Kitabı oku: «Ragnarök», sayfa 2
Die Prophezeiung
Odin, der sich ständig nach mehr Wissen und sogleich Macht sehnte, seit er von Mimirs Brunnen getrunken hatte, ging zu den Nornen, weissagende Frauen, die—ähnlich wie Mimir—an einem Brunnen lebten, dieser jedoch bei den Wurzeln Yggdrasils stand. Odin hoffte, dass ihre Quelle ihn mit Weisheit erfüllen würde ohne ein Opfer von ihm. Je tiefer er den Stamm hinunterkletterte, desto mehr fühlte er seine Kraft nachlassen, seine Wärme schwinden. Die Welt, auf denen die Wurzeln Yggdrasils verankert waren, war genannt Niflheim. Es war ein kalter, trostloser Ort. Die Dimensionen waren schier endlos und niemand, der Niflheims Enden erkunden wollte, war jemals zurückgekehrt. An einem der riesigen herauswirbelten Wurzeln brannte ein Feuer. Odin hörte die Stimme von paar Frauen, eine sprach gellend. Er näherte sich dem Feuer, seine Hand auf der Wurzel aufliegend. Als seine Hand die Wurzel berührte, fühlte er wieder seine Kraft zurückkehren, und als er Yggdrasil losließ, verschwand sie sogleich. Er lief weiter und strich mit seiner Hand über die Wurzel. Er fühlte verschiedene Gravuren darin, eingeschnitzt, nicht natürlich. Die Stimmen der Frauen wurden leiser, je näher er dem Feuer kam, bis sie gänzlich verstummten. Ein kleines Mädchen kam Odin entgegen und blieb ihn begutachtend vor ihm stehen. Ihr blondes Haar war geflochten in zwei Zöpfen, die vor ihren Schultern herabfielen. Sie neigte ihren Kopf und sagte: „Hallo, Odin. Komm, du bist spät dran—wenn es nach Skuld geht.“ Sie nahm ihn bei der Hand und hopste zum Feuer. Eine schwangere Frau stand am Feuer, blickte auf das Holz in ihren Händen, bevor sie es den Flammen fütterte. Ihr braunes Haar fiel flach hinter ihre Schultern; ihr Gesicht glänzte schön im Licht des brennenden Holzes. Eine alte Frau stand daneben und webte an einem Teppich. Ihr Haar war weiß und kurz, dünn und zerbrechlich wie die Frau selbst.
„Urd ist zurück“, sagte die schwangere Frau zur Alten.
„WAS?“ schrie die halbtaube Greisin.
„URD IST ZURÜCK!“ kreischte die Schwangere zurück.
„Endlich!“ erwiderte die alte Norne Skuld. Sie drehte sich zu Verdandi und tastete sich blind zum Feuer. Die Schwangere half ihr auf einem Holzstuhl Platz zu nehmen. Skuld hob ihre Hände über dem wärmenden Feuer. „Urd, sei doch so lieb und schöpf etwas Wasser, ja?“
Das Mädchen ließ Odin los und hopste zum Brunnen, dessen Rand gerade noch von der Feuerstelle sichtbar war. „Setz dich, Ase!“ sagte Verdandi und zeigte auf einen Holzstummel am Feuer. „Du suchst nach Wissen. Oh, ich versteh die Sorgen, die das Sein bereiten“, sagte sie und strich über ihren gewölbten Bauch. „Doch beharre dich nicht auf die Worte, die du gleich vernimmst, sonst wirst du vom Morgen geblendet und fühlst nicht mehr die ungesehenen Wehen des Heute.“ Das Mädchen Urd kam zurück mit einem Krug voll Wasser. Sie schöpfte zuerst einen Schluck heraus, dann übergab sie es Verdandi. Die Schwangere trank ebenfalls, bevor sie den Krug der blinden Skuld in die Hand drückte. Diese schöpfte und verschlang wie eine verdurstende das Wasser von ihren faltigen und zittrigen Händen. „Nun du“, sagte Verdandi und reichte den Krug dem Asen. Odin tränkte seine Hände hinein und trank das Wasser darin. Er merkte nichts, so wie damals bei Mimirs Brunnen.
