Kitabı oku: «Frühlingsfluthen», sayfa 5
XVIII
Nach einer Stunde kam der Kellner wieder zu Sanin und reichte ihm eine alte, beschmutzte Visitenkarte, auf der folgende Worte standen: »Pantaleone Cippatola aus Varese, Hofkammersänger (cantaute di camera) Sr. Königl. Hoheit des Herzogs von Modena;« hinter dem Kellner erschien auch Pantaleone selbst. Er hatte sich vom Kopfe bis zum Fuß umgezogen. Er hatte einen schwarzen Frack an, der braun geworden war und eine weiße Piquetweste; über die sich, künstlerisch geordnet, eine Tomback-Kette schlängelte; ein schweres Petschaft aus Carneol fiel auf die engen mit Hosenklappe versehenen, schwarzen Beinkleidern herunter.
In der rechten Hand hielt er einen schwarzen Hut von Haasenhaar, in der linken zwei dicke, sämischlederne Handschuhe; sein Halstuch war noch breiter, noch höher als sonst gebunden; im steifgestärkten Vorhemde steckte eine Nadel mit einem Steine, der »Katzenauge«, oeil de chat, genannt wird. Am Zeigefinger der rechten Hand prangte ein Siegelring, der zwei vereinigte Hände und zwischen denselben ein Herz darstellte. Nach einem Speicher von Campher und Moschus roch die ganze Persönlichkeit des Greises; die besorgte Feierlichkeit seiner ganzen Haltung hätte den gleichgültigsten Zuschauer in Staunen versetzt. Sanin ging ihm entgegen.
»Ich bin ihr Secundant,« sagte Pantaleone französisch und verneigte sich mit dem ganzen Körper nach vorn, wobei er die Fußspitzen, wie Sänger thun, nach außen stellte. »Ich komme um Instructionen. Sie wollen sich ohne Erbarmen schlagen?«
»Warum denn ohne Erbarmen, mein guter Herr Cippatola! Ich werde für keinen Preis in der Welt mein Wort von gestern zurücknehmen, doch ein Blutsauger bin ich nicht! . . . Warten Sie einen Augenblick, gleich kommt der Secundant meines Gegners. Ich werde in das Nebenzimmer gehen – und Sie werden mit ihm Alles feststellen. Glauben Sie mir, ich werde ihre Gefälligkeit mein Lebenlang nicht vergessen, und danke Ihnen vom ganzen Herzen.«
»Die Ehre geht Allem vor!« antwortete Pantaleone und ließ sich, ohne Sanins Einladung sich zu setzen abzuwarten, in einen Sessel nieder. »Wenn dieser ferroflucto Spiccebubbio,« fing er an, das Französische mit Italienischem durcheinander mengend, »wenn diese Krämerseele Kluberio seine erste Pflicht nicht begreifen konnte, oder Angst bekommen hat, desto schlimmer für ihn! . . . Pfennigseele – und damit Punktum! . . . Was aber die Bedingungen des Duells betrifft, so bin ich ihr Secundant und ihre Interessen sind mir heilig! . . . Als ich in Padua lebte, stand dort ein Regiment weißer Dragoner – ich verkehrte viel mit den Officieren desselben Ihr ganzer Codex ist mir gut bekannt. Auch mit Ihrem principe Tarbuski habe ich mich viel über diese Frage unterhalten . . . Wann kommt der andere Sekundant?«
»Ich erwarte ihn jeden Augenblick – doch da kommt er schon,« fügte Sanin hinzu, nach der Straße blickend.
Pantaleone stand auf, sah nach der Uhr, setzte sich seinen Hut zu Rechte und steckte schnell ein weißes Bändchen, das unter den Hosen hervorblickte, in die Schuhe. Der junge Seconde-Lientenant trat ein, ebenso roth und ebenso verlegen.
Sanin stellte die Secundanten einander vor: »Mr. de Richter, Souslieutenant – Mr. Zippatola, artiste!« Der Lieutenant zeigte einige Verwunderung beim Anblicke des Alten. . . Was hätte er gesagt, wenn ihm Jemand in diesem Augenblicke zugeflüstert hätte, daß der ihm vorgestellte »artiste!« sich auch mit der Kochkunst abgebe!. . . Doch Pantaleone nahm eine solche Miene an, als ob Duelle zu Stande bringen eine ihm ganz geläufige Beschäftigung sei: wahrscheinlich halfen ihm dabei seine theatralischen Erinnerungen – und er spielte die Rolle des Sekundanten eben als Rolle. Sowohl er, als der Lieutenant schwiegen einen Augenblick. »Wollen wir nicht anfangen?« fragte zuerst Pantaleone, an seinem Petschaft spielend.
