Kitabı oku: «Die Mobilitätswende», sayfa 3

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Lieferketten neu denken

Die Pandemie, die ihren Ausgang in der chinesischen Provinz Hubei nahm, die auch Heimat wichtiger Betriebsstätten für die internationale Automobilindustrie ist, hat ein wesentliches Problem neu aufgedeckt: die Verwundbarkeit unserer global verteilten Lieferketten mit ihren jeweiligen Prozessen. Es ist nicht das erste Mal, dass über „Backshoring“, also das Heimholen von Produktionsstätten, laut nachgedacht wird. Die Rückübersiedlung der Manufaktur der Steiff-Teddybären von China nach Deutschland vor über zehn Jahren machte keine Schlagzeilen, ist aber ein interessantes Lehrbeispiel. Ausschlaggebend war, das Vertrauen der Kunden wiederzugewinnen, da diese bereit waren, für Qualität „made in Germany“ zu zahlen. Auch Apple eröffnete unter Applaus der US-Regierung im Jahr 2019 eine wichtige Produktionsstätte erstmals wieder in den USA. Die Globalisierung nahm ihren Anfang mit dem Containerverkehr in den 1960ern und bestimmte fortan die Weltwirtschaft dank liberalisiertem Zahlungsverkehr sowie neuer Kommunikation. Seither sprechen wir von globalen Lieferketten, die Kosteneffizienz bei Löhnen, Infrastruktur und Rohstoffen folgte.

Auslöser für das Überdenken und teils Neugestalten von Lieferketten waren nicht erst der Ausbruch eines Vulkans auf Island im Frühjahr 2010, die steigenden Lohnkosten in asiatischen Betrieben sowie Probleme im Qualitätsmanagement (v.a. bei Spielzeug und IT-Produkten), sondern auch wachsende Sorgen um Unterbrechungen im Frachtverkehr infolge von Unruhen, Streiks und eben Naturereignissen. Anstelle einer zerbrechlichen „Just-in-time-Delivery“ wächst seit Jahren der Wunsch nach Überschaubarkeit wichtiger Versorgungsketten. Die Covid-Krise führte nur neuerlich vor, was vielen zumindest während des Stillstands des Flugverkehrs infolge eines Vulkanausbruchs auf Island bereits klar war: Als Firma, die von Ausfällen wichtiger Komponenten für die Herstellung einer global produzierten Ware betroffen ist, sollte man in Lagerhaltung und alternative Lieferanten im Falle der „Force majeure“ investieren. Ob diese Pandemie nun den erforderlichen Schub in eine neue Organisation von Lieferketten ermöglicht? Damit einher geht auch die Debatte, ob die Globalisierung gar rückabzuwickeln ist. Deglobalisierung wird nicht nur in akademischen Kreisen, sondern auch in großen Beratungsunternehmen diskutiert; zuvor war dies schon mit Blick auf mögliche Handelskriege der Fall. Rund um den Brexit haben wir in den restlichen EU-Staaten die Umorientierung von Lieferketten mehrfach diskutiert. Der Brexit, voraussichtlich ohne Abkommen zwischen London und Brüssel, wird zu meistern sein. Viel komplizierter wird der Umgang der EU, Europas insgesamt sowie der restlichen Welt mit China. Im Verhältnis Europa zu Asien, vor allem eben zur Volksrepublik China, hat sich im Automobilsektor eine starke Verquickung ergeben. Rund 60 Prozent des Umsatzes der deutschen Automobilindustrie erfolgt in China; entsprechend hart war daher dieser Sektor bereits zu Jahresanfang getroffen, als die Probleme nur in der Provinz Hubei bestanden.

