Kitabı oku: «Die deutschen Auswanderer», sayfa 2

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Zum Abschluss der Darstellung der jahrhundertelangen Geschichte der deutschen Kolonisten werden Gründe dafür angeführt, dass sämtliche Aspekte der Vergangenheit nicht verschwiegen, sondern off en und kritisch diskutiert werden sollten. Das Eingeständnis der stattgefundenen Verbrechen stellt die alleinige Voraussetzung für eine neue und blühende Zukunft der heutigen Generationen in den Ländern dar, in denen einst eine ethnische deutsche Minderheit lebte.

Es bleibt festzuhalten, dass die Zeit der deutschen Kolonisten in Europa unwiederbringlich der Vergangenheit angehört und dass das Fenster der Geschichte dieser einzigartigen Erscheinung geschlossen ist. Die heutige neue historische und ökonomische Realität schließt einen ernsthaften Anspruch eines so bedeutenden Teiles der deutschen Bevölkerung, in die ihm noch immer am Herzen liegenden Länder zurückkehren zu wollen, quasi aus. Die Nachkommen der ehemaligen deutschen Kolonisten, die der deutschen Ethnie Ost-, Zentral- und Südosteuropas angehörten, sind nach langer Wanderschaft in ihre historische Heimat zurückgekehrt und wiederholen nun nicht mehr das tragische Schicksal ihrer Vorfahren, die sich einst auf der Suche nach freien Ländereien und einem besseren Los in fremde, weit entfernte Länder aufgemacht hatten.

Abschließend bleibt zu betonen, dass beim Verfassen des Buches einzigartige Archivmaterialien und statistische Daten in erheblichem Umfang zum Einsatz kamen. Deren Auswertung wird in 17 Originaltabellen präsentiert. Es wurden zahlreiche historische Quellen, Bücher und Artikel unterschiedlichen Erscheinungsdatums studiert, die teilweise im 289 Quellen umfassenden Literaturverzeichnis aufgeführt sind. Das Buch enthält fünf Zeichnungen als Illustration, die vom Autor anhand kartografischer Materialien und literarischer Quellen aus dem 18. und 19. Jahrhundert erstellt wurden. Diese dienen einem besseren Verständnis der von den deutschen Kolonisten eingeschlagenen Wege und ihrer kompakten Wohngebiete.

Möge der Leser bei der Beschreitung des Pfades der einzigartigen Geschichte der deutschen Kolonisten, die immenses Risiko, erstaunliche Kühnheit, harte Arbeit, verdiente Erfolgserlebnisse und tragische Ereignisse bereithält, für sich viele neue und interessante Informationen entdecken.

Jakob Maul

Kapitel 1.

Migrationsprozesse in Europa

und Deutschland im 18. Jahrhundert

1.1. Entstehung von Migrationstraditionen

Das Europa des 18. Jahrhunderts, so seltsam dies von unserem heutigen Standpunkt aus auch erscheinen mag, war relativ mobil und verfügte über ein stabiles Migrationssystem mit festen Migrationstraditionen. Auf seinem Territorium legten Migrantengruppen jedweder Art große Entfernungen zurück: Bauarbeiter und Schreiner, Architekten, landwirtschaftliche Arbeitskräfte, Künstler und umherziehende Schauspieler, die allesamt auf der Suche nach einer saisonalen oder festen Arbeit waren. Die Menschen verließen Regionen mit schnell wachsender und überschüssiger Bevölkerung, die von Dürre und jahrelangen Missernten geplagt waren, und zogen an Orte innerhalb und außerhalb des Landes, die in dieser Hinsicht angenehmere Bedingungen versprachen.

Genaue statistische Angaben über die Migrationsprozesse und sonstigen Prozesse, die Mitte des 18. Jahrhunderts abliefen, liegen uns heute nicht vor. Dieser Umstand lässt uns keine andere Möglichkeit, als uns auf veröffentlichte historische Auswertungen aus jener Zeit zu stützen. So führt Klaus J. Bade in seinem Buch „Europa in Bewegung“ Daten des Historikers J. Lucassen an, der die Befragungsbögen von ins Land einreisenden Migranten analysierte, die noch von Präfekten aus der Zeit Napoleons für den französischen Innenminister Graf de Montalivet ausgefüllt worden waren. Diese gehen zum Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts von etwa 20 Migrationssystemen in Europa aus, wovon sieben große Systeme darstellten, in denen jedes Jahr mehr als 300.000 Menschen 250 bis 300 Kilometer auf der Suche nach Arbeit zurücklegten und dabei zum Teil auch die Grenzen ihrer Staaten überquerten.1

