Kitabı oku: «Assja», sayfa 2
III
Am andern Morgen (ich war bereits wach, aber noch nicht aufgestanden) klopfte Jemand mit einem Stocke unter meinem Fenster und eine Stimme, die ich sogleich als die Gagin’s erkannte, stimmte an:
»Noch schläfst Du? Es soll
» Die Guitarre Dich wecken . . .«
Ich eilte ihm die Thür zu öffnen.
– Guten Morgen, sagte Gagin, indem er hereintrat: Ich störte Sie etwas früh, sehen Sie aber, was für ein Morgen! Frische, Thau, die Lerchen singen . . . Mit seinem lockigen, glänzenden Haare, dem bloßen Halse und den rosigen Wangen war er selbst frisch wie der Morgen.
Ich kleidete mich an; wir traten hinaus in den Garten, setzten uns auf eine Bank, ließen uns Kaffee bringen und begannen zu plaudern. Gagin theilte mir seine Pläne für die Zukunft mit: im Besitze eines artigen Vermögens und völlig unabhängig, wollte er sich der Malerei widmen, nur bedauerte er, daß ihm dieser Gedanke so spät gekommen sei und er viel Zeit unnütz verloren habe; ich erwähnte gleichfalls meiner Pläne und vertraute ihm nebenbei das Geheimniß meiner unglücklichen Liebschaft. Er hörte mich langmüthig an, aber so viel ich bemerken konnte, erregte in ihm meine Leidenschaft keine lebhafte Theilnahme. Nachdem er ein paar Male aus Artigkeit gegen mich mitgeseufzt hatte, schlug er mir vor, zu ihm zu kommen und seine Studien anzusehen. Ich war sogleich bereit.
Assja trafen wir nicht an. Sie war, nach Aussage der Wirthin auf die »Ruine« gegangen. Zwei Werst von dem Städtchen L. befanden sich Ueberreste einer mittelalterlichen Burg. Gagin legte mir alle seine Mappen vor. In seinen Entwürfen war viel Leben und Wahrheit, eine gewisse Freiheit und Breite, jedoch keiner war ausgeführt und die Zeichnung war nachlässig und nicht ohne Fehler. Ich sagte ihm meine Meinung frei heraus.
– Ja, ja, nahm er mit einem Seufzer das Wort: – Sie haben Recht; das Alles ist sehr schwach und unvollkommen. Was ist dabei zu thun! Ich habe nicht studirt wie sich’s gebührt, und da schlägt noch dazu die slavische Fahrlässigkeit durch. Vor der Arbeit ist’s, als schwebe man wie im Adlerfluge dahin: den Erdball, scheint’,« könnte man aus seiner Bahn reißen, kommt‘s aber zum Handeln, so verliert man gleich die Kraft und wird müde.
Ich versuchte ihm Muth einzusprechen, er aber wies mich ab mit der Hand, raffte seine Mappen zusammen und warf sie auf den Divan. – Wenn die Geduld vorhält, soll noch aus mir Etwas werden, brummte er in den Bart: – wenn nicht – dann bleibe ich Landjunker. Doch suchen wir Assja auf. – Wir gingen.
IV
Der Weg zur Ruine schlängelte sich am Abhange eines bewaldeten Thales hin, in dessen Grunde ein Bach rauschend über Gestein rollte, als drängte es ihn, sich in dem großen Strome zu verlieren, der ruhig hinter dem scharfzackigen Bergrand hervorschimmerte. Gagin lenkte meine Aufmerksamkeit auf einige vortheilhaft beleuchtete Punkte; aus seinen Worten sprach, wenn nicht der Maler, so doch gewiß der Künstler. Bald zeigte sich die Ruine. Auf dem Gipfel eines nackten Felsens erhob sich ein viereckiger, ganz geschwärzter, noch fester Thurm, der aber durch einen Riß der Länge nach wie zerspalten war. Bemooste Mauern stießen an den Thurm; hier und dort rankte sich Epheu; krummästiges Gestrüpp füllte die Schußscharten und eingestürzten Gewölbe. Ein steiniger Weg führte zum Thore, das verschont geblieben war. Wir waren demselben schon nahe, als plötzlich vor uns eine weibliche Gestalt vorbeiglitt, rasch über die Trümmerhaufen dahineilte und sich auf einen Vorsprung der Marter setzte, gerade über dem Abgrunde. – Das ist ja Assja! rief Gagin aus: – ist die aber toll!
