Kitabı oku: «Ketzerhaus», sayfa 8

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„Danket dem Herrn“, murmelte die Mutter von ihrem Platz aus und ihre Finger falteten sich. „Danket dem Herrn und der Heiligen Jungfrau, dass Elsa ihre Stelle beim Brauer riskiert, um uns was zu essen zu bringen.“ Ein jugendliches Lächeln huschte über Katharina Mälzers Lippen in Elsas Richtung.

Elsa wandte sich ab und drängte sich an der wie ein Bollwerk stehenden Schwester vorbei. Sie würde nach den jüngeren Mädchen Ausschau halten, um sich wenigstens von ihnen zu verabschieden. Sie fand Anneruth und die siebenjährige Irmel beim Saubermachen der Jakobskapelle; einem Dienst, der ihnen dereinst gutgeschrieben würde. Die Mädchen ließen die Besen fallen, rannten vor Freude quiekend auf die Schwester zu und fielen ihr in die Arme. Den Dreien blieb nicht viel Zeit, die neuesten Neuigkeiten auszutauschen. Es war Elsas ganze Freude, machte ihr aber auch das Herz ganz schwer, den beiden Mädchen dabei zuzusehen, wie sie den Wecken teilten und verspeisten. Elsa wollte sich pfleglich führen, damit sie die Stellung bei Reinhilde nicht verlor und den Mädchen ab und an Zuckerzeug bringen konnte.

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Und es scheint mir weder durch Vernunftsgründe,

noch durch Gründe der Schrift erwiesen zu sein,

dass sie außerhalb des Standes des Verdienstes,

noch der Vermehrung an Liebe seien.

Kaum war Elsa in die Neißgasse gebogen, sah sie von Weitem schon den Fichtenzweig draußen im Fass stecken. Stimmengewirr und gelegentliches Scheppern von Steinzeug war bis auf die Gasse zu hören. Elsa war auch auf dem Rückweg am Stadttor aufgehalten worden. Sie fürchtete sich vor Reinhildens Abreibung und Peternelles Schimpfen. Sie kalkulierte das Ausmaß ihrer Strafe. Peternelle würde den ganzen Abend nicht mit ihr sprechen. Warum auch? Sie hatte die Kiepe allein nach Hause wuchten müssen und jetzt, am Abend, den Ausschank zu versorgen: die großen Krüge und die kleineren Trinkgeschirre aus schwerem Waldenberger und Muskauer Steinzeug, dazu die Platten mit Brot und Zwiebeln. Elsa hatte noch nicht einmal die Betten der Herrschaften aufgeschüttelt. Die Reinhilde legte großen Wert darauf. Wegen des Ungeziefers. Elsa würde nicht unbemerkt am Tylike vorbei ins eheliche Gemach schlüpfen können.

Im Obergeschoss brannte Licht. Dort bewirtete der Brauer seine privaten Gäste. Elsa würde Ärger bekommen, wenn Tylike ausgerechnet heut Ehrengäste hatte und die zweite Magd fehlte. Er war als Briuwer kein Gastwirt, legte aber dennoch Wert auf eine geschickte Bewirtung mit den kleinen Gaben, die dem Brauer erlaubt waren. Was Tylike nach seiner Brauberechtigung herstellte, hatte er selbst zu verantworten und im eigenen Haus feilzubieten. Was er nicht selbst ausschenkte, wurde für die Belieferung der Kretschame im städtischen Schankbereich verfügbar gehalten. Der Verkauf über die Straße war verboten. Ausnahmen stellten die Ratskür dar oder die Wahl des Erbrichters oder des Schützenkönigs. Tylike hatte sich nach den ihm zugeteilten Brau- und Schankzeiten zu richten und seine Mägde auch.

