Sadece LitRes`te okuyun

Kitap dosya olarak indirilemez ancak uygulamamız üzerinden veya online olarak web sitemizden okunabilir.

Kitabı oku: «Die Unglückliche», sayfa 2

Yazı tipi:

IX

»Ich war heute durch Deine Schuld in einer höchst ungeschickten Lage,« sagte ich an demselben Abende zu Fustoff, als wir zusammen nach Hause gingen.

»Du hast mir gesagt, daß diese . . . wie heißt sie doch wieder? Susanne – die Tochter des Herrn Ratsch ist, sie ist aber seine Stieftochter.«

»Freilich! Und ich habe Dir gesagt, daß sie eine Tochter von ihm ist? Uebrigens . . . ist es nicht einerlei?«

»Dieser Ratsch,« fuhr ich fort . . . – »Ach Alexander! Wie sehr hat er mir mißfallen! Hast Du bemerkt mit welch einem besonderen Hohne er heute von den Juden zu ihr sprach? Ist sie denn . . . Israelitin?«

Fustoff schritt vorwärts, die Arme hin und her schwingend; es war kalt, der Schnee knisterte wie Salz unter den Füßen.

»Ja, ich erinnere mich, so etwas gehört zu haben,« sagte er endlich . . . – »Ihre Mutter war, glaube ich, von hebräischer Abkunft.«

»Also hat Herr Ratsch zuerst eine Wittwe geheirathet?«

»Wahrscheinlich.«

»Hm! . . . Ist jener Fictor, der heute Abend nicht nach Hause gekommen war, auch sein Stiefsohn?«

»Nein . . . Der ist sein leiblicher Sohn. Uebrigens mische ich mich, wie Du weißt, nicht in fremde Angelegenheiten, und liebe nicht, die Leute auszuforschen. Ich bin nicht neugierig.«

Ich biß mir in die Zunge. Fustoff eilte vorwärts. Als wir zum Hause herankamen, holte ich ihn ein, und sah ihm in’s Gesicht.

»Sage mir doch,« fragte ich – »ist Susanne wirklich eine gute Klavierspielerin?«

Fustoff runzelte die Stirn.

»Ja, sie spielt gut das Klavier,« murmelte er zwischen den Zähnen. – »Aber sie ist sehr schüchtern, darauf bereite ich Dich vor!« setzte er mit einer kleinen Grimasse hinzu. Es war wirklich als wenn er es bereute, mich mit ihr bekannt gemacht zu haben.

Ich schwieg, und wir trennten uns. «

X

Am folgenden Morgen begab ich mich wieder zu Fustoff. Es war mir Bedürfniß geworden, des Morgens bei ihm zu sitzen. Er empfing mich eben so freundlich wie gewöhnlich; aber über unseren gestrigen Besuch – kein Wort. Stumm, als wenn er den Mund voll Wasser hätte! Ich nahm und durchblätterte die letzte Nummer des »Teleskop.«

Eine neue Persönlichkeit trat ins Zimmer. Er erwies sich als ein Sohn des Herrn Ratsch, und derselbe Fictor, über dessen Abwesenheit der Vater am Abend vorher so ungehalten gewesen war.

Das war ein junger Mensch von ungefähr 18 Jahren, aber schon dem Trunke ergeben und krank, mit einem süßlich-frechen Lächeln auf dem unreinen Gesichte und dem Ausdrucke der Ermüdung in den entzündeten, kleinen Augen. Er glich seinem Vater, doch waren seine Züge feiner und nicht ohne Annehmlichkeit; aber in dieser Annehmlichkeit selbst war etwas Häßliches. Seine Kleidung war unreinlich, am Uniformrock fehlte ein Knopf, der eine Stiefel war geplatzt und es wehte an ihm ein starker Tabaksgeruch.

»Guten Morgen,« sagte er mit heiserer Stimme und mit jenem eigenthümlichen Hinausziehen des Kopfes und der Schultern, welches ich stets an verzärtelten und selbstzufriedenen jungen Leuten bemerkt habe.