Wir traten durch das Thor in einen mäßigen Hof, der zur Hälfte mit wild wachsenden Aepfelbäumen und Brennesseln überwuchert war. Auf dem Vorsprunge saß Assja, sie war es. Sie wandte das Gesicht zu uns und lachte auf, rührte sich aber nicht von der Stelle. Gagin drohte ihr mit dem Finger, ich machte ihr laut Vorwürfe über ihre Unvorsichtigkeit.
– Lassen Sie das, flüsterte mir Gagin zu: – reizen Sie sie nicht; Sie kennen sie nicht: sie wäre noch im Stande, den Thurm hinaufzuklettern. Betrachten Sie sich lieber das dort, wie doch die Leutchen hier herum erfinderisch sind.
Ich blickte mich um: in einem Winkel hatte sich‘s eine gute Alte in einem engen Gehäuse von Brettern bequem gemacht und strickte ihren Strumpf, indem sie dabei scheele Blicke über die Brille aus uns warf. Sie hielt für Touristen Bier, Kuchen und Selterswasser feil. Wir nahmen Platz auf einer Bank und machten uns an unsere schweren, zinnernen Kannen mit kühlem Biere. Assja saß immer noch unbeweglich da, sie hatte ihre Füße herausgezogen und um den Kopf eine Schärpe von Nesseltuch geschlungen. Ihre schlanke Gestalt zeichnete sich deutlich und schön auf dem hellen Himmelsgrunde ab; ich konnte sie indessen nicht ohne Mißvergnügen ansehen. Noch am Tage vorher hatte ich an ihr etwas Gespanntes, Unnatürliches wahrgenommen . . . »Sie will uns in Erstaunen setzen,« dachte ich, »wozu das? was für ein kindischer Einfall?« Als wenn sie meine Gedanken errathen hätte, warf sie einen raschen und durchdringenden Blick auf mich, lachte auf, sprang in zwei Sätzen die Mauer herab und bat sich, zu der Alten tretend, ein Glas Wasser aus.
– Du glaubst wohl, ich wolle trinken? sagte sie, zum Bruder gewendet, – nein; es sind da Blumen auf der Mauer, die ich durchaus begießen muß.
Gagin erwiederte nichts; sie aber kletterte, mit dem Glase in der Hand, die Ruine hinan, machte von Zeit zu Zeit Halt, und sich niederbeugend, ließ sie. mit ergötzlicher Wichtigthuerei, einige Tropfen Wasser herabfallen, die hell an der Sonne glitzerten. Ihre Bewegungen waren sehr anmuthig, mich aber ärgerte sie wie zuvor, obgleich ich unwillkürlich ihre Leichtigkeit und Gewandtheit bewunderte. An einer gefährlichen Stelle that sie absichtlich einen Schrei und lachte dann laut . . . das brachte mich noch mehr auf.
– Die klettert ja wie eine Geis. brummte die Alte vor sich hin und hielt für einen Augenblick mit Stricken inne.
Inzwischen hatte Assja das Glas geleert und war, schelmisch sich hin und her wiegend, zu uns zurückgekehrt. Ein eigenthümliches Lächeln umspielte kaum merklich ihre Brauen, die Nasenflügel und Lippen; halb dreist, halb heiter blinzten die dunklen Augen.
– Sie finden mein Betragen anstößig, schien ihr Gesicht zu sagen; – gleichviel: ich weiß doch, daß Sie mich bewundern.
– Sehr gewandt, Assja, sehr gewandt! sagte Gagin halblaut.
Es war, als fühlte sie plötzlich Scham; sie senkte die langen Wimpern und setzte sich, wie schuldbewußt, bescheiden zu uns. Jetzt zum ersten Male betrachtete ich mir genau ihr Gesicht, das veränderlichste Gesicht, das ich jemals gesehen habe. Einige Augenblicke darauf wurde es ganz bleich und nahm einen gesammelten, fast wehmüthigen Ausdruck an; ihre Züge kamen mir jetzt sogar breiter, strenger und einfacher vor. Sie war ganz still geworden. Wir machten einen Gang um die Ruine herum (Assja folgte uns) und ergötzten uns an den Fernsichten. Unterdessen rückte die Mittagsstunde heran. Gagin bezahlte die Alte, forderte noch eine Kanne Bier und rief, zu mir gewandt, mit verschlagenem Blick:
– Auf das Wohl der Dame Ihres Herzens!
– Hat er denn, – haben Sie denn eine solche Dame? fragte auf einmal Assja.
