Kitabı oku: «Beweisantragsrecht», sayfa 5
Anmerkungen
[1]
So in BGHSt 3, 169, 175; 10, 116; 23, 176, 187; 46, 73, 79 = NJW 2000, 2517; s. auch Alsberg/Dallmeyer Rn. 42 m.z.w.N.; Maul Festschrift für Karl Peters II, 1980, S. 47 ff.
[2]
Mit Recht kritisch insoweit KK-Herdegen 5. Aufl., § 244 Rn. 21; anders nunmehr: KK-Krehl § 244 Rn. 33.
[3]
Vgl. BGH NStZ 1991, 399; BGH NStZ, 1990, 384; BGH StV 1989, 518, 519. Einschränkend: Widmaier NStZ 1994, 248; vgl. zum Diskussionsstand auch Schulenburg Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung im Strafprozess, S. 56 ff.
[4]
KK-Krehl § 244 Rn. 33 unter Bezugnahme auf BGH NJW 1994, 1294, 1295.
[5]
BGH Urt. v. 21.7.2016 – 2 StR 383/15 = StV 2017, 502; BGH Urt. v. 9.10.2014 – 4 StR 208/14 = NStZ 2015, 36; BGH Urt. v. 9.12.2008 – 5 StR 412/08 = NStZ 2009, 468, BGH 1 StR 175/96 = NStZ-RR 1996, 299. Vgl. ergänzend ferner BGH Urt. v. 23.6.2004 – 2 StR 491/03 = NStZ 2005, 44 und BGH Beschl. v. 18.1.2011 – 1 StR 663/10 = BGHSt 56, 138, 144.
[6]
BGH Urt. v. 21.7.2016 – 2 StR 383/15 = StV 2017, 502; BGH Urt. v. 9.10.2014 – 4 StR 208/14 = NStZ 2015, 36; BGH Beschl. v. 19.3.2013 – 5 StR 79/13 = NStZ 2013, 725; BGH Beschl. v. 25.2.2003 – 4 StR 499/02 = NStZ-RR 2003, 205 = StV 2003, 429.
[7]
Vgl. KK-Krehl § 244 Rn. 32 m.w.N.; Alsberg/Dallmeyer Rn. 43; LR-Becker § 244 Rn. 50; vgl. auch BGHSt 34, 209, 210 = NJW 1987, 660.
[8]
BGH Urt. v. 29.10.2010 – 1 StR 266/10 = BGHSt 56, 6, 10 = NJW 2011, 547 = StraFo 2011, 96; BGH StV 1981, 164 = MDR 1981, 455 (bei Holtz); Alsberg/Dallmeyer Rn. 43; MüKo-StPO/Trüg/Habetha § 244 Rn. 58 f.
[9]
Vgl. BGH Urt. v. 25.3.2010 – 4 StR 522/09 = NStZ-RR 2010, 236, 237; BGH Urt. v. 21.4.2005 – 3 StR 68/05 = NStZ 2006, 55 (Verpflichtung zur Vernehmung einer Zeugin nach Rücknahme des Beweisantrages durch die StA); BGH 4 StR 70/93 = BGHR StPO § 244 Abs. 2 Aufdrängen 5; BGH StV 1983, 495.
[10]
Alsberg/Dallmeyer Rn. 44; Weber GA 1975, 289, 293; vgl. auch BGHSt 50, 40, 48.
[11]
BGH StV 1984, 233; Meyer-Goßner/Schmitt § 261 Rn. 20; vgl. auch MüKo-StPO/Maier § 55 Rn. 84.
Teil 2 Die Stufen der petitativen Einflussnahme auf den Umfang der Beweisaufnahme › II. Beweisanregung
II. Beweisanregung
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Eine Beweisanregung im weiteren Sinne besteht in der – gesetzlich nicht formulierten, aber zulässigen – Möglichkeit des Verteidigers, die Aufklärungspflicht des Gerichts dadurch zu beeinflussen, dass er eine Information aktenkundig macht.
