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Kitabı oku: «Frühlingsfluthen», sayfa 2

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V

Gemma hörte der Mutter zu – lächelte, seufzte, streichelte sie am Rücken, drohte ihr mit dem Finger-, sah Sanin au; endlich sprang sie auf, umarmte und küßte die Mutter gerade auf den Hals in der Gegend ( des Zäpfchens, worüber diese viel, ja selbst ausgelassen lachte. Pantaleone wurde ebenfalls Sanin vorgestellt. Es stellte sich heraus, daß er einst Opernsänger für Bariton-Partien gewesen, doch schon längst seine theatralischen Beschäftigungen aufgegeben und sich bei der Familie Roselli als Mittelding zwischen Hausfreund und Diener aufhalte. Trotz seines langjährigen Aufenthaltes in Deutschland sprach er die deutsche Sprache nur schlecht, und kannte eigentlich nur die Schimpfreden derselben, die er übrigens gleichfalls unbarmherzig verstümmelte. »Ferrotiucto Spiccebubbio!« nannte er beinahe jeden Deutschen. Italienisch aber sprach er meisterhaft, denn er war gebürtig aus Sinigaglia, wo man die »lingua toscana in bocca romana« hört. Emilio fühlte sich augenscheinlich sehr behaglich und überließ sich ganz den angenehmen Gefühlen eines, Menschen, der eben einer bedeutenden Gefahr entronnen und in Genesung begriffen ist; außerdem konnte man bemerken, daß sämmtliche Hausgenossen ihn verhätschelten. Er bedankte sich verlegen bei Sanin und machte sich namentlich mit Syrup und Confect zu schaffen. Sanin sah sich genöthigt, zwei Tassen köstlicher Chocolade zu trinken und eine erstaunenswerthe Menge von Biskuits zu essen: kaum hat er den einen heruntergeschluckt, da bietet ihm Gemma einen anderen an – und keine – Möglichkeit, abzuschlagen! Er fühlte sich bald wie zu Hause, die Zeit verging mit unglaublicher Schnelligkeit. Er mußte viel erzählen – über Rußland im Allgemeinen, über russisches Klima, russische Gesellschaft, russische Bauern – und namentlich über Kosaken; über den Krieg von 1812, über Peter den Großen, über den Kreml, über russische Lieder und Glocken. Die beiden Damen hatten nur, wenige Begriffe von unserem weiten und entfernten Vaterlande; Frau Roselli, oder wie sie häufiger genannt wurde, Frau Lenora, versetzte selbst Sanin in Erstaunen durch die Frage: ob das berühmte, im vorigen Jahrhundert in Petersburg gebaute Haus aus Eis noch existire, über welches sie unlängst in einem Buche ihres verstorbenen Mannes: »Bellezze delle arti« einen interessanten Aufsatz gelesen hatte.

Als Antwort auf Sanin‘s Ausruf: »Glauben Sie denn, daß es in Rußland keinen Sommer gebe?« entgegnete Frau Lenora, daß sie bis jetzt sich Russland folgendermaßen vorgestellt: ewiger Schnee, Alle gehen in Pelzem, Alle sind Soldaten – die Gastfreundschaft, aber ist außerordentlich und die Bauern sehr gehorsam! Sanin bemühte sich, ihr und ihrer Tochter genauere Kenntnisse beizubringen. Als die Rede aus russische Musik kam, bat man ihn, ein russisches Lied zu singen und deutete auf ein im Zimmer stehendes kleines Pianoforte, mit schwarzen Tasten statt der weißen und mit weißen statt der schwarzen. Er gehorchte, ohne weitere Umstände zu machen und sang, sich mit zwei Fingern der rechten und mit drei (dem großen, mittleren und kleinen) der linken Hand begleitend, mit dünner Tenor-Stimme erst den »Sarafan« dann das »Dreigespann«. Die Damen lobten seine Stimme und die Musik, doch waren sie noch mehr von der Weichheit und dem Wohlklange der russischen Sprache entzückt und verlangten eine Uebersetzung der Lieder. Sanin erfüllte ihren Wunsch – doch, da die Liederworte in seiner Uebersetzung keinen großen Begriff von russischer Poesie bei den Zuhörerinnen erwecken konnten, so trug er Gedichte vor und übersetzte sie sodann; schließlich sang er eine von Glinka komponirte Dichtung Puschkins, bei den Mollnoten dieser Musik zeigte er jedoch einige Unsicherheit. Hier geriethen die Damen in Ekstase – Frau Lenora fand sogar in der russischen Sprache eine merkwürdige Aehnlichkeit mit der italienischen, ja, selbst die Namen Puschkin (sie sprach ihn Pussekin aus) und Glinka klangen ihr ganz heimisch.

