Kitabı oku: «Jochen Kleppers Roman "Der Vater" über den Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I - Teil 2», sayfa 2
In König Friedrich Wilhelm musste Seltsames vorgegangen sein.
Die Situation war überaus peinlich. Und nicht genug mit jenen rätselhaften Backenstreichen; der Herr vermehrte die Peinlichkeiten noch, denn plötzlich griff er nach den nächsten Tellern auf der Tafel und zerschlug sie, einen nach dem anderen. Auch ein Grumbkow mit all seiner Gewandtheit zeigte sich solcher Lage nicht gewachsen; er suchte sie durch einen Scherz zu retten, so kostspielig er auch war, stellte sich angeheitert und zerschmetterte munter sein ganzes Tafelservice, kostbare Höchster Fayencen, als hielten Väter und Söhne ein gewaltiges Zechgelage. Die Söhne freilich waren dafür etwas jung. Die übrigen Minister und Generale benahmen sich meist sehr ungeschickt.
„Nehmen Sie nur solche wahrhaft väterlichen und königlichen Worte recht zu Herzen, Königliche Hoheit.“ Worte dieser Art, verlegen und salbungsvoll, fielen. Der König überhörte sie. Er achtete der Sprecher nicht und kümmerte sich auch nicht um Fritz. Der stand leichenblass. Dann zog Grumbkow sich mit ihm in einen Nebenraum zurück. Der König und die ganze Schar von Grumbkows Gästen suchten die Spielzimmer auf. Auf der Schwelle blieb der König stehen. Es war, als hielte er die Herren alle an. Aus einem Gedankengang heraus, in den sich niemand finden konnte, sprach er zu den Generalen und Ministern: „Ihr kennt noch nicht, was in Fritzchen steckt. Ihr werdet es sehen, wenn er zur Regierung kommen wird.“
Seltsames musste in dem König vorgegangen sein.
* * *
Niemand konnte ahnen, was geschehen war.
Der König, nachdem er den Einblick in die geheimen Leiden seiner ältesten Tochter gewann, hatte sich auf eine völlig neue Weise um die Erziehung des Thronfolgers bekümmert. Einst hatte er ihr die Instruktion, nach der er selbst erzogen worden war, zugrunde gelegt, denn die stammte aus des großen Leibnitz Feder. Auch hatte er dem Sohn den Gouverneur aus seiner eigenen Kinderzeit, Graf Finckenstein, gegeben; denn der Plan und der Mann waren von dem König gut befunden. Nur dass er einige Abänderungen vornahm, wie die Erfahrungen seiner Königszeit sie ihm diktierten, und dass er dem „alten Heiligen“, Dohnas Nachfolger, noch Kalkstein und Duhan, einen preußischen Offizier und einen französischen Refugié, zur Seite gab; Duhan aber hatte er für dieses Amt vorgesehen, seit er ihm in den Laufgräben von Stralsund begegnet war, ihn kämpfen sah und nach dem Ringen eines Kriegstages mit ihm sprach.
Mit dem Knaben Friedrich Wilhelm waren – gegen den Willen der Erzieher Dohna und Finckenstein – Gala- und Parade-Examina vor König Friedrich veranstaltet und dem Prüfling Erfolge verschafft worden, die er nicht verdiente. Wählte man doch, die Lücken und Mängel zu verbergen, Formulierungen von solcher Vorsicht wie: „Seine Königliche Hoheit lernt schwer wie alle Geister, die viel Urteilskraft und Gründlichkeit zeigen!“
König Friedrich aber hatte, auf dem Throne sitzend, hochentzückt gelauscht und hielt die Prämien zur feierlichen Verteilung bereit.
Friedrich nun wurde an jedem Sonnabendmorgen über alles ausgefragt, was er in der Woche gelernt hatte. Wenn er „profitiert“ hatte, bekam er den Nachmittag frei; wenn nicht, so musste er von zwei bis sechs Uhr alles repetieren, was er vergessen hatte.