Identische Migrationsströme fanden auch zwischen Händlern aller Art statt, die ständig oder nur in der landwirtschaftlichen Zwischensaison große Entfernungen zurücklegten, welche sie auf der Suche nach Absatzmöglichkeiten für ihre Waren und Dienstleistungen nicht selten auch in naheliegende Länder führten. Die Einwohner der deutschen Fürstentümer waren die wesentlichen Beteiligten an diesen Migrationsströmen. Besonders aktiv begannen diese sich gegen Mitte des 19. Jahrhunderts während der europäischen Transformation von einer Agrargesellschaft zu einer Industriegesellschaft und des schnellen Wachstums der kapitalistischen Wirtschaft zu entwickeln. So entstanden in Frankreich und insbesondere in Paris sogenannte „subproletarische“ deutsche Kolonien mit einer Bevölkerung von über 100.000 Menschen. Mit einem solchen Terminus wurde eine bestimmte Gruppe von Menschen bezeichnet, die weder über Grundbesitz noch über sonstiges Vermögen verfügten und in schlimmen sozialen und ökonomischen Verhältnissen lebten. Zu dieser Gruppe gehörte in der Regel die aus fremden Staaten zugewanderte Bevölkerung.

Der ständig wachsende Bedarf an Arbeitskräften für die sich rasch entwickelnden industriellen Zentren führte zu einer massenweisen Migration der Bevölkerung, welche sich aus ländlich geprägten Gebieten in die Städte und aus den Agrarstaaten in Staaten mit einer sich entwickelnden Industrie vollzog. Die Migration aus Ländern mit begrenzten Bodenressourcen und sehr hoher ländlicher Bevölkerung in wenig dicht besiedelte Länder, die über zu erschließende freie Ländereien verfügten, stach dabei besonders hervor. In dieser Zeit kam es zu einem wesentlichen Anstieg der Bevölkerung in Europa, die laut den Einschätzungen von Historikern und Demografen im 15. Jahrhundert etwa 80 bis 85 Millionen, im 16. Jahrhundert 100 bis 110 Millionen, im 17. Jahrhundert 110 bis 120 Millionen und im 18. Jahrhundert bereits 190 Millionen betrug. Anders verliefen diese Prozesse in Deutschland, welches im düsteren 17. Jahrhundert aufgrund von Klimaverschlechterungen, Hungersnot, Epidemien und infolge des Dreißigjährigen (1618 – 1648) und des Neunjährigen Krieges (1688 – 1697) durchschnittlich ein Drittel, in einzelnen Regionen gar bis zu zwei Drittel seiner Bevölkerung verloren hatte. Danach begann wie auch in Europa insgesamt der Prozess der landesweiten Restauration und des beschleunigten Bevölkerungswachstums. So erreichte die Gesamteinwohnerzahl innerhalb der Grenzen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation gegen Mitte des 18. Jahrhunderts wieder das Niveau aus der Anfangszeit des 17. Jahrhunderts, stieg weiterhin an und betrug 1700 21 Millionen, 1750 23 Millionen, 1790 25 Millionen und 1816 29,6 Millionen Menschen.3

Der Bevölkerungsanstieg in Deutschland wie auch in den Ländern Europas insgesamt geht auf eine sinkende Anzahl zerstörerischer Kriege und Massenepidemien, eine sinkende Kindersterblichkeit und auf eine Verbesserung der Ernährung und der hygienischen Bedingungen im Alltag der Bevölkerung zurück. Nachdem das Heilige Römische Reich 1806 zerfallen und 1815 der Deutsche Bund unabhängiger deutscher Staaten und freier Städte entstanden war, begann die zweite Phase des Bevölkerungsanstiegs, welcher sich ständig beschleunigte und in den letzten Dekaden des 19. Jahrhunderts die Form einer demografischen Explosion annahm. Der bundesweite Bevölkerungsanstieg vollzog sich ungleichmäßig und hing von den Besonderheiten der Entwicklung des zum Bund gehörenden Österreichischen Kaiserreichs, seiner Königreiche (Preußen, Bayern, Württemberg, Sachsen, Hannover), zahlreicher Herzog- und Fürstentümer und von vier Städten (Frankfurt, Hamburg, Bremen und Lübeck) ab, die den Status von Stadtstaaten erhalten hatten. Die unterschiedlichen Entwicklungsvoraussetzungen und Geschwindigkeiten des Bevölkerungsanstiegs innerhalb des Bundes hatten eine bedeutende innere Migration und den Umzug großer Bevölkerungsmassen aus übervölkerten Orten in Gebiete mit geringerer Bevölkerungsdichte zur Folge.