»Ich wollte in die Universität gehen, und gerieth hierher. Die Brust ist mir zugeschnürt. Geben Sie mir eine Cigarre.« – Er ging über das ganze Zimmer, die Füße welk nachschleppend, ohne die Hände aus den Hosentaschen zu ziehen, und warf sich schwerfällig auf das Sopha.

»Haben Sie sich erkältet?« fragte Fustoff, indem er uns mit einander bekannt machte. «Wir waren Beide Studenten, aber in verschiedenen Facultäten.

»Nein . . . ah nein! Gestern, aufrichtig gesagt, . . . (Hier lachte Herr Ratsch junior über das ganze Gesicht, wieder nicht ohne Anmuth, zeigte aber dabei sehr schlechte Zähne) . . . hatte ich zu viel getrunken, hatte einen starken Rausch. Ja.« – Er rauchte seine Cigarre an und hustete. – »Wir haben Obichodoff das Geleit gegeben.«

»Wohin reist er?«

»In den Kaukasus, und schleppt seine Geliebte mit fort. Sie wissen, die Schwarzäugige, mit den Sommersprossen. Dummkopf!«

»Ihr Vater fragte gestern nach Ihnen,« bemerkte Fustoff.

Fictor spie auf die Seite.

»Ja, ich hebe es gehört. Sie haben sich gestern in unser Lager verirrt. Nun, wie war es? Wurde musicirt?«

»Wie gewöhnlich.«

»Und sie . . . hat wohl vor dein neuen Gaste (hier wies er mit dem Kopfe nach mir hin) grimassirt? Hat wohl nicht gespielt?«

»Von wem sprechen Sie?« fragte Fustoff.

»Von der verehrungswürdigen Susanne Ivanowna, natürlich!«

Fictor streckte sich noch bequemer aus, reckte seinen Arm in graciöser Rundung über seinen Kopf, sah in seine flache Hand und schnaubte dumpf.

Ich blickte auf Fustoff hin. Er zuckte nur mit den Achseln, als wollte er mir zu verstehen geben, daß man von solch’ einem Menschen Nichts erwarten könne.

XI

Fictor sing an, langsam, näselnd und zur Decke hinaufsehend, vom Theater, von zwei ihm bekannten Schauspielern, von einer gewissen Serafine Serasimowna, die ihn »angeführt« hatte, von dem neuen Professor R. zu sprechen, den er ein Vieh nannte. »Stellen Sie sich vor, was das Ungeheuer sich ausgedacht hat? Er fängt jede Vorlesung mit einem Abrufen der Namen an! Und dieser Zählt sich noch zu den Liberalen! Sich endlich mit dem Gesicht und dem ganzen Körper zu Fustoff wendend, sagte er, mit halb klagender und halb spöttelnder Stimme:

»Ich wollte Sie um Etwas bitten, Alexander Daviditsch . . . Können Sie meinen Alten nicht irgend wie zur Vernunft bringen . . . Sie spielen ja Duo’s mit ihm . . . Er giebt mir fünf blaue Zettel monatlich . . . Was nützt mir das? Das reicht ja nicht einmal für den Tabak aus. Und da redet er noch: mache keine Schulden! Ich möchte ihn einmal an meine Stelle setzen, und dann zusehen! Ich erhalte ja gar keine Pensionen, nicht so wie Andere (Fictor hob dieses Wort mit besonderer Betonung hervor). Und er hat viel Geld, ich weiß es. Mir gegenüber den Lazarus spielen hilft Nichts; mich führt man nicht an! Possen! Hat sich schon die Finger verbrannt . . . nur gewandt!«

Fustoff warf einen Seitenblick auf Fictor.

