Kitabı oku: «Ehre und Macht», sayfa 2

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Kapitel 2

Wie in Trance stieg Falk unter dem lauten Rufen und Johlen des versammelten Mobs die Stufen zum Blutgerüst hinauf. Ein Priester hielt ihm ein Kruzifix entgegen und plapperte unaufhörlich das Vaterunser vor sich hin, ohne den Verurteilten dabei wirklich anzublicken. Nachdem sein Onkel gegangen war, hatte er die gesamte Nacht auf dem Boden gesessen und vor sich hingestarrt, jegliche Gedanken vollkommen aus seinem Bewusstsein ausschließend. Er spürte nicht, wie die Kälte sich in seine Knochen fraß. Sein Inneres war regelrecht eingefroren und nicht mehr empfänglich für irgendwelche Reize von außen. Als sie ihn am Morgen aus seiner Zelle holten, ließ er sich widerstandslos nach draußen führen. Er hatte mit der Welt abgeschlossen und sämtliche Gefühle aus seiner Brust verbannt.

Die Waffenknechte zerrten an seinen Stricken, mit denen man ihm Hände und Füße zusammengebunden hatte. Sie stießen ihn vor einen Holzblock, der bereits von tiefen Scharten gezeichnet war. Nikel Jobst, der Amtmann des Gaugrafen, stand in einiger Entfernung vom Richtblock. Mit einem kurzen Wink seiner rechten Hand gebot er einem Gerichtsdiener die Trommel zu schlagen, so dass die Menge langsam verstummte.

„Habt Ihr noch etwas zu sagen, Falk von Schellenberg?“, fragte er mit dröhnender Stimme, nicht wirklich eine Antwort erwartend. Ohne den Mann anzusehen, schüttelte Falk stumm den Kopf. Langsam ließ er unter gesenkten Lidern heraus den Blick über den Platz schweifen. Die Hinrichtungen in Louny fanden auf dem Marktplatz des Fleckens statt, der von einfachen Fachwerkhäusern begrenzt wurde. Bei einem steinernen Haus, dass, etwas losgelöst von den anderen, direkt gegenüber der Richtstätte stand, verharrte er. An einem geöffneten Fenster im oberen Stockwerk des Gebäudes erkannte Falk Miro. Hier residierte der Gaugraf, wenn er zu Geschäften in Louny weilte. Langsam kam wieder Leben in Falk. Er hob stolz den Kopf und starrte seinen Erzfeind so eindringlich an, dass diesem ein Schauer über den Rücken lief. Ärgerlich gab Miro dem Amtmann ein Zeichen, endlich mit der Hinrichtung fortzufahren. Er wollte die Sache hinter sich bringen. Es schien ihm gefährlich, noch länger zu warten, denn mit Sicherheit würde Falks Onkel alles versuchen, seinen Neffen doch noch vor dem Tod zu bewahren. In seiner Angst, dass zu guter Letzt etwas schiefgehen könnte, hatte er nicht bemerkt, dass Friedrich von Chomotau in der Menge stand und traurig das Geschehen beobachtete, ohne Hoffnung, dass doch ein Wunder eintreten und Falk die Rettung bringen würde.

Die Knechte stießen den Ritter nach vorn und zwangen ihn, sich vor dem Richtblock niederzuknien. Wieder fuchtelte der Pfaffe mit dem Kreuz vor dessen Gesicht herum. „Lass es, zum Teufel“, zischte Falk mit drohender Stimme. Der Geistliche sprang erschrocken zurück und schlug mehrmals hintereinander das Kreuz.

„Heilige Mutter Gottes. Der Böse hat bereits Besitz von ihm genommen“, stieß er mit heiserer Stimme hervor. „Ihr solltet Euch sputen, Henkersmeister, bevor er uns alle verflucht.“ Hektisch flog sein von Panik gezeichneter Blick zwischen dem Scharfrichter und dem Amtmann hin und her.

„Waltet Eures Amtes, Meister Peter“, wies nun auch der Büttel den Henker an. Der Mann trat hinter Falk und ließ sich von seinem Gehilfen das Richtschwert reichen. Gerade hub er an, den Verurteilten um Vergebung zu bitten für sein Tun, da kam Bewegung in die Menge. Eine junge Frau zwang sich durch die Reihen und rannte direkt auf das Schandgerüst zu.

