Kitabı oku: «Unsere Heilige Ehre», sayfa 3

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KAPITEL FÜNF

18:15 Uhr Eastern Standard Time

Das Lagezentrum

Das Weiße Haus, Washington, D.C.

„Amy“, sagte Kurt. „Zeig uns den Libanon und Israel. Zoom auf die Blaue Linie.“

Auf dem übergroßen Bildschirm hinter ihm tauchte eine Karte auf. Eine Sekunde später zeigten auch die kleineren Bildschirme, die in die Wand eingelassen waren, das gleiche Bild. Auf der Karte waren zwei Territorien zu sehen, die von einer dicken, blauen Linie getrennt waren. Links von der Landmasse befand sich ein blassblauer Bereich, der das Mittelmeer kennzeichnete.

Susan kannte diese Gegend gut genug, dass sie eigentlich auf diese Erdkundelektion verzichten konnte. Sie war frustriert – sie war bereits seit einer Stunde im Weißen Haus. Es hatte ungewohnt lange gedauert, dieses Meeting zu organisieren.

„Ich werde mich kurzfassen, wenn alle damit einverstanden sind“, sagte Kurt. „Ich schätze, dass alle Anwesenden soweit auf dem Laufenden sind, dass sie bereits wissen, dass es vor knapp zwei Stunden einen Schlagabtausch an der Grenze zwischen dem Libanon und Israel gegeben hat.

„Die Blaue Linie, die man hier sieht, ist die Grenze, die 1982 zwischen dem Libanon und Israel vereinbart wurde und hinter die Israel seine Truppen nach dem Krieg und der anschließenden Besetzung zurückgezogen hat. Eine bisher unbekannte Anzahl Hisbollah-Kämpfer hat eine israelische Patrouille auf der Straße angegriffen, die entlang der Blauen Linie führt. Die Patrouille bestand aus acht Soldaten der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte. Bis auf eine Soldatin wurden sie alle getötet.“

Ein Foto einer dunkelhaarigen jungen Dame erschien auf den Bildschirmen. Es sah aus wie ein Foto, was für ein Schuljahrbuch aufgenommen worden war, oder für eine Art Preisverleihung. Das Mädchen lächelte fröhlich. Sie strahlte förmlich.

„Daria Shalit“, stellte Kurt vor. „Neunzehn Jahre alt und am Anfang ihres zweiten Jahres im Pflichtwehrdienst für die IDF.“

„Ganz schön hübsch“, sagte jemand.

Kurt reagierte nicht. Er seufzte schwer.

„Glauben Sie mir, Israel hat einige harte Diskussionen hinter sich. Vor ein paar Monaten wurde nun entschlossen, dass auch Frauen an den Grenzpatrouillen teilnehmen können. Es scheint, als wäre dieser Vorfall eine geplante Entführung von Shalit gewesen, oder von einer beliebigen jungen Dame, die auf Patrouille ist. Ein Angriffstrupp hat die Kidnapper bis über die Grenze verfolgt, ist aber zwei Kilometer Inland auf eine starke Opposition getroffen. Weitere vier Israelis wurden getötet, zusammen mit schätzungsweise zwanzig Militanten der Hisbollah.“

„Helena von Troja“, sagte ein Mann in einer grünen Militäruniform.

Kurt nickte. „Ganz genau. Die Auswirkungen auf die Gesellschaft Israels waren beeindruckend. Es war wie ein Schlag in die Magengrube für sie, was vermutlich auch der Plan war. Unseren Informationen zufolge versucht die Hisbollah einen Krieg anzuzetteln, ähnlich dem, der 2006 stattgefunden hat. Wir denken, dass sie Israel in eine Falle locken wollen.“

„Die Hisbollah ist ganz schön hart drauf“, sagte der Uniformierte. „Es ist schwer, sie zu bekämpfen.“

„Amy“, sagte Kurt. „Die Hisbollah, bitte.“

Auf dem Bildschirm erschien ein Bild einer Gruppe von Männern, die mit erhobenen Bannern und Fäusten durch die Straßen marschierten. Kurt zeigte mit dem Laserpointer auf sie.

„Hisbollah – die Partei Gottes, oder die Armee Gottes, je nachdem, welche Übersetzung man bevorzugt – ist die weltweit größte und militärisch stärkste Terrororganisation. Sie wurden als Handlanger der iranischen Regierung gegründet und werden von ihr ausgebildet, finanziert und eingesetzt, mit Einsätzen in ganz Europa, Afrika, Asien und beiden amerikanischen Kontinenten.