Jene Instruktion König Friedrichs I. für Friedrich Wilhelm dankte für den „Erben so vieler und großer herrlicher Lande“, den Erben, „mit dem Heil und Wohlfahrt so vieler Millionen Menschen verknüpft sind“. Sich selbst nannte er „Wir“, seinen Sohn und seine Gattin „Unseres vielgeliebten Sohnes und Unserer herzgeliebten Gemahlin Liebden“. Solchen Wortflitter entfernte König Friedrich Wilhelm. Da seine „Millionen Untertanen“ sich kaum auf zwei beliefen, nannte er sie nicht. Und weil seine Lande durchaus nicht so herrlich waren, strich er das Beiwort aus. Er schrieb „Ich“, „Meine Frau“, „Mein Sohn“. Lateinische Sentenzen sollte Friedrich nicht lernen. Gründe gab König Friedrich Wilhelm nicht an; und es hieß in seinen Randbemerkungen darüber: „Ich will auch nicht, dass mir einer davon sprechen soll.“ Er wollte, dass der Sohn in den Archiven arbeite, an den exakten Zeugnissen der wirklich erlebten Geschichte. Den Gouverneuren war aufgetragen, dem Sohn „die wahre Liebe zum Soldatenstand einzuprägen und ihm zu imprimieren, dass gleich wie nichts in der Welt, was einem jungen Prinzen Ruhm und Ehre zu geben vermag als der Degen, er vor der Welt ein verachteter Mensch sein würde, wenn er solchen nicht gleichfalls liebte und die einzige Glorie in demselben suchte“. Daneben sollte man aber auch „dahin sehen, dass er sowohl im Französischen als Teutschen eine elegante und kurze Schreibart sich angewöhne“. Vom Deutschen hatte König Friedrich I. überhaupt nicht gesprochen. König Friedrich Wilhelm aber setzte es nun an Stelle des ausgemerzten Lateins. Das Wort Eloquenz unterdrückte er. Es genügte ihm, wenn sein Sohn „alles deutlich und rein aussprechen“ lernte. Er strich eine feierliche Erörterung über das Dekorum aus, „welches ein Regierender Herr mehr als Einiger andere Mensch zu beobachten hat“, eben jenes „Mittel zwischen Majestät und Humanität“. Er sagte bloß: „Mein Sohn soll anständige Sitten und Gebärden wie auch einen guten und manierlichen, aber nicht pedantischen Umgang haben; er soll nicht menschenscheu sein, sondern die Leute, groß und klein, fein fragen; dadurch erfährt man alles und wird klug.“ Die Liebe aber, die er sich von seinem Sohne wünschte, hatte der König als brüderliche Liebe bezeichnet.
Plötzlich genügte dem König, wie in einer großen Sorge, das Bewusstsein nicht mehr, den Sohn dem verehrten eigenen Gouverneur und dem Gouverneur und seinen Helfern jene Instruktion, für die seine „Experienz“ sprach, übergeben zu haben.
Beinahe ängstlich, zum mindesten unruhig, begann er bei allen, die Prinz Friedrich näherstanden, Umfrage zu halten, als gelte es den eigenen Sohn zu entdecken; und als erwarte er davon ein gültiges Urteil, spürte König Friedrich Wilhelm selbst den privatesten Gesprächen, den zufälligen Bemerkungen nach. Friedrich lerne schwer und langsam, hieß es hier; Friedrich denke lange nach, bevor er eine Antwort gebe. Friedrich hänge eigenen Gedanken nach, wurde dort gesagt. Friedrich neige zur Abzehrung. Friedrich zeige Hang zur Schwermut. Der König erfuhr sogar von dem Schreiben eines fremden Diplomaten über seinen Jungen. Nun hatte er es schwarz auf weiß. „Ich meine“, stand in diesem Brief, „dass der Kronprinz überanstrengt wird. Ob ihn schon der König herzlich liebt, so fatiguiert er ihn mit Frühaufstehen und Strapazen den ganzen Tag dennoch dergestalt, dass der Prinz bei seinen jungen Jahren so ältlich und steif aussiehet, als ob er schon viele Kampagnen getan hätte.“
Gewiss, er hatte ihm nicht wenig zugemutet. Das wusste der König genau. Aber der wohlerwogene Lehrplan umschloss doch nur das Mindeste, Notwendigste, worin ein künftiger König von Preußen firm zu sein hatte?! Der König beriet sich mit Friedrichs Erziehern, den beiden brandenburgischen Offizieren und dem frommen Hugenotten. Klare Antwort wurde ihm auch von diesen Treuen nicht zuteil. Allmählich reimte sich der Herr zusammen, dass man die Gattin schonen wollte. Allmählich erkannte er, dass neben dem von ihm entworfenen Lehr- und Lebensplan ein völlig eigenes System einer anderen Erziehung bestand, ein heimliches System, das sich bewusst in Gegensatz zu allem stellte, was er für Friedrich erstrebte.
