Kitabı oku: «Zu vermieten», sayfa 5

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Sechstes Kapitel: Jon

Mrs. Val Dartie hatte sich nach zwanzig Jahren Südafrika glücklicherweise in etwas verliebt, das ihr gehörte, denn der Gegenstand ihrer Leidenschaft war die Aussicht von ihren Fenstern und das kühle klare Licht auf dem grünen Hügelland. Das war endlich wieder England! England schöner, als sie geträumt. Der Zufall hatte Val Dartie und seine Frau wirklich an einen Ort geführt, wo die südlichen Hügel von großem Reiz waren, wenn die Sonne schien. Holly hatte genug von ihres Vaters Augen, um Verständnis für die seltene Schönheit der Umrisse dieser Hügel und ihr kreidiges Leuchten zu haben; durch den schluchtartigen Weg da hinaufzugehen und gegen Chanctonbury und Amberley weiterzuwandern, war ein Vergnügen, das sie kaum mit Val zu teilen versuchte, denn seine Bewunderung für die Natur war von dem Trieb der Forsytes, Nutzen daraus zu ziehen, abhängig wie die Übungen seiner Pferde von der Beschaffenheit des Rasens.

Als sie den Ford geschickt, ihn gewissermaßen sanft behandelnd, nach Hause gefahren hatte, nahm sie sich vor, Jon als erstes dort hinaufzunehmen und ihm »die Aussicht« unter diesem Maihimmel zu zeigen.

Sie freute sich mit einer Mütterlichkeit, die trotz Val unerschöpflich war, auf ihren jungen Halbbruder. Bei einem dreitägigen Besuch in Robin Hill, bald nach ihrer Ankunft zu Hause, hatte sie ihn nicht gesehen – er war noch auf der Schule; so daß sie sich seiner, wie Val, nur als eines sonnenblondhaarigen kleinen Buben erinnerte, der blau und gelb gestreift unten am Teich gestanden hatte.

Diese drei Tage in Robin Hill waren aufregend, traurig und verwirrend gewesen. Erinnerungen an ihren toten Bruder, Erinnerungen an Vals Bewerbung, das Altern ihres Vaters den sie zwanzig Jahre nicht gesehen hatte, etwas Todtrauriges in seiner ironischen Sanftheit, das ihr, die einen so feinen Instinkt hatte, nicht entgehen konnte; vor allem die Gegenwart ihrer Stiefmutter, derer sie sich noch vage als der »Dame in Grau« aus den Tagen erinnerte, wo sie jung war, ihr Großvater noch lebte und Mademoiselle Beauce so böse war, weil dieser Eindringling ihr Musikstunden gab – alles dies verwirrte und quälte ihr Gemüt, das sich gesehnt hatte, Robin Hill ungetrübt vorzufinden. Aber Holly war gewohnt, dergleichen für sich zu behalten, und so hatte es den Anschein gehabt, als ginge alles gut.

Mit Lippen, die zitterten, wie sie deutlich merkte, hatte ihr Vater sie geküßt, als sie ihn verließ.

»Der Krieg hat Robin Hill nicht verändert, nicht wahr, meine Liebe?« sagte er. »Wenn du nur Jolly hättest mit zurückbringen können! Sage, kannst du dies spiritistische Gerede vertragen? Wenn die Eiche stirbt, stirbt sie, fürchte ich.«

Aus der Wärme ihrer Umarmung erriet er wahrscheinlich, daß er die Katze aus dem Sack gelassen hatte, denn er verfiel sogleich wieder in seine Ironie.

»Spiritismus – sonderbares Wort. Je mehr sie offenbaren, desto mehr beweisen sie, daß sie mit der Materie zu tun haben.« »Wie das?« sagte Holly.

