Kitabı oku: «Jochen Kleppers Roman "Der Vater" über den Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I - Teil 2», sayfa 3
Sophie Dorothea war daran, dem vergötterten Vater in die Arme zu sinken, vor allem, als er auch noch hinzufügte, dass seine Mätressen mit ihm ganz einer Meinung wären, namentlich die entzückende Herzogin von Kendal. Die preußische Königin, eine harte Richterin über Liebe, Schuld und Schmerz im Leben ihrer verstoßenen Mutter, kannte wohl keine schönere Kunde! Und es wären für die Welfentochter selige Augenblicke gewesen, hätte sich die Angst abwehren lassen, dass der unberechenbare und politisch wenig fähige Gatte etwas verderben könne. Vater und Tochter aus dem Welfenhause hatten sich eine etwas hochfahrende Art zurechtgelegt, von dem Brandenburger zu reden.
König Friedrich Wilhelm aber verzieh seinem Oheim und Schwiegervater viel von seinem Hochmut und seiner überdeutlich zur Schau getragenen Gleichgültigkeit. Denn wenn er auch Fritzens Knabenregiment unter seinem jugendlichen Major übersah – an der großen Parade dieses Morgens hatte Georg I. eine Anteilnahme bewiesen, die Friedrich Wilhelm geradezu überwältigte. Der König von England hatte keinen Blick von den strahlenden Reihen der Sechzigtausend gewendet.
Dies Heer war Rückhalt gegen Thronprätendenten und Kaiser! Mit diesem Heere war der Kampf mit Österreich um die Silberflotten auf den Weltmeeren – an Brandenburgs Grenzen auszutragen! Mit diesem Heere konnte man sich wohl über das ganze alte Europa erheben!
Im geheimen, ganz für sich, nannte der Welfe den Hohenzollern nicht mehr Bettelkönig.
Soldatenkönig – dieses Wort erschien ihm als der richtige Ausdruck und als geistvolle Wendung. In England konnte man ja dann „roi sergeant“ oder gut preußisch „Korporal“ dafür sagen. Manchmal sprühte er vor Geist, der alte Herr; und dabei war er doch eigentlich immer ein wenig rau und träge gewesen.
* * *
Der König von Preußen hatte es in den Tagen des hohen Besuches nicht ungern gesehen, wie gewandt seine beiden ältesten Kinder schon aufzutreten verstanden, wie sie in allen Dingen des modernen Geschmacks Bescheid wussten und auf jede Frage aus der Suite König Georgs I. nach Oper und Komödie und Literatur Antwort zu geben vermochten. Der Preußenkönig fand es aller Ehren wert. Er selbst konnte damit nicht aufwarten. Auf den hohen Gast machte es aber leider, ganz im Gegensatz zu den Voraussagen der Königin, nur sehr geringen Eindruck. Er erschien stumpfer denn je.
Die Kleinen waren auf das Ende des Besuches zu beständig von dem Großvater ferngehalten worden. Sie schienen ihn zu stören. Er konnte sich ihre Namen nicht merken. Er vermochte nicht, sie auseinanderzuhalten. Sie waren bereits heute für ihn die späteren belanglosen apanagierten Prinzen und Prinzessinnen eines kinderreichen Fürstenhauses. König Friedrich Wilhelm wollte den Oheim und Schwiegervater darauf aufmerksam machen, wie ähnlich doch Ulrike seiner Mutter, des Oheims schöner, früh verstorbener Schwester Sophie Charlotte, sei; und der Großvater sollte es lustig finden, dass die fünfjährige Enkelin Bilderbücher und Puppen verachtete und kaum zu halten war, wenn sie hörte, Bruder August Wilhelm ziehe mit den Kadetten auf die Knabenschanze im Tiergarten, Kanonen an der Kette und Feuerwerk im Korb.
Um nicht gar zu unhöflich zu sein, hatte König Georg nur flüchtig gefragt: „Sie ist Ihr Liebling?“ Dieses Wort ging König Friedrich Wilhelm ein wenig im Kopfe herum. Hatte er Lieblinge unter seinen Kindern? Wie stand es um August Wilhelm, den zweiten Sohn, um seinen Hulla, den er besitzen durfte, wie auch andere Väter ihre Söhne besaßen? Denn der Älteste gehörte ‚Dem König von Preußen‘, jenem Herrn, den auch Friedrich Wilhelm von Hohenzollern als stetig streng Fordernden zu fürchten begann.