„Der Nachmittag soll für Fritzen sein“, hatte der Vater bestimmt. Den Nachmittag nahm sich Mama, um Friedrich zu einem würdigen Schwiegersohn des welfischen Hauses heranzubilden. Sie war entzückt, an ihren beiden ältesten Kindern eine wahre Leidenschaft für Musik zu entdecken. Der Kronprinz erhielt Sonderstunden in Klavier-, Violin- und Flötenspiel. Mama ließ ihren Ältesten in Latein unterrichten. Wie anders sollte er die Antike verstehen, die das Denken und Sinnen und jegliche Feinheit des Umgangs an den Höfen zu Paris und London bestimmte?! In ihr fand alle Große Welt die Vollendung des Gedankens und der Form, die Urbilder der Tugenden und Laster, den Ausdruck der Freuden und Schmerzen. Die Lebensregeln waren klassische Zitate. Der Neidische hieß Zoilos, der hässliche Thersites, der sieghafte Held Achill, der unglückliche Hektor.
Welche Verheißungen machte die Gattin dem Sohne, dass er ihr die Nachmittage gab, die nach des Königs Plan „für Fritzen“ sein sollten? Der König rief es, von all den Entdeckungen maßlos erregt, den Erziehern Friedrichs zu, als danke er ihnen die Schonung der Gattin nur wenig. „Sagen Sie ihm lieber“, sprach er, „dass er, gemessen an den Söhnen anderer Herrscher, den Dauphins, Infanten und Prinzen von Wales, der Thronfolger eines Bettelkönigs ist! Ich will nicht, dass mein Sohn behandelt wird wie der junge Ludwig XV., dessen geringste Taten und Gebärden die Zeitungen der Welt verkünden und den man gar „Das Kind Europas“ nennt. Ich will nicht solch schwächlichen Knaben, der durchaus nicht angestrengt werden soll und mag! Wir Brandenburger sind nicht Potentaten wie die Könige von England, Frankreich oder Spanien! Und wir gehören nicht der klassischen Geschichte an und haben mit den Kaisern oder Königen von Assyrien, Ägypten oder Rom nichts zu schaffen! Herodot und Tacitus kennen nicht die Namen von Pommern, Cleve, Magdeburg und Litauen!“
So ereiferte sich Herr Friedrich Wilhelm noch, als sein Wort vom Bettelkönig schon im Umlauf war. Die Königin aber reiste gerade heran, dem Bettellande neues Heil zu verkünden: Der Londoner Hof wollte die preußischen Königskinder zum mindesten besehen lassen! Der König von England gedachte Berlin zu besuchen!
Die Königin traf ein – Schicksalswalterin über den Thronen des nördlichen Europa, Kronenspenderin, Urmutter künftiger Dynastien – und fragte: „Wo sind meine Kinder?“
Der König hörte es, und zum ersten Male erlag er dem seligen gefahrenreichen Irrtum nicht. Auch wusste er wohl, dass Sophie Dorothea mit ihrer Frage nur die beiden Ältesten meinte.
Friedrich hatte er auf die Jagd geschickt; und Wilhelmine hatte Unterricht bei einer neuen Erzieherin, welche der König bestellte.
Die Königin wurde rücksichtslos. Der englischen Visite wegen sollte alles von unten nach oben gekehrt werden. Unausgesetzt mussten in ihren freien Stunden die beiden ältesten Kinder sich zu ihrer Verfügung halten. Völlig übersah die Königin jenes sanfte Fräulein von Sonsfeld, das der König ihr zur neuen Erzieherin der ältesten Prinzessin vorschlug. Die Léti hatte die Königin selbst in englische Dienste gebracht; denn sie fürchtete sehr, die Entlassene könne aus eigenen Stücken nach London gehen und über ihren einstigen Zögling Wilhelmine Übles aussagen. So begann es, dass die Königin sich für die verwendete, die der König zu entfernen genötigt war, und dass sie die vom König Gemaßregelten beschützte. Darüber hinaus war die Königin ganz ungemein belebt von dem Gedanken, eine eigene Beauftragte in London zu haben; ja es dünkte ihr geradezu unerlässlich, solange es verwehrt war, dass auch Königsfrauen eigene Gesandtschaften an fremden Höfen unterhielten.