„Die Geburt des Lichts…“, sprach das Mädchen.
„…ist die Geburt des Schattens“, führte die Greisin fort.
„Die größte Finsternis wird kommen…“
„…wenn das größte Feuer brennt“, schloss Skuld wieder Urds Satz.
„Wie das Feuer Müspelheims und das Eis Niflheims zusammenkamen und Leben schufen, so erneut wird der Zusammenprall von Wärme und Kälte eine neue Ära gebären“, sagte die Schwangere.
„Was Freund war, wird Feind“, sagte Urd.
„Was neun ist, wird eins“, sprach Verdandi.
„Was sein wird, wird sein“, schloss Skuld ab.
Sie schwiegen. Nur das Knistern des brennenden Holzes hallte durch die Dunkelheit. Die alte Norne wurde von der Schwangeren wieder zu ihrem Webstuhl geführt, während das Mädchen spielend mit einem Zweig das brennende Holz stoß. Odin erhob sich und verließ die Nornen und die machtentziehende Kälte Niflheims.
Auf der Suche nach Macht
Odin war besorgt von der Prophezeiung der Nornen. Was neun ist, wird eins. Sie mussten damit die neun Welten gemeint haben, die sich auf eins reduzieren würden. Doch welche Welt würde übrig bleiben nach der größten Finsternis? Und woher wussten sie, dass es neun Welten gab? Odin dachte stets, er wäre der Letzte, der von der unbekannten, neunten Welt wusste.
Was Freund war, wird Feind. Wem könnte er nun trauen? Am meisten bestürzte ihn der letzte Satz der Nornen. Was sein wird, wird sein. War er wirklich machtlos gegen das, was kommen würde? Nein! Das könnte nicht sein. Er war der Gott der Götter. Er war mächtiger als alle zuvor. Es müsste einen Weg geben. Er müsste sich auf alles vorbereiten, was ihm die Zukunft stellen könnte.
So begab sich Odin durch die Welten auf der Suche nach Etwas, dass ihn mächtiger machen würde. Er fand auf seinen Reisen die Runen. Es waren dieselben Gravuren, die die Nornen in Yggdrasils Wurzeln eingeschnitzt hatten. Er spürte, dass Runen eine Macht inne hielten, aber er wusste nicht wie er diese nutzen konnte. Er erinnerte sich an Mimirs Worte, als er das erste Mal nach Weisheit fragte: „Was würdest du für die Wahrheit opfern?“
So brachte Odin das größte Opfer, das ihm einfiel: Er opferte sich selbst an sich selbst. Er nahm sein Speer Gungnir und spießte sich am Stamm Yggdrasils auf. Dort hing er in der Nähe von Mimirs Brunnen, wo Mimirs Kopf regungslos lag. Nach neun Tagen des Hungers, Durstes und der Qualen landete ein Falke auf seinem Speer, Gungnir löste sich vom Stamm des Weltenbaums und Odin fiel zu Boden. Der Falke landete neben ihm und verwandelte sich in Freya, die den Speer aus dem Leib ihres Ehemannes herauszog. Sie konnte kein Seidr auf ihn wirken und behandelte seine eitertriefende Wunde mit Arzneimitteln, die sie von der Wanin Malinar gelernt hatte. Odins Frau gab ihm etwas Wasser zu trinken und er begann etwas vor sich hin zu murmeln: „Ich verstehe nun…“ Freya half ihm hoch und setzte ihn an Mimirs Brunnen ab und reinigte seine Wunde mit dem Wasser der Weisheit. Er lehnte sich an die kalten Steine und redete, halb im Wahn: „Die Macht der Runen…Die Macht der Schrift…Unsterblichkeit…“
„Ich bin gleich zurück.“ Freya zog ihr Falkengewand an und flog zurück nach Asgard. Sie schleppte Thor zum Brunnen und der kräftige Sohn trug seinen Vater zurück nach Gladsheim, in seine Schlafkammer.
