Kitabı oku: «Mirabella und die Neun Welten», sayfa 4

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„Stimmt etwas nicht?“, fragte Marcus

„Ach nichts, nur Nikolaos hat nicht gratuliert, dabei hatten wir gestern noch davon gesprochen.“

„Der meldet sich schon noch. Was ist mit Greta?“

„Oh, nein, sie hat sich auch nicht gemeldet. Von den Verwandten nur die jungen.“

„Die älteren haben halt deine Nummer nicht, die Großeltern haben schon bei uns angerufen, melden sich nachher noch mal.“

Das Geburtstagskind nickte und lächelte leicht gequält, sie vermisste außerdem Bert, fiel ihr auf.

„Orangina?“, fragte Marcus schmunzelnd.

Sofort stahl sich ein Lächeln zurück in Mirabellas Gesicht. „Immer!“

Mit drei Kaffees, Yasmin brauchte angeblich zwei, und vier Oranginas, der Nachmittag wäre lang, kehrten sie zurück. Marcus schaute ständig auf sein Handy und lächelte plötzlich. Als sie um die Ecke bogen und Mirabella freien Blick auf die Terrasse vor ihrem Bungalow hatte, ließ sie beinahe die Limonaden fallen.

„Nick?!...Jupiter…Greta…Bert!“ Alle drei genannten humanoid-aussehenden Wesen standen neben Yasmin. Bert, der Beo, saß auf Yasmins Schulter. Nikolaos winkte ihr lächelnd zu, eine Kette schwenkend, Greta hielt einen Kuchen mit Kerzen in der Hand und Jupiter sah aus wie ein Mafiosio aus einem „Der Pate“-Film. Er trug einen hellen Sommeranzug ohne Krawatte, Sonnenbrille und einen weißen Strohhut. Seine schwarzen Locken glänzten gegelt. Mirabella musste ein Grinsen unterdrücken und lief, so schnell es mit den vier Limonaden in der Hand ging, zu der kleinen Gruppe, drückte Yasmin die Flaschen in die Hand und wollte schon Greta umarmen, als ihr auffiel, dass sie Jupiter wahrscheinlich als erstes begrüßen sollte. Sie verbeugte sich vor ihm, und er gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Die besten Wünsche zu deinem Geburtstag, mein Kind!“

Mirabella bedankte sich und umarmte dann Greta und Nikolaos, die ihr beide gratulierten.

„Wie seid ihr denn hergekommen?“

„Mit Bulla-Express natürlich!“ Nikolaos grinste. Jetzt erkannte Mirabella auch, welche Kette er in der Hand hielt.

„Mein Amulett?“

„Ja, hier, bitte!“

„Und deins?“

Nikolaos klopfte auf seine Brust, er trug das Amulett wohl unter seinem T-Shirt. Die Zuhälter-Goldkette, wie er sie bezeichnete, hatte er vor langer Zeit gegen ein einfaches Lederband eingetauscht. „Frisch von Vulcanus und Jupiter repariert.“

„Cool. Und danke, dass ihr gekommen seid, das ist ja so eine tolle Überraschung!“

„Wie geht es Maya und den Kleinen?“, fragte sie nun Bert, der auf ihre Schulter geflogen war.

„Gut, sie wäre gerne mitgekommen, aber die Kleinen sind noch nicht flügge.“

„Danke für die Uhr, Vater!“, erinnerte sich Mirabella nach einem Blick von Yasmin. „Kannst du mir erklären, wie die funktioniert?“

Jupiter lächelte. „Gerne, aber ein anderes Mal, ich muss jetzt wieder aufbrechen, ich wünsche dir noch einen schönen Tag. Mein Geschenk an dich, abgesehen von der Uhr, sind dieses Mal Energieeinheiten, wir sprechen noch darüber. Überlege dir gut, wofür du sie ausgibst.“

Sie nickte, bedankte sich artig und Jupiter schwebte davon. Nikolaos wartete einen Moment, während Yasmin in der Zwischenzeit die Kerzen anzündete. Als er Jupiter weit genug weg wähnte, trat er zu Mirabella. „Ich wollte eigentlich Toni und Luk auch mitnehmen, aber Jupiter hat es nicht erlaubt“, erzählte er bedauernd.

„Wegen Energieverschwendung?“

„Nee, glaube, weil es Menschen sind.“

„Och, wie albern.“

„Ja, ein echter Snob!“

Yasmin lachte. „So, ihr zwei, kommt mal her.“

Alle versammelten sich um den Tisch und Mirabella musste ihre fünfzehn Kerzen auspusten, was sie ohne große Anstrengung schaffte.

