Kitabı oku: «Mirabella und die Neun Welten», sayfa 5

Yazı tipi:

6 - DER HALBGÖTTER-STAMMTISCH

„Aaahhh, auxilium! Non, noooonnnn…“ Voller Angst wachte Mirabella in ihrem Bett auf, starrte die Wand ihr gegenüber an, während sie sich aufsetzte und noch immer diese junge weibliche Stimme in ihrem Kopf hörte. Es war noch dunkel im Zimmer, die Beo-Familie schlief friedlich im nun geschlossenen Käfig, eine Vorsichtsmaßnahme wegen der Kleinen. Mirabella versuchte, sich an ihren Traum zu erinnern, aber sie fand keine Bilder, nur die Stimme eines jungen Mädchens, das um Hilfe schrie. Mirabella hatte erneut versucht, ihre göttliche Hälfte von ihrem Körper zu trennen und zum Vesta Tempel zu schicken, aber es war ihr wieder nicht gelungen, dann war sie eingeschlafen und hatte jene Stimme gehört, die ihr Gänsehaut bereitete.

Es fröstelte sie leicht, Mirabella sank zurück auf ihr Kissen und zog sich die Bettdecke bis ans Kinn. Vielleicht war es doch keine gute Idee gewesen, Vestalin zu werden. Sie war froh, dass heute Nikolaos zu Besuch kommen würde. Er würde sie auf andere Gedanken bringen, morgen wollten Luk und Toni mit den beiden Halbgöttern Mirabellas Geburtstag nachfeiern. Seufzend schlief sie noch mal ein, traumlos, und wurde erst vom Klopfen an der Tür geweckt.

„Mirabella, aufstehen, wir müssen zum Flughafen!“

Da Nikolaos an Ostern bereits in München zu Besuch gewesen war, mussten sie dieses Mal kein touristisches Programm abarbeiten. Die Geschwister trafen sich oft mit Lukas und Antonia, gingen schwimmen, bladen oder spielten Tennis, unternahmen Radtouren und grillten an der Isar. Das Band zwischen Mirabella und Nikolaos schien eng wie eh und je, sie verstanden sich ohne Worte, tauschten still vergnügt ein Lächeln aus und doch spürte Mirabella, dass sich etwas geändert hatte. Sie hatte sich verändert. Nicht nur, dass in den Sommerferien ihre Tage erstmalig eingesetzt hatten und sie die berühmt-berüchtigte Pubertät nicht mehr länger leugnen konnte, stets begleitete sie das Bewusstsein, Vestalin zu sein. Eine gewisse Distanziertheit ergriff von ihr Besitz, oft war sie mit ihren Gedanken bei der Statue, dem Raub, der Stimme, die ihr immer wieder im Traum erschien, oder der Prophezeiung. Manchmal sah sie Nikolaos nachdenklich an, wenn er ins Gespräch mit ihren Freunden vertieft war, wie gerne hätte sie sich ihm anvertraut, aber sie wollte ihn mit ihren Sorgen nicht belasten, die Vestalin-Geschichte war ganz allein ihre Aufgabe, die sie selbst meistern musste. Jupiter hatte seinem Sohn andere Aufgaben zugewiesen.

„Was macht eigentlich die Arbeit an dem Vertrag?“, fragte sie eines Tages, als sie am Frühstückstisch saßen. Ihre Adoptiveltern waren schon lange in der Arbeit.

Nikolaos stöhnte. „Dieses Vertragswerk ist trockener als die Wüste Gobi. Zu einer Verhandlung kam es noch nicht. Ich hoffe, Jupiter hat noch Spannenderes für mich zu tun!“

Mirabella lächelte leicht.

„Und du? Hattest du schon einen Einsatz als Vestalin?“

Mirabella schüttelte den Kopf. „Seit 1500 Jahren ist die zweite Statue sicher in der ‚Kammer des Schreckens‘, da wird so schnell keiner kommen.“

„Hoffentlich! Der letzten Vestalin erging es ja nicht so gut…“

„Woher weißt DU denn das?“, fragte Mirabella erstaunt.