Der Allvater war tagelang im Bett und ruhte sich von seiner Wunde aus. Die Dienerinnen des Königspaares kümmerten sich um die Verpflegung des Asens. Als Freya nachschauen wollte und in die Schlafkammer ging, lag ihr Mann nicht mehr im Bett. „Hlin“, rief sie nach einer Dienerin, die umgehend zu ihr eilte. Sie war eine junge Asin, die stets ihr Haar gebündelt unter einem bunten Kopftuch trug. Trotz ihrem unterschiedlichen Götterblut diente sie der Wanin gerne. „Wo ist mein Mann? Wo ist Odin?“
„In Himinbjörg. Bei Heimdall. Odin schien es wieder gut zu gehen“, rechtfertigte Hlin ihren Nachlass in ihrer Aufsicht des Kranken.
Freya zog verärgert ihr Falkengewand an und flog hinaus zum Tor Asgards. Als sie sich Heimdalls Palast näherte, flog ihr ein Speer entgegen, dem sie gerade noch ausweichen konnte. Sie wendete ihren Blick auf den Speer und sah wie er von alleine in die Richtung zurückflog, aus dem er geworfen wurde. „PASS AUF!“ krähte Freya schimpfend. Ohne weiteren Störungen entgegenzukommen flog sie zum Palast am Ende der Regenbogenbrücke und landete auf einem der Türme, wo ihr Mann mit Heimdall, Loki und Thor stand und lachte. Sie verwandelte sich zurück in ihre Frauenform und schimpfte auf Odin ein: „WIRF DEINEN SPEER NICHT UMHER WIE EIN KLEINES KIND!“
Die Kinder waren von der bellenden Wanin eingeschüchtert, doch der Einäugige Ase lachte lediglich lauter. „Schau, Freya. Die Macht der Runen“, sagte Odin schließlich und zeigte auf die Gravuren in seinem Speer Gungnir. Die Wanin erholte sich von ihrem Wutausbruch und strich über die Runen; sie gaben eine ihr bekannte Energie von sich. „Lasst uns kurz alleine. Moment…nimm dieses Horn, Heimdall. Es gehörte eins Mimir, aber ohne Körper wird er selbst sowieso nicht mehr trinken. Ich habe es mit Runen versetzt“, sagte er und verwies auf die merkwürdigen Ritze im schwarzen Horn. „ Bläst du hinein, wird der Ton über alle Welten schallen. Doch benutz es nur, wenn Asgard in höchster Gefahr steht.“
Heimdall nahm dankend das unnatürlich große Horn an sich. „Hihihoh, wie weißt du denn, dass es wirklich über alle Welten hallt, wenn du es nicht einmal ausprobiert hast? Blas doch mal rein, Heimdall“, lachte Loki, während sie die Falltür hinabkletterten.
Als Odin mit seiner Frau alleine waren, sprach er: „Freya, meine gute Frau, unterrichte mich in Seidr.“
Sie schüttelte ihren Kopf: „Nein.“
„Ich hab dich nicht drum gebeten. Du tust es!“
Freya blickte verärgert, als könnte sie—sie könnte es wohl—Gift spucken. „Warum jetzt? Reicht dir die Kraft der Runen nicht?“
Odin löste seinen Mantel, legte ihn vor sich hin und schnitt etwas mit seinem Schwert hinein. Dann steckte er die Waffe wieder ein, drückte sich an seine Frau und warf den Mantel über sich und sie. Im nächsten Augenblick waren sie wieder in ihrer Schlafkammer in Gladsheim. „Un–…Unmöglich…“ stotterte Freya und fiel auf ihr Bett.
„Wir sind uns als Feinde begegnet, doch nun sind wir Mann und Frau. Ich bin Allvater, Gott aller Götter, und du folglich die Göttin aller. Zusammen sind wir mächtiger als alle zusammen. Ich werde dir die Runen lehren und du mir Seidr.“ Erregt von der Kraft Odins hob Freya sich vom Bett und umarmte ihn, küsste ihn, den mächtigsten aller Götter. An diesem Tag hörte sie mit der Untreue zu ihrem Mann auf. Sie stoppte ihre Fruchtbarkeit mit Seidr zu unterdrücken und sie würden schon bald ihren zweiten gemeinsamen Sohn zeugen.