– Wer denn hätte keines erwiederte Gagin.
Assja wurde plötzlich nachdenkend; ihr Gesicht bekam wieder einen andern Ausdruck, das herausfordernde, fast dreiste Lächeln war zurückgekehrt.
Auf dem Heimwege lachte und tollte sie noch ärger. Sie brach sich einen langen Zweig ab, lehnte ihn an ihre Schulter wie eine Flinte und band sich die Schärpe um den Kopf. Ich erinnere mich, es begegnete uns eine zahlreiche Gesellschaft blondhaariger, gezierter Engländer: wie auf gegebenes Commando ließen Alle in kaltem Erstaunen Assja an ihren glasichten Augen vorbei, während diese, ihnen zum Possen, lauten Gesang anstimmte. Zu Hause angekommen, begab sie sich sogleich auf ihr Zimmer und zeigte sich erst kurz vor dem Essen, in ihr bestes Kleid gekleidet, mit sorgfältig geordneten Haaren und in Handschuhen. An der Tafel hielt sie sich sehr sittsam, beinahe steif, berührte kaum die Speisen und trank Wasser aus einem Weinglase. Offenbar lag ihr daran, sich mir in einer neuen Rolle vorzustellen, – in der Rolle eines anständigen und wohlgesitteten Fräuleins. Gagin ließ sie gewähren; man sah sehr wohl, daß es ihm bereits zur Gewohnheit geworden war, ihr in Allem den Willen zu lassen. Zuweilen sah er mich gutherzig an und zuckte leicht mit den Achseln, als wollte er sagen: » Sie ist ein Kind; seien Sie nachsichtig.« Als die Tafel zu Ende war, erhob sich Assja, machte uns einen Knicks und fragte, den Hut aufsetzend, Gagin, ob sie zur Frau Luise gehen dürfe?
– Seit wann fragst Du um Erlaubniß? erwiederte er mit seinem unwandelbaren, jetzt etwas erstaunten Lächeln: – wird Dir die Zeit mit uns lang?
– Nein, ich habe aber gestern noch der Frau Luise versprochen, sie zu besuchen; und dann, meine ich, bleibt ihr Beide lieber allein; Herr N. ((sie zeigte auf mich) wird Dir noch Etwas erzählen.
Sie ging.
– Frau Luise« begann Gagin, indem er sich bemühte, meinen Blicken auszuweichen« – ist die Wittwe eines ehemaligen Bürgermeisters von hier, eine gute, aber beschränkte Alte. Sie hat Assja sehr lieb gewonnen. Assja‘s Leidenschaft ist’s, mit Leuten niederer Abkunft Bekanntschaft zu machen; ich habe gefunden, daß Stolz jedes Mal der Grund davon ist. Ich habe sie ziemlich verwöhnt, wie Sie sehen, fügte er nach einer Pause hinzu; – was blieb mir aber übrig? Mit Strenge Etwas durchsetzen wollen, das könnte ich bei Niemandem, bei ihr nun vollends nicht. Es ist meine Pflicht, nachsichtig gegen sie zu sein.
Ich schwieg. Gagin gab der Unterhaltung eine andere Wendung. Je mehr ich ihn kennen lernte, desto mehr gefiel er mir. Ich hatte ihn bald verstanden. Das war so eine echt russische Seele, wahrheitsliebend, treuherzig, einfach, doch leider etwas träge, ohne Halt und ohne innere Glut. Die Jugend sprudelte nicht in ihm, sie glimmte gleich einem leichten Feuer. Er war höchst liebenswürdig und gescheit, doch konnte ich mir nicht vorstellen, was wohl aus ihm im Mannesalter werden sollte. Künstler will er werden . . . Ohne sauere, beständige Anstrengung wird Niemand Künstler; du, dich anstrengen, dachte ich beim Anblick des sanften Gesichtes und bei dem langsamen Tonfall seiner Stimme, – nein! anstrengen wirst du dich nicht, dich zu beherrschen, wird Dir nicht gelingen! Und doch war es mir unmöglich, ihn nicht lieb zu haben: das Herz fühlte sich wahrhaft hingezogen zu ihm. Vier Stunden mochten wir mit einander verbracht haben, bald sitzend auf dem Divan, bald ruhig vor dem Hause auf und ab gehend, und in diesen vier Stunden wurden wir vollends befreundet.
Der Tag hatte sich zu Ende geneigt und es war Zeit geworden, nach Hause zu gehen. Assja war noch immer nicht heimgekehrt.
