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Kitabı oku: «Frühlingsfluthen», sayfa 4

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XV

Soden – ein kleines Städtchen etwa eine halbe Stunde von Frankfurt – liegt in reizender Lage an den Ausläufern des Taunus und ist bei uns in Rußland durch seine Quellen, die Leuten, welche an schwacher Brust leiden, nützlich sein sollen, berühmt. Die Frankfurter fahren meist zu ihrer Zerstreuung hin, da Soden einen prachtvollen Park mit zahlreichen Wirthschaften besitzt, wo man im Schatten hoher Linden und Buchen Caffee und Bier trinkt. Der Weg von Frankfurt nach Soden zieht sich längst des rechten Mainufers: er ist an beiden Seiten mit Fruchtbäumen bewachsen. So lange der Wagen auf der schönen Chaussée rollte, beobachtete Sanin verstohlen, wie Gemma mit ihrem Bräutigam umgehe: er sah sie Beide zum ersten Male zusammen. Sie war ruhig und einfach – doch etwas zurückhaltender und ernster als sonst; er erinnerte an einen nachsichtigen Lehrer, der sich selbst und seinen Anbefohlenen ein bescheidenes und stilles Vergnügen erlaubt hat. Ein besonderes Hofmachen Gemma gegenüber, das, was die Franzosen empressement nennen, konnte Sanin bei ihm nicht bemerken. Man sah, daß Herr Klüber Alles für ausgemacht hielt, und daher keinen Grund sah, sich zu bemühen und sich aufzuregen. Die Nachsicht aber verließ ihn für keinen Augenblick! Selbst während des großen Spazierganges in den waldigen Bergen und Thalern hinter Soden, der vor dem Mittagessen unternommen wurde, die Schönheiten der Natur bewundernd, verhielt sich Klüber selbst ihr, der Natur, gegenüber mit derselben Nachsicht, durch welche zuweilen die Strenge des Vorgesetzten zum Vorschein kam. So bemerkte er von einem Bache, daß er zu gerade durch das Thal fließe, statt einige malerische Biegungen zu machen; er billigte nicht die Ausführung eines Vogels – eines Finken – der nicht genug Abwechslung in seinen Gesang bringe! Gemma langweilte sich nicht und schien sogar Vergnügen zu haben, doch die frühere Gemma konnte Sanin in ihr nicht erkennen: nicht als ob eine Wolke sie umhüllte, ihre Schönheit war noch nie so strahlend gewesen, doch ihre Seele war in sich, nach innen gekehrt. Mit ausgebreitetem Schirm, mit unaufgeknöpften Handschuhen spazierte sie, gesetzt, langsam, wie artige Mädchen spazieren, und sprach wenig. Emil fühlte sich auch gezwungen – und Sanin noch mehr. Er war schon davon unangenehm berührt, daß das Gespräch beständig in deutscher Sprache geführt wurde. Tartaglia allein fühlte sich wohl. Mit tollem Gebell jagte er den ihm begegnenden Krammetsvögeln nach, sprang über Gräben, über Baumstümpfe und gefällte Baume, warf sich mit Wuth ins Wasser, schlürfte es hastig, schüttelte sich, bellte und rannte wieder wie ein Pfeil, die rothe Zunge fast bis zu den Schultern ausstreckend. Herr Klüber machte seinerseits Alles, was er zur Belustigung der Gesellschaft für nöthig hielt; er schlug vor, sich im Schatten einer üppigen Eiche zu setzen – und, aus der Tasche ein kleines Buch mit dem Titel: »Knallerbsen – oder Du sollst und wirst lachen« ziehend, fing er, die auf Witz Anspruch machenden Anekdoten, mit denen das Buch gefüllt war, vorzulesen an. Er trug über ein Dutzend vor, doch erregten sie nur wenig Lustigkeit: « Sanin allein ließ aus Höflichkeit, als hätte er gelacht, die Zähne sehen, und er selbst, Herr Klüber, ließ nach jeder Anekdote ein kurzes, geschäftliches – und doch nachsichtiges Lachen vernehmen. Um zwölf Uhr Mittags kehrte die ganze Gesellschaft nach Soden in die beste Wirthschaft zurück.

Man mußte an das Mittagessen denken.