Jagd auf die Götter
ᚹᛖᛁᚦᛁᚲᛟᚾᚨ
Die Worte der Nornen suchten Odin selbst in seinem Schlaf heim. Er war restlos. Er zweifelte, dass das Vertrauen in Freya und in ihre Macht ausreichten, für was kommen würde. Er sammelte alle Götter—Asen und Wanen—zum Rat und beauftragte sie, ihm bei der Suche nach Macht behilflich zu sein.
Ständig reiste Odin durch die Welten, nicht selten in Begleitung. Auf einer Reise nach Midgard begleiteten ihn Loki, den er mittlerweile wie einen Sohn sah, und der Ase Hönir, der hübsche Schwätzer, welcher den zweiten Krieg gegen die Wanen ausgelöst hatte. Thor war derweil an der Grenze zu Jotunheim und verteidigte die Tiere vor den Joten.
Für ihre abendliche Mahlzeit pirschten Odin und Loki sich an eine Herde Rinder heran, während Hönir Holz für ein Feuer sammelte. Der Allvater zeigte dem jungen Loki wie er den Wunschmantel benutzen konnte. Odin knöpfte den runenverschnittenen Mantel um die Schultern des Jungen und erklärte, dass er nur an den Ort denken musste, während er den Mantel über sich warf, und er würde sofort an den gedachten Ort verschwinden. „Gut! Wenn du nun verstanden hast wie es funktioniert, geh und reite einen der Kühe oder Bullen zu mir; ich erledige ihn“, sagte Odin.
„Hihihoh, verstanden“, nickte Loki, warf sich den Wunschmantel über und verschwand. Odin schaute zur Herde, doch der Junge war nirgends zu erblicken. Der Ase wartete einen Moment, denn Loki konnte ausversehen an eine andere Kuh gedacht haben. Da plötzlich erschien der Jote auf einem Bullen, er schien Etwas in der Hand zu halten. Der Ochse wütete sofort los, als er den Jungen auf seinem Rücken spürte. Die Herde floh auseinander, während Loki sich fest an die Hörner klammerte und fest in die Seiten des Tieres trat. Der Bulle drehte sich zu Odin und stürmte los. Der Ase zielte seinen Speer und Gungnir spießte den Bullen durch den Kopf zum Hintern. Das Tier fiel umgehend und rutschte über das Gras bis es regungslos dalag. Loki war beim Sturz vom Rücken des Bullen gefallen und rollte über das Gras. „Hihihoh“, lachte Loki, als Odin ihm hochhalf, „Gleich nochmal!“
„Was hast du da in der Hand?“ fragte der Allvater und zeigte auf das rosenverzierte Kleid.
„Ich hab es Sigyn beim Baden geklaut. Sie nervt Thor und mich ständig beim Spielen, da dachte ich, ich zahle es ihr heim, hihoh.“
Odin lachte mit dem Jungen und rieb ihn väterlich über die Haare. Dann gingen sie zu ihrer erlegten Mahlzeit. Sie hielten den Bullen an den Enden Gungnirs, die aus ihm ragten und trugen das Tier gemeinsam zum Lager. Hönir hatte dort die nassesten Äste, die er finden konnte, auf einen Haufen gestapelt. Glücklicherweise hatte Odin genug Seidr von Freya gelernt, um dennoch ein Feuer auslösen zu können. Er zog Gungnir aus dem Bullen und weidete ihn sorgfältig aus, dann hing er das Tier von zwei Ästen über die Flammen.
Das Feuer brannte heiß, doch selbst nach Stunden garte das Fleisch nicht. Die Götter wurden stutzig und vom Hunger geplagt, als da eine Stimme durch die Dunkelheit hallte: „Das Fleisch wird niemals braten.“ Sie schauten hoch auf einen der Äste, an dem der Bulle hing, und sahen einen Adler darauf sitzen. „Überlasst ihr mir die besten Stücke, so werde ich meinen Zauber aufheben.“
Odin versuchte den vermeintlichen Zauber auf dem Bullenfleisch mit Seidr aufzuheben, doch es gelang ihm nicht. Wütend, dass jemand ihn, den Gott der Götter, so spotten sollte, warf er Gungnir nach dem Adler und spieß ihn am Baum auf. Der Ase öffnete seine Hand und sein Speer flog zurück zu ihm, der Adler auf diesem durchbohrt. „Es ist kein Ochse, hihihoh, aber Geflügel sollte es auch tun“, scherzte Loki.
