinen Grund zur Panik. Ähnlich verhielt es sich mit Stromausfällen. Eine kleine Gasherdplatte samt Drei-Liter-Gasflasche fand selbst in einer Singlewohnung Platz – und warmes Essen und Wasser wurde nicht zum Luxusgut.

Ich stieg in meinen alten Mercedes und fuhr los.

Das von der Form her einem Footballstadium ähnelnde Einkaufszentrum besaß drei Parkdecks: eines unter der Erde, eines direkt vor den zwei Eingängen und eines auf dem Dach.

Da ich die tolle Aussicht liebte, entschied ich mich für das Dachgeschoss.

Ich verließ den Wagen, schloss ab und füllte meine Lungen mit der nach Schnee und Eis duftenden Winterluft. Obwohl die Sonne von einem stahlblauen Himmel schien, lagen die Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt. Der eiskalte Wind machte die Situation auch nicht eben besser. Obwohl ich mir heute einen dicken Pulli, Thermostrumpfhosen und eine Jeans angezogen hatte, fröstele ich ähnlich heftig wie gestern Abend.

Flott schritt ich über die weitläufige Kraftwagenabstellanlage. Neben mir tummelten sich ein paar Familien mitsamt quengelnden Kindern sowie gestresst aussehende alleinerziehende Mütter – und selbstverständlich ein verliebtes Pärchen, das sich wärme- und nähesuchend an den jeweils anderen kuschelte.

Idioten.

Allen voran das dumme, glücklich strahlende Weibsbild. Nahm dieses doch fälschlicherweise an, das Grinsen ihres Freundes rührte von ihren peinlichen Klammerattacken her. Stattdessen freute der Kerl sich lediglich darauf, das gut beheizte Gebäude zu betreten, da er wusste, dadurch etwas mehr Abstand zu ihr gewinnen zu können, ohne unfreundlich zu erscheinen oder seine wahre Geisteshaltung zu offenbaren – nämlich rein gar nichts für sie zu empfinden. Dies wiederum bedeutete, er konnte das naive Dummchen noch eine längere Weile ausnützen und ihr die große Liebe vorgaukeln, einschließlich inniger Umarmungen und Liebkosungen.

Sachte den Kopf schüttelnd folgte ich dem Pseudo-Pärchen in die wohlige Wärme, überholte dieses und eilte weiter zur Treppe.

Aufzüge mied ich seit jeher – nicht aufgrund einer Agoraphobie meinerseits, sondern einzig, weil ich mit fremden Menschen weder für wenige Sekunden noch für Stunden auf engstem Raum eingeschlossen sein wollte.

Niemand wusste, wann der Strom ausging, die Elektronik den Geist aufgab oder sogar das Aufzugsseil riss … Stufen waren da weitaus sympathischer und ungefährlicher. Zudem tat man etwas für seine Figur, und man blieb Herr über seiner selbst.

Im ersten Stock gelandet, hielt ich mich weiter rechts und betrachtete die aneinandergereihten Geschäfte. Ein Jedes davon war unverhältnismäßig gut besucht. Ich nahm die Rolltreppe nach unten, um mich darauffolgend durch lärmende Menschenmengen zum groß angelegten Lebensmittelgeschäft durchzuschlagen.

Die enorme Fläche in der Mitte des Komplexes war heute – von den Kunden einmal abgesehen – vollkommen leer. Dies sah zu Ostern oder Weihnachten anders aus. Dann wurden winzige aus Holz gefertigte Markthäuschen aufgestellt, bei welchen man allerlei Selbstgebasteltes, wie Geschenk- und Dekorationsartikel, erstehen konnte.

Eine mich zur Seite schupsende Gruppe frecher Jugendlicher erhitzte mein Gemüt. Die mich umringenden laut tratschenden und lachenden Leute gaben mir den Rest.

Ich hasste Menschenansammlungen – aus tiefster Seele. Am grausigsten war es im Dezember: Die gehetzten Leute brachten mich dergestalt aus dem Konzept, sodass ich manchmal sogar vergaß, was ich einkaufen wollte. Die ausgesendeten Emotionen der Menge legte sich um meine Sinne, verdunkelte meine Sicht. Da fühlte ich mich wie ein eingeschüchtertes wildes Tier in einem Käfig umringt von mich neugierig musternden Zirkusbesuchern …

Je näher ich dem Lebensmittelgeschäft kam, desto voller wurde es.

Das Villacher Einkaufszentrum erfreute sich zwar Jahr und Tag großer Beliebtheit, heute erinnerte mich dieser Andrang aber eher an die letzten Einkaufstage vor Weihnachten.

Hatten die Menschen etwa noch einen kläglichen Rest an natürlichen Instinkten bewahrt? Die Wetterprognose sagte für die nächsten Tage nämlich weitere tiefe Temperaturen und sogar etwas Schnee voraus.