Die Regierung in Peking hatte die chinesischen Unternehmen Ende der 1990er-Jahre aufgerufen, ins Ausland zu expandieren. Ein Grund war, die angehäuften Devisenreserven einzusetzen, und so an westliches Know-how über den Erwerb von Firmenanteilen zu gelangen. „Zou chu qu“ hieß die Strategie auf Chinesisch. Das bedeutet so viel wie „Ausschwärmen“. Im Jahr 2016 investierten chinesische Unternehmen in Europa fünfmal so viel wie europäische Firmen in China. Es ging bei dieser Einkaufstour oft um wahllose Einkäufe, wie Perlen an einer Kette. Diese Metapher der Perlenkette kommt auf chinesischer Seite oft vor, man denke nur an die Seeroute neben der Landroute, der Seidenstraße-Initiative. Diese Verbindung zwischen wichtigen Häfen vom Pazifik bis zum Mittelmeer wird auch mit einer Perlenkette verglichen. Erst in letzter Zeit ist eine klarere Strategie erkennbar. Zudem verschärfte Peking die Kapitalverkehrskontrollen Ende 2016, um den Kapitalabfluss zu unterbinden, und beendete so die Einkaufstour. Indes ist aber der deutsche Automobilhersteller Daimler noch chinesischer geworden. Die Beijing Automotive Group BAIC, ein Staatskonzern, und der Hersteller Geely halten gemeinsam 15 Prozent. BMW und Volkswagen sind mit chinesischen Partnern schon länger intensiv verbunden. Die Abhängigkeit des deutschen Automarkts von China ist umfassend. Etwa jedes dritte Auto, das BMW, Volkswagen und Daimler 2018 verkauften, ging an chinesische Käufer. Vier von zehn Autos setzt Volkswagen in China um, der Marktanteil beträgt fast 20 Prozent. Bereits seit 1984 betreibt Volkswagen ein Joint Venture mit dem staatlichen Autohersteller, der Shanghai Automotive Industry Corporation.

Über Lieferketten und industrielle Prozesse wird weltweit intensiv nachgedacht. Ob die enge Verquickung zwischen chinesischen Anteilseignern und deutschen Autokonzernen verringert oder gar rückabgewickelt werden kann, darf bezweifelt werden. Vielmehr sind neue Lieferketten im Entstehen, wo europäische Konzerne das Nachsehen haben könnten. Noch lange bevor die chinesische Expansionsstrategie im Sinne eines „Go West“ nach Zentralasien und über den rohstoffreichen Nahen Osten in Richtung europäischer Absatzmarkt ging, erfolgte das chinesische „Ausschwärmen“ auf den afrikanischen Kontinent. Ging es anfänglich um Bergbaukonzessionen, ob Kupferminen in Sambia oder Erdölfelder im Sudan, folgten bald landwirtschaftliche Investitionen. Die Sicherung der Nahrungsmittelversorgung steht in China hoch oben auf der nationalen Agenda und des Konzepts der Globalisierung mit chinesischen Zügen, wie sie Präsident Xi Jinping in seinen Reden seit 2017 gerne beschreibt. Indes haben sich chinesische Staatskonzerne und Privatunternehmer gleichermaßen als Champions von Algerien bis Südafrika etabliert. Die nächsten entscheidenden Lieferketten einer Weltwirtschaft, die auch mit Pandemien umgehen muss, werden meines Erachtens hier entstehen.

