Kitabı oku: «Die Mobilitätswende», sayfa 4

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2. KAPITEL:
DAS ERDÖLZEITALTER UND DIE MOBILITÄT

Erster Weltkrieg und die Folgen. Der Krieg als der Vater aller Dinge – militärische Innovation und neue Mobilität. Zuerst wurden die Pipelines vereinbart, dann die Grenzen gezogen. Das Erdölzeitalter begann mit dem Automobil und könnte mit diesem enden. Wechselspiel von Erdölpreis und Autowirtschaft. Die Höhen und Tiefen der Erdölproduzenten. Förderkosten und das temporäre Phänomen des Frackings.

Die Zeitgenossen nannten den Krieg, der 1914 ausbrach und 1918 endete, noch den Großen Krieg. Sie konnten nicht ahnen, dass etwas mehr als 20 Jahre später ein weiterer folgen würde. Die Briten sprachen vom „war to end all wars“, denn viele Überlebende waren der festen Überzeugung, dass nach diesem Massaker niemand mehr einen Krieg beginnen würde. Sie irrten sich. Dieser Krieg setzte eine tiefe Zäsur in der Geschichte, und zwar weit über Europa hinaus. Ich habe ihn stets als die Mobilitätswende vom Pferdezeitalter in die Ära des Automobils und der Luftfahrt gesehen.

Als kampfeslustige junge Männer, ob in Berlin, Wien, Belgrad oder Paris im Sommer 1914 in den Krieg zogen, ritten sie noch zu Pferde. Doch bald würden gepanzerte Fahrzeuge neben den Pferden auftauchen. Ab 1915 tobten die ersten Luftkämpfe und ab Februar desselben Jahres brachen die Deutschen den U-Boot-Krieg mit den USA vom Zaun. Rösser zogen zwar noch Kanonen, es sollte aber der letzte große Krieg zu Pferde sein, wenngleich im Zweiten Weltkrieg wiederum Hunderttausende Pferde zum Einsatz kamen, um Versorgung für die Soldaten zu transportieren. Aber die traditionelle Kavallerie konnte fortan gegen Maschinengewehre und Stacheldraht nichts ausrichten. Der Blutzoll der Pferde war hoch. Im Ersten Weltkrieg wurden 16 Millionen Pferde eingezogen, die Hälfte von ihnen verendete auf den Schlachtfeldern. Verwundete Tiere wurden aber auch behandelt und in Erholungsheime geschickt. Bei aller Brutalität des Krieges, der noch existente Bezug zwischen Mensch und Tier kannte Zumutbarkeit und Respekt für das Leben. Rund 20 Millionen Menschen starben in den vier Kriegsjahren, die Hälfte waren Zivilisten.

Mit diesem Krieg änderte sich die gesamte Kriegsführung, die Armeen kämpften nicht mehr auf Schlachtfeldern außerhalb der Städte gegeneinander. Stellungskriege, Materialschlachten und die rasche Verlegung von Truppen zwischen mehreren Fronten waren u. a. das neue Erfordernis. Vielleicht hätten deutsche Soldaten Paris bereits 1915 besetzt, wäre es nicht General Gallieni gelungen, die sogenannte „Taxi-Armada“ an die Marne im Osten des Landes zu schicken. In einer legendären Mobilisierung befahl der Pariser Militärgouverneur Joseph Gallieni sämtliche Pariser Taxis vor das Verteidigungsministerium. Dort wurde zunächst noch diskutiert, ob der Fahrpreis als Pauschale oder per Kilometer zu verrechnen sei. Schließlich transportierten die Pariser Taxis die französischen Soldaten rechtzeitig an die Front. Die Verlegung der wesentlichen Truppenverbände erfolgte per Bahn, doch die Anekdote mit historischem Hintergrund illustriert die Dringlichkeit neuer Mobilität. Und diese erforderte Erdöl, das bislang vorrangig für Petroleumlampen verwendet worden war. Die wenigen Automobilisten, die sich das Luxusgeschöpf Auto leisteten, erwarben den Treibstoff in der Apotheke.