Die Sonsfeld erschien ihr als eine steife Person mit einer schiefen Nase und einem schielenden Auge, die nicht bis drei zählen konnte. Die Königin brachte nicht die Geduld zu der Feststellung auf, dass das Fräulein von Sonsfeld die sanftesten braunen Augen besaß, deren Reiz durch einen leichten „Silberblick“ eher erhöht als gestört wurde. Die Königin wollte ebenso wenig die Anmut und Sicherheit in dem bescheidenen Auftreten des ländlichen Edelfräuleins anerkennen. Sie tat die Sonsfeld mit wenigen Worten ab. Es lohnte ihr nicht einmal, mit dem König über sie zu debattieren. Die Königin gedachte auch über eine Sonsfeld hinweg noch Möglichkeiten zu finden, ihre Älteste für England zu erziehen. Viel schwieriger war es, ihren Einfluss auf Friedrich zu behaupten. Sie befasste sich beharrlicher denn je mit ihm. Waren die Konzertpiecen geübt? Wusste er die klassischen Zitate, die sie ihm für die Unterhaltung mit dem Großvater auswählen ließ? Hatte er die neuen Moderomane gelesen, um gewandt darüber plaudern zu können? Waren die Schneider pünktlich mit der Lieferung von Friedrichs gestickten Röcken und Westen? Wie wirkten die drei großen Schleifen in der Taille? Waren endlich die grässlichen Stiefeletten verschwunden und trug er weiße Strümpfe und Schuhe? Hatte der Perückenmacher nun besseres Material beschafft? Kam der Tanzmeister jeden Nachmittag? Friedrichs Verbeugungen waren fürchterlich! Die Gouverneure des Kronprinzen ließen Ihrer Majestät würdig, höflich und fest zurückbestellen, was in ihrer Instruktion stand, auf die der König sie mit Ernst und Strenge aufs neue verwiesen hatte, seitdem Missdeutungen über ihre Auslegungsmöglichkeiten aufgetaucht waren: „Der Nachmittag soll für Fritzen sein.“
Die Königin durchschritt aufgeregt ihre Räume. Es rauschte um sie von knisternder Seide; die Schleppe fegte nur so. Mit all dem kleinen Silber- und Schildpattzeug und all den Chinoiserien auf ihren Spiegelkonsolen und achatenen Tischen hantierte sie derartig heftig und sinnlos, dass die Ramen ob all dieser Launenhaftigkeit ihrer Herrin diese schon wieder in anderen Umständen glaubte. Plötzlich rief es auch die Königin klagend und empört vor ihrer Kammerfrau aus: „Welch maßlose Rücksichtslosigkeit gegen meinen Zustand! Man entfremdet mir meine Kinder. Man lässt mich Kinder gebären, nur um mich den Schmerz erleben zu lassen, mich ihrer beraubt zu sehen!“
Die Ramen heftete ihre schwarzen Augen entsetzt auf die hohe Frau. Sie bewunderte die unnachahmliche Ausdrucksweise; aber sie beschloss dennoch, den erneuten, gewaltigen Ausbruch mütterlicher Liebe diesmal nicht durch Ewersmann dem König schildern zu lassen. Es hatte der Ramen zu denken gegeben, dass die Königin vor Anna Amaliens Geburt sich vor dem König ganz verbergen konnte; es hatte ihr Kopfzerbrechen gemacht, dass seit drei Jahren kein Prinzen- oder Prinzessinnensalut mehr abgefeuert worden war; es legte ihr allerlei Vermutungen nahe, dass der König neuerdings die Erziehung der beiden ältesten Kinder so sichtbar an sich riss. Die Ehe des Herrscherpaares schien nicht mehr glücklich zu sein. Und nun doch ein neues Kind?
Die Königin wollte auf der Stelle ihren Sohn bei sich sehen. Er erschien auch sofort; aber ihren Fragen wich er aus, und ihre Vorwürfe hörte er an, ohne sich zu verteidigen. Warum beschimpfte ihn Mama? Litt er nicht selbst am meisten darunter, dass man seinen Musikunterricht einschränkte und die geliebten französischen Romane wegschloss?
Die Königin sprach kalt und zornig auf ihn ein. Ob er denn seine Zukunft aufs Spiel zu setzen gedenke? Ob er den Ehrgeiz habe, ein preußischer Major zu werden oder ein König mit einer Gemahlin aus großem Geschlechte?
