Kitabı oku: «Assja», sayfa 3
V
Am folgenden Tage begab ich mich abermals nach L. Ich hatte mir eingeredet, ich wolle Gagin besuchen, in‘s Geheim aber zog es mich hin, um zu beobachten, was wohl Assja angeben, ob sie wohl, wie am Tage zuvor, wieder »Extravaganzen« treiben werde. Ich traf Beide im Gastzimmer vor, und, sonderbar! – war es, weil ich die Nacht und diesen Morgen viel an Rußland gedacht hatte – mir kam Assja wie ein echt russisches Mädchen vor, ja, wie ein ganz einfaches, fast wie ein Stubenmädchen. Sie hatte ein abgetragenes Kleid an, ihr Haar war hinter die Ohren zurückgekämmt, sie saß ruhig beim Fenster und arbeitete am Nährahmen, gesetzt, still, als wenn sie es in ihrem Leben nie anders getrieben hätte. Sie sprach fast gar nicht, betrachtete von Zeit zu Zeit ihre Arbeit und ihre Züge hatten einen so nichtssagenden, alltäglichen Ausdruck, daß ich unwillkürlich an unsere naturwüchsigen Kathinka’s und Maschinka‘s erinnert wurde. Die Aehnlichkeit vollständig zu machen, stimmte sie das »Mütterlein, Liebste mein « an. Ich betrachtete ihr gelbliches, mattes Gesicht, gedachte der gestrigen Träumereien und es wurde mir leid um Etwas. Das Wetter war herrlich. Gagin erklärte, er werde heute Studien nach der Natur vornehmen; ich fragte ihn, ob er erlauben wolle, daß ich ihn begleite, ob es ihn nicht stören werde?
– Im Gegentheil, sagte er: – Sie können mir mit, gutem Rathe beistehen.
Er setzte seinen van Dyck-Hut aus, zog sein Malerhemd an, nahm die Mappe unter den Arm und machte sich auf den Weg; langsam folgte ich ihm nach. Assja blieb zu Hause. Im Fortgehen bat Gagin sie, dafür zu sorgen, daß die Suppe nicht zu wässerig werde; Assja versprach in der Küche nachzusehen. Gagin erreichte einen Thalgrund, den ich schon konnte, ließ sich auf einem Stein nieder und begann eine alte, hohle und breitästige Eiche abzuzeichnen. Ich legte mich in‘s Gras und holte ein Buch hervor, kam jedoch im Lesen nicht über die zweite Seite hinaus, und er verschmierte nur sein Papier; wir schwatzten größtentheils und wenn mich mein Urtheil nicht trügt, schwatzten wir recht vernünftig und sein darüber, wie man arbeiten solle, was man zu vermeiden, was sich anzueignen habe und was den wahren Werth des Künstlers unserer Tage begründe. Gagin erklärte zuletzt, er wäre heute nicht aufgelegt; er ließ sich neben mir nieder und nun erst recht ergoß sich ungefesselt unser jugendliches Geplauder, das bald glühendheiß, bald träumerisch, bald wie begeistert, aber fast immer unbestimmt war und worin der Rasse sich so gern ergeht. Nachdem wir uns sattgeplaudert hatten, kehrten wir überfällt von Befriedigung, Etwas gethan, Etwas errungen zu haben, nach Hause zurück. Ich fand Assja ganz so wie ich sie verlassen hatte; wie bemüht ich auch war, Beobachtungen über sie anzustellen – keine Spur von Coquetterie, keine Spur absichtlich angenommenen Spiels konnte ich an ihr bemerken; dies Mal wäre es unmöglich gewesen, sie der Unnatürlichkeit zu beschuldigen. – Ah-ha! sagte Gagin: – Du hast Dir Fasten und Buße auferlegt! Abends gähnte sie einige Mal ohne Verstellung und zog sich zeitig zurück. Ich selbst nahm auch bald Abschied von Gagin und zu Hause angelangt, überließ ich mich keinen Träumereien mehr; dieser Tag verstrich in nüchternen Empfindungen. Ich besinne mich jedoch, als ich mich schlafen legte, sagte ich laut: – Was für ein Chamäleon doch, dieses Mädchens – und nach einigem Nachdenken fügte ich hinzu: – und doch ist sie nicht feine Schwester.