„Schoko-Kirsch-Kuchen?“, fragte sie Greta lächelnd.

„Natürlich, Princessa!“

Yasmin verteilte die Kuchenstücke, als Mirabella auf der Terrasse noch zwei Päckchen entdeckte. Ein säuberlich mit Geschenkpapier verpacktes Paket mit rosa Schleife. Rosa und weiße Rosen zierten das Papier. Daneben stand ein Paket, das in Zeitungspapier gewickelt war. Man konnte erkennen, dass der Verpacker mit der Verpackung Kämpfe ausgetragen hatte, die deutliche Spuren hinterlassen hatten, Risse und Falten zeugten von einer gewissen Unbeugsamkeit des Zeitungspapiers, dicke Bahnen von Klebestreifen versuchten den Widersacher im Zaum zu halten. Mirabella musste grinsen, als sie die beiden Pakete sah. Nikolaos folgte ihrem Blick.

„Eines ist von mir.“

„Welches nur?“, fragte Mirabella gespielt ernst, konnte jedoch ein Grinsen nicht unterdrücken.

„Ich nenne das kreativ“, verteidigte sich Nikolaos zwinkernd.

„Du packst wohl nicht oft ein, oder?“

„Sei froh, dass du überhaupt ein Geschenk bekommst!“

Mirabella wurde ernst. „Dass ihr alle da seid, ist eigentlich Geschenk genug!“

„Mach sie schon auf!“, sagte nun Greta zärtlich. Mirabella öffnete vorsichtig, das schöne Geschenkpapier schonend, das Paket von Greta. Es enthielt ein Buch über berühmte Nymphen und eine zierliche blaue Phiole.

„Was ist da drinnen?“

„Isarwasser. Wann immer du durstig bist, kannst du daraus trinken.“

Mirabella sah sie verwundert an.

„Es füllt sich von selbst nach?“, fragte Nikolaos neugierig. Greta nickte lächelnd. Jetzt verstand auch Mirabella die Bedeutung. „Das ist ja phantastisch, danke!“ Sie umarmte ihr Kindermädchen und holte dann das Geschenk ihres Halbbruders an den Tisch. Sie zerriss das Zeitungspapier ungestüm. „Gut, dass ich es nicht sorgsam verpackt habe…“, grinste Nikolaos.

„Dann würde ich es auch sorgsam auspacken“, konterte Mirabella.

Das Zeitungspapier umgab einen Schuhkarton, rosa Turnschuhe mit Blinklicht waren abgebildet und Mirabella stutzte kurz.

„Olympias“, ergänzte Nikolaos. Seine kleine Schwester war acht Jahre alt. Mirabella nickte und öffnete den Karton. Zwei Karten und eine kleine Statue einer Balletttänzerin kamen zum Vorschein. Mirabella ergriff erst die Statue, sie war grazil und klassisch, schien aus Marmor zu sein.

„Das ist nicht irgendeine Statue. Diana hat ihr die Kraft verliehen, alle Schritte und Tanzfolgen zu tanzen, die du gerade lernen musst. Du kannst dann mit ihr wiederholen.“ Mirabella tanzte seit ihrem fünften Lebensjahr Ballett.

„Und hübsch ist sie auch!“, stellte Yasmin fest.

„Oh, das ist aber cool, danke!“ Spontan umarmte Mirabella ihren Bruder zum Dank, ließ ihn dann aber schnell los, um neugierig nach den Karten zu fingern. Ein Datum im September war aufgedruckt, in Rom. „Terra fottuta?“ Gretas Augenbrauen stiegen leicht indigniert an.

Nikolaos unterdrückte ein Grinsen. „Das ist die Band von Timo, zwei Konzertkarten.“

„Oh, wow, danke!“ Erneut umarmte sie ihn, bis ihr auffiel, dass es schon das zweite Mal war. Leicht errötet sah sie ihn an. „Ähm, ja, danke. Lasst uns Kuchen essen!“

Mirabella erzählte gerade von Delphine und der Meernixe, als Marcus aufstand, zum Strand hinunterlief und aufs Meer starrte. Sie sah sich beim Reden um und blickte zu Yasmin. „Bekommt er wieder seinen Birthday Blues? Mein Papa hat an jedem Geburtstag von mir eine kurze depressive Phase“, erklärte sie Nikolaos. „Weil ich älter werde, wird ihm das Altwerden bewusst.“ Sie sah zu Yasmin. „So hast du das immer interpretiert.“ Yasmin sah leicht betreten zu Greta.