»Wenn Sie wollen,« fing er an – ich will es Ihrem Vater sagen. Sonst kann ich auch – unterdessen . . . eine kleine Summe . . .«

»Nein, wozu? Erweichen Sie lieber den Alten . . . Uebrigens,« fügte Fictor hinzu, sich mit allen fünf Fingern die Nase kratzend – »geben Sie mir, wenn Sie können, 25 Rbl. Sbr. . . . Wie viel bin ich Ihnen eigentlich schuldig?«

»Sie haben 85 Rbl. Sbr. von mir geborgt.«

»Ja . . . Also macht das – in Allem 110 Rbl. Sbr. Ich werde Ihnen Alles zusammen abgeben.«

Fustoff trat in’s Nebenzimmer, brachte einen Zettel von 25 Rbl. Sbr. heraus und reichte ihn Fictor schweigend. Dieser nahm ihn, gähnte laut, ohne den Mund zu schließen und brummte ein »Danke«! Sich wie ein Igel zusammenrollend und wieder reckend, erhob er sich vom Sopha.

»Fu! Allein . . . ich langweile mich,« murmelte er, »ich sollte eigentlich nach Italien.«

Er begab sich zur Thür.

Fustoff sah ihm nach. Es war, als wenn er mit sich kämpfte.

»Welcher Pension erwähnten Sie so eben, Fictor Ivanovitsch?« fragte er endlich.

Viktor blieb auf der Schwelle stehen und setzte seine Mütze auf.

»Sie wissen das nicht? Von Susanna Ivanowna’s Pension sprach ich . . . Sie empfängt dieselbe. Eine äußerst merkwürdige Anecdote, das kann ich Ihnen sagen! Ich will Ihnen das einmal erzählen. Geschäfte, mein Herr, Geschäfte!l – Aber meinen Alten! vergessen Sie meinen Alten nicht, ich bitte. Er hat freilich eine dicke, deutsche Haut, noch dazu mit russischer Bearbeitung; allein, man kann dennoch durchdringen. Aber, – daß Eleonorchen, meine Stiefmutter, nur nicht dabei ist! Papachen fürchte sich vor ihr, sie wiederholt immer das Ihre Nun! Sie sind ja selbst Diplomat! Leben Sie wohl!«

»Ist das aber ein elender Knabe!« rief Fustoff, sobald er die Thüre hinter sich zugeschlagen hatte.

Sein Gesicht brannte wie Feuer, und er wandte sich von mir ab. Ich mochte keine weiteren Fragen stellen und entfernte mich bald.

XlI

Ich brachte jenen ganzen Tag in Gedanken über Fustoff, Susanne und ihre Verwandten zu. Mir schwebte dunkel etwas wie ein Familiendrama vor. So viel ich urtheilen konnte, war Susanne meinem Freunde nicht gleichgültig. Aber sie? Liebte sie ihn? Warum war sie so unglücklich? Was war sie überhaupt für ein Geschöpf? Diese Fragen kamen mir immer wieder in den Sinn. Ein dunkles aber deutliches Gefühl sagte mir, daß ich mich nicht an Fustoff zu wenden habe, um ihre Lösung zu erlangen. Das Ende davon war, daß ich mich am folgenden Tage in das Haus des Herrn Ratsch begab.

Sobald ich mich in dem kleinen dunklen Vorzimmer befand, schlug mir mein Gewissen und ich war verlegen. Sie wird sich am Ende nicht einmal zeigen, blitzte es mir durch den Kopf, und ich werde mit jenem abscheulichen »Veteranen« und seiner Frau – Köchin sitzen müssen . . ., und endlich, selbst wenn sie erscheint . . . was dann? Sie wird sich nicht einmal mit mir unterhalten . . . Sie hat mich neulich zu unfreundlich behandelt! Warum bin ich hergekommen? Während ich Alles dieses dachte, war der kleine Kosake hineingelaufen, um mich anzumelden, und, nach einigen fragenden »Wer da? Wer, sagst Du?« wurden schwere, schlurrende Pantoffel hörbar, die Thür wurde ein wenig geöffnet, und in der Spalte, zwischen den beiden Flügeln derselben, erschien das Gesicht Ivan Demjanitsch’s, ein verzerrtes, finsteres Gesicht.