Wenn er Lieblinge hatte, so waren sie mit ihm um nichts besser daran als die übrigen Geschwister. Er unterschied keines von den anderen durch Wohltaten oder Überraschungen. Er lohnte und strafte sie nicht, um ihnen nicht zu früh als der König zu begegnen.
Freilich kam es vor, dass er sich mit seinem Hulla manchmal eine Viertelstunde lang, die kostbare Viertelstunde eines Königslebens, bespasste und ihn nach Herzenslust abküsste. Was war Hulla für ein munterer kleiner Kerl; wie war er stets für ihn bereit! Was fuhr er gern mit dem Vater aus; wie stand das winzige Mundwerk dann unterwegs nicht einen Augenblick still! Aber der Vater verschloss sich doch den Fehlern seines Kleinen nicht. Beim Exerziermeister ging er nicht auswärts genug, genau wie der Fritz. Ach, die Jungen waren beide nicht sehr kräftig, bei weitem nicht so stark und groß, wie er sich die beiden einzigen „Kerls“ ersehnte, die er nicht erst anzuwerben brauchte – die ihm gehörten! Benehmen und Haltung August Wilhelms schienen im Vergleich zu Fritz nicht so gewandt und sicher. Der Kleine war etwas ängstlich und vor Fremden leicht befangen. Selbst ihm gegenüber traute er sich mit Bitten manchmal nur schriftlich hervor. Da wurde dem König rasch so ein Kinderbriefchen zugesteckt: „Darf ich wohl wieder bisweilen mit Farben malen?“ Das Prinzlein steckte viel bei Pesne im Atelier. Die Hintergründe und Landschaften, die des großen Porträtisten schwache Seite waren, die gerade interessierten Hulla am meisten; an ihnen sah er sich gar nicht satt. Mag er, mag er, dachte der König, Bilder sehen hält die Augen offen! Bücher lesen macht zu leicht in sich gekehrt –. Soll er die geliebten, großen, sanften Augen offenhalten!
Nein, Lieblinge hatte König Friedrich Wilhelm nicht, nur acht geliebte Kinder; von denen war eines ein Sohn, den er wie andere Väter ihre Knaben zum Sohne haben durfte... Eines seiner Kinder gehörte ihm nicht, wie er sich selbst nicht gehörte. Friedrich und er, sie dienten ‚Dem König von Preußen‘.
* * *
Als alle Welt sich noch lebhaft mit dem Besuch des Königs von England am Berliner Hof befasste, als man namentlich im engen Kreis der Tabagie dies und jenes über die Hintergründe der Visite zu erfahren suchte, wusste Gundling seinen Herrn von gar nichts Besserem zu unterhalten als ausgerechnet von altrömischen Gebräuchen. Schlossen in Rom zwei Parteien einen Pakt, so wurde er durch eine Kinderverlobung im Hause der Führer bekräftigt; schlossen sie gar einen üblen Traktat, so musste möglichst eine Doppelheirat das schlechte Machwerk verbrämen. Wer den Antrag auf die festliche Vereinigung der Häuser am ehesten stellte, der hatte den anderen am meisten übervorteilt.
Und plötzlich sprach Gundling nun doch vom König von England, dem einzigen Thema, das die anderen interessierte.