»Nun! Sieh dir ihre Photographien der Auraausstrahlungen an. Du mußt etwas Materielles haben, worauf Licht und Schatten fällt, bevor du eine Photographie aufnehmen kannst. Nein, es wird damit enden, daß wir alle Materie Geist nennen, oder allen Geist Materie – ich weiß nicht, welches von beiden.«

»Aber glaubst du nicht an ein Leben nach dem Tode, Papa?«

Jolyon hatte sie angesehen, und der launige Ernst seines Gesichts hatte einen tiefen Eindruck auf sie gemacht.

»Meine Liebe, ich möchte dem Tode gern etwas abgewinnen. Ich habe da ein wenig hineingeschaut. Aber beim besten Willen kann ich nichts finden, für das Telepathie, Unterbewußtsein und Emanation aus dem Warenhaus dieser Welt nicht ebensogut herhalten können. Ich wünschte, ich könnte es! Der Wunsch ist zwar Vater des Gedankens, erbringt aber doch keinen Beweis.«

Holly hatte nochmals ihre Lippen auf seine Stirn gepreßt und meinte seine Theorie, daß alle Materie Geist würde, bestätigt zu sehen – seine Stirn fühlte sich unkörperlich an.

Aber die lebhafteste Erinnerung dieses kurzen Besuches war die unbemerkte Beobachtung ihrer Stiefmutter, die einen Brief von Jon las. Es war entschieden der reizendste Anblick, den sie je gehabt. In den Brief ihres Jungen vertieft, stand Irene an einem Fenster, wo das Licht auf ihr Gesicht und das schöne graue Haar fiel; ihre Lippen bewegten sich lächelnd, ihre dunkeln Augen lachten, leuchteten, und die Hand, die den Brief nicht hielt, war an die Brust gepreßt. Dieses Bild vollkommener Liebe gab Holly die Überzeugung, daß Jon nett sein mußte. Als sie ihn mit einer Ledertasche in jeder Hand vom Bahnhof kommen sah, war sie in ihrer Vorahnung bestärkt. Er war Jolly, diesem längst verlorenen Idol ihrer Kindheit, ein wenig ähnlich, aber der Blick war lebhafter und sein Wesen weniger förmlich, die Augen tiefer und das Haar heller, denn er trug keinen Hut; im ganzen genommen ein sehr interessanter »kleiner« Bruder!

Seine schüchterne Höflichkeit entzückte sie, die an Sicherheit im Benehmen der Jugend gewöhnt war; er war verwirrt, weil sie ihn nach Hause fahren wollte, anstatt daß er sie fuhr. Sollte er es nicht versuchen? Sie hätten seit dem Kriege allerdings kein Auto in Robin Hill, und er sei nur einmal gefahren und auf einer Böschung gelandet, also brauche sie nichts gegen den Versuch zu haben. Sein leises, ansteckendes Lachen war sehr anziehend. Als sie zu Hause anlangten, zog er einen zerknüllten Brief hervor, den sie las, während er sich wusch – einen ganz kurzen Brief, den zu schreiben ihren Vater wohl viel Überwindung gekostet haben mußte.

»Meine Liebe!

Du und Val werden, hoffe ich, nicht vergessen, daß Jon nichts von der Familiengeschichte weiß. Seine Mutter und ich denken, daß er jetzt noch zu jung dazu ist. Der Junge ist sehr lieb und ihr Augapfel. Verbum sapientibus.

Dein Dich liebender Vater

J. F.

Das war alles; aber es erneute in Holly ein unbehagliches Bedauern, daß Fleur kommen sollte.

Nach dem Tee erfüllte sie sich selbst ihren Wunsch und nahm Jon mit auf die Anhöhe. Sie hatten ein langes Gespräch, während sie dort über einer alten Kreidegrube saßen, die ganz mit Brombeeren und Labkraut überwachsen war. Milchwurz und Leberkraut besternten den grünen Abhang, die Lerchen sangen und die Amseln im Gebüsch, und dann und wann kreiste eine Möwe, die an Land flog, sehr weiß am verblassenden Himmel, wo der ferne Mond aufging. Ein köstlicher Wohlgeruch wehte zu ihnen herüber, als liefen unsichtbare kleine Wesen umher, die Duft aus Blättern und Gräsern traten.