Er sah mich unverwandt an, und veränderte seinen Ausdruck nicht sogleich . . . Herr Ratsch hatte mich offenbar nicht gleich erkannt; aber plötzlich rundeten sich seine Wangen, die Augen verengten sich, und aus dem geöffneten Munde platzte, mit einem Gelächter zugleich, der Ausruf: »Ach, mein verehrter Herr! Sie sind es? Seien Sie mir willkommen!«

Ich folgte ihm um so weniger gerne, als es mir vorkam, daß der heitere, zuvorkommende Herr Ratsch mich in seinem Innern zum Teufel sandte. Allein jetzt war nichts mehr zu ändern. Er führte mich in’s Gastzimmer, und dort – im Gastzimmer saß Susanne an einem Tische vor dem Einnahme- und Ausgabebuch. Sie sah mich mit ihren dämmerigen Augen an, und biß ein ganz klein wenig die Nägel ihrer linken Hand . . . dies war ihre Gewohnheit, die Gewohnheit vieler nervöser Menschen, wie ich bemerkt habe. Außer ihr war Niemand im Zimmer.

»Sehen Sie hier,« fing Herr Ratsch an, und gab sich einen Schlag auf den Schenkel, – bei welcher Beschäftigung Sie Susanna Ivanowna und mich finden: Wir sehen Rechnungen durch. Meine Frau ist nicht sehr stark in der »Arithmetik«, und ich, aufrichtig gestanden, schone meine Augen. Ohne Brille kann ich gar Nichts sehen, was wollen Sie machen? So mag denn die Jugend arbeiten. Ha – ha! Die Ordnung verlangt es. Uebrigens-, die Arbeit hat keine Eile . . .«

Susanne machte das Buch zu und wollte sich entfernen. – »Warte doch, warte,« sagte Herr Ratsch. – »Was thut es denn, daß Du nicht in Toilette bist» . . . « (Susanne hatte ein sehr altes Kleidchen, fast ein Kinderkleid mit kurzen Aermelchen, an.) »Unser theurer Gast wird es uns nicht übel nehmen, und, wenn ich nur die Rechnung für die Verflossene Woche aufräumen könnte . . . Sie erlauben?« wandte er sich zu mir. – »Wir stehen ja nicht auf so ceremoniellem Fuße miteinander!«

»Seien Sie so gut, beunruhigen Sie sich deßhalb nicht,« rief ich aus.

»Also! verehrtester Herr; Sie wissen selbst: der in Gott ruhende Kaiser Alexis Michailowitsch . Romanow pflegte zu sagen: »Der Arbeit – die Zeit; dem Vergnügen – der Augenblick!« Wir aber wollen der Arbeit selbst blos eine Minute weihen . . .Ha – ha! Was sind denn dies für 13 Rubel 30 Kopeken Silber?« fügte er halblaut hinzu, indem er mir den Rücken zuwandte.

»Fictor hat dieselben von Eleonore Karpowna genommen; er sagt, Sie hätten sie ihm bewilligt,« antwortete Susanna ebenfalls halblaut.

»Er hat gesagt . . . gesagt . . . bewilligt . . .« murmelte Ivan Demjanitsch – »Mir scheint, ich bin persönlich hier zugegen. Hättet mich fragen sollen. Aber wer hat denn diese 17 Rubel Silber erhalten?«

»Der Möbelhändler.«

»Der Möbelhändler . . . Wofür denn?«

»Auf Abrechnung.«

»Auf Abrechnung Zeige her!« – Er riß Susannen das Buch aus der Hand, setzte eine runde Brille in silberner Fassung auf die Nase und fuhr mit dem Finger die Zeilen entlang. – »Dein Möbelhändler . . . dem Möbelhändler . . . Wenn Ihr nur das Geld aus dem Hause bringen könnt! Dann seid ihr glücklich! . . . Wie die Croaten! Aqubrechnung! Uebrigens,« fügte er laut hinzu, die Brille von der Nase ziehend und sich mir wieder zuwendend – »was thue ich denn eigentlich da? Dieses langweilige Zeug kann auch später vorgenommen werden. Susanna Ivanowna, schleppen Sie diese Buchhalterei an ihren Platz zurück, und kommen Sie dann wieder her, ich bitte, und entzücken Sie das Ohr dieses unseres liebenswürdigen Gastes durch Ihr musikalisches Werkzeug, nämlich durch Ihr Clavierspiel . . . Eh?« –

Susanne wandte den Kopf ab.

