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Kitabı oku: «Oblomow», sayfa 31
IX
Der Bruder trat wieder ebenso bescheiden ins Zimmer, setzte sich ebenso vorsichtig auf einen Sessel und wartete, was Ilja Iljitsch sagen würde.
– Ich habe aus dem Gut einen sehr unangenehmen Brief als Antwort auf die hingeschickte Vollmacht bekommen, wissen Sie noch? – sagte Oblomow, – haben Sie die Güte ihn zu lesen.
Iwan Matwejewitsch ergriff den Brief, überflog mit geübten Augen die Zeilen, und der Brief zitterte leicht in seinen Fingern. Nachdem er den Brief gelesen hatte, legte er ihn auf den Tisch und versteckte die Hände auf dem Rücken.
– Was glauben Sie, daß man jetzt thun soll? – fragte Oblomow.
– Man rathet Ihnen hinzufahren, – sagte Iwan Matwejewitsch. – Tausendzweihundert Werst sind nicht etwas gar so Arges! In einer Woche wird der Weg schon gut sein, da können Sie hinfahren.
– Ich bin das Reisen gar nicht mehr gewohnt; im Winter hinzureisen wäre mir, offen gesagt, schwer und unangenehm. . . . Außerdem ist das Alleinsein auf dem Gut sehr langweilig.
– Und haben Sie viele Bauern? – fragte Iwan Matwejewitsch.
– Ja. . . . ich weiß nicht; ich war schon lange nicht auf dem Gute.
– Das müßte man wissen, sonst kann man nichts machen. . . und kann keine Erkundigungen darüber einziehen, wie viel das Gut Ihnen trägt.
– Ja, das müßte man, – wiederholte Oblomow, – der Nachbar schreibt das auch, aber jetzt beginnt schon der Winter.
– Und wie haben Sie die Abgaben vertheilt?
– Abgaben? Ich glaube. . . gedulden Sie sich ein wenig, ich habe irgendwo eine Liste gehabt; Stolz hat sie mir einmal aufgestellt, es ist aber schwer sie zu finden; Sachar hat sie gewiß irgendwo hingesteckt. Ich zeige sie Ihnen später. . . . ich glaube, es waren dreißig Rubel per Hof.
– Wie sind denn Ihre Bauern? Wie leben sie? – fragte Iwan Matwejewitsch. – Sind sie reich oder arm? Wie hoch sind denn die Abgaben?
– Hören Sie, – sagte Oblomow, an ihn herantretend und ihn zutraulich am Uniformrock fassend. Iwan Matwejewitsch erhob sich schnell, doch Oblomow ließ ihn sich wieder niedersetzen. – Hören Sie, – wiederholte er langsam, fast flüsternd, – ich weiß nicht, wie hoch die Abgaben sind, was die Landwirtschaft ist, was ein reicher und ein armer Bauer ist; ich weiß nicht, was eine Tschetwert Roggen oder Hafer bedeutet, was sie kostet, was in welchem Monat gesäet und geschnitten wird, und wie und wann verkauft wird; ich weiß nicht, ob ich reich oder arm bin, ob ich in einem Jahre satt oder ein Bettler bin – ich weiß nichts! – schloß er traurig, den Rock loslassend und vor Iwan Matwejewitsch zurücktretend, – also sprechen Sie mit mir und rathen Sie mir wie einem Kind. . .
– Wie kann ich das denn, ich muß ja alles wissen, sonst kann ich nichts rathen, – sagte Iwan Matwejewitsch mit sanftem Lächeln, erhob sich und legte die eine Hand hinter den Brustlatz und die andere auf den Rücken. – Ein Gutsbesitzer muß sein Gut kennen und muß wissen, wie man damit umgeht. . . . – sagte er belehrend.
– Ich kenne es aber nicht, lehren Sie es mich, wenn Sie können.
– Ich habe mich mit so etwas noch nie befaßt; ich muß mich mit Sachverständigen berathen. Man schreibt Ihnen ja im Briefe, – fuhr Iwan Matwejewitsch fort, mit dem Mittelfinger, dessen Nagel er nach unten zukehrte, auf die entsprechende Seite des Briefes hinweisend, – daß Sie sich wählen lassen sollen; das trifft sich ja gerade recht! Sie würden dort leben, im Kreisgerichte angestellt sein und könnten bei der Gelegenheit mit der Wirtschaft vertraut werden.
– Ich weiß nicht, was ein Kreisgericht ist, was man darin thut und was das für ein Amt ist! – sagte Oblomow, wieder mit Nachdruck, aber leise, an Iwan Matwejewitsch ganz dicht herantretend.