»Allerdings,« antwortete der Lieutenant, »doch . . . die Gegenwart eines der Gegner . . .«
»Ich verlasse Sie sofort, meine Herren,« rief Sanin, verbeugte sich, ging in sein Schlafzimmer und schloß hinter sich die Thüre ab.
Er warf sich aufs Bett – und dachte an Gemma . . . doch das Gespräch der Secundanten drang zu ihm trotz der geschlossenen Thür. Es wurde französisch geführt; beide mißhandelten diese Sprache ohne Erbarmen, Jeder auf seine Art; Pantaleone erwähnte der Dragoner von Padua, des Princippe Tarbuski – der Lieutenant der »exghizes léchéres« und der »goups á- l‘ amiaple!« Der Alte wollte aber von keinen »exghizes« hören! Zu großem Schreck Sanins fing er plötzlich seinem Gesellschafter von einer gewissen jungen unschuldigen Jungfrau, deren kleiner Finger allein mehr Werth habe als alle Officiere der Welt, zu erzählen an . . . (oune zeune damigella innoucenta, quà ella sola dans soun peiti doa vale più que toutt le zoufficis del mondo!) und wiederholte einige Mal mit Feuer: »Das ist Schande, das ist Schande! (E ouna onta, onna onta!) Der Lieutenant erwiederte ihm anfangs nicht, doch nachher hörte man in der Stimme des jungen Mannes ein Zittern des Zornes und er bemerkte, daß er nicht gekommen sei, um moralische Sentenzen anzuhören.
»In Ihrem Alter ist es immerhin nützlich die Wahrheit zu hören!« rief Pantaleone.
Die Verhandlungen der Herren Sekundanten wurden mehreremale stürmisch; sie dauerten über eine Stunde und endigten mit der Festsetzung der folgenden Bedingungen: Baron von Dönhof und Herr von Sanin werden sich morgen um 10 Uhr des Morgens in einem kleinen Wäldchen bei Hanau in der Entfernung von zwanzig Schritt schießen; Jeder hat das Recht, zweimal auf das von dem Secundanten gegebene Zeichen zu schießen. Die Pistolen sind ohne Stecher und nicht gezogen. Herr von Richter entfernte sich, Pantaleone aber öffnete feierlich die Thür des Schlafzimmers, verkündete das Resultat der Verhandlungen und rief wiederum: »Bravo Russo! bravo giovanotto! Du wirst Sieger sein.« Ein paar Minuten später begaben sich Beide nach der Konditorei von Roselli. Sanin nahm vorher Pantaleone das Ehrenwort ab, über dies Alles die tiefste Verschwiegenheit zu bewahren. Statt Aller Antwort hob der Alte den Finger in die Höhe, zog die Augen zusammen und flüsterte zweimal: Segretezza! (Verschwiegenheit!) Er schien jünger geworden zu sein und trat selbst freier auf. Alle diese unverhofften, wenn auch unangenehmen Ereignisse versetzten ihn lebhaft in jene Zeit, in der er selbst in die Lage kam, zu fordern, und Herausforderungen anzunehmen, allerdings auf der Bühne. Die Baritone sind bekanntlich sehr hitzig in ihren Rollen.
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Emil lief Sanin entgegen, schon über eine Stunde hatte er seines Kommens geharrt, er flüsterte ihm hastig ins Ohr, daß die Mutter nichts von der jetzigen Unannehmlichkeit wisse, daß man ihr selbst nichts anzudeuten brauche, daß man ihn wieder in den Laden schicke! . . . doch werde er nicht hingehen und sich irgendwo verbergen – nachdem er ihm dies Alles rasch mitgetheilt, fiel er plötzlich aus Sanins Schulter, küßte ihn ungestüm und lief die Straße hinunter. In der Konditorei begegnete Sanin Gemma, sie wollte ihm etwas sagen und konnte nicht. Ihre Lippen zitterten ein wenig, die Augen zogen sich zusammen und irrten umher. Er beeilte sich, sie durch die Versicherung zu beruhigen, daß die Sache beendet sei. . . und zwar durch reine Kleinigkeiten.
»Heute war Niemand bei Ihnen?« fragte sie.