„Jupiter machte eine Bemerkung, er macht sich wohl Sorgen um dich.“

„Hat er gesagt, wie sie gestorben ist?“

„Wohl von Nyx zerfleischt, die Tür stand ja offen und die Statue war weg…“

Mirabella nickte. „Ja, gruselig. Aber jetzt ist das ja fast uneinnehmbar.“

„Pass trotzdem auf dich auf! Du kannst mich immer rufen!“

Ein Lächeln entschlüpfte Mirabella. „Ja, großer Bruder, aber ich muss vor allem Vesta alarmieren.“

„Natürlich, aber schadet ja nicht, mir auch Bescheid zu geben, falls es Probleme gibt.“

„Das ist nicht deine Aufgabe, Nick!“

„Das weiß ich, aber es ist meine Aufgabe, meine Schwester zu beschützen.“

Mirabella verdrehte die Augen. „Die arme Olympia! Nein, also, mit dem darfst du nicht ins Kino!“

„Ach, komm, du weißt, dass ich nicht so bin, außerdem ist das Aufgabe meiner Eltern. Ich dachte, wir passen auf einander auf?“

„Wirst du mich rufen, wenn du in Gefahr bist?“, konterte Mirabella.

Nikolaos lächelte ertappt. „Vielleicht nicht immer. Aber wenn ich eine Feuerwand brauche zum Beispiel…“

„Okay, ich melde mich, wenn ich Suggestion brauche.“

„Na, wenigstens.“ Er grinste ansteckend und Mirabellas Mundwinkel verzogen sich ebenfalls.

Am frühen Abend war Ehemaligen-Treffen im Olymp. Die Klasse vom letzten Jahr hatte sich verabredet, um weitere gemeinsame Treffen und Aktivitäten zu besprechen. Die Trainingseinheiten mit Mars würden in zwei Wochen beginnen, regulärer Unterricht würde jedoch nicht mehr stattfinden. Als Nikolaos und Mirabella mit einer von Greta kreierten Blase eintrafen, saßen schon Delphine und Lorenzo auf dem Boden. Delphine schien sichtlich erfreut, Mirabella zu sehen. Lorenzo hatte einen Ruf als Flirter und Sprücheklopfer erworben und speziell Delphine war schnell von ihm genervt. Mirabella versuchte diese Seite von Lorenzo zu ignorieren, da sie ihn mittlerweile ein wenig zu schätzen gelernt hatte. Sein mit Intelligenz gepaarter Witz brachte sie oft zum Lachen und er war durchaus einfühlsamer als sein oft oberflächliches Geschwätz vermuten ließ. Er ähnelte äußerlich seinem Vater Apoll, dem schönen Gott der Künste und der Medizin mit vollendetem Körper, strahlend blauen Augen und blonden Locken, nach Lorenzos Surf-Urlaub unterstrich die gebräunte Haut seine hellen, von der Sonne ausgebleichten Haare. Mirabella fand zwar Nikolaos‘ dunkelbraune Locken schöner, aber sie konnte nachvollziehen, dass Terra an dem Jüngling Gefallen gefunden hatte. Sie war schon sehr gespannt, ob die beiden miteinander gingen oder die Knutscherei bei der Aufnahmefeier eine einmalige Sache war.

Delphine umarmte Mirabella zur Begrüßung, die ihre neue Muschelkette von Delphine trug. Das blonde Mädchen trug ebenfalls eine Muschelkette und einen Armreif ihres Vaters Neptun, der Mirabellas Aufmerksamkeit erregte. Nikolaos nickte Delphine freundlich zu und fragte Lorenzo nach seinem Surf-Urlaub, als Leon, der Sohn des Vulcanus, auftauchte. Vulcanus, der Gott der Schmiedekunst, war ein Sohn des Ehepaares Jupiter und Juno, und Bruder des Mars. Vulcanus war von Geburt an leicht behindert, was sich darin zeigte, dass er nur bei sehr hohen Temperaturen, wie in seiner Werkstatt, formwandeln konnte. Auf der Erde oder in den anderen Zwischenwelten war er auf seine Energieform angewiesen. Er spendete seinen Samen, damit das kinderlose Vulkanologenpaar Leon empfangen konnte. Vulcanus war mit Venus einst vereinigt gewesen, die ihn jedoch für Mars verlassen hatte, was die Bruderliebe nicht gerade förderte.

Leon war wie sein Vater von ausgeglichener und gütiger Natur, sein Körper war stämmiger als der der anderen Halbgötter, die athletischer wirkten, Haare und Augen waren dunkel. Er hatte etwas von einem Bären. Sie stand auf und umarmte Leon zur Begrüßung, er drückte sie freundschaftlich zurück. Er war schwer verliebt in Delphine gewesen und hatte Mirabella sein Leid geklagt. Zu Mirabellas Bedauern hatte Delphine jedoch einen Meerjungen zum Freund gewählt. Leon begrüßte Delphine mit einem Nicken, Mirabella bemerkte ein ganz leichtes Erröten, dann wandte er sich den Jungen zu. Plötzlich stand jedoch Lorenzo vor ihr. „Und ich werde als einziger nicht umarmt, bella Mira?“ Dieses Wortspiel mit ihrem Namen liebte er.