„Haltet ein!“, rief sie. Ihr Schleier war vom schnellen Laufen verrutscht. Lange glänzende Flechten fielen ihr über den Rücken. Mit einer Hand die Kopfbedeckung haltend, mit der anderen den Rock raffend, erklomm sie die Stufen des Schafotts. Die Waffenknechte wollten nach ihr greifen, doch wich sie ihnen geschickt aus. Nikel Jobst war zu verblüfft von dem Geschehen, als dass er der Sache Einhalt gebieten konnte. Oben angekommen, warf sich das Mädchen vor dem Scharfrichter auf die Knie und deutete auf Falk.

„Es ist mein gutes Recht, diesen armen Sünder vom Halsgericht loszubitten, wenn ich ihn zum Manne wähle.“ Demütig senkte sie den Kopf.

Meister Peter war ratlos. So etwas hatte er in seinen ganzen Jahren als Henker noch nicht erlebt. Doch wusste er, dass es Brauch war, den Verurteilten mittels Heirat freikaufen zu können. Aber eigentlich ging das nur, wenn der Henker selbst einer Delinquentin die Ehe antrug, eventuell konnte die Tochter des Scharfrichters einen Mann erbitten. Aber ein vollkommen fremdes Mädchen? Doch eigentlich war er es leid, sein ganzes Leben lang Menschen zu Tode zu befördern und für immer aus der Gesellschaft der ehrbaren Menschen ausgeschlossen zu sein. Er hatte sich seinen Beruf nicht ausgesucht, sondern ihn von seinem Vater übernommen. Die Gesetze forderten, dass der älteste Sohn des amtierenden Henkers bei dessen Tod diese Pflicht übernahm. Und so musste auch Peter bereits in jungen Jahren die „Geschäfte“ seines Vaters weiterführen. Welch wunderbare Gelegenheit, einmal etwas Gutes zu tun und sich wenigstens von einer Sünde reinzuwaschen, dachte er bei sich.

Durch die Menge ging ein Raunen. „So ist es Brauch!“

„Ja, lasst ihn frei!“

„Nein, wir wollen den Hurensohn sterben sehen!“

„Er muss büßen. Er hat unsre Kaufleute überfallen.“

„Das hat sich der Gaugraf bestimmt nur ausgedacht!“ Die Rufe wurden immer lauter. Es bildeten sich zwei Lager heraus, die einen wollten, dass Falk freikam, die anderen zweifelten an der Rechtmäßigkeit der Sache. Nikel wies den Henker an, mit seiner Arbeit zu warten.

Miro von Louny beobachtete mit erstarrter Miene das Geschehen. Das durfte doch nicht wahr sein. Was sollte das nun schon wieder? Bekam er seine Rache nie? Er trat in den Raum zurück und rief nach seinem Diener. „Hole mir den Amtmann herauf“, wies er diesen barsch an, als der Bursche seinen Kopf zur Tür hereinsteckte.

Nikel Jobst klopfte zaghaft an die Tür. Er wusste nicht, ob es Rechtens war, dass das Mädchen um das Leben des Verurteilten bat. Doch wollte er die Sache nicht allein entscheiden, das war Aufgabe des Gaugrafen.

„Kommt rein, Nikel“, rief Miro. „Und schließt die Tür. Ich brauche keine unliebsamen Zeugen unserer Unterhaltung.“

Der Amtmann trat vorsichtig in die Kammer, seine Kopfbedeckung nervös mit den Händen knetend. Ängstlich blickte er seinen Herrn an.

„Was wisst Ihr von so einem Brauch, Nikel Jobst?“, fragte der Gaugraf ungehalten, sah er doch jetzt seine gesamten Pläne in Gefahr.

„In meiner langen Zeit als Amtmann hatten wir so einen Fall noch nicht“, begann Nikel unsicher. „Doch in Prag ist es vor Jahren dazu gekommen, dass der Sohn des Stadtvogts, der wegen Todschlags auf das Rad geflochten werden sollte, von der Henkerstochter zum Manne gewählt wurde. Daraufhin ließ man ihn frei. Allerdings wurden beide aus der Stadt gejagt.“ Nikel atmete tief durch. „Auch hatte man ihm die Knochen von Armen und Beinen schon mit einem Hammer zerschlagen, so dass ich nicht weiß, ob er die Sache überhaupt überlebt hat“, setzte er hinzu. „Das Weib hat ihn in einem Karren fortgebracht.“

„Von der Henkerstochter, was?“, fragte Miro listig. „Und, ist es die Henkerstochter, die um Falks Leben bittet?“ Höhnisch schnaubend verzog er die Lippen zu einem spöttischen Lächeln.

„Ich weiß nicht, Herr“, antwortete der Amtmann vorsichtig.