Automobilproduktion auf dem afrikanischen Kontinent

Seit einigen Jahren bediene ich gerne folgenden Vergleich, der mir während eines Arbeitsaufenthalts in Angola angesichts der massiven chinesischen Präsenz durch den Kopf ging: So wie auf dem iPhone steht „Designed in California, assembled in China“, könnte auf dem Auto der Zukunft die Inschrift lauten: „Designed in China, assembled in Africa“. Die neue Werkbank der Welt ist im vergangenen Jahrzehnt südlich der Sahara entstanden. Wesentlich hierfür waren und sind asiatische Investoren, wobei indische und arabische Händler traditionell im Osten und Süden des Kontinents seit Jahrhunderten verankert sind. Die umtriebigen chinesischen Investoren, die politisch schlau stets auf die Schicksalsgemeinschaft der einstigen von Kolonialmächten ausgebeuteten Entwicklungsländer pochten, waren bald überall auf dem Kontinent unterwegs. Sieben Tage die Woche, das gesamte Jahr über waren und sind chinesische Arbeiter und Angestellte unterwegs – ohne die Sonderprivilegien westlicher „Expats“, wie die von ihren Firmen mit wohldotierten Sonderverträgen entsandten Arbeitnehmer heißen. Aus Billigproduktion wurde Hightech und afrikanische Partner waren darin bald eingebunden. Nun lässt sich trefflich streiten, ob die afrikanischen Völker von einer Art chinesischer Kolonialisierung überrollt werden, oder ob China schon viel früher als alle anderen auf „Handel zwischen Partnern“ umgeschwenkt ist. Tatsache ist, dass die EU erst 2016 – und dies wieder einmal unter dem Titel Migration – begriff, wie geografisch nahe dieser Kontinent liegt. Seither wird die Liste der EU-Afrika-Foren unter dem Titel „Lasst uns Handel treiben“ immer dichter. Aus dem gönnerischen Ansatz der Entwicklungshilfe soll nun endlich mit unverzeihlicher Verspätung ein ebenbürtiges Miteinander im Sinne von Geschäftsinteressen werden. Ich hatte immer schon den Eindruck, dass wir Europäer, von einigen Ausnahmen abgesehen, viel zu spät und zu halbherzig umdenken. Zwar gibt es genug afrikanische Unternehmer und noch viel mehr besonders tüchtige Geschäftsfrauen, die einer chinesischen Zwangsumarmung gerne entkommen möchten und nach alternativen Kunden suchen. Doch für europäische Unternehmer stellt sich neben den vielen rechtlichen Auflagen die Hürde, überhaupt Geschäfte anzubahnen. Großkonzerne, die Briten, Franzosen oder auch Portugiesen mit Expertise und Geschäftskontakten anstellen, konnten bislang die größeren Aufträge v. a. afrikanischer Regierungen erhalten. Zudem haben sich türkische Unternehmen in den letzten 20 Jahren u. a. im Servicesektor klug etabliert. Traditionell erfolgreich war immer schon die libanesische Diaspora, deren Vertreter zu so manchem Vermögen, v. a. im frankophonen Westafrika, gelangten.

Dank chinesischer Investitionen haben sich viele Gesellschaften auf diesem Kontinent aus der extremen Armut hochgearbeitet. Hightech wird heute in Rwanda, dem nicht unumstrittenen Vorzeigeland, in Uganda und Tansania produziert. Ob es nun TV-Geräte oder Computer sind, das Auto der Zukunft wird nicht ein Benziner mit Bordcomputer sein. Vielmehr lautet der Anspruch der Chinesen wie auch der US-Amerikaner gleichermaßen, Autos in rollende Computer zu verwandeln. Ähnlich wie das Smartphone werden diese Geräte dann durch Aktualisierung der Software verbessert.

Dass der afrikanische Markt für Autobauer interessant sein muss, lässt sich mit folgenden drei Argumenten illustrieren:

a. Der afrikanische Markt ist am wenigsten erschlossen, hier werden Autos sowohl im städtischen Nahverkehr mangels öffentlichen Transports wie auch v. a. für das Land benötigt.

b. Die Bevölkerungspyramide spricht für eine wachsende Nachfrage von Autofahrern in den kommenden Jahrzehnten, während Europa und auch China vergreisen, nicht anders als Japan, wo mehr Windeln für die Altenpflege als für Babys produziert werden.

c. Die Rohstoffe für die zukünftigen Antriebstechniken finden sich eher im rohstoffreichen Afrika als im rohstoffarmen Europa, das einst mit dem technischen Vorsprung punkten konnte. Dieser Vorsprung ging jedenfalls in der Autoindustrie verloren.

Meines Erachtens ist noch unklar, ob das Elektroauto die entscheidende Antwort sein wird oder ob im Zuge eines notwendigen offenen Forschens doch noch andere Antriebe oder völlig neue Fortbewegungsformen kommerziell entwickelt werden. Für den Stadtverkehr und gewisse Mittelstrecken soll die E-Mobilität die Zukunft weisen, dann aber für viele Umweltbewusste doch eher als elektrisches Fahrrad. In so manchem Konzern und vor allem auf Ebene der Europäischen Kommission versteift man sich auf das Elektroauto, was wiederum von der chinesischen Nachfrage der letzten Jahrzehnte angetrieben wird. Die Europäer folgten auch hier den Chinesen und nicht umgekehrt.