VI
So vergingen zwei ganze Wochen. Ich besuchte Gagin‘s alle Tage. Assja schien mich zu vermeiden, sie erlaubte sich indessen keine jener Tollheiten mehr, die mich während der zwei ersten Tage unserer Bekanntschaft so sehr befremdet hatten. Mir dünkte, sie war heimlich bekümmert oder verwirrt; auch lachte sie nicht so viel. Ich beobachtete sie mit Interesse.
Sie sprach ziemlich gut französisch und deutsch; doch konnte man aus Allem bemerken, daß sie von ihrer Kindheit an nicht Frauenhänden anvertraut gewesen war und die sonderbare, ungewöhnliche Erziehung, die sie erhalten, Nichts mit der Gagin‘s gemein gehabt hatte. Trotz des van Dyck-Hutes und des Malerhemdes sprach aus ihm der weiche, etwas verzärtelte, großrussische Edelmann, sie aber glich nicht einem Edelfräulein; in allen ihren Bewegungen war etwas Unstätes: das war ein erst vor kurzem aufgesetztes Pfropfreiß, ein Most, der noch nicht ausgegohren hatte. Von Natur blöde und schüchtern, ärgerte sie doch ihre Blödigkeit und aus Aerger zwang sie sich, ungezwungen und dreist zu sein, was ihr nicht immer gelang. Einige Male lenkte ich das Gespräch auf ihr Leben in Rußland, auf ihre Vergangenheit; ungern antwortete sie auf meine Fragen; ich erfuhr jedoch, daß sie vor ihrer Reise in‘s Ausland längere Zeit auf dem Lande zugebracht hatte. Einst traf ich sie mit einem Buche, sie war allein. Den Kopf auf beide Arme gestützt, die Finger tief im Haare verborgen, verschlang sie mit den Augen die Schrift.
– Bravo! sagte ich zu ihr herantretend; – Sie sind ja recht fleißig.
Sie hob den Kopf in die Höhe und sah mich streng und ernst an.
– Sie meinen wohl, ich könne nur lachen? sagte sie und wollte sich entfernen.
Ich warf einen Blick auf den Titel des Buches: es war ein französischer Roman.
– Ich kann Ihre Wahl nicht billigen, äußerte ich.
– Was soll ich denn lesen! rief sie und setzte, das Buch auf den Tisch werfend, hinzu: besser dann ich vertreibe mir die Zeit mit Tollheiten, und damit lief sie hinaus in den Garten.
An jenem Tage, Abends, las ich Gagin »Herrmann und Dorothea« vor. Anfangs schaffte Assja fiel um uns herum, dann hielt sie plötzlich inne, horchte auf, setzte sich still zu mir und hörte dem Lesen bis zu Ende zu. Am folgenden Tage wurde ich wieder irre an ihr, bis mir einfiel, daß ihr auf einmal der Gedanke gekommen sein müsse, frauenhaft und sittsam zu sein, wie Dorothea. Mit einem Worte, sie war mir ein räthselhaftes Wesen. Voll Eigenliebe, reizbar, zog sie mich dennoch an, selbst wenn sie mich böse gemacht hatte. Ich überzeugte mich mehr und mehr, daß sie nicht Gagin’s Schwester war. Sein Benehmen gegen sie war nicht das eines Bruders: es war zu freundlich, zu rücksichtsvoll und dabei etwas gezwungen. Ein eigener Zufall sollte allem Anscheine nach meine Vermuthungen bestätigen.
Als ich eines Abends zum Weinberge kam, wo Gagin‘s wohnten, fand ich das Pförtchen verschlossen. Ohne viel zu überlegen, begab ich mich an eine ausgebrochene Stelle der Mauer, die ich schon früher bemerkt hatte und sprang hinüber. Nicht weit von dieser Stelle, seitwärts vom Wege, befand sich eine kleine Acazienlaube; ich hatte sie bereits erreicht und wollte eben vorübergehen . . . da vernahm ich plötzlich Assja‘s Stimme und die mit Heftigkeit und unter Thränen gesprochenen Worte:
– Nein, Niemanden will ich lieben, ausgenommen Dich, nein, nein, Dich nur will ich lieben – und für immer.
– So höre doch Assja, beruhige Dich, sagte Gagin: – Du weißt ja, ich glaube Dir. Beider Stimmen hörte ich in der Laube. Ich sah Beide durch das dünne Gezweige. Mich gewahrten sie nicht.
