Kitabı oku: «Assja», sayfa 4
»Und so sah ich mich zwanzigjährigen Burschen mit der Sorge eines dreizehnjährigen Mädchen behaftet! In den ersten Tagen nach dem Tode des Vaters verursachte meine Stimme ihr ein Gefühl wie Fieberschauer, meine Liebkosungen machten sie schwermüthig, und erst nach und nach, nur allmälig, gewöhnte sie sich an mich. Und später, nachdem sie die Gewißheit gewonnen hatte, daß ich sie wirklich als meine Schwester betrachte und sie wie eine Schwester liebe, hing sie mir leidenschaftlich an: bei ihr ist kein Gefühl halb.
»Ich brachte sie nach Petersburg. Wie schwer mir‘s auch wurde, mich von ihr zu trennen, – zusammenleben mit ihr konnte ich in keinem Falle; ich that sie in eine der besten Erziehungsanstalten: Assja sah die Nothwendigkeit unserer Trennung ein; doch kostete es sie eine Krankheit, an welcher sie beinahe gestorben wäre. Nach und nach ward es verschmerzt und sie verlebte vier Jahre in der Anstalt, blieb aber auch da, wider mein Erwarten, fast dieselbe, die sie bis dahin gewesen war. Die Vorsteherin der Anstalt klagte mir oft: » Sie bestrafen« sagte sie gewöhnlich, – »kann man nicht: – »und mit Freundlichkeit kommt man bei ihr nicht aus.« Assja faßte Alles ungewöhnlich leicht auf, lernte vorzüglich, besser als Alle; war aber durchaus nicht unter die allgemeine Sitte zu bringen; sie widerstrebte, schmollte . . . Ich konnte es ihr nicht sehr verargen: in ihrer Stellung bleibt ihr nur, entweder sich Jedermann dienstfertig zu zeigen oder sich vor Jedermann zu scheuen. Von allen ihren Gefährtinnen stand ihr nur Eine näher, ein unansehnliches, zurückgesetztes und armes Mädchen. Die übrigen jungen Mädchen, mit welchen sie erzogen wurde, großentheils aus guten Familien, liebten sie nicht, reizten sie auf und stichelten auf sie, wo sie nur konnten; Assja gab ihnen nicht um ein Haar nach. Einmal, während der Religionsstunde, kam der Lehrer auf den Begriff des Lasters zu sprechen. »Schmeichelei und Feigheit« äußerte Assja laut, sind die ärgsten Laster.« Mit einem Worte, sie fuhr fort, ihren eigenen Weg zu wandeln, ihre Umgangsformen allein besserten sich, doch auch in dieser Hinsicht hat sie, wie mich dünkt, keine erheblichen Fortschritte gemacht.
Sie hatte ihr siebzehntes Jahr erreicht; noch länger in der Anstalt zu bleiben, ging nicht an. Ich befand mich in großer Verlegenheit. Da kam mir auf einmal der glückliche Einfall: meine Entlassung aus dem Dienste zu nehmen und auf ein oder zwei Jahre mit Assja in’s Ausland zu reisen. Gedacht – gethan« und da sind wir nun Beide an den Ufern des Rheins, ich, bemüht, die Malerei zu erlernen, sie . . . nach gewohnter Art allen möglichen Muthwillen zu treiben. Nun aber, muß ich hoffen, Sie werden kein zu strenges Urtheil über sie fällen, denn, wie sie sich da auch verstellen mag, als gelte ihr Alles gleich, – liegt ihr doch viel an der Meinung Anderer und vorzüglich an der Ihrigen.
Und Gagin lächelte wieder mit seinem sanften Lächeln. Ich drückte ihm kräftig die Hand.
– So stehen nun die Dinge, fuhr Gagin fort: – ich habe aber doch mit ihr meine Noth. Ein wahrer Feuerbrand, das Mädchen. Bis jetzt hat ihr noch Niemand gefallen, wehe aber, wenn sie sich einmal verliebt! Zuweilen weiß ich gar nicht, was ich mit ihr anfangen soll. Fiel es ihr doch neulich ein, mir vorzuwerfen, ich wäre gegen sie kälter geworden, sie aber liebe mich nur allein – und werde ihr Leben lang nur mich allein lieben . . . Und wie sie dabei gedchluchzt hat! . . .
