Kitabı oku: «Mirabella und die Neun Welten», sayfa 2

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2 - VON MARS UND MONSTERN

Sand rieselte durch Mirabellas leicht gebräunte Zehen, das Meer rauschte im Hintergrund und das junge Mädchen blinzelte im Halbschatten über ein Buch gebeugt, ohne es zu lesen. Sie war auf Sansibar, dem Sehnsuchtsort vieler, und vermisste den Olymp, ihre Freunde und vor allem ihren Bruder. Was war nur mit ihr los? Sonne, Strand und Meer, Delphine im Wasser, coole Kite-Surfer an der Strandbar und endlich einmal Zeit zum Faulenzen, Lesen und Nachdenken. Aber vielleicht war das Mirabellas Problem, sie wollte nicht faulenzen und schon gar nicht nachdenken, sie wollte Action, Abenteuer und Geselligkeit. Die erste Ferienwoche mit Safari durch die Serengeti und den Ngoro-Ngoro-Krater war schnell vergangen. In unbeobachteten Augenblicken testete Mirabella stets, ob sie auch mit den wilden Tieren Afrikas sprechen konnte. Noch war ihr kein Tier begegnet, das sie nicht verstehen konnte. Abends unterhielt sie meist das folkloristische Programm in der Lodge, eine Runde Skat mit den Eltern oder das Sichten der Videos und Bilder des Tages.

Erst auf Sansibar befiel Mirabella wieder diese innere Unruhe, kreisten ihre Gedanken erneut um die Frage ihrer Herkunft. Wenn es kein komischer Zufall war, dass ihr der Zutritt ohne Amulett verwehrt war, kam keiner der Olympier als ihr Vater in Frage. Oder Mutter. Die Energiewesen besaßen kein Geschlecht im menschlichen Sinne. Wie konnte aber sonst ihre Mutter schwanger mit einer Halbgöttin gewesen sein? Und Halbgöttin war sie. Oder? War sie vielleicht ein Zwischenweltwesen? Sprach sie deshalb die Monstersprache?

„Mira, kommst du mit schwimmen?“, fragte Yasmin, Mirabellas Adoptivmutter. Das Mädchen sah von ihrem Buch auf, in dem sie nicht las, fragend, bis Yasmin die Frage wiederholte. „Ja, gerne!“ Mirabella klappte das Buch zu und sah kurz auf ihr Handy. Eine Nachricht von Nikolaos. Morgen Training?

Ein Lächeln schlich sich in ihr Gesicht. Klar. Fragst du Jupiter?

Mach ich, bis später!

Mirabella ging mit guter Laune baden im Indischen Ozean.

Als sie später erneut ihr Handy zur Hand nahm, bemerkte sie Yasmins kritischen Blick und sah sie fragend an.

„Meinst du nicht, dass du sehr viel Zeit mit deinem Handy verbringst?“, fragte diese vorsichtig.

Mirabella wollte im ersten Moment reflexartig protestieren, schloss dann ihren Mund jedoch wieder und seufzte. „Du hast recht, Mami, aber ich vermisse meine Freunde. Wir haben eine Chat-Gruppe aufgemacht und es ist einfach nett, weiterhin mit ihnen in Kontakt zu sein.“

Yasmin drückte die Hand des Mädchens. „Ich verstehe dich ja. Ich hab‘ nur das Gefühl, dass wir den Anschluss verlieren, kein Teil davon sind.“

Mirabella schaute etwas unglücklich, sie wollte niemanden ausschließen, schon gar nicht die beiden. Ihre Adoptiveltern hatten letztendlich sehr tolerant und positiv auf die Neuigkeiten reagiert, die sie erst im Laufe des letzten Jahres erfahren hatten. Marcus hatte zwar mehrere Tage nicht darüber reden können, die Existenz der Götter hatte ihn schwer in seinen Grundüberzeugungen getroffen, bis er sie als höher entwickelte Energiewesen zu akzeptieren lernte.