„Dann bringe es in Erfahrung“, schnauzte der Gaugraf den Mann an. „Und ist sie es nicht, dann weise den Scharfrichter an, endlich seine Sache zu Ende zu bringen.“ Miro war sich vollkommen sicher, dass es nur noch kurze Zeit währen würde, bis sein ärgster Feind vom Leben zum Tode befördert wurde.

Falk hatte die Angelegenheit nur von Ferne wahrgenommen und es dauerte einige Zeit, bis er registrierte, dass das Mädchen gerade um sein Leben bettelte. Verwundert drehte er sich um, soweit es seine Fesseln zuließen, und betrachtete sie. Die junge Frau mochte ungefähr zwanzig Jahre zählen. Sie war eher von kleiner Gestalt, schlank und zierlich. Genau ließ sich das nicht sagen, da ihr Gewand unförmig und zerschlissen war. Ein dunkelblauer Schleier verdeckte ihr Haar nur zum Teil und die ersten Strahlen der sich über den Platz erhebenden Sonne ließen es rotgolden aufleuchten. Falk meinte sogar einen hellen Schein über ihrem Kopf wahrzunehmen. Erstaunen zeichnete sich auf seinem Gesicht ab und so etwas wie Hoffnung begann in seiner Brust aufzukeimen. Er betrachtete sie genauer. Er konnte sich nicht erinnern, dieses Mädchen schon einmal gesehen zu haben und dennoch kam sie ihm irgendwie bekannt vor. Das schmale blasse Gesicht mit den riesigen grauen Augen, die zierliche kleine Stupsnase und der im Vergleich dazu relativ große, hübsch geschwungene Mund, der ihrem Gesicht einen energischen, wenn auch etwas herben Zug verlieh. Nein, direkt schön war sie nicht. Und dennoch faszinierte ihn ihre Erscheinung.

Meister Peter beugte sich zu der am Boden Knienden herab und zog sie beinahe liebevoll auf die Beine. Sie drohte zu straucheln und hielt sich am Arm des Henkers fest. Die Menge, welche bis jetzt regelrecht den Atem angehalten hatte, stieß einen Schrei des Entsetzens aus. Niemand wagte es, den Henker zu berühren. Das galt als vollkommen unmöglich, da man dadurch selbst zu einem unehrlichen Menschen wurde und fortan aus der Gesellschaft ausgeschlossen war. Wer war diese Frau? Noch nie hatte sie jemand in Louny gesehen. Stimmte es wirklich, dass sie den Delinquenten vom Henker freibitten konnte? Mit Spannung harrten die Menschen, wie sich die Angelegenheit wohl weitergestalten würde und sie warteten ungeduldig auf die Rückkehr des Amtmanns.

Nikel Jobst eilte über den Platz und erklomm das Blutgerüst. In einem angemessenen Abstand blieb er vor Meister Peter stehen. Er fixierte das Mädchen mit einem strengen Blick, der allerdings seine ganze Unsicherheit offenbarte. Der Henker lauerte gespannt darauf, welche Nachricht der Amtmann verkünden würde. Er glaubte nicht daran, dass Miro von Louny sich von einem Mädchen davon abbringen ließ, seinen Kontrahenten zu beseitigen. Meister Peter wusste nur zu gut aus zuverlässiger Quelle, dass Miro an Falk ein Exempel statuieren wollte, gewissermaßen als Demonstration seiner Macht. Wieso aber gerade Falk, selbst ein Ministeriale des Königs, in die Fänge des Gaugrafen geraten war, das entzog sich seiner Kenntnis. Doch insgeheim bewunderte er die gelassene Haltung seines Gefangenen, über den er selbst noch nie etwas Negatives gehört hatte. Er wäre nicht gerade böse darüber, dieses eine Mal sein Handwerk nicht ausüben zu müssen, denn Miro von Louny war ein übler Geselle, der mit großer Grausamkeit in seinem Gebiet herrschte.

„Was willst du, Mädchen?“, begann der Amtmann ungehalten. „Wer bist du überhaupt, dass du es wagst, dieses Halsgericht zu stören? Weißt du nicht, dass dieser Mann hier ein berüchtigter Raubritter ist, den Gott nun seiner gerechten Strafe zuführt?“ Er schaute das Mädchen streng an. Fast hätte der Henker gelacht, denn das Weib starrte nur herausfordernd zurück, ohne die geringste Ehrfurcht vor dem Amt des Büttels an den Tag zu legen. Die Sache begann ihm Spaß zu machen. Er schaute kurz zu Falk, der etwas verwirrt dreinblickte. Doch schien der Ritter gefasst und Meister Peter zweifelte nicht daran, dass dieser ganz genau registrierte, welche Gelegenheit sich ihm hier bot, sein Leben behalten zu können.