– Das ist mir doch ein ausgelassenes Ding, sagte Gagin: – wenn Sie wollen, begleite ich Sie zurück; unterweges gehen wir bei Frau Luise vor; ich frage nach, ob sie noch da ist. Der Umweg ist unbedeutend.
Wir stiegen in die Stadt hinab, lenkten in eine enge, krumme Quergasse ein und blieben vor einem zwei Fenster breiten, vierstockigen Hause stehen. Der zweite Stock trat über den unteren, nach der Gasse zum vor, der dritte und vierte überragten den zweiten noch weiter; das ganze Haus mit seinem alterthümlichen Schnitzwerk, den zwei dicken Pfeilern unten, dem scharfkantigen Ziegeldach und dem schnabelartig aus dem Dachboden hervorragenden Wellbaume war einem ungeheuren, höckerigen Vogel ähnlich.
– Assja! rief Gagin: – bist Du da?
Ein erhelltes Fensterchen im dritten Stocke ward angestoßen, aufgemacht und es zeigte sich uns der dunkelhaarige Kopf Assja‘s. Hinter ihr guckte das zahnlose Gesicht einer schwachäugigen Alten hervor.
– Bin hier, antwortete Assja, sich mit den Ellenbogen coquett auf die Fensterbrüstung stützend: – Mir gefällt es hier. Da, nimm« setzte sie hinzu, indem sie Gagin einen Geraniumzweig herabwarf: – denke Dir, ich wäre die Dame Deines Herzens.
Frau Luise lachte.
– N. will fort, entgegnete Gagin: – er wünscht Abschied von Dir zu nehmen.«
– Wirklich? äußerte Assja: – in diesem Falle gieb ihm meinen Zweig, ich bin gleich zurück.
Sie warf das Fenster zu und gab, wie mir schien, der Frau Luise einen Kuß. Gagin reichte mir schweigend den Zweig. Schweigend steckte ich ihn in die Tasche, ging zur Ueberfahrt und ließ mich an’s andere Ufer übersetzen.
Ich erinnere mich, während ich nach Hause ging, dachte ich an Nichts, fühlte jedoch auf dem Herzen eine eigenthümliche Schwere, als mich unerwartet ein scharfer, mir bekannter, in Deutschland jedoch nicht gewöhnlicher Geruch stutzig machte. Ich blieb stehen und gewahrte abseits vom Wege ein mäßiggroßes Hanfbeet, dessen Geruch mich sogleich an meine heimathliche Steppe erinnerte. Ein heftiges Heimweh ward in mir rege. Es wandelte mir die Lust an, russische Luft in die Lungen zu ziehen, auf russischer Erde zu wandeln. »Was mache ich hier, warum treibe ich mich, unter Fremden, in der Fremde umher?« rief ich aus, und die dumpfe Schwere, die mir auf der Seele lag, verwandelte sich augenblicklich in bittere, brennende Aufregung. Ganz anders gestimmt, als am vorigen Tage, langte ich zu Hause an. Ich fühlte mich einigermaßen aufgebracht und konnte mich lange nicht beruhigen. Ein mir selbst unerklärbarer Aerger hatte sich meiner bemächtigt. Ich setzte mich endlich und, mich meiner treulosen Wittwe erinnernd (officielle Erinnerungen widmete ich dieser Dame am Schlusse jeden Tages), holte ich einen ihrer Briefe hervor. Ich faltete ihn jedoch nicht einmal auseinander, meine Gedanken hatten bereits eine andere Richtung eingeschlagen. Ich dachte . . . dachte an Assja. Mir fiel ein, daß Gagin im Laufe der Unterhaltung von gewissen Hindernissen geredet hatte, die seine Rückkehr nach Rußland erschweren sollten . . . »Aber ist sie denn wohl seine Schwester?« rief ich laut.
Ich kleidete mich aus, legte mich zu Bett und versuchte einzuschlafen, aber eine Stunde darauf saß ich bereits auf meinem Lager und, mit dein Ellenbogen auf das Kissen gestützt, dachte ich wieder an das »launische Mädchen mit dem erzwungenen Lachen« . . . Sie ist wie die kleine Raphael’sche Galathea in der Farnesina geformt, sagte ich leise – » ja; und sie ist nicht seine Schwester. . .«
Der Brief der Wittwe lag indessen ruhig auf dem Fußboden, gebleicht von den Strahlen des Mondes.