„Naja“, sie sah zu Mirabella zurück, „früher konnten wir dir den wahren Grund ja nicht sagen. Dein Geburtstag ist nicht nur ein freudiges Datum für Marcus…“

Der Groschen fiel und Mirabella sah sich bestürzt nach ihrem Onkel um. „Aber natürlich! Es ist auch der Todestag von Helena“, seiner Schwester und Mirabellas Mutter, „und der meines Zwillingsbruders.“

Ehe Nikolaos reagieren konnte, lief Mirabella spontan zu ihrem Onkel und umarmte ihn wortlos. Sie sah Tränen in seinen Augen glitzern, als er sie kurz erstaunt ansah, dann drückte er sie fest an sich.

„Ich bin so froh, dass wir dich haben, Mira!“ Das junge Mädchen spürte, wie Tränen über ihre Wangen liefen, dennoch lächelte sie glücklich.

Als sie wieder zum Tisch zurückkehrten, waren Yasmin und Greta am Abräumen und Nikolaos versuchte, Bert zu unterhalten.

„Warum hast du die Totgeburt von deinem Zwilling nie erwähnt?“, fragte Nikolaos, der inzwischen wohl Yasmin ausgefragt hatte. Er schien fast etwas beleidigt.

„Ich habe es selbst erst vor kurzem von Vesta erfahren und dann irgendwie wieder vergessen, er ist schließlich tot.“ Durch Juno hatte sie erfahren, dass die Umstände ihrer Geburt mysteriös waren, sie hatte fremde Mächte vor Ort gespürt, aber darüber wollte Mirabella nicht reden, mit niemandem.

Nikolaos schien nicht völlig befriedigt, aber rang sich dann zu einem Lächeln durch. „Die Welt hätte wahrscheinlich auch nicht zwei solche wilden Feuerköpfe vertragen!“

Mirabella boxte ihn in die Seite. „Und das an meinem Geburtstag! Ich verzeihe dir nur, wenn du mit zu den Delphinen kommst!“

Die Bootstour auf der Suche nach freien Delphinen war ein interessantes Erlebnis, Marcus und Yasmin hatten ein Unternehmen ausgesucht, das mit einer Delphinschutzorganisation zusammenarbeitete, um nachhaltige Delphinbegegnungen zu unterstützen. Sie mussten einige Zeit fahren, da die Delphine durch zu viele und falsch geführte Touren aus ihren ursprünglichen Gewässern vertrieben worden waren. Als sie eine Herde fanden, glitten Nikolaos und Mirabella langsam ins Wasser. Da Mirabella mit den Delphinen sprechen konnte, wurden die Tiere zutraulich und schwammen um sie herum. Mirabella war entzückt von den Jungtieren und auch Nikolaos beobachtete begeistert die edlen Säugetiere. „Nicht anfassen!“, hatte der Tourenleiter Tom gesagt. Wegen möglicher Krankheitsübertragungen. Die Meeresbewohner waren jedoch hocherfreut, dass ein Mensch mit ihnen sprach, sonst konnten das nur Meermenschen und natürlich Neptun. Sie klagten Mirabella ein wenig ihr Leid, sie würden ja die Menschen mögen, die meisten zumindest, aber diese lauten Motorboote würden sie sehr stören. Mirabella versprach, die Informationen weiterzugeben. „Bist du Mirabella, das Geburtstagskind?“, fragte schließlich ein neugieriger halbwüchsiger Delphin.

„Ja, woher kennst du meinen Namen?“

„Von den Meernixen.“

Mirabella lächelte erfreut. „Hier bleibt wohl nichts unbemerkt!“, stellte sie lachend fest.

„Wenig“, gab der Delphin zu. „Magst du eine Runde an meiner Rückenflosse schwimmen?“

Mirabella strahlte, dann verschwand das Lächeln wieder. „Aber wir sollen euch nicht anfassen.“

„Das ist an sich auch sinnvoll, aber ich denke, bei dir können wir eine Ausnahme machen. Wenn du magst.“

„Und ob!“ Mirabella griff im Wasser nach der Rückenflosse und hielt sich fest, während der Delphin immer schneller zu schwimmen begann. Zweimal umkreiste er in einem großen Bogen das Boot und Mirabella genoss die Geschwindigkeit, spürte die Kraft des jungen Delphins und winkte Nikolaos zu, der sie beobachtete.

Wenig später fuhr das Boot zurück. Der Tourenleiter hatte Mirabella leicht argwöhnisch und etwas verärgert beäugt, als sie an Bord gekommen war. Mirabella erzählte jedoch unbeirrt, was die Delphine gesprochen hatten, woraufhin Tom die Augenbrauen in die Höhe zog, er verstand etwas Deutsch. Marcus musste versprechen, mit den Veranstaltern über die Möglichkeit von Elektrobooten zu sprechen.