Wie wir also sehen, hatten sich im 18. und 19. Jahrhundert in Deutschland und einer Reihe weiterer europäischer Staaten Bedingungen herausgebildet, bei denen ein wesentlicher Teil der Bevölkerung aktiv an verschiedenen Formen der inneren Migrationsprozesse beteiligt und somit bereits auf die Emigration in ferne unbekannte Länder vorbereitet war.

1.2. Populationskonzept und Kolonisationspolitik Preußens

Bereits in der Mitte des 17. und im darauffolgenden 18. Jahrhundertkam es zur Entwicklung und breiten Anerkennung der Bevölkerungstheorie, welche die Umsetzung einer Peuplierungspolitik vorsah. Ihr Wesen bestand in demografischen Maßnahmen, die auf die Besiedlung öder oder kaum besiedelter Gebiete durch Anwerben fremder Staatsangehöriger abzielte, denen verschiedene Privilegien und Freiheit versprochen wurden. Dabei ging man von der Annahme aus, die Umsetzung einer solchen Politik würde zum Bevölkerungswachstum, einer Verbesserung des Lebensstandards der gesamten Bevölkerung, erhöhten Steuereinnahmen und einer ökonomischen Entwicklung des gesamten Staates führen. Die Populationskonzepte waren sowohl unter Wissenschaftlern als auch unter Schriftstellern der damaligen Zeit weit verbreitet und bildeten später auch die Grundlage der realen Bevölkerungspolitik vieler Monarchen europäischer Staaten. Dies hatte in vielerlei Hinsicht mit den großen Bevölkerungsverlusten im Zuge zahlreicher europäischer Kriege zu tun, die mit religiöser Verfolgung, Hungersnöten, Epidemien und auch mit der Unterdrückung und unmenschlichen Lebensbedingungen des einfachen Volkes einhergingen.

Nicht zufällig führt die Mehrheit der Forscher Preußen und seinen König Friedrich II. (den Großen, 1712-1786) als Beispiel an, wenn es um die Peuplierungspolitik geht. Gerade in Preußen wurden die Konzepte dieser Theorie, deren praktische Umsetzung bereits früher und lange vor der Herrschaft Friedrichs II. begonnen hatte, vollständig und in riesigem Umfang umgesetzt. Die erste große Kolonisation Ostpreußens hatte sich bereits vor 1300 vollzogen, als der auf diesem Gebiet wohnende baltische Volksstamm der Preußen durch die Ritter des Deutschen Ordens assimiliert wurde. Diese warben dafür aktiv Deutsche, Skandinavier und Schweizer an und schritten auch nicht gegen die Übersiedlung von Franzosen, Polen, Russen, Tschechen und Litauern auf ihre Ländereien ein.

Nach den Bevölkerungsverlusten, die die Kriege des 15. Jahrhunderts verursacht hatten, wurde die Übersiedlung dieser Völker bereits stimuliert, und man ließ selbst die Ansiedlung von Flüchtlingen zu, die nie zuvor an die sie verfolgenden Staaten ausgeliefert worden waren. So kam es im Laufe der Jahrhunderte zur Bildung eines neuen Volkes, das nicht der Abstammung nach deutsch war, sondern durch die freiwillige Annahme des Glaubens, der Sprache, der Erziehung und der anerkannten Herrschaft. Die Rechte und Freiheiten dieses Volkes im Deutschen Ordensstaat waren zu jener Zeit beispiellos und nirgendwo sonst anzutreffen. Nach der Auflösung des Deutschen Ordens wurde Ostpreußen 1525 zum Zentrum des entstandenen Königreichs Preußen, welches sich durch eine gemischte Bevölkerung, freie Glaubensausübung und Toleranz gegenüber seinen Bewohnern, zu denen Protestanten, Katholiken, Calvinisten, Hussiten und Hugenotten zählten, von anderen Staaten unterschied. Diese Toleranz wurde später auch auf die Juden ausgeweitet. Preußen war damals progressiver und toleranter als sämtliche anderen bekannten Staaten. Mit Beginn des 18. Jahrhunderts nimmt die bis dahin weitgehend spontane Kolonisation planmäßigen Charakter an und wird zur grundlegenden Bevölkerungspolitik des preußischen Staates. Der Anfang einer solch planmäßigen Stimulierung der Immigration ist eng mit dem Namen des Urgroßvaters Friedrichs II., dem großen preußischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm (1620-1688) verknüpft. Als Antwort auf den Erlass des französischen Königs Ludwig XIV. vom 18. Oktober 1685, welcher die Reformationskirche verbot und das Edikt von Nantes abschaffte, nach welchem die Hugenotten (Calvinisten) das Recht auf freie Religionsausübung hatten, veröffentlicht Friedrich Wilhelm genau 11 Tage später (am 29. Oktober 1685) sein Edikt von Potsdam. Er nutzt den Moment, um seine Glaubensbrüder, die in Frankreich wegen ihres Glaubens verfolgt werden, zur Übersiedlung nach Brandenburg einzuladen und gewährt ihnen umfangreiche Privilegien wie freie Glaubensausübung, das Recht auf freie Standortwahl, die Befreiung von Steuern und Zöllen, die Zuteilung von Ländereien und Baumaterialien, Subventionen für Unternehmen, die Bezahlung der Pastoren durch das Fürstentum u. a.