„Es gilt von alters her, dass ein Verurteilter vom Halsgericht freikommen kann, wenn sich jemand dazu bereit erklärt, den armen Sünder zu ehelichen“, sagte die junge Frau trotzig mit fester Stimme. Aus den Augenwinkeln heraus konnte Meister Peter sehen, dass Falk mühsam schluckte. Ob aus Angst davor, vom Regen in die Traufe zu kommen, weil diese Maid ihn zum Manne wollte, oder aus der verzweifelten Hoffnung heraus, nun doch sein Leben behalten zu können, das vermochte er nicht zu sagen. Aber er nahm an, dass Falk mit Sicherheit unter allen Umständen das Leben wählen würde, selbst wenn die Frau alt und hässlich gewesen wäre.

„Weißt du nicht, dass nur der Henker selbst oder dessen Tochter einen Verurteilten heiraten kann?“, hörte er den Amtmann fragen. „Und, bist du die Tochter des Henkers? Wir haben dich hier noch nie gesehen.“ Triumphierend schaute Nikel Jobst in die Menge, die das Spektakel begeistert verfolgte. Der Henker sah, dass die junge Frau blass wurde und verzweifelt nach Argumenten suchte. Und so beschloss Peter, dem Mädchen zu helfen und die ganze Angelegenheit ein wenig zu beschleunigen.

„Sie ist meine Tochter“, sagte er mit fester Stimme.

Die Brauen des Amtmannes fuhren in die Höhe. „Eure Tochter...?“, fragte er verblüfft.

Auch die junge Frau schaute ihn mit fragendem Blick an, war aber schlau genug, den Mund zu halten.

„Wieso ist sie Eure Tochter?“, fragte Nikel Jobst etwas dümmlich.

„Nun, wie wird sie wohl meine Tochter sein“, fuhr Meister Peter belustigt fort. „Meine Frau, Gott hab sie selig, und ich...“

„Ja, ja. Es reicht. Was ich meinte, war, dass hier bisher niemand wusste, dass Ihr eine Tochter habt.“

„Nun, was das betrifft, so habe ich es auch nie an die große Glocke gehangen. Das arme Kind ist auch so schon gestraft genug, mit niemandem reden zu dürfen, keine Freundin unter den anderen Mädchen zu haben und nur mit Blut und Tod in Berührung zu kommen. Deshalb halte ich sie immer im Haus und sie hat nur mit wenigen Menschen Kontakt.“ Peter hoffte inständig, dass seine dreiste Lüge nicht auffliegen würde. Er gefiel sich in der Rolle, selbst einmal über Leben und Tod entscheiden zu können, nicht immer nur der Ausführende zu sein.

„Ach was?“, war das Einzige, was dem Amtmann zu diesem vollkommen neuen Umstand zu sagen einfiel.

„Und, wie es meine Tochter schon richtig kundtat, hat sie das Recht, unter dem Halsgericht ihren zukünftigen Gemahl zu wählen. Auch wenn es mir selbst nicht unbedingt gefällt“, fügte er vorsichtshalber hinzu.

Die junge Frau erkannte sehr schnell, dass es ihre einzige Chance war, nicht davongejagt zu werden und damit Falk seinem Schicksal zu überlassen, indem sie auf die Behauptung des Henkers einging. Nun war es gleich, ob sie diesen Mann nochmals berührte oder nicht. Sie fasste Meister Peter am Arm, den Anschein erweckend, dass sie Unterstützung bei ihrem Vater suchen würde.

„Bitte gebt mich diesem Mann dort zur Frau“, deutete sie auf Falk, der die ganze Farce mit zunehmender Neugier verfolgte. Bot sich hier etwa eine Gelegenheit, doch mit dem Leben davonzukommen? Er sollte verflucht sein, wenn er auf diese Scharade nicht eingehen würde. Seine Lebensgeister kehrten mit allen ihren Sinnen zurück und er warf dem Mädchen einen flehenden Blick zu, diese unglaubliche Geschichte weiter mitzuspielen.

„Ich liebe ihn, von ganzem Herzen“, hörte er sie mit leiser Stimme sagen, und fast hätte es ihn amüsiert, zu sehen, wie sie ob ihrer Worte leicht errötete, wäre er nicht in so einer misslichen Lage gewesen.

„Und woher kennst du den Ritter, Weib?“, fragte der Amtmann nun etwas gereizt, da er der ganzen Sache keinen rechten Glauben schenken mochte.

