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Kitabı oku: «Oblomow», sayfa 30
– Komm! – wiederholte Sachar, und winkte gleichfalls mit dem Kopf nach derselben Straße hin.
»So etwas! Er hat mich spazieren fortgejagt!« krächzte er leise lächelnd.
Sie giengen fort, und Anissja lief bis zum ersten Kreuzweg hin, setzte sich in einen Graben bei dem Zaune und wartete, was geschehen würde.
Oblomow lauschte und wartete. Jetzt ergriff jemand den Ring an der Pforte und in demselben Augenblick ertönte das verzweifelte Bellen und begann das Springen des Hundes an der Kette.
»Der verfluchte Hund!« sagte Oblomow zähneknirschend, griff nach dem Hut, stürzte zur Pforte hin, öffnete sie und trug Oljga fast in seinen Armen bis zur Stiege.
Sie war allein. Katja erwartete sie im Wagen, in der Nähe des Thores.
– Du bist gesund? Du liegst nicht zu Bett? Was ist mit Dir? – fragte sie schnell, ohne den Mantel und den Hut abzulegen und ihn vom Kopf bis zu den Füßen betrachtend, als sie sich in seinem Arbeitszimmer befanden.
– Jetzt geht es mir besser, die Halsentzündung ist. . . fast ganz vorüber, – sagte er, seinen Hals berührend und leicht hüstelnd.
– Warum bist Du gestern nicht gekommen? – fragte sie, ihn so forschend anblickend, daß er kein einziges Wort aussprechen konnte.
– Wie hast Du Dich zu einer solchen Handlung entschlossen, Oljga? – begann er entsetzt. – Weißt Du denn, was Du thust?. . .
– Lassen wir das jetzt! – unterbrach sie ihn ungeduldig. – Ich frage Dich: was bedeutet es, daß Du Dich nicht sehen läßt?
Er schwieg.
– Hast Du vielleicht ein Gerstenkorn?
Er schwieg.
– Du warst nicht krank. Du hast keine Halsschmerzen gehabt! – sagte sie mit gefurchten Brauen.
– Nein, – antwortete Oblomow mit der Stimme eines Schulknaben.
– Du hast mich betrogen! – Sie blickte ihn erstaunt an. – Warum?
– Ich werde Dir alles erklären, Oljga! – rechtfertigte er sich. – Ein wichtiger Grund hat mich daran verhindert, während dieser zwei Wochen zu Dir zu kommen . . . ich habe mich gefürchtet . . .
– Wovor? – fragte sie, sich setzend und Hut und Mantel ablegend.
Er nahm ihr beides ab und legte es auf den Divan.
– Vor dem Klatsch und der Verleumdung. . .
– Du hast Dich aber nicht davor gefürchtet, daß ich die ganze Nacht nicht schlafen, Gott weiß woran denken werde und erkranken kann? – sagte sie, ihn mit einem forschenden Blick streifend.
– Oljga, Du weißt nicht, was hier bei mir vorgeht! – sagte er, aufs Herz und auf den Kopf zeigend. – Ich bin vor Unruhe wie im Feuer. Weißt Du nicht, was geschehen ist?
– Was ist noch geschehen? – fragte sie kalt.
– Wie weit das Gerücht von Dir und mir gedrungen ist! Ich wollte Dich nicht aufregen und habe gefürchtet, mich bei Dir blicken zu lassen.
Er erzählte ihr alles, was er von Sachar und Anissja gehört hatte, erwähnte auch das Gespräch der Gecken und schloß, indem er sagte, daß er seit der Zeit nicht schlafe, daß er in jedem Blick eine Frage, einen Vorwurf oder neckische Andeutungen auf ihre Zusammenkünfte sehe.
– Aber wir haben ja beschlossen, noch diese Woche mit ma tante zu sprechen! – entgegnete sie. – Dann müssen diese Gerüchte doch verstummen . . .
– Ja; aber ich wollte bis zum Empfang des Briefes der Tante noch nichts sagen. Ich weiß, daß sie mich nicht über meine Liebe, sondern über das Gut ausfragen und sich in Details einlassen wird; ich kann ihr das alles aber nicht erklären, bevor der Nachbar mir geantwortet hat.
Sie seufzte.