Die Beweisanregung ist kein prozessualer Antrag, sie enthält nicht das formalisierte Begehren einer bestimmten Beweiserhebung[1]. Teilt der Verteidiger dem Gericht lediglich mit, es gebe für einen bestimmten Vorfall noch einen bestimmten Zeugen, oder legt er mit dem Hinweis auf eine bestimmte beweisrelevante Passage eine Urkunde vor, so enthält dies regelmäßig nicht die Aussage, die Erhebung des Beweises sei notwendig und das förmliche Petitum an das Gericht, das benannte Beweismittel auch zu nutzen. Wo eine solche Aufforderung fehlt, etwa weil die Beweiserhebung „anheim gestellt“ wird, fehlt es an dem für den eigentlichen Beweisantrag charakteristischen Ansinnen an das Gericht, eine bestimmte Beweiserhebung auch durchzuführen.
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Beweisanregungen bringen im Gegensatz zur schlichten Informationsweitergabe durchaus schon zum Ausdruck, dass der Verteidiger die Beweiserhebung unter gewissen Voraussetzungen für erforderlich hält. Der „Wunsch“, den Beweis zu erheben, wird aber sozusagen halbherzig vorgebracht. Dafür kann es aus der Verfahrenssituation heraus Gründe geben, die der Verteidiger offen legen kann, um zu erreichen, dass die rechtlichen oder tatsächlichen Voraussetzungen, unter denen man die Beweiserhebung für nützlich hielte, im Rahmen eines Rechtsgespräches erörtert werden.
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Beispiel:
„Wenn der Staatsanwaltschaft in ihrer Rechtsauffassung zuzustimmen wäre – das Gericht weiß, dass die Verteidigung anderer Meinung ist – wonach es darauf ankäme, ob ein „hinterlistiger Überfall“ gegeben ist (§ 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB), dann müsste darüber Beweis erhoben werden. Die Verteidigung regt für den Fall, dass das Gericht der Rechtsmeinung der Staatsanwaltschaft zuneigen sollte, die Vernehmung der Zeugen X und Y an.“
oder:
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„Aus den Fragen des Gerichts an den Zeugen … ist bei der Verteidigung der Eindruck entstanden, dass Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit bestehen könnten. Wir regen deshalb an, auch noch die Zeugen … zu vernehmen, die bestätigen können, ….“
oder:
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„Das Verhalten des Angeklagten bei Begehung der Tat und der Umstand, dass er eine Blutalkoholkonzentration von 1,5 Promille hatte, legen es nahe, dass seine Steuerungsfähigkeit vermindert war. Ich rege deshalb an, ein psychiatrisches Sachverständigengutachten einzuholen.“
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Werden sie in der Hauptverhandlung vorgebracht, so sind Beweisanregungen in das Sitzungsprotokoll aufzunehmen,[2] ihre Ablehnung erfordert aber keinen Gerichtsbeschluss.[3] Weist der Vorsitzende die Anregung zurück, kann nach § 238 Abs. 2 gerichtliche Entscheidung beantragt werden.[4]
Die Beweisanregung hat ihren Platz, wo der Verteidiger eine klare Behauptung über das Ergebnis einer zu erwartenden Beweisaufnahme nicht aufstellen will oder kann. Sie kann in bestimmten Verfahren auch dazu dienen, näheren Aufschluss darüber zu erhalten, welche Themenbereiche für das Gericht noch von Interesse sind. Wird für einen solchen Themenbereich eine Beweisanregung formuliert, so vermeidet dies die Förmlichkeit eines Beweisantrages und verhindert damit bisweilen ungewollte Schärfen.
