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2.3. Illustrationen

Die Missionszeitschriften des 19. Jahrhunderts trugen der oben erwähnten ‹Sehsucht› Rechnung. Durch Visualisierung sollte Wirklichkeit reproduziert und Authentizität nachgewiesen werden. Die zahlreichen Landkarten und Illustrationen waren für die ‹Missionssache› zudem in dreierlei Hinsicht von Nutzen: Sie dienten erstens einem pädagogischen Zweck, sollten zweitens den Erfolg der Arbeit demonstrieren und drittens den Einsatz der Spendengelder transparent machen.

Die Abbildungen boten die gesamte Bandbreite der damals möglichen Drucktechniken im Hochdruck (Holzschnitte bzw. -stiche), Tiefdruck (Radierungen) und dem zu Beginn des 19. Jahrhunderts neu aufgekommenen Flachdrucks (Lithografien).61

Seit den 1850er Jahren waren Missionare in den Missionsgebieten auch als Fotografen tätig. Bedenkt man, dass die Fotografie kaum zehn Jahre zuvor, 1839, ihren internationalen technischen Durchbruch erlebt hatte, ist es erstaunlich, wie früh sich die Missionare diese brandneue, in Vorbereitung und Durchführung zu dieser Zeit nicht gerade anspruchslosen Technik aneigneten. Nicht nur die Basler Mission zeigte großes Interesse an dem neuen Medium der Fotografie, sondern auch London Missionary Society, Church Missionary Society, die Wesleyan Methodist Missionary Society, die Bremer und die Rheinische Mission.62 Fotografien konnten jedoch bis etwa 1880 aus technischen Gründen nicht direkt, sondern nur als Radierung oder Lithografie in Büchern und Zeitschriften abgedruckt werden.63

Lange Zeit unterschätzte man den historischen Wert von Abbildungen, die auf Fotografien beruhten. Denn entweder sah man sie bloß als künstlerische Impressionen oder als stark redaktionell überarbeitete Abbildungen an, |37| die sich erheblich vom Original unterschieden. Vergleiche von Fotografien und Drucken zeigen aber, dass verschiedene Drucke eine Fotografie als Vorlage hatten und diese detailliert wiederzugeben versuchten. Im Missions-Magazin wird dies sogar an einigen Stellen in der Bildunterschrift kenntlich gemacht.64 Deshalb sind die überlieferten Radierungen und Lithografien wertvolle historische Quellen, insbesondere dann, wenn die fotografischen Vorlagen verschollen sind.

Fotografien bieten zudem einen Einblick in geschichtliche Bereiche, die in Schriftdokumenten entweder wenig repräsentiert sind oder bewusst ausgelassen werden.65

2.4. Reflexion

Die Missionsgesellschaften partizipierten durch ihre Zeitschriften an der Blütezeit der Druckmedien. Durch ihren erstaunlich fortschrittlichen Umgang mit fotografischen Abbildungen verwiesen sie dabei zugleich schon auf die darauf folgende Epoche der Mediengeschichte, auf die Hinwendung zu Bild und Ton, auf die Dominanz der elektronischen Medien.

Die Tatsache, dass in Missionsquellen aus europäischer Sicht über fremde Länder und Kulturen geschrieben wurde, lässt noch nicht den Schluss zu, dass diese eurozentrische Sicht unbedingt falsch gewesen sein muss. Ebenso führt auch das missionarische Motiv und das apologetische Interesse der Missionare in der Begegnung mit der fremden Religion nicht von vornherein dazu, dass die Berichte über die Kultur, in der sie oft viele Jahre gelebt hatten, ein Verständnis der Menschen und der Kultur des jeweiligen Missionsgebietes verunmöglichten. Die Vorurteile der Autoren aus dem Umfeld der Mission sind zu einem großen Teil viel deutlicher und besser bekannt als die anderer Autoren. «Die Missionare hatten meist ein kritisches und oftmals ein offen polemisches Verhältnis zu den von ihnen beschriebenen religiösen oder kulturellen Gegebenheiten, und sie haben ihre Kritik offen ausgesprochen, so dass es dem gegenwärtigen Leser möglich gemacht wird, zwischen Kritik und sachlich deskriptivem Gehalt der Berichte zu unterscheiden».66 |38|

