Kitabı oku: «Unsere Heilige Ehre», sayfa 5

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KAPITEL ZEHN

16:45 Uhr israelischer Zeit (09:45 Uhr Eastern Standard Time)

Samsons Höhle – Tief unter der Erde

Jerusalem, Israel

„Sagen Sie Ihnen, dass sie still sein sollen.“

Yonatan Stern, Premierminister von Israel, saß in seinem Stammsessel am Kopf des Konferenztisches in der israelischen Krisenkommandozentrale und stützte sein Kinn mit den Händen ab. Der Raum war eine große, ovale Höhle. Um ihn herum befanden sich Militär- und politische Berater, die einander anschrien, beleidigten und wild gestikulierten.

Wie ist es nur so weit gekommen? schien die brennendste Frage zu sein. Und die Antwort, zu der jeder der anwesenden brillanten Genies hier gekommen zu sein schien war: Jemand anderes ist schuld.

„David!“, sagte er und blickte seinen Stabschef an, ein muskulöser Ex-Soldat, der seit sie gemeinsam in der Armee gedient hatten seine rechte Hand war. David sah ihn an. Seine dunklen Augen strahlten Elend aus und er hatte seine Kiefer zusammengepresst, so wie er es immer tat, wenn er nervös oder abgelenkt war. Vor langer Zeit einmal hatte er seine Feinde mit bloßen Händen töten können und sah dabei trotzdem aus, als wollte er sich am liebsten bei ihnen entschuldigen. Das hatte sich bis heute nicht geändert.

„Bitte“, sagte Yonatan. „Sorg für Ruhe.“

David zuckte mit den Schultern. Er trat an den Konferenztisch und schlug mit seiner massiven Faust auf die Oberfläche.

BUMM!

Er sagte kein Wort, sondern schlug stattdessen erneut zu.

BUMM!

Und wieder. Und wieder. Und wieder. Jedes Mal, wenn er auf den Tisch schlug, wurde der Raum ein wenig ruhiger. Schlussendlich schwieg jeder der Anwesenden und starrte David Cohn, Yonatan Sterns rechte Hand, an. Ein Mann, den jeder hier respektierte.

Er hob seine Faust ein letztes Mal, doch der Raum war jetzt komplett still. Einen Moment lang hielt er sie über dem Tisch, wie einen Hammer. Dann entspannte er sich.

„Danke, David“, sagte Yonatan. Er schaute sich um. „Meine Herren, ich würde dieses Treffen gerne offiziell beginnen. Also setzen Sie sich bitte und schenken Sie mir Ihre Aufmerksamkeit.“

Efraim Shavitz war hier, so jungenhaft wie eh und je, viel jugendlicher als sein Alter es eigentlich erlauben sollte. Er wurde auch das Model genannt. Er war der Leiter des Mossad. Er trug einen teuren, maßgeschneiderten Anzug und schwarze italienische Lederschuhe. Er sah aus, als wollte er gerade in einen der teuren Nachtclubs von Tel Aviv gehen, statt der Auslöschung seines eigenen Volkes zuzusehen. In diesem Raum voller älterer Militäroffiziere wirkte Shavitz wie ein exotischer Vogel.

Yonatan schüttelte seinen Kopf. Shavitz war ein Überbleibsel der vorherigen Regierung. Yonatan hatte ihn nur behalten, weil er so hoch gelobt wurde und weil es schien, als wüsste er, was er tat. So war es zumindest bis heute gewesen.

„Efraim, deine Einschätzung, bitte.“

Shavitz nickte. „Gerne.“

Er nahm eine Fernbedienung aus der Tasche und wandte sich zu dem großen Bildschirm am Ende des Konferenztisches. Ein Video eines Raketenstarts von einer grünen mobilen Raketenplattform erschien.

„Der Libanon verfügt nun über die Fateh-200. Wir haben bereits seit einiger Zeit vermutet, dass –“

„Seit einiger Zeit vermutet? Seit wann?“, unterbrach ihn Yonatan.

Shavitz blickte ihn an. „Wie bitte?“

„Seit wann vermutet ihr, dass die Hisbollah das Fateh-200-Waffensystem besitzt? Ich habe nie auch nur einen Bericht darüber gesehen, und ich wurde auch nie informiert, dass es so einen Bericht gibt. Ich habe erst davon gehört, als auf einmal hochexplosive Langstreckenraketen Wohngebäude in Tel Aviv zum Einsturz gebracht haben.“

Einen langen Moment war alles still. Die anderen Männer im Raum blickten Yonatan Stern und Efraim Shavitz an.