„Womit hast du das verdient?“, konterte Mirabella frech, die merkte, dass sie so langsam Spaß am Flirten entwickeln könnte, nachdem sie anfangs bei Lorenzos Bemerkungen nur stumm errötet war.

„Du schuldest mir sogar noch einen Tanz, holde Mira. Erinnerst du dich nicht?“

Lorenzo spielte auf die Abschlussfeier an, als er sie zum Tanzen aufgefordert hatte, Jupiter sie jedoch zu einem Treffen herbeordert hatte.

„Wir tanzten doch.“

„Aber nicht zu Ende. Darf ich bitten?“

Ohne eine Antwort abzuwarten, schlang Lorenzo seinen linken Arm um Mirabella, ergriff mit der Rechten ihre Hand und wirbelte sie herum, dann hob er sie hoch und sie nahm eine grazile Ballettpose ein.

„Bravo!“, rief Delphine unerwartet amüsiert und Leon klatschte, nur Nikolaos lächelte nicht.

„Gut, dann begrüßen wir uns demnächst immer so?“, schlug Mirabella scherzhaft vor.

Lorenzo ließ sie lächelnd auf den Boden zurück, hielt sie aber noch fest im Arm. Er wollte gerade etwas sagen, als Mirabella spürte, wie sein Griff sich lockerte und sein Blick an ihr vorbeistarrte. Sie drehte sich um, Terra war erschienen. Schön wie immer stand die junge Göttin in ihrer weißen Tunika und goldenen Bändern im schwarzen Haar. Ihre blauen Augen funkelten kurz, schließlich lächelte sie leicht gequält. „Seid gegrüßt!“

Mirabella wand sich aus Lorenzos losen Armen und ging auf Terra zu. Sie freute sich ehrlich, ihre göttliche Freundin zu sehen. „Hi, Terra!“, grüßte sie freundlich, bereit sie zu umarmen. Terra schien mit sich zu kämpfen, neigte dann ihr Haupt zum Gruße und ließ ihre Freundin einfach stehen, um Delphine zu begrüßen. Mit Umarmung. Mirabella sah ihr irritiert hinterher, dann fiel ihr Blick auf Nikolaos, der sie beobachtet hatte. Er machte eine ‚Tja, Pech!‘-Geste und begrüßte Terra, die jeden außer Mirabella und Lorenzo demonstrativ umarmte.

Sie und ihr offensichtlich ehemaliger Flirt nickten sich nur zu und es entstand ein peinliches Schweigen.

Schließlich unterbrach Nikolaos die Stille. „Vielleicht mag jeder berichten, was er seit der Aufnahmefeier unternommen hat? Olympische Aktivitäten und Urlaub oder so. Okay?“

Alle nickten einverstanden, Mirabella sah dankbar zu ihrem Bruder und gesellte sich zu ihm. Terra ließ einen runden Tisch und sechs Stühle materialisieren. Nikolaos nahm Platz, Mirabella setzte sich links von ihm, an ihrer anderen Seite ließ sich Delphine nieder. Terra wählte die rechte Seite von Nikolaos, daneben Leon und schließlich Lorenzo zwischen Leon und Delphine. Nikolaos erwähnte kurz die USA Reise, das Treffen der Jupiterkinder und das Zwischenweltabenteuer mit Mirabella. „Interessant war, dass wir unsere telekinetischen Kräfte vereinigen konnten.“

Da Terra keine Anstalten machte, fuhr Mirabella fort und berichtete von Afrika und dem Amazonen-Treff bei den Pterippus, von Palatina und ihrer Entscheidung, Vestalin zu werden.

„Ist das nicht gefährlich?“, fragte Delphine.

„Falls jemand die Statue klauen will, aber das wurde seit 1500 Jahren nicht versucht.“

„Aber das Orakel verspricht nichts Gutes!“, erinnerte Lorenzo.

Mirabella nickte schwer. „Deswegen hat sich Vesta entschlossen, wieder eine Vestalin zu haben.“

„Und das mit der Jungfräulichkeit ist ernst?“, fragte, wer sollte es anderes sein, natürlich Lorenzo.

Mirabella errötete leicht. „Es geht darum, ungebunden und unabhängig zu bleiben.“ Sie erwartete einen seiner dummen Sprüche, aber seltsamerweise sagte er nichts, sondern sah nur kurz zu Terra. Delphine erzählte von ihrem Urlaub auf Mayotte und einigen Unterwassermissionen für Neptun. Sie hatte sich freiwillig gemeldet, bei der Anti-Walfang-Gruppierung zu helfen. Immer wieder gerieten auch Delphine, ganze Schwärme, in Fangnetze, die Meermenschen bemühten sich, diese zu retten. Hier erwähnte Mirabella kurz ihr Delphinerlebnis bei Sansibar.