„Was schreiben sie denn?“, fragte Yasmin aufmunternd.

„Äh, sie sind alle auch im Urlaub. Delphine ist nicht weit von hier, naja, sind fast 1000 km, wie ich feststellen musste, aber sie ist hier auch im Indischen Ozean, auf Mayotte. Sie vermisst ihren Freund Iros, der im Mittelmeer lebt.“

„Er lebt im Mittelmeer?“

„Er ist ein Meerjunge, also Meermann. So wie die Meerjungfrauen, da gibt es ein ganzes Volk davon, über alle Meere verstreut.“

„Arielle gibt es wirklich?“, fragte Yasmin begeistert.

Mirabella lachte. „DIE Arielle wahrscheinlich nicht, aber Neptun meinte, dass wegen der Geschichte viele rothaarige Meerjungfrauen Arielle genannt werden.“

„Und Nikolaos?“

„Der ist jetzt zuhause, war davor ja in den Staaten. Er übt viel mit seiner Jazz Band.“ Ganz wohl war Mirabella dabei nicht. Sie wusste, dass die Sängerin der Band, Céline, in Nikolaos verliebt war. Er hatte behauptet, es nicht zu sein, aber Mirabella hatte dennoch Angst, er könnte mit ihr zusammenkommen, was dazu führen würde, dass er keine Zeit mehr für seine Halbschwester hätte.

„Treten die auch auf?“

„Auf einer privaten Hochzeit wollen sie demnächst spielen.“

Mirabella erzählte noch von Leon, dem Sohn des Schmiedegottes Vulcanus, der mit seinen Eltern in Chile unterwegs war. Er stöhnte etwas über die vielen Vulkane, die er besichtigen musste, seine Eltern waren Vulkanologen, schien aber an sich Spaß an den Wanderungen und Besteigungen zu haben. Die Bilder, die er herumschickte, zeigten eine atemberaubende Landschaft. Der Sizilianer Lorenzo, Sohn des Apolls, den sie zuletzt auf der Aufnahmefeier knutschend mit Terra gesehen hatte, war mit einem Freund beim Surfen an der französischen Atlantikküste. Von oder über Terra hatte sie seit der Feier keine Information erhalten, da sie der Chatgruppe nicht angehörte. Terra war die einzige Vollgöttin ihrer Klasse und besaß kein Handy. Lorenzo war zwar mehrfach mit Zwinkersmiley nach ihr gefragt worden, er hatte sich aber über Terra ausgeschwiegen. Dass er so gar nichts erwähnte, machte Mirabella stutzig, aber sie war nicht eng genug mit Lorenzo befreundet, um ihn indiskret auszuquetschen. Mit Terra, Tochter von Mars und Venus, hatte sie sich über die Monate angefreundet, ganz schlau aus ihr wurde sie jedoch nicht, dafür waren reine Energiewesen und Halbmenschen wahrscheinlich zu unterschiedlich. Mirabellas Handy piepste, eine neue Nachricht von Nikolaos.

Die haben fast keinen Saft mehr im Olymp, irgendwie war die Feier so energieraubend, dass momentan Teleportation von Halbgöttern in den Olymp nicht genehmigt wird.

„Probleme?“, fragte Yasmin.

Mirabella schüttelte den Kopf. „Nick und ich planen nur eine gemeinsame Trainingsstunde.“

Könntest du per Bulla-Express reisen? Wie hast du dann mit Jupiter reden können?, schrieb Mirabella zurück.

Er kam zu mir, antwortete ihr Bruder, „war eh unterwegs. Das Amulett kann man auch verwenden, um sich zum Jupitertempel teleportieren zu lassen.

-Cool, wie?

-Beim Haare drehen musst du „in templo“ sagen, statt an ihn zu denken.

-Und eine Simulation ist energetisch für uns drinnen?

-Denke schon, wir sollen mit Mars reden.