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Von der Beweisanregung im weiteren Sinne lässt sich die Beweisanregung im engeren Sinne unterscheiden. Hierunter versteht man eine Intervention, die nicht den Umfang, sondern die Art und Weise der Beweisaufnahme betrifft; beispielsweise eine Anregung auf Durchführung einer Gegenüberstellung, auf Durchführung von bestimmten Experimenten oder die Anregung auf Wiederholung einer Beweiserhebung zu derselben Beweisfrage.[5]
Der häufigste Grund dafür, dass die Verteidigung an Stelle eines förmlichen Beweisantrages lediglich eine Beweisanregung vorbringt, dürfte darin liegen, dass die Verteidigung die Hinzuziehung eines ungewöhnlichen („außerordentlichen“) Beweismittels, das nicht der Typologie der Strafprozessordnung entspricht, für sinnvoll hält. Das gilt insbesondere für die „synthetischen“ Beweismittel, die sich aus verschiedenen Beweisarten zusammensetzen, wie zum Beispiel Experimente des Gerichts, Fahrversuche in Begleitung eines Sachverständigen u.Ä. Auch eine Gegenüberstellung namentlich in der Form der Wahlgegenüberstellung gehört zu den rechtlich nicht durchsetzbaren und deshalb nicht in der Form eines Beweisantrages „beantragbaren“, aber vielfach doch sinnvollen Beweiserhebungsmaßnahmen.[6]
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Beispiel:
„Für die Frage, ob der Tatvorwurf zu Recht erhoben wird, ist von entscheidender Bedeutung, ob der Zeuge den Angeklagten als den Fahrer des Fahrzeugs, das den Unfall verursacht hat, wieder erkennt. Nach den Erkenntnissen der Wahrnehmungspsychologie kann ein solcher Vorgang entscheidend durch die Situation beeinflusst werden, in der sich der Zeuge und der Angeklagte gegenüberstehen. Wir regen deshalb an, den Angeklagten für die Dauer der Vernehmung des Zeugen im Zuschauerraum Platz nehmen zu lassen.“
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Weiterhin ist der Verteidiger dann auf die Möglichkeit einer Anregung an Stelle eines Antrages angewiesen, wenn die Beweiserhebung noch von Umständen abhängt, die weder im Einflussbereich des Verteidigers noch im Einflussbereich des Gerichts liegen. Ein typisches Beispiel hierfür ist der Antrag auf Erstattung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens nach ausführlicher Exploration eines Zeugen. Ein solches Gutachten setzt regelmäßig voraus, dass der Zeuge bereit ist, sich den Tests und Fragen des Gutachters zu stellen. Deshalb ergeht die Anregung an das Gericht, ein Gutachten in Auftrag zu geben und zuvor den Zeugen nach seiner Mitwirkungsbereitschaft zu fragen.
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Mehr als eine Beweisanregung kann der Verteidiger auch dann nicht anbringen, wenn in einer länger dauernden Hauptverhandlung Streit darüber entsteht, was ein Zeuge in einer früheren Phase des Verfahrens ausgesagt hat oder nicht. Der Beweisantrag auf nochmalige Vernehmung des Zeugen zu demselben Beweisthema ist nach allgemeiner Meinung unzulässig und wird deshalb als bloße Beweisanregung angesehen.[7] Ein Anspruch auf Wiederholung einer bereits durchgeführten Beweiserhebung besteht generell nicht, das Gericht kann über einen hierauf gerichteten Antrag auf der Grundlage der Aufklärungspflicht entscheiden, an § 244 Abs. 3 StPO ist es nicht gebunden[8]. Nur wenn eine neue Beweistatsache benannt werden kann, zu der der Zeuge bislang nicht ausgesagt hat, kann ein Beweisantrag gestellt werden, über den dann an Hand der Kriterien des § 244 Abs. 3 StPO zu entscheiden ist.[9]