Herr Klüber schlug vor, das Mittagessen in einem geschlossenen Gartenhäuschen, dem »Gartensalon« einzunehmen, doch Gemma rebellirte und erklärte, daß sie nicht anders als im Garten, an einem der sich vor dem Restraurant befindenden runden Tischchen essen werde; es sei ihr zu einförmig, stets dieselben Gesichter zu sehen, sie wolle andere sehen! An einigen Tischen saßen bereits neu angekommene Gäste.

Während Herr Klüber, wohlwollend der Caprice seiner Braut nachgebend, sich mit dem Oberkellner berathen ging, stand Gemma unbeweglich, mit gesenkten Augen und zusammengepreßten Lippen; sie fühlte, daß Sanin sie unaufhörlich gleichsam forschend betrachtete – und dies schien sie zu ärgern. Endlich kam Klüber zurück, erklärte das Mittagessen würde in einer halben Stunde fertig sein, und schlug vor, bis dahin Kegel zu schieben, indem er hinzufügte, »das sei dem Appetit dienlich, he, he, he!« Er schob meisterhaft Kegel; die Kugel werfend gab er sich einen äußerst kühnen Anstrich, setzte seine Muskeln mit Zierlichkeit in Bewegung, holte zierlich mit dem Fuße aus. Er war in einer Art ein Athlet, so prachtvoll war er gebaut! Dabei waren seine Hände so weiß und schön, und er wischte sie an einem so reichen, bunt und goldgefärbten indischen Foulard ab.

Der Augenblick des Mittagessens war gekommen, und die ganze Gesellschaft nahm an dem Tischchen Platz.

XVI

Wer weiß nicht, was ein deutsches Mittagessen ist? Eine wässerige Suppe mit unförmlichen Klößen und Muskat, ausgekochtes Rindfleisch, trocken wie ein Korb mit angewachsenem Stück weißen Fett, mit wässerigen Kartoffeln, aufgedunsenen Rüben und gekautem Meerrettich, Karpfen in Blau mit Kapern und Essig, Braten mit Eingemachtem, und die unausbleibliche Mehlspeise, etwas Puddingartiges, mit rothem, säuerlichem Aufguß; dafür aber auch ausgezeichneter Wein und köstliches Bier. Mit solchem Mittagessen tractirte der Sodener Restraurateur seine Gäste. Das Mittagessen verlief übrigens glücklich. Besonders lebhaft ging es allerdings nicht zu: selbst dann nicht, als Herr Klüber einen Toast vorschlug für das, »was wir lieben.« Alles ging eben zu steif und anständig zu. Nach dem Essen brachte man dünnen, röthlichen, kurz deutschen Caffee. Herr Klüber bat als echter Cavalier bei Gemma um die Erlaubniß, eine Cigarre anzuzünden. . . Doch da ereignete sich etwas Unvorgesehenes, wirklich Unangenehmes und selbst Unanständiges!

An einem der benachtbarten Tischchen hatten einige Officiere der Mainzer Garnison Platz genommen.

Aus ihren Blicken und ihrem Flüstern konnte man leicht errathen, daß die Schönheit von Gemma ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte; Einer von ihnen, der wohl Gelegenheit gehabt, in Frankfurt zu sein, blickte sie beständig wie eine ihm gut bekannte Persönlichkeit an, er wußte augenscheinlich, wer sie sei. Plötzlich erhob er sich und näherte sich mit dem Glase in der Hand – die Herren Officiere hatten tüchtig getrunken und ihr Tisch war ganz von Flaschen bedeckt – dem Tische, an welchem Gemma saß. Es war ein sehr junger, ganz blonder Mann mit ziemlich angenehmen, selbst sympathischen Gesichtszügen: doch der genossene Wein verunstaltete dieselben: seine Wangen bewegten sich krampfhaft hin und her, die entzündeten Augen irrten umher und blickten frech. Seine Kameraden versuchten ihn anfangs zurückzuhalten, doch ließen sie ihn gehen: geschehe was da wolle – was wird daraus entstehen?

Ein wenig auf den Füßen wankend, blieb der Officier vor Gemma stehen und rief mit herausgedrängter und geschrieener Stimme, in der man doch den Kampf mit sich selbst bemerken konnte . . . »Ich trinke auf das Wohl der schönsten Caffeemamsel in ganz Frankfurt und der ganzen Welt!« hier stürzte er das Glas hinunter – »und nehme mir zum Lohne diese Blume, die von Ihren göttlichen Fingern gepflückt ist.« Und er nahm die vor Gemmas Teller liegende Rose. Sie war erstaunt, erschrocken und schrecklich bleich . . . dann empört, sie wurde ganz roth bis zu den Haaren, und ihre Augen, gerade auf ihren Beleidiger gerichtet, zu gleicher Zeit sich verdunkelnd und ganz flammend, nahmen einen finsteren Ausdruck an und sprühten im Feuer des unbezähmbaren Zornes. Dieser Blick machte den Officier sichtbar verlegen; er brachte etwas Unverständliches hervor, verbeugte sich – und kehrte zu den Anderen zurück.