– Sie werden sich daran gewöhnen. Sie haben ja hier im Departement gearbeitet. Das bleibt sich überall gleich, es besteht nur ein kleiner Unterschied in der Form. Überall gibt es Vorschriften, Relationen und Protokolle. . . Wenn nur ein guter Secretär da ist, dann brauchen Sie sich gar keine Sargen zu machen und haben nur zu unterschreiben. Wenn Sie wissen, wie in einem Departement gearbeitet wird. . .
– Ich weiß auch nicht, wie im Departement gearbeitet wird, – sagte Oblomow mit eintöniger Stimme. Iwan Matwejewitsch richtete seinen doppelten Blick auf Oblomow und schwieg.
– Sie haben gewiß immer Bücher gelesen? – bemerkte er mit demselben sanften Lächeln.
– Gelesen! – erwiderte Oblomow bitter und schwieg.
Es mangelte ihm an Muth und es war auch nicht nothwendig, seine Seele vor einem Kanzleibeamten zu entblößen. »Ich habe auch keine Bücher gelesen,« regte sich in ihm der Gedanke, wollte aber nicht von der Zunge und löste sich in einen traurigen Seufzer auf.
– Sie haben sich doch aber mit irgendetwas beschäftigt, – fügte der Bruder bescheiden hinzu, als hätte er in Oblomows Seele die Antwort betreffs der Bücher gelesen, – es ist ja unmöglich, daß. . .
– Es ist möglich, Iwan Matwejewitsch, da haben Sie einen lebendigen Beweis, mich! Wer bin ich? Was bin ich denn? Fragen Sie Sachar und er wird Ihnen sagen: »Ein gnädiger Herr!« Ja, ich bin ein gnädiger Herr und kann nichts thun! Thun Sie es und helfen Sie mir, wenn Sie können und nehmen Sie sich für Ihre Mühe alles, was Sie wollen – man muß eine gute Lehre immer theuer erkaufen!
Er begann im Zimmer auf und ab zu gehen, während Iwan Matwejewitsch auf demselben Fleck stehen blieb und seinen Körper jedesmal leise der Ecke zukehrte, der Oblomow zuschritt. Sie schwiegen beide eine Weile.
– Wo haben Sie gelernt? – fragte Oblomow, wieder vor ihm stehen bleibend.
– Ich habe anfangs das Gymnasium besucht, der Vater hat mich aber aus der sechsten Classe austreten lassen und hat mich in die Kanzlei geschickt. Was wir gelernt haben, Lesen, Schreiben, Grammatik und Arithmetik, das ist alles. Ich habe in meinem Amte einige Übung erlangt und schlage mich so gut es geht durch. Mit Ihnen steht es ja anders; Sie sind mit der wirklichen Wissenschaft vertraut. . .
– Ja, – bestätigte Oblomow seufzend, – es ist wahr, ich habe Algebra, politische Ökonomie und die Rechtswissenschaften studiert und habe in keiner Beschäftigung irgendwelche Übung erlangt. Sie sehen, ich weiß trotz meiner Algebra nicht, was für Einkünfte ich habe. Ich bin aufs Gut gekommen, habe zugehört und zugeschaut, wie es in unserem Hause, im Dorfe und um uns herum zugieng, und habe gesehen, daß die Rechtswissenschaften ganz unnöthig sind. Ich bin fortgefahren und habe gehofft, mit Hilfe der politischen Ökonomie mein Glück zu machen. . . Man hat mir aber gesagt, ich könnte die Bildung erst mit der Zeit, vielleicht im Alter brauchen, jetzt müßte ich aber vor allem im Amte vorwärts kommen, und dabei sei nur das eine nothwendig: – Papiere zu schreiben. Ich habe mich daran aber nicht gewöhnen können, und bin einfach zum gnädigen Herrn geworden, und Sie haben darin Übung erlangt; sagen Sie also, wie ich mir jetzt helfen soll.
– Gut, ich werde das machen! – sagte endlich Iwan Matwejewitsch.
Oblomow blieb ihm gegenüber stehen und wartete, was er sagen würde.
– Man kann das alles einem sachkundigen Menschen übergeben und die Vollmacht auf seinen Namen umschreiben lassen, – fügte Iwan Matwejewitsch hinzu.
– Und wo soll man einen solchen Menschen hernehmen?
– Ich habe einen Collegen, Issaj Fomitsch Satjortij; er stottert ein wenig, ist aber ein tüchtiger brauchbarer Mensch. Er hat drei Jahre lang ein großes Gut verwaltet, der Gutsbesitzer hat ihn aber fortgeschickt, weil er stottert. Da ist er in unsere Kanzlei eingetreten.
– Kann man sich aber auf ihn verlassen?