Die Antwort ließ Mirabella die Nackenhaare aufstellen. Sie verabscheute den Kriegsgott, der Spaß am Töten und Kämpfen hatte und mit seinem schlechten Ruf kokettierte. Ich hätte gute Lust, das Training abzublasen…

Ich kann das Fragen übernehmen, okay? Mirabella konnte das Schmunzeln ihres Bruders fast spüren.

Wir fragen zusammen.

Jetzt?

Da es für Yasmin in Ordnung war – „aber sei morgen zuhause, bitte!“ - ging Mirabella schnell auf ihr Zimmer und zog sich eine Jeans und ein T-Shirt über den Bikini. Sie öffnete ihr Jupiter-Amulett, das immer um ihren Hals hing, das silbrig glänzende Haar wurde sichtbar. Mirabella nahm das Barthaar ihres Vaters in die Hand und drehte es: „In templo.“ Im nächsten Moment stand sie in einem dunklen, nur von ein paar Fackeln erleuchteten Raum. Durch die Tür fiel Licht, man konnte ein paar dorische Säulen erkennen, die den Tempel säumten. Der Innenraum, die Cella, war schlicht gehalten, ein Bildnis des Jupiters schmückte einzig den schmalen Raum. Mirabella trat aus der Cella und sah einen Wald von Säulen. „Nick?“

„Hier!“ Ihr Bruder trat aus dem Raum neben Jupiters zu ihr. „Das ist Junos Kammer, auf der anderen Seite ist Minervas.“ Der Kapitolinische Tempel in Rom war der Trias Jupiter, Juno und Minerva geweiht und existierte heutzutage nur noch in der Zwischenwelt. Wo einst der antike Tempel stand, fanden sich jetzt der Kapitolsplatz und das römische Rathaus.

„Cool. Und jetzt?“

Nikolaos nahm Mirabella an die Hand und ging, die andere Hand ausgestreckt nach vorne haltend aus dem Tempel heraus, Mirabella mit sich ziehend. Schließlich blieb er stehen. „Hier endet die Blase.“ Wenn die Schüler vom Olymp aus auf Reisen gingen, hatte meist der jeweilige Gott die Blase kreiert. Sie hatten gelernt, aus einer größeren eine eigene Blase zu erschaffen, jedoch immer nur unter Aufsicht.

„Sollen wir es zusammen versuchen?“

Mirabella nickte und sie konzentrierten sich auf ihre innere göttliche Energie, dehnten die äußere Hülle der Tempelblase mit ihren freien Händen, während sie über die verbundenen Hände die Energie des anderen spürten. Schließlich trauten sie sich in die kleine Ausbeulung zu steigen und eine kleine Blase spaltete sich von der großen ab.

Nikolaos setzte sich hin, den Rücken gegen die Blasenwand lehnend. Mirabella war zu aufgeregt, um sich zu setzen. „Fliegt die automatisch zum Olymp?“, fragte sie plötzlich.

„Glaub schon.“

„Und wenn man woanders hinfliegen möchte?“

„Dann muss man sie wohl lenken.“

„Ach, was. Meinst du geistig?“, fragte Mirabella gespielt beleidigt und setzte sich neben Nikolaos.

„Siehst du ein Lenkrad?“, antwortete ihr Bruder provozierend und grinste.

Mirabella boxte ihn liebevoll und musste auch grinsen. „Es ist alles noch so aufregend. In ein paar Monaten ist das wahrscheinlich voll die Routine für uns, aber im Moment finde ich es echt spannend.“

„Ist es ja auch“, gab ihr Bruder zu. „Offensichtlich können wir auch unsere Energie vereinigen. Meinst du, das geht auch bei der Telekinese?“

„Können wir ja ausprobieren, wäre cool.“

Sie planten eine Aikido Trainingsstunde mit telekinetischer Einlage und waren binnen Minuten wirklich im Olymp.

Die Blase dockte an und ging in die große, den gesamten Olymp umspannende Blase über, die hoch oben in der Erdatmosphäre über Griechenland schwebte. Sie standen in einem der vielen Säulengänge.