Nach einem leckeren Dinner am Strand verabschiedeten sich die Besucher. Die Halbgötter konnten noch nicht Blasen aus dem Nichts kreieren und wussten auch noch nicht, sie für später aufzuheben, daher wollte Nikolaos via Amulett in Jupiters Tempel reisen, dort eine Blase kreieren, Greta und Bert auf Sansibar abholen und zurückfliegen.

„Wie umständlich!“, entfuhr es Greta. Die Isarnymphe öffnete ihre langen schwarzen Haare, die sie immer zu einem strengen Dutt frisiert hatte, wirbelte zweimal im Kreis und verschwand in einer Blase. Eine Sekunde später steckte sie den Kopf hinaus. „Kommst du, Nick?“

„Äh, klar.“

Auch Bert flog hinein und die drei Besucher schwebten nach Hause.

5 - DIE HÜTERIN DES FEUERS

Am nächsten Tag besichtigten Mirabella und ihre Eltern den Jozani Chwaka Bay Nationalpark auf Sansibar und entdeckten mehrere der berühmten roten Sansibar-Stummelaffen. Marcus und Mirabella genossen die Wanderung, während Yasmin die Hitze etwas zu schaffen machte. Nach dem Mittagessen kehrten sie zu ihrem Bungalow zurück.

„Ich muss mich jetzt erst mal hinlegen!“ Mit diesen Worten verschwand Yasmin im Schlafzimmer. Marcus trank schmunzelnd einen Schluck Cola. „Wollen wir bisschen Beachball spielen?“, schlug er vor und Mirabella stimmte begeistert zu. Yasmin liebte Spazierengehen, Wandern („nicht bei 35 Grad!“), Radfahren und Schwimmen, für andere Sportarten konnte sie sich jedoch nicht begeistern. Von klein auf war Mirabella mit ihrem Adoptivvater in verschiedensten Sportarten gefördert und gefordert worden. Skifahren, Tennis, Klettern, Bladen, früh schon war sie als Halbgöttin ein ebenbürtiger Partner für Marcus gewesen, der sich insgeheim gewundert, aber bis vor kurzem keine Erklärung für Mirabellas Stärke und Geschicklichkeit gehabt hatte.

Die beiden gaben keinen Ball verloren, hechteten über den Sand und sprangen wild dem Ball entgegen. So verbissen das Spiel aussehen mochte, sie hatten Spaß daran und lachten immer wieder über misslungene Manöver. Marcus lief der Schweiß in Strömen und auch Mirabella war erhitzt, als er plötzlich in der Bewegung innehielt. „Dein Armband leuchtet.“

Die junge Halbgöttin sah zum Geschenk von Diana, der Mond leuchtete tatsächlich goldgelb.

„Oh“, Mirabella überlegte, bis ihr der Traum von gestern einfiel. „Ich muss zu Vesta.“

„Okay, ich kann eh eine Pause vertragen…“, Marcus lächelte schief und packte die Schläger und den Ball zusammen.

Mirabella erwiderte das Lächeln. „Bis später, keine Ahnung, wie lange es dauert.“

„In Gesellschaft mit Vesta mache ich mir keine Sorgen und wahrscheinlich nicht einmal Yasmin…“, ein Augenzwinkern begleitete seine Aussage und Mirabella musste lachen. Yasmin war manchmal etwas überbesorgt und Marcus spottete regelmäßig darüber. Die Jungfräulichkeit, so hatte es Mira zumindest beschrieben, welcher der Vestalinnendienst forderte, schien Jasmin sogar sehr zu beruhigen. Sie hatte immer etwas Angst gehabt, Mirabella könnte ein ähnliches Schicksal wie ihre viel zu früh schwanger gewordene Mutter ereilen. Die junge Halbgöttin rannte auf ihr Zimmer, zog ein schlichtes Sommerkleid über den Bikini und drehte den Mond dreimal. „Vesta.“

Im nächsten Augenblick stand Mirabella im Heiligtum der Göttin des Herdfeuers und der Familieneintracht, in moderneren Zeiten war sie zur Chef-Diplomatin der Olympier ernannt worden. Über ihnen schwebte ein Energieball zur Beleuchtung des Raumes und vor Mirabella saß Minni Mouse im rosa Kleid mit weißen Punkten. „Vesta?“, fragte Mirabella unsicher lächelnd. In dem Moment nahm die Göttin ihre gewohnte antike Gestalt an und seufzte. „Ich habe Herkules und Iuventas gerade ins Euro-Disney begleitet, Jupiter hat allen befohlen, möglichst viel Energie zu generieren…“ Mirabella grinste breit. „Und haben dich viele kleine Mädchen bewundert?“