„Der hohe Herr ist nur so sehr rasch abgereist, weil ich ihn nicht gebührlich empfing. Ich hatte keinen französischen Rock und keine Pariser Perücke, wie sie jetzt in Preußen wieder Mode sind. Ich hatte keinen Rang und Titel, wie sie heute in Preußen wieder Geltung haben. Ich hatte die feinen Manieren verlernt, mit denen man neuerdings in Preußens britischer Ära allein noch reüssieren kann! Ich will zum alten Adel! Ich will einen Titel! Ich will einen Tanzmeister, die alten Komplimente noch einmal zu lernen!“
Der Betrunkene weinte wirklich wie ein ungezogenes Kind. Der König, der schon im Aufbruch gewesen war, stand bereits eine ganze Weile an den Türpfosten gelehnt. Das waren Wahrheiten, die er da zu hören bekam! – Er hatte etwas übersehen. Er hatte sich etwas nicht eingestanden: Es hatte seine alten Widersacher berauscht, dass der König von England nach Preußen kam und dass die Königin von Preußen so in den Mittelpunkt rückte. Er, der Herr, schien plötzlich nicht mehr gar so wichtig. Alle kamen sie wieder hervor, die Unzufriedenen aus alten, anspruchsvollen Geschlechtern; sie kamen mit Versailler Prunk in seine Residenz, hielten in seinem Hause Hof im Stil des alten Königs, trieben Kult mit sich und der Königin, mit Wilhelmine und Friedrich, Er, der Herr, stand außerhalb. Die Gattin hatte es besser begriffen als er, was geschah. Sie führte die Zeiten des ersten Königs herauf, lud alle vom Gemahl Verschmähten an den Hof, holte die beiseite gestellten dünkelhaften Gelehrten hervor, nur damit Athen und Rom, die heiligen sieben Hügel, die Akropolis und der Olymp, zwischen der Spree und den rauen Bergen erstünden! Hätte ich nur, dachte der König, die Augen offengehalten die ganzen festlichen Tage hindurch, statt dass ich in den Stunden, die ich nicht dem Gaste widmen musste, weiter über meiner Arbeit saß! Solches erwog nun der Herr. Gundling ließ er weiter um Adel und Rang, Perücke und Pariser Roben winseln. Noch immer lehnte er in der Tür und blickte auf den Professor.
Mit einem Male versprach er ihm alles: den Adel, das erhabene Amt, die französischen Friseure und Schneider; denn der Herr gedachte sie alle zu treffen, die sich einer trägen, alten, lügnerischen Zeit verschrieben.
Als der König sich das nächste Mal wieder in Potsdam zur Tabaksgesellschaft einfand, hatte der Kreis der Tabaksrunde viel zu staunen. Teppiche waren an den weißgetünchten Wänden aufgehängt, die Zahl der Leuchter war verdoppelt, Pagen umdrängten die Flügeltür. Der König bat die Generale, Räte und Minister, sich zu erheben. Gundling trat ein. Die Pagen, einer nach dem andern sich verneigend, riefen meldend seine neuen Würden aus, dass keiner von den Gästen des Königs sich in Titel und Anrede irre oder vergesse. Jakob Paul Freiherr von Gundling erschien, Hof-, Kammer-, Kriegs-, Geheim-, Oberappellations- und Kammergerichtsrat! Mitglied des Landeskollegiums! Oberzeremonienmeister! Präsident der Akademie der Wissenschaften! Kammerherr Seiner Majestät! Kanzler der Halberstädtischen Regierung! Erbe und Eigentümer aller neuen Maulbeerplantagen für die künftigen königlich preußischen Seidenspinnereien!
Hoch erhobenen Hauptes schritt der Gewaltige in den Saal, klein und aufgedunsen, die Augen verglast, Antlitz und Hände gepudert und duftend. Der König selber hatte sein Amtskleid entworfen: einen roten, mit schwarzem Samt ausgeschlagenen, mit goldenen Knopflöchern gezierten und nach der neuesten Mode mit großen Aufschlägen besetzten Samtrock zu einer überreich gestickten Weste. Auf dem Kopf prangte eine auf beiden Seiten lang herabhängende Staatsperücke von weißem Ziegenhaar; ein großer Hut mit einem roten Federbusch bedeckte ihren Scheitel. Der Kammerherrenschlüssel hing ihm zur Seite. Die roten, seidenen Strümpfe waren mit goldenen Zwickeln, die Schuhe mit roten Absätzen geschmückt.
So rauschte er daher, der Freiherr, Oberzeremonienmeister, Präsident und vielfache Rat. Aber es war ersichtlich, dass er kein Wohlgefallen an der Staatstracht empfand. Er meinte wohl, dass sie ihm wieder Schleifchen in die Locken binden, ihm den Rücken mit allegorischen abscheulichen Tieren aus Papierschnitzeln bestecken würden. Er misstraute den Verneigungen der Herren; er wagte nicht, die Bestallungsurkunde entgegenzunehmen, die der König ihm hinhielt. Aber er musste auf Geheiß des Herrn einen Blick darauf werfen. Sie war in vollster Ordnung. Alles war wahr; auch dies, dass ihm der König die für Rang und Geltung vorgeschriebenen sechzehn Ahnen aus eigener Vollmacht verlieh! Der Pompöse mit den Ziegenhaarlocken schluchzte auf. Die erträumten Ziele des verkommenen, armen Pastorensohns waren erreicht. Einmal nur hatte er aufgeschluchzt; niemand konnte es wohl hören. Nur der König, der ihm gegenüberstand, nahm es wahr.