„Wie sollen wir hier Mars finden?“

Normalerweise waren sie in ihrem Klassenzimmer, natürlich auch eine Simulation, angekommen, aber nun standen sie in einem Gang, der in zwei Richtungen endlos zu führen schien. Plötzlich entdeckte Mirabella eine Tafel mit vielen Schriftzeichen an der Wand. „Oh, nein, das ist Griechisch. Nick…“

Ihr Bruder sah grinsend zur Tafel. „Da stehen die Namen der griechischen Götter. Also, wirklich, das Türschild hätten sie ja mal erneuern können, wenn sie sonst schon nichts mit den – ich zitiere – ‚griechischen Versagern‘ zu tun haben wollen.“

„Ich finde es gut, dass sie ihre früheren Identitäten nicht verleugnen. Auch wenn ich es leider nicht lesen kann…“

„Das Alphabeth ist nicht so schwierig. Ich kann dir helfen, es zu lernen.“

„Hm. Ist hier jetzt eine Klingel oder wie funktioniert das?“, fragte Mirabella ablenkend.

„Wir kommen, um dich zu fragen, Mars“, sprach Nikolaos laut, während er das Schild mit der Aufschrift ‚Ares‘ berührte. Die Jugendlichen warteten gespannt, als plötzlich eine Tür vor ihnen im Gang auftauchte. Nikolaos klopfte und öffnete dann die Tür.

„Kommt rein“, hörten sie eine bekannte und seitens Mirabella verhasste Stimme. „Was wollt ihr?“

Mars in seiner rauhen Schönheit in römischer Feldherrenbekleidung stand mit seinem Speer in der Hand in seinem Empfangszimmer. Mit Vulcanus hatten die Schüler den von ihm erbauten Olymp besichtigt. Jeder der Olympischen Götter besaß Räumlichkeiten hier, für den Besuch von Halbgöttern und Zwischenweltwesen gab es Empfangsräume, in denen die Götter Audienzen abhielten. Statuen, Rüstungen und Waffen schmückten das Vorzimmer von Mars, sein Helm mit roten Federn lag auf einem mittelalterlichen Stuhl, sein lockiges schwarzes Haar fiel wild in die Stirn, seine kalten grau-blauen Augen musterten die Jugendlichen interessiert.

Nikolaos räusperte sich. „Wir wollten fragen, ob wir heute eine Trainingseinheit durchführen können.“

„Ihr wisst, dass wir gerade Energie sparen müssen?“

„Jupiter sagte mir das, aber du solltest über die Simulation entscheiden.“ Nikolaos wirkte völlig ruhig, während Mirabella ihre Furcht vor Mars nicht ablegen konnte. Sie wippte nervös auf ihren Schuhsohlen.

Mars nickte gelangweilt. „Meinetwegen, eine einfache Simulation. Ohne Gegner.“

Nikolaos sah etwas enttäuscht aus.

„Ihr könntet natürlich in eine Zwischenwelt reisen und euch gegen echte Monster üben.“

Die Jugendlichen sahen sich an, Mirabella schüttelte schließlich den Kopf.

„Gut, wenn ihr Angst habt…“, sagte Mars verächtlich.

„Ich habe keine Angst“, schoss es wütend aus Mirabella heraus, „aber ich möchte nur üben und keine echten Monster bekämpfen, wenn es nicht sein muss.“

„Und du glaubst, diese Übungen bereiten dich genügend auf die echte Kampfsituation vor?“, fragte der Gott, ein spöttisches Lächeln umspielte seinen Mund. „Simulationen können einen nicht auf die Realität vorbereiten. Nichts kann das.“

„Mag sein, dass die reale Situation nicht vergleichbar ist, dennoch muss man die Technik üben“, gab Nikolaos angriffslustig, aber ruhig zurück.