Als Elsa die gewölbte Hallendurchfahrt des Brauerhauses durch die ins zweiflügelige Tor eingelassene Mannpforte betrat, schlug ihr der typische säuerliche Geruch mit der feinen herben Note entgegen und der angespitzte Zeigefinger der Brauerin Reinhilde hart vor ihre Brust. „Wo bist du bloß gewesen!?“

Verdutzt, Reinhilde in die Arme gerannt zu sein, als habe diese auf sie gewartet, stammelte Elsa ihre Entschuldigung, wurde jedoch barsch unterbrochen: „Du musst den Wundarzt holen.“ Reinhildes Flüstern überschlug sich am Kreuzgewölbe der Durchfahrtshalle. Sie schaute sich um wie eine Diebin, ob sie und Elsa belauscht wurden. Die Tür zum Ausschank war geschlossen. Über den Hof in der Mälzerei ging es fleißig zu. Niemand beobachtete sie, von dort, wo die gekeimte Gerste in Weichfässer umgefüllt werden musste, damit sie nach achtwöchiger Keimruhe zwei Tage lang aufweichen konnte. Es war Gunnars Aufgabe, die nach dem Weichen an der Saftoberfläche schwimmenden Reste wie Schalen und tote Körner abzuschöpfen.

Eben, als Reinhilde Luft holte, um fortzufahren, wurde die Tür zum Schanksaal geöffnet. Die Frauen beobachteten, wie der Gast das Geld fürs Bier in der kleinen Wandnische hinterlegte, das Peternelle nachher abholen würde. Der Gast schob sich an Elsa vorbei durch die Mannpforte auf die Gasse.

„Wer ist denn krank?“

„Frag nicht!“ Reinhildes Zeigefinger durchstach die Luft. „Frag bloß nicht! Beeil dich!“

Elsa nickte und machte auf dem Absatz kehrt. Ihre Füße hatten keine Gelegenheit gefunden, sich aufzuwärmen. Die Zehen waren ganz taub. Die grobe Wolle ihrer Strümpfe rieb am Holz der Schuhe.

„Und sag dem Ismael“, wurde Elsa von Reinhilde am Arm aufgehalten. „Er möchte die Gerätschaft mitbring …“

„Ismael?“, unterbrach Elsa die andere und schloss die Pforte wieder hinter sich. „Wieso zum Doktor Ismael?“ Ismael war der jüdische Arzt. Sein Haus stand auf der anderen Seite der Neiße, außerhalb der von den doppelten Mauern geschützten Stadt. Die Leute misstrauten den Juden. Elsa misstraute den Juden. „Soll ich nicht lieber den Doktor Joppener holen? Das geht schneller. Der wohnt doch in der Krebsgass …“

„Kschhh!“, machte Reinhilde und ihre Augen drohten überzulaufen, als ergriffe sie eine kleine Panik: vielleicht die Angst davor, die brave Magd sei gar nicht so brav und würde sich weigern, den Juden zu holen. „Nicht den Stadtphysikus! Der muss nicht wissen, was hier los ist.“

Elsas Gedanken flogen sogleich zum Dachboden. „Was ist denn hier los? Ist einer der Schankgäste verletzt? Gab es eine Rauferei?“ Sie stellte sich absichtlich dumm. Sie war neugierig, ob Reinhilde sich und ihren geheimen Gast verriet.

„Nein! Hol einfach den Ismael. Ihm sagst du, er soll dieses Ding mitbringen, das er den Leuten umbindet, wenn sie sich einen Arm gebrochen haben. Los doch!“

„Wer hat sich einen Arm …“ In Elsa wurden sogleich die Worte des Kohlbauern wach. Hatte er nicht erzählt, Ketzer hätten verkrüppelte Gliedmaßen?

„Du sollst nicht fragen, hab ich gesagt!“ Die Reinhildin schob Elsa in den Sturmwind hinaus wie eine hungrige Katze, die sich ihr Futter allein suchen sollte.

Elsa stemmte sich mutig in die Tür. „Einen gebrochenen Arm, so wie damals der Andres?“ Andres Hinterthur war der einzige Mensch, den Elsa kannte, der sich einen Arm gebrochen hatte. Und Elsa entging nicht, wie Reinhildes Unterlider zuckten.

Die machte einen unwilligen Laut, dann schob sie Elsa aus der Tür in den Herbststurm hinaus, der den Geruch nach Schnee über die Stadt legte und sich mit den staubigen Ausdünstungen der Schlote vermischte.