– Also das war es . . . sagte ich bei mir und biß mir die Lippen. – Aber sagen Sie doch, fragte ich Gagin: – da nun einmal unsere Herzen geöffnet – sollte ihr denn in der That bis jetzt noch Niemand gefallen haben? In Petersburg hat sie doch gewiß junge Männer gesehen?
– Und die eben gefallen ihr ganz und gar nicht. Nein, Assja will einen Helden, einen außergewöhnlichen Menschen oder einen malerischen Schäfer in einer Bergschlucht. Doch genug des Geplauders, ich halte Sie auf, setzte er hinzu, indem er sich erhob.
– Hören Sie, sagte ich: – gehen wir zu Ihnen, ich möchte noch nicht nach Hause.
– Und Ihre Arbeit?
Ich antwortete Nichts; gutmüthig lächelte Gagin und wir kehrten nach L. Zurück. Als ich das bekannte Weingärtchen und das weiße Häuschen oben auf dem Berge zu Gesicht bekam, wurde mir‘s gewissermaßen warm, ja, das eben war‘s – es wurde mir warm und weich um’s Herz, als hätte mir Jemand unbemerkt Balsam darauf geträufelt. Mir wurde leicht nach Gagin‘s Erzählung.
IX
Assja begegnete uns auf der Schwelle des Hauses; ich erwartete, sie werde wieder lachen, sie trat aber bleich, schweigsam und mit gesenktem Blicke uns entgegen.
– Da ist er wieder, redete sie Gagin an: – und merk dies, sein eigener Wunsch ist‘s gewesen, zurückzukommen.
Assja blickte mich fragend an. Ich reichte ihr die Hand und drückte dies Mal kräftig ihre kalten feinen Finger. Sie that mir sehr leid; jetzt verstand ich Vieles, was mich früher an ihr irre gemacht hatte: ihre innere Unruhe, ihr anstößiges Benehmen, ihr Bestreben sich anders zu zeigen, als sie war, – Alles war mir klar geworden. Ich hatte einen Blick in diese Seele gethan: es lastete auf ihr ein beständiger Druck, angstvoll kämpfte und arbeitete dieser unerfahrene Eigenwille, ihr ganzes Wesen strebte – jedoch nach Wahrheit. Ich hatte es begriffen, warum mich dieses sonderbare Mädchen anzog; nicht blos die über ihre ganze Gestalt ausgegossene Anmuth, es war ihre Seele, die mir gefiel.
Gagin stöberte unter seinen Zeichnungen herum; ich schlug Assja vor, mit mir einen Gang durch den Weinberg zu machen. Mit heiterer, fast ergebener Bereitwilligkeit ging sie darauf ein. Wir stiegen den Berg zur Hälfte hinab und ließen uns auf einer breiten Platte nieder.
– Und Sie haben ohne uns keine Langeweile empfunden? begann Assja.
– Haben Sie denn eine solche in meiner Abwesenheit gefühlt? fragte ich.
Assja sah mich von der Seite an.
– Ja, erwiederte sie. – Ist es hübsch in den Bergen? fuhr sie sogleich fort: – sind sie hoch? Höher als die Wollen? Erzählen Sie mir, was Sie gesehen haben. Dem Bruder haben Sie es erzählt, ich habe aber nichts gehört.
– Weßhalb gingen Sie denn fort? warf ich hin.
– Ich that es . . . weil . . . Jetzt werde ich nicht fortgehen, setzte sie mit zutraulicher, sanfter Stimme hinzu: – Sie waren heute böse.
– Ich?
– Sie.
– Weßwegen denn? ich bitte Sie . . .
– Weiß es nicht, Sie waren aber böse und gingen böse davon, Es war mir sehr unangenehm, daß Sie so fortgingen und ich freue mich, daß Sie wiedergekommen sind.
– Und mich freut es gleichfalls, entgegnete ich.
Assja bewegte leis die Schultern, eine nach der andern, wie Kinder es zu thun pflegen, wenn ihnen behaglich zu Muthe ist.
– Oh, ich verstehe mich auf‘s Errathen! fuhr sie fort: – in früherer Zeit brauchte der Vater blos zu husten, so erkannte ich daran sogleich, ob er mit mir zufrieden war oder nicht.
Bis zu dieser Stunde hatte Assja mit mir noch nie von ihrem Vater gesprochen. Das fiel mir auf.
– Sie hatten Ihren Vater lieb? fragte ich und fühlte zu meinem großen Verdruß, daß ich roth wurde.