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Diese Grundsätze gelten bei Ersetzung der persönlichen Vernehmung eines Zeugen in der Hauptverhandlung durch die Vorführung einer Video-Aufzeichnung nach § 255a StPO entsprechend. Das Tatgericht darf nach Maßgabe der Aufklärungspflicht entscheiden, wenn im Anschluss an die Vorführung der Video-Aufzeichnung über eine frühere richterliche Vernehmung nach § 255a StPO[10] die Vernehmung des Zeugen beantragt wird (vgl. § 255a Abs. 2 Satz 4 StPO).[11] Nur wenn eine neue Beweistatsache benannt werden kann, zu der der Zeuge bei der aufgezeichneten Vernehmung nicht ausgesagt hat, kann ein Beweisantrag gestellt werden, über den dann nach § 244 Abs. 3 StPO zu entscheiden ist.[12]
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Auch bei einem Antrag auf nochmalige Anhörung eines Sachverständigen[13] oder nochmalige Augenscheinseinnahme können vergleichbare Fragestellungen Bedeutung besitzen. Auch hier kommt es darauf an, ob nur eine Wiederholung erstrebt wird. Hat nach der ersten Anhörung des Sachverständigen ein anderer Gutachter neue Tatsachen vorgetragen, die geeignet sind, die Schlussfolgerungen des zuerst gehörten in Frage zu stellen, dann zielt ein Antrag, mit dem dessen neuerliche Anhörung erreicht werden soll, nicht auf eine bloße Wiederholung.[14] Wird mit einem Antrag auf Augenscheinseinnahme zugleich eine andere technische Bearbeitung des Beweismittels beantragt, so liegt hierin keine bloße Wiederholung einer bereits früher durchgeführten Beweisaufnahme.[15]
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Unabhängig von diesen Sonderfällen kann aber auch generell das Begehren auf Verwendung „klassischer“ Beweismittel in der abgeschwächten Form eines „Vorschlags“, d.h. einer Beweisanregung vorgebracht werden. Häufig sind es verfahrenspsychologische Momente, die den Verteidiger veranlassen, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen und bewusst gerade keinen förmlichen Beweisantrag zu stellen:
Als Beispiel sei die durchaus gelegentlich vorkommende Situation erwähnt, in der das Gericht während der Hauptverhandlung eine, bezogen auf das Verteidigungsziel, positive Tendenz zu erkennen gibt und daran auch ein informatives Rechtsgespräch anknüpft. Der Verteidiger, der dieses Gespräch zu argumentativer Überzeugungsarbeit ausnutzen will, gefährdet unter Umständen dieses Vorhaben, wenn er durch Stellung eines förmlichen Beweisantrags abrupt die Kommunikationsebene wechselt. Wer stattdessen das Gericht darauf hinweist, dass es erforderlichenfalls noch eine weitere Aufklärungsmöglichkeit gäbe, die vor einer für den Angeklagten negativen Entscheidung noch zu nutzen wäre, verliert weder die Gunst des Gerichts noch die Möglichkeit, in einer späteren Phase der Hauptverhandlung dasselbe Begehren auch noch einmal in einem Beweisantrag vorzutragen.
Anmerkungen
[1]
Vgl. KK-Krehl § 244 Rn. 103; etwas andere Systematisierung bei Eisenberg Beweisrecht der StPO, Rn. 155–157 und bei LR-Becker § 244 Rn. 168 ff.
[2]
Auch wenn die Beweisanregung kein prozessualer Antrag ist, und deshalb keine förmliche Protokollierungspflicht nach § 273 Abs. 1 besteht (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt § 244 Rn. 27; LR-Becker § 244 Rn. 178), sollte sie in das Protokoll aufgenommen werden.
[3]
Vgl. hierzu die Rechtsprechung zu den Beweisermittlungsanträgen: BGH Beschl. v. 10.3.2009 – 3 StR 588/08 = NStZ 2009, 401; BGH Beschl. v. 2.10.2007 – 3 StR 373/07 = NStZ 2008, 109 sowie BGHSt 6, 128, 129 = NJW 1954, 1336.
[4]
Vgl. hierzu LR-Becker § 244 Rn 172 und Meyer-Goßner/Schmitt § 244 Rn. 27.
[5]
Meyer-Goßner/Schmitt § 244 Rn. 26 m.w.N.; andere Terminologie bei LR-Becker § 244 Rn. 171 ff. („Aufklärungsantrag“).
[6]
Vgl. BGH StV 1995, 566, 567; BGH NStZ 1988, 420, 421; BGH NJW 1960, 2156; HK-StPO/Julius § 244 Rn. 14; zur Wahlgegenüberstellung zusammenfassend Wiegmann StraFo 1998, 37 sowie Pauly StraFo 1998, 41.
[7]
BGH StV 1991, 2; BGHSt 14, 21 f.; BGH VRS 34, 221 f.; vgl. auch Alsberg/Dallmeyer Rn. 222.
[8]
BGH Beschl. v. 29.8.2012 – 4 StR 254/12; BGH Beschl. v. 18.7.2001 – 3 StR 211/01; BGH 1 StR 590/98 = NStZ 1999, 312 = StV 2001, 98 m. Anm. Fahl.