Dadurch gelang es Friedrich Wilhelm, der im Unterschied zur mehrheitlich protestantischen Bevölkerung Brandenburgs Calvinist war, nicht weniger als 20.000 französische Hugenotten zur Übersiedlung nach Brandenburg zu bewegen. Von diesen siedelten sich etwa 6.000 in Berlin an. Die neuen Siedler trugen wesentlich zur Belebung der brandenburgisch-preußischen Wirtschaft bei, da viele von ihnen Wissenschaftler, Lehrer, Bankkaufleute, Händler oder Handwerker waren und die Elite der Gesellschaft bildeten. Es kam zur Öffnung von Handelshäusern, neuen Fabriken und Gewerben und zur Entwicklung zahlreicher Strömungen in Kunst und Bildung. Das Vorgehen Friedrich Wilhelms hatte positiven Einfluss auf das Bevölkerungswachstum und führte zu einer Stärkung der staatlichen Wirtschaft.

Nach seinem Tod wird sein Sohn Friedrich III. (11.7.1657 — 25.2.1713) Kurfürst von Brandenburg. Dieser krönte sich 1701 selbst zum preußischen König und setzte die Politik der Immigration ins Land fort, wobei vor allem Hugenotten aus Frankreich und Calvinisten aus der Schweiz ins Land einreisten, die zu großen Teilen hochqualifi- zierte Handwerker waren. Während seiner Herrschaft wütete von 1709 bis 1711 eine Choleraepidemie, der 200.000 Menschen oder fast ein Drittel der Gesamtbevölkerung Preußens zum Opfer fielen. Die in diesem Zusammenhang gesunkenen Steuereinnahmen und die maßlosen Ausgaben für den Unterhalt des königlichen Hofes führten dazu, dass die Staatsschulden nach dem Tod Friedrichs III. 20 Millionen Taler betrugen, was einem Zehntel der Gesamteinkünfte entsprach.4

Sein Sohn, der neue König Friedrich Wilhelm I. (14.8.1688 – 31.5.1740), in der Geschichte als „Soldatenkönig“ bekannt, begann seine Amtsgeschäfte mit Einsparungen und Kürzungen der Ausgaben für den Unterhalt des Hofes und einer starken Erhöhung der Aufwendungen für die Armee, welche nun ein Fünftel der gesamten Staatseinnahmen ausmachten.

In seiner Rolle als Asket zog er das Schlachtfeld und die Soldatenpritsche den königlichen Annehmlichkeiten vor und widmete all seine Gedanken und Taten der Stärkung der Armee, der Schaffung einer entsprechenden Finanzierungs- und Versorgungslogistik und ihrer zahlenmäßigen Vergrößerung. Dafür war er auf ein Wachstum der Bevölkerung, welche nach den Choleraepidemien zurückgegangen war, angewiesen. Er führt eine ganze Reihe wichtiger Reformen durch, welche auf eine aktive Peuplierungspolitik abzielen, sieht in den Menschen den größten Reichtum des Staates und siedelt in Ostpreußen zwischen 17.000 und 20.000 Protestanten aus Salzburg an, die aus religiösen Motiven zum Verlassen ihres Landes gezwungen waren. Nachdem Friedrich Wilhelm am 2. Februar 1732 die unter dem Namen „Preußisches Einladungspatent“ bekannte Einladung verkündet hatte, kamen die Protestanten vor dem Ende des Jahres 1733 auf dem Wasser- und dem Landweg in Königsberg an. Beachtung verdient auch die von ihm durchgeführte Austrocknung von Sumpfgebieten im Jahre 1732, auf denen er anschließend ein Zentrum zur Aufzucht und Vergrößerung einer Herde verschiedener Dragonerpferderassen schuf, und daneben die Einladung und Ansiedlung protestantischer Flüchtlinge aus Salzburg in der Nähe von Berlin.