Lorenzo hatte mit Apoll, der auch der Gott der Heilkunst war, gemeinsam die Pterippus-Weiden besichtigt und andere medizinische Projekte mitbetreut. Er hatte vor, wie seine Mutter Medizin zu studieren. Gerade wollte er an Leon weitergeben, als er von Delphine an seinen Atlantikurlaub erinnert wurde.

„Ach ja, ich war surfen bei Bordeaux.“

Vier Augenpaare richteten sich abwechselnd auf ihn und auf Terra, welche auf ihre zusammengefalteten Hände starrte. Lorenzo sah zu ihr und zögerte. Schließlich sah sie auf. „Von mir aus, erzähl, es scheinen alle vor Neugier fast zu platzen.“

Lorenzo lächelte schief. „Terra begleitete mich am Anfang, aber… wir haben festgestellt, dass es nicht so ganz passt. Wir sind also nicht zusammen. Das wollt ihr doch wissen, oder?“

„Schade“, rutschte es Delphine raus, „sonst hätten wir mit Iros etwas zu viert unternehmen können.“

Lorenzo verdrehte leicht die Augen und Mirabella musste ein Grinsen unterdrücken. „Echt? Will man das als Pärchen? Will man nicht alleine sein?“ Mirabella gab offen ihre Unkenntnis preis, als Vestalin musste sie das nicht wissen.

„Schon, aber nicht immer. Und wenn man etwas unternimmt, ist es schöner mit einem anderen Paar, als mit jemandem, der solo ist. Fünftes Rad am Wagen und so…“, erklärte Delphine.

„Man kann ja auch was in der Gruppe unternehmen, wir alle zusammen zum Beispiel“, gab Leon zu bedenken.

„Stimmt“, bekräftigte Nikolaos und fragte Leon nach seinen Erlebnissen. Dieser war von seinem Vater Vulcanus in die göttliche Schmiede und Werkstatt mitgenommen worden und hatte eine Lehre begonnen. Vulcanus hatte den Olymp und Neptuns Palast, Jupiters Sonnenwagen und viele Waffen und Schmuck hergestellt. Leon war, wie auch Terra, von Architektur und Schmiedekunst begeistert.

„Würdest du mich wirklich einmal mitnehmen?“, fragte nun Terra kühn. Ihr Vater Mars hatte ihr verboten, in die Werkstatt zu gehen, zumindest alleine, aber Leon hatte ihr angeboten, sie zu begleiten.

„Aber natürlich, gerne!“

Nachdem Leon seine Reise durch Chile erwähnt hatte, wurde Terra gefragt, was sie unternommen hatte.

„Nachdem mich Lorenzo abserviert hatte…“, alle blickten zum Angeklagten, der leicht vorwurfsvoll zu Terra sah, „bin ich wieder in den Olymp gegangen und habe meine Fertigkeiten geübt. Teleportation, Materialisation von Dingen. Außerdem, nachdem ich endlich den Olymp verlassen darf, bin ich etwas gereist und habe die Veden“, die indischen Gottheiten, „besucht.“

„Cool, hast du Ganesha getroffen?“, fragte Mirabella neugierig. Der Elefantengott hatte starken Eindruck auf sie gemacht, er war als Abgesandter bei der Aufnahmefeier dabei gewesen.

Terra nickte, ohne Mirabella anzusehen. „Außerdem war ich natürlich mit Energiebeschaffung beschäftigt… Ich bin eine Symbiose mit einer Sängerin eingegangen.“

„Aber nicht von Terra Fottuta? Timos Band?“, rief Mirabella.

„Doch. Woher? Ah, klar, Timo ist ein Jupiterkind!“

„Nick hat Karten für ein Konzert besorgt, wir gehen in drei Wochen hin, da bin ich ja gespannt!“

„Du warst mit auf Sansibar, bist jetzt in München, ihr habt zusammen trainiert und geht auf das Konzert. Seid ihr jetzt eigentlich zusammen?“, fragte Lorenzo plötzlich Nikolaos mit Blick auf Mirabella. Ihr Halbbruder errötete erstaunlicherweise, während sie vor Überraschung lachte. „Wir sind Geschwister!“ Mehr wollte sie dazu nicht sagen.