»Ich wäre sehr glücklich,« sagte ich schnell, – »es wäre mir außerordentlich angenehm, Susanne Ivanowna spielen zu hören. Aber ich möchte Sie für Nichts in der Welt belästigen.«

»Was, belästigen! Wie das? Nun Susanne Ivanowna, eins, zwei, drei!«

Susanne antwortete nicht, und ging hinaus.

XIII

Ich erwartete nicht, daß sie zurückkehren würde; aber sie erschien bald wieder. Sie hatte ihren Anzug nicht gewechselt, setzte sich in einen Winkel, und sah mich ein paar Mal aufmerksam an. Fühlte sie nun in meiner Art sie zu behandeln, jene unwillkürliche, mir selbst unerklärliche Hochachtung durch, welche sie in mir erweckte; denn es war mehr als Neugierde, mehr sogar als Theilnahme; oder war sie heute weicher gestimmt, – genug, sie trat plötzlich zum Clavier. Die Hände unsicher auf die Tasten legend, und den Kopf ein wenig über die Schulter zu mir wendend, fragte sie mich, was sie mir vorspielen solle? Allein, ehe ich noch Zeit gehabt hatte zu antworten, hatte sie sich schon gesetzt, hatte ein Notenheft genommen, dasselbe aufgeschlagen und bereits angefangen zu spielen. Ich liebte die Musik von Kindheit auf; zu jener Zeit verstand ich sie aber noch wenig, und kannte nur launige Schöpfungen der großen Meister, und wenn Herr Ratsch nicht mit einigem Unwillen gebrummt hätte: »Aha! wieder dieser Beethoven!« so hätte ich nicht gewußt, worauf Susannens Wahl gefallen war. Sie spielte, wie ich später erfuhr, die berühmte F-moll-Sonate, Op. 57. Susannens Spiel ergriff mich unaussprechlich: ich hatte diese Kraft, dieses Feuer, diesen kühnen Schwung gar nicht erwartet. Von den allerersten Tacten des hinreißend leidenschaftlichen Allegro, dem Anfange der Sonate, an empfand ich jenes Erstarren, jene Kälte und süßen Schauer des Entzückens, welche augenblicklich unsere Seele erfassen, wenn die Schönheit, in ihrem Fluge unerwartet in dieselbe eindringt. Ich bewegte bis zum Ende kein Glied; ich wollte immer athmen, und wagte es nicht. Es fügte sich, daß ich hinter Susanne saß; ich konnte ihr Gesicht nicht sehen; ich sah nur, wie ihre langen, schwarzen Haare zuweilen sprangen und an ihre Schultern schlugen, wie ihre Gestalt sich ruckweise wiegte und wie ihre feinen Hände und entblößten Ellenbogen sich rasch und etwas eckig bewegten. Die letzten Klänge verhallten. Ich athmete endlich auf. Susanne blieb noch am Clavier sitzen.

»Ja, ja,« bemerkte Herr Ratsch, welcher übrigens auch aufmerksam zugehört hatte, – »romantische Musik! Das ist jetzt Mode. Aber warum unrein spielen? Eh? Zwei Noten zugleich mit dem Fingerchen anschlagen? – Warum? Eh? Das ist es; wir wollen immer schneller. Das giebt mehr Feuer. Eh? – Heiße Pfannkuchen!!« dröhnte Herr Ratsch plötzlich, wie ein Verkäufer.

Susanne hatte sich ein wenig zu Herrn Ratsch gewandt; ich sah ihr Gesicht im Profil. Die feinen Augenbrauen waren hoch hinaufgezogen über dem gesenkten Lide, ein ungleiches Roth übergoß ihre Wange, das kleine Ohr brannte unter den zurückgeworfenen Locken.