[9]
Vgl. BGH Beschl. v. 26.2.2013 – 4 StR 518/12; BGH Beschl. v. 15.4.2003 – 1 StR 64/03 = BGHSt 48, 268 = NJW 2003, 2761 = StV 2003, 650; BGH Urt. v. 21.3.2002 – 5 StR 566/01 = wistra 2002, 260; BGH 2 StR 67/95 = BGHR StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag 32 = StV 1995, 566 = NStZ-RR 1996, 107. Siehe auch BGH v. 24.6.2008 – 5 StR 238/08.
[10]
BGH Beschl. v. 15.4.2003 – 1 StR 64/03 = BGHSt 48, 268 = NJW 2003, 2761 = StV 2003, 650. Vgl. zur Video-Vernehmung auch BGH Beschl. v. 12.2.2004 – 1 StR 566/03 = BGHSt 49, 68 = NJW 2004, 1468 = StV 2004, 246; BGH Urt. v. 12.2.2004 – 3 StR 185/03 = StV 2004, 247; Deckers StraFo 2004, 209; Kölbel NStZ 2005, 220.
[11]
BGHSt 48, 268, 273 leitet dies daraus ab, dass die Vorführung der Video-Aufzeichnung die Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung ersetzen soll; vgl. auch KK-Krehl § 244 Rn. 70.
[12]
So auch Rieß StraFo 1999, 1, 5; Schlothauer StV 1999, 47, 49; vgl. ferner Schlothauer StV 2003, 652, 655; Eisenberg/Zötsch NJW 2003, 3676; Fürstenau StV 2004, 468; Vogel/Norouzi JR 2004, 215; Boetticher NJW-Sonderheft für Gerhard Schäfer, 8, 16; Beulke ZStW 113 (2001), 709. Hiergegen: Radtke/Hohmann-Kelnhofer § 244 Rn. 70.
[13]
Vgl. BGH Urt. v. 22.3.2006 – 2 StR 585/05 (Antrag auf nochmalige Anhörung eines Sachverständigen nach Einführung neuer Anknüpfungstatsachen).
[14]
Vgl. KK-Krehl § 244 Rn. 70.
[15]
BGH Urt. v. 30.11.2005 – 2 StR 557/04 = NStZ 2006, 406 m. Anm. Gössel (Hilfsbeweisantrag auf Herstellung von Einzelbildern, nachdem in der Hauptverhandlung bereits eine auf einer Mini-DVD gespeicherte Filmsequenz in Augenschein genommen worden war).
Teil 2 Die Stufen der petitativen Einflussnahme auf den Umfang der Beweisaufnahme › III. Beweisermittlungsanträge
III. Beweisermittlungsanträge
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Hier ergeben sich die Abstriche vom unbedingten Beweisbegehren weniger aus der Intensität des Petitums als aus dem Maß an Bestimmtheit der Behauptungen. Die dabei zum Ausdruck gebrachte Ungewissheit beim Antragsteller kann sich auf dreierlei beziehen:
• | Unbestimmtheit bezogen auf das Beweismittel |
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Beispiel:
„Es wird beantragt, den Rektor des Goethe-Gymnasiums zu bitten, in seiner Schule festzustellen, ob noch weitere Schüler bestätigen können, dass nicht Herr A. (der Angeklagte), sondern der Nebenkläger den ersten Stein geworfen hat.“
• | Ergiebigkeit des Beweismittels, z.B. das Aussageverhalten des Zeugen |
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Beispiel:
„Es wird beantragt, den Mitschüler des Herrn A., Herrn B (ladungsfähige Anschrift: …) als Zeugen zu vernehmen. Sollte der Zeuge sich entschließen können, die Wahrheit zu sagen, woran allerdings Zweifel bestehen, so wird durch seine Aussage bewiesen werden, dass nicht Herr A., sondern der Nebenkläger den ersten Stein geworfen hat.“
• | Fehlende Behauptung einer Beweistatsache |
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Beispiel:
„Es wird beantragt, Herrn R als Zeugen zu der Frage zu vernehmen, wer den ersten Stein geworfen hat.“
67