„Wie dem auch sei, sie haben sie jetzt“, sagte Shavitz.

Yonatan nickte. „Ja, in der Tat. Und der Iran … Was haben sie für Fähigkeiten?“

Shavitz zeigte mit dem Finger auf Yonatan. „Bring bloß nicht die konventionellen Waffen der Hisbollah mit der atomaren Bedrohung durch den Iran zusammen, Yonatan. Wir haben dir gesagt, dass der Iran an Atomwaffen arbeitet. Wir kennen die Standorte. Wir kennen die Leute, die sie einsetzen. Wir wissen ungefähr, um wie viele Sprengköpfe es sich handelt. Seit Jahren erzählen wir dir von dieser Bedrohung. Wir haben einige gute Leute verloren, um an diese Informationen zu gelangen. Dass du nicht gehandelt hast, ist weder meine Schuld, noch die des Mossad.“

„Es gibt für alles politische Konsequenzen“, erklärte Yonatan.

Shavitz schüttelte seinen Kopf. „Dafür bin ich nicht zuständig. Nun, wir glauben jedenfalls, dass der Iran bis zu vierzehn Sprengköpfe besitzt, auf drei Standorte verteilt, sehr wahrscheinlich tief im Untergrund. Vielleicht haben sie auch gar keine. Es könnte alles eine Lüge sein. Aber auf jeden Fall sind es nicht mehr als vierzehn.“

„Und wenn sie sie tatsächlich besitzen, alle vierzehn?“

Shavitz zuckte mit den Schultern. Eine Haarlocke verrutschte auf seinem frisierten Kopf, was sehr untypisch für ihn war. Stern dachte, dass er sich besser noch einmal kämmen sollte, bevor er seinen Nachtclub betrat. „Und wenn sie sie starten?“

Yonatan nickte. „Genau.“

„Dann werden wir ausgelöscht. Ganz einfach.“

„Wie sehen unsere Optionen aus?“

„Sehr beschränkt“, sagte Shavitz. „Ich denke, alle Anwesenden wissen, was unsere Möglichkeiten sind. Wie unser eigenes nukleares, konventionelles und Luftwaffenarsenal aussieht. Wir könnten einen massiven Präemptivschlag auf alle bekannten iranischen und syrischen Raketensilos und alle iranischen Luftwaffenstützpunkte starten. Wenn wir alles einsetzen, was wir haben und uns perfekt koordinieren, könnten wir das Militär des Iran und von Syrien komplett zerstören und sie zurück ins Mittelalter katapultieren. Du musst mir allerdings nicht erklären, was das für weltweite Konsequenzen haben würde.“

„Was ist mit einem kleineren Angriff?“

Shavitz schüttelte seinen Kopf. „Wofür? Jeder Angriff, nach dem der Iran noch über seine Raketen verfügt, oder nach dem sie noch immer Kampfjets in der Luft haben, oder der auch nur eine einzelne Atombombe intakt lässt, wäre ein Desaster für uns. Während wir eingeschlafen sind, Premierminister, oder damit beschäftigt waren, unseren Freunden lukrative Regierungsaufträge zukommen zu lassen, waren die Iraner fleißig wie die Ameisen und haben ein unglaublich solides Raketenarsenal aufgebaut, für genau so einen Fall, wie wir ihn jetzt vor uns haben.

„Die Fajir-3 ist ein Präzisionssystem und kann so gut wie nicht abgewehrt werden. Das Shahab-3-Programm verfügt über genug Raketen, Feuerkraft und Reichweite, um jeden Quadratzentimeter Israels zu bombardieren. Die Ghadr-110, die Ashoura, die Sejjil und die Bina-Systeme können uns allesamt erreichen und bestehen aus tausenden von individuellen Projektilen und Sprengköpfen. Und, auch wenn das unsere geringste Sorge im Moment ist, sie arbeiten immer noch an der Simorgh-Rakete, ein satellitengestütztes System, das sich gerade in der Testphase befindet und innerhalb des nächsten Jahres einsatzfähig sein wird. Wenn sie das einmal fertig haben …“

Shavitz seufzte. Die anderen Anwesenden schwiegen betreten.