Eine derart aktive Peuplierungspolitik ermöglichte es Friedrich Wilhelm I., seinem Sohn Friedrich II. ein blühendes Ostpreußen zu hinterlassen, welches erneut eine Bevölkerung von etwa 600.000 Menschen zahlreicher Nationalitäten hatte, die zu einem Viertel aus Emigranten bestand.4 Auch der Staatshaushalt war wieder gefüllt und die vom Vater hinterlassenen Schulden beglichen. Die Armee wurde hinter dem Russland, Österreichs und Frankreichs zur viertgrößten in Europa, wobei Preußen hinsichtlich seiner Fläche den 10. und hinsichtlich seiner Einwohnerzahl lediglich den 13. Platz belegte.5

Ihren höchsten Entwicklungsstand erreichte die Peuplierungspolitik in Preußen allerdings zur Regierungszeit Friedrichs II. (des Großen), der die Amtshandlungen seiner Vorgänger nicht nur fortsetzte, sondern auch auf andere Bereiche ausweitete und ihre grundlegenden Annahmen und ihre Anwendungspraxis weiterentwickelte. Seine Erfolge auf diesem Gebiet versuchten viele andere europäische Länder zu kopieren. Im Bemühen, möglichst viele ausländische Staatsbürger in seinen Staat zu locken, hielt er nicht nur an den von seinen Vorgängern gewährten Privilegien und Vergünstigungen für Kolonisten fest, sondern weitete sie auch auf andere Bereiche aus. Der Staat befreite die Kolonisten über drei Generationen hinweg vom Kriegsdienst und übernahm die Kosten für die Umsiedlung, die Bodenmelioration, den Hausbau, die Holzzuteilung usw. Er senkte die Steuern und weitere für die Übersiedler anfallende Zahlungen deutlich. Diese hatten nur ein Zehntel der gewöhnlichen Summe zu erbringen, die von der ansässigen Bevölkerung bezahlt werden musste. Allein zur Regierungszeit Friedrichs II. wurden etwa 25 Millionen Taler für die Kolonisation ausgegeben, was durchschnittlich zwischen 400 und 600 Talern pro Familie entsprach.6

Einen äußerst wichtigen Faktor für die Attraktivität seiner Peuplierungspolitik stellte die von ihm verkündete und für jene Zeit einzigartige Glaubenstoleranz dar, die von ihm verteidigt und materiell unterstützt wurde. Dies hatte mit der religiösen Intoleranz in vielen Ländern zu tun, welche deren Staatsbürger zur Emigration veranlasste, aber auch mit der Notwendigkeit, diese Staatsbürger im Rahmen der Integration in den durch ihn eroberten neuen Gebieten Schlesiens und Polens zu verteidigen, deren Bevölkerung größtenteils katholischen Glaubens war. Friedrich II. kontrollierte häufig persönlich, ob die wesentlichen Vorschriften und Projekte der preußischen Politik des Bevölkerungswachstums bestimmungsgemäß umgesetzt wurden. Er bemühte sich um die Entwicklung neuer oder schwach entwickelter Industriezweige im Land und forderte von seinen Beamten nicht einfach eine wachsende Anzahl von Immigranten, sondern Kolonisten, die über Wissen und Erfahrung in bestimmten Tätigkeitsbereichen verfügten und zur Entwicklung progressiver landwirtschaftlicher Anbaumethoden und der Industrie beitragen konnten. Zur Entwicklung der Milchwirtschaft wurden Kolonisten aus Holland eingeladen, Kolonisten aus der Pfalz für den Gartenbau und den Obstanbau, Kolonisten aus Württemberg für den Getreideanbau, Spinner und Weber wurden in Sachsen und Thüringen angeworben. Die ankommenden Übersiedler mussten auf freie Ländereien verteilt werden, wobei nicht nur öde und wenig besiedelte Landstriche zum Einsatz kamen, sondern auch Gebiete, die bereits durch Meliorationsmaßnahmen für die landwirtschaftliche Nutzung erschlossen worden waren. Eine wichtige Besonderheit der Peuplierungspolitik Friedrichs II. stellten zahlreiche Agrarprojekte dar, die die landwirtschaftliche Erschließung zuvor ungeeigneter Ländereien ermöglichten.

