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Kitabı oku: «Frühlingsfluthen», sayfa 3

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X

Gemma war wirklich froh über Sanins Kommen, und Frau Lenora begrüßte ihn sehr freundlich: man sah, daß er den Tag vorher den besten Eindruck auf beide Damen gemacht hatte. Emil lief weg, um das Frühstück anzuordnen und flüsterte zuvor Sanin ins Ohr: »Vergessen Sie es nicht!«

»Ich vergesse es nicht,« antwortete Sanin.

Frau Lenora war nicht ganz wohl: sie litt an Migraine – und bemühte sich, halb liegend im Sessel bewegungslos zu bleiben. Gemma hatte einen weiten, gelben Hausrock an, der mit schwarzem, ledernem Gurte zusammengehalten war; sie schien ebenfalls müde zu sein und war ein wenig blaß; dunkle Ringe beschatteten ihre Augen, doch der Glanz derselben wurde dadurch nicht vermindert, die Blässe aber verlieh den streng classischen Zügen ihres Gesichtes etwas Geheimnißvolles und Anmuthiges. Sanin bewunderte am Tage namentlich die zierliche Schönheit ihrer Hände; wenn sie ihre dunklen, glänzenden Locken ordnete und sie in die Höhe faßte, da konnte sein Blick sich nicht von ihren geschmeidigen, langen Fingern trennen, die sich daraus wie bei der Rafaelschen Fornarina abhoben.

Draußen war es sehr heiß, nach dem Frühstück versuchte Sanin, sich zu entfernen, doch man bemerkte ihm, daß an einem solchen Tage es am allerbesten sei, sich nicht vom Platze zu rühren – und er war damit einverstanden. In dem hinteren Zimmer, in dem er mit seinen Wirthinnen saß, herrschte Kühle; die Fenster desselben gingen in einen kleinen, ganz mit Akazien bewachsenen Garten hinaus. Eine Menge Bienen, Wespen, Hummeln summten zusammen und hungrig in den dichten, mit goldenen Blüthen übergossenen Aesten derselben, durch die halb geöffneten Fensterläden und durch die heruntergelassenen Vorhänge summte es ohne Aufhören in das Zimmer hinein: Alles zeugte von der Schwüle, die draußen herrschte – und um so süßer wurde die Kühle dieser geschützten und behaglichen Häuslichkeit.

Sanin sprach wie gestern viel, doch nicht über Rußland und russisches Leben. In der Absicht, seinem jungen Freunde, der sofort nach dem Frühstück zu Herrn Klüber – sich in der Buchhaltung zu üben – geschickt worden, zu dienen, lenkte er das Gespräch auf die gegenseitigen Licht- und Schattenseite der Kunst und des Handelsstandes. Er wunderte sich nicht, daß Frau Lenora für den Handel Partei ergriff – das hatte er erwartet, doch auch Gemma war ihrer Meinung.

»Wenn Du Künstler bist – und namentlich Sänger,« behauptete sie, energisch die Hand von oben nach unten führend, »so mußt Du durchaus den ersten Platz einnehmen. Der zweite taugt schon Nichts, und wer weiß, ob du den ersten Platz erlangen kannst?«

Pantaleone, der am Gespräche theilnahm (als langjährigem Diener und älterem Manne war ihm sogar gestattet, in Gegenwart der Herrschaft zu sitzen; die Italiener sind überhaupt nicht streng hinsichtlich der Etiquette), Pantaleone freilich war entschieden für die Kunst. Man muß gestehen, daß seine Gründe ziemlich schwach waren: er sprach beständig davon, daß man un certo estro d‘inspirazione, einen gewissen poetischen Hauch der Begeisterung besitzen müsse! Frau Lenora bemerkte ihm, daß auch er wahrscheinlich diesen estro besessen habe – und trotzdem . . . »Ich hatte Feinde!i« entgegnete finster Pantaleone. – »Woher weißt Du, (bekanntlich duzen sich die Italiener leicht), daß Emil keine Feinde haben wird, wenn sich auch in ihm dieser estro offenbart?« – »Nun, dann machen Sie aus ihm einen Händler,« rief Pantaleone mit Aerger, »doch Giovanni Battista hätte anders gehandelt, obgleich er ein Conditor war!« – »Giovanni Battista, mein Mann, war ein vernünftiger Mann, und wenn er sich in seiner Jugend hinreißen ließ. . . « Doch der Alte wollte Nichts mehr hören und entfernte sich, nachdem er vorwurfsvoll noch ein Mal »Giovan’ Battista!« gerufen . . .