Sie erwiederte Nichts, erröthete aber auch. Wir verstummten Beide. In der Ferne zog rauchend ein Dampfschiff auf dem Rhein dahin. Unsere Blicke folgten ihm nach.
– Warum erzählen Sie Nichts? sagte halblaut Assja.
– Weßhalb lachten Sie heute auf, als Sie mich gewahr wurden? fragte ich.
– Ich weiß es selbst nicht, Zuweilen möchte ich weinen und ich muß lachen. Sie dürfen mich nicht beurtheilen . . . nach dem, was ich treibe. Ach, um es nicht zu vergessen, was für ein Mährchen ist das, von der Lorelei? Das ist ja wohl ihr Fels, den man dort sieht? Es heißt sie hätte früher Jeden unter‘s Wasser gezogen, als sie aber mit der Liebe bekannt wurde, sich selbst hinein gestürzt. Mir gefällt diese Sage, Frau Luise erzählt mir allerlei Mährchen. Frau Luise hat einen schwarzem Kater mit gelben Augen . . .
Assja hob den Kopf in die Höhe und warf mit den Locken herum.
– Ach, wie wohl fühle ich mich, sagte sie.
In diesem Moment schlugen abgebrochene, einförmige Töne an unser Ohr. Hunderte von Stimmen auf einmal wiederholten in gemessenen Pausen einen Kirchengesang: eine Schaar Pilger zog unten auf dem Wege mit Kreuzen und Fahnen vorüber.
– Möchte mit ihnen, rief Assja, indem sie dem allmälig verhallenden Stimmenschall lauschte.
– Sind Sie so andächtig?
– Ich möchte irgend wohin, weit fort, um zu beten, um Etwas Schwieriges zu vollbringen, setzte sie hinzu. Die Tage eilen vorüber, das Leben wird ablaufen und was haben wir geleistet?
– Sie sind ehrsüchtig, bemerkte ich: – Sie möchten nicht umsonst gelebt haben, Sie möchten Spuren Ihres Daseins hinterlassen.
– Wäre das denn unmöglich?
»Unmöglich« hätte ich fast nachgesprochen . . . Ich that einen Blick in ihre hellen Augen und sagte blos:
– Versuchen Sie es!
– Sagen Sie, begann Assja nach einigem Schweigen, während flüchtige Schatten auf ihrem schon wieder bleich gewordenen Gesichte vorüberzogen, jene Dame hatte Ihnen sehr gefallen . . . Erinnern sie sich, der Bruder trank noch, in der Ruine, auf Ihre Gesundheit; es war am Tage, nachdem wir bekannt wurden?
Ich lachte auf.
– Es war ein Scherz von Ihrem Bruder; keine Dame hatte mir gefallen, jetzt wenigstens gefällt mir keine.
– Was aber gefällt Ihnen an den Frauen? fragte Assja, indem sie in unschuldiger Neugier den Kopf zurückwarf.
– Die sonderbare Frage! rief ich aus.
Assja wurde etwas verwirrt.
– Ich hätte nicht diese Frage an Sie richten sollen, nicht wahr? Vergehen Sie mir, ich bin es gewohnt von Allem zu schwatzen, was mir durch den Kopf geht. Eben deßhalb fürchte ich zu reden.
– Reden Sie nur, um Gottes willen, fürchten Sie sich nicht, nahm ich das Wort: – ich bin so froh, daß Sie endlich aufhören scheu zu sein. Assja senkte den Blick und lachte mit einem stillen und leichten Lachen; dieses Lachen kannte ich nicht an ihr.
– Nun, so erzählen Sie denn, fuhr sie fort, indem sie ihr Kleid glättete und über die Füße zog, wie zu längerem Sitzenbleiben sich einrichtend: – erzählen Sie, oder lesen Sie mir Etwas vor, wie damals, als Sie uns aus dem »Onegin« vorlasen.
Sie wurde auf einmal nachdenklich:
»Wie jetzt im Schatten grüner Zweige,
»Das Kreuz auf meiner Mutter Grab« . . .
sagte sie leise vor sich hin.
– Bei Puschkin lauten diese Verse etwas anders, [Bei Puschkin heißt es nemlich: »an meiner Amme Grab . . .] bemerkte ich.
– Ich möchte doch die Tatjana Puschkin’s sein, fuhr sie, immer noch in Gedanken verloren, fort. – Erzählen Sie. rief sie plötzlich mit Lebhaftigkeit.