– Er ist eine ehrliche Seele – da können Sie ohne Sorge sein! Er ist imstande sein eigenes Geld hinzugeben, nur um den Vollmachtgeber zufrieden zu stellen. Er ist bei uns schon das zwölfte Jahr angestellt.
– Wie wird er denn hinfahren, wenn er eine Anstellung hat?
– Das macht nichts, er wird einen viermonatlichen Urlaub nehmen. Haben Sie also die Güte einen Entschluß zu fassen, dann bringe ich ihn her. Er wird ja nicht umsonst fahren. . .
– Selbstredend nicht, – bestätigte Oblomow.
– Sie werden so freundlich sein, ihm die Reisekosten und die täglichen Ausgaben zu ersetzen und dann nach Erledigung der Angelegenheit nach Übereinkommen eine Vergütung zu bestimmen. Da fährt er schon hin!
– Ich bin Ihnen sehr dankbar; Sie werden mich vor großen Sorgen befreien, – sagte Oblomow, ihm die Hand reichend. – Wie heißt er?. . .
– Issaj Fomitsch Satjortij, wiederholte Iwan Matwejewitsch, die Hand schnell mit dem Ärmel abwischend, reichte sie für einen Augenblick Oblomow und versteckte sie schnell wieder. – Ich werde morgen mit ihm sprechen und ihn herbringen.
– Kommen Sie zum Mittagessen, da werden wir alles miteinander besprechen. Ich bin Ihnen sehr, sehr dankbar! – sagte Oblomow, Iwan Matwejewitsch zur Thür hinbegleitend.
X
Am Abend desselben Tages saßen in einem der Zimmer des oberen Stockwerkes eines zweistöckigen Hauses, das mit der einen Seite auf der Straße, in der Oblomow wohnte, und mit der anderen auf den Quai hinausgieng, Iwan Matwejewitsch und Tarantjew. Das war eine Kneipe, vor deren Thür stets zwei, drei leere Droschken standen, während die Kutscher im Parterre saßen und aus Untertassen Thee tranken. Das obere Stockwerk war für die »Herrschaften« der Wiborgskajastraße bestimmt. Vor Iwan Matwejewitsch und Tarantjew stand Thee und eine Flasche Rum.
– Das ist echter Jamaica Rum, – sagte Iwan Matwejewitsch, sich mit zitternder Hand Rum ins Glas einschenkend, – sei kein Kostverächter, Gevatter.
– Du mußt aber auch zugeben, daß ich Deine Bewirtung verdient habe, – gab Tarantjew zur Antwort, – das Haus wäre zerfallen, bevor Du einen solchen Mieter gefunden hättest.
– Das ist wahr, – gab Iwan Matwejewitsch zu. – Und wenn unsere Sache zustande kommt, und Satjortij aufs Gut fährt, werde ich mich wieder erkenntlich erweisen!
– Du bist aber geizig, Gevatter; man muß mit Dir handeln, – sprach Tarantjew, – fünfzig Rubel für einen solchen Mieter!
– Ich fürchte mich, er droht auszuziehen, – bemerkte Iwan Matwejewitsch.
– Ach Du, und Du willst Dich auf solche Dinge verstehen! Wohin wird er übersiedeln? Er wird sich jetzt nicht einmal fortjagen lassen.
– Und die Hochzeit? Man sagt, daß er heiratet. . .
Tarantjew lachte auf.
– Er heiratet! Willst Du wetten, daß er nicht heiratet? – entgegnete er, – ihm hilft Sachar sogar einzuschlafen, und er soll heiraten! Bis jetzt habe ich ihn immer mit Wohlthaten überhäuft; ohne mich, Bruder, wäre er schon längst hungers gestorben oder ins Gefängnis gekommen. Wenn der Wachmann gekommen ist oder der Hausherr etwas gefragt hat, hat er ja keinen Finger gerührt. – Alles habe ich machen müssen! Er versteht nichts. . .
– Nein, gar nichts! Er sagt: ich weiß nicht, was im Kreisgericht gemacht wird, auch nicht, was im Departement vorgeht; er weiß nicht, was er für Bauern hat. Ein kluger Kopf! Ich habe lachen müssen. . .
Und der Contract; was für einen Contract wir abgeschlossen haben! – prahlte Tarantjew. – Du verstehst Dich darauf, Papiere zu schreiben, Iwan Matwejewitsch, bei Gott, Du verstehst Dich darauf! Ich muß dabei am meinem seligen Vater denken; auch ich war nicht ungeschickt, ich habe es aber verlernt, es ist wirklich wahr, ich habe es vergessen. Sowie ich mich hinsetze, thränen mir die Augen. Er hat es nicht gelesen und hat seine Unterschrift darunter gekritzelt! Und drin steht das vom Gemüsegarten, von den Ställen und Schuppen. . .