– Wenn ich Dich nicht kennen würde, könnte ich Gott weiß was glauben! – sagte sie nachdenklich. – Du hast mich durch Klatschgeschichten der Lakaien zu beunruhigen gefürchtet? Ich höre auf, Dich zu verstehen.
– Ich dachte, ihre Gespräche würden Dich aufregen. Katja, Marfa, Sjemjon und dieser Dummkopf Nikita sagen Gott weiß was, . .
– Ich weiß längst, was sie sagen! – bemerkte sie gleichgiltig.
– Wie, Du weißt es!
– Ja! Katja und die Kindsfrau haben es mir längst mitgetheilt; sie haben mich über Dich ausgefragt und mir gratuliert. . .
– Sie haben Dir wirklich gratuliert? – fragte er entsetzt.
– Was hast Du dazu gesagt?
– Ich habe ihnen gedankt; ich habe der Kindsfrau ein Tuch geschenkt, und sie hat mir versprochen, ins Serginskloster zu Fuß hinzugehen. Ich habe Katja versprochen, mich für sie zu verwenden und sie mit dem Conditor zu verheiraten; sie hat ihren eigenen Roman . . .
Er sah sie mit erschrockenen und erstaunten Augen an.
– Du kommst jeden Tag zu uns; es ist also sehr natürlich, daß die Dienstboten davon sprechen, – fügte sie hinzu. – Sie sind immer die ersten. Mit Sonitschka war es ganz ebenso; warum erschreckt Dich das so?
– Also daher stammen die Gerüchte! – sagte er gedehnt.
– Sind sie denn unbegründet? Das ist ja wahr!
– Das ist wahr! – wiederholte Oblomow weder fragend noch verneinend. – Ja, – fügte er dann hinzu, – Du hast wirklich recht; ich will aber nicht, daß sie von unseren Zusammenkünften etwas erfahren, darum fürchte ich mich. . .
– Du fürchtest Dich und zitterst wie ein Knabe. . . Ich begreife nicht! Stiehlst Du mich denn?
Es war ihm unbehaglich; sie blickte ihn aufmerksam an.
– Höre einmal! – sagte sie. – Es steckt irgendeine Lüge, irgendetwas anderes dahinter. . . Komm zu mir und erzähle alles, was Du auf dem Herzen hast. Du hättest einen, zwei Tage, vielleicht eine Woche aus Vorsicht nicht kommen können; Du hättest mir aber doch schreiben und alles mittheilen können. Du weißt, ich bin kein Kind mehr und es ist nicht mehr so leicht, mich durch einen Unsinn zu verwirren. Was bedeutet das?
Er sann nach, küßte ihr dann die Hand und seufzte.
– Weißt Du, Oljga, ich glaube, daß es Folgendes ist, – sagte er – Meine Phantasie ist während dieser ganzen Zeit so von Angst um Dich erfüllt, mein Verstand quält sich so mit Sorgen, mein Herz schmerzt mir vor bald sich verwirklichenden und bald dahinschwindenden Hoffnungen und Erwartungen, und mein ganzer Organismus ist erschüttert; er erstarrt und verlangt wenigstens zeitweise nach Ruhe. . .
– Warum erstarrt denn der meine nicht und warum suche ich nur neben Dir nach Ruhe?
– Du hast junge, unverbrauchte Kräfte und Du liebst ruhig und ohne Zweifel, während ich. . . Aber Du weißt ja, wie ich Dich liebe! – sagte er, auf den Fußboden herabkriechend und ihr die Hände küssend.
– Nein, ich weiß das noch nicht zur Genüge. Du bist so seltsam, mir kommen allerlei Vermuthungen; mir steht der Verstand still und meine Hoffnung erlischt . . Bald werden wir aufhören, einander zu verstehen. Dann steht es schlimm!
Sie schwiegen.
– Was hast Du denn diese Tage gethan? – fragte sie, jetzt erst das Zimmer betrachtend. – Bei Dir ist es nicht schön; was für niedere Zimmer! Die Fenster sind klein und die Tapeten alt. . . Wo sind denn Deine andern Zimmer?
Er zeigte ihr voll Eifer die Wohnung, um die Frage, was er diese Tage gethan hatte, zu vertuschen. Dann setzte sie sich aufs Sofa, und er ließ sich wieder zu ihren Füßen auf den Teppich nieder.