– Dich, Dich allein wiederholte sie, warf sich ihm um den Hals und küßte ihn unter krampfhaftem Schluchzen sich an seine Brust schmiegend. – Nun denn, genug, wiederholte er, indem er ihr Haar leicht mit der Hand streichelte.
Einige Augenblicke blieb ich unbeweglich . . . plötzlich raffte ich mich zusammen. – Hervortreten, zu ihnen? – Für Nichts in der Welt! durchzuckte mir‘s das Gehirn. Eiligen Schrittes kehrte ich zu der Mauer zurück, schnellte mich hinüber aus den Weg und erreichte fast laufend meine Wohnung. Ich lächelte, rieb mir die Hände und bewunderte den Zufall, der so unerwartet meinen Verdacht bestätigt hatte (ich hatte keinen Augenblick an dessen Richtigkeit gezweifelt); dabei war mir‘s aber doch recht weh’ um‘s Herz. Verstehen es Die, sich zu verstellen! dachte ich bei mir. Und wozu das? Warum wollen sie mich zum Besten haben? Das hatte ich nicht von ihnen erwartet . . . Und welch ein rührendes Bekenntniß das war!
VII
Ich schlief schlecht und stand am folgenden Morgen früh auf, schnürte meinen Ranzen und nachdem ich meiner Wirthin erklärt hatte, sie brauche mich nicht zu Nacht zu erwarten, lenkte ich meine Schritte in die Berge, den Fluß hinauf, an welchem das Städtchen S. liegt. Diese Berge, ein Ausläufer des Hundsrücks, sind in geologischer Hinsicht sehr anziehend, besonders sind sie merkwürdig wegen der Regelmäßigkeit und Reinheit der Basaltschichten; mir war es aber nicht um geologische Forschungen zu thun. Ich konnte mir nicht Rechenschaft geben darüber, was in mir vorging; Eins fühlte ich bestimmt, ich verspürte kein Verlangen, die Gagin‘s zu sehen. Ich redete mir ein, der einzige Grund meiner unerwarteten Abneigung gegen sie liege in der Entrüstung über ihre Falschheit. Was zwang sie, sich für Geschwister auszugeben? Dabei bemühete ich mich, nicht mehr an sie zu denken, schlenderte mit Weile in den Bergen und Thälern umher, ließ mir in den Dorfwirthshäusern, in friedlichem Gespräch mit Wirthen und Gästen die Zeit vergehen, oder ich legte mich auf einen flachen, von der Sonne gewärmten Stein und sah wie die Wolken zogen, zudem war ja das Wetter so wunderschön. In dieser Weise vergingen mir drei Tage und nicht ohne Vergnügen, – obgleich mir von Zeit zu Zeit das Herz etwas beklemmt wurde. Die ruhige Natur jener Gegend entsprach so recht meiner Stimmung. Ich gab mich gänzlich dem Spiele des Zufalls und der auf mich eindringenden Eindrücke Preis; ohne Hast sich ablösend, glitten sie an der Seele vorüber und ließen zuletzt ein allgemeines Gefühl in ihr zurück, in welchem sich Alles vermengte, was ich in jenen drei Tagen gesehen, gehört und empfunden hatte: – Alles: leichter Harzgeruch der Wälder; Geschrei und Geklopfe der Spechte; nie verstummendes Gemurmel heller Bäche mit gesprenkelten Forellen auf sandigem Grunde; nicht allzu kühne Bergumrisse; graues Gestein; freundliche Dörfer mit ehrwürdigen alten Kirchen und Bäumen; Störche auf Weideplätzen, behagliche Mühlen mit lustig kreisendem Räderwerk; treuherzige Gesichter des Landvolks in blauen Kitteln und grauen Strümpfen; knarrende, träge Fuhren mit wohlgenährten Gäulen, bisweilen auch mit Kühen davor; jugendliche Fußwanderer mit langem Haare auf reinlich unterhaltenen, mit Aepfel- und Birnbäumen besetzten Pfaden. Selbst jetzt noch denke ich mit Vergnügen an die damaligen Eindrücke zurück. Sei mir gegrüßt, bescheidener Winkel germanischen Bodens mit deiner anspruchslosen Genügsamkeit, den überall sichtbaren Anzeichen fleißiger Hände, ausdauernder, wenn auch nicht rascher Arbeit . . .
Gruß Dir und Friede!