Mir war es aber nicht darum zu thun. Ich betrachtete sie, wie sie von hellem Sonnenschein umflossen, ganz beruhigt und sauft dasaß. Alles um uns herum strahlte von Luft, unter und über uns – Himmel, Erde und Gewässer. Die Luft selbst, so schien es, war von Glanz getränkt.
– Sehen Sie doch, wie schön! sagte ich, unwillkürlich die Stimme senkend.
– Ja; schön! erwiederte sie ebenso leise, ohne mich anzusehen. – Wären wir Beide Vögel – wie wollten wir uns da hoch hinaufschwingen, unsern Flug nehmen . . . ganz hineintauchen in jenes Blau . . . Wir sind aber keine Vögel.
– Es können uns aber doch Flügel wachsen, erwiederte ich.
– Wie denn das?
– Mit der Zeit – werden Sie es erleben. Es gibt Gefühle, die uns der Erde entrücken. Seien Sie unbesorgt, Sie werden Flügel bekommen.
– Haben Sie denn deren gehabt?
– Wie soll ich das sagen . . . Bis jetzt, glaube ich, flog ich noch nicht.
Assja verfiel wieder in Nachdenken. Ich beugte mich etwas zu ihr.
– Können Sie walzen? fragte sie unvermuthet.
– Ich kann es, erwiederte ich etwas befremdet.
– Dann kommen Sie, kommen Sie . . . Ich werde den Bruder bitten uns einen Walzer vorzuspielen . . . Wir wollen uns einbilden. wir flögen. es wären uns Flügel gewachsen.
Sie lief in das Haus. Ich eilte ihr nach und einige Minuten darauf drehten wir uns in die Runde im engen Gemache zu den lieblichen Tönen Lanners. Assja walzte sehr gut. mit Geschick und Leichtigkeit. Etwas Weiches. Weibliches kam plötzlich in ihren kindlich ernsten Zügen zum Vorschein. Nach lange hernach empfand meine Hand die Berührung ihres zarten Körpers, lange noch glaubte ich ihren nahen, beschleunigten Athem zu fühlen und die dunkeln, unbeweglichen, halb geschlossenen Augen des bleichen, doch belebten und von Locken umwallten Gesichtes vor mir zu haben.
X
Dieser ganze Tag verging« wie man es nicht besser wünschen konnte. Wir waren heiter wie Kinder. Assja sehr liebenswürdig und natürlich. Für Gagin war es eine Freude sie anzusehen. Ich entfernte mich spät. In die Mitte des Rheins gelangt, bat ich den Fährmann, das Boot dem Laufe der Strömung zu überlassen. Der Alte hielt die Ruder empor – und der majestätische Strom trug uns dahin. Während ich um mich schaute, lauschte, Vergangenes in mir wach rief, empfand ich auf einmal eine geheime Unruhe im Herzen . . . ich wandte die Augen zum Himmel – aber am Himmel war auch keine Ruhe; mit seinem glänzenden Sternenheer war er in steter Bewegung, kreiste, zitterte hin und her; ich beugte mich nieder zum Strom . . . aber auch da, in der finsteren, kalten Tiefe, hüpften und flimmerten Sterne; überall begegnete mir unruhiger Lebensgeist – und die Unruhe in mir selbst wurde mächtiger. Ich stützte mich auf den Rand des Bootes. Das Säuseln des Windes um meine Ohren. das leise Plätschern des Wassers am Hintertheile des Bootes, regten mich auf, und der frische Hauch der Wellen kühlte mich nicht ab; am Ufer stimmte eine Nachtigall ihr Lied an und dieses Lied wirkte auf mich wie ein süßes Gift. Thränen traten mir in die Augen, aber nicht Thränen eines gegenstandlosen Entzückens. Was ich empfand, war nicht jenes unbestimmte, erst unlängst ausgestandene Gefühl unermeßlichen Verlangens, wobei die Seele so weit, so volltönend wird und es ihr scheint, sie umfasse Alles, sie liebe Alles . . . Nein! in mir war die Begierde nach Glück entbrannt. Noch durfte ich dasselbe nicht bei seinem Namen nennen, – Glück aber, Glück bis zur Uebersättigung – das war es, wonach mich verlangte, wonach ich mich sehnte . . . Das Boot aber schwamm immer weiter und der alte Fährmann saß, über die Ruder gebeugt, und schlummerte.