„Es ist gut, dass Sie kommen, mein Lustiger Rat“, sagte der König, und dieses war das wahre Amt und der wirkliche Titel, denn all die anderen Titulaturen und Auszeichnungen gab es ja im Lande Preußen ernstlich nicht mehr. „Ich muss einen vernünftigen Menschen sprechen. Heuer gibt es zu viel Narren.“
Der Freiherr nahm dem König gegenüber Platz. „Ich werde die Narren aus allen Ämtern, die mir unterstehen, entfernen“, sprach der Mächtige gelassen zu dem König.
„Dann wären wir aller Wahrscheinlichkeit nach allein, Euer Gnaden“, bemerkte der König. Gundling hob die Locken mit gespreizten Fingern von den Ohren weg.
„Ein Weiser und ein König, Majestät“, gab er zur Antwort. Es war ein hübscher Dialog, nur dass die Herren rings ihm nicht zu folgen wussten. Zwischendurch versank der König einmal ganz in die Betrachtung des Gefeierten und schwieg. Dieser Mensch war wahrhaftig vollkommenes Gleichnis und Bild. Alle waren sie in ihm getroffen. Dieser Mensch war Bild von seiner Hand. Der König handelte und dachte in Bildern. Niemand um ihn wusste davon. Als sei er unter die Müßiggänger gegangen, sah der König Gundling zu; es waren Augenblicke tiefsten Sinnens, Augenblicke seltsamsten Grübelns über vertane Gaben, verlorene Zeit, vernichtete Würde; über alle Narrheit der Erde.
Rätselhafterweise hatte der König gerade an diesem Tage von Gundlings Apotheose den Narrenprofessor gemalt, wie er ein überaus hohes Vorlesepult erkletterte, emsig und leidenschaftlich drei Stufen für eine nehmend. Drunten sah die Menge der Großen ihm höhnisch und sogar mit derber Drohung nach. Er aber „blickte“, eine Brille auf dem Hosenboden, nur mit seinem Hinterteil auf sie herab.
Und dieses Bild war die wahre große Ehrung, die König Friedrich Wilhelm einem Jakob von Gundling widerfahren ließ. Aber sie blieb vor ihm selbst und vor der Welt des Hofes ein Geheimnis.
Die Tabaksrunde war ratlos; man wusste nicht, wie sich verhalten. Wozu war dieser ganze Auftritt ersonnen? Der König sprach so ernst und leise mit Gundling. Neckereien mit dem frischgebackenen Freiherrn schienen nicht geduldet; Ruß und Kreide lagen vergeblich bereit. Das Gerücht kam auf, Gundling habe wirklich Einfluss auf den Herrn erlangt. Es überdauerte die Stunde und sprengte nur zu rasch den engen Kreis der Tabagie. Hohe Herren sollten ihm nur zu bald ihre Visite machen, um durch ihn etwas Schwieriges zu erreichen.
Zu der ungewöhnlichen Zurückhaltung, die man sich heute hier auferlegte, trug allerdings noch ein besonderer Umstand bei. Ein fremder Gast tauchte auf. Der König ließ ihn vom Paradeplatz hereinrufen, genau wie Grumbkow es berechnet hatte; denn der wusste, dass der König immer möglichst nahe am Fenster saß, wenn er seine Pfeife rauchte.
Draußen brannten die neuen Laternen. Meist lag der Platz zu der Stunde, in der sie angesteckt wurden, schon sehr still. Jetzt aber promenierte ein nobel gekleideter Fremder äußerst interessiert zwischen den Laternen umher und suchte von Schloss und Exerzierfeld zu erspähen, was um den Anbruch der Dunkelheit noch sichtbar war. Der König, wie es seine Art war, erkundigte sich, ob einer am Biertisch wohl wisse, wer der Fremde sei. Herr von Grumbkow bekannte sich eiligst zu seinem Gast Graf Seckendorff.