Es war längst dunkel. Die stimmgewaltigen Diskussionen der Männergesellschaften aus Handwerkerkreisen brandeten auf und verloren sich mit dem Wind. Elsas Magen knurrte. Der Weg zum jüdischen Arzt war weit. Hätten die Juden nicht vor über hundertfünfzig Jahren die Brunnen vergiftet, hätten sie sich gewiss innerhalb der doppelten Stadtmauer ansiedeln dürfen. So aber war die Seuche nach Görlitz gekommen. Es ärgerte Elsa, dass sie das getan hatten und sie jetzt so weit gehen musste. Aus Rache für die Aussiedlung hatten sie vor kaum zehn Jahren die Pest abermals über die Stadt gebracht, fiel ihr jetzt ein.

Über die Brücke ging Elsa nicht gern ohne Begleitung und schon gar nicht im Dunkeln. Die Bleichwiesen waren jetzt wieder leer. Die Wäsche trocknete in der feuchten Herbstluft ohnehin nicht mehr. Die Neißufer waren jetzt von den Fischern zurückerobert. Es roch durchdringend sauer und metallisch nach Gekröse und Blut. Weiter stromabwärts und außerhalb der Stadtmauern lebten die Ledermacher und Wirker. Dahinter kam nichts als die Armut. Die Ärmsten lebten im Schatten der Gerber und Färber und verdingten sich mit Leineweberei und als Zuarbeiter. Und immer, wenn Elsa in diese schlimme Gegend musste, hatte sie ein Einsehen, dass es ihrer Mutter und ihren Schwestern im Jakobsstift noch leidlich gut ging.

Das Angelusläuten verhallte, als Elsa und Doktor Ismael zurück in die Stadt kamen. Sie hatte ihm weder Auskünfte über das Leiden noch über den Kranken selbst gegeben. Das stand ihr gar nicht zu. Über ihre Lippen war nichts gekommen, was sie bei der Reinhilde in noch größere Ungnade hätte bringen können. Die Geldkatze war leer. Elsa hatte Zoll und Verschwiegenheit bezahlt. Ein verschwiegener dünner Arzt begleitete sie durch die Dunkelheit.

Völlig ausgehungert und durchgefroren ließ Elsa sich in der Schankstube und unter Peternelles beleidigtem Blick nieder, um ihre tauben Füße aus den Pantinen zu pellen. Der Dunst der gehäuteten Zwiebeln trieb Elsa das Wasser in die Augen. Auch der leidgeprüfte, von Tränen benetzte Augenaufschlag beeindruckte die andere nicht. „Du machst den Rest. Ich gehe zu Bett.“ Peternelle riss das Geschirrleinen von ihrer Hüfte und hängte es über das Bierfass, das heute noch geleert werden wollte.

Elsa wusste, sie würde bis zur Sperrstunde Platten und Krüge schleppen, Speisen herrichten, Abfälle beseitigen und keine Sekunde ihre inzwischen wütend zwickenden Füße ausruhen. Während des Zapfens genehmigte sie sich eine rohe Zwiebel und den Rest einer verschmähte Kruste vom frischen Brot eines eben verabschiedeten Gastes.

Weit nach der Sperrstunde, als sie die Schankstube gefegt, die Tische und Stühle gewischt und das Geschirr gesäubert hatte, fiel Elsa totengleich auf das Lager neben Peternelle. Sie hatte nicht einmal Zeit darüber nachzudenken, wie wohl Doktor Ismaels Krankenbesuch ausgegangen war und ob er wirklich so verschwiegen war, wie es die Dukaten hoffen ließen. Mutters Bergkristall würde sie heut nicht mehr in ihr eigenes Haar flechten.

In dieser Nacht träumte sie vom Zerschundenen in der hinteren Dachkammer und von dem nackten Mädchen. Elsa wachte mit der Gewissheit auf, dass der eine mit der anderen etwas zu tun haben musste.

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Ebenso wenig scheint mir aber bewiesen, dass sie oder wenigstens alle, der Seligkeit sicher und gewiss seien,

mögen wir dessen auch ganz gewiss sein.