Zusammen mit anderen Quellen und Informationen – Komiteeprotokollen, Briefen, Traktaten – geben Zeitschriften ein detailliertes Bild einer Gesellschaft, einer Epoche oder eine Denktradition. Die Faszination bei der Untersuchung von Zeitschriften – und auch Zeitungen – liegt darin, dass hier Geschichte als ein Prozess sichtbar wird, dessen Ziel den Schreibenden selbst oft verborgen bleibt. «Der Blick auf die Massenmedien gestattet einen in der historischen Forschung unvergleichlichen Blick auf die verlaufende Geschichte.»67 Sie sind «Bewegungstexte»68, die Entwicklungen, Wandlungsprozesse und sowohl langsame als auch sehr explosiv auftretende Neubestimmungen wiedergeben.

Die Quellen verraten viel über die Personen, die sie verfassten, bzw. über die Institution, welche die Texte und Artikel herausgab, die Einstellungen und Ideen, die sie vertrat. Die Missionsgesellschaften selbst hatten ein großes Interesse an der möglichst detaillierten und zeitnahen Wiedergabe von Informationen in Wort und Bild, lebten sie doch «von der Verlässlichkeit und der Lebendigkeit der Informationen, von einem vielschichtigen Kommunikationsprozeß, der sich durch Missionsanlässe, persönliche Kontakte, die Missionszeitschriften und schon im 19. Jahrhundert durch Diavorträge ‹in der Heimat› vollzog».69

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3. Missionsgesellschaften und ihre Publizistik: Von den englischen societies zum ‹Missionsjahrhundert›
3.1. Das 18. Jahrhundert
3.1.1. Die englischen societies: Society for Promoting Christian Knowledge (1699) und Society for the Propagation of the Gospel in Foreign Parts (1701)

Zu Beginn des 18. Jahrhunderts entstanden in der anglikanischen Kirche Englands die societies, die ein soziales und pädagogisches Anliegen mit der Arbeit an einer religiösen Erneuerung verknüpften. Puritanische und hochkirchliche Ideen verbanden sich dabei in unterschiedlicher Gewichtung, wie auch die Anbindung an die Kirche unterschiedlich stark, in jedem Fall aber immer vorhanden war.

Die englische Society for Promoting Christian Knowledge (SPCK) wurde 1699 auf Veranlassung Henry Comptons (seit 1675 Bischof von London) vom anglikanischen Pfarrer Thomas Bray zusammen mit vier Gleichgesinnten als private, freiwillige Vereinigung gegründet. Ursprünglich war ein explizit missionarisches Wirken außerhalb Englands gar nicht vorgesehen, im Vordergrund stand die Förderung des christlichen Schulwesens in England. Daraus ergab sich die Aufgabe, Gelder für Bücher, Büchereien und Schulen für die Mission der Kirche in den Kolonien zu sammeln.70 Mit der Dänisch-Halleschen Mission ergab sich ab 1726 eine enge Verbindung, auch weil sich in England nicht genug Missionare fanden, so dass die Society for Promoting Christian |40| Knowledge auf deutsche Missionare angewiesen war, um ihre mittlerweile entstandenen eigenen Missionen in Südindien zu besetzen. Die Mission der Society for Promoting Christian Knowledge wurde dadurch bis ins frühe 19. Jahrhundert stark lutherisch geprägt.71 Dies änderte sich, als die Society for Promoting Christian Knowledge 1825 ihre indischen Stationen an ihre englische Schwestergesellschaft, die Society for the Propagation of the Gospel in Foreign Parts übergab.