Dann bat Sanin die Damen, ihrerseits etwas zu singen; sie ließen sich nicht lange bitten. Frau Lenora setzte sich zum Pianoforte und sang mit Gemma einige Duette und »Stornelli«. Die Mutter hatte einst einen guten Contre-Alt gehabt; die Stimme der Tochter war ein wenig schwach, doch angenehm.

VI

Nicht die Stimme von Gemma bewunderte Sanin, sondern sie selbst. Er saß ein wenig seitwärts nach hinten und dachte, daß keine Palme – selbst die im Gedichte Benedictoffs, der zur Zeit in Mode war, nicht ausgenommen – sich mit dieser zierlichen, schlanken Gestalt wessen konnte. Als sie aber bei den gefühlvollen Stellen die Augen nach oben richtete, so glaubte man, es könne keinen Himmel geben, der sich nicht einem, solchen Blick geöffnet hätte. Selbst der alte Pantaleone, der mit der Schulter an die Thüre gelehnt, das Kinn und den Mund im weiten Halstuch versteckt, wichtig, mit dem Aussehen eines Kenners, zuhörte, selbst dieser bewunderte das Gesicht des schönen Mädchens und staunte es an – und doch konnte er, wie es schien, an diesen Anblick schon gewöhnt sein! Als sie ihr Duett mit der Tochter beendet, bemerkte Frau Lenora, daß Emilio eine prachtvolle Stimme, rein wie Silber, habe – doch jetzt sich in einem Alter befinde, in welchem die Stimme breche (er sprach wirklich mit einer beständig durch Fistellaute unterbrochenen Baßstimme) und daß ihm deshalb das Singen verboten sei; Pantaleone aber der könne, den Gast zu ehren, alte Zeiten erneuern. Pantaleone nahm sofort eine unzufriedene Miene an, wurde finster, brachte seine Haare nach mehr in Unordnung und erklärte, daß er dieses Alles schon längst an den Nagel gehängt habe, obgleich er wirklich in seiner Jugend für sich habe einstehen können – und überhaupt zu jener großen Epoche gehört habe, als es wirklich classische Sänger gab – nicht den heutigen Schreihälsen ähnlich! und als eine wirkliche Gesangschule vorhanden war; daß man ihm, Pantaleone Cippatola aus Varese, einst in Modena einen Lorbeerkranz dargebracht und ihm zur Ehre sogar im Theater weiße Tauben habe fliegen lassen; daß unter anderen hohen Gönnern ein russischer Fürst Tarbuski – il principe Turbuski – mit dem er sehr befreundet gewesen, ihn beim Abendessen stets nach Rußland geladen und ihm Berge von Gold versprochen habe . . . doch er habe Italien, das Land von Dante – il paese del Dante – nicht verlassen wollen. Nachher hätten sich allerdings unglückliche Zufälle ereignet, er selbst sei nicht vorsichtig gewesen . . . Hier unterbrach sich der Alte, seufzte tief, versank in Gedanken – und sprach wieder von der classischen Epoche des Gesanges, vom berühmten Tenor Garcia, für den er tiefe, grenzenlose Hochachtung gefühlt. »Das war ein Mann!« rief er. »Nie hätte der große Garcia – il gran Garcia – sich so weit erniedrigt, um, wie die jetzigen, widrigen – Tenörchen – tenoracci – mit Falsett zu singen: stets sang er mit der Brust, voce di petto, si!« – Und der Greis schlug mit der kleinen, vertrockneten Faust heftig auf seine Brust. »Und welcher Schauspieler war das! Ein Vulkan, signori miei, ein Vulkan, un Vesuvio! Ich hatte die Ehre und das Vergnügen, mit ihm in der Oper – »del illustrissimo muëstro Rossini« – im Othello zu singen! Garcia war Othello – ich sang den Jago – und wenn er diesen Satz aussprach . . .

Hier stellte sich Pantaleone in Positur und sang mit zitternder, heiseren doch noch immer pathetischer Stimme:

 
Li . . . ra d‘aver . . . so d‘aver . . . so il fato
Lo piu no . . . no . . . no . . . non temerò!
 