„Wenn es um Terrorismus geht, ist die Hisbollah äußerst fähig. Unter schiitischen Muslimen wird sie weltweit anerkannt. Die Einsätze, die sie auf die Beine stellen können und die Organisation, die hinter ihnen steht ist genau das, was der IS sich für die Sunniten erträumt. In den Gegenden Libanons, in denen die Hisbollah Hoheitsterritorium besitzt, agieren sie häufig als de facto Regierung mit der vollkommenen Anerkennung der Bevölkerung. Sie betreiben Schulen, sorgen für Nahrung und Freizeit- sowie Arbeitsprogramme. Außerdem entsenden sie eine Handvoll gewählter Repräsentanten in das libanesische Parlament. Ihre Militärabteilung ist viel effektiver und auch stärker als das libanesische Militär. Aufgrund der religiösen Differenzen zwischen schiitischen und sunnitischen Muslimen sind die Hisbollah und der IS verfeindet und haben einander geschworen, den jeweils anderen zu zerstören.“

„Und was ist so schlimm daran?“, fragte Susan halb im Scherz. „Der Feind unseres Feindes ist unser Freund, oder nicht?“

Der Anflug eines Lächelns machte sich auf Kurts Lippen breit. „Vorsicht. Die Hisbollah hat einen zeitlich unbegrenzten Heiligen Krieg gegenüber unseren Verbündeten in Israel ausgerufen. Laut der Hisbollah ist Israel eine existenzielle Bedrohung für die libanesische Gesellschaft und Palästina und muss mit allen Mitteln zerstört werden.“

„Und wie stehen ihre Chancen dafür?“, fragte Susan.

Kurt zuckte mit den Achseln.

„Sicher könnten sie Schaden anrichten, den wir nur schwer einschätzen können. Unseren derzeitigen Annahmen zufolge hat die Hisbollah zwischen fünfundzwanzig und dreißigtausend Kämpfer. Vielleicht zehn bis fünfzehntausend von ihnen haben bereits Kampferfahrung, entweder aus dem Krieg im Jahre 2006 oder aus direkten Konflikten mit dem IS im syrischen Bürgerkrieg. Wir glauben, dass bis zu zwanzigtausend der Truppen Ausbildung von der Iranischen Revolutionsgarde erhalten haben – fünftausend oder mehr sind sogar in den Iran gereist und wurden dort direkt trainiert.

„Die Hisbollah hat ein weites Netzwerk tiefer Tunnel und Befestigungen in der Hügelregion nördlich der Blauen Linie. Während des Krieges 2006 konnte Israel dieses Netzwerk nicht vollständig aus der Luft zerstören. Laut israelischer Geheimdienstinformationen sind ihre Anlagen heutzutage nur noch tiefer, verstärkter und ausgeklügelter als damals. Unsere eigenen Informationen besagen, dass die Hisbollah mehr als fünfundsechzigtausend Raketen und Flugkörper besitzt, außerdem Millionen Schuss an Munition für kleinere Feuerwaffen. Ihr Arsenal ist seit 2006 vermutlich um das Fünffache gewachsen. Seit den Anfängen der Hisbollah war der Iran stets zögerlich, wenn es um ihre Versorgung ging und hat ihnen nur langsame Kurzstreckenraketen zur Verfügung gestellt. Wir vermuten, dass dem immer noch so ist.“

„Und was unternimmt Israel?“, fragte der Mann in der grünen Uniform.

Kurt nickte. Hinter ihm auf dem Bildschirm tauchte die Blaue Linie wieder auf. Südlich von ihr erschienen kleine Symbole, die Soldaten repräsentierten.

„Nun kommen wir zum Eigentlichen. Die Israelis haben eine massive Einmarschtruppe an der Grenze versammelt. Unser Staatssekretär hat bereits mit dem israelischen Premierminister, Yonatan Stern, telefoniert. Yonatan ist ein Betonkopf, um es freundlich auszudrücken. Er ist besonders im rechten politischen Spektrum der israelischen Gesellschaft beliebt. Um diese Beliebtheit aufrecht zu erhalten, muss er etwas unternehmen. Er braucht einen entscheidenden Sieg, die Rückkehr ihrer entführten Soldatin – irgendetwas. Wir nehmen an, dass er die versammelte Truppe irgendwann in den nächsten Stunden über die Grenze schicken wird, was eine Invasion des Libanons darstellen würde.“

„Auf der anderen Seite könnte man sagen, dass Israel bereits vom Libanon attackiert wurde“, sagte der Uniformierte.