»Doch, eine Persönlichkeit, wir haben uns gegenseitig ausgesprochen . . . und sind zum besten Ergebnisse gekommen.« Gemma trat hinter den Ladentisch.
»Sie schenkt mir keinen Glauben!« dachte Sanin . . . trat jedoch ins Nebenzimmer und fand dort Frau Lenora.
Ihre Migraine ist ihr vergangen, doch war sie melancholisch gestimmt. Sie lächelte ihm freundlich zu, erklärte ihm jedoch in Voraus, daß er sich heute mit ihr langweilen werde, da sie gar nicht im Stande sei, ihn irgendwie zu unterhalten. Er setzte sich zu ihr und bemerkte, daß ihre Augenlider roth und geschwollen waren.
»Was fehlt Ihnen, Frau Lenora? Haben Sie wirklich geweint?«
»Tss! . . . « flüsterte sie und zeigte nach dem Zimmer in dem sich ihre Tochter befand. – »Sagen Sie es nicht laut!«
»Worüber haben Sie den geweint?«
»Ach, Herr Sanin, ich weiß selbst nicht worüber!«
»Es hat Sie doch Niemand betrübt?«
»O nein! . . . Mir ist plötzlich so wehmüthig geworden. Ich erinnerte mich an Giovan Battista . . . an meine Jugend . . . Wie schnell ist das Alles vergangen! Ich werde alt, mein Freund, und kann mich mit diesen Gedanken nicht versöhnen. Es scheint mir, ich selbst sei noch immer wie früher . . . doch das Alter da ist es . . . da ist es! . . . « In den Augen der Frau Lenora zeigten sich Thränen. »Ich sehe, Sie sehen mich an, und wundern sich . . . Doch werden Sie, mein Freund, ebenfalls alt werden, und werden erfahren, wie das bitter ist.«
Sanin fing au, sie zu trösten, erwähnte ihrer Kinder, in betten ihre frühere Jugend aufblühe, versuchte selbst eine kleine Neckerei, indem er sie versicherte, daß sie wohl Complimente hören wolle . . . doch sie bat ihn ernstlich, aufzuhören, und er konnte sich hier zum ersten Male überzeugen, daß man über eine solche Trostlosigkeit des Altersbewußtseins, durch nichts trösten, durch nichts davon zerstreuen kann; man muß abwarten, bis sie von selbst vergeht. Er schlug ihr vor mit ihm Tresette zu spielen – und hatte nichts Besseres erfinden können. Sie willigte sofort ein und schien heiterer zu werden.
Sanin spielte mit ihr bis zum Mittagessen und nach dem Mittagessen wiederum. Pantaleone nahm auch am Spiele Theil. Noch nie war seine Haarmasse so tief in die Stirn gefallen, noch nie verschwand sein Kinn so tief im Halstuch! Jede seiner Bewegungen athmete solche concentrirte Wichtigkeit, daß bei seinem Anblicke unwillkürlich der Gedanke auftauchte: Welches Geheimniß mag wohl dieser Mensch mit voller Festigkeit hüten?
Doch – segretezza, sagretezza! Er bemühte sich während des ganzen Tages auf alle mögliche Weise Sanin seine tiefste Hochachtung zu bezeugen; beim Essen reichte er, feierlich und entschieden, an den Damen vorübergehend, die Speisen ihm zuerst, während des Kartenspieles überließ er ihm das Kaufen, wagte nicht ihn remis zu machen; erklärte ohne jeden Anlaß, daß die Russen – das großmüthigste, tapferste und entschlossenste Volk der Welt seien!
»Ach der alte Schmeichler!« dachte Sanin für sich.
Sanin wunderte sich nicht so sehr über die unerwartete Gemüthsstimmung der Frau Roselli, als über das Benehmen ihrer Tochter ihm gegenüber. Sie vermied ihn nicht – nein, im Gegentheil, sie setzte sich stets in seine unmittelbare Nähe, hörte seinen Reden zu, blickte ihn an; doch wollte sie entschieden sich mit ihm in kein Gespräch einlassen, und sobald er sie ansprach, erhob sie sich sanft von ihrem Platze und entfernte sich still für einige Augenblicke. Dann erschien sie wieder, setzte sich wieder in eine Ecke und saß regungslos, wie sinnend und in Zweifeln befangen und hauptsächlich ihren Zweifeln hingegeben. . . Frau Lenora selbst bemerkte endlich das Sonderbare ihres Benehmens und fragte sie ein paar Mal, was ihr fehle?