Der blasse Junge stand ganz erstaunt. Was sollte er denn mit einer Gemahlin? Warum wurde der Vater plötzlich so streng gegen ihn? Warum klagte die Mutter ihn an und behandelte ihn spöttisch und kühl? Er drückte sich mit vielen Verneigungen aus der Tür, rannte leise und eilig die Treppe zu den Appartements der Schwestern hinauf und klopfte vorsichtig an Wilhelmines Zimmer. Die Sonsfeld öffnete dem Prinzen sogleich.
Der Nachmittag war für Fritz. –
Er war bei der Schwester.
Die Sonsfeld ließ die Königskinder allein. Sie wusste es längst: sie hatten Heimlichkeiten miteinander zu besprechen, die mit Kindergeheimnissen keine Berührung mehr besaßen.
„Was ist mit den Eltern?“ fragten der Knabe und das Mädchen einander sofort. Und das Grübeln, das immer wieder von neuem in der Welt das Leben junger Menschenkinder so beschwert, begann auch auf ihrer Jugend zu lasten: Was ist mit den Eltern?
* * *
Es schien Europa anzugehen, was um den König und die Königin von Preußen war. Der Plan der englischen Heiraten begann die Aufmerksamkeit der Kabinette auf sich zu ziehen. Dass es geschah, war Grumbkow zuzuschreiben, um den die kühne Königin sich nicht mehr bemühen zu müssen glaubte. Seine Stärke war, Verknüpfungen und Folgerungen zu durchschauen; und seine Klugheit, solche Erkenntnis stets für sich selbst zu nützen. So zum Beispiel schrieb er, der die Hof- und Diplomatenkreise des kaiserlichen Wien vorzüglich kannte, jetzt an General Graf Seckendorff, er möchte sich doch noch möglichst diesen Herbst nach Berlin begeben und in aller Heimlichkeit und Selbstaufopferung den Gesandten Österreichs in Preußen angesichts gewisser bevorstehender Ereignisse ein wenig unterstützen.
General Graf Friedrich Heinrich von Seckendorff – 1673 – 1763
Er, Grumbkow, gewinne den Eindruck, als habe der kaiserliche Geschäftsträger in Berlin bei seiner starken Inanspruchnahme unmöglich mehr freien Blick und übrige Zeit, um sich auch noch mit einigen neu aufgetauchten Problemen zu befassen, für deren Lösung gerade nun sein lieber Graf als der Rechte erscheine.
Zunächst traf Seckendorff, lärmend und aufgeräumt, als Grumbkows Privatgast in Berlin ein. Der Gastgeber hielt ihm bereits am ersten Abend seines Aufenthaltes ein politisches Kolleg, das namentlich für die Königin von Preußen überaus lehrreich und anfangs sogar angenehm zu hören gewesen wäre. Der lauschende Seckendorff wurde ganz erheblich stiller. Grumbkow sprach stehend, das Weinglas in Händen, ohne zu trinken, auf ihn ein. Der General aus Wien, schweigend und nickend, gab ihm immer nur recht.
Seit dem Tode des gewaltigen Sonnenkönigs und nach Zar Peters frühem und enttäuschtem Ende, seit Karls XII. verzweifeltem Untergang – denn solcher Könige Tod bedeutet die Tragödie ihres Landes – waren nur noch zwei große Mächte in Europa: England, das Ludwig XIV. niedergeworfen und Frankreich in vasallenhafte Abhängigkeit gebracht hatte, und Österreich. Zwei große Dynastien teilten das Erbe der Macht: die Welfen und Habsburg. Beide Länder und Geschlechter aber brauchten zu jeder Behauptung und jeder künftigen Wendung ihrer Politik das Reich. Der Habsburger stand über dem Reich als der Kaiser, im Reiche als der Erzherzog von Österreich und Kurfürst von Böhmen. Der König von England gehörte dem Reiche an als der Kurfürst von Hannover. Im Reiche mussten die Zwecke Österreichs und Englands sich überschneiden, sichtbar werden, mussten die Spannungen sich verdichten, die Machtproben ausgetragen sein.
Mitten im zerfallenden Reiche, in der Mark Brandenburg, aber erstand ein neuer Schatz und eine neue Armee.
Der Gedankensprung Grumbkows hinüber zu dem welfischen Familiensinn der Königin von Preußen war gar nicht so kühn.
Für den kaiserlichen Geheimdiplomaten bedurfte es keiner Erklärungen mehr. Dass er in Preußen blieb, war selbstverständlich. Die Kaisertreue Herrn von Grumbkows pries er laut. Er wusste auch genau, dass etwas an ihr nur zu echt war. Grumbkow, einem armen Geschlecht von hoffärtigen Höflingen entsprossen, würde immer geblendet sein vom Glanz des kaiserlichen Hofes; er würde kein anderes Ziel des eigenen Aufstiegs lohnend finden, als die Anerkennung in Wien, die Zugehörigkeit zu den Vertrauten des Kaisers.