„Er hat mir im Wald von Lounisky einmal das Leben gerettet, als ich beim Kräutersammeln von einem wilden Eber angegriffen wurde. Der Ritter wusste nicht, wer ich bin“, beeilte sie sich zu sagen, um Falk wenigstens etwas Ehre bei der ganzen Angelegenheit zu lassen. Das war natürlich glatt gelogen, denn Falk hatte sie nie in diesem Wald getroffen, kannte sie gar nicht. Zumindest war er sich dessen nicht bewusst, denn sie selbst wusste von ihm bereits ihr ganzes Leben.

„Doch, ich habe mich auf der Stelle in ihn verliebt, kann ohne ihn nicht mehr leben“, fügte sie voller Theatralik hinzu.

Die Menge johlte begeistert und schrie: „Heiraten, heiraten!“

„Das Mädchen hat Recht“, mischte sich nun auch der Priester ein. „Es ist seit Jahrhunderten Brauch, einen Verurteilten unterm Blutgerüst freizukaufen.“ Wie sah das aus, wenn der Vertreter der Kirche hier nur stumm beiseite stand, ohne in dieser Angelegenheit das letzte Wort gesprochen zu haben. Das war eine Sache Gottes, hier wurde über Tod und Leben entschieden. Zu schnell schien er vergessen zu haben, dass er gerade noch Falks schnellen Tod gefordert hatte. Aber zu wichtig war es ihm, als Unterstützer eines Wunders angesehen zu werden. Die meisten Menschen hier sahen die Geschichte als Gottesurteil und es würde der Kirche nur zum Vorteil gereichen, wenn sie den angeblichen Willen des himmlischen Herrschers nicht in Frage stellte. Und deshalb forderte er nun auch das Leben des Verurteilten für das Mädchen.

„Ich werde mich mit dem Prälaten in dieser Sache beraten. Aber ich glaube, auch er sieht es als Willen Gottes an, dass dieser Mann und diese Frau das Sakrament der Ehe erhalten.“

„Nun gut“, meldete sich Nikel Jobst wieder zu Wort. „Ich werde die Sache mit dem Gaugrafen besprechen. In der Zwischenzeit sperrt die beiden zusammen in das Verlies“, wies er mit einem sarkastischen Lächeln seine Waffenknechte an. Sollte das dumme Mädchen ruhig spüren, was es hieß, gesetzlos zu sein.

„Meister Peter, ich glaube, wir benötigen Eure Dienste im Moment nicht mehr“, wandte er sich an den Scharfrichter. „Aber erwartet nicht, dass Ihr einen Lohn erhaltet. Schließlich habt Ihr mit Eurer Brut selbst dazu beigetragen, dass der Raubritter nicht gerichtet wird.“

Meister Peter verbeugte sich schweigend vor dem Amtmann. Letztlich war er froh, nicht weiter befragt worden zu sein, was seine Verwandtschaft mit dem Mädchen anging. Zum Glück interessierte sich niemand weiter für die Familienverhältnisse eines Henkers, der als unrein und damit als unehrenhaft galt. Die Menschen machten es sich wahrlich zu einfach, wenn es darum ging, mit den unangenehmen Dingen des Lebens nichts zu tun haben zu wollen. Von den feinen Bürgern der Stadt würde sich niemand hinstellen und einen Verbrecher, der ihnen Hab und Gut oder gar das Leben eines Familienmitgliedes genommen hatte, selbst zu richten. Dabei war es vor noch gar nicht allzu langer Zeit sogar üblich gewesen, dass ein Mann, der geschädigt war, das Urteil selbst vollstreckte. Aber jetzt, wo die Leute in schmucken Häusern in Städten wohnten, wollte sich niemand selbst die Hände mit dem Blut der Verurteilten besudeln. Es belastete ihn sehr, dieses Handwerk ausüben zu müssen, doch konnte er nichts dagegen tun, wenn er seine Familie ernähren wollte. Deshalb hielt er jetzt auch den Mund und hoffte insgeheim, dass der Ritter und das junge Weib mit heiler Haut davonkommen würden.