»Das Theater zitterte, signori miei! doch ich blieb nicht zurück und sang ihm nach:

 
Li . . . ra d‘aver . . . so d‘aver . . . so il fato.
Temèr pici non dovrò!
 

»Er aber – plötzlich wie der Blitz, wie der Tiger:

 
Morrò! . . . ma vendicato . . .
 

»Oder, wenn er sang: wenn er jene berühmte Arie aus dem Matrimonio segreto: Pria che Spunti . . . sang, da machte er, il gran Garcia, nach den Worten: I cavalli di galoppo – da machte er bei den Worten: Senza posa caccierà – hören Sie, wie bewundernswürdig, com’è stupendo! er es machte. . . Hier fing der Alte eine ganz ungewöhnliche – Fioritur an, doch bei der zehnten Note blieb er stecken, hustete, und nachdem er mit der Hand eine abwehrende Bewegung gemacht hatte, wandte er sich hinweg – und murmelte:

»Warum quälen Sie mich?« Gemma sprang sofort vom Stuhle auf, lief, laut mit den Händen klatschend und »bravo! Bravo!« rufend, zum armen, verabschiedeten Jago und klopfte ihm freundlich mit beiden Händen auf die Schultern Emil allein lachte erbarmungslos. Cet age est sann pitié – dieses Alter kennt kein Mitleid, hat bereits Lafontaine gesagt.

Sanin versuchte, den greifen Sänger zu trösten und redete ihn italienisch an (während seiner Reise hatte er einige Brocken davon aufgeschnappt) er sprach vom paese del Dante, dovo il si suona. Diese Phrase, zusammen mit »Lasciate ogni speranza« bildete das ganze poetisch-italienische Gepäck des jungen Reisenden. – doch der Alte zeigte sich unempfindsam für sein Entgegenkommen. Noch tiefer als früher, steckte er das Kinn in das Halstuch, ließ finster das Auge hervortreten und glich noch mehr einem Vogel, einem bösen Vogel – etwa einem Raben oder einem Geier. Emil wandte sich dann sofort leicht erröthend, wie es Kindern gewöhnlich ist, zu seiner Schwester und sagte ihr, daß, wenn sie den Gast unterhalten wollte, sie doch eine von den kleinen Komödien von Malz, die sie so gut lese, vortragen möchte. Gemma lachte, schlug den Bruder auf die Hand, ging sofort in ihr Zimmer, kehrte mit einem kleinen Buche zurück, setzte sich an den Tisch zur Lampe, wandte sich um, hob den Finger in die Höhe: – »Jetzt bitte, zu schweigen!« – eine echt italienische Geste – und begann zu lesen.

VII

Malz war ein Frankfurter Schriftsteller der dreißiger Jahre, welcher in seinen kurzen, leicht hingeworfenen Komödien im Localdialect, mit drolligem und scharfem, wenn auch nicht tiefem Humor geschrieben, Frankfurter Typen vorführte. Es zeigte sich, daß Gemma prachtvoll – ganz wie eine Schauspielerin vortrug.

Jeder Person gab sie einen derselben entsprechenden Charakter und führte diesen bis zu Ende durch; sie wandte alle Komik auf, die sie zusammen mit dem italienischen Blute geerbt hatte; ohne Mitleid für ihre zarte Stimme, für ihr schönes Gesicht, schnitt sie, wenn es galt, eine verrückt gewordene alte Frau oder einen dummen Bürgermeister darzustellen, die allerdrolligsten Gesichtchen, sie zwängte die Augen ein, rümpfte die Nase, schnarrte, kreischte sogar . . . Sie selbst lachte beim Lesen nicht, doch wenn die Zuhörer (allerdings mit Ausnahme von Pantaleone, der sich, als die Rede auf den forroflucto Tedesco kam, sofort mit Unwillen entfernt hatte) sie durch den einmüthigen Ausbruch des Gelächters unterbrochen – dann lachte sie auch hell auf, den Kopf zurückwerfend, das Buch auf die Knie fallen lassend, und ihre schwarzen Locken hüpften dann in zarten Ringen um den Hals und auf den erschütterten Schultern. Das Lachen hörte auf – sofort erhob sie das Buch, verlieh ihrem Gesichte den grade entsprechenden Ausdruck und las ernst weiter. Sanin konnte sie nicht genug bewundern; namentlich, staunte er darüber: durch welches Wunder ihr so ideal schönes Gesicht plötzlich einen so komischen, ja manchmal trivialen Ausdruck erlangen konnte. Weniger befriedigend trug Gemma die Rollen junger Damen, sogenannter jeunes premières vor; die Liebesscenen wollten ihr gar nicht gelingen; sie fühlte es selbst und verlieh ihnen daher einen leichten Anstrich des Lächerlichen – als ob sie allen diesen erhabenen Schwüren und entzückten Reden – deren sich übrigens der Autor selbst, soweit es ging, enthielt – keinen Glauben schenke.