Zumindest die Carolina Müllerin war gefasst. Leider war es nicht Christian geglückt, die Gespielin des Teufels aufzuspüren, sondern einem anderen Gassenmeister. Der war jetzt um zwei Gulden reicher. Das Weibsstück hatte man erwischt, wie es mit einer Handvoll verdächtiger Papiere durch das Frauentor verduften wollte.

Der Torwächter, ein Dummkopf ohnegleichen, hatte die Papiere ins Feuer geworfen, sodass nicht zweifelsfrei herauszufinden war, ob jene Schriften vom Index Librorum Prohibitorum, der Liste verbotener Bücher, stammte oder nicht. Immerhin aber hatte man eine verdächtige Person erwischt. Eine die keine Görlitzerin war und auch keinen Bürgen nennen konnte – oder wollte. Und wenn sich ein Mädchen in den Klauen der Torwache keinen Bürgen einfallen ließ, ja, dann war sie schon per se verdächtig, fand Christian.

Zu gerne wäre er dabei gewesen, als der Torwächter das Mädchen bloßgestellt hatte. Noch an Ort und Stelle war die Teufelsbuhlerin nackend vor die Wachstube gebunden und der Öffentlichkeit preisgegeben worden. Zum Glück war Markttag und das Tor – wie wohl alle Tore dieser Tage – verstopft. So konnten der Läuterung wegen besonders viele brave Bürger der Sünderin ansichtig werden. Sich auf die Spiele des Teufels einzulassen, hatte noch niemandem gutgetan.

Als man die Dirne des Satans in die Büttelei gebracht hatte, hatte sie freilich ihre Kleider wieder angehabt. Aber auch so war zu sehen, wie der Teufel ihre Gestalt und ihr Antlitz verführerisch geformt hatte. Nur so war es ihr möglich gewesen, die ehrbaren Studenten Weidner und Hinterthur in ihre ketzerischen Machenschaften zu verstricken. Einem jeden schönen Weibe wohnte der Teufel inne. Das wusste selbst Christian.

Die Büttelei wurde Stockhaus genannt. Noch bis vor Kurzem, bevor man Käfige mit Schlössern hineingestellt hatte, waren die Delinquenten an Holzpflöcken – Stöcken – festgekettet worden, damit sie nicht ausreißen konnten. Dieses Stockhaus lag hinter dem Fischmarkt. Es war ein in der Tiefe lang gezogenes, windschiefes, bis an die südliche Stadtmauer reichendes Gebäude. Das nach der Büttelei benannte Stockgässel war so eng, dass hier nur eine Person gehen konnte. Aus diesem Grund und weil man nicht ins Stockhaus eingesperrt werden wollte, mied man diese Stockgasse im Allgemeinen.

Es war Christian Vollhardt als Gassenrichter zwar gestattet, die Büttelei so ohne Weiteres zu betreten, nicht aber die Gefangenen zu besuchen. Die besonders ansehnliche Gefangene hätte er sehr gern näher betrachtet. Das Mädchen, das man für die gesuchte Carolina Müller hielt, schwieg beharrlich. Man war darin geübt, eine Teufelsbuhlerin zum Sprechen zu bringen und das mit Sicherheit nicht mit der Zankgeige. Da kannte man andere Hilfsmittel. Görlitz war berüchtigt für seine wirksamen Methoden. Dennoch hielten der Bürgermeister und der Züchtiger Alfons Sieder an der Reihenfolge fest. Ordnung musste sein. Da hatte sogar Christian Vollhardt ein Einsehen. Die Satansbraut musste zuerst auf dem Ring vorgeführt werden, danach musste sie einem Gericht und dann, wenn sie weiterhin schwieg, dem Scharfrichter zur peinlichen Befragung überführt werden.

Christian kam wegen all dieser Aufregungen erst spät aus der Büttelei nach Haus. Er war froh, dass er nicht mit dem Trupp der Stadtdiener ein weiteres Mal durch die Gassen ziehen musste, um nach den übrigen beiden Ketzern zu suchen.

Sein Mädchen hatte beobachtet, wie Vollhardt in seinem Haus verschwunden war, dann erst schlich es an der dicht um den Klosterplatz gedrängten Häuserzeile entlang und klopfte an die Tür des Schwertfegers. Drinnen tat sich zunächst nichts. Als die junge Frau schon längst ihre zweite Bettelrunde zum Neuen Markt fortsetzen wollte, hörte sie den Gassenrichter die Stiege herunterkommen.