„Was, um Gottes Willen, geht da unten vor sich?“, fragte der Gaugraf aufgebracht den Amtmann, als dieser wieder zurückkehrte. „Wieso habt ihr die beiden zusammen wegführen lassen? Ihr solltet den Schellenberger zu Tode befördern, nicht mit einem Weib versorgen.“

„Sie ist die Tochter des Henkers“, verteidigte sich Nikel. „Außerdem hat sich der Pfaffe eingemischt und die Sache zu einer Angelegenheit des Himmels erklärt, indem er es als einen Wink Gottes ansieht, dass dieses Weib gerade jetzt aufgetaucht ist.“

„Was? Wieso?“ Miro von Louny war zutiefst verwundert darüber, dass der Henker eine Tochter hatte. Warum wusste er davon nichts? Doch interessierte ihn dieser Umstand erst einmal weniger. Nur, dass die Kirche nun auch noch darauf bestand, dass das Weib Recht hatte, ärgerte ihn maßlos. Der Pfaffe war ein Vertrauter des Prälaten des Passauer Bischofs. Wenn er jetzt dessen Urteil in Frage stellte, würde er sich die Kirche zum Gegner machen, und das liefe seinen ehrgeizigen Zielen, seine Macht über die Grenzen Lounys weiter auszubauen, sehr zuwider.

„Nun gut. Soll sie diesen Kerl doch heiraten“, sagte er. „Doch sobald sie die Ehegelübde abgelegt haben, erkläre ich beide für vogelfrei und lasse sie aus der Stadt jagen.“ Er lächelte böse. „Dann kann sie jeder wie tollwütige Füchse erschlagen. Ich glaube nicht, dass sie lange überleben. Also ist es letztlich vollkommen egal, wie der Halunke zu Tode kommt. Und das Weib hat es sich selbst zuzuschreiben, wenn sie stirbt. Sie hat als Henkerstochter sowieso nichts mehr von dieser Welt zu erwarten. Doch führe ihr diesen Umstand nochmals vor Augen. Vielleicht überlegt sie es sich anders und hängt dennoch am Leben. Dann können wir die Sache, den Schellenberger ins Jenseits zu befördern, etwas beschleunigen.“

Falk beobachtete die junge Frau nun schon eine ganze Weile. Sie saß zusammengekauert in der Ecke unter dem Fenster, wohin sich ein Sonnenstrahl verirrt hatte, der wieder goldene Lichtreflexe in ihr Haar zauberte. Ihr Gesicht schien noch blasser als am Morgen und in ihren Augen stand die nackte Angst, als sie ihn anblickte.

Wie ist das nur möglich?, dachte Falk. Sollte sie wirklich von Gott gesandt sein? Eigentlich hatte er nie an solche Sachen geglaubt, stand göttlichen Dingen eher skeptisch gegenüber. Was, wenn es nun doch so etwas wie Wunder gäbe?

„Wie heißt du?“, fragte Falk. „Wie kommt es, dass du behauptest, mich zu kennen? Und, was mich am meisten irritiert, wieso sagst du, dass du mich liebst und heiraten willst?“

Stumm schaute ihn das Mädchen an, in ihren Augen schimmerten Tränen.

„Nun, ich weiß nicht recht. Erst bittest du um mein Leben und jetzt scheint es dir die Sprache verschlagen zu haben. Ich hoffe, du bereust deine Tat nicht, denn eigentlich hänge ich sehr am Leben. Diese Chance, die sich mir jetzt hier bietet, will ich wahrlich nicht verstreichen lassen. Ich verspreche dir, dich reich zu belohnen, wenn du dieses Märchen noch eine Weile aufrechterhältst.“ Er ging vor dem Mädchen in die Hocke und schaute sie eindringlich an.

Die junge Frau holte tief Luft und schniefte kurz. „Ich hatte meine Gründe, Euch das Leben zu retten“, sagte sie zu Falks Verwunderung. „Doch bin ich mir nicht mehr ganz sicher, ob es eine gute Idee war.“ Sie schluckte kurz. „Immerhin hält mich jetzt jeder für die Tochter des Henkers.“ In ihr Gesicht trat ein leichter Ausdruck des Bedauerns.

„Das hättest du dir vorher überlegen sollen. Doch nun, da es einmal so ist, kannst du dieses Spiel auch noch eine Weile weiterspielen. Ich wäre dir sehr verbunden dafür“, sagte er mit einem Anflug von Schärfe in der Stimme. Allerdings bereute er es sofort, als sie ihn mit einem etwas weidwunden Blick anschaute.

Fast wie das Rehkitz, was mir vor einigen Wochen vor die Armbrust gelaufen ist, dachte er. Er hatte das Reh damals laufen lassen. Warum, wusste er bis heute nicht, denn so hatte er die Tafel des Herren von Chomotau um ein beträchtliches Festmahl gebracht. Nur, dass sie kein Rehkitz war und auch nicht braune, sondern graue Augen wie der Novemberhimmel hatte und alle seine Sinne verwirrte. Falk erhob sich seufzend.