Als Odin den Adler von seinem Speer abzog, nahm der Vogel die Gestalt eines Joten an. „Hihihoh, da hat Thor wohl einen übersehen“, scherzte Loki und trat gegen seinen toten Artverwandten.
„Das Fleisch brät jetzt“, kommentierte Hönir erfreut, der darauf den Ochsen überm Feuer schaukelte. Den toten Joten trugen Odin und Loki an einen entfernten Baum, damit sie in der Nacht nicht von Aasfressern geweckt würden.
Ihre Reise durch Midgard blieb fruchtlos und so kehrten Odin und seine Gefährten wieder nach Asgard.
Sie hielten ein Fest für ihre sichere Heimkehr. Das Festmahl war hergerichtet, doch die Asin Idun war noch nicht erschienen. Ohne ihre lebenserhaltenden Beeren würden sie kein Fest beginnen.
Draußen hörten sie einen Schrei. Thor eilte hinaus, Odin nahm seinen Mantel und war im nächsten Augenblick bei Idun. Sie war ganz allein und sammelte die Beeren ein, die aus ihrem gerissenen Korb gefallen waren. „Idun, was ist passiert?“ fragte Odin. Sie sagte ihm, dass sie ein Hiss gehört hatte und dann war plötzlich ihr Korb aufgerissen.
„Hier“, sagte Thor, der aus Gladsheim gerannt kam. Er hob etwas Funkelndes aus dem Gras auf: Es war ein Pfeil.
„ZEIG DICH!“ schrie der Allvater und schlug den Speerhalt gegen den Boden. Hiss. Ein Pfeil bohrte sich durch sein Herz. Er drehte sich um und warf Gungnir in die Richtung, wo der Pfeil abgefeuert war. Er traf. Er brach den Pfeil in seiner Brust und zog die Stücke heraus, dann heilte er die Wunde mit Seidr. „Wartet hier“, sagte Odin zu Thor, bevor er sich seinen Mantel umwarf und zu Gungnirs Opfer teleportierte. Der Speer spießte einen Bärenpelz am Kopf auf, welcher nun an einem Ast Yggdrasils hing. Odin zog Gungnir heraus. Wer immer den Pelz trug, war geflohen ohne Spuren in der Erde zu hinterlassen. Hiss. Diesmal bohrte sich der Pfeil durch Odins Hals. Hiss. Hiss. Zwei weitere Pfeile rissen durch seine Kniekehlen und er brach auf Gungnir stützend ein.
Aus dem Dickicht kam jemand mit gespanntem Bogen heraus. „Ihr ward es! Ihr habt meinen Vater getötet!“ brüllte die Frau. Blut floss aus Odins Mund. Er hob seine Hand, um den Pfeil aus seinem Hals zu ziehen, doch ein Pfeil nagelte die Hand an den Baumstamm. Ein zweiter folgte und bohrte durch seine Schulter. Die Frau ging zu ihm und drehte den Pfeil im Hals heraus. Ein Speer flog zwischen Odin und der Frau. „Ich nehme mir nur, was mir genommen wurde“, sagte sie, bevor sie spurlos flüchtete.
Heimdall zog die Pfeile aus Odin heraus und brachte den Bewusstlosen mit seinem Mantel zurück nach Gladsheim. Die schwangere Freya sorgte sich um die Wunden ihres sterbenden Mannes. Die Verletzungen waren tief und tödlich. Ihre Heilkunde würde nicht helfen. Sie müsste auf ihre Magie zurückgreifen, sie musste hoffen, dass Seidr wirkte. Und das tat es! Sie war verwundert, dass ihre Magie auf ihn wirkte, obwohl es vorher nutzlos gewesen war.