Nur zu bald waren die Herren dabei, ihren Plan zu entwerfen. Niemals durfte Seckendorff beim König als Diplomat eingeführt werden. Der König galt in aller Welt als diplomatenfeindlich. Es wurde anders versucht. Die Aussichten waren nicht schlecht. Graf Seckendorff war ein begeisterter Soldat. Man musste es ihm glauben, dass er aus eigenem Antrieb das Wunder des neuen preußischen Exerzitiums selbst in Augenschein nehmen wollte. Und was noch wichtiger war: Die Seckendorff waren Protestanten, und jener General hieß der einzige Anwalt der evangelischen Stände des Reiches am Hofe des Kaisers. Ein Kaiserlicher, der ein Protestant war, wurde aber in Berlin noch nicht gesehen. Zudem war Seckendorff ein passionierter Jäger, heiter, derb und groß. Welcher Diplomat von angeborenem Talent erhielt von der Natur solch herrliche Maske, einem König Friedrich Wilhelm zu begegnen?! Ein Seckendorff verzichtete mit Freuden auf die offizielle Anerkennung und den öffentlichen Empfang bei Hofe. Er gedachte sich mit Leichtigkeit – lachend, lärmend, trinkend und, wenn es sein musste, über Religion diskutierend – in der Tabagie zurechtzufinden. Die war das Einfallstor. Und weil die beiden Herren glaubten, dass man in nächster Zeit des Abends nur kalten Braten und Butterbrot bei gewöhnlichem Bier würde zu sich nehmen müssen, wie es Brauch in der Tabagie war, ließ Minister Grumbkow noch bis spät in die Nacht alle Künste seiner vielgerühmten Küche spielen. Als Vorgericht gab er den Schinken, in Champagner „gewässert“, der dem König von Preußen für seine Tafel zu kostspielig war, obgleich er in der Verbindung mit Grünkohl als sein Leibgericht galt.
* * *
Kurz vor dem Aufbruch des Königs von England nach Berlin hatte sich noch die entlassene Léti in die Korrespondenz der britischen Majestät mit der Königin von Preußen gemischt. Sie hatte die Höfe von London und Hannover sehr freundlich gewarnt, Wilhelmine habe einen Buckel und leide an Krämpfen. Die gegenwärtig im Vorrang stehende englische Königsmätresse, die Herzogin von Kendal, geborene Gräfin Schulenburg, beschäftigte das sehr. Aber es mochte auch sein, dass sie eine schöne Gelegenheit nicht ungenützt lassen wollte, um manche Unbill zu rächen, die ihren Freunden und Verwandten von König Friedrieh Wilhelm in Entrechtung oder steuerlicher Belastung widerfahren war. Jedenfalls konnte sie sich des Eingreifens in den Fall Wilhelmines von Preußen nicht enthalten. Königin Sophie Dorothea war verzweifelt. Sie hatte mehr geheime Leiden, als einer nur ahnen konnte, hinter sich; und diesmal, ganz im Gegensatz zu ihrer sonstigen raschen Art, hatte sie wirklich geschwiegen. Es ging ja um England.
Ihre Reisen waren so vergeblich wie nur möglich gewesen. Der königliche Vater verwies sie an seine Minister, unter den Ministern aber erklärten sich die Hannoveraner unzuständig ohne die Zustimmung der Londoner und umgekehrt, obwohl sie doch völlig uneins waren. Und entgegen allem Fürstenbrauch war das Gefolge der Königin von Preußen auf Schloss Herrenhausen unbeschenkt geblieben; auch Frau Sophie Dorothea selbst hatte nichts als müßige, billige Tändeleien vom Herrn Vater erhalten, wertlose Dinge, die das Ansehen der Königin von Preußen herabsetzen mussten; doch ihr bedeuteten sie Kleinodien und Reliquien. Jedenfalls gab sie sich so vor dem Gatten. Ihm hatte sie bisher auch immer nur die freundschaftlichen Briefe gezeigt, die sie mit der Frau Prinzessin von Wales über ihrer beider Kinder Zukunft wechselte. So vermutete der König nicht, welche Niederlagen die Gattin schon erlitt.