»Nichts,« antwortete Gemma, »Du weißt, ich bin manchmal so.«
»Das ist wahr,« stimmte ihr die Mutter bei.
So verlief dieser lange Tag, weder lebhaft noch träge, weder heiter noch langweilig. Hätte sich Gemma anders benommen, so hätte Sanin . . . wer weiß es? nicht der Versuchung, sich ein wenig zu zieren, widerstehen können, oder er hätte sich einfach dem Gefühle der Trauer wegen einer möglichen, vielleicht ewigen Trennung hingegeben . . . Doch da es ihm kein einziges Mal gelingen wollte, mit Gemma zu sprechen, so mußte er sich begnügen, während einer Viertelstunde vor dem Abend-Caffee Moll-Accorde auf dem Piano anzuschlagen.
Emil kehrte spät zurück und verzog sich rasch, um dem Ausfragen über Herrn Klüber zu entgehen. Die Reihe, sich zu entfernen, kam dann an Sanin.
Er verabschiedete sich mit Gemma. Unwillkürlich gedachte er des Abschiedes von Lenski von Olga in Puschkins Onegin. Er drückte ihre Hand innig und versuchte, ihr in das Gesicht zu blicken, doch sie wandte sich ein wenig ab und befreite ihre Finger.
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Sämmtliche Sterne waren bereits an Ort und Stelle, als er auf die Straße kam. Und welche Menge großer, kleiner, gelber, rothen blauer, weißer Sterne war über den Himmel gesäet! Wie schwärmten sie, wie wimmelten sie, um die Wette mit ihren Strahlen spielend. Der Mond stand nicht oben, doch auch ohne sein Licht war jeder Gegenstand deutlich in dem halbbeleuchteten, schattenlosen Dunkel sichtbar.
Sanin war an das Ende der Straße gekommen . . . Er wollte nicht sofort nach Hause gehen; er fühlte das Bedürfniß, in freier Luft herumzuschwärmen. Er kehrte zurück, woher er gekommen, und war noch nicht an das Haus gekommen, in dem sich die Conditorei von Roselli befand, als eines der nach der Straße gehenden Fenster plötzlich anschlug und geöffnet wurde. Im schwarzen Rahmen desselben (es war kein Licht im Zimmer) zeigte sich eine Frauengestalt und er hörte, daß man ihn rufe:
»Monsieur Dimitri!«
Er stürzte nach dem Fenster . . . Gemma!
Sie lehnte mit dem Ellbogen am Fensterbrett und hatte sich nach vorn gebeugt.
»Monsieur Dimitri!« fing sie mit vorsichtig gedämpfter Stimme an, »schon während des ganzen Tages wollte ich Ihnen etwas geben . . . doch konnte ich mich nicht dazu entschließen; jetzt erst, als ich Sie unerwartet wiedersah, dachte ich, es müsse so kommen . . . «
Gemma hielt bei diesem Worte unwillkürlich ein; sie konnte nicht fortfahren; etwas Ungewöhnliches ereignete sich in diesem Augenblicke.
Plötzlich kam, mitten in der tiefsten Stille, bei vollständig wolkenlosen Himmel, ein solcher Windstoß herangeflogen, daß die Erde selbst, wie es schien, unter den Füßen bebte, die feinen Sternenlichter erzitterten und hin und her strömten, und die Luft selbst sich wie im Wirbel drehte. Der Windstoß, nicht kalt, sondern warm, beinahe glühend, stürzte sich auf die Bäume, auf das Dach und die Mauer des Hauses, über die Straße; er riß Sanin den Hut vom Kopfe, hob ihn in die Höhe und zerzauste die schwarzen Locken Gemmas.
Der Kopf Sanins reichte gerade bis zum Fenster, unwillkürlich lehnte er sich an dasselbe – und Gemma faßte mit beiden Händen seine Schultern an und drängte sich mit ihrem Busen an sein Haupt. Das Geräusch, das Klirren und Dröhnen dauerte eine Minute . . . Wie ein Schwarm riesiger Vögel raste dieser brausende Windstoß dahin . . . Wiederum herrschte die tiefste Stille.
Sanin richtete sich auf und sah vor sich ein so wunderschönes, erschrockenes, aufgeregtes Gesicht, so großartige, schreckliche, prachtvolle Augen, sah vor sich eine solche Schönheit, daß das Herz bei ihm erstarb, er preßte die feinen Haare der Locken, die auf seiner Brust ruhten, an seine Lippen und stammelte: »O Gemma!«
»Was war es? Ein Blitz?« fragte sie weit umherblickend und ohne ihre entblößten Arme von seinen Schultern zu nehmen.