Sanin bemerkte nicht, wie der Abend vergangen war – und erinnerte sich der bevorstehenden Reise erst, als die Uhr Zehn schlug. Er sprang vom Stuhle auf wie von einer Biene gestochen.

»Was fehlt Ihnen?« fragte Frau Leonore.

»Ich sollte ja heute nach Berlin fahren – und habe bereits einen Platz im Postwagen genommen!«

»Und wann geht die Post?«

»Um halb elf!«

»Nun, dann ist es schon zu spät, um hinzukommen, bemerkte Gemma, »bleiben Sie . . . ich werde weiter lesen.«

»Haben Sie das ganze Geld für den Platz bezahlt oder nur einen Theil?« fragte Frau Lenora mit Antheil.

»Das Ganze!« rief Sanin mit trauriger Miene.

Gemma sah ihn scharf an – und lachte; die Mutter tadelte sie. – »Der junge Mensch hat unnütz Geld ausgegeben – und Du lachst!«

»Das thut nichts,« antwortete Gemma, »es wird ihn nicht ruiniren, wir aber wollen ihn trösten. Wünschen Sie nicht Limonade?«

Sanin trank die Limonade, Gemma nahm wieder Malz vor – und Alles kam wieder in den alten Gang.

Die Uhr schlug zwölf und Sanin wollte sich verabschieden.

»Sie müssen jetzt einige Tage in Frankfurt bleiben sagte Gemma zu ihm; »wo wollen Sie hineilen? Lustiger wird es in einer anderen Stadt auch nicht sein.« Sie schwieg. »Wirklich nicht,« fügte sie hinzu und lächelte.

Sanin antwortete Nichts und dachte, daß er jetzt unter allen Umständen, schon wegen der Leere seines Beutels einige Tage in Frankfurt werde zubringen müssen, bis eine Antwort von seinem Berliner Bekannten anlange, an den er sich wegen Geld zu wenden die Absicht hatte.

»Bleiben Sie, bleiben Sie,« rief auch Frau Lenora. »Wir werden Sie mit dem Bräutigam von Gemma, Herrn Carl Klüber bekannt machen. Heute konnte er nicht kommen, weil er in seinem Laden sehr beschäftigt ist. – Sie haben wohl sicher das größte Magazin von Tuch und seidenen Waaren auf der Zeil bemerkt – dort ist er der erste Commis. Es wird ihm sehr angenehm sein, sich Ihnen vorstellen zu können.«

Sanin wurde – Gott weiß warum – von dieser Nachricht betroffen.

»Ein Glückskind muß dieser Bräutigam sein!« ging ihm durch den Kopf.

Er blickte Gemma an – und er glaubte einen schelmischen Ausdruck in ihren Augen zu bemerken. Er verabschiedete sich.

»Auf morgen? Nicht wahr auf morgen?« fragte Frau Lenora.

»Auf morgen!« rief Gemma nicht in fragendem, sondern bejahendem Tone, als ob es nicht anders sein könne.

»Auf morgen!« antwortete Sanin.

Emil, Pantaleone und Tartaglia begleiteten ihn bis zur Straßenecke. Pantaleone konnte nicht umhin, seiner Unzufriedenheit über das Lesen Gemma’s Ausdruck zu geben.

»Wie, schämt sie sich nicht! sie schneidet Fratzen, sie schnarrt – una carricatura! Sie sollte Merope oder Klytämnestra vorstellen – etwas Großes, etwas Tragisches, sie aber äfft eine eklige Deutsche! Das kann ich ja auch. .. Merz, Kerz, Smerz,« fügte er mit rauher Stimme hinzu, das Gesicht nach vorn schiebend und die Finger auseinander ziehend. Tartaglia bellte ihn an, Emil lachte. Der Alte kehrte schroff um.