Jon, der ganz verstummt war, sagte plötzlich:

»Es ist wundervoll hier! Nichts, das stören könnte. Möwenflug und Schafglocken – –«

»Möwenflug und Schafglocken! Du bist ein Dichter, mein Lieber!«

Jon seufzte:

»Du lieber Himmel! Wo denkst du hin!«

»Versuche es! Ich tat es auch in deinem Alter.«

»Wirklich? Mutter sagt auch: ›versuche es‹; aber ich bin so faul. Kannst du mir etwas von deinen Gedichten zeigen?«

»Mein Lieber«, erwiderte Holly, »ich bin neunzehn Jahre verheiratet. Ich schrieb nur Verse, als ich wünschte, es zu sein.«

»Ach!« sagte Jon und wandte das Gesicht ab: die eine Wange, die sie sehen konnte, war von köstlicher Farbe. Hatte Jon sich wohl schon die Finger verbrannt, wie Val es nennen würde? Schon? Wenn es so war, desto besser, dann würde er Fleur nicht beachten. Überdies sollte er am Montag mit der Landwirtschaft beginnen. Und sie lächelte. War es Burns, der hinter dem Pfluge hergegangen war, oder nur Piers Plowman? Fast jeder junge Mann und die meisten jungen Mädchen waren heutzutage Dichter, nach der Anzahl ihrer Bücher zu urteilen, die sie draußen in Südafrika gelesen hatte; und auch ganz gute, viel bessere, als sie selbst gewesen waren! Aber die Poesie war seit ihrer Zeit eigentlich erst mit den – Automobilen gekommen. Nach Tisch noch ein langes Gespräch bei einem Holzfeuer in der niedrigen Halle, und es schien wenig übrigzubleiben, was sie von Jon nicht wußte, ausgenommen einiges von wirklicher Wichtigkeit. Holly trennte sich an seiner Schlafzimmertür von ihm, nachdem sie zweimal nachgesehen, ob er alles hatte, und war überzeugt, daß sie ihn liebgewinnen und Val ihn gern mögen würde. Er war eifrig, aber nicht überströmend; er war ein glänzender Zuhörer, sympathisch, verschwiegen über sich selbst. Er liebte offenbar ihren Vater und betete seine Mutter an. Er liebte Reiten, Rudern und Fechten mehr als Spiele. Er rettete Motten aus der Flamme und konnte Spinnen nicht vertragen, trug sie aber lieber in einem Stückchen Papier hinaus, als daß er sie tötete. Mit einem Wort, er war liebenswürdig. Sie ging schlafen mit dem Gedanken, daß er furchtbar leiden würde, wenn jemand ihn verletzte; aber wer sollte ihn verletzen?

Jon dagegen saß wach mit einem Stück Papier und einem Bleistift in der Hand am Fenster und schrieb sein erstes »wirkliches Gedicht« beim Licht einer Kerze, weil nicht Mondlicht genug war, um dabei zu sehen, nur genug, die Nacht unwirklich und wie in Silber getaucht erscheinen zu lassen. Just die Nacht, für Fleur zu wandern und sich umzuschauen und weiter zu gehen – über die Hügel und weit, weit fort. Und Jon, die offene, freie Stirn in tiefen Falten, machte Zeichen auf das Papier und rieb sie wieder aus, um sie abermals aufzuschreiben, und tat alles, was für die Vollendung eines Kunstwerks notwendig ist; und er hatte ein Gefühl, wie die Frühlingswinde es haben müssen, wenn sie ihren ersten Sang unter den kommenden Blüten versuchen. Jon war einer jener Knaben (es gibt nicht viele), in denen eine von Haus aus eingeimpfte Schönheitsliebe das Schulleben überdauert. Er hatte es natürlich in sich verschließen müssen, so daß nicht einmal sein Zeichenlehrer etwas davon wußte; aber es war da, lebte stolz und rein in ihm. Und sein Gedicht kam ihm so lahm und gekünstelt vor, wie die Nacht beschwingt. Aber er behielt es trotzdem. Es war »Torheit«, doch besser denn nichts, als Ausdruck des Unaussprechlichen. Und beinah niedergeschlagen dachte er: »Ich werde es Mutter nicht zeigen können.« Als er, überwältigt von allem Neuen, endlich einschlief, schlief er entsetzlich gut.