Ja, Gevatter, so lange in Rußland die Tölpel nicht aussterben, welche Papiere ohne sie zu lesen unterschreiben, kann unsereiner noch leben. Sonst könnte man es gar nicht mehr ertragen! Wenn man den Alten zuhört, war es früher ganz anders! Was für ein Capital habe ich mir in den fünfundzwanzig Jahren, seit ich in der Kanzlei bin, gesammelt? Man kann damit auf der Wiborgskajastraße wohnen, ohne sich auf Gottes Welt blicken zu lassen; ich habe zwar einen anständigen Bissen erwischt, ich darf nicht klagen, mein Brot wird nicht gar werden! Aber die Zeit, da man sich eine Wohnung auf der Litejnaja mieten, Teppiche kaufen, eine Reiche heiraten und die Kinder zu vornehmen Leuten machen konnte, ist vorüber! Jetzt paßt ihnen auf einmal mein Gesicht nicht und meine Finger sind zu roth, man soll keinen Schnaps trinken. . . Wie sollte man aber keinen trinken? Versuchs einmal! Sie sagen, ich sei ärger als ein Lakai; jetzt trägt selbst ein Lakai keine solche Stiefel und wechselt täglich das Hemd. Jetzt ist eine ganz andere Erziehung – die Grünschnäbel reißen einem alles vor der Nase fort; sie machen Grimassen, lesen und sprechen französisch. . .
– Sie verstehen aber nichts vom Geschäft, – fügte Tarantjew hinzu.
– Nein, Bruder, sie verstehen schon was; die Geschäfte sind ja jetzt anders geworden; ein jeder will die Sache möglichst einfach betreiben und alle schaden uns. Es sei unnöthig so zu schreiben; das sei überflüssige Arbeit und Zeitverlust; es könnte schneller gemacht werden. . . . sie schaden uns!
– Der Contract ist aber unterschrieben; das haben sie uns nicht verdorben! – sagte Tarantjew.
– Das ist natürlich unantastbar. Trinken wir, Gevatter! Jetzt wird er den Satjartij nach Oblomowka schicken, er wird das Gut ein wenig aussaugen; dann kann es für die Erben bleiben. . .
– Ja, dann sollen sie es behalten! – bemerkte Tarantjew. – Aber was sind das für Erben; in dritter Linie.
– Ich fürchte mich nur vor der Hochzeit! – sagte Iwan Matwejewitsch.
– Fürchte Dich nicht, sagʼ ich Dir. Denke an meine Worte.
– Istʼs wahr? – erwiderte Iwan Matwejewitsch fröhlich. – Er glotzt meine Schwester an. . . – fügte er flüsternd hinzu.
– Was sagst Du?
– Schweig nur, es ist, bei Gott, wahr. . . .
– Na weißt Du, Bruder, – wunderte sich Tarantjew, mit Mühe zu sich kommend, – mir wäre das nicht im Traum eingefallen! Nun, und wie verhält sie sich dazu?
– Wie sie sich verhält? Du kennst sie ja, – so ist sie!
Er schlug mit der Faust über den Tisch.
– Kann sie denn ihren Nutzen wahren? Sie ist eine Kuh, eine wahre Kuh; man kann sie schlagen oder umarmen und sie grinst immer, wie ein Pferd, das Hafer sieht. Wennʼs eine andere wäre, o je! Ich werde das aber nicht aus dem Auge verlieren, – verstehst Du, was das bedeutet?
XI
»Vier Monate! Noch vier Monate unfrei sein, heimlich zusammenkommen, mißtrauisch lächelnden Gesichtern begegnen!« dachte Oblomow, die Treppe zu Iljinskys erklimmend. »Mein Gott, wann wird das enden? Und Oljga wird mich zur Eile antreiben: heute, morgen. Und sie ist so beharrlich und unerschütterlich!«
Oblomow war fast bis in Oljgas Zimmer gedrungen, ohne irgendwem zu begegnen. Oljga saß in ihrem kleinen Salon, der an ihr Schlafzimmer stieß und war in das Lesen eines Buches vertieft. Er erschien plötzlich vor ihr, so daß sie zusammenfuhr, dann streckte sie ihm freundlich lächelnd die Hand hin, doch ihre Augen schienen noch das Buch zu Ende zu lesen, sie blickten zerstreut.
– Du bist allein? – fragte er sie.
– Ja; ma tante ist nach Zarskoje Sjelo gefahren; sie wollte mich mitnehmen. Wir werden fast allein zu Mittag essen; es kommt nur Marja Sjemjonowna; sonst hätte ich Dich nicht empfangen können. Heute kannst Du noch nicht mit der Tante sprechen. Wie langweilig das alles ist! Aber dafür morgen. . . – fügte sie lächelnd hinzu. – Und was würdest Du sagen, wenn ich heute nach Zarskoje Sjelo mitgefahren wäre? – fragte sie scherzend.