Das in diesem Rahmen größte Projekt war die Austrocknung von Sumpfgebieten im Oderbruch. Die Arbeiten daran stellten die zu jener Zeit größten und technisch erfolgreichsten Meliorationsmaßnahmen in Europa dar. Mit der Austrocknung der Sümpfe hatte bereits sein Vater Friedrich Wilhelm I. begonnen. Diesem war es gelungen, einen Teil der Ländereien auszutrocknen und sie für die Versorgung seiner Kavallerie mit Nahrungsmitteln nutzbar zu machen. Allerdings wurden diese Ländereien im Frühjahr ständig überschwemmt, und die schwierigen und kostspieligen Arbeitsmaßnahmen erlaubten es ihm nicht, diese zum Abschluss zu bringen. Friedrich II. war sich dessen bewusst und beauftragte 1740 den anerkannten Spezialisten Simon Leonard von Haerlem damit, eine neue Expertise durchzuführen und ein Konzept zur Trockenlegung der Sumpfgebiete an der Oder auszuarbeiten. 1747 wurde mit den von ihm geplanten Arbeitsmaßnahmen begonnen. Sie sahen die Absperrung zahlreicher Arme der Oder, die Errichtung von Dämmen und den Bau eines neuen Kanals vor, welcher das Flussbett verkürzen und die Fließgeschwindigkeit des Flusses erhöhen sollte. Dies ermöglichte die Austrocknung der entlang der Oder überschwemmten Ländereien. Trotz zahlreicher Verzögerungen, die u. a. auf den Widerstand der ansässigen Bevölkerung zurückzuführen waren, wurden die Projektarbeiten 1753 abgeschlossen. Die Umsetzung dieses Projektes ermöglichte die Trockenlegung von etwa 69.000 Hektar Sumpfgebiet, auf dem sich ungefähr 7.000 Kolonisten in 50 neu entstandenen Siedlungen niederließen.

Die Worte Friedrichs II., die er nach Abschluss dieses Projektes von sich gab, sind weit bekannt und wurden vielfach zitiert: „Hier habe ich im Frieden eine Provinz erobert“. Auf sämtlichen Ländereien, die im Zuge der Umsetzung zahlreicher Meliorationsmaßnahmen für die Landwirtschaft nutzbar gemacht worden waren, wurden angeworbene Übersiedler aus Polen, Sachsen, Mecklenburg, Thüringen, der Pfalz, aus Anhalt, Österreich und anderen Ländern angesiedelt. Während der Regierungszeit Friedrichs des Großen von 1740 bis 1786 wurden etwa 100.000 Hektar Sumpfgebiete und ungenutzte Ländereien erschlossen.7 In dieser Zeit kamen ungefähr 284.000 Übersiedler in Preußen an, von denen sich 208.600 in Dörfern und 75.000 in Städten niederließen. Sie machten 7,5 % der Gesamtbevölkerung Preußens aus, welche 1740 2,24 Millionen, und 1786 6 Millionen betrug.8Insgesamt siedelten von 1640 bis zum Ende der Regierungszeit Friedrichs II. mehr als 500.000 Kolonisten nach Preußen über und machten damals ein Zehntel der Bevölkerung aus. 9

Die Peuplierungspolitik Friedrichs II. beschränkte sich nicht auf Maßnahmen, die dem Bevölkerungswachstum dienten, sondern schloss auch ein System von Gesetzgebungsakten und entsprechenden Reformen im Bereich der Medizin, Bildung, Hygiene, Wirtschaft und Sozialpolitik ein, die zu jener Zeit überaus progressiv waren. Auf Friedrich den Großen folgte sein Neff e Friedrich Wilhelm II. (1744 –1797) als preußischer König. Dieser war für eine passive Peuplierungspolitik verantwortlich, die sich auf die Sicherung der zuvor von seinen Vorgängern erreichten Ergebnisse beschränkte. Allerdings wurden bereits während der Regierungszeit des darauffolgenden Königs Friedrich Wilhelm III. (1770 – 1840) erneute Anstrengungen zur Verlängerung der Kolonisationspolitik in Preußen unternommen, insbesondere in seinen südlichen Provinzen. Somit dauerte die aktive Peuplierungspolitik Preußens, die schon 1685 mit der Verkündung des Potsdamer Edikts durch den Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm begonnen hatte, ungefähr 150 Jahre lang, erstreckte sich über das 17., 18. und 19. Jahrhundert und endete mit der auf den deutschen Staatsgebieten einsetzenden Industrialisierung.