Herr Klüber erhob sich plötzlich von seinem Stuhle, reckte sich, so weit es ging, in die Höhe, setzte seinen Hut auf und rief mit Würde, doch nicht allzu laut: »Unerhört! unerhörte Frechheit!« Er rief sofort den Kellner und verlangte mit strenger Stimme die Rechnung . . . doch damit begnügte er sich nicht: er ließ den Wagen anspannen, wobei er erklärte, daß anständige Leute hierher nicht kommen können, da sie Beleidigungen ausgesetzt seien. Bei diesen Worten lenkte Gemma, die immer regungslos auf ihrem Platze saß – nur ihre Brust wogte hoch und ungestüm – ihre Augen auf Herrn Klüber . . . und sah ihn ebenso scharf, mit demselben Blick, wie den Officier an. Emil zitterte förmlich vor Wuth.

»Stehen Sie auf, mein Fräulein,« sagte mit derselben Strenge Herr Klüber, »Sie können anstandshalber hier nicht bleiben. Wir wollen in die inneren Zimmer gehen!«

Gemma stand schweigend auf, er bot ihr seinen Arm an, den sie annahm, und er begab sich mit majestätischem Gange, welcher, ebenso wie seine ganze Haltung immer höher, immer stolzer wurde, je weiter er sich vom Platze, an dem das Mittagessen stattgefunden, entfernte. Der arme Emil schleppte sich ihnen nach. Während Klüber die Rechnung an den Kellner bezahlte, dem er zur Strafe keinen einzigen Kreuzer Trinkgeld gab, eilte Sanin mit schnellen Schritten dem Tische der Officiere zu, wandte sich an den Beleidiger Gemmas (dieser gab seinen Kameraden die von ihm mitgebrachte Rose zu riechen) und sagte mit bestimmtem Tone auf französisch: »Das, was Sie» geehrter Herr, eben gethan haben, ist unwürdig eines Ehrenmannes, unwürdig der Uniform, die Sie tragen und ich komme Ihnen zu erklären, daß Sie ein schlecht erzogener, frecher Bursche sind!«

Der junge Officier sprang auf, doch ein anderer älterer Officier hielt ihn durch eine Handbewegung zurück, ließ ihn niedersetzen und fragte, zu Sanin gewandt, ebenfalls französisch, »ob er ein Verwandter, Bruder oder Bräutigam der Dame sei?«

»Ich bin ihr ganz fremd,« rief Sanin, »ich bin ein Russe und kann nicht gleichgültig eine solche Frechheit ansehen; übrigens hier ist meine Karte und Adresse: der Herr Officier wird mich aufsuchen können.

Mit diesen Worten legte Sanin seine Visitkarte auf dem Tisch und ergriff rasch Gemmas Rose, die einer der am Tische sitzenden Officiere in feinen Teller hatte fallen lassen. Der junge Officier wollte wieder aufspringen, sein Kamerad hielt ihn wieder mit den Worten: »Dönhof, sei still,« zurück. Dann erhob er sich, führte die Hand zu seiner Mütze, und sagte Sanin nicht ohne Anflug von Achtung in Stimme und Manieren, daß morgen früh ein Officier ihres Regimentes die Ehre haben werde, ihn aufzusuchen. Sanin erwiederte mit kurzem Gruße und kehrte zu seinen Freunden zurück.