Kurt nickte. „Könnte man. Gleichzeitig mit der Invasion plant Stern Bombenangriffe zu fliegen. Wir haben von ihm verlangt, dass die Bombardierungen auf zwölf Stunden begrenzt werden, zivile Ziele meiden und nur bekannte Militärstützpunkte der Hisbollah anfliegen.“

„Was hat Yonatan dazu gesagt?“, fragte Susan. Yonatan Stern war nicht gerade ihr Lieblingsmensch. Man könnte sogar behaupten, dass sie sich nicht verstanden.

„Er hat gesagt, er würde unseren Rat in Betracht ziehen.“

Susan schüttelte den Kopf. „Yonatan ist genau wie jeder andere Mann. Er hat nichts lieber als Krieg und große Waffensysteme.“

Sie zögerte. Das alles schien ihr wie nur ein weiterer Schlagabtausch zwischen Israel und der Hisbollah, genau so wie die ganzen kleinen Gefechte zwischen Israel und der Hamas oder Israel und der Palästinensischen Befreiungsorganisation davor. Hässlich, blutig, brutal und am Ende ohne wirkliches Resultat. Nur eine weitere Trainingsrunde für die nächste Trainingsrunde.

„Also, was unternehmen wir hier, Kurt? Was sind die Risiken und wie, schlagen Sie vor, sollen wir reagieren?“

Kurt seufzte. Sein kahler Kopf reflektierte die Lichter an der Decke. „Wie immer besteht die Gefahr, dass die Gefechte außer Kontrolle geraten und andere regionale Kämpfe verursachen. Die Hisbollah und Palästina sind Verbündete. Die Hamas nutzt solche Kriege der Hisbollah häufig als Deckmantel für ihre eigenen Guerillaangriffe in Israel. Syrien liegt im Chaos und hat verschiedene kleine, aber schwer bewaffnete Gruppen, die jede Instabilität ausnutzen wollen.

„In der Zwischenzeit stehen die großen Spieler, der Jordan, Ägypten, die Türkei und Saudi-Arabien Israel feindlich gegenüber. Und natürlich gibt es da immer noch den Iran, der größte und gemeinste Kerl in der Nachbarschaft. Sie stehen mit verschränkten Armen bedrohlich im Hintergrund, mit den noch größeren Russen hinter ihnen. Jeder der eben genannten ist natürlich bis zu den Zähnen bewaffnet.“

„Also lautet unser nächster Schritt?“

Kurt schüttelte den Kopf und zuckte mit den Achseln. „Wir sollten vorsichtig sein. Die gesamte Region ist ein einziges Minenfeld und wir müssen aufpassen, wo wir hintreten. Israel ist einer unserer engsten Verbündeten und ein wichtiger strategischer Partner. Sie sind die einzige Demokratie, die in der gesamten Region herrscht. Gleichzeitig ist auch der Libanon unser langjähriger Partner. Der Jordan und die Türkei sind unsere Verbündeten. Wir beziehen den Großteil unserer ausländischen Stromversorgung aus Saudi-Arabien. Außerdem sind wir ein Abkommen eingegangen, dass wir den Frieden zwischen den Palästinensern und Israel schützen wollen und Palästina als souveränen Staat fördern.“

Er nickte, wie um sich selbst zu bestätigen. „Ich würde sagen, unsere Aufgabe lautet, die Lage nicht noch weiter eskalieren zu lassen und darauf zu hoffen, dass diese ganze Sache in ein paar Tagen schon wieder vorbei ist – oder noch besser, in ein paar Stunden.“

Susan lachte fast laut auf. „Anders ausgedrückt sollen wir also Däumchen drehen.“

Jetzt lächelte Kurt. „Wir drehen Däumchen. Momentan sind uns sowieso die Hände gebunden.“

KAPITEL SECHS

12. Dezember

13:40 Uhr israelischer Zeit (06:40 Uhr Eastern Standard Time)

Tel Aviv, Israel

Die Nachrichten waren schlimm gewesen.