Dem Beispiel Preußens folgten im 18. Jahrhundert andere Länder Ost- und Südosteuropas, die ebenfalls mit der Durchführung einer aktiven demografischen Peuplierungspolitik begannen und damit ihre Bevölkerung durch fremde Staatsbürger zu vergrößern versuchten.

1.3. Wesentliche Strömungen der

Migration ins Ausland

An dieser Stelle beginnen wir mit der Untersuchung der wesentlichen Strömungen der Massenemigration deutscher Kolonisten und der ausschlaggebenden Motive, die eine derart schicksalsträchtige und riskante Entscheidung hunderttausender Menschen zur Folge hatten. Eine Entscheidung, die nicht nur für die ersten Übersiedler, sondern auch für deren Nachkommen in folgenden Generationen alles von Grund auf änderte. Die Bewohner der deutschen Ländereien begannen bereits im 17. Jahrhundert, ihre Heimat auf der Suche nach einem besseren Leben zu verlassen, ihre massenweise Emigration nimmt jedoch im 18. Jahrhundert ihren Anfang. In diesem stellen Südost- und Osteuropa bis zum Beginn des darauffolgenden Jahrhunderts die hauptsächlichen Auswanderungsziele dar, die nordamerikanische Strömung steht an zweiter Stelle. Zu jener Zeit waren hauptsächlich Ungarn und Russland Ziel der deutschen Kolonisten. Historiker gehen davon aus, dass sich zwischen 400.000 und 500.000 Menschen in dieser Richtung auf den Weg machten, während 100.000 deutsche Übersiedler die nordamerikanischen Länder als Emigrationsziel wählten.10

Mit Beginn des 19. Jahrhunderts ändert sich das Bild abrupt, denn von nun an dominiert die Emigration in jenseits des Ozeans gelegene Länder und insbesondere in die USA, welche in dieser Hinsicht weit vor Kanada lagen. Das Ausmaß der europäischen Emigration in Länder jenseits des Ozeans ruft Erstaunen hervor. Experteneinschätzungen zufolge kehrten in hundert Jahren massenweiser Emigration von 1824 bis 1924 etwa 52 Millionen Menschen Europa den Rücken. Von diesen ließen sich 37 Millionen in Nordamerika, elf Millionen in Südamerika und 3,5 Millionen in Australien und Neuseeland nieder.11

Die Auswanderer aus Deutschland waren Teil dieser europäischen Massenemigration. Bis 1820 waren etwa 150.000 Deutsche in Amerika gelandet, danach stieg ihre Anzahl sprunghaft an und von 1850 bis 1890 stellten die deutschen Emigranten bereits die größte nationale Gruppe der gesamten europäischen Emigration nach Amerika dar. Insgesamt machten sich im Zeitraum von 1820 bis 1928 5,9 Millionen deutsche Bürger auf den Weg ans jenseitige Ozeanufer. Von diesen ließen sich 89,8 % oder 5,3 Millionen in den USA, 200.000 in Brasilien, 145.000 in Kanada und 120.000 in Argentinien nieder.12

Die Historiker, die die deutsche Migration in Länder jenseits des Ozeans untersuchen, unterteilen diese in mehrere zeitlichen Phasen. Der Meinung der einen zufolge gab es zwei solcher Phasen, wobei die erste vom Anfang bis zum letzten Viertel des 18. Jahrhunderts dauerte und die zweite das gesamte 19. Jahrhundert und den Anfang des 20. Jahrhunderts bis zum Ende des Ersten Weltkriegs umfasst. Andere vertreten die Ansicht, die erste Phase habe zu Beginn des 17. Jahrhunderts begonnen, und fügen noch eine dritte Phase hinzu, die vom Ausbruch des Ersten Weltkrieges bis in die Gegenwart dauert.