Der Gedanke an die weiße, glitzernde Pracht vermochte es, meine Stimmung minimal anzuheben.

Ich liebte Schnee!

Die weichen durch die Luft tanzenden Flocken … eingeschneite durch Sonnenstrahlen dramatisch in Szene gesetzte Bäume …

Hoffentlich würde eine erhebliche Menge dieses wundervollen Naturschauspiels fallen. November und Dezember hatten sich durchwegs trocken gezeigt. Die Schneepisten erstrahlten in einem herbstlichen Grün. Einzig der Atem des Winters hatte Wälder und Wiesen ein zärtliches Weiß geschenkt.

Die anhaltenden trockenen Wintermonate brachten die Skination Österreich ganz schön in Bedrängnis. Seit vielen Jahren jammerte der Tourismus über den akuten Schneemangel. Die Schneekanonen waren niemals imstande das Verlangen der Urlauber und Einheimischen nach frischem Neuschnee zu stillen. Folglich wurde geraunzt und Stellen abgebaut, oder in Wellnessanlagen investiert.

Meine Handtasche fest an mich gedrückt wich ich einer zweiten Gruppe lachender Jugendlicher aus.

Wann würden die Menschen verstehen, dass wir mit der Natur leben müssen – und nicht dagegen? Einst entstiegen wir der Erde und letzten Endes gingen wir wieder dorthin. Ein ewiger Kreislauf. Dolme, die es nicht begriffen.

Ich holte eine Eineuromünze hervor und steckte diese in das Pfandschloss eines der vielen Einkaufswagen, welche zu einer eisernen Schlange neben den Aufzügen aufgereiht worden waren, entfernte die Sperrkette und zog den Wagen zurück, um mich sodann in das Lebensmittelgeschäft zu begeben.

Unzählige Dinge türmten sich vor mir auf: Kinderspielzeug, tausende Hygieneartikel, Waschmittelpackungen in allerlei Formen und Farben, Kleidung, meterlange Kühl- und Gefrieranlagen. Aber die Dekadenz schlechthin folgte erst: Dreißig verschiedene Sorten Mineralwasser – und das waren bloß die ohne Geschmack … Und in einem Dritte-Welt-Land verdursteten Menschen angesichts der Tatsache, dass der von ihrem Heimatdorf drei Stunden entfernt gelegene Brunnen von einer großen Lebensmittelmarke aufgekauft worden war und deshalb nicht mehr für die Einheimischen zur Verfügung stand.

Es war ein Albtraum! Ein einziger langer, nicht enden wollender Albtraum.

Ich atmete tief durch und machte mich ans Werk.

Jammern half bekanntlich nichts! Erst recht nicht konnte ich alleine etwas gegen diese und andere Ungerechtigkeiten der Welt anrichten. Gleichwohl zeigte ich meinen Groll, indem ich hauptsächlich Waren einheimischer Firmen und Bauern kaufte. Zumindest so oft es mir möglich war. Im Gegensatz zu den nicht nachhaltig hergestellten importierten Lebensmitteln waren regionale Produkte bekannterweise empfindlich teurer – womit ich wesentlich genauer auf meine Finanzen achten musste.

Mehl, Zucker, Backpulver, Kartoffeln und Hühnerfleisch fanden ihren Weg in meinen Wagen. Ebenso Milch, Butter, Margarine, Salz und Joghurt. Nun fehlten noch Holunderblütensirup, Salat, Äpfel, Bananen und – ganz wichtig – eine Zahnbürste und eine Tube Zahncreme.

Ich drehte den Einkaufwagen mit Schwung zurück – und stieß gegen irgendjemanden.

Zuerst vernahm ich einen Ausruf der Verwunderung, anschließend erblickte ich einen schwarzen Mantel sowie einen Schal in derselben Farbe. Letztgenannter bauschte sich durch meinen Stoß und den daraus resultierenden Sturz des Unglücklichen erst unbeschreiblich elegant in der Luft auf, ehe dieser genauso tollpatschig wie sein Besitzer auf dem Fliesenboden landete.

Es wurde mir heiß, darauf kalt und schlussendlich fing mein Herz wie verrückt zu hämmern an.

Herrgott!

Wenn der Mensch sich nun etwas gebrochen hatte?

So gut versichert war ich nicht!

Mit einem Kribbeln im Hinterteil hockte ich mich zu dem Gestürzten.

Die Person war ein Mann, wahrscheinlich in meinem Alter, mit kupferbraunem Haar – beinahe dieselbe Farbe, wie ich sie mein eigen nennen durfte. Sein Gesicht hatte er von mir weggedreht. Folglich war es mir unmöglich zu sagen, ob er bewusstlos, tot, angefressen oder schlichtweg geschockt war.