Er schwieg.
– Hast Du Sorgen? – fragte sie.
– Ich habe einen Brief aus dem Gut bekommen, – sagte er mit eintöniger Stimme.
– Wo ist er? Hast Du ihn hier?
Er reichte ihr den Brief.
– Ich kann das gar nicht entziffern, – sagte sie, den Brief anblickend.
Er nahm ihn zurück und las ihn ihr vor. Sie sann nach.
– Was wird jetzt geschehen? – fragte sie nach einer Weile.
– Ich habe heute den Bruder der Hausfrau um Rath gefragt, – antwortete Oblomow, – und er hat mir einen Sachverständigen, Issaf Fomitsch Satjortij, empfohlen; ich werde ihn beauftragen, das alles zu erledigen. . . .
– Einen wildfremden Menschen! – erwiderte Oljga erstaunt. – Du willst ihm das Einheben der Abgaben, das Beaufsichtigen der Bauern und das Verkaufen des Getreides anvertrauen. . . .
– Er sagt, daß er der ehrlichste Mensch von der Welt ist, er arbeitet mit ihm seit zwölf Jahren zusammen. . . . Er stottert nur ein wenig.
– Und wie ist denn der Bruder Deiner Hausfrau? Kennst Du ihn?
– Nein, er scheint aber ein solider, tüchtiger Mann zu sein und dann wohne ich ja bei ihm im Hause; da würde er sich schämen mich zu betrügen!
Oljga schwieg mit gesenkten Augen.
– Sonst müßte ich ja selbst hinfahren, – sagte Oblomow, – das wäre mir, offen gesagt, unangenehm. Ich bin das Reisen gar nicht mehr gewöhnt, besonders im Winter. . . . Da bin ich überhaupt nie irgendwohin gefahren.
Sie blickte noch immer nach unten, indem sie die Spitze ihres Schuhes bewegte.
– Und wenn ich sogar hinfahre, – sprach Oblomow weiter, – wird dabei nichts herauskommen; die Bauern werden mich betrügen; der Dorfschulze kann sagen, was er will, und ich muß ihm glauben; er wird mir so viel Geld geben, als ihm gerade einfällt. Ach, daß Andrej nicht da ist; er hätte alles in Ordnung gebracht! – fügte er gekränkt hinzu.
Oljga lächelte, das heißt nur ihre Lippen lächelten, aber nicht ihr Herz; in ihrem Herzen war Bitternis. Sie begann durchs Fenster zu schauen, indem sie das eine Auge ein wenig zukniff und jedem vorüberfahrenden Wagen folgte.
– Aber dieser Satjortij hat ein großes Gut verwaltet, – fuhr er fort, – der Gutsbesitzer hat ihn nur deswegen fortgeschickt, weil er stottert. Ich werde ihm die Vollmacht und die Pläne übergeben; er wird das Material zum Bau des Hauses besorgen, wird die Abgaben einheben, das Getreide verkaufen, das Geld bringen und dann. . . . Wie froh bin ich, liebe Oljga, – sagte er, ihre Hand küssend, – daß ich Dich nicht zu verlassen brauche. Ich hätte die Trennung nicht ertragen; allein, ohne Dich auf dem Gut zu sein. . . . wie entsetzlich! Wir müssen aber jetzt sehr vorsichtig sein. . . .
Sie blickte ihn groß an und wartete.
– Ja, – begann er langsam, fast stotternd, – wir müssen uns selten sehen; gestern wurde bei uns wieder geklatscht, und sogar in der Wohnung der Hausfrau. . . . und ich will das nicht haben. . . . Sowie alles erledigt ist, wird der Bevollmächtigte den Bau anordnen und mir das Geld bringen. . . . das alles wird kaum ein Jahr dauern. . . . dann gibt es keine Trennung mehr, wir sagen alles der Tante, und. . . . und. . .
Er blickte Oljga an; sie war ohnmächtig geworden. Ihr Kopf hatte sich zur Seite geneigt, zwischen den bläulichen Lippen schauten die Zähne hervor. Er hatte im Übermaß der Freude nicht bemerkt, daß Oljga bei den Worten: »sowie alles erledigt ist, wird der Bevollmächtigte den Bau anordnen,« erbleicht war und den Schluß des Satzes nicht gehört hatte.
– Oljga! . . . Mein Gott, ihr ist schlecht! – sagte er und zog die Klingel.
– Dem Fräulein ist schlecht, – sagte er zur herbeilaufenden Katja. – Schnell Wasser!. . . Äther. . .