Siebentes Kapitel: Fleur

Um das Peinliche von Fragen zu vermeiden, die nicht beantwortet werden konnten, war Jon nichts weiter gesagt worden als:

»Es kommt ein junges Mädchen am Ende der Woche mit Val heraus.«

Aus demselben Grunde war alles, was Fleur gesagt wurde: »Es wohnt ein junger Mann bei uns.«

Die beiden Jährlinge, wie Val sie in seinen Gedanken nannte, trafen sich daher auf eine Weise, die an Unvorbereitetsein nichts zu wünschen übrigließ. Holly stellte sie einander so vor: »Dies ist Jon, mein kleiner Bruder; Fleur ist eine Kusine von uns, Jon.«

Jon, der durch die hohe Glastür aus starkem Sonnenlicht hereinkam, war von dem unvorhergesehenen Wunder so betroffen, daß er Zeit gewann, Fleur ruhig sagen zu hören: »Oh, sehr angenehm!«, als wenn er sie nie gesehen hätte und undeutlich aus der denkbar schnellsten kleinen Bewegung ihres Kopfes zu verstehen, daß er sie nie gesehen hatte. Er neigte sich daher ganz trunken über ihre Hand und war schweigsamer als das Grab. Er hütete sich zu sprechen. Einmal in seiner frühesten Kindheit, als er lesend bei einem Nachtlicht überrascht wurde, hatte er töricht gesagt: »Ich habe nur die Blätter umgewendet, Mama«, und seine Mutter hatte erwidert: »Jon, sage nie eine Lüge, deines Gesichts wegen – niemand wird sie dir je glauben.«

Dieser Ausspruch hatte für immer das notwendige Vertrauen zu dem Erfolg der gesprochenen Unwahrheit untergraben. Er hörte daher Fleurs gewandte und lebhafte Bemerkungen darüber, wie hübsch sie alles finde, mit an, versah sie mit Gebäck und Marmelade und entfernte sich, sobald es ging. Man sagt, daß man im Delirium tremens einen, vorzugsweise dunkeln bestimmten Gegenstand sehe, der plötzlich Gestalt und Lage verändert. Jon sah den bestimmten Gegenstand; er hatte dunkle Augen und ziemlich dunkles Haar, und er änderte seine Lage, aber nie die Gestalt. Das Bewußtsein, daß zwischen ihm und dem Gegenstand bereits ein geheimes Einverständnis bestand (wie unmöglich es auch zu verstehen war), durchzitterte ihn so, daß er fieberhaft wartete und sein Gedicht abzuschreiben begann – das er ihr natürlich nie zu zeigen wagen würde –, bis der Klang von Pferdehufen ihn weckte und er vom Fenster aus Val mit ihr fortreiten sah. Es war klar, daß sie keine Zeit vergeudete, aber der Anblick schmerzte ihn. Er vergeudete die seine. Wäre er in seiner furchtbaren Erregung nicht davongelaufen, hätten sie ihn vielleicht aufgefordert, mitzukommen. Und von seinem Fenster aus beobachtete er ihr Verschwinden, sah sie auf der Straße wieder erscheinen und noch einmal für eine Minute klar am Rande der Hügelkette auftauchen. »Alberner Tropf!« dachte er, »ich versäume immer die Gelegenheit.«

Weshalb konnte er nicht Selbstvertrauen haben und bereit sein? Er legte sein Kinn auf die Hand und stellte sich den Ritt vor, den er mit ihr hätte machen können. Fünf Tage waren nur fünf Tage, und nun hatte er drei Stunden davon versäumt. Gab es irgend jemand außer ihm, der solch ein Dummkopf gewesen wäre wie er? Er kannte keinen.