Am Ende des dritten Tages kehrte ich nach Hause zurück. Ich vergaß zu sagen, daß ich aus Aerger gegen die Gagin‘s das Bild meiner hartherzigen Wittwe wiederherzustellen versucht hatte; – meine Bemühungen waren vergeblich. Als ich an sie zu denken begann. besinne ich mich, erblickte ich vor mir ein kleines Bauernmädchen, fünf Jahre ungefähr alt, aus dessen rundem Gesichtchen neugierige Aeuglein mich unschuldig groß anstaunten. Es schaute mich so kindlich treuherzig an . . . Es überkam mich eine Scham bei seinem Blicke, ich wollte nicht ihm gegenüber eine Lüge auf mich kommen lassen und sogleich und für immer gab ich meinem früheren Gegenstande den Abschied.
Zu Hause fand ich einen Zettel von Gagin vor. Es befremdete ihn mein unerwarteter Entschluß, er machte mir Vorwürfe, daß ich ihn nicht mit mir genommen hätte und ersuchte mich, zu ihm zu kommen, sobald ich zurückgekehrt wäre. Mißmuthig durchflog ich den Zettel, ging aber am folgenden Tag nach L.
VIII
Gagin empfing mich freundlich, überschüttete mich mit liebevollen Vorwürfen; Assja jedoch hatte mich kaum erblickt, so brach sie wie absichtlich und ganz ohne Grund in lautes Lachen aus und lief, nach ihrer Weise, sogleich davon. Gagin kam außer Fassung, schalt sie brummend eine Wahnsinnige und bat mich sie zu entschuldigen. Ich muß gestehen, ich war sehr unwillig über Assja; ohnehin fühlte ich mich nicht behaglich, und da mußte noch jenes unnatürliche Lachen und absonderliche Gebahren dazu kommen. Ich that indessen, als hätte ich nichts bemerkt und theilte Gagin die Erlebnisse meiner kleinen Reise mit. Er erzählte mir, was er während meiner Abwesenheit gemacht hatte. Es wollte aber mit der Unterhaltung nicht recht gehen; Assja lief ein und aus; endlich erklärte ich, ich hätte eine eilige Arbeit und es wäre Zeit, daß ich nach Hause ginge. Gagin wollte mich anfangs zurückhalten, dann aber, mich scharf ansehend, erbot er sich, mich zu begleiten. Im Vorzimmer trat Assja unerwartet an mich heran und reichte mir die Hand; ich drückte kaum merklich ihre Finger und grüßte sie leicht hin. Wir fuhren zusammen über den Rhein, kamen an meiner Lieblingsesche mit dem Madonnenbildchen vorbei und setzten uns auf eine Bank, um uns an der Aussicht zu ergötzen. Dort fand zwischen uns ein bemerkenswerthes Gespräch statt.
Anfangs ließen wir nur wenige Worte fallen, versanken dann in Schweigen und hefteten unsere Blicke auf den hellen Strom.
– Sagen Sie, begann plötzlich Gagin mit seinem gewohntem Lächeln: – welcher Meinung sind Sie in Betreff Assja‘s? Nicht wahr, sie muß Ihnen ein wenig sonderbar vorkommen?
– Ja, erwiederte ich, nicht ohne einiges Befremden. – Ich hatte nicht erwartet, daß er von ihr reden werde.
– Man muß sie gut kennen lernen, um über sie ein Urtheil zu fällen, fuhr er fort: – sie hat ein sehr gutes Herz, aber einen wilden Kopf. Mit ihr ist es schwer auszukommen. Uebrigens, ihre Schuld ist es nicht und wenn Sie ihre Geschichte wüßten . . .
– Ihre Geschichte? unterbrach ich ihn . . . Ist sie denn nicht Ihre . . . Gagin blickte mich an.
– Sollten Sie vielleicht glauben, sie wäre nicht meine Schwester? Nein, fuhr er fort, ohne auf meine Verwirrung zu achten: – sie ist es doch, eine Tochter meines Vaters. Hören Sie mich an. Ich fühle Zutrauen zu Ihnen und will Ihnen Alles erzählen.