– O Gott! Das Fräulein war den ganzen Morgen so lustig. . . . Was ist nur geschehen? – flüsterte Katja, vom Tisch der Tante Äther bringend und mit einem Glas Wasser hin und her laufend.
Oljga kam zu sich, stand mit Katjas und Oblomows Hilfe vom Sessel auf und gieng wankend in ihr Schlafzimmer.
– Das wird vorübergehen, – sagte sie mit schwacher Stimme, – das sind die Nerven; ich habe in der Nacht schlecht geschlafen. Katja, mach die Thür zu, warten Sie auf mich, sowie es mir besser geht, komme ich heraus.
Oblomow blieb allein, legte das Ohr an die Thür, er konnte aber weder etwas sehen, noch hören. Er gieng nach einer halben Stunde durch den Corridor ins Mägdezimmer und fragte Katja, was mit dem Fräulein sei.
– Nichts, – sagte Katja, – sie hat sich hingelegt und mich hinausgeschickt; ich bin später hineingegangen und habe sie auf dem Lehnstuhl sitzen gesehen.
Oblomow gieng wieder in den Salon, lauschte an der Thür, es war nichts zu hören. Er klopfte leise mit dem Finger, erhielt aber keine Antwort. Er setzte sich hin und vertiefte sich in seine Gedanken. Er dachte an vieles in diesen anderthalb Stunden, in seinen Gedanken veränderte sich viel und er faßte viele neue Entschlüsse. Endlich blieb er dabei, daß er selbst mit dem Bevollmächtigten aufs Gut fahren würde, nachdem er bei der Tante die Einwilligung zur Hochzeit erbeten und sich dann mit Oljga trauen lassen hatte, er würde Iwan Gerassimitsch das Suchen einer Wohnung übergeben und sich sogar ein wenig Geld ausborgen. . . um die Hochzeit zu arrangieren. Man könnte diese Schuld mit der Einnahme für das Getreide begleichen. Warum war er denn so muthlos gewesen? Ach Gott, wie alles sich innerhalb einer Minute verändern kann! Und dort auf dem Gut wird er mit dem Bevollmächtigten die Abgaben vertheilen; ja, und dann schreibt er an Stolz; dieser wird ihm das nöthige Geld geben, er wird herkommen und Oblomowka auf die erdenklich beste Weise einrichten; er wird überall Straßen bahnen, Brücken bauen und Schulen einrichten. . . . Und er wird mit Oljga dort leben!. . . . O Gott! Da war es ja, das Glück! Wie war ihm das alles nur nicht früher eingefallen!
Es wurde ihm plötzlich so leicht und froh ums Herz; er begann aus einer Ecke in die andere zu gehen, schnalzte sogar leise mit den Fingern, schrie vor Freude fast auf, trat an Oljgas Thür heran und rief sie leise mit fröhlicher Stimme:
– Oljga, Oljga! Was ich Ihnen mitzutheilen habe, – sagte er, die Lippen an die Thür haltend, – das erwarten Sie keinesfalls zu hören. . . .
Er beschloß sogar jetzt noch nicht von ihr fortzugehen, sondern auf die Tante zu warten. »Wir werden ihr noch heute alles sagen und ich werde von hier als Bräutigam fortgehen. . . . »
Die Thür öffnete sich leise, und darin erschien Oljga; er blickte sie an, und ihm sank plötzlich der Muth; seine Freude entschwand; Oljga erschien ein wenig gealtert. Sie war bleich, doch ihre Augen leuchteten; in den zusammengepreßten Lippen, in jedem Zug zitterte gespanntes, innerliches Leben, das mit gewaltsamer Ruhe und Unbeweglichkeit wie mit Eis gefesselt war. Er las in ihrem Blick einen Entschluß, er wußte noch nicht was für einen, aber das Herz klopfte ihm, wie noch nie. Solche Augenblicke waren in seinem Leben noch nie vorgekommen.
– Höre, Oljga! Schau mich nicht so an. Mir wird angst! – sagte er. – Ich habe mir alles überlegt. Man muß die Sache ganz anders einrichten. . . – fuhr er fort, die Stimme immer mehr senkend, sich unterbrechend und in diesen ihm neuen Ausdruck ihrer Augen, Lippen und beredten Brauen einzudringen versuchend. – Ich habe beschlossen, mit dem Bevollmächtigten zusammen auf das Gut zu reisen. . . um dort. . . – schloß er kaum hörbar.
Sie schwieg und blickte ihn starr wie ein Gespenst an. Er ahnte dunkel, welchen Urtheilsspruch er zu erwarten hatte, griff nach seinem Hut, zögerte aber, sie zu fragen. Er fürchtete sich, den verhängnisvollen und vielleicht unwiderruflichen Entschluß zu hören. Endlich beherrschte er sich.