„Natürlich“, erwiderte Mars. „Ich hätte nur mehr Mut von den Jupiterkindern erwartet...“

„Dann bring uns zu den Monstern!“, antwortete Nikolaos genervt.

„Jetzt lass dich nicht provozieren“, protestierte Mirabella. „Und wenn uns das Monster umbringt? Für nichts und wieder nichts? Ist doch bescheuert! Außerdem will ich keins töten.“

„Wir können es ja anders versuchen“, schlug Nikolaos vor.

Mirabella stutzte. Wollte er seine Suggestionsgabe üben? Mit echten Monstern würde man reden können, bei den Simulationen war dies nicht möglich. „Okay“, sagte sie schließlich in einem Ton, als würde sie dem Erdbeer- statt dem Vanilleeis zustimmen.

„Okay?“, fragte Mars verwundert. „Gut, ich werde ein Auge auf euch haben.“ Mit einer Handbewegung erschien ein Portal vor den beiden. Sie sahen sich ernst an und gingen dann gemeinsam durch das simulierte Tor.

Mirabella hatte auf ein Malleocornu gehofft, ein riesiges saurierartiges Tier mit einem hammerförmigen Horn, das in Flüssen lebte und eine sanfte Natur besaß. Vor ihnen stand jedoch ein anderes Wesen, das in das Verspeisen einer Kuh vertieft war. Sah man nur den Oberkörper, hätte man Gefallen an diesem menschlich wirkenden weiblichen Wesen mit den vollen Brüsten und den langen Rasta-Haaren finden können, leider wuchsen aus ihrem Unterleib mit vier behuften Beinen drei Köpfe von reißenden Bestien, die gierig an der Kuh nagten. In ihren Händen hielt es das noch schlagende Herz der Kuh und biss nun herzhaft mit ihrem menschlichen Mund hinein. Mirabella musste ihren Blick abwenden und sah zu Nikolaos, der ebenfalls angewidert Mirabellas Augen suchte. Sie sah sich nach dem Portal um, es war immer noch da.

Nikolaos folgte ihrem Blick und sah Mirabella fragend an. Sie zögerte, dann schüttelte sie den Kopf.

„Ist das eine Skylla?“, fragte sie flüsternd.

Nikolaos zuckte mit den Schultern. „Hatte die nicht sechs Köpfe?“

Als Mirabella wieder zum Ungeheuer sah, bemerkte sie, dass der Oberkörper sich ihnen zugewandt hatte und die menschlich wirkenden Augen die zwei Eindringlinge beobachteten.

„Sei gegrüßt!“, versuchte es Mirabella in Monstersprache.

„Was wollt ihr hier?“, fragte das Monster irritiert, sie beugte sich besitzergreifend über ihre Beute.

„Wir wollen… uns die Zwischenwelt ansehen. Wir sind zwei Jupiterkinder und wollen euch kennenlernen. Bist du eine Skylla?“

„Die Skylla? Nein, wir sind zwar verwandt, aber ich bin ein Trikephalon. Mein Name ist Jakla. Ihr habt Glück, dass ich gerade was zum Essen habe, sonst hätte ich euch schon längst gerissen.“

Mirabellas Augen weiteten sich leicht und sie übersetzte Nikolaos die Unterhaltung.

„Sollen wir weitergehen?“, fragte Mirabella etwas ratlos.

Nikolaos nickte und sie schritten über die Lichtung in Richtung eines Waldpfades, als Jakla plötzlich hinter ihnen stand. „Nicht so schnell, meine Kuh rennt mir nicht mehr davon. Ich kann doch kein Essen davonlaufen sehen.“

Mirabella blieb ruckartig stehen.

„Wir können dir viele, viele Kühe besorgen, du musst nicht uns verspeisen“, sagte Mirabella ruhig, sich langsam umdrehend. Aus den Augenwinkeln sah sie, dass Nikolaos die Augen konzentriert schloss.

„Wirklich?“, fragte Jakla in der Zwischenzeit.