»Ich habe alle die besten Virtuosen persönlich gehört,« fuhr Herr Ratsch, plötzlich die Stirne runzelnd, fort, – »und alle sind sie im Vergleich mit dem verstorbenen Field – Tfu! – Null! Zero!! Das war ein Kerl! Und eins o reines Spiel! Und auch seine Compositionen – sind die allerschönsten. Aber alle diese neuen »tlu – tu – tu« und »tra – ta ta«, die sind, glaube ich, mehr für Schüler geschrieben. Da braucht man keine Delicatesse! Da kann man auf die Tasten schlagen, gleichviel auf welche Weise . . . es thut nichts! Kommt immer Etwas heraus! Janitscharen-Musik! Pcha! (Ivan Demjanitsch wischte sich die Stirn mit seinem Tuche.) Uebrigens habe ich das nicht in Bezug auf Sie gesagt, Susanne Ivanowna; Sie haben gut gepielt, und meine Bemerkungen dürfen Sie nicht beleidigen.«

»Ein Jeder hat seinen eigenen Geschmack,« sagte Susanne mit leiser Stimme, und ihre Lippen bebten; – »und was Ihre Bemerkungen anbetrifft, Ivan Demjanitsch, so wissen Sie wohl, daß mich dieselben nicht beleidigen können.«

»Ah, freilich! Denken Sie nur nicht,« wandte sich Ratsch zu mir, – »denken Sie nur ja nicht, geehrtester Herr, daß dieses aus übergroßer Herzensgüte und aus Demuth der Seele geschieht; wir dünken uns vielmehr so hoch gestiegen, daß – uh – uh! – die Mütze uns vom Kopfe fällt, wie man auf Russisch sagt, und keine Critik sich bis zu uns versteigen kann. Eigenliebe, mein werther Herr, Eigenliebe reitet uns, ja, ja!«

Nicht ohne Bestürzung hörte ich Herrn Ratsch an. Galle, giftige Galle kochte in jedem seiner Worte . . . Sie hatte sich lange angesammelt, sie erstickte ihn. Er versuchte seine Tirade mit dem gewöhnlichen Lachen zu schließen, und – hustete nur krampfhaft und heiser. Susanne hatte ihm nicht ein einziges Wort geantwortet; sie schüttelte nur den Kopf, erhob das Gesicht, faßte sich mit beiden Händen an den Ellenbogen, und fixirte ihn scharf. In der Tiefe ihrer unbeweglichen, erweiterten Augen glimmte altgewohnter Haß mit dunklem, unanslöschlichem Feuer.

»Sie gehören zu zwei verschiedenen musikalischen Geschlechtern,« fing ich mit möglichster Ungezwungenheit an, indem ich durch diese Ungezwungenheit zu verstehen geben wollte, daß ich Nichts bemerkt habe; – »darum ist nicht zu verwundern, daß Sie in Ihren Ansichten nicht übereinstimmen. . . . Aber, Ivan Demjanitsch, Sie werden mir gestatten, mich aus die Seite des jüngeren Geschlechtes zu stellen. Ich bin freilich nur Laie; aber ich gestehe,daß noch Nichts in der Musik einen solchen Eindruck auf mich gemacht hat, wie . . . wie das, was Susanne Ivanowna uns so eben vorgespielt hat.«

Ratsch warf sich mit plötzlich auf.

»Und warum glauben Sie,« schrie er, noch ganz roth vom Husten, – »daß wir Sie für unser Lager zu werben wünschen?« (Er sagte das Wort Lager auf Deutsch.) »Wir bedürfen dessen durchaus nicht. Dem Freien seinen Willen: dem Behüteten – Rettung! Aber, was die beiden musikalischen Geschlechter anbetrifft, so ist das richtig; uns Alten ist es überhaupt schwer, mit der Jugend zu leben, sehr schwer! Unsere Ansichten stimmen in gar Nichts überein; weder in der Kunst, noch im Leben, nicht einmal in der Moral. Nicht wahr, Susanne Ivanowna?«

Susanne lächelte mit verächtlicher Ironie.

»Wie Sie sagen,« antwortete sie; – »besonders in Bezug auf die Moral stimmen unsere Ansichten nicht, und können nicht zusammen stimmen,« und etwas Finsteres lief über ihre Züge hin, und ihre Lippen bebten leise.