Nachdem Odin sich erholte, berichtete er den Asen, was passiert war. Thor fragte darauf: „Ihr Vater? Sie ist eine Jotin? Wie hat sie es überhaupt nach Asgard geschafft?“
„Auf die gleiche Weise, wie sie nach Midgard kam“, antwortete Odin. „Sie und ihr Vater waren Jäger. Er konnte auch Magie nutzen, doch es war nicht wie die von Freya.“
„Was machen wir nun? Heimdall, siehst du sie?“ fragte Freya besorgt. Sie strich über ihren gewölbten Leib, bevor sie sich wieder setzte. Der Wächter schüttelte den Kopf: Er erkannte keine Spuren der Jägerin.
„Dann locken wir sie heraus!“ sagte Odin. „Heimdall, sieh zu, dass du den Ursprung ihres Pfeils genau ortest. Ich werde der Köder sein.“ Er löste seinen Mantel von den Schultern und gab ihn Loki. „Du wirst dich zu ihr begeben und mit ihr sprechen. Ihr seid beide Joten, vielleicht wird sie dir zuhören.“
„Nein, Vater“, entgegnete ihm Thor. „Wir können einen solch gefährlichen Feind nicht am Leben lassen.“
„Du meinst wohl: Eine solch begabte Jägerin, die sogar Heimdalls Blick entkommen kann…Mein Sohn, sie würde eine prächtige Unterstützung für uns sein.“
„Eine Unterstützung für was?“ fragten einige Asen. „Wieder ein Krieg?“
„Etwas wird auf uns kommen, so prophezeiten die Nornen es mir.“ Odin ging ohne weitere Worte hinaus und stellte sich mitten aufs Feld. Er schlug seinen Speerschafft in den Boden und ein Pfeil flog bald darauf in seine Brust.
„Hallo, Jägerin“, sagte Loki lachend. Die Frau drehte sich und schoss einen Pfeil auf ihn. „Aber nicht doch“, sagte Loki, der nun hinter ihr stand. Kichernd zog er Pfeile aus ihrem Köcher und verschwand.
„Was ist das für ein Zauber?“ fragte die Jotin.
„Allvater möchte mit dir sprechen. Leg deinen Bogen ab und folge mir“, sprach Loki, der erneut vor ihr erschien.
Nachdem Loki allen Schüssen auswich und sie keine Pfeile mehr im Köcher trug, senkte die Jägerin ihren Bogen und sprach frustriert: „Er soll mir geben, was er mir genommen hat!“
„Das wird er, das wird er. Er hat es geschworen“, grinste Loki. Die Jotin nickte, legte ihren Bogen um die Schulter und folgte ihm, doch hielt eine Hand griffbereit an ihrem Messer.
Auf der Wiese um Odin hatten sich die anderen Asen gesammelt, Freya klammerte sich erschöpft vom Zaubern an Hlin. Heimdall verriet ihnen, dass Loki in Begleitung erschien. Verächtlich blickten sie auf die Jägerin, die ihren Allvater angegriffen hatte. Sie ging geradewegs auf Odin zu und zog ihr Messer. Heimdall und Thor hielten Speere gegen ihren Hals, doch Odin wies sie auf, die Waffen zu senken. „Er dort versprach, dass dein Kopf mir gehört“, die Jotin zeigte auf Loki. Odin blickte bitter auf ihn.
„Ich habe dir gesagt, dass er dir geben wird, was er dir nahm. Aber ich sagte nie, wie“, sagte Loki lachend.
„Du hast mich angelogen!“
„Wie ist dein Name, Jägerin?“ fragte Odin.
„Ich bin Skadi, Tochter Thiazis; der Jote, den ihr getötet habt!“
„Ein Missverständnis.“
„Ein Missverständnis? Du bist so hitzköpfig wie wir Joten“, spuckte Skadi. Loki lachte, während die Asen wutentflammt auf die Jotin starrten. „Verflucht seist du und deine Sippe. Niemals sollt ihr euer Ziel treffen, es sei denn es ist euer eigen Blut!“ fluchte die Jägerin.