»Mein Vater war ein sehr braver, kluger, gebildeter und unglücklicher Mann. Das Geschick hatte ihm nicht ärger als vielen Anderen mitgespielt: doch schon den ersten Stoß, den es ihm gab, ertrug er nicht. Er hatte frühzeitig nach seiner Neigung geheirathet; seine Frau, meine Mutter, starb bald; ich blieb als Kind von sechs Monaten nach. Mein Vater brachte mich auf‘s Land und volle zwölf Jahre ließ er sich nirgends sehen. Er beschäftigte sich selbst mit meiner Erziehung und würde sich niemals von mir getrennt haben, wenn nicht sein Bruder, mein leiblicher Oheim, uns auf unserem Landsitze besucht hätte. Dieser Oheim lebte beständig in Petersburg, wo er einen ziemlich wichtigen Posten einnahm. Er überredete meinen Vater, der um keinen Preis sein Landgut verlassen mochte, mich seinen Händen anzuvertrauen. Er stellte ihm vor, es sei für einen Knaben meines Alters nachtheilig, in völliger Abgeschiedenheit aufzuwachsen und mit einem ewig niedergeschlagenen und schweigsamen Führer, wie es mein Vater sei, müßte ich unvermeidlich hinter meinen Altersgenossen zurückbleiben, ja, mein Charakter selbst könne gar leicht dadurch gefährdet werden. Lange widersetzte sich mein Vater den Vorstellungen seines Bruders, gab aber endlich doch nach. Ich weinte beim Abschiede vom Vater; ich liebte ihn, obgleich ich nie auf seinem Gesicht ein Lächeln gesehen hatte; in Petersburg angekommen, hatte ich bald unser finsteres und unheimliches Nest vergessen. Ich kam in die Junkerschule und ward dann in ein Garderegiment gesteckt. Alljährlich besuchte ich auf einige Wochen unser Landgut und fand, daß mein Vater mit jedem Jahre trauriger, in sich versunkener und schwermüthig bis zur Aengstlichkeit wurde. Er besuchte die Kirche täglich und hatte beinahe das Reden verlernt. Bei einem meiner Besuche (ich stand schon in den Zwanzigern) sah ich zum ersten Male in unserem Hause ein kleines, abgemagertes, schwarzäugiges Mädchen, das etwa zehn Jahre alt sein mochte, das war – Assja.
Der Vater sagte, sie sei eine Waise, die er zur – Verpflegung angenommen habe – das waren genau seine Worte. Ich gab nicht weiter Acht auf sie; sie war wild, behend und schweigsam wie ein kleines Thier, und wenn ich das Lieblingszimmer meines Vaters betrat, ein großes, finsteres Gemach, in welchem meine Mutter starb und in dem sogar bei Tag Licht angezündet werden mußte, verkroch sie sich immer hinter des Vaters altmodischen Lehnstuhl oder hinter den Bücherschrank. Es traf sich, daß ich während der drei bis vier folgenden Jahre meiner Dienstpflichten halber verhindert wurde, unser Landgut zu besuchen. Jeden Monat bekam ich vom Vater einen kurzen Brief; nur selten, und auch dann nur obenhin, wurde Assja‘s Erwähnung gethan. Mein Vater war bereits über die Fünfzig, sah aber noch wie ein junger Mann aus. Stellen Sie sich mein Entsetzen vor: plötzlich bekomme ich ganz unerwartet einen Brief vom Verwalter, worin er mir eine tödtliche Krankheit meines Vaters meldet und mich dringend bittet, so schnell als möglich zu kommen, wenn ich noch Abschied von ihm nehmen wolle. Ich flog über Hals und Kopf und traf meinen Vater noch am Leben, aber im Verscheiden. Meine Gegenwart erfreute ihn außerordentlich, er zog mich in seine abgezehrten Arme, heftete auf mich einen langen, halb prüfenden, halb flehenden Blick und nachdem er mir das Versprechen: seine letzte Bitte zu erfüllen, abgenommen hatte, befahl er seinem alten Kammerdiener, Assja zu holen. Der Alte führte sie zu ihm, sie hielt sich kaum auf den Beinen und zitterte am ganzen Leibe.
– Da, nimm, sprach mein Vater mit Anstrengung zu mir: – ich hinterlasse Dir meine Tochter – Deine Schwester. Du wirst Alles von Jacob erfahren, setzte er hinzu, indem er auf den Kammerdiener wies.
Assja schluchzte laut und fiel mit dem Gesicht aufs Bett . . . Eine halbe Stunde darauf war mein Vater verschieden.