Warum er ihn nicht mitgebracht habe, fragte der König, warum es versäumt worden sei, ihn bei Hofe einzuführen. Und er erhielt zur Antwort, Graf Seckendorff halte sich gar zu kurz in Berlin auf; er sei nur während des englischen Königsbesuches von Wien nach Berlin herübergekommen, um endlich einmal einer der berühmten neuen preußischen Paraden beizuwohnen, von denen er am kaiserlichen Hofe gar so viel hörte; nun wolle er morgen noch rasch das Potsdamer Exerzitium besichtigen, um dann schleunigst wieder zu dringenden Geschäften nach Wien zurückzugehen. Er bedauere es ganz außerordentlich, dass sein Aufenthalt so kurz sein müsse; denn als erfahrener Militär und Taktiker habe er in den wenigen Tagen das neue Preußen als Fundgrube für einen alten Soldaten schätzen gelernt.
Graf Seckendorff wurde schleunigst geholt. Der König begegnete ihm ganz außerordentlich freundlich und achtungsvoll. Der Graf solle unbedingt noch bei ihm bleiben, als sein Gast; Grumbkow dürfe es nicht übelnehmen. Dass aus Wien einmal einer nur als Offizier kam! Und wollte sich mit dem Potsdamer Obristen nicht einmal bekannt machen! Der König hatte allerlei Grund, sich zu wundern und zu freuen und zu schelten.
Der Graf verstand zu antworten. Er wisse, die preußischen Herren Offiziere hätten keine Zeit für müßige Visiten.
Der König schenkte ihm Bier ein. Er nahm selbst den neuen Humpen vom Bord. Grumbkow verbarg sein inneres Lächeln vollkommen. Der Graf, so sagte er dem König, wisse sich noch gar keinen Rat, wie er einen längeren Aufenthalt in Potsdam bewerkstelligen solle. Man ersuchte Majestät um einen Kurier nach Wien, und Seckendorff bat, diesem ein paar Zeilen über seine Berliner Eindrücke mitgeben zu dürfen. Der König war selig.
* * *
An dem Tage, an dem ein Vierteljahrhundert über der Gründung des Königreiches Preußen hingegangen war, am 18. Januar 1726, spät am Nachmittag, gebar die Welfin Sophie Dorothea dem Hause Brandenburg den sechsten Sohn. Drei tote Söhne waren vergessen angesichts der drei lebenden. Monate hindurch hatte der Gedanke, dass ihr neues Kind, vielleicht ein Sohn, um den 18. Januar geboren werden würde, im Zusammenhang mit ihren britischen Träumen die Königin mit eigentümlicher Erregung erfüllt. Unter solch erhebenden Auspizien musste auch diesem Kinde aus welfischem Mutterblut mit aller Gewissheit eine Krone bestimmt sein! Die Tochter des Königs von England gebar keine apanagierten Prinzen!
So wurde nun der Jubiläumstag des jungen Königreiches doch noch mit Prinzensalut und Glockengeläut gar feierlich begangen, obwohl der König für das Fest seiner Dynastie und seines Staates keinerlei Anordnungen getroffen hatte.
Der Gatte und die acht Kinder erschienen bald am Bett der Wöchnerin. Ernst sah der König auf den neuen Sohn; er betrachtete, den Kopf tief über die Wiege geneigt, lange das überzarte, welke Kleine. Nun erst winkte er Ewersmann, dem Diener, er möge näher treten. Der trug ein großes Tablett an das Lager Ihrer Majestät; neun goldene Kästchen standen darauf, geschmückt mit Wappen, Initialen und reichen Emblemen; nur auf dem neunten war ein Schild für das Monogramm des Neugeborenen noch frei. Der König erklärte der Gattin die Gabe; jede der Dosen trage den Namenszug von einem ihrer Kinder. Auf einem Pergamente sollten die Umstände von eines jeden Geburt verzeichnet und in den goldenen Kästchen aufbewahrt werden.
Wie er da stand, ernst und blank im langen, blauen Uniformrock, ohne Orden, goldene Schnüre und Perücke, hätte kein Fremder den Herrn für einen König zu halten vermocht, der einen großen Tag seines Reiches und Hauses beging. Aber er schien unermesslich stolz, als er nun verfügte, der Kronprinz solle das Brüderchen über die Taufe halten. Da Friedrich aber noch so jung war, bedurfte es eines theologischen Gutachtens. Es musste auf der Stelle eingeholt werden. Die Königin ließ die Königinnen des Erdteils zu Patinnen bitten. Nun fühlte sie sich hoch erhaben über sie.
* * *
Noch auf diesen Abend hatte König Friedrich Wilhelm den Präsidenten von Creutz zu sich bestellt, wie stets in die Räume des Generaldirektoriums. Keine Unterredung zwischen dem König und seinem einstigen Geheimsekretär und Wusterhausener Regimentsschreiber hatte mehr anders stattgefunden als im Anblick all der Kassenschränke und Regale mit den Rechnungsfolianten des Königreichs Preußen.