„Hihihoh…Skadi, Skadi, Skadi, Ska~di~“, beschwichtigte Loki. „Wir geben dir deinen Vater wieder.“ Die Jotin blickte fragwürdig auf ihn. Odin schaute zu seiner Frau. Könnte Loki meinen—war es möglich— wiederzubeleben? „Hat dein Vater stets sein Auge über dich gehabt?“ fragte Loki grinsend. Skadi schaute fragend auf ihn, nickte dann schweigend. Loki, der immer noch Odins Mantel trug, warf sich diesen um und verschwand aus Asgard. Er kehrte einige Augenblicke später zurück. In seinen Händen hielt er zwei Augäpfel. „Hier Odin. Platzier sie in den Himmel, dann wird ihr Vater weiterhin über sie schauen.“ Odin nahm die leblosen Augen, riss sich seinen Mantel von Loki und verschwand nach Ginnungagap. Als er zurückkam, fragte Skadi: „Was…was hast du getan?“
Loki, der Täuscher, lachte und zeigte zum Nachthimmel, an dem nun zwei neue brillante Sterne funkelten. Er fuhr mit seiner Rückgabe ihres Vaters weiter: „Ein Vater sorgt sich auch um seine Tochter und gibt ihr Halt. Aber ein Ehemann kann dies auch. Also wähle einen der hier Versammelten als deinen Mann.“ Skadi blickte verärgert auf den Joten, wendete ihren Blick dann auf die Götter. Ihre Augen fixierten sich auf den hübschesten von ihnen, den Wanen Frey. „Du darfst dir zwar einen Mann aussuchen, Skadi, aber du darfst nur sehen, womit sie sich halten…hihihoh, also ihre Füße“, kicherte Loki und Odin lachte mit. „Allvater, du musst deine Füße auch hinhalten.“ Da verging ihm das Lachen.
Skadi, wütend aber der Gnade der Götter unterlegen, senkte ihr Haupt, sodass sie nur die nackten Füße der Götter sah. Sie lief zweimal auf und ab und entschied sich letztlich für das paar Füße, die am saubersten und gepflegtesten waren. Als sie ihren Blick hochwendete, erkannte sie nicht den Wanen Frey, sondern seinen Vater Njörd. „Njörd ist schon Vater, also wird er gut wissen wie er sich um dich kümmern muss, hihihi, hihihoh“, lachte Loki krampfhaft.
„Ihr habt mir noch nicht alles gegeben, was ihr mir mit meinem Vater nahmt: Er hat mich zum Lachen gebracht, ungleich euch. Haltet euer Versprechen oder mir gehört Odins Kopf!“
„Sie hat Recht“, sagte die junge Sigyn in einem Veilchenkleid. „Vater bringt mich ständig zum Lachen.“
„Waren meine Späße denn nicht witzig?“ grinste Loki.
„Nein! Ich hasse dich!“ spuckte Skadi.
„Warte nur, ich werde dich noch zum Lachen bringen“, erwiderte er trotzig. Er erzählte ihr über seine Streiche, erzählte ihr Witze, doch anders als die Götter blieb Skadi grimm. Als seine Geschichten ausgingen, überlegte Loki, was sie amüsieren würde. Er lieh Odins Mantel und kehrte mit Heidrun, der Ziege, die auf Gladsheim stand und dort an einem Ast Yggdrasils die Blätter fraß, zurück. Er riss sich einen Faden aus seiner Hose und zog daran. Ein Ende des Fadens wickelte er um die Hörner der Ziege, das andere Ende band Loki an seinen eigenen Hodensack. Er führte ein Tauziehen gegen Heidrun, das er kläglich verlor. Loki verspürte mit jedem Rücken ungeheure Schmerzen. Das komische Spektakel brachte alle zum Lachen, wobei es für Skadi sein Leiden war. Weinend vor Lachen trennte Njörd den Faden zwischen Loki und der Ziege. Er nahm seine lachende Ehefrau bei der Hand und führte sie zu seinem Palast Noatun an Asgards Meer Äwiblar.