Vesta nickte und vollführte eine wegwerfende Bewegung mit ihrer Hand. „Und nicht nur die Mädchen!“

Sie machte eine kleine Pause und sah Mirabella ernst an. „Aber nun zu uns. Du bist gestern fünfzehn geworden. Herzlichen Glückwunsch übrigens!“

„Danke“, hauchte Mirabella fast etwas eingeschüchtert. „Die Vestalinnen“, fuhr die Göttin fort, „kamen zu mir früher im Alter von sechs bis zehn Jahren und verpflichteten sich für eine mindestens dreißigjährige Dienstzeit.“

Mirabellas Augen wurden groß und ihre blasse Haut schimmerte noch ein wenig bleicher.

Vesta lächelte. „Keine Angst, ich werde dich nicht für dreißig Jahre verpflichten, du kannst gehen, wann immer du möchtest. Während du jedoch bei mir bist, verlange ich vollen Einsatz und Gehorsam mir gegenüber. Du musst dich außerdem von allen emotionalen Abhängigkeiten versuchen zu lösen.“ Sie sah Mirabella ernst an und diese nickte zum Zeichen des Verstehens, diesen Punkt hatten sie schon mehrfach erörtert. Die Berufung zur Vestalin brachte Gefahren, Unabhängigkeit und Ungebundenheit sollten vor Erpressungsversuchen schützen.

„Du wirst mich nicht nur zu den Verhandlungen mit dem Norden und anderen Gebieten begleiten, die sechs Vestalinnen waren früher für das konstante Lodern der Flamme im Tempel zuständig. Im oberen Tempel“, die Ruinen des Resttempels an der Oberfläche, „brennt kein Feuer mehr, wichtig ist das Innere hier.“ Mirabella und die Göttin befanden sich in der Zwischenwelt des Vesta-Heiligtums. Hier stand ein komplett erhaltener Tempel. Im Innenraum des Originaltempels, zu dem früher nur die Vestalinnen und der Pontifex Maximus, der Hohepriester, Zutritt hatten, wurden wichtige Dokumente und Artefakte aufbewahrt, beispielsweise das Palladion, die Statue aus Troja, welche nun als eine der beiden Zwillingsstatuen bekannt war. Hier in der Zwischenwelt versperrte eine schwere Metalltür den Weg ins Innere. Mirabella hatte bereits mit Vesta und den Schülern zusammen diesen Tempel besucht. Zwei Olympische Götter waren notwendig, um den Schlüssel für die Metalltür zu formen, dessen Gestalt sich ständig änderte. Jeder der Götter gab ein Artefakt, um die Statue zu schützen.

„Erinnerst du dich, an die ‚Kammer des Schreckens‘, wie Leon sie getauft hatte?“

Mirabella nickte. „Dieses Feuer muss ich am Laufen halten?“

„Du musst verhindern, dass jemand hier eindringt und die Statue geklaut wird. Das Feuer selbst ist meine Gabe zum Schutz, es ist ein Teil von mir selbst und wird brennen, solange ich existiere. Sollte es jemandem gelingen, das Feuer zu löschen, schwindet all meine Energie.“

„Könntest du dann sterben?“, fragte Mirabella entsetzt.

„Ich könnte aufhören zu existieren.“

Mirabella schluckte. „Und früher waren es sechs Vestalinnen?“

„Ja, aber sie hatten auch andere Aufgaben, ich zeigte mich den rein menschlichen nicht. Das Feuer oben war ein rein irdisches.“

„Bin ich jetzt die einzige Vestalin oder gibt es andere?“

„Nein, es wird nur dich geben. Die Kinder der anderen Götter erhalten meist genug andere Aufgaben und in Friedenszeiten empfand ich es nicht als notwendig, jemanden auszubilden, aber die Zeiten haben sich geändert... Und du weißt, dass die Statue dich erwählt hat. Bist du dir sicher, dass du diesen Schritt gehen willst?“

Mirabella schluckte leicht und nickte. „Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich das machen muss.“

Vesta betrachte das junge Mädchen ernst. „Den Willen der Statuen kann selbst ich nicht beeinflussen, aber du hast meine volle Unterstützung. Als ältere Schwester deines Vaters bin ich so eine Art Patentante zu dir, wie ich dir bereits sagte. Ich hoffe, unser Verhältnis wird ein enges, aber ich rate dir: binde dich emotional nicht zu stark.“

Mirabella nickte erneut, hörte ihren eigenen Atem und spürte Gänsehaut an Armen und Beinen.