Wie die Society for Promoting Christian Knowledge verdankte die Society for the Propagation of the Gospel in Foreign Parts den Anstoß zu ihrer Gründung Thomas Bray, war aber «ursprünglich als Gegenstück zur römischen Propaganda-Kongregation gedacht» und 1701 durch eine Charta Williams III. «als öffentlich-rechtliche Anstalt mit voller staatskirchlicher Autorisierung» gegründet worden.72 Ausgangspunkt bildeten die europäischen Entdeckungen der vorhergehenden zwei Jahrhunderte sowie die fortschreitende Kolonisierung Nordamerikas.73 Die Society for the Propagation of the Gospel in Foreign Parts stand in der hochkirchlichen Tradition Richard Hookers und war eine der Kirche inkorporierte, anglikanisch-orthodoxe Gesellschaft unter bischöflicher Leitung. Die Missionare waren ordinierte Geistliche und zuerst Kirche und Bischof verantwortlich, dann erst der Missionsgesellschaft. Kirche, Kirchenordnung, apostolische Sukzession, Liturgie und Sakramente spielten eine große Rolle in der Missionsarbeit, was sich in der frühen Entscheidung zeigt, Bibeln immer zusammen mit dem Common Prayer Book abzugeben: «No Bibles be sent by the Society into the Plantations without Common Prayer Books bound up with them.»74 Das Siegel der Society for the Propagation of the Gospel in Foreign Parts trägt das – in der Mission immer wieder verwendete – Zitat aus Apg 16,9: «Komm herüber und hilf uns.»75. Das Arbeitsgebiet der Society for the Propagation of the Gospel in Foreign Parts lag |41| in den englischen Kolonien mit Schwerpunkt Nordamerika.76 Ab dem 19. Jahrhundert war sie als Nachfolgerin der Society for Promoting Christian Knowledge auch in Indien tätig. Die Missionsarbeit erstreckte sich dabei vor allem auf die weißen Siedler, Plantagenbesitzer und Kolonisten, später auch auf die Sklaven in Amerika und der Karibik.77 Ob die Society for the Propagation of the Gospel in Foreign Parts tatsächlich den dänischen König Frederik IV. zur Gründung der Dänisch-Halleschen Mission inspirierte, wie es O’Connor beschreibt, ist umstritten.78

3.1.2. Halle und der Beginn der planmäßigen protestantischen Mission

Im 17. Jahrhundert wurden im Pietismus die ernsthafte theologische Forderungen von Einzelnen wie Justinian von Welz79 wie auch von Seiten der niederländischen Nadere Reformatie nach einer Missionierung von Heiden und Juden lauter, brachten aber noch keine grundsätzliche Wende.80 Der Frage, warum der Pietismus erst im 18. Jahrhundert zu einem Neubeginn der Mission fand und welche Konzepte, Gedanken und Vorbilder aus dem 17. Jahrhundert dabei eine Rolle spielten, ist bislang in der Forschung nicht zufriedenstellend bearbeitet oder beantwortet worden. Laut Wellenreuther könnte eine mögliche Erklärung in der allgemeinen Indifferenz gegenüber der Mission im 17. Jahrhundert sowie einer gewissen Ratlosigkeit hinsichtlich der praktischen Bewerkstelligung und der dazu benötigten Mitarbeiter bestehen. Denkbar ist, dass es erst einer gewissen innergemeindlichen Konsolidierung sowie eines äußeren Anstoßes bedurfte, um der Forderung nach einer Heidenmission nachzukommen.81 |42|