»Habe ich Sie verletzt?«, fragte ich besorgt.

Wenn er nun wahrhaftig tot war, was dann? Würde ich wegen Totschlags angeklagt werden?

Dieser Vermutung folgte eine zweite über meinen Rücken kriechende eisige Kälte.

»Nein, sorgen Sie sich nicht«, hörte ich den Unglücklichen jäh sagen.

Mir fiel die halbe Gerlitzen vom Herzen.

Gott sei Dank war er ansprechbar!

Obwohl die Erleichterung und das ausgeschüttete Adrenalin mich dezent benebelten, konnte ich mich nicht des Eindrucks erwehren, die Stimme des Unbekannten von irgendwo her zu kennen.

Bloß von woher?

»Mir geht es gut.« Diese Worte gesprochen stemmte sich der Mann behäbig hoch, drehte sich zu mir – und mich traf der Schlag.

Diese Augen.

Himmelherrgottsakrament! Es war Tom!

Was machte der denn hier?!

Geschockt, verwundert, verwirrt besah er mich … Mit großer Wahrscheinlichkeit schaute ich in dem Moment ebenso bescheuert drein wie er … Aber diese Augen! Dieser Ausdruck! Diese eigenartige, sich über mich legende Einigkeit …

Weder konnte ich mich von Tom abwenden geschweige denn mich bewegen. Ich fühlte mich wie hypnotisiert. Hypnotisiert von diesen wunderschönen graublauen Augen.

Graublau. Das schönste Graublau, das ich jemals in meinem Leben gesehen hatte.

»Ist Ihnen etwas passiert? Soll ich einen Arzt rufen?«, vernahm ich die weibliche Stimme eines Kunden, wodurch ich halbwegs zur Besinnung kam.

»Nein, nein«, beschwichtigte Tom teilnahmslos, unterdessen er mich weiterhin anstarrte und gleichzeitig mit seiner linken Hand unbeholfene Gesten Richtung Kundschaft vollführte. »Mir geht es gut.«

Toms Reaktion bewirkte etwas Ähnliches wie einen Kaltstart meines Gehirns.

Wie lange hatte ich Tom wortlos angestarrt … und wie lange hockte ich eigentlich neben ihm?

Ich wusste es beim besten Willen nicht.

Nicht zuletzt deshalb wurde es allerhöchste Zeit, diese peinliche Situation zu beenden, indem ich mich erhob und ihm meine Hand zur Hilfe reichte – welche er sofort und inklusive einem aufkommenden Lächeln ergriff und sich von mir hochziehen ließ.

Alsbald mein flüchtiger Lokal-Bekannter in seiner ganzen Pracht vor mir stand, wurde ich mir erst seiner ausgeprägten Schönheit gewahr.

Das dichte gewellte Haar, von welchem vereinzelte Strähnen locker über seine zarten Augenbrauen fielen, seine feinporige Haut, die edlen Gesichtszüge … aber vor allem dieser mich ununterbrochen musternde, seelenverschmelzende Blick. Ein Blick, intimer als eine sexuelle Vereinigung, leidenschaftlicher als ein lateinamerikanischer Tanz, zärtlicher als sich niederlassende Lindenblütenpollen im frühlingsfrischen Gras …

Um Toms Seeleninspizierung kurzzeitig zu entgehen, bückte ich mich und langte nach seinem Schal.

Warum musste ich ausgerechnet ihm begegnen? Warum musste ich ausgerechnet ihn zu Boden stoßen? Warum immer ich?!

Verflucht!

»Warten Sie, Sie brauchen sich nicht zu bemühen«, erwiderte er, jedoch hatte ich das Kleidungsstück längst an mich genommen. Eben war ich dabei, mich aufzurichten, da durchfuhr mich ein blitzartiger mich zu Boden werfender Kopfschmerz.

»Grundgütiger!«

Während Tom diesen lieblichen Ausruf tätigte, versuchte ich, mich vorsichtig und mit geschlossenen Lidern hinzuknien.

Der Schmerz in meinem Schädel war exorbitant.

Hatte ich eben einen Hirnschlag erlitten?

Ich hatte den Gedanken noch nicht zu Ende geführt, da fühlte ich, wie Toms Hände mein Gesicht umfassten – und reine Geborgenheit durchströmte mich. Sie erfüllte meinen Leib, mein Herz, meine Seele, meinen Geist. Sie brachte meine Gehirnleistung zum Erliegen, umschloss und erleuchtete jedwede Stelle meines verdunkelten Inneren. Was Tom zuvor mit seinem Seelenblick angedeutet hatte, hatte seine Berührung ein Stück in die Tat umgesetzt: Er war in mich eingedrungen, hatte sich mit mir vereinigt.

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