Gemma rief, daß, wenn Emil genug Vaterlandsliebe fühle und alle seine Kräfte der Befreiung von Italien widmen wolle – man allerdings für eine so hohe und heilige Sache die gesicherte Zukunft opfern könne – aber nicht für das Theater! Hier wurde Frau Lenora aufgeregt und bat ihre Tochter inständig, doch den Bruder nicht vom rechten Wege abzubringen und sich zu begnügen, daß sie selbst eine so schreckliche Republikanerin sei! Nach diesen Worten stöhnte Frau Lenora und beklagte sich über ihren Kopf, der dem Platzen nahe sei (Frau Lenora sprach aus Achtung für den Gast französisch).

Gemma schickte sich sofort an, sich mit ihrer Pflege zu beschäftigen: sie hauchte sanft auf ihre Stirne, nachdem sie dieselbe vorher mit Eau da Cologne gefeuchtet hatte, sie küßte sachte ihre Wangen, schob ein Kissen unter ihren Kopf, verbot ihr zu sprechen – und küßte sie wieder. Dann erzählte sie, zu Sanin gewandt, halb scherzend, halb gerührt, was für eine ausgezeichnete Mutter sie habe und welche Schönheit sie gewesen. »Was sage ich: gewesen? sie ist noch jetzt – entzückend! Sehen Sie, sehen Sie bloß, was sie für Augen hat!«

Gemma zog rasch ein weißes Taschentuch hervor und bedeckte das Gesicht der Mutter – und langsam es von oben nach unten ziehend – deckte sie allmählig die Stirn, die Augenlider und die Augen der Frau Lenora auf; wartete ein wenig und bat sie, dieselben zu öffnen. Diese gehorchte, Gemma schrie vor Entzücken auf (die Augen der Frau Lenora waren wirklich schön) und, schnell das Taschentuch über die untere, weniger regelmäßige Hälfte des Gesichtes ziehend, küßte sie die Mutter wieder. Frau Lenora lachte, wandte sich etwas ab und suchte mit erkünstelter Anstrengung die Tochter zurückzudrängen. Diese stellte sich ebenfalls, als ob sie mit der Mutter ringe und schmiegte sich an dieselbe – doch nicht nach Katzenart, nicht auf französische Manier, aber mit jener italienischen Grazie, bei der man stets die Gegenwart der Kraft fühlt.

Endlich erklärte Frau Lenora, daß sie müde sei . . . Gemma rieth ihr, ein wenig zu schlafen, hier im Sessel; »wir aber mit dem Herrn Russen – avac le monsieur Russe – werden ganz, ganz stille sein . . . wie kleine Mäuse – comme les petites souris« Frau Lenora lächelte statt aller Antwort ihr zu, schloß die Augen, seufzte ein wenig und schlummerte ein. Gemma ließ sich behende neben ihr auf eine Bank nieder und regte sich nicht mehr; nur führte sie zuweilen den Finger der einen Hand – mit der anderen stützte sie das Kissen unter dem Kopfe der Mutter – zu den Lippen und lispelte leise, Sanin von der Seite anblickend, wenn dieser sich die leiseste Bewegung gestattete. Zuletzt saß derselbe ebenfalls unbeweglich, wie leblos, wie verzaubert da, mit allen Kräften seiner Seele das Bild in sich aufnehmend, welches ihm gegenübertrat, sowohl in diesem halbdunklen Zimmer, wo hier und da wie lichte Punkte die frischen, üppigen – Rosen in altmodischem grünen Gläsern in Purpur schillerten, als auch in der eingeschlafenen Frau mit den bescheiden hingelegten Armen und dem guten, ermüdeten Gesichte, welches das blendende Weiß des Kissens umfaßte – und in diesem jungen, wachsamen und ebenfalls guten, klugen, reinen und unaussprechlich schönen Wesen mit so schwarzem tiefen, mit Schatten übergossenen und doch so glänzenden Augen . . .

»Was ist das? Traum? Märchen? Und wie kommt er hierher?