„Also ich mag meine Schwester, aber in niedrigen Dosen…“, kommentierte Lorenzo, dann wurde das Thema jedoch fallengelassen. Leon begann mit Terra einen Besuch der Schmiede zu planen und Mirabella ließ sich von Delphine weiter über die verschiedenen Meeressäuger aufklären, während Lorenzo und Nikolaos sich über die Cottidiana unterhielten, die Tageszeitung der Nymphen, welche über Ereignisse in den Zwischenwelten berichtete. Es gab auch die Albenpost aus dem Norden. Mirabella hatte von Vesta erfahren, dass sie die Nachrichten künftig zu studieren hatte, damit sie auf dem Laufenden war, was die Politik der Zwischenwelten betraf. Seit der Rückkehr aus Sansibar versorgte Greta sie mit den beiden Medien, die eine Mischung aus abrufbarer Datenbank und moderierten Nachrichten waren. Greta als Nymphe erhielt die Nachrichten über die fließenden Gewässer. Um sie empfangen zu können, bedurfte es eines Mediums. Früher waren dies spezielle Karaffen oder auch sprechende Vögel gewesen. Heutzutage konnte die Energie in ein Handy eingespeist werden. Nur selten kam es zu einer Überladung der Geräte. Die Sprache war frei wählbar und Mirabella fragte sich, welche Horden von Nymphen mit der Nachrichtenherstellung beschäftigt sein mussten.

Delphine brach als erste auf, sie war mit Iros verabredet. Man beschloss, sich alle vier Wochen zu treffen, verbunden waren sie sowieso via Handys. Die Jungs diskutierten gerade die Teilnahme an den Olympischen Fünfkämpfen für Halbgötter dieses Jahr, als Mirabella zu Terra blickte. Nachdem diese dem Blick nicht auswich, stand Mirabella auf und ging zu ihr. Sie beugte sich zu ihr und flüsterte leise. „Sollen wir eine Runde spazieren gehen?“

Die beiden Mädchen schlenderten aus dem Raum, einen Korridor entlang. Mirabella überlegte, wie sie beginnen sollte, als Terra seufzend stehenblieb. „Entschuldige, dass ich dich vorhin nicht begrüßt habe, es war nur ein kleiner Schock, dich mit Lorenzo zu sehen.“

Mirabella überlegte kurz, ja, richtig, sie befand sich in Lorenzos Armen, auch wenn das für sie selbst völlig anders ausgesehen hatte, und sie verstand plötzlich. „Tschuldige, wir hatten nur rumgeblödelt, weil ich alle außer ihm zur Begrüßung umarmt hatte.“

Terra nickte. „Ich muss mich daran gewöhnen, dass er andere in den Arm nimmt.“

„Was? Im Urlaub? So ein Arsch!“ Mirabella war ernsthaft empört, auch wenn das für sie alles sehr theoretisch war.

„Nein, das nicht, aber… Naja, er hatte nie gesagt, dass er sich mit mir vereinigen möchte. Es war für ihn nicht ernst.“

„Und für dich schon?“

„Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, ob ich… verliebt bin. Er sieht toll aus, aber wir haben uns nicht viel zu sagen. Außerdem hat er ein Problem damit, dass ich Vollgöttin bin.“

„Dann ist es vielleicht besser so?“, versuchte Mirabella vorsichtig.

„Wahrscheinlich.“

Mirabella umarmte spontan Terra. „Vergiss ihn einfach, du bist so schön und klug und eine richtige Göttin, du wirst bestimmt irgendwann jemand Tolles kennenlernen!“

„Die Auswahl an Göttern ist nicht sehr groß…“

„Bei den Veden gibt es doch bestimmt viele!“

„Eigentlich gibt es keine Vereinigungen mit den Veden…“

„Aber mit denen sind wir doch nicht verfeindet?“

„Das nicht, aber es besteht auch kein richtiger Kontakt.“

„Dann müssen wir das ändern, ich finde sowieso, dass hier einiges schiefläuft.“

Terra grinste. „Das kann man wohl sagen!“

Dieser Art vereint, kehrten die beiden Mädchen zurück in den Saal. Lorenzo hatte sich schon verabschiedet, daher verließen nun auch die Jupiterkinder den Olymp und ließen Leon und Terra zurück.

„Und hat dir Terra verziehen?“, fragte Nikolaos schmunzelnd.

„Sehr witzig… Ja, war echt blöd, dass sie gerade kam, als wir da rumturnten.“

„Er hielt dich im Arm.“

„Naja, nach der Tanzfigur.“

„Die hatte sie nicht gesehen. Es sah aus wie eine enge Umarmung.“

„Ich weiß, aber ich habe alle umarmt“, verteidigte sich Mirabella.