Die junge Frau saß auf einer Parkbank und sah ihrem jungen Sohn und ihrer Tochter, Zwillingen, dabei zu, wie sie auf der Schaukel spielten. Nicht weit von ihnen entfernt befand sich der beige, sechzehnstöckige Apartmentblock, in dem sie wohnten. Heute war niemand sonst hier und der Park war so gut wie leer.

Das war ungewöhnlich für einen so schönen Frühlingsnachmittag, aber kaum überraschend, wenn man die Umstände bedachte. Der Großteil der Bevölkerung schien sich in seinem Wohnzimmer aufzuhalten und saß wie festgeklebt vor Fernseh- und Computerbildschirmen.

Gestern Abend war Daria Shalit, eine neunzehnjährige Soldatin der Israelischen Verteidigungskräfte, nach einem Schlagabtausch mit Hisbollah-Terroristen, die einen Überraschungsangriff entlang der nördlichen Grenze gestartet hatten, verschwunden. Die anderen sieben Soldaten ihrer Patrouille – allesamt Männer – waren während des Gefechts ums Leben gekommen. Aber nicht Daria. Daria war einfach verschwunden.

IDF-Truppen hatten die Terroristen bis in den Libanon hinein verfolgt. Vier weitere Israelis waren während der Kämpfe dort umgekommen. Elf junge Männer – das Beste, was die israelische Jugend zu bieten hatte – waren innerhalb einer Stunde gestorben. Aber das war es nicht, was das Land momentan beschäftigte.

Das Schicksal Darias war im Laufe der Nacht geradezu fieberhaft von der Bevölkerung verfolgt worden. Wenn die junge Frau ihre Augen schloss, konnte sie Darias hübsches Gesicht und ihre dunklen Augen vor sich sehen. Sie lächelte und hatte ein Maschinengewehr in der Hand. Sie posierte mit Freunden an einem Mittelmeerstrand, grinste, während sie ihr Abschlusszeugnis erhielt. So wunderschön und immer mit einem Lächeln auf ihren Lippen, als wäre ihre Zukunft zum Greifen nah.

Die Frau schloss jetzt tatsächlich ihre Augen und ließ Tränen ihre Wangen herunterströmen. Sie hob eine Hand zum Gesicht, sodass ihre Kinder nicht mitansehen mussten, dass sie weinte. Ihr Herz schmerzte wegen eines Mädchens, das sie niemals selbst kennengelernt hatte und doch so gut zu kennen schien, als wenn Daria ihre eigene Schwester gewesen wäre.

Die Zeitungen riefen nach blutiger Rache und verlangten die vollständige Auslöschung des libanesischen Volkes. In der Knesset, dem Parlament Israels, hatte es im Laufe der Nacht hitzige Debatten gegeben und die Regierung hatte Drohungen ausgesprochen und die Rückkehr des Mädchens verlangt. Noch hatte es keine Handlungen gegeben, aber es war spürbar, dass sich eine Wut stärker und stärker aufbaute, die irgendwann zu explodieren drohte.

Vor wenigen Stunden hatten die Bombardierungen begonnen.

Israelische Kampfflieger ließen wahre Bombenteppiche über dem Südlibanon, dem Hauptsitz der Hisbollah und bis in den Norden nach Beirut nieder. Jedes Mal, wenn es im Fernsehen eine weitere Ankündigung gab, schrien und jubelten die Nachbarn der Frau in ihren Wohnungen.

„Tötet jeden Einzelnen von ihnen!“, schrie ein alter Mann voller Triumph. Seine raue Stimme war durch die dünnen Wände klar zu hören. „Tötet sie alle!“

Danach hatte die Frau ihre Kinder raus zum Spielen gebracht.

Jetzt saß sie hier im Park, weinte leise vor sich hin und ließ alles raus, während sie den Geräuschen und Gesprächen ihrer Kinder lauschte. Sie waren so unschuldig und doch würden sie von Feinden umgeben aufwachsen, die es nur zu gerne mit ansehen würden, wie man ihnen die Kehle durchschnitt und sie ausbluten ließ.

„Was sollen wir nur tun?“, flüsterte die Frau. „Was sollen wir nur tun?“

Die Antwort kam in Form eines neuen Geräuschs, zuerst leise und weit weg, das sich unter die Spielgeräusche ihrer Kinder mischte. Doch schon bald kam es näher und wurde lauter, immer lauter. Es war ein Geräusch, das sie nur zu gut kannte.