*                   *
*

Herr Klüber stellte sich, als hätte er weder die Abwesenheit Sanins, noch dessen Auseinandersetzung mit dem Officier bemerkt; er trieb den Kutscher, der die Pferde anspannte, zur Eile und war sehr aufgebracht über seine Langsamkeit. Gemma sagte ebenfalls kein Wort zu Sanin, blickte ihn nicht einmal an: aus ihren zusammengezogenen Augenbrauen, aus ihren – blassen und zusammengepreßten Lippen, aus ihrer Bewegungslosigkeit selbst konnte man leicht errathen, wie ihr zu Muthe war. Emil allein suchte sichtlich Sanin zu sprechen, ihn auszufragen: er hatte gesehen, wie Sanin zu den Officieren herangegangen, wie er ihnen etwas Weißes – ein Stück Papier, Zettel oder Karte gereicht. . . Das Herz des armen Jünglings pochte stark, seine Wangen glühten, er hätte sich auf Sanins Brust werfen, hätte weinen mögen, und wäre bereit gewesen, sofort zusammen mit ihm alle diese widrigen Officiere blau zu schlagen! Doch hielt er sich zurück und begnügte sich, jede Bewegung seines edlen russischen Freundes zu beobachten.

Endlich waren die Pferde angespannt: Alle setzten sich in den Wagen. Emil folgte Tartaglia auf den Bock – dort war es ihm bequemer, auch sah er da Klüber nicht, den er nicht gleichgültig ansehen konnte.

*                   *
*

Während des ganzen Weges überließ sich Herr Klüber seiner Beredtsamkeit – und zwar er allein; Niemand, durchaus Niemand entgegnete ihm; auch war Niemand seiner Meinung. Er bestand namentlich darauf, daß man ihm leider nicht gehorcht habe, als er vorgeschlagen, im abgeschlossenen Gartenhäuschen zu speisen. Du wären keine Unannehmlichkeiten entstanden! dann ließ er einige scharfe und selbst liberale Aeußerungen fallen, daß die Regierung auf unverzeihliche Weise die Officiere bevorzuge, nicht streng genug die Disciplin unter denselben überwache und nicht genug das bürgerliche Element der Societät achte – und wie dadurch mit der Zeit Unzufriedenheit erzeugt werde, von welcher bis zur Revolution nur ein Schritt sei, wovon wir ein trauriges Beispiel (hier seufzte er mit Theilnahme, aber zugleich mit Strenge) in Frankreich haben! Doch fügte er sofort hinzu, daß er persönlich der Autorität volle Ehrfurcht zolle und niemals . . . niemals . . . Revolutionär werden würde, doch könne er nicht umhin, angesichts einer solchen Zerfahrenheit seine . . . Mißbilligung zu äußern! Dann fügte er noch einige allgemeine Betrachtungen über Moral und Sittenlosigkeit, über Anstand und über Ehrgefühl hinzu! Während dieses ganzen Redeflusses fing Gemma, die seit Beginn des Spazierganges mit Herrn Klüber nicht allzu zufrieden zu sein schien – darum hielt sie sich auch in beständiger Entfernung von Sanin und war durch seine Gegenwart wie verlegen – offenbar sich ihres Bräutigams zu schämen an! Am Ende der Fahrt litt sie sichtbar, und obgleich sie wie früher Sanin nicht ansprach, warf sie ihm plötzlich einen flehenden Blick zu. . . Seinerseits fühlte er vielmehr Mitleiden für Gemma, als Unwillen gegen Klüber; Alles am Tage Vorgefallene verschaffte ihm sogar innerlich ein unbestimmtes Gefühl der Freude, obgleich er morgen eine Herausforderung zu erwarten hatte.

Endlich hatte die peinliche Lustpartie ihr Ende erreicht. Gemma beim Heraussteigen aus dem Wagen helfend, drückte ihr Sanin, ohne ein Wort zu sagen, die von ihm zurückgenommene Rose in die Hand. Sie erröthete, drückte fest seine Hand und verbarg die Blume. Er wollte nicht zu Frau Roselli eintreten, obgleich der Abend erst anfing; sie lud ihn nicht ein. Ueberdies erklärte der an der Thür erscheinende Pantaleone, daß Frau Lenora bereits schlafe. Emilio verabschiedete sich verlegen von Sanin; er schien selbst vor ihm Angst zu haben: so sehr bewunderte er ihn. Herr Klüber brachte Sanin nach dem Gasthause und empfahl sich in seiner gezwungenen Weise. Dem so regelrecht eingerichteten Deutschen war es trotz seines ganzen Selbstbewußtseins etwas unbequem zu Muthe. Doch auch den Anderen ging es nicht besser.

Bei Sanin zerstreute sich jedoch das Gefühl der Beengung rasch. Eine unbestimmte, jedoch angenehme, entzückte Stimmung folgte der früheren Beengung. Er ging im Zimmer herum, wollte an gar nichts denken, pfiff und war sehr mit sich zufrieden.