– Was hast Du denn während der zwei Wochen gethan? – fragte sie wieder.
– Ich habe gelesen, geschrieben und an Dich gedacht.
– Hast Du meine Bücher zu Ende gelesen? Wie sind sie? Ich werde sie mitnehmen.
Sie nahm ein Buch vom Tisch und sah die aufgeschlagene Seite an; sie war verstaubt.
– Du hast nicht gelesen? – sagte sie.
– Nein! – antwortete er.
Sie blickte die zerdrückten, gestickten Kissen, die verstaubten Fenster, den Schreibtisch an, fand alles in der größten Unordnung, prüfte ein paar staubige Papiere, steckte die Feder ins ausgetrocknete Tintenfaß und sah ihn erstaunt an.
– Was hast Du denn gethan? – wiederholte sie. – Du hast weder gelesen noch geschrieben?
– Ich habe zu wenig Zeit gehabt, – begann er stotternd. – Wenn ich des Morgens aufstehe, werden die Zimmer aufgeräumt, das stört mich; dann beginnt man vom Essen zu sprechen, die Kinder der Hausfrau kommen herein und bitten mich, ihre Aufgaben durchzuschauen und dann kommt das Mittagessen. Nach dem Essen kann man nicht mehr lesen.
– Du hast nach dem Essen geschlafen! – sagte sie so überzeugt, daß er nach einigem Schwanken leise antwortete:
– Ja. . .
– Warum denn?
– Um die Zeit nicht zu bemerken. Du warst nicht bei mir, Oljga, und das Leben ohne Dich ist langweilig und unerträglich. . .
Er schwieg und sie blickte ihn streng an.
– Ilja! – begann sie ernsthaft. – Erinnerst Du Dich, wie Du mir im Park gesagt hast, daß in Dir ein neues Leben beginnt, wie Du mir versichert hast, daß ich das Ziel Deines Lebens und Dein Ideal sei; Du hast mich bei der Hand genommen und gesagt, sie gehöre Dir – weißt Du noch, wie ich eingewilligt habe?
– Kann man denn so etwas vergessen? Hat denn das nicht mein ganzes Leben umgewälzt? Siehst Du denn nicht, wie glücklich ich bin?
– Nein, ich sehe es nicht; Du hast mich betrogen! – sagte sie kalt. Du läßt Dich wieder gehen. . .
– Ich habe Dich betrogen! Das ist eine Sünde! Ich schwöre Dir vor Gott, ich würde mich sofort in den Abgrund stürzen!. . .
– Ja, wenn der Abgrund jetzt, in diesem Augenblick hier, vor Deinen Füßen wäre! – unterbrach sie ihn. – Wenn man das aber für drei Tage verschoben hätte, würdest Du Dir die Sache überlegen und Dich fürchten, besonders wenn Sachar oder Anissja darüber klatschen würden. . . Das ist keine Liebe.
– Du zweifelst an meiner Liebe? – begann er leidenschaftlich. – Du glaubst, daß ich aus Furcht um mich und nicht um Dich zögere? Daß ich Deinen Namen nicht wie hinter eine Mauer verschanzen will, daß ich nicht wie eine Mutter über Dir wache, damit kein einziges Gerücht Dich zu berühren wagt. . . Ach, Oljga, verlange Beweise! Ich wiederhole Dir, daß, wenn Du mit einem andern glücklicher sein könntest, ich ihm ohne zu murren meine Rechte abtreten würde; daß ich freudig sterben würde, wenn man für Dich sterben mußte! – schloß er mit Thränen in den Augen.
– Das alles ist unnöthig, niemand verlangt es! Wozu brauche ich Dein Leben? Thue das, was nothwendig ist. Das ist eine Finte listiger Menschen, Opfer anzubieten, die unnöthig oder unausführbar sind, um keine nothwendigen zu bringen. Du bist nicht listig – ich weiß es, aber. . .
– Du weißt nicht, wie viel Kraft die Sehnsucht und die Sorgen mir geraubt haben! – fuhr er fort. – Ich habe, seit ich Dich kenne, keinen anderen Gedanken. . . Ich wiederhole auch jetzt, Du bist mein Ziel, Du allein. Wenn Du nicht bei mir bleibst, werde ich sterben oder wahnsinnig werden. Ich athme jetzt, schaue, denke und fühle nur durch Dich. Warum wunderst Du Dich denn, daß ich an den Tagen, an denen ich Dich nicht sehe, einschlafe und versumpfe? Mir erscheint alles widerlich und langweilig, ich werde zu einer Maschine, ich gehe und thue etwas ohne zu bemerken, was ich thue. Du bist das Feuer und die Kraft dieser Maschine! – sagte er, vor ihr niederknieend und sich aufrichtend.