XI

An der Thüre nach der Straße ließ sich die Klingel hören. Ein junger Bauernbursche mit Pelzmütze und rother Weste trat in die Conditorei. Vom frühen Morgen an hatte sich noch kein Käufer blicken lassen . . .

»Solche Geschäfte machen wir!« hatte beim Frühstück Frau Lenora mit einem Seufzer zu Sanin gesagt. Sie schlief weiter. Gemma hatte Angst, die Hand hinter dem Kissen vorzuziehen und flüsterte zu Sanin:

»Gehen Sie, verkaufen Sie statt meiner!« Sanin begab sich sofort auf den Zehen in den Laden.

Der Bursche wollte ein Viertel Pfund Pfeffermünzkuchen haben.

»Was habe ich von ihm zu bekommen?« fragte Sanin durch die Thüre Gemma zuflüsternd.

»Sechs Kreuzer,« antwortete sie ihm ebenfalls leise. Sanin wog ein Viertel Pfund ab, suchte Papier, machte daraus eine Düte, wollte die Kuchen hineinschütten, schüttete sie vorbei, bei wiederholtem Versuche schüttete er sie wiederum vorbei, gab sie endlich hin und bekam das Geld.

Der Bursche, der seine Mütze auf dem Bauch zusammendrückte, sah ihn verwundert an und im Nebenzimmer wollte Gemma, den Mund fest geschlossen haltend, sich fast zu Tode lachen. Kaum hatte sich dieser Käufer entfernt, da kam der zweite, dann der dritte . . .

»Ich habe wohl eine glückliche Hand!« dachte Sanin. Der zweite verlangte Orgeade, der dritte ein halbes Pfund Confect. Sanin befriedigte sie, eifrig mit den Löffeln klimpernd, die Untertassen herumschiebend und die Finger kühn in Kasten und Büchsen steckend. Bei der Berechnung stellte sich heraus, daß er die Orgeade zu billig gelassen, für das Confect zwei Kreuzer zu viel bekommen hatte. Gemma hörte nicht auf, still zu lachen und Sanin selbst fühlte eine unbeschreibliche Lustigkeit, eine besonders glückliche Gemüthsstimmung. Eine Ewigkeit wäre er hinter dem Ladentisch gestanden, hätte mit Orgeade und Confect gehandelt, während das liebe Wesen mit den freundlich-schelmischen Augen ihn durch die Thüre anblickt, die Sonne durch die mächtige Blätterschicht der vor dem Fenster auf der Straße wachsenden Castanien dringend, das ganze Zimmer mit dem grünlichen Golde der Mittagsstrahlen füllt und das Herz in der süßen Lust der Trägheit, der Sorglosigkeit und der Jugend, der urwüchsigen Jugend, schwelgt!

Der vierte Gast verlangte eine Tasse Caffee.

Man mußte sich an Pantaleone wenden (Emil war vom Herrn Klüber noch nicht zurückgekehrt), Sanin setzte sich wieder neben Gemma. Frau Lenora schlummerte immer fort, zur großen Freude ihrer Tochter.

»Bei der Mutter vergeht während des Schlafens die Migraine,« bemerkte sie. Sanin sprach flüsternd über sein »Geschäft«, erkundigte sich in allem Ernst nach den Preisen verschiedener Conditorwaaren; Gemma theilte ihm ebenso ernst diese Preise mit und unterdessen lachten Beide innerlich, als ob sie fühlten, daß sie die lustigste Komödie spielten. Plötzlich ließ auf der Straße ein Leierkasten die Arie aus dem Freischütz: »Durch die Felder, durch die Auen . . . « hören. Die weinerlichen Klagetöne des Instrumentes erklangen zitternd und pfeifend in der regungslosen Luft.

Gemma fuhr auf . . . »Er weckt die Mutter!« Sanin lief sofort auf die Straße, gab dem Leiermann einige Kreuzer, hieß ihn schweigen und sich entfernen. Als er zurückgekehrt war, dankte ihm Gemma mit leichtem Kopfnicken und, nachdenklich lächelnd, fing sie selbst, kaum hörbar, die hübsche Melodie von Weber, in welcher Max alle Bedenken der ersten Liebe ausdrückt, zu singen an. Dann fragte sie Sanin, ob er den Freischütz kenne, ob er Weber liebe und fügte hinzu, daß, obgleich sie selbst Italienerin sei, sie solche Musik über Alles liebe. Von Weber kam das Gespräch auf Poesie und Romantik, auf Hoffmann, welcher zu jener Zeit von Allen gelesen wurde . . .