Jener große Krieg, der nach meinem Dafürhalten eine viel größere Zäsur für die Weltgeschichte schuf als das Jahr 1945, wirkte in vielfacher Hinsicht wie eine gewaltige Innovationsmaschinerie. Ohne jenen Krieg und die darin gemachten Erfahrungen rund um die Bedeutung des Erdöls als Treibstoff wäre vieles anders verlaufen. Das Zitat des griechischen Philosophen Heraklit (um 520 v. Chr. bis um 460 v. Chr.) trifft die Bedeutung der Zeitenwende klar: „Der Krieg ist der Vater aller Dinge und der König aller. Die einen macht er zu Göttern, die andern zu Menschen, die einen zu Sklaven, die andern zu Freien.“ Es ist die Geschichte vom steten Wandel, wobei Krieg nicht nur Elend verursacht, sondern Kriege haben zu allen Zeiten auch zum technischen Fortschritt beigetragen, so makaber diese Diagnose angesichts der großen Zerstörungen klingt. Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs begann jedenfalls das Zeitalter einer neuen Mobilität, die fortan nicht mehr von tierischer Kraft bestimmt war, sondern vom Treibstoff Erdöl. Wären nicht die neuen Fortbewegungsmittel wie das Auto, das Flugzeug und die mit Diesel betriebene Schifffahrt infolge des Kriegs nun auf den Plan getreten, so wäre wohl so manches Erdölbohrloch wieder versiegelt worden, denn allein für die Petroleumproduktion brauchte man es schon lange nicht mehr, da es längst Gaslaternen gab bzw. war die Glühbirne bereits erfunden.

Die Energie war nicht Teil der klassischen Wirtschaftslehre. Weder hatte ein Karl Marx diesen Faktor in seinen revolutionären Überlegungen zur Kritik an den Produktionsmitteln eingebaut, noch tauchte das Thema Energie in den Büchern eines John M. Keynes auf, dessen Arbeiten bis in die Gegenwart wirtschaftspolitische Entscheidungen im Sinne staatlicher Investitionen für Konjunkturbelebung prägen. Es ging sehr lange nur um die Berechnungen von Boden, Kapital und Arbeit. Doch spätestens mit dem Ende des Krieges 1918 wurde klar, dass der Faktor Energie als Grundlage aller Mobilität an Bedeutung stark gewinnen würde. Politikern wie Winston Churchill war das um einiges früher bewusst als so manchem Ökonomen. Das Thema Erdöl faszinierte ihn, er begriff die damit verbundene wirtschaftliche Umwälzung.

In seinem Geschichtsbuch „Der Preis: die Jagd nach Öl, Geld und Macht“ (1993) erzählt der Autor Daniel Yergin in vielen Details die Entwicklung der Erdölwirtschaft von ihren Anfängen in Baku und dem Reichtum des Stifters des Nobelpreises, den Pionieren des fossilen Zeitalters, über den Aufstieg der US-Erdölkonzerne und deren Zerschlagung bis hin zur aktuellen nahöstlichen Geopolitik im Namen des Erdöls. Will man die Weltgeschichte des 20. sowie des noch jungen 21. Jahrhunderts verstehen, so setze man eine Brille namens Erdölmarkt auf das innere Auge der Betrachtung, und im Brennpunkt dieser Linse wird manches klarer. Das war meine Schlussfolgerung nach intensiver Lektüre dieses zeitlosen Werks, da der Autor auf sehr viele Epochen und Regionen eingeht, die in ihrer Gesamtheit den „Hydrocarbon Man“, also den „Kohlenwasserstoffmenschen“ mitbestimmt haben. Diese Wortschöpfung begleitet den Autor durch sein Buch und bringt die Rolle des Erdöls nicht nur für die internationalen Beziehungen, die Weltwirtschaft, sondern auch gewissermaßen für die evolutionäre Entwicklung der letzten Generationen auf den Punkt. Das Erdöl und damit die sehr günstige Mobilität haben uns massiv in unserem Verständnis von Distanzen und Mobilität geprägt. Was zuvor bereits die Errichtung der großen Eisenbahnverbindungen auf dem europäischen Kontinent oder in Nordamerika in den Köpfen der Menschen verändert hatte, sollte sich nun nochmals drehen. Diesmal ging es um die individuelle Mobilität dank Automobil. Hatten die Menschen Jahrtausende hindurch ihre Wege in Tagesmärsche eingeteilt, so waren nun einige Kilometer leicht überwindbar; damit änderte sich viel. Denn zuvor war die gesamte Verwaltung wie auch die Einrichtung von Pfarren und Galgenhügeln in den recht fortschrittlichen Reformen der Habsburger des 18. Jahrhunderts nach kürzeren Distanzen berechnet.