Seine Augen leuchteten wie einst im Park. In ihnen erstrahlte wieder Stolz und Willenskraft.
– Ich bin jetzt bereit, wohin Du mir befiehlst, zu gehen, und was Du willst zu thun. Ich fühle, daß ich lebe, wenn Du mich anblickst, wenn Du sprichst und singst.
Oljga lauschte, sinnend, mit strengem Ausdruck, diesen leidenschaftlichen Ergüssen.
– Höre, Ilja, – sagte sie, – ich glaube an Deine Liebe und an die Macht, die ich auf Dich ausübe. Warum erschreckst Du mich aber durch Deine Unentschlossenheit und machst mich zweifeln? Ich bin Dein Ziel, sagst Du, Du näherst Dich ihm aber so schüchtern und langsam; und Du hast noch einen weiten Weg; Du mußt Dich über mich erheben. Ich erwarte das von Dir! Ich habe glückliche Menschen gesehen, die lieben, – fügte sie seufzend hinzu, – bei ihnen wogt alles und ihre Ruhe sieht der Deinigen nicht ähnlich; sie senken nicht den Kopf; ihre Augen sind offen; sie schlafen fast gar nicht, sie handeln! Und Du. . . Nein, es schaut nicht so aus, als ob die Liebe, als ob ich Dein Ziel wäre. . .
Sie schüttelte zweifelnd den Kopf.
– Du, Du! . . . – sagte er, ihr wieder die Hände küssend und voller Leidenschaft zu ihren Füßen liegend, – Du allein, o Gott, welch ein Glück! – sprach er wie im Fieber. – Und Du glaubst, daß es möglich ist Dich zu betrügen, nach einem solchen Erwachen wieder einzuschlafen, nicht zum Helden zu werden! Du und Andrej werden sehen, – fuhr er mit begeisterten Augen um sich schauend fort, – bis zu welcher Höhe die Liebe einer Frau, wie Du es bist, einen Menschen erheben kann! Schau mich an, schau mich an: bin ich denn nicht auferstanden, lebe ich denn nicht in diesem Augenblick? Gehen wir von hier fort, weit fort! Ich kann keinen Augenblick hier bleiben, es ekelt mich! Ich ersticke! – sagte er mit ungeheucheltem Widerwillen um sich schauend. – Laß mich heute dieses Gefühl auskosten. . . Ach, wenn dasselbe Feuer, welches heute in mir brennt, morgen und immer anhalten würde! Wenn Du aber nicht da bist, erlischt es und ich falle! Jetzt lebe ich auf und bin auferstanden. Mir scheint, ich. . . Oljga, Oljga! Du bist schöner als alles auf der Welt, Du bist das beste Weib, Du. . . Du. . .
Er schmiegte sein Gesicht an ihre Hand und erstarrte. Die Worte wollten ihm nicht mehr von der Zunge. Er preßte seine Hand ans Herz, um die Erregung zu beschwichtigen, richtete seinen leidenschaftlichen, feuchten Blick auf Oljga und erstarrte.
»Er ist zärtlich, nichts als zärtlich!« wiederholte Oljga im Geiste, aber nicht so wie im Park, sondern seufzend, und versenkte sich in tiefes Sinnen.
– Es ist Zeit für mich zu gehen! – sagte sie freundlich, als sie wieder zur Besinnung gekommen war.
Er wurde plötzlich wieder nüchtern.
– Du bist hier, bei mir? Ach Gott! – sagte er und der begeisterte Blick verwandelte sich in ein scheues Herumlugen; die leidenschaftlichen Worte kamen nicht mehr über seine Lippen.
Er griff eilig nach ihrem Mantel und Hut und wollte ihr in der Eile den Mantel über den Kopf ziehen.
Sie lachte.
– Fürchte Dich nicht meinetwegen, – beruhigte sie ihn; ma tante ist für den ganzen Tag fortgegangen; zu Hause weiß nur die Kindsfrau und Katja, daß ich fort bin. Begleite mich hinaus.