Präsident von Creutz, der sonst nur noch im eigenen fürstlichen Empfangssaal zu verhandeln gewohnt war, erschien zu der Audienz in ungleich prächtigerer Aufmachung als der König selbst. Das flatterte von Spitzen um die Handgelenke und den Westenausschnitt seines goldverbrämten Staatsrockes! Das schimmerte von überreich gestickten Ornamenten! Die langen, harten Hände des einstigen Schreibers dufteten von teurem, modischem Balsam. Früher war seine Rechte an Daumen, Zeigefinger, Mittelfinger von nächtelangem Umklammern des Federkieles manchmal wund und entzündet und verschwollen gewesen.
Aber die Rede vom Sparen, Erwerben und Vermehren blieb seine größte Leidenschaft. Noch immer erschienen die dichten und klaren Gefüge der Zahlen dem harten Kontrolleur als das schönste Poem; und ihre langen, dunklen Reihen in schmalen, scharfbegrenzten Kolumnen aufs glatte, weiße Papier zu setzen, war ihm vom bitteren Anfang bis zur gegenwärtigen Höhe der Inbegriff beschwingten Malens, der Klang des Goldes aber, das auf harte Bretter aufgezählt wurde, die süßeste Musik. Er hatte es zuvor gewusst, dass sein Gespräch mit dem König an diesem Freudentage des Hauses nichts anderes bringen würde als eine Bilanz. Noch immer ging es zwischen ihnen beiden allein um das Plus, und den Namen Der Plusmacher trugen sie beide noch immer gemeinsam.
In dieser abendlichen Unterhaltung enthüllte sich aber über die Erkenntnisse der bloßen Bilanz hinaus dem Generalkontrolleur der preußischen Kassen etwas von dem Sinn des Wortes Rechenschaft.
„Über unseren Kassenbüchern“, so begann der König, „scheint mir Ihr Gesicht ein wenig verkniffen geworden zu sein.“
Creutz, wie der glattesten Hofleute einer, entgegnete: „Dann kann es nur die Spur der Anfangszeiten sein. Zum mindesten neuerdings hätte ich keinen Anlass zur Düsterkeit, Majestät.“
Für einen Augenblick sah König Friedrich Wilhelm heiter auf. „Dass nun mein deutsches Geld das beste im Lande ist, das freut mich“, gestand er. „Diese Reform hat mir der liebe Gott eingegeben im Herumfahren, denn ich kann versichern, dass mir kein Mensch davon gesprochen hat.“
Bilanzen enthielten das einzige Lob, das der König ertrug; doch schloss er nach der nüchternen Erörterung der Fakten und Summen: „Im Anfang war immer der Widerstand. Aber von all den Neuerungen des Kommerzes ist Gott bekannt, dass ich sie anordne, damit das platte Land floriere.“
Der Präsident hörte es nicht gern, dass der König immer noch und immer wieder Gott in Rechnung stellte; selbst die Pläne zur Währungsreform sollte Gott ihm eingegeben haben! Aber um dieses seines Gottes willen hatte der König schon manches Creutzsche Projekt in dem Augenblick durchquert, da es den größten Erfolg verhieß. In einem strengen Winter gab er die reichen Vorräte des Tuchmagazins an die Armen ab. Und als die Überschwemmungen der Oder arge Not über die schlesischen Lande des Kaisers brachten, verkaufte der Herr sein aufgespeichertes Getreide, statt mit dem Schatz zu spekulieren, zu Schleuderpreisen an die Untertanen des Kaisers, der selber nicht imstande war, zu helfen! Vor derlei unberechenbaren Zwischenfällen war der Generalkontrolleur bei dem Generaldirektor von Preußen nie sicher. Und nur die ungeheure Unternehmungslust und der unversiegliche Erfindungsgeist des Königs boten Creutz dann Ausgleichsmöglichkeiten, wenn der Chef wieder einmal mit allerlei leichtsinnigen und verschwenderischen Auflockerungsabsichten hervortrat, damit nur ja „keine Anlagen gemacht werden sollten, bei denen die Untertanen nicht bestehen könnten“, oder dass nur ja „der Untertanen Aussaugung durch Plackereien, Sudeleien, Sportulieren unbedingt verhütet werde“.