XVII

Ich will den Herrn Officier bis 10 Uhr erwarten, dachte er am anderen Morgen an seiner Toilette sitzend, und dann mag er mich suchen! Doch die Deutschen stehen früh auf: Zehn Uhr hatte noch nicht geschlagen, als bereits der Kellner Sanin meldete, daß der Herr Seconde-Lieutenant von Richter ihn zu sprechen wünsche. Sanin zog sich rasch den Rock an und ließ den Herrn »bitten.« Herr von Richter war gegen die Erwartung Sanins ein sehr junger Mann, beinahe ein Knabe. Er bemühte sich, seinem bartlosem Gesicht ein wichtiges Aussehen zu verleihen – doch es wollte ihm gar nicht gelingen: er konnte nicht einmal seine Verlegenheit verbergen. – Sich niedersetzend verwickelte er sich in dem Säbelriemen und wäre beinahe gefallen. Stockend und stotternd erklärte er Sanin in schlechtem französisch, daß er im Auftrage seines Freundes, des Barons von Dönhof, gekommen sei und dieser Auftrag bestehe darin, den Herrn von Sanin zu ersuchen, sich wegen der gestern von ihm gebrauchten beleidigenden Ausdrücke zu entschuldigen, im Falle aber, daß Herr von Sanin dies ablehne, verlange Baron von Dönhof Satisfaction. Sanin antwortete, daß er sich zu entschuldigen nicht die Absicht habe. Satisfaktion aber zu geben bereit sei. Dann fragte Herr von Richter, mit wem, zu welcher Stunde er die nöthigen Besprechungen führen solle? Sanin bat ihn, in etwa zwei Stunden zurückzukommen denn bis dahin werde er sich bemühen, seinerseits einen Secundanten zu finden. (»Wen nehme ich zum Teufel zum Secundanten?« dachte er sich dabei.) Herr von Richter stand auf und wollte sich verabschieden, doch blieb er an der Thürschwelle stehen, als ob er Gewissensbisse fühle und erklärte, zu Sanin gewandt, daß sein Freund, Baron von Dönhof, sich seinerseits nicht verheimliche, daß auch er gewissermaßen am gestrigen Vorfalle Schuld habe, und sich daher mit leichten Entschuldigungen, den exghizes léchéres, begnügen werde. Darauf erwiederte Sanin, daß er keine Entschuldigungen, weder schwere noch leichte, abzugeben geneigt sei, da er sich durchaus nicht für schuldig halte. »In diesem Falle,« entgegnete Herr von Richter und wurde noch mehr roth, »wird man freundliche Schüsse, des goups de bisdolet á l’amiaple, wechseln müssen.«

»Das verstehe ich schon gar nicht,« bemerkte Sanin, »sollen wir etwa in die Luft schießen?«

»O! nicht so, nicht das,« lallte der gänzlich confus gewordene Seconde-Lieutenant, »doch ich vermuthete, daß, da die Sache unter anständigen Leuten ausgetragen werden soll . . . Ich werde mit ihrem Secundanten sprechen,« unterbrach er sich selbst und entfernte sich.

Sobald er weggegangen, ließ sich Sanin auf einen Stuhl nieder, und heftete seinen Blick auf die Diele.

»Was soll das? Welch plötzlicher Umschwung in seinem Leben? Alles Vergangene, alles Zukünftige hatte sich verschleiert, ist verschwunden – es bleibt nur, daß ich in Frankfurt bin und mich mit Jemand für etwas schieße.« Eine alte, verrückte Tante kam ihm in den Sinn, die stets herumtanzte und sinnlos vor sich hinsang – und auch er fing wie sie zu tanzen und zu singen an – »Doch man muß handeln und nicht die Zeit verlieren!« rief er laut, sprang auf und sah vor sich Pantaleone mit einem Zettel in der Hand stehen.

»Ich habe bereits ein paar Mal geklopft, doch Sie antworteten nicht! ich glaubte bereits, Sie seien nicht zu Hause.« sagte der Alte und reichte ihm den Zettel. – »Von Signora Gemma.«

Sanin nahm den Zettel mechanisch, entsiegelte und las ihn. Gemma schrieb ihm, daß sie um die Angelegenheit, die er kenne, sehr besorgt sei, und ihn sofort sehen möchte.