„ICH weiß das. Ich denke, es war aber besonders ungünstig, dass gerade du es warst.“

„Wie meinst du das?“

„Ach, Mira, du bist echt so ein Baby. Es ist so offensichtlich, dass Lorenzo auf dich steht.“

„Was?? Seit wann denn das?“

„Schon länger.“

„Ach, Quatsch!“, entgegnete sie leicht genervt. „Wieso sollte er auf der Aufnahmefeier mit Terra rumknutschen, wenn er auf mich steht?“

„Erinnerst du dich, dass wir in ein Séparée abgehauen sind. Wer weiß, was er dachte...“

„So ein Blödsinn!“, mehr fiel ihr dazu nicht ein.

Nikolaos schüttelte den Kopf. „Du merkst echt null, wenn jemand auf dich steht.“

„Wer denn noch alles?“

Er wandte sich kopfschüttelnd ab. „Keine Ahnung.“

Mirabella beäugte ihn misstrauisch. „Du bildest dir das nur ein, denke ich. Und wenn nicht, es spielt keine Rolle, ich bin Vestalin.“

7 - EIN SEHR ALTER STEINKREIS

Nikolaos war mittlerweile wieder in Brüssel und Mirabella besuchte ihn nun dort regelmäßig. Abends flog sie nach Hause, besichtigte tagsüber mit ihm die Stadt, sah den Großen Platz mit den vergoldeten mittelalterlichen Ständehäusern, das berühmte Atomium, aß die besten Pommes Frites der Stadt, schlemmte in Waffeln und Crêpes und lernte Julian kennen, Nikolaos‘ besten Freund noch aus Kindergartentagen. Er war ein sehr lebhafter Macher, der immer zu einem Scherz aufgelegt war, manchmal war er richtig albern. Mirabella staunte, dass diese sehr unterschiedlichen Jungs so gut befreundet waren, aber sie fand bald heraus, dass sich die beiden gut ergänzten. Wo Nikolaos zu nachdenklich, zu verkopft war, preschte Julian vor. Er konnte Nikolaos mit seinen Scherzen aus der Reserve locken und ihn aufmuntern. Nikolaos wiederum konnte Julians Überenthusiasmus und Albernheit bremsen und geschickt in die richtigen Bahnen leiten. Von seiner Halbgöttlichkeit hatte er ihm jedoch noch nicht erzählt. Die beiden Geschwister saßen gerade im gemütlichen Arbeitszimmer der Eltern, das Nikolaos „die EU-Bibliothek“ nannte, weil alle Wände mit Büchern – hauptsächlich über Europa - tapeziert waren, und lasen, Nikolaos ein Buch über Schach, Mirabella in ihrem Stadtführer über Brüssel, als Vesta ihre Schülerin in ihren Tempel rief.

Mirabella fand sich schleunigst im Heiligtum ein und wartete auf ihre Herrin. Es fröstelte sie leicht im dünnen Sommerkleid und sie verschränkte ihre Arme vor ihrem Oberkörper. Frierend rückte sie näher zur einzigen Lichtquelle im Raum, einem Energieball, der über einer Schale schwebte, als sie plötzlich wieder die verzweifelte Stimme des Mädchens hörte.

„Auxilium! Auxilium! Vesta!“ Die Stimme in ihrem Kopf war so laut, dass Mirabella reflexartig die Handflächen auf ihre Ohren presste. Dies schwächte die innere Stimme nicht ab, die weiterhin schrie, obwohl sie ihr gleichzeitig wie ein stummer Schrei vorkam. Dieses Mal hatte Mirabella die offenstehende Tür im Vesta Tempel gesehen und ein riesiges Maul, das auf sie zusprang. Mirabella schloss verzweifelt die Augen, an die Wand hinter sich taumelnd, dort sank sie auf den Boden. Dann trat plötzlich Stille ein. Mirabella hörte ihren eigenen Atem. Waren das die Erinnerungen der verstorbenen Vestalin? Konnte es sein, dass die Erinnerungen hier verbogen lagen oder dass die Vestalin selbst, das was von ihr übrig war, sogar Kontakt zu ihr aufnahm? Konnte sie mit ihrer Hilfe vielleicht endlich den Diebstahl aufklären? Mirabella riss die Augen auf, sie hatte ein Geräusch gehört. Vor ihr stand Vesta in ihrer traditionellen Tracht und sah auf sie hinunter.