„Was ist mit unseren Schutzbunkern?“

Shavitz nickte. „Sicher doch. Angenommen, die Iraner bluffen und sie verfügen nicht über Atomwaffen. Trotzdem würden sie einen riesigen Angriff auf uns starten. Ein gewisser Prozentsatz unserer Einwohner würde es sicher rechtzeitig in die Bunker schaffen, einige der Bunker würden standhalten und anschließend würden einige Überlebende wieder hervorkriechen. Aber glaub nicht einen Moment lang, dass sie alles wiederaufbauen würden. Sie wären traumatisiert und hilflos und befänden sich inmitten einer zerbombten Mondlandschaft. Was würde die Hisbollah dann tun? Oder die Türken? Oder die Syrer? Oder die Saudis? Uns zu Hilfe kommen und die letzten Überreste der israelischen Gesellschaft retten? Das glaube ich nun wirklich nicht.“

Yonatan atmete tief durch. „Gibt es gar keine anderen Optionen?“

Shavitz zuckte mit den Schultern. „Nur eine. Die Idee der Amerikaner. Ein kleines Einsatzteam entsenden, herausfinden, ob die angeblichen Atombomben überhaupt existieren und dann ihren Standort bestätigen. Anschließend kommen amerikanische Bomber und starten Präzisionsschläge auf diese Standorte, entweder mit unserer Unterstützung oder nicht. Wenn die Amerikaner es schaffen, die nukleare Bedrohung auszuschalten, würden die Iraner vielleicht zögern.“

Yonatan gefiel diese Idee ganz und gar nicht. Er wusste, wie viele Männer sie bereits verloren hatten, wertvolle und fähige Agenten, die auf Missionen wie diesen ihr Leben gelassen hatten. Er würde abwarten müssen, während die Agenten untertauchten und Funkstille herrschte. Er würde erst wissen, ob sie etwas erreicht hätten, wenn sie wiederauftauchten – wenn sie denn überhaupt jemals wiederauftauchten. Yonatan gefiel der Gedanke an diese Warterei nicht – nicht, wenn die Zeit nicht auf ihrer Seite stand und der Iran jederzeit seinen Angriff starten konnte.

Außerdem gefiel Yonatan diese Idee nicht, weil sie scheinbar direkt aus Susan Hopkins‘ Weißem Haus kam. Hopkins hatte keine Ahnung, in was für einer Lage sich Israel befand und es schien sie auch nicht besonders zu kümmern. Sie war wie ein Papagei, dessen Besitzer ihr nur zwei Worte beigebracht hatte.

Die Palästinenser. Die Palästinenser. Die Palästinenser.

„Wie stehen die Chancen, dass eine solche Mission erfolgreich wäre?“, fragte Yonatan.

Shavitz schüttelte seinen Kopf. „Sehr, sehr gering. Aber es zu versuchen würde die Amerikaner zufriedenstellen und ihnen zeigen, dass wir uns zurückhalten. Wenn wir der ganzen Sache ein Zeitlimit aufsetzen, sagen wir achtundvierzig Stunden, wäre das vielleicht keine schlechte Idee.“

„Haben wir denn so viel Zeit?“

„Wenn wir den Iran strengstens nach Anzeichen eines Erstschlags überwachen und unseren eigenen Angriff nach Punkt achtundvierzig Stunden starten, sollte es in Ordnung sein.“

„Und wenn die Agenten getötet oder gefangen genommen werden?“

„Das Team wird aus Amerikanern bestehen, vielleicht mit einem israelischen Führer, der Einsatzerfahrung im Iran besitzt. Unser Mann wird ein Undercoveragent sein, der keine Identität besitzt. Falls irgendetwas schief geht, können wir einfach jegliche Beteiligung unsererseits abstreiten.“

Shavitz hielt einen Moment lang inne. „Ich weiß auch schon, wer perfekt für diesen Einsatz geeignet ist.“

KAPITEL ELF

12:10 Uhr Eastern Standard Time

Joint Base Andrews

Prince George’s County, Maryland

Der kleine blaue Jet mit dem Logo des US-Außenministeriums auf der Seite bewegte sich langsam auf die Rollbahn zu und drehte sich abrupt nach rechts. Der Start war bereits genehmigt worden, also beschleunigte es, hob ab und machte sich auf seinen Weg in die Wolkendecke. Einen Moment später drehte es sich nach links in Richtung Atlantik.

Im Inneren des Flugzeugs machten es Luke und sein Team so wie immer – sie verwendeten die vorderen vier Sitze und verstauten ihr Gepäck im hinteren Bereich.

Sie waren später losgeflogen, als sie geplant hatten. Luke hatte Gunner noch in der Schule besuchen wollen. Er hatte seinem Sohn versprochen, dass er niemals auf eine Mission gehen würde, ohne vorher persönlich mit ihm zu sprechen und ihm so viel zu erzählen, wie es ihm möglich war. Gunner hatte ihn darum gebeten und Luke hatte zugestimmt.