Sie reichte ihm, ohne zu zittern, sondern ruhig, im stolzen Bewußtsein ihrer Unschuld, die Hand, gieng durch den Hof, wobei der Hund verzweifelt bellte und an der Kette zerrte, stieg in den Wagen und fuhr fort. In den Fenstern der Hausfrau erschienen Köpfe; hinter der Ecke am Zaun schaute Anissja hervor. Als der Wagen in eine andere Straße einbog, kam Anissja und sagte, sie hätte den ganzen Markt abgesucht, es wäre aber kein Spargel zu finden. Sachar kam nach drei Stunden zurück und schlief volle vierundzwanzig Stunden.
Oblomow schritt lange im Zimmer herum, ohne seine Füße zu fühlen und seine eigenen Schritte zu hören; er gieng so, als schwebe er über der Erde. Sowie das Knirschen der Wagenräder auf dem Schnee, die sein Leben und sein Glück fortführten, verstummt war, vergieng seine Unruhe, sein Kopf und sein Rücken richteten sich auf, das Leuchten der Begeisterung kehrte auf sein Gesicht zurück, und die Augen wurden vor Glück und Rührung feucht. In seinen Organismus ergoß sich Wärme, Frische und Kraft. Und er bekam wie früher wieder einmal Lust irgendwohin, weit fortzufahren und überall zu sein; mit Oljga zu Stolz und aufs Gut, in die Felder und Wälder zu reisen, dann wollte er sich in sein Zimmer zurückziehen und sich in eine Arbeit vertiefen, zum Ribinskyhafen fahren, die Straße bahnen, das soeben erschienene Buch lesen, von dem alle sprachen, und heute in die Oper gehen. . . Ja, heute war sie bei ihm, dann würde er bei ihr sein und abends in die Oper gehen. Wie ausgefüllt der Tag war! Wie leicht athmete es sich bei diesem Leben, in Oljgas Sphäre, in den Strahlen ihres jungfräulichen Leuchtens, ihrer frischen Kraft, ihres jungen, aber feinen, tiefen und gesunden Verstandes! Er gieng, als flöge er, als trüge ihn jemand durch das Zimmer! »Vorwärts, vorwärts!« sagt Oljga; höher, immer höher, dorthin, zu jenem Striche, wo die Zärtlichkeit und Grazie ihre Macht verlieren und wo das Reich des Mannes beginnt! Wie klar sie in das Leben blickt! Wie sie in diesem schwer verständlichen Buch ihren Weg abliest und instinctiv auch seinen Weg erräth. Ihre beiden Leben müssen sich wie zwei Flüsse vereinigen; er würde ihr Führer und Lehrer sein! Sie sah seine Kräfte und Fähigkeiten, wußte, was er vermochte und erwartete demüthig seine Herrschaft.
Einzige Oljga! Dieses durch nichts zu verwirrende, kühne, einfache und entschlossene Weib, das natürlich wie das Leben selbst war! »Wie häßlich es hier thatsächlich ist!« sagt er, um sich blickend, »und dieser Engel ist in den Sumpf herabgestiegen und hat ihn durch seine Anwesenheit geheiligt!« Er blickte liebevoll auf den Sessel, auf dem sie gesessen war, und seine Augen leuchteten plötzlich auf; er erblickte auf dem Fußboden neben dem Sessel einen winzigen Handschuh.
»Ein Pfand! Ihre Hand; das ist ein Vorzeichen! O! . . .« stöhnte er, leidenschaftlich den Handschuh an die Lippen pressend.