Er kleidete sich früh zu Tisch an und war zuerst unten. Er wollte nichts mehr versäumen. Aber er vermißte Fleur, die zuletzt herunterkam. Er saß ihr bei Tisch gegenüber, und es war furchtbar – unmöglich, etwas zu sagen, aus Furcht, das Falsche zu sagen; unmöglich, sie unbefangen anzuschauen; unmöglich, sie, mit der er im Geiste schon über alle Berge und weit fort gewesen, normal zu behandeln; in dem Bewußtsein dazu, die ganze Zeit, daß er ihr und allen andern wie ein stummer Tölpel vorkommen mußte. Ja, es war entsetzlich! Und sie sprach so sicher – schwebte leichtbeschwingt hierhin und dorthin. Wunderbar, wie sie eine Kunst beherrschte, die er so gräßlich schwer fand. Sie mußte ihn in der Tat für hoffnungslos halten!

Die Augen seiner Schwester, die mit einigem Erstaunen auf ihn gerichtet waren, nötigten ihn schließlich, Fleur anzublicken; aber sofort schienen ihre Augen, sehr eifrig und sehr weit geöffnet, zu sagen: »Um Gottes willen!« und zwangen ihn, Val anzusehen, dessen Grinsen ihn wieder zwang, auf sein Kotelett zu blicken, das wenigstens keine Augen und kein Grinsen hatte, und es hastig zu verzehren.

»Jon ist im Begriff, Landwirt zu werden«, hörte er Holly sagen; »Landwirt und Dichter.«

Er blickte vorwurfsvoll auf, sah ein komisches Hochziehen ihrer Brauen wie das ihres Vetters, lachte und fühlte sich besser.

Val erzählte den Vorfall mit Monsieur Profond, und nichts hätte günstiger sein können, denn während er erzählte, sah er Holly an, die wieder ihn ansah, während Fleur mit leisem Stirnrunzeln irgendeinen eigenen Gedanken zu betrachten schien und Jon endlich sie anschauen konnte. Sie hatte ein weißes Kleid an, das sehr einfach und gut gemacht war; ihre Arme waren bloß, und in ihrem Haar steckte eine weiße Rose. In diesem raschen Augenblick freien Anschauens nach so intensivem Unbehagen sah Jon sie verklärt wie einen schlanken weißen Obstbaum, den man im Dunkeln sieht, empfand sie wie den Vers eines Gedichts, der im Geist vor einem aufblitzt, oder einen Ton, der in weiter Ferne verhallt.

Er hätte gar zu gern gewußt, wie alt sie war – sie schien soviel selbstbewußter und erfahrener als er. Weshalb durften sie nicht sagen, daß sie sich getroffen hatten? Er erinnerte sich plötzlich des Gesichtes seiner Mutter, das bestürzt war, verletzt aussah, als sie antwortete: »Ja, es sind Verwandte, aber wir kennen sie nicht.« Unmöglich, daß seine Mutter, die Schönheit liebte, Fleur nicht bewundern sollte, wenn sie sie kannte!

Als er nach Tisch mit Val allein blieb, nippte er ehrfurchtsvoll an dem Portwein und antwortete auf die Vorschläge seines neugewonnenen Schwagers. Zum Reiten (immer das erste, was bei Val in Betracht kam) könnte er den jungen Chestnut haben, ihn selbst satteln und absatteln und nach ihm sehen, wenn er ihn hereinbrachte. Jon sagte, daß er von zu Haus an all das gewöhnt sei, und sah, daß er in der Achtung seines Wirtes um eine Stufe höher gestiegen war.

»Fleur«, sagte Val, »kann noch nicht gut reiten, aber sie ist kühn. Ihr Vater natürlich kann ein Pferd nicht von einem Wagenrad unterscheiden. Reitet dein Papa?«

»Er pflegte es zu tun; aber jetzt ist er – du weißt, er ist –« Er hielt inne, denn er haßte das Wort »alt« so. Sein Vater war alt und doch nicht alt; nein – nie!