Solche Beweisermittlungsanträge unterscheiden sich von den Beweisanregungen in der Bestimmtheit des Petitums: Während Beweisanregungen lediglich einen gewissen Appell an die Amtsaufklärungspflicht darstellen, enthalten Beweisermittlungsanträge schon das Verlangen, von einem bestimmten Beweismittel Gebrauch zu machen. Von den eigentlichen Beweisanträgen unterscheiden sie sich jedoch dadurch, dass das Beweisthema nur allgemein und neutral genannt wird, ohne dass sich der Antragsteller eine bestimmte Beweisbehauptung zu eigen macht, so etwa wenn bestimmte Zeugen „zum Verhalten des Angeklagten am 7.6.2002“ oder „zum Verhältnis der Eheleute T.“ gehört werden sollen.[1]
Der Beweisermittlungsantrag erweist sich damit in der Praxis zumeist als defizitärer Beweisantrag. Typische Fälle, in denen dieses Defizit immer wieder auftritt, sind etwa der Antrag, ein Sachverständigengutachten (mit unbestimmtem Ausgang) zum Geisteszustand des Beschuldigten einzuholen[2], oder der Antrag auf Einnahme eines Augenscheins ohne die Prognose eines bestimmten Ausgangs.[3] Als Beispiele für die zu geringe Bestimmtheit des Beweismittels können gelten der Antrag, einen Zeugen „aus der Nachbarschaft“ zu vernehmen[4] oder der Hinweis auf eine „Urkundensammlung“[5] oder eine Vielzahl von Augenscheinsobjekten (wie z.B. abgehörten Telefongesprächen).[6] Auch Anträge, in denen lediglich ein Kreis von Zeugen benannt wird, aus dem derjenige, der das Beweisthema bestätigen kann, erst herausgefunden werden soll, sind als Beweisermittlungsanträge zu behandeln.[7] Ebenso bewertet hat die Rechtsprechung einen Antrag auf Vernehmung von ca. 170.000 nicht mit vollem Namen und voller Anschrift benannten Grundstückseigentümern.[8]
68
Als „Beweisermittlungsantrag“ versteht man dementsprechend vielfach eine Beweisanregung, welche gewissermaßen ein Beweisantrag im Entwicklungsstadium ist, bzw. eine Intervention, welche zur Vorbereitung eines Beweisantrags dient.[9] Der Beweisermittlungsantrag ist jedoch nicht stets – worauf schon Herdegen mit Recht hingewiesen hat[10] – eine Vorstufe für den eigentlichen Beweisantrag. Oftmals ergibt sich das Defizit gegenüber dem Beweisantrag auch daraus, dass der Antragsteller eine bestimmte Behauptung nicht vorbringen oder ein bestimmtes Beweismittel nicht angeben kann. Praktisch zielt auch der Beweisermittlungsantrag meist auf die unmittelbar sachverhaltsaufklärende Tätigkeit des Gerichts, das heißt eine Beweiserhebung im Strengbeweisverfahren. Seine Qualität als prozessualer Antrag steht außer Frage, weil er vom Gericht ein Tätigwerden verlangt, mit dem ein unmittelbarer oder mittelbarer Aufklärungseffekt erzielt werden soll.[11]
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Als prozessualer Antrag ist der Beweisermittlungsantrag in die Sitzungsniederschrift aufzunehmen (§ 273 Abs. 1 StPO).[12] Über ihn wird nach Maßgabe von § 244 Abs. 2 StPO entschieden.[13] Da es zu seiner Ablehnung keines Beschlusses bedarf, weil § 244 Abs. 6 Satz 1 StPO nicht gilt[14], muss insoweit lediglich der Vorsitzende bekannt geben, weshalb er dem Ermittlungsantrag nicht folgt. Die Anrufung des Gerichts nach § 238 Abs. 2 StPO ist möglich.[15] Die verschiedentlich vertretene Auffassung, auch die Ablehnung eines Beweisermittlungsantrages bedürfe eines Gerichtsbeschlusses[16], überzeugt nicht, da § 244 Abs. 6 S. 1 StPO nur für den förmlichen Beweisantrag die Entscheidung durch Beschluss vorsieht und die StPO kein generelles, von der Normierung in konkreten Einzelvorschriften unabhängiges Prinzip enthält, wonach über prozessuale Anträge jedweder Art stets durch Beschluss entschieden werden muss.