Forschungskooperationen betreiben chinesische Firmen trotz politischer Autokratie um vieles offener, intensiver und jedenfalls konsequenter als dies selbst innerhalb der EU der Fall ist. Zudem kehren die Absolventen von internationalen Universitäten seit bald 15 Jahren wieder nach China heim und stehen nicht mehr – wie einst – jenen Forschungseinrichtungen zur Verfügung, wo sie ihren Abschluss gemacht haben. Es spricht grundsätzlich vieles für eine chinesische Technologieführerschaft, die mit den Möglichkeiten der afrikanischen Partner eine neue Lieferkette für zukünftigen Automobilbau ermöglicht. Das sogenannte Baukastensystem, wonach wesentliche Bestandteile für die Marken eines Konzerns gemeinsam produziert werden, wird bei zukünftigen Flotten von Elektroautos noch mehr zum Einsatz kommen. Allein die neuen Möglichkeiten des dreidimensionalen Druckens von Bestandteilen werden ihren Anteil am Aufbau von Lieferketten in Subsahara-Afrika haben. Volkswagen und Renault sind bereits seit Jahren in einigen afrikanischen Staaten vertreten. Ein chinesischer Mittelklassewagen oder Kompakt-Van könnte zu einem sehr wettbewerbsfähigen, i. e. niedrigen Preis in Rwanda oder anderswo in der Seenregion Ostafrikas gebaut und vertrieben werden. Die Betriebsstätten in Europa hätten dann das Nachsehen, dies würde Deutschland ebenso wie Frankreich und deren nach Ost- und Mitteleuropa ausgelagerte Zulieferer sehr hart treffen. Die letzte in Europa verbliebene Schlüsselindustrie wäre nach den Zäsuren der letzten Jahrzehnte definitiv Geschichte. Es blieben dann Automobilmuseen mit interaktiven Schauräumen, um sich vorzustellen, wie Autos einst in Turin, Stuttgart oder in Paris hergestellt wurden. Zudem wären mit einem Schlag Millionen Arbeitsplätze in Europa weg.

Neugieriges Staunen, manchmal auch eine Prise Arroganz oder Unverständnis, schlägt mir entgegen, wenn ich diese These durchargumentiere. Das erklärt sich wohl aus dem immer noch vorherrschenden mitleidigen Blick auf den sogenannten Süden. Die Lieferketten werden sich aus vielen weiteren Gründen auf dem afrikanischen Kontinent neu gestalten. Dazu gehören der Durst nach Veränderung junger Generationen wie auch die zunehmend verbesserten Arbeitsbedingungen in Staaten, wie Rwanda und Sierra Leone, wo zudem Menschen in Führungspositionen tätig sind, die Genozide, Kriegsmassaker und vieles mehr überlebt haben, die menschlich einfach beeindruckend sind. Nordamerikanische und europäische Firmen werden manches heimholen, um vermeintlich Arbeitsplätze zu sichern, doch Robotik und Digitalisierung werden kaum einen solchen Schub für den Arbeitsmarkt, egal ob für Fachkräfte oder Logistiker, zulassen. Besonders werden diese Transformationen in der Autowirtschaft die Zulieferer zu spüren bekommen.

Österreich und der Wandel vom Wegbereiter zum Zulieferer

Auch in Österreich muss man die Museen besuchen, um eine Ahnung einstiger Größe zu erheischen. Das gilt nicht nur für die kaiserlichen Sammlungen von Juwelen und Kunstwerken, oft Geschenke der jeweiligen zeitgenössischen Potentaten, welche die Republik in den Bundesmuseen beherbergt. Besonders spürbar wird der Wandel der letzten 120 Jahre in den technischen Sammlungen. Fest eingegraben in meinen Erinnerungen aus Kindertagen der frühen 1970er-Jahre ist mein Staunen beim Betrachten des „Marcus-Wagens“ im Technischen Museum Wien. Dieses Gerät aus Holz und Eisen mit seinen Kutschenrädern wurde als das älteste Automobil der Welt vorgestellt. Siegfried Marcus (1831 bis 1898) war aus Mecklenburg nach Wien gekommen, wo er zunächst telegrafische Apparate entwickelte und sich dann dem Motorenbau immer mehr zuwandte. Sein irrtümlich auf 1877 datiertes Auto wurde später, jedenfalls nicht vor 1888 geschaffen. Marcus experimentierte zeitgleich wie andere Pioniere an einem Automobil mit Explosionsmotor. Mir sollte der „Marcus-Wagen“ nicht mehr aus dem Sinn gehen. Für Automuseen entwickelte ich jedenfalls ein Faible, denn die dort ausgestellten Exponate haben einfach Charakter und lassen träumen, v. a. ist es sympathisch, wenn man das eine oder andere Modell gar noch selbst erlebt hat.