Die Hausfrau schaute zur Thür herein und fragte, ob er sich nicht die Leinwand anschauen wollte, die man gebracht hatte, falls er welche brauchte. Doch er bedankte sich trocken, dachte gar nicht daran, die Ellbogen anzuschauen und entschuldigte sich, indem er Arbeit vorschützte. Dann vertiefte er sich in die Erinnerungen an den Sommer, dachte an jede Kleinigkeit, an jeden Baum, jeden Busch, an jede Bank, an jedes gesprochene Wort und fand alles holder, als es um die Zeit, da er es genossen hatte, gewesen war. Er konnte sich gar nicht mehr beherrschen, sang, sprach freundlich mit Anissja, scherzte, weil sie keine Kinder hatte und versprach Pathe zu sein, so wie sie ein Kind bekam. Dann tollte er mit Mascha so herum, daß die Hausfrau hereinkam und Mascha fortjagte, damit sie den Zimmerherrn nicht bei der »Arbeit« störe. Der Rest des Tages steigerte noch seinen Übermuth; Oljga war lustig und sang, dann waren sie in die Oper, nach der Vorstellung trank er bei ihnen Thee, und die Tante, der Baron, Oljga und er führten dabei ein so herzliches, aufrichtiges Gespräch, daß Oblomow sich ganz als Mitglied dieser kleinen Familie fühlte; er hatte genug einsam gelebt; jetzt hatte er einen Unterschlupf gefunden, sein Leben hatte ein festes Ziel; er besaß Licht und Wärme – wie schön lebte es sich damit!
In der Nacht schlief er wenig; er las in Oljgas Büchern und bewältigte anderthalb Bände.
»Morgen muß vom Gut ein Brief kommen,« dachte er, und sein Herz klopfte. . . und klopfte. . . Endlich!
VIII
Als Sachar am nächsten Tag das Zimmer aufräumte, fand er auf dem Schreibtisch einen kleinen Handschuh, betrachtete ihn lange, lächelte und reichte ihn dann Oblomow.
– Wahrscheinlich hat ihn das Iljinskyʼsche Fräulein vergessen, – sagte er.
– Zum Teufel! – donnerte Ilja Iljitsch ihn an, ihm den Handschuh aus den Händen reißend, – Du lügst! Was für ein Iljinskyʼsches Fräulein! Das gehört der Näherin aus dem Geschäfte, die mir die Hemden zur Anprobe gebracht hat. Wie wagst Du es, Dir solche Sachen auszudenken?
– Warum schimpfen Sie mich! Was denke ich mir denn aus? Man spricht ja schon bei der Hausfrau davon. . .
– Wovon spricht man?
– Daß das Iljinskyʼsche Fräulein mit ihrem Stubenmädchen hier war. . .
– Mein Gott! – rief Oblomow entsetzt aus, – woher kennen sie denn das Iljinskyʼsche Fräulein? Du oder Anissja haben das ausgeplaudert. . .
Plötzlich schob sich Anissja bis zur Hälfte durch die Vorzimmerthür.
– Wie, schämst Du Dich nicht, solchen Unsinn zu reden, Sachar Trofimitsch? Hören Sie ihm nicht zu, Väterchen, niemand hat das gesagt weiß das und, bei Gott. . .
– Nun, nun, nun! – krächzte Sachar sie an, mit dem Ellbogen auf ihre Brust zielend, – warum steckst Du überall Deine Nase herein, wenn Du gar nicht gefragt wirst!
Anissja verschwand. Oblomow drohte Sachar mit beiden Fäusten und öffnete dann rasch die Thür in die Zimmer der Hausfrau. Agafja Matwejewna saß auf dem Fußboden und durchsuchte den Kram in einem alten Koffer; neben ihr lagen Haufen von Fetzen, Watte, alten Kleidern, Knöpfen und Pelzstückchen.
– Hören Sie, – begann Oblomow freundlich, aber aufgeregt, – meine Dienstboten plaudern lauter dummes Zeug; glauben Sie ihnen um alles in der Welt nicht.
– Ich habe nichts gehört, – sagte die Hausfrau. – Was plaudern sie?
– Bezüglich des gestrigen Besuches, – fuhr Oblomow fort, – sie sagen, daß bei mir ein Fräulein war. . . .
– Was geht es uns an, wer unsere Mietspartei besucht? – sagte die Hausfrau.
– Glauben Sie, bitte, nicht daran; das ist nichts als Verleumdung! Es war gar kein Fräulein da; es ist nur die Näherin hier gewesen, die mir Hemden näht. Sie hat sie mir zur Anprobe gebracht. . . .
– Wo haben Sie Ihre Hemden bestellt? Wer näht Ihnen? – fragte die Hausfrau lebhaft.
– Im französischen Geschäft. . . .
– Zeigen Sie sie mir, wenn man sie Ihnen bringt; ich kenne zwei Mädchen, die so nähen und so steppen, wie es keine Französin machen kann. Ich habe es gesehen, sie haben für den Grafen Metlinskij genäht und haben ihre Arbeit hergebracht, um sie mir zu zeigen; niemand kann das so machen. Die Hemden, die Sie tragen, sind bei weitem nicht so schön genäht. . . .