70
Das Beschlusserfordernis des § 244 Abs. 6 Satz 1 StPO greift jedoch, wenn ein Antrag zunächst als Beweisantrag gestellt wurde, das Gericht ihm aber nicht nachgehen will, weil es ihn als Beweisermittlungsantrag einstuft und zugleich glaubt, die Amtsaufklärungspflicht gebiete die Beweiserhebung nicht.[17] Wird ein Antrag zulässigerweise durch Entscheidung des Vorsitzenden abgelehnt, dann muss der Antragsteller aus der Begründung erfahren, weshalb das Gericht keinen Anlass zur Beweiserhebung sieht.[18]
71
Wenn der Verteidiger einen Beweisantrag anbringen wollte, es aber in den Augen des Gerichts nur zu einer Beweisanregung, insbesondere also zu einem Beweisermittlungsantrag, gebracht hat, so darf er im Regelfall davon ausgehen, dass er einen Fehler gemacht hat. Dieser Fehler liegt typischerweise darin, dass es an der Bestimmtheit des Antrages mangelt (sei es hinsichtlich der bezeichneten Tatsache, sei es hinsichtlich des Beweismittels). Es ist deshalb sinnvoll, sich die Anforderungen an das Merkmal der „Bestimmtheit“, welche die Rechtsprechung formuliert hat, zu vergegenwärtigen. Dabei zeigt sich im Ganzen, dass jedenfalls die höchstrichterliche Rechtsprechung – von einigen neueren Entscheidungen abgesehen – durchaus nicht formal ist (s. dazu im Einzelnen unten Rn. 137 ff.).
72
Nicht stets liegt in einem Beweisermittlungsantrag jedoch ein „verunglückter“ Beweisantrag. Zum Beweisermittlungsantrag als Mittel der Einflussnahme auf die Beweisaufnahme greift der Verteidiger gezielt dann, wenn er die Notwendigkeit einer weiteren Aufklärung durch das Gebrauchmachen von einem (mehr oder weniger) bestimmten Beweismittel geltend machen will, ohne dass es jedoch vertretbar wäre, sich ein erhofftes konkretes Beweisergebnis zu eigen zu machen. Im Offenbleiben des Beweisergebnisses liegt aber auch die Problematik aus der Sicht des Verteidigers: Die Pflicht zur strengen Einseitigkeit kann es verbieten, einen riskanten Beweisermittlungsantrag zu stellen. Andererseits gibt es Beweisthemen, bei denen es unseriös wäre, das gewünschte Ergebnis in Form einer Beweisbehauptung vorwegzunehmen. Beweisermittlungsanträge empfehlen sich – verallgemeinernd – immer dann, wenn weder Informationen noch Anhaltspunkte für eine entlastende Tatsache vorliegen, die Beweiserhebung jedoch eine solche zu Tage fördern kann, ohne dass der „negative“ Ausgang dem Mandanten schadet.
73
Ein praktisch häufiges Beispiel hierfür dürfte ein Beweisermittlungsantrag zur Frage der Schuldfähigkeit sein:
Beispiel:
„Zur Klärung der Frage, ob sich der Angeklagte zum Tatzeitpunkt in einem psychischen Zustand befand, der die Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB erfüllte, wird beantragt, einen forensisch psychiatrischen Sachverständigen mit der Erstattung eines Gutachtens zu beauftragen.“
Äußeres Erkennungszeichen des Beweisermittlungsantrages ist das Wörtchen „ob“ anstelle des beim Beweisantrag die Beweisbehauptung einleitenden Wortes „dass“[19]. Zwar grenzt in diesen Fällen die Unsicherheit über den Ausgang der Beweiserhebung den Beweisantrag vom Beweisermittlungsantrag ab. Das darf aber nicht zu dem Missverständnis führen, dass auch in den Fällen, in denen zwar der Antragsteller die Bestätigung einer bestimmten Beweisbehauptung für möglich hält, nicht aber das Gericht, die insoweit bestehende Unsicherheit über den Ausgang der Beweiserhebung als generelles Unterscheidungskriterium für die Abgrenzung zwischen Beweisantrag und Beweisermittlungsantrag herangezogen wird (s. dazu im Einzelnen unten Rn. 189 ff.).