Beim Besuch des weitläufigen Motorradmuseums in Vorchdorf in Oberösterreich zogen nicht nur die vielen exquisiten Exponate mein Interesse an; fast noch mehr faszinierten mich die Informationstafeln über hunderte Motorradfirmen, die in der Zwischenkriegszeit in Wien die Zweiradindustrie beflügelten. Welcher Erfindergeist und v. a. welche unternehmerische und technische Vielfalt hatten in dieser Branche einst bestanden? Bis in die 1990er-Jahre existierte mit den Steyr-Daimler-Puch-Werken ein Unternehmen, das zwar infolge staatlichen Missmanagements sehr herabgewirtschaftet war, aber als Marke aufgrund der Qualität seiner Produkte, der Vielfalt an Patenten und der Treue seiner Kunden in sich ein Wert war. Die Palette reichte von Pkw über Autobusse zu Lkw und geländegängigen Traktoren. Der von Porsche entwickelte Steyr XII galt als einer der besten Bergwagen; der Steyr 50 war der Vorläufer des deutschen Volkswagens. Die Motorräder von Puch, wie die legendäre Puch 250, waren besonders populär. Einer meiner ersten Beiträge für das Wirtschaftsressort der deutschen Tageszeitung „Die Welt“, für die ich damals als freie Korrespondentin zu arbeiten begonnen hatte, war die Auflösung der Steyr-Werke im Frühjahr 1999; eine Reihe von Ausgliederungen war bereits erfolgt. Der austrokanadische Unternehmer Frank Stronach hatte gleichsam ein Schnäppchen mit dem Erwerb einzelner Unternehmensanteile, von Immobilien und Lizenzen, gemacht. Die verbleibende Steyr-Daimler-Puch-Fahrzeugtechnik in Graz wurde mit der Firma Magna verschmolzen, die bis heute ein wichtiger Zulieferbetrieb für die deutsche Autoindustrie ist. Für mich war das Interview mit einem der letzten Manager im Steyr-Gebäude auf dem Schwarzenbergplatz in Wien vor dessen Abriss eine düstere, aber zugleich bezeichnende Erfahrung, wie in Österreich Geschäfte gemacht werden. Mangelnde Transparenz, unklare Anbote und in sich geschlossene Zirkel erlebte ich damals in Wien. Ingenieure, die für ihr Unternehmen lebten, mit Begeisterung forschten und an neuen Antrieben tüftelten, durfte ich noch in Steyr antreffen. Eine gewachsene Struktur, die einst die tüchtige Familie Werndl in Steyr im 19. Jahrhundert aufgebaut hatte, wurde zur Jahrtausendwende endgültig zerschlagen. Ich erlaube mir diesen Exkurs aus folgendem Grund:

Österreichs Industrie ist heute reduziert auf ihre Rolle als Zulieferer. Im weltweiten Globalisierungsindex, der die Einbindung einer Volkswirtschaft in die Weltwirtschaft misst, liegt Österreich von 185 Ländern auf Platz fünf. Dieser Spitzenplatz wurde stets als großer Vorteil dargestellt. Doch mit dem Zusammenbruch der Weltwirtschaft infolge eines globalen Lockdowns und der großen Verwundbarkeit in der Position als Zulieferer wird eben diese Exponiertheit zum großen Handicap, denn im Gegensatz zu großen Ländern, wie Polen, Frankreich u. v. a. m., fehlt Österreich der Binnenmarkt.

Unternehmertum in Zeiten der Pandemie ist ein Hasardspiel, v. a. wenn man Mittelständler ist. Inmitten der Umbrüche und der Finanznot, der Sorge um Mitarbeiter sowie um die eigene Existenz ist es sehr schwer, neu zu denken sowie sich wieder etwas zu trauen. Was Europa einst auszeichnete, war der intensive Wettbewerb der besten Köpfe, der Querdenker und Freigeister. Diese Epoche scheint untergegangen, es dominiert die Monokultur. Diese ist ebenso anfällig für Infektionen, wie es die landwirtschaftliche Monokultur sein kann.