„Nun trete näher. Traditionell sagte der Pontifex Maximus etwas Ähnliches, mein Spruch betrifft natürlich unsere Welt. Knie nieder.“

Mirabella sank auf ihre Knie und beugte das Haupt. Vesta legte dem Mädchen ihre rechte Hand auf den Kopf und sprach feierlich: „Sacerdotem Vestalem, quae sacra faciat, quae ius sciet sacerdotem Vestalem facere pro genti intermundo Olympiisque, uti quae optima lege fuit, ita te, amata Mirabella, capio.“ (Dich, geliebte Mirabella, ergreife ich als vestalische Priesterin, die die heiligen Handlungen ausführen soll, wie sie die Vestalin nach Recht und Gesetz zum Wohle der zwischenweltlichen und Olympischen Geschlechter auszuführen hat.)

Mirabella spürte, wie Energie auf sie überging, die vom Kopf abwärts durch ihren Körper strömte. Ihr Armband begann wieder zu glühen. Nun nahm Vesta ihre Hand von Mirabellas Kopf und gebot ihr aufzustehen.

Sie ergriff die Hand der jungen Vestalin und führte sie zur Metalltür. Mit ihrer und Vestas Hand gemeinsam formten sie einen Schlüssel, der die Metalltür aufsperrte. Vesta öffnete jedoch nicht die Tür, sondern verschloss sie sogleich wieder und ließ Mirabellas Hand los.

„Ich dachte, es braucht zwei Vollgötter dafür“, sagte die neu geweihte Vestalin erstaunt.

„Ein Gott kann durch eine Vestalin ersetzt werden. Sage mir nun, welche Schutzmaßnahmen existieren im Inneren?“

„Dein Feuer unter der Statue im Boden, das die gesamte Fläche in Brand setzen könnte. Minerva spendete ihr Ziegenfell mit dem versteinernden Medusenhaupt, das durch die Spiegel der Venus in alle Richtungen blickt. Jupiters Adler kommt geflogen und pickt die Augen aus. Neptuns Dreizack spaltet die Erde, so dass der Dieb in einem Spalt verschwindet. Ein Fangnetz von Vulcanus fällt von der Decke.“

Mirabella überlegte weiter. „Mars hat einen Speer gegeben, Diana Pfeil und Bogen, Herkules seine Keule, Ceres die Doppelaxt, die zielen alle auf den Dieb.“

„Und Apoll?“

„Dessen Kitharaspiel schläfert den Dieb ein, ein unwiderstehlicher Krug mit Wein von Bacchus soll ihn betrunken machen.“

„Wer lauert noch?“

„Ach ja, Nyx, der Bruder des Zerberus.“ Zerberus war der dreiköpfige Höllenhund, ein fürchterliches Ungeheuer.

„Du hast noch jemanden vergessen. Merkur.“

„Oh, stimmt, der Meister der Magie, der macht die Statue unsichtbar. Für alle außer dich und Merkur.“

„Und dich.“

„Stimmt“, Mirabella erinnerte sich, dass sie damals beim kurzen Öffnen der Tür, als Vesta und Merkur der Schulklasse die Kammer zeigten, die graue unscheinbare Statue sehen konnte.

„Was ich noch nicht verstanden habe, am wahrscheinlichsten ist es doch, dass die Nordischen Götter die Statue stehlen wollen. Das sind doch Energiewesen wie ihr, oder? Können die nicht einfach durch die Wand und die Statue mitnehmen?“

Vesta lachte. „Zum Glück nicht. Wir können zwar Materie teleportieren, Gegenstände und auch euch Halbgötter, aber die Wände und Tür dieses Innenraums lassen keine Teleportation zu, weder hinein, noch hinaus. Das Innere ist außerdem so beschaffen, dass wir eine Form annehmen müssen, reine Energiewesen, die sich nicht in einen Körper verwandeln, leiden hier größte Qualen. Das ist das Werk von Vulcanus, wirklich genial. Am besten ist jedoch, dass die Statue nicht teleportiert werden kann. Wir wissen nicht, warum, aber die Statue kann nur auf irdischem Wege transportiert werden. Es muss also jemand Körperliches hineingehen und sie als Statue hinaustragen, anders kann man sie nicht stehlen.“