„Alles in Ordnung, Mirabella?“

Das junge Mädchen brauchte ein paar Sekunden, um im Hier und Jetzt anzukommen. Hastig sprang sie auf. „Ja“, antwortete sie knapp und musterte Vesta prüfend, die ihrerseits das Mädchen leicht besorgt ansah. „Ist dir kalt?“

Mirabella nickte leicht irritiert, als Vesta im nächsten Moment einen bodenlangen dunklen Kapuzenumhang über ihre Schultern warf und ihn vorne zuband. Die Göttin sah Mirabella dabei tief in die Augen. „Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen.“

„Das habe ich vielleicht auch… Ich meine“, fing Mirabella an, „wie hieß eigentlich die letzte Vestalin?“

„Aurelia. Du hast sie gesehen?“

„Nein, aber ich habe sie gehört, ich sah, was sie sah.“

„Was war das?“ Vesta schien plötzlich ungewohnt aufgeregt.

„Ich habe ihre Stimme gehört, sie rief nach Hilfe. Ich sah auch die Innenraumtür offenstehen und dann ein riesiges Maul.“

„Ihre letzten Momente…“, sagte Vesta nun traurig.

„Bevor Nyx über sie herfiel?“

Die Göttin nickte schwer. „Sprach sie mit dir?“

Mirabella schüttelte den Kopf. „Sie schrie nur nach Hilfe.“

„Ich habe immer einen Vergessenszauber vermutet.“

Als Mirabella die Göttin fragend ansah, fuhr sie fort. „Sie wurde wahrscheinlich von jemandem überredet, auf welche Weise auch immer, die Tür zu öffnen. Nyx wurde nach Öffnen der Tür wohl kurz von einem Zauber in Bann gehalten, sein Brüllen hätte mich alarmiert. Der Dieb entwendete unsichtbar, den Boden nicht betretend die Statue, davor oder danach raubte er wohl Aurelia das Gedächtnis und verschwand. Über die Feuerquelle am Boden nahm ich nichts Ungewöhnliches wahr, das Öffnen der Tür wurde nicht gegen den Willen der Vestalin durchgeführt, das hätte ich gespürt. Erst als die Statue verschwand, richtete ich meine Aufmerksamkeit in den Tempel, aber es war zu spät. Ich sah Nyx den Raum verlassen. Als ich im nächsten Moment zum Tempel teleportierte, hatte er bereits Aurelia getötet.“

„Aber warum der Vergessenszauber, wenn Nyx sie eh gleich töten würde?“

„Das konnte der Dieb nicht mit Sicherheit annehmen.“

„Was ist das für ein Vergessenszauber?“

Vestas Blick weilte in der Ferne, sie schien sehr aufgewühlt, weshalb Mirabella ihre Frage wiederholen musste. „Wenn es nicht ein anderer Zauber war, trank sie wahrscheinlich einen Schluck der Lethe. Ich fand eine leere Phiole neben ihr. Das ist der Fluss der Göttin des Vergessens. Die Seelen baden normalerweise darin, zu ihrer Läuterung, alle Sünden werden bewusst, was teilweise ein sehr schmerzhafter Prozess ist, und dann für immer vergessen. Danach steht das Elysium offen, die Seelen kehren zum Kontinuum zurück.“

„Ich dachte, Lethe löscht das Gedächtnis an frühere Leben?“

„Das glaubten die Griechen, in ihrer Vorstellung wanderten die Seelen nach dem Tod in den nächsten Menschen.“

„Aber“, warf Mirabella plötzlich ein, „Aurelia trank dies lebendig.“

„Das stimmt, welche Wirkung dies hatte, mag ich nicht zu sagen. Wir Götter können auch die Erinnerung an Ereignisse nehmen, dies hätte ich jedoch rückgängig machen können.“

„Ist Lethe auch olympischen Ursprungs?“

„Nein, sie und die Göttin der Erinnerung sind die einzigen Überlebenden der Titanen, sie fließen im Hades.“

„Wenn Aurelia von der Lethe getrunken hat, sind dann nur ihre Sünden vergessen?“

„Wie gesagt, ich weiß nicht, welche Wirkung das bei Lebenden hat, nach dem körperlichen Tod wird die Seele von allem Ballast befreit, den sie im Kontinuum nicht mehr braucht, sie ist jedoch geprägt von ihrem vorigen Leben, außer bei denen, die ihre Seele zu Lebzeiten verlieren.“

„Dann finden wir nie raus, wer der Dieb ist.“

„Das war wohl seine Intention“, gab Vesta zu bedenken. „Nun aber zum Tagesgeschäft. Du wirst mich heute zu einem diplomatischen Treffen begleiten.“