Die planmäßige Heiden-Mission auf protestantischer Seite begann am 9. Juli 1706 mit Bartholomäus Ziegenbalg und Heinrich Plütschau in Tranquebar an der Südostküste Indiens. König Frederik IV. von Dänemark suchte für seine Kolonien Missionare. Durch Vermittlung seines Hofpredigers Franz Julius Lüttkens kam er in Kontakt mit den beiden Theologen aus Halle, einem der wichtigsten Zentren des Pietismus im 18. Jahrhundert.82 Damit begann die Geschichte einer organisierten, kontinuierlichen protestantischen Missionsarbeit auf breiterer Basis. Zugleich markierte sie auch den Übergang von lutherisch-orthodoxer Zurückhaltung in der Frage der Mission zu pietistischer Missions-Euphorie. Die Dänisch-Hallesche Mission stellte einen Sondertyp lutherisch-pietistischer Mission dar. Die Initiative ging von der Obrigkeit aus. Die Mission stand stets unter behördlicher Dienst- und Verwaltungsaufsicht, unter der Aufsicht des Missionskollegiums (gegründet 1714), mit Sitz in Kopenhagen, das direkt dem König unterstellt war. Die lutherische Kirche in Dänemark reagierte zunächst mit Zurückhaltung, das Unternehmen des Königs war umstritten.83 Die ersten Missionare Ziegenbalg und Plütschau waren Schüler August Hermann Franckes, der zwar erst nachträglich, dann jedoch umso intensiver das neue Projekt zu seinem eigenen machte. Durch die Veröffentlichungen der Halleschen Berichte ab 1710, der ersten periodisch erscheinenden Missionszeitschrift überhaupt, rückte Francke das Anliegen der Mission in den Fokus der evangelischen Welt und machte sie zu ihrer Aufgabe.84 Das erste Zentrum der protestantischen Mission wurde dadurch Halle bzw. die dortigen Franckeschen Anstalten.85

3.1.3. Die Sammlung der Erstlinge: Die Herrnhuter Mission ab 1732

Das zweite große Missionswerk aus dem Bereich des Pietismus, die Herrnhuter Brüdermission und ihr Initiator Zinzendorf, wurde stark durch die Dänisch-Hallesche Mission beeinflusst. Zinzendorf selbst kam durch die Halleschen Missionsberichte sowie durch persönliche Begegnungen mit Missionaren in den Franckeschen Anstalten während seiner Zeit auf dem dortigen Pädagogium zu dem Entschluss, Missionar zu werden. Mit der Aussendung eines ‹Hottentotten›-Missionars nach Südafrika verwirklichte die Herrnhuter Mission später sogar eine von Ziegenbalg stammende Anregung. 1732 gingen die ersten beiden Missionare ins westindische St. Thomas. Wie das gesamte theologische Denken Zinzendorfs war auch die Herrnhuter Mission streng |43| christozentrisch orientiert. Die Missionare waren unabhängige Laien, die eine abgegrenzte Gemeinschaft von Erweckten sein wollten. Eine konfessionelle Prägung war ihnen fremd. Jedoch führte die von ihnen angestrebte «Sammlung der Erstlinge»86 zu einer Art konfessioneller Sondergestalt, die in ihrer Eigenart auch in den Missionsgebieten deutlich erkennbar war und bis heute Bestand hat.87

Feststellen lässt sich jedoch, dass schon die englischen societies des 18. Jahrhunderts mit der Missionsarbeit auf dem europäischen Festland, insbesondere mit der Dänisch-Halleschen Mission, sehr eng verbunden waren und sie sich gegenseitig beeinflussten.88 Diese transnationalen Verbindungen setzten sich im 19. Jahrhunderts nicht nur fort, sondern wurden geradezu zu einem Kennzeichen von Erweckungs- und Missionsbewegung, der ‹protestantischen Internationalen›.89 |44|

3.2. Das ‹Missionsjahrhundert›: Protestantische Mission im 19. Jahrhundert

Schon vor dem 19. Jahrhundert bestanden also protestantische Missionsbestrebungen in England, Halle und Herrnhut, die für die späteren Missionsgesellschaften wichtige Weichen stellten. Das 19. Jahrhundert galt aber in besonderer Weise, gerade auch in der Eigenwahrnehmung der Beteiligten, als das ‹Missionsjahrhundert›.