Ausblick auf die Automobilindustrie und ihre Zulieferer

Die Wirtschaftskrise, von der Pandemie losgetreten, wird uns einige Jahre beschäftigen. Der Ausgang dieser Krise mit den gesellschaftlichen Verwerfungen ist ungewiss. Millionen von Arbeitslosen werden kaum schicksalsergeben auf bessere Zeiten hoffen; die Rückkehr der sozialen Frage, die bereits in der arabischen Welt seit 2011 brodelt, kann auch in so manchem europäischen Wohlfahrtsstaat noch für Verwerfungen sorgen. Die Zukunft der Autoindustrie wird daher für den sozialen Frieden eine gewisse Rolle spielen, da sie ein wichtiger Arbeitgeber ist und bislang als Motor für die Forschung wirkte.

Die deutschen Autobauer und Zulieferer machten im Jahr 2019 weltweit einen Inlands- und Auslandsumsatz von 445 Milliarden Euro. Die Automobilindustrie steht für Millionen Arbeitsplätze in Europa. Österreich ist mit seinen Standorten in Oberösterreich und der Steiermark wesentlich als Zulieferer tätig, was wiederum 250.000 Arbeitsplätze schafft. Deutschlands drittgrößter Automobilzulieferer, ZF Friedrichshafen, beschäftigte bis Anfang 2020 konzernweit 148.000 Menschen. Infolge der Coronakrise wurde im Mai 2020 ein Personalabbau von bis zu 15.000 Menschen angekündigt. Die düsteren Prognosen des Jahres 2019 wurden infolge der globalen Rezession dann noch schlechter. Denn noch zu Jahresende 2019 hatte ZF versprochen, Arbeitsplätze aufrechtzuerhalten, während die Konkurrenten Bosch und Continental und viele weitere spezialisierte Subunternehmer bereits 2019 einen radikalen Umbau angekündigt hatten. Die Ursachen für die schlechte Auftragslage sind bekanntermaßen in der sinkenden Automobilnachfrage und dem Wandel zur Elektromobilität zu finden.

Ursache für die wachsenden Problemen der Zulieferer sind aber die Autohersteller, denn sie machen die Vorgaben. Diese lauteten in der deutschen Autoindustrie: große Autos mit viel Hubraum, denn hier lässt sich die Marge verdienen.

These Eins und Schlussfolgerung:

Die bereits vor der Pandemie angeschlagene europäische Automobilindustrie wird ihre historische Vormachtstellung an China abtreten, das auf dem afrikanischen Kontinent produzieren lässt.

Ein Annus horribilis, also ein Ausnahmejahr an Problemen, ist 2020 angebrochen.

Die aktuelle Rezession, die laut Weltwährungsfonds mit jener von 1929 vergleichbar sei, wird die Autoindustrie schwer treffen und damit für viele Regierungen zum Testfall werden. Es verändert sich das Geschäftsmodell Autobranche von der Produktion, den erforderlichen Rohstoffen bis zum Autohändler grundlegend. Die Deindustrialisierung ist weit fortgeschritten; Arbeitsplätze in anderen Branchen zu finden, wird schwierig werden. Doch inmitten dieser Pandemie wird nun auch in Europa – wie zuvor schon in den USA – der Ruf immer lauter, Produktion und Lieferketten zu überdenken. Backshoring als Kontrastprogramm zum Offshoring, das mit dem Siegeszug der Globalisierung zur Auslagerung wesentlicher Industriebranchen in Billiglohnländer in Asien führte, ist das neue Credo.

Die Folgen für die Beschäftigten bzw. für die europäische Industrie in ihrer Gesamtheit können heftig ausfallen. Der Staat als Manager ist ein altes Thema, um das herum Revolutionen und Kriege stattgefunden haben. Wie wird es sich mit der Umsetzung des EU-Green-Deals und den Vorgaben zum Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor verhalten? Primat der Wirtschaft oder doch Primat des Staates, das sind alte Fragen, die wieder neu beantwortet werden wollen.

VW-Käfer aus dem Jahr 1966

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