Und Frau Lenora schlummerte immer zu, ja schnarchte selbst ein wenig, und die Strahlen der Sonne, in schmalen Streifen durch die Laden dringend, bewegten sich und wanderten zwar unmerklich, doch rastlos auf der Diele, über die Möbel, über das Gewand Gemmas, über die Blätter der Blumen.

XII

Es zeigte sich, daß Hoffmann in nicht allzu großem Ansehen bei Gemma stand, daß sie ihn sogar. . . langweilig fand! Das phantastisch dunkle, nordische Element seiner Erzählungen war nur wenig ihrer lichten, südlichen Natur zugänglich. »Das sind lauter Märchen, das Alles ist für Kinder geschrieben!« äußerte sie nicht ohne Geringschätzung. Der Mangel an Poesie bei Hoffmann wurde von ihr ebenfalls dunkel empfunden. Doch eine Erzählung, deren Namen sie übrigens vergessen, gefiel ihr außerordentlich; eigentlich gefiel ihr aber bloß der Anfang dieser Erzählung; ihr Ende hatte sie entweder nicht gelesen, oder ebenfalls vergessen. Es handelte sich um einen jungen Mann, der irgendwo, ich glaube in einer Conditorei, einem Mädchen von erstaunlicher Schönheit, einer Griechin, begegnet; diese wird vom einem geheimnißvollem sonderbaren, und bösartigen Greise begleitet. Der junge Mann verliebt sich vom ersten Blicke in das Mädchen; sie sieht ihn so trostlos an, als ob sie ihn anflehte, sie zu befreien . . . Er entfernt sich für einen Augenblick – in die Conditorei zurückgekehrt, findet er weder das Mädchen noch den Greis; leidenschaftlich forscht er nach den Beiden, er findet beständig ganz frische Spuren von ihnen, eilt ihnen nach – und vermag auf keine Weise, nirgends, nie sie einzuholen. – Die Schöne entschwindet ihm für alle Ewigkeit – und nicht im Stande ist er, ihren flehenden Blick zu vergessen, und es plagt ihn der Gedanke, daß vielleicht sein ganzes Glück seinen Händen entschlüpft ist. . .

Schwerlich hat Hoffmann seine Erzählung in dieser Weise beendet, doch so hatte sie sich bei Gemma gestaltet, war so in ihrer Erinnerung geblieben.

»Es scheint mir,« sagte sie, »daß solches Begegnen und Trennen häufiger in der Welt vorkomme, als wir denken.« Sanin schwieg und sprach einen Augenblick nachher. . . über Herrn Klüber. Es war das erste Mal, daß er desselben erwähnte; bis zu diesem Augenblicke hatte er sich seiner nicht einmal erinnert.

Gemma ihrerseits schwieg, wurde nachdenkend und ein wenig auf den Nagel ihres Zeigefingers beißend, wandte sie die Augen nach der Seite. Dann lobte sie ihren Bräutigam, erwähnte der von ihm auf Morgen vorbereiteten Landpartie und, nach einem raschen Blick auf Sanin, schwieg sie wieder.

Sanin wußte nicht, worüber er sprechen solle.

Emil kam geräuschvoll hereingelaufen und weckte Frau Lenora . . . Sanin war froh, daß er gekommen. Frau Lenora stand vom Sessel auf. Es erschien Pantaleone und eröffnete, daß das Mittagessen fertig sei. Der Hausfreund, der Exsänger und Diener, verwaltete ebenfalls das Amt des Koches.

XIII

Sanin blieb auch nach dem Mittagmahle. Wieder unter dem Vorwand der großen Hitze – ließ man ihn nicht fort, und als diese vergangen, schlug man ihm vor, nach dem Garten zu gehen, um im Schatten der Akazien Caffee zu trinken. Sanin willigte ein. Er fühlte sich sehr wohl. In der einförmigen und ruhigen Strömung des Lebens sind große Reize enthalten – und er überließ sich ihnen mit Entzücken, nichts Besonderes vom heutigen Tage verlangend, aber auch nicht über den künftigen nachdenkend und des gestrigen sich nicht erinnernd. Welchen Werth hatte schon die bloße Nähe eines Mädchens wie Gemma? Er wird sie bald verlassen, und wahrscheinlich für immer; doch so lange derselbe Kahn, wie in der Romanze von Uhland, sie Beide auf den bemeisterten Lebensfluthen dahin führt – freue Dich, genieße, Wanderer! Und Alles erschien dem glücklichen Wanderer angenehm und lieb.