»Freilich, freilich!« unterbrach sie Ratsch, – »ich bin kein Philosoph! Ich verstehe nicht . . . mich so hoch zu stellen! Ich bin ein einfacher Mensch, ein Sclave der Vorurtheile.«

Susanne lächelte wieder.

»Mir scheint, Ivan Demjanitsch, daß auch Sie es einst verstanden haben, sich über das zu stellen, was man Vorurtheile nennt.«

»Wie so? Wie meinen Sie das? Ich verstehe Sie nicht.«

»Sie verstehen mich nicht? Sind Sie so vergeßsam?«

Es war, als wenn Herr Ratsch plötzlich den Kopf verloren hätte.

»Ich . . . ich . . .« stammelte er. – »Ich . . .«

»Ja, Sie, Herr Ratsch.«

Es folgte ein kurzes Stillschweigen.

»Erlauben Sie mir aber doch, erlauben Sie mir,« fing Herr Ratsch an, – »wie können Sie es wagen . . .«

Susanne richtete sich plötzlich in ihrer ganzen Höhe auf und fuhr mit den Fingern über ihre Ellenbogen hin, ohne die Hände von denselben wegzunehmen; sie preßte sie fest an sich und blieb vor Ratsch stehen. Sie ging auf ihn zu, als wenn sie ihn zum Kampfe aufforderte. Ihr Gesicht war verwandelt, plötzlich, in einem Augenblicke, war es hübsch und schrecklich zugleich geworden; ihre dunklen Augen erglänzten in einem frohen, kalten, stählernen Glanze; die soeben noch behenden Lippen waren in eine gerade, unerbitterlich strenge Linie zusammengepreßt. Susanne hatte Ratsch zum Kampfe aufgerufen, dieser aber sah sich in sie fest, wie man zu sagen pflegt, verstummte und fiel zusammen wie ein Sack; sein Kopf versank zwischen den Schultern, und er zog sogar die Füße ein. Der »Veteran« ans dem Jahre 12 war in Furcht gejagt, darüber konnte kein Zweifel obwalten.

Susanne blickte langsam von ihm zu mir auf, als wollte sie mich zum Zeugen ihres Sieges und der Erniedrigung ihres Feindes machen, und ging, zum letzten Male spöttisch lächelnd, zum Zimmer hinaus.

Der Veteran blieb einige Zeit unbeweglich in seinem Sessel; dann stand er auf, als sei ihm die vergessene Rolle wieder eingefallen, gab mir einen Schlag auf die Schulter und brach in eines seiner schallendsten Gelächter aus.

»Schauen Sie einmal! Ha – ha – ha! Das ist doch nicht das erste Jahrzehnt, welches ich mit diesem Fräulein verlebe, und sie kann noch nicht unterscheiden, wann ich einen Spaß mache, und wann ich im Ernste rede! Und auch Sie, mein Verehrtester, scheinen zu zweifeln . . . Ha – ha – ha! Das beweist mir, daß Sie den alten Ratsch noch nicht kennen!«

Nein . . . jetzt kenne ich Dich, dachte ich, nicht ohne Schrecken und Abscheu.

»Sie kennen den Alten nicht, kennen ihn nicht!« wiederholte er, sich den Leib streichelnd und mich in’s Vorzimmer begleitend. – Ich bin ein schwerfälliger, geschlagener Mann, ha – ha! Aber ein guter Mensch! Bei Gott!«

Ich stürzte Hals über Kopf von der Treppe auf die Straße, um so schnell wie möglich von diesem »guten Menschen« fortzukommen.

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Litres'teki yayın tarihi:
10 aralık 2019
Hacim:
120 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin PDF
Ortalama puan 5, 2 oylamaya göre
Ses
Ortalama puan 5, 1 oylamaya göre
Ses
Ortalama puan 5, 1 oylamaya göre
Ses
Ortalama puan 5, 1 oylamaya göre
Ses
Ortalama puan 5, 1 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 5, 3 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 3,8, 4 oylamaya göre
Metin PDF
Ortalama puan 5, 1 oylamaya göre