Sie hatten sich in einem kleinen Zimmer getroffen, in das sie der Assistent des Rektors geführt hatte – nicht mehr als ein Lagerraum für Musikinstrumente, die hauptsächlich Staub ansammelten, so wie es aussah.

Gunner hatte die Neuigkeiten ganz gut aufgefasst, wenn man die Umstände betrachtete.

„Wo gehst du hin?“, hatte er gefragt.

Luke hatte den Kopf geschüttelt. „Das ist geheim, Monster. Wenn ich dir das sage …“

„Sage ich es jemandem weiter, und der sagt es wieder jemandem weiter.“

„Ich glaube nicht, dass du es jemandem erzählen würdest. Aber allein die Tatsache, dass du es wüsstest, würde dich gefährden.“

Er hatte seinen Sohn angeschaut, der mehr als nur niedergeschlagen aussah.

„Machst du dir Sorgen?“

Gunner hatte den Kopf geschüttelt. „Nein. Ich glaube, du kannst ganz gut auf dich selbst aufpassen.“

Im hier und jetzt im Flugzeug lächelte Luke bei dem Gedanken an seine Worte. Sein Junge hatte so viel durchmachen müssen und trotzdem seinen Sinn für Humor nicht verloren.

Luke betrachtete sein Team. Im Sitz neben ihm saß Ed Newsam. Er hatte khakifarbene Cargohosen und ein langärmliges T-Shirt an. Seine Augen waren wie Stahl, er war riesig und massiv wie eh und je. Natürlich war Ed älter geworden. Falten zeichneten sich auf seinem Gesicht ab, die früher nicht da gewesen waren, besonders um die Augen herum. Auch seine Haare waren nicht mehr so tiefschwarz wie einst – ein paar graue und weiße Strähnen waren jetzt zu sehen.

Ed hatte das Geiselrettungsteam des FBI verlassen, um bei Luke anzuheuern. Beim FBI hatte Ed sich langsam hochgearbeitet – er hätte mehr Verantwortung übernehmen sollen, hätte mehr Zeit am Schreibtisch verbracht und viel weniger Zeit draußen im Einsatz. Laut ihm hatte er gewechselt, um endlich wieder ein wenig Action zu sehen. Trotzdem hatte er eine Gehaltserhöhung verlangt. Aber das machte nichts. Luke war bereit gewesen, das Budget des SRT bis an die Grenzen auszureizen, wenn es darum ging, Ed zurück an Bord zu holen.

Links gegenüber von Luke saß Mark Swann. Er hatte seine langen Beine wie immer ausgestreckt. Er hatte ein altes Paar zerrissener Jeans und rote Chuck Taylor Schuhe an. Auch Swann hatte sich verändert. Nachdem er seine Gefangenschaft in den Klauen des IS nur knapp überlebt hatte, war er ernster geworden – er machte keine Witze mehr darüber, wie gefährlich ihre Missionen waren. Luke war froh, dass er überhaupt zurückgekommen war – es hatte eine Zeit gegeben, in der sich Swann geradezu eingesperrt hatte und in der es so geschienen hatte, als würde er sein Penthouse am Strand nie wieder verlassen.

Und dann war da natürlich noch Trudy Wellington. Sie saß Luke direkt gegenüber. Sie hatte wieder braune gelockte Haare und im Gegensatz zu ihnen schien es, als wäre sie kein bisschen gealtert. Kein Wunder. Trotz allem, was sie gesehen und durchgemacht hatte – ihre Zeit als Analytikerin bei der ersten Inkarnation des SRT, ihre Beziehung mit Don Morris, ihre Flucht aus dem Gefängnis und die Zeit, in der sie untergetaucht war – war sie erst zweiunddreißig. Sie war so dünn und attraktiv wie eh und je in ihrem grünen Sweatshirt und der blauen Jeans. Sie trug ihre große, runde, rote Eulenbrille nicht mehr, hinter der sie sich früher versteckt hatte. Jetzt standen ihre schönen blauen Augen im Vordergrund.

Diese Augen starrten Luke jetzt an. Sie sah nicht gerade begeistert aus.

Was wusste sie über seine Beziehung mit Susan? War sie deswegen wütend? Warum sollte sie?

„Weißt du überhaupt, was du tust, Mann?“, fragte Ed Newsam. Er klang entspannt, aber Luke meinte eine Spur Nervosität in seiner Stimme zu hören.