Sanin kam nach dem Gasthaus zum »weißen Schwan« – er hatte vorher bloß sein Gepäck dort gelassen – in ziemlich verwirrter Gemüthsstimmung. Alle diese deutsch-französisch-italienischen Gespräche klangen in seinen Ohren nach.

»Braut!« flüsterte er, schon im Bette des ihm zugewiesenen Zimmers liegend. »Und welche Schönheit! Warum aber bin ich geblieben?«

Am nächsten Tage schickte er jedoch den Brief an seinen Berliner Freund ab.

VIII

Noch hatte er nicht Zeit gehabt sich anzukleiden, als ihm der Kellner die Ankunft zweier Herren meldete. Der eine derselben war Emil, der andere – ein stattlicher, junger Mann von hohem Wuchse und dem wohlgestaltetesten Gesichte von der Welt, war Herr Carl Klüber, der Bräutigam der schönen Gemma.

Man muß annehmen, daß es zu jener Zeit in ganz Frankfurt in keinem Laden einen so höflichen, anständigen, ansehnlichen, freundlichen Commis gegeben hat, wie solcher durch Herrn Klüber zur Erscheinung kam. Die Tadellosigkeit seiner ganzen Toilette glich der Würde seiner Haltung und der allerdings ein wenig steifen und zurückhaltenden Eleganz, nach englischer Art (er hatte zwei Jahre in England zugebracht) – doch immer bezaubernden Eleganz seiner Manieren. Beim ersten Blick war man überzeugt, daß dieser ein wenig strenge, prachtvoll erzogene und prachtvoll gewaschene junge Mann den Oberen zu gehorchen und den Untergebenen zu befehlen gewohnt war, und daß er hinter dem Ladentische seines Magazins nothwendiger Weise den Käufern selbst Achtung gebieten mußte. Hinsichtlich seiner übermenschlichen Ehrlichkeit konnte auch nicht der leiseste Zweifel aufkommen: man brauchte ja nur einen Blick auf seinen steifgestärkten Kragen zu werfen! Auch seine Stimme zeigte sich, wie zu erwarten war, voll und selbstbewußt, doch nicht zu laut, sogar nicht ohne eine gewisse Freundlichkeit im Timbre. Mit solcher Stimme muß es bequem sein, dem untergebenen Commis Befehle zu ertheilen: »Zeigen Sie jenes Stück Lyoner Pensée-Sammt« – oder: »Bieten Sie dieser Dame einen Stuhl an!«

Herr Klüber begann damit, daß er sich vorstellte, wobei er so edel seine Figur nach vorn beugte, so angenehm die Füße zusammenführte und so höflich die Hacken an einander schlug, daß Jeder sich sagen mußte: »Bei diesem Menschen ist die Wäsche und die moralischen Eigenschaften von Prima-Qualität!« Die Behandlung der entblößten rechten Hand (in der linken mit schwedischem Handschuh bekleidet, hielt er den, bis zur Spiegelglätte gebügelten Hut, auf dessen Boden der andere Handschuh lag), die Behandlung dieser rechten Hand, die er bescheiden, aber entschlossen Sanin reichte, übertraf alles Denkbare: jeder Nagel war für sich eine Vollkommenheit!

Darauf theilte er in ausgezeichnetem Deutsch mit, daß er dem Herrn Fremden, der seinem zukünftigen Verwandten, dem Bruder seiner Braut, einen so großen Dienst erwiesen, seine Hochachtung und Dankbarkeit bezeugen wolle; dabei führte er die linke Hand, die den Hut hielt, nach der Richtung des Platzes von Emil, der sich, wie beschämt, zum Fenster gewandt hatte und einen Finger im Munde hielt. Herr Klüber fügte hinzu, daß er sich glücklich schätzen würde, wenn er seinerseits dem Herrn Ausländer etwas Angenehmes erweisen könnte. Sanin antwortete nicht ohne Zwang und gleichfalls deutsch, daß er sehr erfreut sei. . . daß der Dienst, den er geleistet, nur gering sei. . . und bat die Herrn, Platz zu nehmen. Herr Klüber dankte und ließ sich, die Schöße seines Fracks rasch aufnehmend, auf den Stuhl nieder – ließ sich so leicht nieder und saß darauf so wenig, daß man nur zu klar sah, daß dieser Mensch nur aus Höflichkeit sich gesetzt habe – und sofort auffliegen werde. – Und wirklich, er flog in die Höhe, änderte wie beim Tanze ein paar Mal seine Fußstellung und erklärte, daß er leider nicht länger bleiben könne, da er nach seinem Laden eilen müsse: das Geschäft vor Allem! – Doch da morgen Sonntag sei, so habe er mit Zustimmung von Frau Lenora und Fräulein Gemma eine Landpartie nach Soden vorbereitet, zu der er den Herrn Fremden einzuladen hiermit die Ehre habe und sich mit der Hoffnung schmeichle, daß dieser nicht abschlagen werde, dieselbe durch seine Gegenwart zu verschönern. Sanin schlug die Verschönerung nicht ab – und Herr Klüber empfahl sich zum zweiten Male und ging weg, das Beinkleid von der zartesten Erbsfarbe lieblich schimmern und ebenso angenehm die Sohlen der allerneuesten Stiefel knarren lassend.