Frau Lenora schlug ihm vor, sich mit ihr und Pantaleone in »tresette« zu messen, sie lehrte ihn dieses einfache italienische Kartenspiel – gewann von ihm einige Kreuzer – und er war zufrieden; Pantaleone ließ auf die Bitte von Emilio den Pudel alle seine Kunststücke durchmachen – und Tartaglia sprang über den Stock, »sprach«, d. h. bellte, nieste, machte die Thüre mit der Nase zu, brachte einen ausgetragenen Pantoffel seines Herrn – und stellte endlich, mit alter Soldatenmütze auf dem Kopf, den Marschall Bernadotte dar, welcher für seinen Verrath die bittersten Vorwürfe vom Kaiser Napoleon I. hören muß. Napeleon stellte natürlich Pantaleone vor – und gab ihn äußerst gelungen: er kreuzte die Arme über die Brust, setzte sich den dreieckigen Hut tief bis zu den Augen auf – und sprach grob und anmaßend, französisch, doch Himmel! welches Französisch! Tartaglia saß vor seinem Herrscher ganz zusammengekauert, mit eingeklemmtem Schwanz, verlegen blinzelnd und die Augen, unter dem Schirm der schief ausgesetzten Soldatenmütze, zusammendrückend; von Zeit zur Zeit, wenn Napoleon die Stimme erhob, stellte sich Bernadotte auf die Hinterpfoten. »Fuori, traditore!« schrie endlich Napoleon in seinem scenischen Eifer vergessend, daß er bis zu Ende seinem französischen Charakter treu zu bleiben habe – und Bernadotte lief kopfüber unter den Divan, doch sprang er sofort mit freudigem Bellen hervor, auf diese Weise gewissermaßen bekannt gebend, daß die Vorstellung zu Ende sei. Alle Zuschauer lachten sehr viel – doch Sanin am meisten.

Gemma war ein allerliebstes, nettes, unausgesetztes, doch stilles, mit kleinen drolligen Aufschreien untermischtes Lachen eigen . . . Sanin wurde es so wohlig von diesem Lachen ums Herz – todtgeküßt hätte er sie für dieses Aufschreien!

Endlich kam die Nacht. Man mußte vernünftig sein! Nachdem er mehrere Mal sich von Allen verabschiedet und Jedem wiederholt »auf morgens« gerufen hatte (mit Emil wechselte er selbst Küsse) ging Sanin nach Hause und trug das Bild des Jungen, bald lachenden, bald nachdenkenden, ruhigen und selbst kaltblütigen – und doch stets so anziehenden Mädchens mit sich fort! Ihre Augen bald weit geöffnet, hell und freudig wie der Tag, bald von den Augenwimpern halb bedeckt, dunkel und tief wie die Nacht, schienen immer ihn anzublicken, sonderbar und süß alle anderen Gebilde und Vorstellungen durchdringend.

An Herrn Klüber, an die Ursache, die ihn in Frankfurt zu bleiben bewogen – kurz an Alles, was ihn die Nacht vorher so beunruhigt hatte – dachte er kein einziges Mal.

XIV

Ein paar Worte sind endlich über Sanin selbst zu sagen.

Erstens war er gar nicht übel: stattlicher, schlanker Wuchs, angenehme, ein wenig verschwindende Gesichtszüge, freundlich bläuliche Augen, helles, goldenes Haar, weiße mit frischem Roth eingehauchte Gesichtsfarbe – und vor Allem jener gutmüthig lustige, vertrauende, aufrichtige, vom ersten Anblick selbst etwas beschränkt scheinende Gesichtsausdruck, an dem man sofort in früheren Zeiten die Söhne unserer adeligen »Steppen«– Familien, die Muttersöhnchen, in unseren grenzenlosen Steppengegenden geboren und aufgefüttert, erkennen konnte— ein schleppendes Gehen, leises etwas zischendes Sprechen, Lächeln wie beim Kinde, das man anblickt . . . endlich die Frische, die Gesundheit – und Weichheit, grenzenlose Weichheit des ganzen Wesens – da haben Sie Sanin. Ferner war er nicht dumm, und hatte auf seiner Reise ins Ausland etwas gelernt: die dunklen, stürmischen Gefühle, welchen der bessere Theil – damaliger Jugend ausgesetzt war, waren ihm fern geblieben.