Wie dem auch sei, die deutsche Emigration in jenseits des Ozeans gelegene Länder dauerte etwa zwei Jahrhunderte und vollzog sich in Wellen. In bestimmten Zeiträumen kam sie zum Erliegen, danach nahm sie wieder an Fahrt auf und spiegelte die mannigfaltigen sozialen, ökonomischen, politischen, natürlichen und sonstigen Probleme des deutschen Staates und seiner Gesellschaft wider.

In den folgenden Kapiteln des vorliegenden Buches werden die wesentlichen Strömungen der Emigration deutscher Kolonisten ins Ausland detaillierter behandelt.

Kapitel 2.

Massenemigration nach Südosteuropa

2.1. Transsilvaniendeutsche

Die ersten deutschen Siedlungen in Ungarn und dem Karpatenbecken entstanden bereits im 9. Jahrhundert zur Zeit Karls des Großen. Diese Zeit wird allgemein als erste Epoche der deutschen Ostsiedlung bezeichnet. Die zweite Epoche erstreckt sich vom 11. bis ins 14. Jahrhundert. Die dritte Epoche der deutschen Übersiedlung nach Südosten vollzog sich im 17. und 18. Jahrhundert und ist unter der Bezeichnung „Große Schwabenzüge“ bekannt. Dabei sollte man nicht vergessen, dass hier vom historischen Ungarn die Rede ist, von welchem viele Regionen mit deutscher Besiedlung später an Österreich, Rumänien, Tschechien, die Slowakei und die Länder des früheren Jugoslawiens fielen. Vorab soll an dieser Stelle betont werden, dass die kompakten Wohngebiete der deutschen Übersiedler in historischer Hinsicht mehrfach von einem Staat an einen anderen fielen. Die im 9. Jahrhundert in Ungarn entstandenen ersten deutschen Siedlungen wurden zu Beginn des 10. Jahrhunderts durch Angriffe der Maritser und der Ungarn zerstört. Nachdem Fürst Stephan im Jahr 1000 den katholischen Glauben angenommen und den magyarischen Stammesbund in den ungarischen Staat verwandelt hatte, änderte sich die Einstellung gegenüber der Übersiedlung deutscher Staatsbürger, und man nahm diese mit offenen Armen auf. Erneut siedelten sich Ritter, Geistliche, Mönche und Bauern in großer Zahl als Gäste im Karpatenbecken an und spielten eine wichtige Rolle für die Entwicklung des Christentums in Ungarn und für die Entstehung und Entwicklung des militärischen, politischen, kirchlichen und ökonomischen Umfelds des Landes.

Insbesondere die in großer Zahl stattfindende Übersiedlung der Deutschen, die die Bezeichnung „Transsilvaner Sachsen“ erhielten, nahm mit dem Aufruf des ungarischen Königs Geisa II. (1141 — 1161) zu Beginn des 12. Jahrhunderts ihren Anfang. Dieser rief die Deutschen dazu auf, sich niederzulassen, die öden Landstriche zu erschließen und ihre Grenzen gegen äußere Feinde zu verteidigen. Dabei setzte er große Hoffnungen auf die Kenntnisse der Übersiedler und ihre führende und effiziente Vorgehensweise im Handwerk, der Bodenbearbeitung und im Ackerbau, was letzten Endes zu höheren Steuereinnahmen führen musste. So kommt es gegen Mitte des 12. Jahrhunderts im Zuge der Ansiedlung der Transsilvaner Sachsen und der Zipser Sachsen in Ungarn zur Entstehung zweier großer und geschlossener deutscher Siedlungsgebiete, die die Bezeichnungen „Transsilvanien“ und „Zips“ erhielten. Dabei ist zu betonen, dass die Bezeichnung „Sachsen“ nicht die Herkunft der Neuankömmlinge widerspiegelt. Die Transsilvaniendeutschen kamen vom linken fränkischen Rhein- und Moselufer, und ihr Dialekt ist dem Dialekt der Einwohner Triers, Luxemburgs und der daran angrenzenden Regionen ähnlich. Die Übersiedlung der Deutschen nach Ungarn dauerte auch im darauf-folgenden Jahrhundert an. Die deutschen Siedlungen in Transsilvanien breiteten sich insgesamt bis zum 14. Jahrhundert aus, und dieser Prozess dauerte etwa 150 Jahre. Die deutschen Kolonisten nannten Transsilvanien Siebenbürgen, was auf sieben Burgen zurückgeht, die von ihnen auf dem Gebiet Transsilvaniens erbaut wurden.

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