IX

Emil, der noch immer am Fenster stand, selbst nach der Einladung von Sanin, Platz zu nehmen, machte sofort, als sein zukünftiger Verwandter weggegangen war, links kehrt – und fragte Sanin mit kindlicher Verlegenheit und erröthend, ob er noch ein Bischen bei ihm bleiben dürfe? – »Ich fühle mich heute viel wohler,« fügte er hinzu, »doch der Doctor hat mir zu arbeiten verboten.«

»Freilich, bleiben Sie! Sie stören mich nicht im Geringsten!« rief sofort Sanin, der als echter Russe froh war, den ersten besten Vorwand zu ergreifen, um nicht in die Lage zu kommen, selbst etwas thun zu müssen.

Emil dankte – und war in der kürzesten Zeit vollständig vertraut mit Sanin und dessen Wohnung, er betrachtete seine Sachen, fragte beinahe bei jeder, wo sie gekauft sei und welchen Werth sie habe? Er half Sanin beim Rasiren, wobei er bemerkte, daß demselben ein Schnurrbart prachtvoll stehen würde; theilte ihm endlich eine Masse Einzelheiten über seine Mutter, seine Schwester, über Pantaleone, selbst über den Pudel Tartaglia – kurz über ihr ganzes Leben und Treiben mit. Jede Spur von Schüchternheit war bei Emil verschwunden; er fühlte sich plötzlich unwiderstehlich zu Sanin hingezogen – und gar nicht deshalb, weil dieser ihm den Tag zuvor das Leben gerettet, sondern weil dieser eben ein so sympathischer Mensch wart Er ermangelte nicht, Sanin alle seine Geheimnisse mitzutheilen. Mit besonderer Lebhaftigkeit vertraute er, daß die Mutter aus ihm durchaus einen Kaufmann machen wolle, er aber wisse, wisse genau, daß er zum Künstler, Musiker oder Sänger geboren sei; das Theater sei sein wirklicher Beruf; Pantaleone bekräftige ihn darin, doch Herr Klüber halte es mit der Mutter, auf die er einen großen Einfluß übe, daß sogar der Gedanke, aus ihm einen Händler zu machen, eigentlich Herrn Klüber gehöre, nach dessen Begriffen Nichts in der Welt sich mit dem Stande eines Kaufmannes vergleichen könne! Tuch und Sammt zu verkaufen – das Publikum zu betrügen, ihm Narren – oder Russenpreise abzunehmen, das sei sein Ideal!1

»Nun, jetzt ist es Zeit, zu uns zu kommen!« rief er, sobald Sanin seine Toilette beendet und den Brief nach Berlin geschrieben hatte.

»Jetzt ist es noch zu früh,« bemerkte Sanin.

»Das schadet nicht,« entgegnete Emil, sich an ihm schmiegend. »Gehen wir! Wir gehen nach der Post und von dazu uns. Gemma wird sich so freuen! Sie werden bei uns frühstücken . . . Sie werden vielleicht bei der Mutter ein Wörtchen über mich, über meine Bestimmung fallen lassen.«

»Gut, gehen wir,« sagte Sanin – und sie gingen hin.

1.In früheren Zeiten – auch jetzt ist es noch der Fall – wurden, wenn gegen Monat Mai, eine große Menge Russen in Frankfurt erschienen, die Preise in allen Läden erhöht und bekamen den Namen: »Russen« – und leider – »Narren- Preise.«.