In den letzten Jahren hat man in unserer Literatur nach langem, vergeblichem Suchen nach »neuen Leuten« Jünglinge vorzuführen angefangen, die sich entschlossen haben, frisch zu erscheinen, frisch – wie Flensburger Austern, die im Winter nach Petersburg gebracht werden. . . Sanin glich ihnen nicht. Da wir einmal auf Vergleiche gekommen sind, so erinnerte Sanin an einen jungen, vollen, unlängst angepfroften Apfelbaum unserer humusreichen Gärten, oder noch mehr an ein gut gepflegtes, glattes, dickfüßiges, zartes, dreijähriges Pferd unserer früheren herrschaftlichen Gestüte, das man eben an einem Strick zu laufen zwingt. Diejenigen, die Sanin später, als das Leben gehörig an ihm gerüttelt und das in den jungen Jahren angefütterte Fett verschwunden war, kennen lernten, erblickten in ihm freilich einen ganz anderen Menschen .

Am nächsten Tage lag Sanin noch im Bett, als Emil in Sonntagskleidern, mit einem Stückchen in der Hand und stark pomadirt, in sein Zimmer hinein- stürmte und erklärte, daß Herr Klüber sofort mit dem Wagen erscheinen werde, daß das Wetter ausgezeichnet zu bleiben verspreche, daß bei ihnen bereits Alles fertig sei, die Mutter jedoch, die wieder an Kopfschmerzen leide, nicht mitfahren werde. Er trieb Sanin, soweit schicklich, zur Eile, indem er versicherte, man habe keinen Augenblick zu verlieren . . . Und wirklich: Herr Klüber fand Sanin noch mit seiner Toilette beschäftigt. Er klopfte, kam herein, grüßte, verbeugte den ganzen Körper, äußerte seine Bereitwilligkeit zu warten, so lange es beliebe und setzte sich, den Hut zierlich auf die Kniee stützend. Der wohlgestaltete Commis hatte sich bis aufs Aeußerste fein gemacht und parfumirt, jede seiner Bewegungen wurde von einem stets zunehmenden Zuströmen des feinsten Aromas begleitet. Er war in einem bequemen, offenen Wagen angekommen, einem sogenannten Landauer, der von zwei starken, großen, wenn auch nicht schönen Pferden gezogen wurde. In diesem Wagen fuhren nach einer Viertelstunde Sanin, Klüber, Emil feierlich bei der Thür der Conditorei vor. Frau Roselli weigerte sich entschieden, an der Landpartie Theil zu nehmen; Gemma wollte bei der Mutter bleiben, doch diese, jagte sie fort, wie man scherzhaft sagt.

»Ich brauche Niemand,« versicherte sie; »ich werde schlafen. Ich hätte selbst Pantaleone mit Euch geschickt – doch wer soll beim Geschäft bleiben?«

»Kann man Tartaglia mitnehmen?« fragte Emil.

»Freilich kann man es.«

Tartaglia kletterte mit freudigem Gebell auf den Bock, setzte sich und beleckte sich; man sah, daß das, was vorging, ihm nichts Ungewohntes war. Gemma setzte einen Strohhut mit braunen Bändern auf; der Vorderrand desselben war nach unten gebogen und – schützte beinahe ihr ganzes Gesicht vor der Sonne. Die Schattenlinie hörte gerade bei den Lippen auf; sie glänzten zart und jungfräulich in Purpurfarbe wie die Blätter der Centifolie, hinter ihnen blitzten die Zähne wie verstohlen hervor und zeigten sich harmlos wie im Munde der Kinder. Gemma nahm mit Sanin den Hauptsitz ein, Klüber und Emil saßen ihnen gegenüber. Die bleiche Gestalt der Frau Lenora zeigte sich am Fenster, Gemma winkte mit dem Taschentuch – und die Pferde setzten sich in Bewegung.