Luftschutzsirenen.

Sie riss die Augen auf.

Ihre Kinder hatten aufgehört zu spielen. Sie starrten sie über den Spielplatz hinweg an. Die Sirenen waren inzwischen laut.

Unglaublich laut.

„Mama!“

Sie sprang von ihrer Bank und lief zu ihren Kindern. Unter ihrem Wohnkomplex war ein Luftschutzbunker – nur einen Viertelkilometer entfernt.

„Lauft!“, schrie sie. „Lauft nach Hause!“

Ihre Kinder rührten sich nicht. Sie rannte auf sie zu und sammelte sie auf. Dann lief sie los, je ein Kind unter einem Arm. Sie hätte niemals gedacht, dass sie so eine Kraft in sich hatte. Sie sauste über den Beton, ihre Kinder weinten jetzt laut, doch die Sirenen um sie herum waren lauter und wurden noch immer lauter.

Ihre Atmung schnappte.

Das Gebäude türmte sich über ihnen auf und sie kamen immer näher. Überall liefen Menschen, die bis vor wenigen Minuten noch unsichtbar gewesen waren, auf das Gebäude zu.

Plötzlich ertönte noch ein weiteres Geräusch – ein Geräusch, das so laut, so hoch war, dass die Frau dachte, dass ihr Trommelfell geplatzt wäre. Sie blickte auf und sah mit an, wie eine Rakete aus Richtung Norden über den Himmel flog. Sie schlug mit aller Wucht in die oberen Stockwerke ihres Gebäudes ein.

Der Erdboden unter ihren Füßen bebte vom Aufprall. Die Welt um sie herum schien sich zu drehen, während die oberen Stöcke des Gebäudes in einer riesigen Explosion verschwanden. Beton flog durch die Luft. Wie viele Menschen waren noch in ihren Wohnungen gewesen? Wie viele von ihnen waren jetzt tot?

Sie verlor das Gleichgewicht und ihre Kinder fielen auf den Boden. Sie krabbelte zu ihnen, schützte sie mit ihrem Körper, genau in dem Moment, als die Schockwelle auf sie auftraf. Dann folgte ein Hagel aus Schutt von der Explosion, winzige Steinchen und Splitter, ein Staub, der sie zum Würgen brachte, die Überreste der Alten und Bedürftigen, die ihre Wohnungen nicht rechtzeitig hatten verlassen können.

Die Sirenen hörten nicht auf. Der ohrenbetäubende Schrei einer weiteren Rakete heulte auf. Sie flog über ihre Köpfe hinweg und eine weitere Explosion zeigte an, dass sie ihr Ziel gefunden hatte.

Die Sirenen kreischten weiter und weiter.

Ein weiteres Mal ertönte das Geräusch einer Rakete. Es pfiff durch ihre Ohren. Die Härchen auf ihrer Haut stellten sich auf. Sie zog ihre Kinder näher an sich heran. Das Geräusch war zu laut. Sie konnte es nicht einmal mehr begreifen. Es war, als ginge es über ihr Gehör hinaus, als wäre es ein Monster aus einer anderen Welt – ihr Verstand schaltete sich bei seinem Anblick einfach ab.

Zusammen mit der Rakete schrie die Frau auf, doch es schien, als würde sie kein Geräusch von sich geben können. Sie konnte nicht nach oben schauen. Sie konnte sich nicht bewegen. Sie fühlte einen Schatten über sich, wie er das Tageslicht verdeckte.

Dann blitzte ein neues Licht auf, ein blendendes Licht.

Und danach nur Dunkelheit.

KAPITEL SIEBEN

06:50 Uhr Eastern Standard Time

Die Residenz des Weißen Hauses

Washington, D.C.

Das morgendliche Licht strömte durch die Jalousien, aber Luke wollte noch nicht aufstehen. Er lag auf dem Rücken in dem großen Bett und sein Kopf ruhte auf einem Berg Kissen.

Susan lag unter der Decke neben ihm. Die Präsidentin der Vereinigten Staaten lag mit ihrem Kopf auf seiner Brust und ihr kurzes blondes Haar strich über seine nackte Haut. Er bemerkte ein paar graue Strähnen, die ihr Stylist wohl übersehen hatte. Oder vielleicht war es Absicht gewesen – einem Mann verlieh ein wenig Grau Erfahrung, Seriosität, Gravitas.