Leider hatte sie aber dem Gatten schon zu viel verheißen und die Eheprojekte als einen sehnlichen Wunsch der englischen Verwandten hingestellt; alles aber schien aus purer Liebe zu ihr selbst zu geschehen, wenn auch einige wunderschöne Gedanken vorn Zusammenhalt der protestantischen Mächte mit eingeflochten wurden.
König Friedrich Wilhelm war bewegt, wie rasch das Leben voranschritt.
Das Leben schien leicht und glücklich zu werden. Die Liebe der Welfen- und Hohenzollernkinder sollte in dem einen Jawort der zwiefachen Hochzeit mehr erreichen, als die Plagen eines ganzen Manneslebens je erstreben durften! Eine herrliche Verheißung war inmitten aller Mühsal aufgetaucht! Ein kampfloser Aufstieg tat sich auf. Die Liebe trug die Macht; der Glaube schien das Werk zu segnen.
* * *
Georg I. kam an einem Oktoberabend in Charlottenburg an. Der König, die Königin und alle Prinzen und Prinzessinnen empfingen ihn am Wagen. Der König von England reichte der Königintochter den Arm und führte sie in ihre Empfangszimmer. Darauf begaben sie sich in ein Kabinett, wo sie sich eine Zeitlang im geheimen unterhielten. Beim Hinausgehen stellte König Friedrich Wilhelm die Prinzen, die Königin die Prinzessinnen vor. Der Königin klopfte im Gedanken an Wilhelmine das Herz. Die Kleinen wurden vom Großvater übersehen. Friedrich musterte er schweigend; dann nahm er eine Kerze vom Kamin und hielt sie Wilhelmine unter die Nase. Groß, etwas gebeugt, etwas müde im Ausdruck und durchaus nicht sonderlich aufmerksam, stand er vor der ältesten preußischen Prinzessin, die allein etwas wie Anteilnahme von ihm erwarten durfte.
„Sie ist sehr groß. Wie alt ist sie?“ Das war alles, was er sagte; und noch dies: „Man kann sie meinen Herren zeigen.“
Man ließ die Prinzessin eine Stunde ganz allein mit all den englischen und hannövrischen Kavalieren. Man dachte wohl an eine Art von Examen, aber es war nicht anders, als hielte eine Frau von Welt und Fürstin von Rang gewohnten Cercle. Sie parlierte französisch und englisch. Sie verwechselte keinen der vielen fremden Namen und behielt jede Anrede und Titulatur. Dem jungen Mädchen war ein Traum erfüllt. Es spielte eine längst studierte Rolle; und zwar viel besser, als sie ihm von Mama beigebracht worden war. Die eindrucksvolle Auftrittsszene des hinreißenden Schauspiels war da. Die Prinzessin agierte sie kühl und sicher und leichthin. Niemand nahm wahr, wie ihre Pupillen sich geweitet hatten.
Um den Anbruch der neunten Stunde wurde an einer sehr langen Tafel gespeist. Außer den Prinzessinnen und Prinzen waren an ihr auch die vornehmsten Personen der beiden Höfe zugegen. Prinzessin Philippine Charlotte, die dritte Tochter, nach dem Nordischen Winterfeldzug geboren, hantierte mit all den Gläsern und Bestecken wie zehn Oberhofmeisterinnen zusammen, derart kundig und elegant; alles Neue, Ungewohnte bereitete ihr unsägliches Vergnügen. Sie hätte die älteste Schwester am liebsten mit „Mylady“ angeredet, so völlig ging sie in der großen Stunde auf. Aber die Blicke des Großvaters suchte sie vergeblich auf sich zu ziehen, während wiederum die raue Friederike Luise, die nur sehr äußerlich der Mutter so ähnelte, von der Gegenwart des hohen Verwandten völlig unberührt blieb; fast war es, als wolle sie die Mutter damit treffen.