„Meinst du, was die Mission angeht?“

Ed zuckte mit den Schultern. „Na klar. Für den Anfang.“

Luke blickte aus dem Fenster, während er sprach. Es war hell draußen, aber sie hatten die Sonne bereits hinter sich gelassen. Es würde nicht mehr lange dauern und der Himmel würde sich verdunkeln, während sie weiter Richtung Osten flogen. Er spürte die Mission bedrohlich im Hintergrund lauern – ein ihm nur allzu vertrautes Gefühl, und einer der Aspekte dieser Einsätze, die er nicht besonders schätzte. Es war ein Wettrennen gegen die Zeit. Es war immer ein Wettrennen gegen die Zeit und sie waren bereits jetzt spät dran. Sie sollten einen Krieg verhindern, der bereits angefangen hatte.

„Ich schätze, das werden wir gleich herausfinden. Trudy?“

Sie zuckte mit den Schultern und nahm ihr Tablet in die Hand. „Okay“, sagte sie. „Ich gehe wie immer davon aus, dass wir bei null anfangen.“

„Klingt gut“, sagte Luke. „Jungs?“

„Alles gut“, stimmte Swann zu.

„Schieß los“, sagte Ed. Er lehnte sich zurück.

„Alles dreht sich um Israel und den Iran“, erklärte Trudy. „Das könnte eine lange Lektion werden.“

Luke zuckte mit den Schultern. „Der Flug ist lang genug“, sagte er.

* * *

„Israel ist noch jung. Das Land wurde erst 1948 gegründet“, sagte Trudy. „Aber die Idee eines israelischen Staates, oder auch Eretz Israel, das Land Kanaans, ist den Juden bereits seit biblischen Zeiten heilig, wahrscheinlich schon seit ungefähr zweitausend Jahren vor Christus. Die ersten schriftlichen Aufzeichnungen, die Israel als Standort erwähnen, wurden ins Jahr 1200 vor Christus datiert. Die entsprechende Gegend wurde seit der Antike von den Babyloniern, den Ägyptern, den Persern und einigen anderen immer wieder eingenommen, erobert und umkämpft. Doch trotz dieser ganzen Streitigkeiten haben die Juden durchgehalten.

„Im Jahr 63 vor Christus eroberte das Römische Kaiserreich die Region und machte aus ihr eine römische Provinz. Für fast zweihundert Jahre wurde sie zum Schauplatz gewalttätiger Auseinandersetzungen zwischen den Juden und den Römern, welche zu Zerstörung, Völkermord und ethnischer Säuberung von Minderheiten führte. Der letzte jüdische Aufstand gegen die Römer schlug im Jahre 132 nach Christus fehl und der Großteil der Juden wurde entweder umgebracht oder vertrieben – viele von ihnen flohen in das heutige Russland, nach Nordwesten nach Ost- oder Mitteleuropa, oder direkt nach Westen Richtung Marokko und Spanien. Manche flohen auch nach Osten nach Syrien, in den Irak oder in den Iran. Eine Handvoll sind sogar nach Afrika gegangen. Und manche sind in Israel geblieben.

„Mit der Zeit ging das Römische Kaiserreich unter und die Region wurde in der Mitte des siebten Jahrhunderts von den Arabern erobert, die erst kurz zuvor den Islam als Religion angenommen hatten. Trotz häufiger Angriffe durch christliche Kreuzritter blieb die Region die nächsten neunhundert Jahre über hauptsächlich unter der Herrschaft muslimischer Sultane. 1516 wurde sie erneut erobert, dieses Mal vom Ottomanischen Kaiserreich. Die Gegend, die wir heutzutage als Israel kennen, fand sich bereits im Jahre 1600 auf ottomanischen Karten als Palästina wieder. Als das Ottomanische Kaiserreich nach dem Ersten Weltkrieg unterging, geriet Palästina unter die Kontrolle der Engländer.“

„Was die Probleme verursachte, die noch heute dort herrschen“, fügte Ed hinzu.

Trudy nickte. „Allerdings. Im Laufe der Geschichte sind einige Juden dortgeblieben und über die Jahrhunderte hinweg gab es einige groß angelegte Versuche, Juden aus aller Welt zurück ins Heilige Land zu rufen. Im frühen zwanzigsten Jahrhundert nahmen diese Versuche erneut Fahrt auf. Die Machtergreifung durch die Nazis führte dazu, dass mehr und mehr Juden Europa verließen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Bevölkerung Palästinas zu einem Drittel jüdisch. Als der Krieg vorbei war, kamen viele Juden, Überlebende des Holocaust, aus ihren zerstörten Gemeinden in Europa zurück nach Palästina.