Sie atmete tief ein und aus.

„Bist du schon wach?“, flüsterte er.

Er spürte, wie sie lächelte. „Natürlich, du Dummerchen. Ich bin schon seit über einer Stunde wach.“

„Woran denkst du?“, fragte er.

„Woran denkst du? Das ist hier die Frage.“

„Naja, ich mache mir Sorgen.“

Sie stellte ihre Ellenbogen auf, drehte sich um und sah ihn an. Wie immer verging ihm der Atem aufgrund ihrer Schönheit. Ihre Augen waren blassblau und in ihrem Gesicht konnte er die junge Frau sehen, die vor zwanzig Jahren die Titelseiten verschiedener Modemagazine geziert hatte. Für ihn schien es, als würde sie umgekehrt altern. Das konnte er schwören – in der kurzen Zeit, in der sie zusammen gewesen waren, schien sie jeden Tag ein wenig jünger zu werden.

Ihr Mund verzog sich zu einem leichten Lächeln und ihre Augen zeigten spielerisches Misstrauen. „Luke Stone macht sich Sorgen? Der Mann, der mit nur einem Handschlag ganze Terrornetzwerke auslöschen kann? Der Mann, der despotische Herrscher und Massenmörder noch vor dem Frühstück erledigt? Worüber könnte sich so eine Legende denn bitte Sorgen machen?“

Er schüttelte seinen Kopf und lächelte untypischerweise. „Genug damit.“

Um ehrlich zu sein, machte er sich sogar einige Sorgen. Die Dinge wurden langsam kompliziert. Er war ernsthaft darauf aus, seine Beziehung zu Gunner wieder geradezubiegen. Es lief auch gut – besser, als er gehofft hatte – aber Gunners Großeltern hatten immer noch das Sorgerecht. Luke dachte, dass das vielleicht besser so war. Ein Rechtsstreit um das Sorgerecht mit Beccas reichen und gehässigen Eltern – das würde sich lange hinziehen und sehr unangenehm für sie alle werden. Und was hätte er am Ende davon? Luke war schließlich immer noch im Spionagegeschäft. Wenn er tatsächlich zu ihm ziehen würde, würde Gunner nur ständig alleine sein. Ohne Aufsicht, ohne jemanden, der ihn erziehen konnte – das schien nicht besonders gut für ihn.

Außerdem war da noch die Lage mit Susan. Sie war die Präsidentin der Vereinigten Staaten. Sie hatte eine eigene Familie und streng genommen war sie immer noch verheiratet. Ihr Ehemann, Pierre, wusste natürlich von Luke und war angeblich sogar glücklich für sie. Aber trotzdem hielten sie ihre Beziehung geheim.

Was wollte er sich vormachen? Sie hielten nichts daran wirklich geheim.

Ihr persönliches Sicherheitsteam wusste von ihm – das war schließlich ihr Job. Und das hieß, dass es wahrscheinlich ein Gerücht war, das sich bereits im gesamten Geheimdienst verbreitete. Zwei, drei Mal die Woche ging er spät abends noch durch den Sicherheitscheck. Oder meldete sich nachmittags als Gast an, meldete sich dann aber nicht mehr ab. Die Mitarbeiter, die die Videokameras überwachten, sahen, wie er die Residenz betrat und verließ und schrieben stets mit. Der Koch wusste, dass er Essen für zwei Personen zubereitete und die beiden Hausmädchen, die das Essen brachten, zwei nette ältere Damen, die ihn stets anlächelten, mit ihm plauderten und ihn „Mr. Luke“ nannten, kannten ihn natürlich auch.

Susans Stabschef wusste es, was bedeutete, dass Kurt Kimball es wahrscheinlich auch wusste, und weiß Gott, wen es noch alles gab.

Jede einzelne dieser Personen hatte eine Familie, Freunde und Bekanntschaften. Susan und er hatten Stammlokale, in denen sie frühstückten, zu Mittag aßen oder Bars, in denen sie sich regelmäßig aufhielten und die Stammgäste mit Geschichten aus dem Weißen Haus unterhielten.

Die Frage der Reporterin am Vortag ließ darauf schließen, dass das Gerücht bereits außer Kontrolle geraten war. Sie waren nur eine undichte Stelle, einen Anruf eines unzufriedenen Mitarbeiters bei der Washington Post oder bei CNN von einem ausgewachsenen Medienzirkus entfernt.