„Wow, könntest du überhaupt unbeschadet hineingehen?“

Vesta zögerte. „Nur, wenn alle Götter ihren Artefakten Einhalt gebieten, kann der Raum unbeschadet betreten werden. Ich kann über die Feuerstelle, wie ich dir vorhin erklärte, jederzeit in den Raum einblicken.“

„Natürlich.“ Mirabella überlegte. „Und wie merke ich, dass hier jemand eindringen will?“

„Dir ist von mir nun eine gewisse Macht verliehen worden. Du kannst deinen göttlichen Energieanteil jederzeit hierher teleportieren, dieser Teil spürt, wenn Gefahr droht, es wird eine untrennbare Verbindung mit dem Heiligtum aufgebaut werden, langsam. Du wirst es spüren. Allerdings kann der Energieteil nur beobachten. Wenn du körperlich anwesend sein möchtest, musst du Dianas Armband verwenden.“

Sie konnte ihren Energieanteil vom Körper trennen und hierher entsenden? Mirabella wurde es heiß und kalt bei der Vorstellung. „Hat seither noch einmal jemand versucht, die Statue zu klauen?“

„Nicht ernsthaft, die Sicherheitsmaßnahmen wurden derart verschärft. Vor dem Diebstahl haben nur die Tür, die Mauern, das Feuer und Nyx die Statuen bewacht.“

„Das heißt, jemand hat auch damals die Tür öffnen können? Gab es eine Vestalin?“

Vestas Miene verdunkelte sich und sie nickte schwer. „Eine Halbgöttin, ich fand sie tot hier auf, nachdem die Statue verschwunden war. Sie war die letzte Vestalin – bis heute.“

Mirabellas Mund wurde trocken. Worauf hatte sie sich eingelassen? Sie hörte das Blut in ihren Schläfen pulsieren. Als sie sprechen wollte, kam nur ein Krächzen heraus, schnell räusperte sie sich und versuchte mit ruhiger Stimme zu sprechen. „Er-mordet?“

„Wie sie starb, weiß ich nicht, ich fand nur das, was Nyx von ihr übrigließ.“

Mirabella schluckte erneut, während sie versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. „Du meintest, es würden Ermittlungen laufen bezüglich des Diebstahls. Hast du jemanden unter Verdacht?“

„Wir haben keinerlei Beweise, daher bin ich sehr vorsichtig mit Anschuldigungen. Ich möchte dich auch nicht auf eine möglicherweise falsche Fährte führen.“

„Womöglich gab es Verräter aus den eigenen Reihen, einen der Olympier?“ Mirabella sah Vesta fragend an.

Diese nickte. „Ich kann dir nichts Konkretes sagen.“

„Mars?“ Mirabellas Lieblingsfeind. „Er will doch sicher keinen Frieden.“

Vesta nickte. „Die Möglichkeit besteht, wobei ich ihm eigentlich keine betrügerischen Handlungen zutraue. Das ist nicht seine Art.“

„Heißt es nicht: ‚Silent leges inter arma‘ ?“ (Im Krieg schweigen die Gesetze. (Cicero)) Allyra, Mirabellas Lateinlehrerin im Olymp, war ein großer Fan von Cicero und ließ die Schüler sämtliche Reden lesen.

„Im Krieg und in der Liebe, so lauten die Sprichwörter“, gab Vesta zu. „Wenn ich ehrlich bin, kann ich nur sicher uns drei Amazonen ausschließen.“

„Was? Selbst Jupiter?“

„Nun, er könnte sich verantwortlich gefühlt haben, den Krieg zu beenden. Ich halte es für nicht unwahrscheinlich, dass sie jemand mit besten Absichten stahl, die Verhandlungen jedoch nicht so verliefen wie geplant. Natürlich kann man auch nicht ausschließen, dass jemand Jupiter mit Hilfe der Asen stürzen wollte. Der Krieg ist fast 1500 Jahre her, wir haben uns alle weiterentwickelt.“

„1500 Jahre?“

„Kurz vor dem Ende des Römischen Reiches.“

„Und ihr habt immer noch nicht herausgefunden, was passiert ist?“

„Priorität hatte der Schutz der verbliebenen Statue. Dass sie seit 1500 Jahren sicher ist, beweist die Qualität unseres Sicherheitssystems.“

„Ihr wollt gar nicht mehr so genau wissen, was damals passierte?“, dachte Mirabella laut. Erschrocken über ihre eigenen Worte sah sie auf.