„Im Jahr 1948 wurde schließlich der Staat Israel gegründet. Das brachte eine Reihe an gewaltsamen Konflikten zwischen Muslimen und Juden ins Rollen, die noch bis heute andauern. Am Anfang sind Ägypten, Syrien, der Jordan und der Irak eingefallen, zusammen mit Kontingenten aus dem Jemen, Marokko, Saudi-Arabien und dem Sudan. Die Israelis verteidigten sich jedoch erfolgreich. Mindestens siebenhunderttausend Araber sind geflohen oder wurden durch israelische Truppen in die Gebiete verdrängt, die heutzutage als Palästinensische Autonomiegebiete bekannt sind – das Westjordanland und der Gazastreifen.“

„Seht mal, hier ist der Teil, den ich nicht verstehe“, sagte Ed Newsam. „1948 ist eine Ewigkeit her. Es gibt all diese Palästinenser, die im Gazastreifen und im Westjordanland festsitzen. Warum gibt man ihnen nicht einfach ihre Freiheit und lässt sie ihr eigenes Land gründen? Oder wenn das nicht geht, warum gibt man ihnen nicht einfach die Staatsbürgerschaft und integriert sie in Israel? So wie ich das sehe, würden beide Möglichkeiten diesen ganzen Konflikt beenden.“

„Das ist kompliziert“, sagte Swann.

„Kompliziert ist noch milde ausgedrückt“, sagte Trudy. „Eher unmöglich. Zum einen wurde Israel als jüdischer Staat gegründet – ein Heimatland für Juden aus aller Welt. Dieses Projekt wurde bereits vor mehr als zweitausend Jahren ausgerufen.

„Wenn Israel ein jüdischer Staat bleiben möchte, kann es nicht einfach alle Palästinenser als Einwohner annehmen. Das würde eine demografische Zeitbombe starten, eine, die eher früher als später hochgehen würde. Israel hat ein universelles Wahlrecht – jeder Bürger darf wählen. Es gibt ungefähr sechseinhalb Millionen Juden in Israel und ungefähr zwei Millionen israelische Araber, deren Großteil Muslime sind. Im Gazastreifen und im Westjordanland gibt es ungefähr viereinhalb Millionen Palästinenser.

„Wenn die Palästinenser nun israelische Staatsbürger werden würden, hätte man auf einmal eine Gesellschaft, die zur Hälfte aus Juden und zur Hälfte aus Muslimen besteht, mit einer geringen Minderheit an Christen und anderen Religionen. Mit einem Schlag wären die Juden nicht mehr in der Mehrzahl. Außerdem ist die Geburtenrate bei israelischen Arabern und Palästinensern statistisch gesehen höher als bei israelischen Juden. In nur ein paar Jahrzehnten hätten die Muslime eine klare und ständig wachsende Mehrheit. Würden sie tatsächlich dafür wählen, dass Israel das Heimatland der Juden bleibt?“

„Unwahrscheinlich“, sagte Swann.

„Dann sollen sie den Palästinensern doch ihre Freiheit geben“, sagte Ed. „Lasst sie einen Staat ausrufen. Lasst sie die Straßen öffnen, ihren Luftraum und ihre Hoheitsgewässer kontrollieren und lasst sie mit anderen Ländern handeln.“

Trudy schüttelte ihren Kopf. „Das ist auch unmöglich. Ich mache ja nur selten absolute Aussagen, aber ich habe diese Szenarien schon aus jedem möglichen Winkel betrachtet. Egal, wer während internationaler Verhandlungen irgendetwas anderes behauptet, egal, wie oft die Generalversammlung der Vereinten Nationen Erklärungen abgibt, ein Palästinensischer Staat rückt niemals wesentlich näher. Israel wird es niemals freiwillig zulassen. Allein die Idee ist für sie absurd. Das wäre Selbstmord.

„Israel existiert in einem Umfeld verzweifelter Streitigkeiten mit den Ländern, die sie umgeben. Ihr Überleben steht ständig auf dem Spiel. Sicherheit ist das oberste Gebot in der israelischen Gesellschaft und der Hauptfokus des Staates. Israel ist ohnehin schon ein winziges Land. Wenn es das Westjordanland nicht als Puffer gäbe oder es sogar zu einem eigenen Staat werden würde, würde sich die Situation sofort unglaublich verschärfen. Es wäre untragbar. Die Küstenregion von Zentralisrael ist ein winzig dünner Streifen Land. Vom Westjordanland bis zum Meer sind es nur zwischen 14 und 17 Kilometer. Diese Distanz kann man mit dem Fahrrad in unter einer Stunde zurücklegen.