Das wollte Luke nicht. Er wollte nicht, dass Gunner ins Rampenlicht rückte. Er wollte nicht, dass sein Junge rund um die Uhr von einem Geheimdienstagenten begleitet werden musste. Er wollte nicht, dass Paparazzi ihm auflauerten oder vor seiner Schule auf ihn warteten.

Außerdem wollte Luke selbst die Aufmerksamkeit nicht. Es war besser für seinen Job, wenn er in den Schatten blieb. Er brauchte genug Freiheiten, um seine Missionen durchzuführen. Außerdem war da noch sein Team.

Und schlussendlich natürlich Susan selbst. Er wollte nicht, dass ihre Beziehung so auf die Probe gestellt werden würde. Es war ohnehin schon nicht einfach und er konnte sich nicht vorstellen, dass sie lange durchhalten würden, wenn die Medien sie rund um die Uhr unter die Lupe nahmen.

Aber es war unmöglich, diese Probleme mit ihr zu besprechen. Sie war unglaublich optimistisch, sie war sowieso ständig in den Medien und ihr gefiel die Aufmerksamkeit sogar. Ihre Antwort war stets ein sorgloses: „Ach, das schaffen wir schon irgendwie.“

„Worüber machst du dir Sorgen, Mr. Luke?“, fragte Susan jetzt.

„Ich mache mir Sorgen …“, fing er an. Er schüttelte seinen Kopf. „Ich mache mir Sorgen, dass ich mich verliebe.“

Ihr strahlendes Lächeln erhellte das Zimmer. „Ich weiß“, sagte sie. „Ist es nicht toll?“

Sie küsste ihn hingebungsvoll und sprang dann wie eine Jugendliche aus dem Bett. Er beobachtete sie, während sie nackt durch den Raum zu ihrem Kleiderschrank schlenderte. Sie sah immer noch aus, als wäre sie in ihren Zwanzigern.

Zumindest fast.

„Ich möchte, dass du meine Töchter kennenlernst“, sagte sie. „Sie kommen nächste Woche und bleiben über Weihnachten.“

„Wundervoll“, sagte er. Beim Gedanken daran drehte sich ihm der Magen um. „Was sollen wir ihnen sagen, wer ich bin?“

„Sie wissen, wer du bist. Du bist ihr Superheld. James Bond, nur ohne die Glattrasur oder den schicken Anzug. Ich meine, es ist erst ein paar Jahre her, dass du Michaelas Leben gerettet hast.“

„Wir wurden einander nie wirklich vorgestellt.“

„Egal. Du bist so was wie ein Onkel für sie.“

In dem Moment fing das Telefon auf dem Nachttisch an zu klingeln. Es machte ein seltsames Geräusch, weniger ein Klingeln, sondern eher ein Summen, oder ein Brummen. Es klang wie ein erkälteter Mönch, der in seiner Meditation sang. Außerdem leuchtete es bei jedem Geräusch blau auf. Luke hasste dieses Telefon.

„Soll ich rangehen?“, fragte er.

Sie lächelte und schüttelte ihren Kopf. Er beobachtete, wie sie zurück durch das Zimmer ging. Einen kurzen Moment lang stellte er sich eine Welt vor, in der sie beide einen anderen Job hatten. Vielleicht sogar eine Welt, in der sie gar nicht arbeiten mussten. In dieser Welt könnte sie einfach zurück zu ihm ins Bett steigen.

Sie nahm den Hörer ab. „Guten Morgen.“

Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich, während sie der Stimme am anderen Ende der Leitung zuhörte. Ihr Lächeln verschwand. Auch das Licht in ihren Augen verdunkelte sich. Sie atmete tief ein und seufzte lang und ausgiebig.

„Okay“, sagte sie. „Ich bin in fünfzehn Minuten unten.“

Sie legte auf.

„Ärger?“, fragte Luke.

Sie sah ihn mit einem Ausdruck an – vielleicht ein Hauch von Angst – den die Bevölkerung niemals im Fernsehen zu sehen bekommen würde.

„Wann gibt es mal keinen Ärger?“, seufzte sie.

Yaş sınırı:
18+
Litres'teki yayın tarihi:
04 ocak 2021
Hacim:
331 s. 3 illüstrasyon
ISBN:
9781094342863
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