Manchmal war der König fassungslos, dass solche Verfügungen überhaupt zu Auseinandersetzungen mit dem Präsidenten der Generalrechenkammer führen konnten. Warum in aller Welt hatte er ihn denn damals trotz des Geschreies all seiner hohen Beamten geholt? Doch wohl, weil Creutz das Volk, aus dem er stammte, kannte!
„Ich habe es erst kennengelernt, als ich aus ihm herausgehoben war“, pflegte der große Rechner zu sagen. „Ich habe den Daumen auf den Beuteln. Ich stehe nach allen Schichten des Volkes hin gesondert da. Das schafft Abstand zu denen, die ewig begehren; es macht sie alle nichtig und gleich; der Unterschied liegt nur im Hundert und Tausend der Forderung. Ich öffne die Kassen. Ich sehe, wie die Menschen nehmen. Ich habe neue Augen bekommen.“
Creutz hasste es, dass der König im Statistischen Büro eines Generaldirektoriums – die statistische Abteilung war eine der Lieblingsschöpfungen des Königs und nach großen systematischen Gesichtspunkten angelegt – besondere „Historische Tabellen vom platten Lande“ führte, die nur die Menschen betrafen. Die Menschen! Hundertmal, wenn Creutz seine kühnen Zusammenziehungen der Unterstützungsetats in Vorschlag brachte, hatte der Herr „vom Menschlichen her“ ihm den Einwand entgegengehalten: „Wo die Räson?“ Und diese seine Räson war leider nie in Summen auszudrücken und in Multiplikationen zu erfassen.
Und wieder sprach der Herr solch verruchtes Wort: „Das Ersparte geht nach dem Osten. Ich darf es nicht behalten. Es gehört auch nicht der Mark oder Cleve oder Pommern oder Magdeburg. Im Osten ist Mangel. Hier ist die Anweisung auf vorerst dreiundfünfzigtausend Taler. Ich zweifle nicht, dass dies einen guten Effekt tun wird.“ So machte er sich arm am Abend des Festes. Er hatte schon zu oft so gesprochen.
Der Präsident der Rechenkammer zuckte nur die Achseln. Was sollte man von einem Herrscher denken, der in dieser verrotteten Welt in dem patriarchalischen Bestreben lebte, in seinem Lande keine Armen zu haben, und selbst der einzige Arme werden wollte! Die Schrullen eines Reichen waren ja aber von je die furchtbarste Gefahr für die Kassen! Die Kassen waren einem Creutz der Himmel.
Leider war über den Himmeln der Herr.
Der Herr war aber voller Hoffnung wie noch nie. Wenn nun noch dieses Opfer für Preußisch-Litauen gebracht war; vielleicht war dann ein erstes Ziel erreicht.
Er sagte es dem Plusmacher nicht. Er schrieb es dem Dessauer Freund, als er ihm für dessen Jubiläumsglückwunsch dankte; diesmal ging der Brief nach Bubainen. Seit Neujahr weilte der Fürst von Anhalt im Schnee und Eis der Wüste von Bubainen und Norkütten. Er hatte die Wildnis, die er zum Geschenk erhielt, mit seinem ganzen Herzen festgehalten. Er ging den Weg des Königs nach, und manchmal, weil Bezirk und Aufgabe um so vieles begrenzter war, schritt der Fürst sogar den Weg voran. Aufmerksam, neidlos, lernbegierig verfolgte der Herr all sein Tun. Der Dessauer sollte ihm seine Dörfer visitieren.
„Ich weiß nicht, ob ich recht habe“, sandte er Botschaft nach Bubainen, „aber ich habe itzo das feste Vertrauen, dass es in Preußen in kurzem wird besser werden. Die neuen deutschen und allmählich auch die alten litauischen Bauern bezäunen die Dörfer und Gärten. Alle haben sie nun Gärten. Es sieht nicht mehr wüst aus. Das Vieh läuft auch nicht mehr hirtenlos im Feld umher. Die Litauer beginnen überall gut zu stehen. Sie haben nun solch Brot, das mir gut schmeckt, und in ihren Baracken sieht es jetzt gut und wirtlich aus, da man Schüsseln, Speck und Fleisch findet, und die Leute sehen neuerdings auch dick und fett aus. Viele Bauern fangen an, in breiten Beeten dreimal zu pflügen und Misthügel zu machen. Und ist gar kein Zweifel, dass durch Gottes Hilfe sich alles soutenieren wird und ich itzo reich werde und in allen meinen Kassen es sehr spüre, dass das alles gut geht.“
Er, der am Festtag keine Tafel hielt, freute sich über Speck und Fleisch in den Schüsseln seiner Untertanen und spürte daran, dass er reich wurde. –
* * *
Der letzte, der an diesem Abend zu König Friedrich Wilhelm befohlen wurde, war Roloff.