Die Mobilitätswende des Ersten Weltkriegs und die politischen Folgen

Während sich der damalige französische Premierminister Georges Clemenceau mit dem Satz „Wenn ich Öl brauche, kaufe ich es bei meinem Apotheker“ zitieren ließ, verstand der junge britische Politiker Winston Churchill die Bedeutung des Rohstoffs in seiner strategischen Dimension. Er ließ sich vom einstigen Muschelhändler Marcus Samuel die Vorzüge des Treibstoffs erklären: hoher Brennwert, leicht transportierbar und ziemlich billig. Samuel sollte einer der Mitbegründer des britisch-niederländischen Erdölkonzerns Royal Dutch Shell werden, der bis heute die Muschel als Logo führt.

Churchill beschloss in seiner Funktion als First Lord of the Admiralty, die britische Kriegsmarine von Kohleantrieb auf Diesel umzustellen, was sich trotz des heftigen Widerstands innerhalb der Regierung als richtig herausstellte. In den Jahren vor dem Kriegsausbruch tobte ein Rüstungswettlauf zwischen dem britischen Empire, der damaligen unbestrittenen Weltmacht, und dem aufstrebenden Kaiserreich Deutschland, das seine industrielle Revolution in großen Sprüngen hinlegte. Ähnlich wie China heute spielte Deutschland damals den Herausforderer, so auch als neuer Technologieführer, insbesondere in der Mobilität, denn die großen Erfindungen jener Zeit wurden in Deutschland gemacht. Dafür standen die Techniker und Tüftler bei Siemens, Benz und Bosch, um nur einige zu nennen. Von ihrer Arbeit zehrt die deutsche Wirtschaft bis heute. Die Bezeichnung „Made in Germany“ wurde ursprünglich von den Briten 1887 als Warnung eingeführt, um auf vermeintlich schlechtere Importware aus Deutschland hinzuweisen. Die Ursprungsbezeichnung galt jedoch bald als ein Gütesiegel. Die große Mehrheit der an der Börse notierten deutschen Unternehmen wurden vor 1914 gegründet. Auf militärischem Gebiet gab Berlin auch zunehmend den Takt vor. Churchill begriff diese neue Situation und würde in der Folge zu einem der großen Förderer der Erdölindustrie werden, da er in ihr die Zukunft sah. Seine Kritiker meinten, dass die heimischen Kohlebergwerke ausreichten, während man Erdöl doch importieren müsse.

Der Kriegsverlauf sollte Churchill Recht geben, denn kriegsmitentscheidend waren nun Fahrzeuge, Kampfflieger und Unterseeboote. Sie alle benötigten Treibstoff. Die Bedeutung dieser neuen Mobilität führte mit Kriegsende zur folgender Konklusion für Sieger wie Besiegte gleichermaßen: physischer Zugang zu Erdöl ist kriegsentscheidend. Die territoriale Neuordnung des Nahen Ostens erfolgte im Namen des Erdöls. Churchill sollte hierbei eine entscheidende Rolle spielen. London dehnte seine Kolonialmacht auf die zukünftigen Erdöllieferanten aus und das Empire erreichte seine größte Ausdehnung, bis es dann nach 1947 mit der Unabhängigkeit Indiens zu zerfallen begann, und zwar sehr schnell.