Ein ganz pragmatischer Grund für dieses neue protestantische Phänomen darf dabei nicht vergessen werden: Wie die katholische Mission waren auch die protestantischen Missionsunternehmungen wenn schon nicht auf die Unterstützung, so doch zumindest auf die Billigung der jeweiligen europäischen Kolonialmächte oder einheimischen Herrscher angewiesen. Protestantische Regierungen sperrten sich jedoch in der Regel bis zum Ende des 18. Jahrhunderts gegen Mission in ihren kolonialen Territorien.90 Die Entscheidung für ein ganz bestimmtes Missionsfeld war deshalb oft auch mit politischen Entwicklungen verknüpft wie z.B. die Öffnung Britisch-Indiens für Missionare durch die erneuerte Charta der East India Company im Jahr 1813.91 Der «große missionsgeschichtliche Aufbruch»92 seit den 1790er Jahren stand im Zusammenhang mit den geänderten machtpolitischen Rahmenbedingungen dieser Zeit, die der Mission neue Freiräume vor allem in den außereuropäischen Gebieten schuf. Hinzu kam eine neue Welle der Erweckungsbewegung, die Adel und Bürgertum gleichermaßen erfasste und so eine breite Basis für ein neues Interesse an Mission schuf. Neue evangelikale Netzwerke entstanden und verbanden die Akteure zu einer transnational und überkonfessionell ausgerichteten Mission. Der weit verbreitete Aufruf zur Mission der London Missionary Society im Jahr 1795 gab den Anstoß zur Gründung zahlreicher |45| Missionsvereine – der typischen sozialen Organisationsform der bürgerlichen Gesellschaft –, die sich nach und nach selbst zu aussendenden Missionsgesellschaften entwickelten.93

3.2.1. Pietismus und Erweckung

Die Grenzen von Pietismus und Erweckung sind fließend und über den Pietismusbegriff, vor allem seine lokale und temporale Ausdehnung, herrscht keine Einigkeit.94 Mit meiner Definition des Pietismus schließe ich mich Wallmann an:

«Der Pietismus ist eine im 17. Jahrhundert entstehende, im 18. Jahrhundert zu voller Blüte kommende religiöse Erneuerungsbewegung im kontinentaleuropäischen Protestantismus, neben dem angelsächsischen Puritanismus die bedeutendste religiöse Bewegung des Protestantismus seit der Reformation. Gleicherweise in der lutherischen wie in der reformierten Kirche entstanden, dringt der Pietismus auf Individualisierung und Verinnerlichung des religiösen Lebens, entwickelt neue Formen persönlicher Frömmigkeit und gemeinschaftlichen Lebens, führt zu durchgreifenden Reformen in Theologie und Kirche und hinterlässt tiefe Spuren im gesellschaftlichen und kulturellen Leben der von ihm erfassten Länder.»95

Für die Verhältnisbestimmung von Pietismus und Erweckungsbewegung kommt Brecht zu dem Schluss:

«Wenn man so will, könnte man das, was in weiten Teilen des kontinentalen, europäischen Protestantismus sich als Fortsetzung des Pietismus darstellt, zumindest im kontinentalen, aber wohl nicht vom angelsächsischen Horizont aus für das 19. Jahrhundert nach wie vor unter dem Obertitel Pietismus als Erweckungsbewegung und Evangelikalismus bezeichnen und sich auf diesen gemeinsamen Nenner einigen.»96 |46|

‹Erweckung› ist kein singuläres Ereignis des 19. Jahrhunderts.97 Immer wieder gab es in der Geschichte der christlichen Kirche Erweckungsbewegungen, doch erst im frühen 19. Jahrhundert wurde ‹Erweckung› zum Fachbegriff für «eine sich in mehreren Ländern zeigende, im Wesen antiaufklärerische Bewegung mit dem Höhepunkt um das Jahr 1830».98

Gäbler nennt fünf Motive, die charakteristisch für die Erweckungsbewegung in all ihrer Unterschiedlichkeit sind:

1 Das prophetische Motiv, das eine Analyse der Zeitereignisse mit der Heilsgeschichte in Verbindung bringt, dabei wird die Gegenwart als krisenhaft erfahren und beschrieben.