„Klar, ich spreche mit Diana, sie kann dir sicherlich einige Kühe besorgen.“

Jakla beäugte Mirabella misstrauisch, erkannte dann das Mondgestein-Armband. „Du bist eine der Amazonen?“

Mirabella nickte und Jakla sah zu ihren Bestien hinunter, denen der Geifer aus dem Maul floss. Sie streichelte die Köpfe, während sie über das Angebot nachdachte. Mirabella überlegte, was sie machen könnte, wenn sich Jakla gegen den Deal aussprechen würde.

„Nun gut, ich glaube euch“, sagte das mehrköpfige Ungeheuer endlich. Etwas zögerlich, dann immer schneller trabte sie zu ihrer Kuh zurück. Mirabella sah erleichtert lächelnd zu Nikolaos, der die Augen öffnete.

„Wie machst du das?“

„Was? Die Suggestion? Ich konzentriere mich auf den Geist des anderen, versuche, seinen Willen zu brechen. Aber, ehrlich gesagt, war hier nicht viel zu brechen. Dass du Amazone bist, hat sie verängstigt.“

„Wenn ich sie zur Freundin haben will, sollte ich vielleicht wirklich Kühe besorgen. Von Diana.“

Nikolaos grinste leicht und sah an ihr vorbei. „Wir sollten das Portal nicht aus dem Auge lassen.“

Mirabella nickte. „Meinst du, wir könnten uns zur Not in den Jupitertempel transportieren lassen?“ Erst jetzt bemerkte sie, dass Nikolaos in der Bewegung eingefroren war und in Richtung Portal starrte. Sie folgte seinem Blick und sah Wald und sonst gar nichts. „Es ist weg, oder?“

„Schaut so aus. Dann müssen wir wohl auf Mars oder das Amulett vertrauen…“

Die Geschwister gingen weiter. „Hoffentlich kommen keine Riesen, mit denen kann man nicht verhandeln“, bemerkte sie beunruhigt. Zweimal schon befand sich Mirabella in der Pranke eines Riesen, einmal halfen ihr die Amazonen, das andere Mal, während ihrer Prüfung, kam sie nur um Haaresbreite mit dem Leben davon.

„Wahrscheinlich ist ihr Geist aber ausreichend primitiv für Suggestion.“

„Ja, das könnte stimmen.“ Sie lachte, wenngleich sie wusste, dass Riesen nicht Monster im eigentlichen Sinne waren. Es waren primitive Götter und wahrscheinlich nicht so leicht zu beherrschen. Plötzlich blieb sie stehen. „Hatten wir nicht eigentlich üben wollen? Also, Aikido.“

„Stimmt. Sollen wir?“

Die beiden sahen sich um, eine kleine Lichtung in der Nähe schien geeignet. Monster konnten sie keine entdecken und so trainierten sie eine Kata und übten sich vorsichtig im Zweikampf, niemand wollte den anderen ernsthaft verletzen. Nach einiger Zeit vergaßen sie ganz, dass sie von Monstern umgeben waren und ruhten sich erschöpft im Gras aus.

Wie schon oft im Olymp lagen sie nach dem Training nebeneinander und starrten in die Wolken. Mirabella hatte immer die Unterhaltungen mit ihrem Bruder, die entspannte Stimmung und die Verbundenheit genossen. Seit der Prüfung jedoch quälte es sie, vor Nikolaos ein Geheimnis zu haben, aber die Angst, ihn zu verlieren, ließ sie auch jetzt wieder zögern. Was, wenn sich danach alles zwischen ihnen ändern würde, wenn er sie nicht mehr als Olympierin, als seine Schwester und beste Freundin ansehen würde? Andererseits, war er nicht ihr bester Freund? Teilte man nicht mit seinen Freunden die Sorgen?

„Nick?“

„Ja?“

„Ähm, ich wollte dir schon länger…“

„Pscht! Da ist was!“, unterbrach er sie und Mirabella schwieg.