»Gemma!« wiederholte Sanin.
Sie zitterte, sah rasch ins Zimmer zurück – und mit rascher Handbewegung aus dem Mieder die schon verwelkte Rose ziehend, reichte sie ihm dieselbe hinab.
»Ich wollte Ihnen diese Blume geben . . . «
Er erkannte die Rose, welche er gestern zurückerobert . . .
Doch das Fenster hatte sich bereits geschlossen und hinter dem dunklen Glase war nichts mehr sichtbar, kein weißer Schimmer. . .
Sanin kehrte ohne Hut nach Hause zurück. . . Er hatte nicht einmal bemerkt, daß er denselben verloren.
XXI
Er schlief erst am frühen Morgen ein. Und kein Wunder! Unter dem Schlage jenes plötzlichen Windstoßes hatte er ebenso plötzlich erkannt – nicht daß Gemma eine Schönheit, daß sie ihm gefalle – das wußte er bereits schon. . . sondern, daß er wohl. . . sie liebe! Plötzlich wie der Windstoß hatte sich seiner diese Liebe bemächtigt. Und hier dieses dumme Duell! Traurige Vorahnungen fingen ihn zu quälen an. Angenommen, man wird ihn nicht tödten . . . Was kann aber aus seiner Liebe zu diesem Mädchen, zur Braut eines Anderen, werden? Selbst angenommen, daß dieser »Andere« ihm nicht gefährlich sei, daß Gemma ihn lieben werde, oder bereits ihn liebe. . . Was – wird daraus? Wie wird Alles kommen? Eine solche Schönheit . . .
Er ging im Zimmer auf und, ab, setzte sich zum Tische, nahm ein Blatt Papier, warf darauf einige Zeilen hin – und strich sie sofort aus. Er erinnerte sich der wundervollen Gestalt Gemmas im dunklen Fenster unter den Strahlen der Sterne, ganz zerzaust vom warmen Windstoß; er erinnerte sich ihrer Marmorarme, die den Armen der olympischen Göttinnen glichen, er fühlte ihr lebendiges Gewicht an seinen Schultern . . . Und er ergriff die ihm zugeworfene Rose – und es schien ihm, als wenn von ihren halbverwelkten Blättern ein anderes, noch feineres Aroma, als der gewöhnliche Rosenduft sich verbreite . . .
Und plötzlich tödtet man ihn oder schießt ihn zum Krüppel?
Er legte sich nicht ins Bett – und schlief angezogen auf den Sopha ein.
* *
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Jemand berührte seine Schultern.
Er öffnete die Augen – und erblickte Pantaleone.
»Sie schlafen, wie Alexander der Große am Vorabend der Schlacht bei Babylon,« rief der Alte.
»Wie spät ist es denn?« fragte Sanin.
»Gleich sieben Uhr, bis Hauen haben wir zwei Stunden zu fahren, und wir müssen die ersten am Platze sein. Die Russen kommen stets ihren Feinden zuvor! Ich habe den besten Wagen von Frankfurt aufgetrieben.«
Sanin begann sich zu waschen.
»Und wo sind die Pistolen?«
»Die Pistolen bringt jener ferroflucto Todesco. Den Arzt bringt er auch mit.«
Pantaleone suchte sichtbar sich Muth zu machen, doch als er im Wagen neben Sanin Platz genommen, als der Kutscher mit der Peitsche knallte und die Pferde zu goloppiren anfingen – da ereignete sich mit dem Exsänger und Freunde der Dragoner von Padua ein plötzlicher Umschwung. Es war, als wäre in ihm etwas umgestürzt, etwa eine schlecht aufgeführte Mauer.
»Uebrigens, was machen wir eigentlich, mein Gott! Santissima Madonna!« rief er plötzlich mit ungemein weinerlicher Stimme, und faßte sich an den Haaren. »Was mach ich, alter Narr! Verrückter, frenetico?«
Sanin war wie verwundert, lachte und erinnerte Pantaleone, seinen Arm sanft um ihn legend, an das französische Sprichwort: Le rin est tiré, il faut le boire. (Das Faß ist angezapft, man muß es austrinken).
»Ja, ja,« antwortete der Alte, »diesen Kelch werden wir mit Ihnen leeren – und doch bin ich ein Verrückter! Ja, ein Verrückter! Alles war so ruhig, so gut. . . und plötzlich: ta-ta-ta, tra-ta-ta!«
»Wie das tutti im Orchester,« bemerkte Sanin mit gezwungenem Lächeln.