– Habe ich recht verstanden?. . . – fragte er sie mit veränderter Stimme.
Sie nickte langsam und sanft mit dem Kopf, als Zeichen der Zustimmung.
Er hatte ihren Gedanken zwar früher errathen; er erbleichte aber und blieb vor ihr stehen. Sie war etwas ermattet, erschien aber so ruhig und reglos wie eine steinerne Statue. Das war jene übernatürliche Ruhe, wenn ein fester Vorsatz oder ein verletztes Gefühl dem Menschen plötzlich die ganze Kraft geben, sich an sich zu halten, aber nur für einen Augenblick. Sie erinnerte an einen Verwundeten, der die Wunde mit der Hand zudrückt, um das Nöthige zu Ende zu sprechen und dann zu sterben.
– Du wirst mich hassen? – fragte er.
– Wofür? – sagte sie leise.
– Für alles, was ich mit Dir gethan habe . .
– Was hast Du gethan?
– Ich habe Dich geliebt. Das ist eine Beleidigung!
Sie lächelte mitleidig.
– Dafür, – sagte er mit gesenktem Kopf, daß Du Dich geirrt hast. . . Vielleicht wirst Du mir verzeihen, wenn Du Dich daran erinnerst, daß ich Dich gewarnt habe, Du würdest Dich schämen und bereuen . .
– Ich bereue nicht. Mir ist nur so weh, so weh ums Herz. . . – sagte sie und hielt inne, um Athem zu holen.
– Umso schlimmer für mich! – antwortete Oblomow. Doch ich habe das verdient. – Warum quälst Du Dich aber so?
– Für meinen Stolz. – sagte sie, ich bin gestraft, ich habe von meiner Kraft zu viel erwartet das war mein Irrthum, nicht das, was Du gefürchtet hast. Ich habe nicht von der ersten Jugend und von Schönheit geträumt, ich dachte, ich würde Dich beleben, Du würdest noch für mich leben können – und Du bist schon längst gestorben. – Ich habe diesen Irrthum nicht vorausgesehen, ich habe immer gewartet und gehofft. . . und jetzt! . . – sprach sie seufzend und mit Mühe zu Ende.
Sie schwieg und setzte sich.
– Ich kann nicht stehen; meine Beine zittern mir. Ein Stein würde dabei, was ich gethan habe, lebendig werden, – sprach sie mit zerschlagener Stimme weiter. – Jetzt mache ich nichts mehr, keinen Schritt, ich gehe nicht einmal mehr in den Sommergarten Es ist alles umsonst – Du bist gestorben! Du stimmst mir bei, Ilja? – fügte sie dann nach einem Schweigen hinzu. – Du wirst mir nie vorwerfen, ich hätte Dich aus Stolz oder wegen einer Laune verlassen!
Er schüttelte verneinend den Kopf.
– Bist Du davon überzeugt, daß uns nichts geblieben ist, gar keine Hoffnung?
– Ja, – sagte er, – das ist wahr. . . Aber vielleicht. . . – fügte er dann unschlüssig hinzu, – in einem Jahr. . . – Er hatte nicht den Muth, seinem Glücke einen endgiltigen Schlag zu versetzen.
– Glaubst Du denn wirklich, daß Du in einem Jahre Deine Angelegenheiten und Dein Leben geordnet haben wirst? – fragte sie. – Überlege es Dir!
Er seufzte, vertiefte sich in seine Gedanken und kämpfte mit sich. Sie las diesen Kampf von seinem Gesichte ab.
– Höre, – sagte sie, – ich habe soeben das Bild meiner Mutter angeschaut und ich glaube in ihren Augen Rath und Kraft gefunden zu haben. Wenn Du jetzt ein ehrlicher Mensch bist. . . Vergiß nicht, Ilja, daß wir keine Kinder sind und nicht scherzen. Es handelt sich um das ganze Leben. Befrage streng Dein Gewissen und sprich dann – ich werde Dir glauben, ich kenne Dich. Hast Du genug Kraft für ein ganzes Leben? Wirst Du mir das sein, was ich brauche? Du kennst mich, Du verstehst also, was ich sagen will. Wenn Du muthig und wohlüberlegt ja sagst, dann nehme ich meinen Entschluß zurück, dann reiche ich Dir die Hand und folge Dir, wohin Du willst: ins Ausland, aufs Gut, sogar in die Wiborgskajastraße!
Er schwieg.
– Wenn Du wüßtest, wie ich Dich liebe. . .
– Ich erwarte keine Liebeserklärungen, sondern eine kurze Antwort! – unterbrach sie ihn fast trocken.