Vesta nickte steif. „Manch einer findet es besser, die alten Geschichten nicht mehr anzurühren. Ich möchte vor allem, dass die beiden Statuen wieder vereint werden.“

„Klar. Hat das alles mit dem Tod von Thors Sohn zu tun?“

Vesta sah anerkennend auf. „Du hast in dem Buch gelesen, das ich dir gab? Ja, es hat mit Wingnis Tod zu tun. Es heißt, er wäre im Kampf gefallen, er war nicht unsterblich.“

„Aber?“, hakte Mirabella neugierig nach.

„Ich denke, er starb in Gefangenschaft. Mars, Neptun und Jupiter scheinen als einzige zu wissen, was wirklich passierte, aber sie schweigen sich dazu aus und bestehen offiziell auf dem Heldentod im Kampf.“

„Zweifelt der Norden die Version an?“

„Ich fürchte.“

„Stimmt es, dass der Norden die Titanen vernichtete? Das waren doch auch ihre Vorfahren oder nicht?“

Vesta lächelte leicht. „Du spürst zielsicher die wunden Punkte auf, Mirabella. Auch dazu gibt es zwei Versionen. Riesen, Titanen, Wanen und Giganten entstanden in den Zwischenwelten, entwickelten sich zu gottähnlichen Wesen und ließen sich teilweise auf der Erde verehren. Als wir kamen…“

„Seid ihr anderen Ursprungs?“, unterbrach Mirabella spontan. „Entschuldige!“

Vesta lächelte milde. „Ehrlich gesagt, ist unsere Evolution zu Energiewesen so lange her, dass wir nicht mehr wissen, woher wir ursprünglich kamen, wohl aber mit den Statuen. Seit vielen Jahrtausenden sehen wir Eurasien und die Zwischenwelten als unser Zuhause an. Wie du weißt, verteilten wir uns und beanspruchten Gebiete. Sowohl die späteren Asen als auch die späteren Olympier gingen Verbindungen mit den Riesen und anderen Zwischenweltwesen ein, so mancher Gott hat Zwischenweltvorfahren. Die Titanen erwählten uns als ihre rechtmäßigen Nachfahren, es gab Verbindungen, wie die Neptuns mit Amphitrite. Die Giganten erwählten die Asen zu ihren Nachfahren, obwohl Odin ebenfalls die Nähe der Titanen suchte. Als die Titanen jedoch den Kontakt mit Odin ablehnten, stürmten die Giganten auf Geheiß der Asen den jungen Olymp. Du hast sicher von dem Kampf gehört, an dem sich auch Herkules und Bacchus, damals noch nicht Olympier, beteiligten?“

Mirabella nickte fasziniert.

„Die Giganten wurden geschlagen. Die Asen kämpften danach mit den nordischen Wanen und wurden später als ihre Nachfolger akzeptiert. Seit der Gigantenschlacht herrschte jedoch Hass zwischen den Göttergeschlechtern. Der Krieg brach in der Zwischenwelt aus. Nach dem Diebstahl der Statue, wurden zwei Söhne Thors vom Süden gekidnappt, Wingnis Tod besiegelte das Schicksal der Titanen, der Norden sann auf Rache.“

Mirabella verstand plötzlich. „Daher die Vernichtung der Titanen.“

Vesta nickte traurig. „Wobei sich die Asen der Riesen bedienten. Thor ordnete wohl die abscheuliche Tat an und Odin duldete sie.“

Mirabella erschauerte. „Odin ist irgendwie gruselig.“

Vesta lächelte. „Der Einäugige, er opferte sein Auge für die Weisheit, heißt es. Ohne seine Weisheit würden wir vielleicht immer noch Krieg führen oder nicht mehr existieren, aber er flößt selbst mir Respekt ein.“

Sie schwiegen einen Moment. Mirabella spürte, wie die Verbindung zum Tempel konkreter wurde und ließ die neuen Sensationen und Informationen auf sich einwirken. Sie wusste nicht, wie lange sie dort gestanden hatte, als sie plötzlich Vestas Blick auf sich ruhen sah. Sie lächelte verlegen, aber die Göttin erwiderte das Lächeln.

„Genug für heute, genieße deinen letzten Urlaubstag!“

Vesta kreierte eine Blase und Mirabella schwebte zurück.

Abends im Bett dachte Mirabella über all das nach, was Vesta ihr gesagt hatte. Erneut stellten sich ein Kribbeln im Bauch und schweißige Hände bei der Vorstellung ein, für den Schutz der Statue mitverantwortlich zu sein. Sie schloss die Augen und versuchte ihren Energieanteil auf Reisen zu schicken. Sie spürte die Verbindung zum Heiligtum, aber es gelang ihr nicht, ihren Geist, ihre göttliche Hälfte von ihrem Körper zu trennen. Erschöpft schlief sie ein.