– Sehr wohl, ich werde daran denken Glauben Sie nur um Gotteswillen nicht, daß das Fräulein da war. . . .
– Was geht es uns an, wer zur Partei kommt? Und wenn es auch ein Fräulein war. . . .
– Nein, nein! – leugnete Oblomow – Aber ich bitte Sie, das Fräulein, das Sachar meint, ist sehr groß und hat eine Baßstimme, während diese Näherin, wie Sie wohl gehört haben, mit einer ganz feinen Stimme spricht; sie hat eine wunderschöne Stimme. Bitte, glauben Sie nicht. . . .
– Was geht das uns an? – sagte die Hausfrau, als er gieng. – Vergessen Sie also nicht, mir zu sagen, wenn Sie sich Hemden nähen lassen wollen. Meine Bekannten können so steppen. . . sie heißen Lisaweta Nikolawna und Marja Nikolawna.
– Gut, gut, ich werde nicht vergessen, aber glauben Sie nur bitte nicht. . . .
Und er gieng, zog sich an und fuhr zu Oljga hin.
Als er abends nach Hause zurückkehrte, fand er auf seinem Tisch einen Brief aus dem Gut, von seinem Nachbar, dem er die Vollmacht übersandt hatte. Er stürzte zur Lampe hin, las, und ihm sank der Muth.
»Ich möchte Sie sehr darum bitten, die Vollmacht jemand anders zu übergeben (schrieb der Nachbar), denn ich habe so viel zu thun, daß ich Ihr Gut, offen gestanden, nicht, wie es sich gehört, beaufsichtigen kann. Es wäre besser, wenn Sie selbst herkämen, und am allerbesten, wenn Sie hierher ganz übersiedeln würden. Ihr Gut ist schön, aber sehr vernachlässigt. Vor allem müßte man die Abgaben und die Arbeiten genauer vertheilen; das kann nicht in Abwesenheit des Besitzers geschehen; die Bauern sind ohne jede Zucht, sie hören nicht auf den neuen Dorfschulzen, und der alte ist ein Betrüger, man muß auf ihn aufpassen. Die Einkünfte sind nicht zu berechnen. Bei der jetzt herrschenden Unordnung werden Sie wohl kaum über drei Tausend bekommen, und auch das nur, wenn Sie selbst herkommen. Ich berechne dabei nur den Erlös des Getreides, denn von den Abgaben ist wenig zu erwarten; man muß die Bauern unter ein strenges Regiment bringen und die Zahlungsrückstände einziehen – dazu werden etwa drei Monate erforderlich sein. Das Korn ist gut gerathen und wird zu guten Preisen verkauft, so daß Sie im März oder April Geld haben werden, wenn Sie den Verkauf selbst beaufsichtigen. Jetzt gibt es aber keine Kopeke an barem Gelde. Was die Straße über Werchljowo und die Brücke betrifft, habe ich mich schon entschlossen, da ich von Ihnen lange Zeit keine Antwort bekam, mit Odonzew und Bjelowodow zusammen die Straße von mir aus über Neljky anzulegen, so daß Oblomowka ganz seitwärts liegen bleibt. Zum Schluß wiederhole ich die Bitte, Sie möchten recht bald herkommen; man kann in drei Monaten in Erfahrung bringen, was vom künftigen Jahr zu erhoffen ist. Außerdem finden jetzt die Wahlen statt; würden Sie sich nicht zum Kreisrichter wählen lassen? Beeilen Sie sich. Ihr Haus ist sehr schlecht (stand in der Nachschrift). Ich habe der Viehmagd, dem alten Kutscher und den zwei alten Mägden befohlen, von dort in ein Bauernhaus zu übersiedeln; es wäre gefährlich, länger darin zu bleiben.«
Dem Brief war eine Notiz beigelegt, wie viel Tschetwert Getreide geschnitten, gedroschen und in die Scheunen geschüttet wurden, wie viel davon zum Verkauf bestimmt wurden und andere ähnliche wirtschaftliche Details.