»Ich weiß, daß es sich nicht um mich handelt! Das hätte gefehlt! Doch immer ist es. . . eine waghalsige Handlung. Diavolo! Diavolo!« wiederholte Pantaleone, seine Mähne schüttelnd und seufzend. Der Wagen aber rollte immer weiter und weiter.
* *
*
Der Morgen war prachtvoll. Die Straßen Frankfurts, die sich kaum zu beleben anfingen, waren so reinlich, so gemüthlich; die Fenster der Häuser erschienen in morgendem Glanz wie Staniol; und kaum war der Wagen an dem Schlagbaum vorbeigefahren, so erscholl von oben, vom blauen, aber noch nicht blendenden Himmel das laute Schlagen der Lerchen. Plötzlich erschien bei einer Biegung der Chaussee, hinter einer hohen Pappel eine bekannte Figur, machte einige Schritte vorwärts und blieb stehen. Sanin sah sie genau an . . . mein Gott! Er war Emil.
»Ist ihm denn etwas bekannt?« wandte sich Sanin zu Pantaleone.
»Ich sage Ihnen ja, daß ich ein Verrückter bin!« entgegnete in Verzweiflung, beinahe schreiend der Italiener.
»Dieser unselige Knabe ließ mir die ganze Nacht keine Ruhe – und heute Früh habe ich ihm Alles mitgetheilt!« (Da haben wir die Segretezza! dachte Sanin.)
Der Wagen kam zu Emil heran, Sanin ließ die Pferde anhalten und rief den »unseligen« Knaben. Mit unsicheren Schritten kaut Emil ganz blaß, blaß wie am Tage seines Anfalles, heran. Er konnte sich kaum auf den Füßen halten.
»Was machen Sie hier?« fragte ihn Sanin mit Strenge, »warum sind Sie nicht zu Hause?« »Erlauben Sie mir . . . Erlauben Sie mir, mit Ihnen zu fahren,« lallte Emil mit zitternder Stimme – und kreuzte die Arme. Seine Zähne klapperten wie im Fieber. »Ich werde Sie nicht stören, nehmen Sie mich nur mit, nehmen Sie mich mit!«
»Wenn sie nur ein wenig Anhänglichkeit oder Achtung für mich fühlen,« sagte Sanin, »so werden Sie sofort entweder nach Hause oder in den Laden des Herrn Klüber zurückkehren, kein Wort sagen und meine Ankunft erwarten!«
»Ihre Ankunft,« stöhnte Emil – so viel hörte man deutlich, dann versagte seine Stimme – »wenn man Sie aber . . . «
»Emil!« unterbrach ihn Sanin und zeigte mit den Augen auf den Kutscher. »Kommen Sie zu sich! Bitte, Emil gehen Sie nach Hause. Gehorchen Sie mir, mein Freund! Sie versichern, daß Sie mich lieben. Ich bitte Sie nun darum!«
Er reichte ihm die Hand. Emil wankte nach vorn, schluchzte, preßte sie an seine Lippen, und lief, den Weg verlassend, quer über‘s Feld, Frankfurt zu.
»Ebenfalls ein edles Herz!« brachte Pantaleone hervor, doch Sanin sah ihn finster an. Der Alte drückte sich in die Wagenecke. Er sah ein, wie schuldig er war und außerdem wuchs sein Staunen von Minute zu Minute; ist er denn wirklich Secundant geworden, hat er die Pferde besorgt, er Alles vorbereitet und sein friedliches Zimmer um 6 Uhr Morgens verlassen? Auch fingen die Füße ihn zu schmerzen an und waren in kläglicher Verfassung.
Sanin hielt es für nöthig, ihn aufzurichten und fand das richtige Wort, indem er seine empfindliche Stelle berührte.
»Wo ist Ihr früherer Muth hin, geehrter Herr Cippatola? Wo ist – il antico valor?«
Signor Cippatola richtete sich auf und wurde finster.
»Il antico valor?«-W rief er im Baß – »Non è ancora spento (Er ist noch nicht erloschen) il antico valor!!«
Er nahm eine würdevolle Haltung an, sprach von seiner Laufbahn, von der Oper, vom großen Tenor Garcia – und kam nach Hanau wie neu geboren. Wenn man es sich recht überlegt, so gibt es nichts so Wichtiges . . . und zugleich so Kraftloses in der Welt, als das Wort.