2 Das biblizistische Motiv, das den Gegensatz zur historisch-kritischen Schriftauslegung betont und dezidiert antiaufklärerisch ist.

3 Das chiliastische Motiv, das im Bewusstsein der bevorstehenden Endzeit in seiner postmillenaristischen Ausprägung, in Form von missionarischer, evangelisatorischer und karitativer Arbeit, zu unermüdlicher Arbeit für das Bauen des Gottesreiches führt.

4 Das universalistische Motiv hängt mit dem chiliastischen Motiv insofern zusammen, als dass die Erweckten in der postmillenaristischen Tradition auf ein «universales, weltweites Gottesreich ohne nationale Barrieren und ohne konfessionelle Schranken» warten und die tatsächlich existierenden weltweiten evangelikalen Netzwerke als Zeichen dieses universalen Gottesreiches sehen.99 Dieser Universalismus kann jedoch auch in sein glattes Gegenteil, in Partikularismus oder Nationalismus umschlagen, so dass dann z.B. die Vereinigten Staaten von Amerika als Ziel der Heilsgeschichte gelten.|47| 5. Das individualistische Motiv betont die persönliche und selbständige Gotteserfahrung, die jeder Christ machen müsse. Sie ist das wesentliche Merkmal des christlichen Glaubens. Wie im Pietismus dient die persönliche Bekehrung, das persönliche Gottesverhältnis zudem als gemeinschaftsstiftendes Erkennungszeichen.

Die Erweckungsbewegung steht in enger Beziehung zum Pietismus. Besonders die Verbindungen von Gestalten der Erweckungsbewegung wie Thomas Chalmers, Ami Bost oder Ludwig Hofacker zum Herrnhuter Pietismus sind zahlreich und bislang noch nicht intensiv erforscht. Mit dem indi­vidualistischen Motiv hing das soziale Motiv eng zusammen, das die Tradition von wissenschaftlichen, gemeinnützigen oder religiösen Gesellschaften aus dem 18. Jahrhundert fortsetzte. Mündige Christinnen und Christen schlossen sich zu Vereinen und Gesellschaften zusammen. Wie bei den aufklärerischen Sozietäten waren auch hier die Freiwilligkeit, die persönliche Überzeugung und die grundsätzliche Gleichberechtigung von Männern und Frauen (zumindest vor Gott) zentral. So bestand eine fortgesetzte Kontinuität zwischen Aufklärung und Erweckung. Zugleich waren diese Zusammenschlüsse zweck­gebunden und dienten ganz bestimmten Aufgaben wie der Bibel- oder Trak­tatverbreitung oder eben der Heidenmission.

Gäbler weist nicht allen fünf Motiven die gleiche Bedeutung zu. Zentral sind endzeitliches Bewusstsein, Erfahrungsreligion und der Sozietätsgedanke. Die von ihm verwendeten Begriffe sind sehr umfassend. Es besteht die Gefahr einer Verkürzung z.B. beim Begriff der Erfahrungsreligion.100 Jedoch geht es ihm in erster Linie darum, das Phänomen ‹Erweckung›, das sich durch seine Vielgestaltigkeit einer Beschreibung immer wieder zu entziehen sucht, mit |48| den fünf Motiven bzw. drei Hauptmotiven zufriedenstellend zu charakterisieren. Dadurch gewinnt die Erweckungsbewegung des frühen 19. Jahrhunderts einerseits ein eigenständiges Profil gegenüber dem Pietismus, andererseits wird deutlich, dass es ohne pietistische Traditionen und Aufklärung kein ­endzeitliches Bewusstsein gäbe, Erfahrungsreligion und Sozietätsgedanke un­denkbar wären: «Das Zusammentreffen dieser drei Motive charakterisiert die Erweckung im europäischen und im amerikanischen Protestantismus und unterscheidet sie von anderen Bewegungen.»101

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