»Kein Heller an barem Geld, ich soll für drei Monate selbst kommen, die Angelegenheiten der Bauern ordnen, meine Einkünfte berechnen und ein Amt versehen,« das alles umringte Oblomow, als wären es Gespenster. Er schien plötzlich in der Nacht in einen Wald hineingerathen zu sein und in jedem Busch und Baum einen Räuber, einen Geist oder ein wildes Thier zu sehen.
»Aber das ist ja eine Schande; ich werde mich davon nicht so unterkriegen lassen!« sagte er und versuchte mit diesen Gespenstern vertraut zu werden, wie ein Feigling mit geschlossenen Lidern sich bestrebt, die Gespenster anzuschauen und dabei nur Kälte im Herzen und Schwäche in den Händen und Füßen fühlt. Worauf hatte Oblomow denn gehofft? Er hatte geglaubt, es würde im Brief genau stehen, wie viel Einkünfte er zu erwarten hatte und natürlich möglichst viel, zum Beispiel sechs, sieben Tausend, außerdem sollte drin stehen, daß das Haus noch gut ist, so daß man im Nothfall darin wohnen kann, bis das neue fertig wird, und zum Schluß, daß der Nachbar ihm drei-, viertausend Rubel schickt – er erwartete mit einem Wort, daß er im Brief dasselbe Lachen, dasselbe schäumende Leben und die Liebe lesen würde, die er in Oljgas Briefchen fand. Er schwebte nicht mehr über dem Fußboden durch das Zimmer; scherzte nicht mit Anissja, gab sich nicht mehr den Träumen vom Glück hin; er muß sie jetzt für drei Monate verschieben; oder noch länger! Er würde in drei Monaten erst die Gutsangelegenheiten erledigen und mit seiner Besitzung vertraut werden, aber die Hochzeit . . . . »An die Hochzeit ist vor einem Jahr gar nicht zu denken,« sagte er ängstlich, »ja, in einem Jahr, nicht früher!« Er mußte noch seinen Plan zu Ende schreiben, mit dem Architekten alles besprechen, dann. . . . dann. . . . Er seufzte. »Das Geld leihen!« fiel ihm ein, doch er stieß diesen Gedanken von sich. »Das ist unmöglich! Und wenn ich es nicht zur rechten Zeit zurückgeben kann? Wenn meine Angelegenheiten eine schlechte Wendung nehmen, wird man mir das Geld abfordern, und der Name Oblomow, der bis dahin so rein und unantastbar war. . .« Nein, um nichts in der Welt! Dann wäre es mit seinem Stolz und seiner Ruhe zu Ende. . . nein, nein! Andere leihen sich Geld aus und rackern sich dann ab, schlafen nicht, als hätten sie einen Dämon in sich hereingelassen. Ja, Schulden sind ein Dämon, ein Teufel, den man nur mit Geld vertreiben kann! Es gibt solche Menschen, die das ganze Leben auf fremde Rechnung verbringen, sich rechts und links alles aneignen und sich nichts daraus machen! Es ist unbegreiflich, wie sie ruhig schlafen und essen können. Schulden! Ihre Folgen waren entweder endlose Arbeit, wie bei einem Zuchthäusler, oder Ehrlosigkeit. Das Gut verpfänden? War das denn nicht dieselbe Schuld, nur eine unaufschiebbare und erbarmungslose? Dann muß man jedes Jahr zahlen, so daß nichts zum Leben übrig bleibt. Das Glück war um ein ganzes Jahr fortgerückt! Oblomow stöhnte schmerzlich auf und warf sich aufs Bett, doch dann kam er plötzlich zur Besinnung und stand auf. Und was hatte Oljga ihm gesagt? Sie hatte vorausgesetzt, daß er ein Mann sei und hatte sich seinen Kräften anvertraut? Sie erwartet, daß er vorwärts schreiten und eine Höhe erreichen wird, von wo aus er ihr die Hand hinstrecken, sie mit sich führen und ihr den Weg zeigen kann! Ja, ja! Aber womit sollte er beginnen? Er dachte und dachte, schlug sich dann mit der Hand auf die Stirn und gieng in das Zimmer der Hausfrau.
– Ist Ihr Bruder zu Hause? – fragte er die Hausfrau.
– Ja, er schläft aber schon.
– Also bitten Sie ihn, morgen zu mir zu kommen, – sagte Oblomow, – ich muß ihn sprechen.