Tatsächlich hörten beide ein Rascheln im Laub, dann ein Schnauben. Zwischen den dichten Büschen sah man nur so eine Art Schatten, der sich bewegte, dann mehrere dunkle Konturen. Schließlich bewegten sich die Büsche und plötzlich stand eine Herde wildschweinartiger Wesen am Rand der Lichtung. Die Jugendlichen waren aufgesprungen und langsam rückwärts in die andere Richtung gelaufen.

„Sind das solche wie bei Herkules?“, zischte Mirabella leise.

„Ich weiß nicht, aber auch wenn sie verwundbar wären, wir haben gar keine Waffen. Für Suggestion sind es zu viele, ich weiß gar nicht, auf wen ich mich da konzentrieren sollte…“

Mittlerweile standen über zehn riesige haarige Wildschweine mit ein paar Jungtieren auf der Lichtung und starrten auf die beiden Jugendlichen, die sich nicht trauten, sich zu bewegen. Ein Eber war besonders groß, seine Hauer erinnerten eher an dicke Säbel als an Zähne, Blut klebte an ihnen. Mirabella schluckte und sah zu Nikolaos hinüber.

„Beweg dich nicht!“, flüsterte er. „Meinst du, wir schaffen es rechtzeitig auf einen Baum?“

„Und wenn sie die umstürzen, die Bäume hier sind ziemlich klein.“

„Was schlägst du dann vor?“

Sie überlegte kurz. „Eine Feuerwand. Das verschafft uns Zeit.“

„Okay“, stimmte Nikolaos zu, „vielleicht finden wir ja eine Höhle.“

Mirabella schwang blitzschnell ihre Hand und kreierte einen Blitz. Die Wildschweine schraken zurück. Sie konzentrierte sich erneut und setzte mehrere kleine Blitze in einer Reihe, bis eine mannshohe Feuerwand auf der Lichtung brannte. Die Jugendlichen rannten tiefer in den Wald, so schnell sie konnten, die Bäume wurden wieder höher, Felsen tauchten mal auf der einen, mal auf der anderen Seite auf, als ihnen plötzlich ein riesiger Stein auffiel, der in einem Felsenloch zu stecken schien. „Dahinter ist vielleicht eine Höhle!“, rief Nikolaos aufgeregt. „Meinst du, wir können den Stein zur Seite schieben?“

Sie lauschte in den Wald und hörte am Knacken der Äste und Rascheln des Laubes, dass die Wildschweine ihre Fährte aufgenommen hatten, sie würden bald hier sein.

„Okay, wir müssen uns beeilen.“

Beide schlossen ihre Augen und konzentrierten sich auf den Felsen. Er war ungeheuer massiv und bewegte sich keinen Zentimeter.

„Wir müssen die Kräfte vereinen.“ Er ergriff ihre Hand, sie spürte seine warme leicht verschwitzte Haut und seine Energie. Gemeinsam konzentrierten sie sich auf ihre vereinte Kraft und versuchten erneut, den Felsen zu bewegen. Sie hörten ein schabendes Geräusch am Boden, der Fels bewegte sich, langsam, aber er bewegte sich. Der entstandene Spalt war sehr schmal.

„Mira, versuch es mal.“

Sie steckte ihren Kopf in den Spalt, sie musste den Kopf seitwärts drehen und sich durch den Spalt drücken, aber sie kam durch. Nikolaos folgte ihr, sein Brustkorb war jedoch kräftiger und er schien festzustecken. „Sie sind da! Zieh!“

Sie hörte draußen das Schnauben der Wildschweine und zog am Arm ihres Bruders mit voller Kraft. Mit einem Ruck stürzte er in die Höhle hinein und auf sie drauf. „Aua!“

„Sorry, danke!“ Beide mussten lachen, bis sie die Wildschweinschnauze im Felsspalt sahen.

„Wir müssen den Spalt wieder schließen.“

Sie konzentrierten sich erneut und schoben den Fels mittels ihrer Kräfte ein Stück zurück. Das Wildschwein zog sich quiekend zurück und scharrte verärgert mit seinen Hufen vor dem Felsbrocken.