„Der Großteil der Zivilbevölkerung, sowie die großen Industrie- und Technologiegebiete des Landes befinden sich dort. Um die Sache noch schlimmer zu machen, besteht das Westjordanland aus Hügeln, die die umliegenden Täler überblicken. An manchen Orten des Westjordanlands kann man leicht bis zum Mittelmeer schauen. Immer wenn Extremisten aus arabischen Ländern davon reden, die Israelis ins Meer zu treiben, sollte man daran denken, dass der Weg tatsächlich nicht allzu weit wäre.

„Die Palästinenser sind mit dem Iran verbündet und viele Palästinenser stehen Israels Existenz feindlich gegenüber. Sollte Palästina zu einem eigenen Staat werden, was würde den Iran davon abhalten, Panzer, Kampfflugzeuge, Raketenstartrampen und Truppen an der Grenze aufzustellen? Nicht nur an der Grenze, sondern in den Hügeln, die eine perfekte Sicht auf Israels Hoheitsgebiet bieten? Das wäre ein Alptraumszenario. Außerdem ist das Westjordanland eine wichtige Wasserquelle für die Küste Israels. Ein souveränes Palästina könnte das Wasser einfach abdrehen.

„Als wäre das noch nicht genug, lautet die allgemeine Vermutung, dass Israel über fünfzig bis achtzig Atombomben verfügt, auch wenn sie ihr Nukleararsenal nicht öffentlich darlegen. Die meisten von ihnen befinden sich auf dem Raketenstützpunkt Sdot Micha südöstlich von Tel Aviv. Andere befinden sich in der südlichen Wüste. Wieder andere – vielleicht zwanzig oder sogar dreißig Prozent – befinden sich in Untergrundsilos im Westjordanland östlich von Jerusalem. Es handelt sich um Bomben aus den 1970ern und den 1980ern, die sehr wahrscheinlich noch einsatzbereit sind.

„Die Kosten, der logistische Aufwand und der öffentliche Aufschrei würden es nahezu unmöglich machen, diese Silos zurück nach Israel zu verlegen und es steht einfach außer Frage, dass Israel den Palästinensern erlauben würde, diese Waffen zu verwalten. Wie ich schon sagte, Israel erkennt noch nicht einmal öffentlich an, dass diese Atomwaffen existieren.“

„Was ist also dein Fazit?“, fragte Luke.

„Israel steht einer existenziellen Krise gegenüber, egal wie es vorangeht. Wenn sie den Palästinensern die Staatsangehörigkeit anerkennen, würde das grundlegende Konzept von Israel als Staat zerstört werden. Wenn sie das Westjordanland als eigenständigen Staat Palästina akzeptieren, würde Israel in Grund und Boden gebombt. Also verfolgen sie einen dritten Ansatz, einen gefährlichen Ansatz, der allerdings wenigstens geringe Erfolgschancen verspricht. Den Ansatz niemals endender Spannungen und Konflikte mit den Palästinensern, der Hisbollah, dem Iran und allen, die daran teilhaben wollen. Das mag extrem, unausgeglichen und sehr emotional wirken, aber in Wahrheit handelt es sich um eine einfache, dickköpfige, aber rationale Entscheidung. Um jeden Preis technologische Überlegenheit entwickeln und behalten, die gesamte Bevölkerung als Militär mobilisieren und niemals die Deckung sinken lassen, nicht mal für eine Sekunde.“

„Das funktioniert allerdings nur bei technologischer Überlegenheit“, gab Swann zu bedenken. „Wenn der Feind einmal aufholt …“

„Ja“, sagte Trudy. „Dann gibt es große Probleme. Und es sieht so aus, als hätte der Iran jetzt tatsächlich aufgeholt.“

„Ist das so?“, fragte Luke. „Verfügen sie wirklich über Atomwaffen?“

Trudy blickte ihn an. „Ja. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ihre Behauptungen stimmen.“

* * *

Luke zog das Rollo herunter.

Er hatte hinaus in die Dunkelheit geblickt, bis er erkannt hatte, dass es irgendwann nichts mehr zu sehen gab außer sein eigenes, in Schatten getauchtes Gesicht.

Der Learjet flog Richtung Osten und wenn Luke hätte raten müssen, würde er sagen, dass sie sich über dem Nordatlantik befanden und Europa fast erreicht hatten – sie hatten bereits mehrere Stunden hinter sich, aber noch viele weitere vor sich. Es war ein weiter Weg.

Luke sah zu Trudy, die ihm gegenübersaß. Sie war die Einzige, die außer ihm noch wach war.