Ich erfuhr Folgendes: Assja war die Tochter meines Vaters und eines ehemaligen Stubenmädchens meiner Mutter, Tatjana. Lebhaft schwebt sie mir vor, diese Tatjana, in ihrer hohen, schlanken Gestalt, mit dem regelmäßigen, ernsten Gesicht, den strengen, dunkeln Augen. Sie hatte den Ruf eines stolzen, unnahbaren Mädchens. Soviel ich aus der ehrerbietigen, rückhaltigen Rede Jakob‘s entnehmen konnte, war mein Vater einige Jahre nach dem Tode meiner Mutter in ein näheres Verhältniß zu ihr getreten. Zu jener Zeit befand sich Tatjana nicht mehr im herrschaftlichen Hause, sondern bei ihrer verheiratheten Schwester, der Viehwärterin, in einem besonderen Bauernhause. Mein Vater hatte sie sehr lieb gewonnen und wollte sie sogar, nach meiner Abreise vom Landgute, heirathen, sie selbst aber lehnte es trotz seiner Bitten ab.
– »Die verstorbene Tatjana Wlaßjewna, so berichtete mir, mit hinter den Rücken gehaltenen Händen an der Thür stehend, Jacob: – war in allen Stücken sehr bedachtsam und wollte Ihren Vater nicht kränken. »Eine rechte Frau, die ich für Sie wäre! Eine wahre Edelfrau!« hat sie gesagt, in meiner Gegenwart hat sie es gesagt. Tatjana wollte nicht einmal zu uns in‘s Haus, sondern blieb, nach wie vor, bei ihrer Schwester wohnen, mit Assja zusammen. Ich hatte als Kind Tatjana oft an Feiertagen in der Kirche gesehen. Sie stand mitten unter dem Volk, gewöhnlich am Fenster, trug ein dunkeles Tuch um den Kopf gebunden und einen gelben Shawl auf den Schultern, – der strenge Umriß ihres Gesichtes stach von der durchsichtigen Scheibe scharf ab, – sie betete inbrünstig und demüthig und machte tiefe Verbeugungen, nach alter Sitte. Als der Oheim mich fortnahm, war Assja erst zwei Jahre, und als sie ihre Mutter verlor, neun Jahre alt.
»Gleich nach Tatjana‘s Tode nahm mein Vater Assja zu sich in‘s Haus. Schon früher hatte er den Wunsch geäußert, sie bei sich zu haben, Tatjana es ihm aber abgeschlagen. Sie können sich vorstellen, was in Assja vorgehen mußte, als sie zum Gutsherrn in‘s Haus genommen ward. Bis auf den heutigen Tag kann sie die Stunde nicht vergessen, als man ihr zum ersten Male ein seidenes Kleid anlegte und ihr das Hündchen küßte. Bei Lebzeiten der Mutter wurde sie von dieser sehr streng gehalten; beim Vater ließ man ihr volle Freiheit. Er wurde ihr Erzieher; außer ihm sah sie Niemand. Er verhätschelte sie nicht, ich will sagen, er trug sich nicht mit ihr herum wie eine Kinderfrau, liebte sie aber leidenschaftlich und versagte ihr Nichts: er war sich ihr gegenüber schuldbewußt. Assja merkte bald, daß sie die Hauptperson im Hause, sie wußte, daß der Gutsherr ihr Vater war, jedoch ebensobald begriff sie auch ihre zweideutige Stellung; Eigenwillen und Mißtrauen entwickelten sich bei ihr in hohem Grade; schlechte Gewohnheiten wurzelten sich ein, die Einfalt verschwand. Sie wollte ( das hat sie mir selbst einmal bekannt) die ganze Welt zwingen, ihre Abkunft zu vergessen, sie schämte sich ihrer Mutter; schämte sich, daß sie sich ihrer geschämt hatte, und war wieder stolz auf sie. Sie sehen, sie wußte und weiß Vieles, was man in ihrem Alter nicht wissen sollte . . . Liegt aber die Schuld an ihr? Die Kraft der Jugend kochte in ihr, das Blut wallte, und in der Nähe keine Hand, die sie geleitet hätte . . . Vollkommenste Unabhängigkeit in Allem! Läßt sich aber eine solche leicht ertragen? Sie wollte anderen Fräulein nicht nachstehen. Sie warf sich auf Bücher. Was konnte da Gutes herauskommen? Das regellos begonnene Leben fuhr fort, sich regellos zu entfalten, doch blieb das Herz unverderbt und der Verstand gesund.