Er riss die Türe auf und stutzte. „Hatten wir uns nicht für nächste Woche verab …, was willst du?“ Christian schaute sich um. Die Stadt war in diesen Tagen wie ein aufgescheuchter Ameisenhaufen.

„Die Leute geben nichts, weil sie dem Stadtschreier zuhören und mit ihren Einsetzen beschäftigt sind.“

Christian hatte von den Wetten gehört. So etwas konnte er nicht gutheißen. Er zog das Mädchen in die Eingangsnische vor der Tür. Ins Haus ließ er sie aber nicht. Dass sich das Mädchen der Verabredung widersetzte, behagte ihm nicht. Er war der Mann! Er hatte die Zügel in der Hand! Er stellte die Bedingungen. Einmal wöchentlich! Alles andere war zu auffällig und würde ihn in Verruf bringen – und bankrott machen. „Was willst du?“

„Sie sagen, ohne Papiere komme ich nicht wieder in die Stadt rein, weil sie doch die Geächteten suchen.“

Christian hörte ihr ungeduldig zu. Er nickte, schaute sich auf der Gasse nach Zuhörern um. Da war niemand, nur ein herrenloser Hund, der sein Glück im Rinnstein suchte. „Ja und? Du hast gesagt, du hast einen Bürgen.“

Sie schüttelte den Kopf. „Nicht ich selbst. Mein Vormund hat einen, aber der zählt für mich nicht mehr mit.“ Darauf ließ Christian ein Seufzen hören. Er mochte nicht, wenn das Vergnügliche Probleme mit sich brachte. Das Mädchen sprach gedämpft weiter. Eine Bürgerwürde müsse gekauft werden. Für die Papiere. „Oder zumindest einen eigenen Bürgen vorweisen.“ Ihre Augen blieben erwartungsvoll an Christian haften. Er forschte auf ihrem hübschen Gesicht. „Das Geld hab ich nie und nimmer!“ Ihre funkelnden Saphiraugen ruhten ungeniert in seinem Blick.

Christian stutzte und zerrte sie ins Haus. Der erstickte Aufschrei, den sie von sich gab, fuhr ihm kribbelnd in den Bauch und tiefer. Er drückte sie gegen die Wand. Ihre Rundungen berührten seine Brust. „Und du meinst, ich würde dir die Papiere beschaffen?“

Sie schaute ihn aus ihren Unschuldsaugen an, zuckte die Achseln. „Ich weiß nicht?“

Er drückte sich fester an sie, spürte, wie sich ihr Körper versteifte. „Und du meinst, ich beschaffe dir die Papiere für nichts?“

Sie schüttelte knapp den Kopf, wurde aber immer kleiner, als wollte sie mit der Wand verschmelzen. „Ich dachte, Ihr bezahlt mich nicht, bis die Schuld abgetragen wäre.“

Christian lachte auf und ließ sie los. So groß der Reiz auch gewesen war, ein Kätzchen, dass sich vor Angst in einen nässenden Hund wandelte, wollte er nicht. Jetzt nicht. „Das kann dauern.“

Sie nickte.

Christian betrachtete sie. Er hatte keine Lust, sich eine Neue zu suchen. Es hatte lange gedauert, diese hier zu finden. Er wollte nicht akzeptieren, dass es sich als Fehler herausstellen sollte, eine Bettlerin gewählt zu haben. „Na schön. Bleib in der Stadt, verhalte dich ruhig, komme heut Abend wieder.“

„Danke.“ Sie knickste.

Er wollte nicht, dass sie knickste. „Ich mag nicht, wenn du das machst, du bist nicht meine Magd!“

„Verzeihung“, sagte sie, wollte abermals knicksen, besann sich, lächelte schelmisch und gab ihm einen Kuss auf die Wange, was ihn überraschte. Sie wandte sich ab.