Hinter ihr hatte sich Swann auf zwei Sitzen ausgestreckt. Er war tief am Schlafen. In der Reihe hinter Swann tat es Ed Newsam ihm gleich. Ed war entspannt wie immer. Aber Luke machte sich Sorgen um Swann. Es war nicht seine Schuld – eine IS-Gefangenschaft würde jeden traumatisieren. Aber er hatte sich verändert. Er war nicht der gleiche witzige, sarkastische Idiot, der er einst gewesen war. Er war zurückhaltender, vorsichtiger. Er redete viel weniger. Oberflächlich schien das vielleicht wie eine gute Sache – er wirkte weise, oder reif. Aber Luke hatte die Vermutung, dass es eher mangelndes Selbstvertrauen war.

Swann hatte einiges mitmachen müssen. Wenn die Mission hart würde, wenn der Stress anfing, an ihm zu knabbern, würde es sich zeigen, wie gut er damit umgehen konnte.

Luke blickte erneut zu Trudy. Sie hatte bereits geschlafen, war jetzt aber wieder wach und starrte aus dem Fenster. Von hier aus konnte Luke nur ein blinkendes Licht auf dem Flugzeugflügel sehen.

„Ganz schön dunkel da draußen“, sagte er. „Ein großes, leeres Nichts.“

„Ja.“

„Was siehst du da?“

„Genau das. Nichts.“

Er schwieg einen Moment. Es war komisch, wieder hier mit ihr zu sein. Vermutlich würde es immer ein wenig merkwürdig zwischen ihnen bleiben. Er wollte nicht über ihre gemeinsame Vergangenheit reden, nicht jetzt, wo Swann und Ed hier waren. Swann und Ed ging die Sache nichts an und außerdem wollte er sie nicht aufwecken.

„Ich erinnere mich an den letzten langen Flug, den wir zusammen hatten“, sagte Luke.

Sie nickte. „Ich auch. Korea. Ihr hattet mich gerade aus dem Gefängnis befreit. Das war eine verrückte Zeit. Ich habe gedacht, mein Leben wäre vorbei. Ich hatte ja keine Ahnung, dass das erst der Anfang war.“

„Wie war deine Zeit auf der Flucht so?“

Sie zuckte mit den Schultern. Sie schien ihn nicht ansehen zu wollen. „Ich würde es nicht noch mal machen wollen. Aber insgesamt war es gar nicht so schlimm. Ich habe viel dazugelernt. Ich habe gelernt, nicht zu sehr an einer Identität zu hängen. Trudy Wellington, wer ist das schon? Nur eine von hunderten. Ich habe mein Haar blond gefärbt, so wie du vorgeschlagen hattest. Danach hatte ich schwarze Haare. Einmal habe ich mir sogar eine Glatze rasiert.

„Wusstest du, dass ich eine Zeit lang bei linken Protestanten in Spanien war? Ehrlich. Ich habe auf der Schule Spanisch gelernt und Spanien schien wie ein sicherer Ort, um dort unterzutauchen. Niemand hatte auch nur die geringste Ahnung, wer ich bin. Sie haben mich als Notfallsanitäter ausgebildet, also habe ich mitgemacht. Viele Menschen werden auf diesen Protesten verletzt – normalerweise Kleinigkeiten, aber Krankenwagen haben es schwer, bis zu ihnen vorzudringen. Ich war mitten drin in der Action. Hab ganz schön viele gebrochene Knochen und kaputte Schädel gesehen. Ich musste die ganze Zeit an Ed denken, während ich da war – ich hatte schon immer riesigen Respekt vor seinem medizinischen Wissen. Jetzt noch umso mehr.“

Jetzt drehte sie sich zu Luke um. „Ich habe einiges über mich selbst gelernt.“

„Zum Beispiel?“, fragte Luke.

Sie lächelte. „Ich habe gelernt, dass ich ältere Männer nicht nötig habe. Was hatte ich mir nur erhofft, Schutz? Bestätigung? Ich war ein dummes, kleines Mädchen. In den letzten Jahren habe ich mich an Männer in meinem Alter gehalten, oder sogar an jüngere, zur Abwechslung. Ich habe festgestellt, dass ich Männer bevorzuge, die nicht versuchen, mich zu bevormunden.“

Autsch. Luke musste lächeln, war aber auch sprachlos.

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Yaş sınırı:
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Litres'teki yayın tarihi:
04 ocak 2021
Hacim:
331 s. 3 illüstrasyon
ISBN:
9781094342863
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