– Quäle mich nicht, Oljga! – flehte er traurig.
– Wie istʼs, Ilja, habe ich recht oder nicht?
– Ja, – sagte er deutlich und entschlossen, – Du hast recht!
– Dann ist es Zeit, daß wir uns trennen, beschloß sie, – bevor man Dich hier angetroffen und gesehen hat, wie aufgeregt ich bin!
Er gieng noch immer nicht.
– Wenn Du mich auch geheiratet hättest, was dann? – fragte sie.
Er schwieg.
Du würdest mit jedem Tag immer fester einschlafen, nicht wahr? Und ich? Du siehst, wie ich bin! Ich werde niemals altern und des Lebens müde werden. Und mit Dir zusammen müßte ich einen Tag wie den andern verleben, wir würden auf Weihnachten und dann auf den Carneval warten, Besuche machen, tanzen und an nichts denken; wir würden uns schlafen legen und Gott danken, daß der Tag so schnell vergangen ist, und des Morgens würden wir mit dem Wunsche erwachen, das Heute möchte dem Gestern ähnlich sehen. . Das ist unsere Zukunft – ja? – Heißt denn das leben? Ich werde zugrunde gehen und sterben. . . warum, Ilja? Wirst Du denn glücklich sein?. . .
Er ließ seine Augen gequält über den Plafond gleiten, wollte sich bewegen und fortlaufen – doch die Füße gehorchten ihm nicht. Er wollte etwas sagen; sein Mund war ausgetrocknet, die Zunge rührte sich nicht, die Stimme wollte nicht aus der Kehle dringen. Er streckte ihr die Hand hin.
– Also. . . – begann er mit gesenkter Stimme, sprach aber nicht weiter und schloß mit dem Blicke »lebe wohl«
Auch sie wollte etwas sagen, that es aber nicht, und reichte ihm die Hand hin, doch diese sank herab, bevor sie die seinige berührt hatte; sie wollte ihm auch »Lebe wohl« zurufen, doch die Stimme versagte ihr in der Mitte des Wortes und schlug einen falschen Ton an; das Gesicht verzerrte sich in einem Krampf; sie legte ihm den Kopf und die Hand auf die Schulter und schluchzte. Es war, als hätte man ihr die Waffe aus der Hand gerissen. Der Verstand versagte, sie war jetzt einfach ein vom Grame überwältigtes Weib.
– Lebʼ wohl, lebʼ wohl. . . – stieß sie zwischen den Anfällen von Schluchzen hervor.
Er schwieg und hörte entsetzt ihrem Weinen zu, ohne dasselbe aufzuhalten zu wagen. Er empfand weder ihr noch sich selbst gegenüber Mitleid; er war sehr elend. Sie ließ sich in den Lehnstuhl sinken, preßte das Tuch an das Gesicht, stützte sich auf den Tisch und weinte bitterlich. Die Thränen brachen nicht wie eine unerwartet hervorströmende heiße Quelle hervor, von plötzlichem, vergänglichem Schmerz hervorgerufen, wie damals im Parke, sondern flossen trostlos in kalten Strömen, wie Herbstregen, der unerbittlich die Felder netzt.
– Oljga, – sagte er endlich, – warum quälst Du Dich? Wenn ich des Glückes auch unwürdig bin, so schone doch Dich selbst! Du liebst mich, Du wirst die Trennung nicht ertragen! Nimm mich, wie ich bin, liebe in mir das, was ich in mir Gutes habe.
Sie schüttelte ablehnend den Kopf, ohne ihn zu heben.
– Nein. . . nein . . . – sagte sie dann mit Mühe, – mache Dir keine Sorgen um mich und um mein Glück. Ich kenne mich. Ich werde mein Leid ausweinen und werde dann ruhig sein. Und störe mich jetzt nicht. . . gehʼ. . . Ach, nein, warte!. . . Gott straft mich! . . . Es ist mir so weh, ach so weh ums Herz. . .
Das Schluchzen erneuerte sich.
– Und wenn der Schmerz nicht vergeht, – sagte er, – und Deine Gesundheit darunter leidet? Deine Thränen sind giftig; Oljga, mein Engel, weine nicht. . . vergiß alles. . .
– Nein, laß mich weinen! Ich weine nicht über die Zukunft, sondern über die Vergangenheit. . . – sagte sie mit Mühe, – sie ist »verblaßt und verwelkt« . . . Nicht ich, sondern die Erinnerungen weinen! Der Sommer. . . der Park. . . weißt Du noch? Es ist mir leid um unsere Allee und um den Flieder . . . Das alles ist mir ans Herz gewachsen; es thut weh, es fortzureißen! . . .