„Warte …“ Widerwillig zückte er seine magere Geldkatze, in der es hell nach leichten Münzen klimperte. „Ich will nicht, dass du durchgefroren und ausgehungert wiederkommst.“

Es widerstrebte ihm, sich abermals warm anzuziehen und hinüber ins Rathaus zu gehen. Andererseits war um diese Zeit dort so wenig Betrieb, dass er ungehindert die nötigen Siegel unter ein vorgefertigtes Papier würde setzen können. Es war mühsam, den neuen Markt zu überqueren, um zum Rathaus zu gelangen. So viele Leute tummelten sich hier. Hatten die kein Zuhause? Alles, was bei Sinnen war, war auf den Gassen. Man sprach über nichts anderes als das gefasste Mädchen. Aber da alles auf den Gassen war, war es um so ruhiger in den Amtsstuben. Ein verstaubter Sekretarius hinter einem Schwung von Papieren und aufgestapelten Büchern hielt die Stellung.

Christian würde aus der Bettlerin keine Bürgerin machen. So weit kam es noch! Er würde ihr einen eigenen Bürgen geben. So würde sie ungehindert die Tore passieren können. Und da fiel ihm wohl zum allerersten Male auf, dass er nicht viel über sein Mädchen wusste, nicht die Herkunft, nicht das Gewerk des Vaters. Christian war sich nicht sicher, ob es ihm behagte, nichts über seine Kleine zu wissen. Dennoch hatte er das anfangs recht reizvoll gefunden.

Er erklärte dem Sekretarius sein Anliegen. Der seufzte, als beschäftigte er sich den ganzen Tag schon mit nichts anderem als dem Problem, das die Stadträte frisch aus der Taufe gehoben hatten. Jeder dumpe Bauer, der die Stadt passieren wollte, brauchte nun einen Bürgen und sei es ein befreundeter Kaufmann oder eine wohlgesonnene Dame. „Selbst unser Doktor Joppener bürgt für die Wehmutter, damit sie vor den Toren die Kindlein auf diese beschissene Welt holen kann.“ Der Beamte schüttelt den Kopf. „Dabei gibt es der Bettler und Gesindel genug. Die brauchen sich nicht auch noch zu vermehren!“

Christian mischte sich nicht in die schlechte Laune des anderen ein, setzte den Namen des Mädchens auf das Papier und seinen eigenen als Bürgen daneben.

„Kenn ich nicht, wer ist das?“, ächzte der Sekretär mit Blick auf den Mädchennamen, gab aber dem Schriftstück ein Wachssiegel.

„Meine Nichte, angeheiratet. Nicht Blutslinie.“

Der Sekretär ließ einen knarzenden Laut hören und widmete sich schon der nächsten Schreibarbeit. Christian war froh, nicht weiter zu diesem Mädchen befragt zu werden.

Sie gab sich Mühe an diesem Abend. Das musste ihr Christian lassen. Sie war erpicht auf das Stück Papier, das auf dem Tischchen neben dem Bett lag. Sie ging nicht bis zum Äußersten, aber das hatte Christian auch nicht erwartet. Sie war keine Dirne. Sie war ein junges Ding, das noch nie zuvor mit einem Mann zusammen gewesen war. Sie verwöhnte ihn aufs Trefflichste, das keinen Wunsch offen ließ. Noch vor der Sperrstunde verließ sie mitsamt dem Papier sein Haus.

Es brauchte seine liebe Zeit, bis sie aus der Stadt heraus war. Die Wächter würdigten das kostbare Papier nur eines flüchtigen Blickes, worüber sich das Mädchen ein bisschen ärgerte, nach all der Mühe.

Als die junge Frau vor einiger Zeit von Christian Vollhardt angesprochen worden war, hatte sie geglaubt in einen tiefen Abgrund gestoßen zu werden, aus dem sie nie wieder herauskommen würde. Nach so kurzer Zeit schon, eine Bürgschaft in der Hand, zahlte sich das sündhafte Arrangement aus. Und so lange er sich mit ihren Lippen und ihren Händen zufriedengab, würde sie vom Sündenpfuhl nicht verschluckt werden. Wie lange sie ihn noch hinhalten würde können, wusste sie allerdings nicht.

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Litres'teki yayın tarihi:
26 mayıs 2021
Hacim:
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ISBN:
9783954628674
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