„Was, glaubt Ihr, werden sie mit uns tun?“, fragte die junge Frau ängstlich.

„Ich hoffe, die Kirche setzt sich durch. Der Pfaffe will ein Wunder sehen. Und das glaubt er mit deiner Hilfe den Menschen vorsetzen zu können. Also denke ich, sie werden uns trauen und dann aus der Stadt jagen.“ Er sah, wie ihre Schultern vor Erleichterung nach unten sackten.

„Nun, wie auch immer die Sache hier ausgehen wird, ich bin dir zu Dank verpflichtet. Falls sie mich doch hinrichten, hoffe ich, du schließt mich in deine Gebete ein. Ich schätze, dir wird nichts weiter geschehen. Vielleicht vertreiben sie dich aus der Stadt.“

Falk verfiel ins Grübeln und zermarterte sich das Hirn, warum ihn das Mädchen an jemanden erinnerte. Nach einer Weile schoss es ihm durch den Kopf, dass er die Frau noch nicht einmal nach ihrem Namen gefragt hatte. Wieder ging er zu ihr und blieb direkt vor ihr stehen. Sie hob den Kopf, welchen sie auf ihren Knien abgelegt hatte und schaute ihn abwartend an.

„Wie heißt du?“, fragte er unvermittelt. „Wenn ich dich schon heiraten muss, dann will ich wenigstens wissen, mit wem ich es zu tun habe. Nicht, dass ich eine Wahl hätte“, setzte er mit trockener Stimme hinzu.

Ein trauriges Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. „Ihr habt Recht. Verzeiht, dass ich Euch meinen Namen noch gar nicht genannt habe. Ich bin Krystina von Hauenstejn und...“

„Von Hauenstejn!“, rief Falk voller Verwunderung aus, ohne sie aussprechen zu lassen. „Wie kommt es, dass ein Fräulein von Stand sich als die Henkerstochter ausgibt.“ Er schüttelte ungläubig den Kopf. Er hatte bisher angenommen, dass dieses Mädchen ein armes Weib irgendwo aus der Gegend war, die sich einen Vorteil davon versprach, wenn sie ihn rettete. „Habt Ihr etwas mit Kaspar von Hauenstejn zu tun?“, fragte er.

„Ja, er ist mein Onkel“, antwortete sie verdrossen.

„Euer Onkel? Und was, zum Teufel, macht Ihr dann hier in diesem Drecksloch?“ Er konnte es nicht fassen. Krystina wollte gerade zu einer Antwort ansetzen. Da hörten sie draußen Schritte und alsbald wurde der Riegel aufgeschoben.

In der Tür erschien der Priester. Mit feierlicher Miene betrat er den Raum, und Falk hoffte, dass der Gesichtsausdruck des Pfaffen verhieß, bald die Sakramente der Ehe zu erhalten und nicht die zum Sterben. Nach ihm traten die beiden Knechte ein und schritten auf Falk zu.

„Da hast du Glück gehabt, Schellenberger“, sagte der eine respektlos. „Der Prälat konnte den Gaugrafen davon überzeugen, dass es Gottes Wille sei, dass du dieses Mal dem Henkersschwert entronnen bist.“ Er packte Falk grob an den Armen und löste dessen Fesseln, denn noch immer war er mit den Stricken gebunden gewesen, die sie ihm vor dem Gang zum Schafott am frühen Morgen angelegt hatten.

„Geht beiseite und lasst mich mein Amt verrichten.“ Wichtigtuerisch schob der Pater den Waffenknecht hinter sich, der daraufhin unwillig knurrte.

„Wenn Ihr mich fragt, hätte man die Hexe gleich mit hinrichten sollen“, sagte er unwirsch.

„Dich fragt aber keiner.“ Der Priester legte seine Stola um. „Und jetzt stelle dich neben den Gefangenen. Es muss ja schließlich auch Zeugen geben, die bestätigen, dass der Ritter hier in den heiligen Stand der Ehe getreten ist. Nicht, dass er es sich hernach einfallen lässt, sich nach einer standesgemäßen Braut umzusehen.“ Er lachte hämisch auf.

„Steh auf, mein Kind“, forderte er Krystina unter scheinheiligem, freundlichem Getue auf. „Und nun sage mir deinen Namen, damit ich euch miteinander verbinden kann.“ Abwartend blickte er ihr ins Gesicht. Einen kurzen Moment geriet Krystina in Panik. Doch sie fasste sich schnell. Wenn sie jetzt preisgab, dass sie eine von Hauenstejn sei, wäre alles umsonst gewesen.