„Ich habe keine Dankgottesdienste halten lassen und sie bis zum Sonntag verschoben“, begrüßte ihn der König.
Der Prediger entgegnete kurz: „Gott wird sich nie von Eurer Majestät betrogen fühlen.“
Von dem, was beide am drängendsten bewegte, redeten der König und der Prediger heute nicht; nur dass König Friedrich Wilhelm den Pastor Roloff noch fragte, ob denn noch immer nicht auch nur der leiseste Schatten eines Anzeichens zu erblicken sei, dass die Pastoren auf den Kanzeln und die Theologieprofessoren auf den Kathedern sich endlich besönnen, was Lehrgezänk und was Verkündigung der Gnade Gottes über dem armen, schuldigen Lande Preußen sei.
Kämpfende Lager von Frommen und Unfrommen, Rechtgläubigen und Irrgläubigen, das sei ihm kein Zweifel, ließen sich nicht vereinigen, wie man verfeindete und zersplitterte Kammern der Provinzregierungen in einem neuen zentralen Generaldirektorium zusammenfasse. Dass aber Gottes Geist in seinem Königreich und seiner Königszeit die Eitelkeit, die Selbstsucht, den Zwiespalt, die Sinnlosigkeit einer dreifach zerfallenen Evangeliumsverkündigung furchtbar hinwegfegen möge, darum bete er; er bete so, dass es manchmal schon wie ein Abtrotzen sei; Gott möge es ihm vergeben, wenn die Angst um den Verlust des reinen Gotteswortes ihn so unruhig mache.
„Eins ist dem Menschen aber wohl erlaubt“, begann der König vor dem großen Prediger zaghaft zu behaupten, „eins bleibt dem König wohl noch zu tun: Er kann die Kinder, auf denen doch die höchsten Verheißungen ruhen und die der Welt als einziges Beispiel gesetzt sind, zu Gliedern einer künftigen Kirche erziehen, die nicht mehr bloßes Kampffeld der Pastoren, Professoren und Konsistorialräte, des Klerus und der Orden ist: Ein König kann die Kinder lehren, von früh auf selbst die Bibel zu lesen –.“
Der König, wie er es oft tat – ganz gleich, ob draußen Dunkelheit oder Helligkeit herrschte – redete, am Fenster stehend und dem Partner des Gespräches den Rücken kehrend. Freilich, dann musste er solchen Partner gut kennen. Fremderen sah er, was wenig beliebt war, unentwegt in die Augen.
König Friedrich Wilhelms Worte klangen fast nach Schwärmertum.
„Dann könnten sie Kinder der Seligkeit werden.“
Das hatte der Pastor ganz deutlich gehört.
Aber schon wurde aus der leisen, schwärmerischen Rede der klare Plan, das durchdachte Gebot, das formulierte Edikt.
Das Schulproblem, das sei es, was dränge. Er habe vernommen, dass die Eltern, namentlich auf dem Lande, ihre Kinder nur sehr säumig zur Schule schickten. Die arme Jugend bleibe in großer Unwissenheit, unwissend im Rechnen, im Schreiben, im Lesen. Im Lesen – das heiße aber nun: in allem, was zu Heil und Seligkeit höchst notwendig ist. Denn Predigten – ah, die vermöchten heute das Heil nicht mehr zu wirken; in denen sei die Heilige Schrift verschüttet, wenn nicht gar entstellt und verraten. Wie wüchsen die preußischen Kinder auf; es mache ihn bitter.
Aber nun wollte er es ganz bestimmt und überaus rasch verordnen, dass künftig die Eltern an allen Orten, wo Schulen wären und Schulen neu geschaffen werden sollten, bei nachdrücklicher Strafe angehalten würden, ihre Kinder im Winter täglich und im Sommer, wenn man sie auf dem Lande in der Wirtschaft brauchte, zum mindesten ein- oder zweimal in der Woche zum Schulmeister zu schicken.