»Ja, ja«, sagte Val. »Ich kannte deinen Bruder von Oxford her, vor langer Zeit, den, der im Burenkrieg starb. Wir hatten einen Kampf im Garten des New College. Das war eine sonderbare Geschichte«, fügte er nachdenklich hinzu; »es zog vieles nach sich.«

Jons Augen öffneten sich weit; alles drängte ihn zu historischer Untersuchung, als die Stimme seiner Schwester sanft von der Tür her sagte:

»Kommt doch her, ihr beiden«, und er erhob sich, da sein Herz ihn zu etwas drängte, das viel mehr zeitgemäß war.

Nachdem Fleur erklärt hatte, daß es »einfach zu wundervoll wäre, um drinnen zu bleiben«, gingen sie alle hinaus. Das Mondlicht machte den Tau frösteln, und eine alte Sonnenuhr warf einen langen Schatten. Zwei Buchsbaumhecken im rechten Winkel, breit und dunkel, sperrten den Obstgarten ab. Fleur ging durch die Öffnung und rief: »Kommen Sie mit!« Jon blickte auf die andern und folgte. Sie lief wie ein Geist zwischen den Bäumen. Alles war lieblich und wie Schaum über ihr, und es roch nach alten Baumstämmen und nach Nesseln. Sie verschwand. Er dachte, daß er sie verloren hatte, aber da rannte er sie beinah um, da sie ganz still dastand.

»Ist das nicht herrlich?« rief sie, und Jon erwiderte:

»Sehr!«

Sie streckte die Hand aus, zupfte eine Blüte ab, drehte sie zwischen den Fingern und sagte:

»Ich darf Sie doch Jon nennen, nicht wahr?«

»Selbstverständlich.«

»Gut denn! Aber Sie wissen doch, daß da eine Fehde zwischen unseren Familien ist?«

»Eine Fehde?« stammelte Jon. »Weshalb?«

»Das ist ja eben so romantisch und albern. Deshalb tat ich, als kennten wir uns nicht. Wollen wir morgen früh aufstehen und vor dem Frühstück einen Spaziergang machen und uns über alles aussprechen? Ich hasse es, etwas aufzuschieben, Sie nicht auch?«

Jon stimmte begeistert zu.

»Sechs Uhr also. Ich finde Ihre Mutter entzückend.«

Jon sagte feurig: »Ja, das ist sie.«

»Ich liebe alles Schöne«, fuhr Fleur fort, »wenn es aufregend ist. Aber Griechisches mag ich gar nicht.«

»Wie? Nicht Euripides?«

»Euripides? Ach! Nein! Ich mag griechische Stücke nicht leiden; sie sind so lang. Ich finde, man muß Schönheit immer rasch genießen. Ich sehe mir zum Beispiel gern ein Bild an und laufe dann davon. Ich vertrage nicht so viele Dinge auf einmal. Sehen Sie!« Sie hielt ihre Blüte in das Mondlicht. »Das ist besser als der ganze Garten, finde ich.«

Und plötzlich ergriff sie mit der andern Hand die seine.

»Finden Sie nicht, daß von allem in der Welt Vorsicht das Schrecklichste ist? Riechen Sie das Mondlicht!«

Sie hielt ihm die Blüte dicht vors Gesicht; Jon pflichtete taumelig bei, daß von allem in der Welt Vorsicht das Schrecklichste sei, beugte sich vor und küßte die Hand, die die seine hielt. »Das ist hübsch und altmodisch«, sagte Fleur gelassen. »Sie sind furchtbar schweigsam, Jon. Aber ich liebe Schweigen, wenn es nicht lange dauert.« Sie ließ seine Hand los. »Glaubten Sie, daß ich mein Taschentuch absichtlich fallen ließ?«

»Nein!« rief Jon ganz entrüstet.