„Ich heiße Krystina“, sagte sie ohne weitere Erklärungen, in der Hoffnung, dass der Priester sie immer noch für die Henkerstochter hielt. „Aber sagt mir, Ehrwürden, wo ist mein geliebter Vater. Soll er mich nicht diesem Manne zuführen?“

Falk war fassungslos. Gerade noch saß sie verängstigt in der Ecke und konnte ihm kaum Rede und Antwort stehen, und nun provozierte sie auch noch den Pfaffen, statt die Sache schnell hinter sich zu bringen.

Der Priester schien nicht minder erstaunt. „Nun, da es sich bei deinem Vater um den Henker von Louny handelt, wirst du wohl nicht wirklich erwarten, dass er hier anwesend ist. Außerdem werdet ihr kaum Gelegenheit haben, eure Vermählung gebührend zu feiern, denn der Graf hat euch für vogelfrei erklärt und lässt euch aus der Stadt jagen, sobald ihr Mann und Frau seid. Und nun gebt euch die Hand, ich habe nicht ewig Zeit.“

Falk ergriff Krystinas kleine Hand, die sich sehr kalt anfühlte. Das Mädchen zitterte leicht. Um ihr etwas Mut zu geben, drückte er sie ganz behutsam. Dankbar sah sie ihn an. Der Geistliche legte ein besticktes Band über ihre Hände.

„Ich glaube, unter diesen Umständen können wir die Sache etwas abkürzen. Ich nehme nicht an, dass jemand Anspruch auf das Mädchen erhebt und so können wir uns die ganze Farce mit dem Aufgebot und so weiter sparen.“ Er schaute herausfordernd auf die Waffenknechte, die zustimmend brummten.

„Also, Falk von Schellenberg, wollt Ihr die hier anwesende Krystina, Tochter des Meister Peter, Scharfrichter von Louny, ehelichen, sie lieben und ehren, bla, bla, bla und ihr treu sein bis in den Tod?“ Der Pfaffe lachte dreckig.

„Ja“, antwortet Falk ohne weitere Regung.

„Und du Krystina, willst du diesem Mann untertan sein, bis dass der Tod euch scheidet?“

Krystina zögerte einen ganz kurzen Moment. Ihr Blick fiel auf Falk, der sie voller Hoffnung anschaute. „Ja“.

„Dann erkläre ich euch vor dem Angesicht Gottes zu Mann und Frau.“

„Und nun schert euch zum Teufel.“ Der Waffenknecht schob den Priester unsanft zur Seite, packte die junge Frau derb am Arm und schob sie Richtung Tür. Der andere Kerl war hinter Falk getreten und versetzte ihm einen Stoß. Falk strauchelte leicht, fasste sich aber sofort wieder. Irgendwann würde es ihm gelingen, fürchterliche Rache zu nehmen für all das, was er hier erleiden musste. Er legte seinen Arm um die bebende Gestalt seiner jungen Braut und zog sie mit sich. Bald standen sie auf der Straße. Die Menge vom Morgen hatte sich zerstreut. Nur noch ein paar einzelne lungerten herum, in der Hoffnung, etwas von den weiteren Geschehnissen mitbekommen zu können.

„Sobald ihr aus der Stadt heraus seid, wird die Hetzjagd eröffnet“, schrie ihnen einer der Waffenknechte triumphierend hinterher. „Und wenn ihr nicht sofort losgeht, erschlagen wir euch gleich“, setzte er leiser hinzu.

Falk nahm die Hand Krystinas mit festem Griff und begann zu rennen, die junge Frau hinter sich herzerrend. Sie stolperte über ihre Röcke, doch konnte er keine Rücksicht darauf nehmen. Sie mussten zusehen, dass sie Land gewannen, denn die Büttel des Gaugrafen würden sicher auch schon vor der Stadt auf sie lauern. Noch wusste er nicht genau, wie sie aus der Stadt gelangen konnten, ohne draußen vorm Tor sofort niedergemacht zu werden. Sie rannten über eine schmale Brücke, die den Stadtkern mit den Häusern der wohlhabenderen Bürger mit dem Stadtteil verband, in dem vorwiegend Handwerker und Häusler angesiedelt waren. Hier drängten sich niedrige, oft windschiefe Holzhäuser, meist eher Hütten gleichend, dicht an dicht, getrennt durch unzählige kleine, dunkle Gassen, in die sicher niemand genauer schauen würde, der nicht unbedingt dazu gezwungen war.

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