Während Vesta sprach, bestiegen sie bereits eine Blase und flogen himmelwärts. „An dem Treffen sind neben uns die Nordischen und Keltischen Götter beteiligt. Du weißt, dass die Asen in Asgard ihren Sitz haben. Die Kelten beanspruchen für sich Stonehenge in England, aber dieses Heiligtum ist wesentlich älter als unsere Identifikation mit den lokalen Gottheiten, es gilt daher als neutraler Ort. Die Steinkreise wurden für Vorfahren der Titanen und Giganten errichtet, die jedoch heutzutage in tödliche Vergessenheit geraten sind.“

„Sind die Kelten auch mit uns verwandt?“

Vesta seufzte. „Ja, wobei es eine starke Vernetzung und Vereinigung mit den lokalen Gottheiten in den zahlreichen keltischen Gebieten gab.“ Mirabella betrachtete noch immer fasziniert die Erde unter sich, noch hatte das Fliegen seine Faszination nicht verloren. „Das ist vielleicht auch genau ihr Problem, es ist einfach zu unübersichtlich, zu lokal…“, sinnierte die Göttin.

Der Treffpunkt war selbstverständlich eine Zwischenwelt, sie mussten jedoch auf englischem Rasen neben dem heutigen Stonehenge landen und der Blase entsteigen. Vesta trug nun ebenfalls eine lange schwarze Kutte. Leichter Nieselregen ließ beide Olympier die Kapuzen über ihre Köpfe ziehen.

„Sieht das nicht auffällig aus, wir beide hier?“, flüsterte Mirabella, sich ängstlich umsehend. Es war früher Abend, Touristen hatten wohl keinen Zutritt mehr, aber die Sonne war noch nicht untergegangen.

„Schlimmstenfalls hält man uns für Druiden“, erklärte Vesta und schritt unbeirrt auf eine weiße Fläche am Boden zu.

„Ein Aubrey Hole, also Loch. Es gibt 56 davon, Nummer Sieben ist unser Eingang.“ Sie nahm Mirabella bei der Hand und stellte sich auf die helle Platte. Im nächsten Moment wurden sie durch die Erde transportiert, wie damals durch den Felsen von Elefsina in den Hades, und befanden sich in der Zwischenwelt von Stonehenge. Sie bestand aus der ursprünglichen Anlage (Historikern als Stonehenge 3 II bekannt, aus der Zeit von ca 2400 vor Christi Geburt) mit 75 großen Sandsteinblöcken, denen Wind und Wetter nichts anhaben konnten. Der Anblick raubte Mirabella im ersten Augenblick den Atem. „Wow“, die Steine waren wirklich riesig. „Haben das Menschen errichtet?“

Die Göttin schmunzelte. „Glaubst du das wirklich?“

„Riesen?“

„Zumindest waren sie beteiligt.“

Vesta schritt nun in die Mitte der Kreise, Mirabella folgte ihr ehrfürchtig. „Da die Kelten sich größtenteils körperlich bewegen und immer wieder Zwischenweltwesen oder auch mal Halbgötter anwesend sind, treffen wir uns in dieser Form“, erklärte das Energiewesen Vesta und zog ihre Kapuze vom Kopf. Mirabella sah einen großen runden Tisch mit einfachen Holzstühlen im Zentrum der Anlage, Fackeln säumten den Verhandlungsort. Am Tisch saßen bereits mehrere Personen, die ihr bis auf den einäugigen Odin alle fremd waren. Als Mirabella den Göttervater der Asen entdeckte, fuhr es ihr eiskalt den Rücken hinunter. Er trug eine lederne Rüstung mit rotem Umhang. Schlohweiße lange Haare umrandeten sein faltiges Gesicht mit vollem Bart. Die leere linke Augenhöhle erinnerte Mira an Zombie-Gestalten aus Horrorfilmen. Bei der Eröffnungsfeier hatte er sie mehrfach mit seinem einen Auge gemustert und dabei seltsam gelächelt. Vesta hatte behauptet, er wäre sehr weise, das wollte Mirabella gar nicht anzweifeln, aber er machte ihr Angst.

Neben Odin saß ein schöner Mann mit langen blonden Haaren, die an den Seiten zu Zöpfen geflochten waren. Er trug ein einfaches Leinenhemd und einen pelzbesetzten Umhang aus Leder. Als Vesta und Mirabella an den Tisch traten, stand er auf und nickte ihnen zu. Mirabella entdeckte ein Schwert an seinem Gürtel. Vesta nickte grüßend zurück.

„Das ist Baldur, ein Sohn von Odin und Frigg, mein nordisches Pendant, was die Diplomatentätigkeit betrifft. Er ist der Gott der Güte und des Lichts. Er ist sehr weise und immer freundlich. “

Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.