„Ich suggeriere jetzt dem Anführer, dass es woanders etwas zum Fressen gibt“, erläuterte Nikolaos und schloss die Augen.

Durch den Spalt fiel kaum Licht in die Höhle. Mirabella sah sich misstrauisch um, ihr Instinkt gebot Vorsicht. Sie kreierte einen Energieball, der ein warmes Licht in die Höhle warf. Im Schein des Lichtes nahmen die Schatten Gestalt an und sie erschrak mit einem leisen Schrei des Entsetzens. Ein riesiger Stuhl samt Tisch und ein riesiges Bett ließen keinen Zweifel darüber aufkommen, dass dies die Höhle eines riesenhaften Diplopoden, eines Zweifüßlers, war.

„Was ist?“, fragte Nikolaos irritiert und öffnete die Augen. Sein Blick fiel auf Mirabella, dann auf den Stuhl und zurück zu ihr.

„Riesen?“

„Oder ein Zyklop“, antwortete sie schwer. Zyklopen, riesige einäugige humanoide Wesen, waren in der Regel nicht so aggressiv wie die Riesen und hielten sich auch besser an die Vereinbarungen mit den Göttern, aber schwören hätte Mirabella darauf auch nicht wollen. „Wenn es Zyrron oder Pyr wären, wäre es kein Problem, aber wie wahrscheinlich ist das…“

Kaum hatte sie dies ausgesprochen, erzitterte die Erde. Bam, bam, bam, die Schritte eines riesigen Wesens erschütterten den Boden.

„Was macht ihr denn hier?“, schnauzte eine rauhe unbekannte Stimme die Wildschweine draußen an. In Riesensprache. Es konnte immer noch ein Zyklop sein, die Monster sprachen jeder ihre eigene Sprache, wie auch die Tiere. Mirabella verstand sie automatisch, das lief über ihre göttliche Hälfte, sie hätte nicht erklären können, wie es genau funktionierte, ihr Gehirn verstand direkt, was gesagt wurde. Die verschiedenen Monster untereinander sprachen jedoch in der Sprache der Riesen, sie stellte ihre Verkehrssprache dar. Riesen und Zyklopen beherrschten meist auch Griechisch oder Latein, wodurch sie sich mit den antiken Helden hatten verständigen können.

„Zeit zu verschwinden!“, zischte Mirabella und ergriff ihr Amulett, küsste und öffnete es. „Te aper-i!“

Nikolaos wollte es ihr gleichtun, aber sein Amulett ließ sich nicht öffnen. „Es ist verbogen. Ich schätze, als du mich durch den Spalt gezogen hast.“

Mirabella sah entsetzt zu ihrem Bruder. „Können wir mit einem zusammen reisen?“

„Keine Ahnung“, Nikolaos sah nervös zum Spalt, der sich plötzlich vergrößerte. Sie gab ihm ohne weiteres Überlegen ihre Kette. Ihre Eintrittskarte zum Olymp.

„Benutze sie, mach schnell, ich nehme das Armband.“

Sie konzentrierte sich auf den Mond und brachte ihn zum Glühen, dann drehte sie ihn dreimal. „Minerva!“

Verschwommen nahm sie wahr, wie ein Riesenkopf hinter dem Felsen erschien und Nikolaos das Jupiterhaar in der Hand hielt, dann befand sie sich in einem dunklen Raum, nur ihr kleiner Mond am Armband leuchtete. An der Wand machte Mirabella ein Bildnis der Minerva aus und atmete erleichtert aus. „Nick?“

Wenn alles gutgegangen war, dann sollte Nick nun im Nebenraum, in Jupiters Cella, materialisiert sein. „Mira?“

Gleichzeitig stürmten sie aus ihren Kammern und fanden sich im Säulengang wieder, jeder mit einem breiten Lächeln der Erleichterung auf dem Gesicht.