Die Tafel war mit langen Reihen hoher Leuchter bestellt. König Friedrich Wilhelm waren sie wie eine goldene Bahn zu seinem Herzen und wie ein Strom des Glanzes von seinem Herzen her. Ihm war feierlich zumute. Er hatte noch kaum einmal höfische Feste gegeben. Nun war ein Anlass, war ein Grund gegeben und ein Sinn gefunden, und das Fest geschah von selbst. Den anderen war es nur eine Abendtafel. Vergessen war aller frühere Hochmut des Oheims. Der Vater seiner Frau, der mächtigste König Europas, war an Friedrich Wilhelms Tisch erschienen, einen Bund zu schließen, der tiefer, enger und weiser war, als Herrscher und Räte und Heerführer in grüblerischen Abmachungen und wägenden Berechnungen ihn erdenken konnten. Er war den geheimen Traktaten enthoben! Die Liebe der Frauen, der Mütter schuf herrliche Zukunft! Noch einmal war dem Herrn die Frau wie in der früheren Zeit. Der König sah sehr oft zur Königin hinüber. Er dachte auch an die Fürstin über dem Meer. Es war gut um ihn und die Frauen bestellt! Er hob sein Glas; er blickte auf den Vater der Gemahlin, auf sie selbst, die Kinder, die Gäste, die Diener. Schweigend trank er ihnen allen sein Glas. Seinen Kindern winkte König Friedrich Wilhelm lächelnd zu.
Das war der erste Verstoß, den er sich noch am Abend der Ankunft vor dem hohen Gast zuschulden kommen ließ.
Gegen das Ende der Mahlzeit befand sich der König von England nicht recht wohl. Der Staatssekretär Mylord Thunsen bemerkte es zuerst. Er teilte es der Königin mit, die ihrem Vater nun sogleich den Vorschlag machte, aufzustehen. Allein er wollte es durchaus nicht tun und blieb noch einige Zeit sitzen. Als er sich endlich erhob, fiel er in Ohnmacht. Trotz der Bemühungen der Ärzte blieb er eine gute Stunde ohne Besinnung. Die Königin von Preußen war sehr blass. So rasch also konnte es geschehen, dass ihr Bruder König von Britannien wurde und ihr Neffe, Wilhelmines künftiger Gatte, Prinz von Wales! So rasch also schritt das Leben voran! Wahrhaftig, es war nicht zu früh, dass sie die Ehen der Kinder bedachte.
Das Wort Schlaganfall wurde nicht ausgesprochen. Aber deswegen war die Königin nicht erblasst.
* * *
Am nächsten Tage schon erklärte der König von England seinen Schwächezustand für völlig überwunden. Ja, er nahm seinen Anfall nicht einmal zum höflichen Vorwand, um seine völlige Gleichgültigkeit bei der Besichtigung Berlins und gegenüber den Artigkeiten seiner Enkelkinder dahinter zu verbergen. Er hatte in diesen Tagen große Verluste bei seinen privaten Spekulationen erlitten; die beschäftigten ihn sehr. Der üble Ruf der „bubbles“ verfolgte ihn ins alte Vaterland.
Von der Königin von Preußen gedrängt, ließ er die englischen und hannövrischen Herren, unter sich und mit ihm selber uneins, ein wenig mit den Preußen verhandeln. König Georg, der weder fertig Englisch noch Französisch sprach und gegenüber seinen Londoner Ministern sich mit schlechtem Latein behelfen musste, ließ übermitteln, er gebe sein Versprechen für die Doppelheirat. Er setzte aber noch hinzu, dass er vor Abschließung der frühzeitigen Verlobung die Meinung seines Parlamentes darüber vernehmen müsse; er wolle es sogleich nach seiner Rückkehr zusammenberufen. Die Zustimmung des Parlamentes noch leichter zu gewinnen, möchte man wohl vorerst alle zwischen England und Preußen geschlossenen Verträge erneuern und verschiedene Maßregeln ergreifen, um den ehrgeizigen Plänen der Beherrscher der Zarinwitwe Katharina Alexejewna Grenzen zu setzen.
Heute ließ Georg I. vorerst nur von Russland sprechen. Das Wort Österreich, für die Kurfürsten von Hannover und Brandenburg ein ungleich schwierigerer Fall, mochte besser erst nach diesen Vorverhandlungen erwähnt sein. Der Kurfürst von Brandenburg hatte sich da in eine für die anderen lästige Deutschtümelei hineingeredet, die reichlich erschwerend und ziemlich altmodisch wirkte. Schon von seinen alten Russenpakten war er nicht abzubringen gewesen, als wäre ein toter Freund noch ein politischer Faktor. Er zeigte einen leidigen Hang, die politischen Fragen ins Menschliche zu verkehren. Über diese Neigung Friedrich Wilhelms zum Privaten sprach der König von England zur Königin von Preußen voller Sorge. Angesichts solcher Unberechenbarkeit des Gatten – denn dieses Signum erhielt die Zuverlässigkeit des Preußenkönigs in der diplomatischen Sprache – laste schwere Verantwortung auf ihr selbst.