»La Signorina ist sehr beunruhigt,« fing Pantaleone an, dem augenscheinlich der Inhalt bekannt war, »sie befahl mir nachzusehen, was Sie machen und Sie zu ihr zu führen.«

Sanin blickte den alten Italiener an und wurde nachdenkend. Ein Gedanke ging ihm plötzlich auf. Anfangs erschien er ihm bis zur Unmöglichkeit sonderbar . . .

»Uebrigens warum denn nicht?« fragte er sich selbst. – »Herr Pantaleone! rief er laut.«

Der Alte schüttelte sich, verbarg sein Kinn in das Halstuch und glotzte Sanin an.

»Sie wissen,« fuhr Sanin fort »was gestern vorgefallen ist?«

Pantaleone kaute an seinen Lippen und schüttelte seine ungeheuere Haarmasse. »Ich weiß es.«

(Emilio hatte, kaum zurückgekehrt, ihm Alles erzählt.)

»So, Sie wissen es! – Nun hören Sie Folgendes: Mich hat soeben ein Officier verlassen; jener freche Bursche hat mich gefordert. Ich habe seine Forderung angenommen. Doch habe ich keinen Secundanten. Wollen Sie nicht mein Secundant sein.«

Pantaleone erzitterte und hob seine Augenbrauen so hoch, daß dieselben gänzlich unter den herabhängenden Haaren verschwanden.

»Sie müssen sich durchaus schlagen?« fragte er endlich italienisch. (Bis dahin hatte er französisch gesprochen.)

»Durchaus. Anders handeln – hieße sich für immer mit Schande bedecken.«

»So. – Wenn ich ihr Secundant zu sein abschlage, so würden Sie sich einen anderen suchen?«

»Allerdings . . . «

Pantaleone wurde nachdenkend. – »Doch erlauben Sie mir zu fragen, Signor de Zanini, ob nicht ihr Duell ein schlechtes Licht auf die Reputation einer Person werfen werde? . . .

»Ich glaube nicht; doch dem sei, wie es wolle – anders handeln kann man nicht!«

»So?« – Pantaleone zog sich ganz in sein Halstuch zurück. »Und dieser farroflucto Kluberio, was macht er denn?« rief er plötzlich und warf sein Gesicht nach oben.

»Er? Nichts.«

»Che!« Pantaleone zuckte mit einer Geberde der Verachtung die Achseln.

»Ich muß in jedem Falle,« sagte er mit unsicherer Stimme, »Ihnen dafür danken, daß Sie trotz meiner gegenwärtigen Erniedrigung in mir einen anständigen Menschen, un galant uomo zu finden glaubten. Durch eine solche Handlungsweise haben Sie sich selbst als echter galant uomo gezeigt. Doch ich Muß mir Ihr Anerbieten überlegen.«

»Die Zeit drängt, geehrter Ci . . . Cippa . . . «

». . . tolla,« ergänzte der Alte. »Ich bitte mir bloß eine Stunde zum Nachdenken aus. Die Tochter meiner Wohlthäter ist hierbei verwickelt. Und darum muß ich, bin ich verpflichtet zu überlegen! In einer Stunde . . . in drei Viertelstunden werden Sie meinen Entschluß kennen lernen.«

»Gut, ich will warten.«

»Doch jetzt . . . welche Antwort soll ich der Signorina Gemma bringen?« Sanin nahm ein Stück Papier» schrieb darauf: »Seien Sie unbesorgt, meine theure Freundin, etwa in drei Stunden komme ich zu Ihnen – und Alles wird sich erklären. Danke Ihnen vom ganzen Herzen für Ihre Theilnahme,« und übergab diese Zeilen Pantaleone.

Er steckte sie bereits in die Seitentasche, rief noch einmal »in einer Stunde« und ging bereits zur Thüre; doch da wandte er sich jählings um, lief zu Sanin, ergriff dessen Hand, drückte sie an seine Brust, richtete die Augen zum Himmel und rief:

»Edler Jüngling, großes Herz! (Nobi giovanotto! Gran cuore! erlauben Sie einem Greise, a un vecchiotto, Ihre männliche Rechte, la vostra valorosa destra, zu drücken!« Dann sprang er ein wenig zurück, bewegte beide Hände und entfernte sich.

Sanin blickte ihm nach . . . er nahm eine Zeitung und fing zu lesen an. Doch umsonst irrten seine Augen über die Zeilen: er konnte nichts verstehen.

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10 aralık 2019
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