»Aber ich tat es natürlich. Jetzt wollen wir zurück, sonst denken sie, wir tun dies auch absichtlich.« Und wieder rannte sie wie ein Geist unter die Bäume. Jon folgte ihr, mit Liebe im Herzen, Frühling im Herzen, und über allem die mondbeschienene, weiße, unirdische Blüte. Sie kamen heraus, wo sie hineingegangen waren, Fleur jetzt ernst und gesetzt.

»Es ist ganz wundervoll da drinnen«, sagte sie träumerisch zu Holly.

Jon bewahrte Schweigen, in der leisen Hoffnung, Anerkennung bei ihr zu finden.

Sie sagte ihm flüchtig und ernst gute Nacht, was ihm das Gefühl gab, geträumt zu haben ...

In ihrem Schlafzimmer hatte Fleur ihr Kleid abgeworfen, und in ein formloses Gewand gehüllt, die weiße Blume noch im Haar, sah sie aus wie eine Mousmé, als sie da mit untergeschlagenen Beinen auf ihrem Bett saß und bei Kerzenlicht schrieb.

»Liebste Cherry!

Ich glaube, ich bin verliebt. Es sitzt mir im Halse, nur ist das Gefühl eigentlich tiefer unten. Er ist ein entfernter Vetter – ein solches Kind, etwa sechs Monate älter und zehn Jahre jünger als ich. Jungens verlieben sich immer in Frauen, die älter sind als sie, und Mädchen in jüngere oder in alte Männer von vierzig. Lache nicht, aber seine Augen sind die treuesten, die ich je gesehen; und er ist göttlich schweigsam! Wir hatten eine höchstromantische erste Begegnung unter der Juno von Vospovitsch. Und jetzt schläft er im Nebenzimmer, und der Mondschein fällt auf die Blüten, und morgen früh, bevor jemand auf ist, machen wir einen Spaziergang ins Hügelmärchenland. Es ist eine Fehde in unseren Familien, die alles sehr aufregend macht. Ja! und ich werde wohl Vorwände brauchen und Dich um Einladungen bitten – wenn es so kommt, wirst Du wissen warum! Mein Vater wünscht nicht, daß wir uns kennen, aber da kann ich ihm nicht helfen. Das Leben ist kurz. Er hat die entzückendste Mutter mit silbrigem Haar und einem jungen Gesicht mit dunkeln Augen. Ich bin bei seiner Schwester zum Besuch – die meinen Vetter geheiratet hat; es ist alles sehr verwickelt, aber ich werde sie morgen auspumpen. Wir haben oft darüber gesprochen, daß Liebe ein Spielverderber ist; aber das ist alles Unsinn, es ist der Anfang eines Spieles, und je eher Du sie fühlst, meine Liebe, desto besser für Dich.

Jon (nicht einfach so geschrieben, sondern Abkürzung für Jolyon, ein Name, der in unserer Familie üblich ist, wie man sagt) gehört zu denen, die leicht entflammt sind und dann verlöschen, ist etwa fünf Fuß zehn, noch im Wachsen, und ich glaube, er wird ein Dichter. Wenn Du über mich lachst, bin ich für immer fertig mit Dir. Ich sehe allerlei Schwierigkeiten, aber Du weißt, wenn ich wirklich etwas haben will, bekomme ich es. Eine der Hauptwirkungen der Liebe ist, daß man die Luft gewissermaßen bewohnt sieht, wie man ein Gesicht im Mond sieht; und man fühlt sich – fühlt sich wirblig und sanft zu gleicher Zeit, mit einer seltsamen Empfindung gerade über dem Leibchen – als atme man fortwährend den Duft von Orangeblüten ein. Dies ist meine erste, und ich habe das Gefühl, als werde es meine letzte sein, was natürlich sinnlos wäre bei all den Gesetzen der Natur und Moral. Wenn Du mich verspottest, erschlage ich Dich, und wenn Du es irgend jemand sagst, verzeihe ich es Dir nie. Ich weiß noch gar nicht, ob ich diesen Brief abschicken soll. Jedenfalls will ich es erst überschlafen. Also, gute Nacht. Ach! meine Cherry –!

Deine

Fleur.«

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