Im Mittelpunkt standen 30 Jahre früher die damals bereits bekannten Erdölquellen von Mesopotamien. Dieser alte griechische Name für das Zwischenstromland zwischen Euphrat und Tigris tauchte in den Dossiers rund um die „Orientfrage“ regelmäßig auf. Der Name Irak für das zukünftige britische Mandatsgebiet im erdölreichen Mesopotamien wurde erst später vergeben. Diese Aufgabe hatte die englische Orientalistin und spätere Regierungsberaterin Gertrude Bell übernommen. Die arabische Bedeutung des Wortes Irak ist „tief verwurzelt sein“; eine alte Bezeichnung für den heutigen südlichen Landesteil. In der osmanischen Verwaltung orientierten sich die Provinzen, die Wilajets an den wesentlichen Städten wie Aleppo, Basra und anderen, die alte Stadtstaaten waren. Mit der Gründung der Nationalstaaten nach dem Ersten Weltkrieg zunächst in Form von Mandaten, die von den Kolonialmächten noch „betreut“ werden sollten, wurden die arabischen Nationalbewegungen geschwächt, denn sie hatten ganz andere Ziele, ob nun als Monarchisten oder Republikaner. Das Mandatsgebiet des späteren arabischen Nationalstaats Irak wurde in britischer Kolonialtradition auf dem Reißbrett erschaffen, die ersten Karten und Grenzen zeichnete die unglaubliche Miss Bell selbst. Den Kurden war ursprünglich von britischer und französischer Seite ein eigener Staat im Vertrag von Sèvres 1920 noch zugesagt worden. Drei Jahre später fanden sich die Kurden nach Auflösung des Osmanischen Reiches in vier neuen Nationalstaaten wieder. Der neue Vertrag wurde in Lausanne unterschrieben und bildet bis in die Gegenwart die territoriale Referenz, die aber von der türkischen AKP im Sinne neoosmanischer Konzepte immer wieder kritisiert wurde.

Es waren jedoch die kurdischen Siedlungsgebiete im Nordirak, die bis heute als besonders reich an leicht förderbarem Erdöl von hoher Qualität gelten. In dieser Region wurde und wird ein Feuerkult gelebt, den die Zoroastrier wie die Jesiden pflegen. In antiken Zeiten ließen sich bereits die leicht brennbaren Erdölquellen, die nahe der Erdoberfläche liegen, für diese religiösen Rituale einsetzen. Das Leben mit dem Öl und religiösen Kulten einst, dann Jahrtausende später das Leben von den Erdöleinnahmen hat die Gesellschaften tief geprägt und jedes Mal verändert.

Die politische Landkarte wurde bereits vor einem Jahrhundert im Namen von Erdölinteressen gezeichnet. Es war letztlich die Pipeline, die von Mossul quer durch die syrische Wüste bis zur Hafenstadt Haifa im britischen Mandatsgebiet Palästina errichtet wurde, welche die wesentliche Referenz für die spätere Demarkierung der britisch-französischen Grenzkonvention wurde. Am Anfang war das Erdöl. Wie ein roter Faden ziehen sich die Erdölinteressen durch die Zeitgeschichte des Nahen Ostens. Zuerst einigten sich britische und französische Erdölkonzerne über den Verlauf der Pipelines, in der Folge würden dann Diplomaten und Geografen die Grenzdemarkationen durchführen. Die zuvor zitierte Grenzkonvention von 1923 hat völkerrechtlich betrachtet bis heute ihre Gültigkeit, denn Grenzverträge bleiben aufrecht, auch wenn Staaten untergehen und neue entstehen. Dies ist im 20. Jahrhundert einige Male passiert, auf dem europäischen Kontinent öfter und heftiger als im Nahen Osten. Das in der UNO-Charta verankerte Recht auf Selbstbestimmung konnten die Völker in den umkämpften rohstoffreichen Staaten kaum ausüben, vielmehr wurden sie zu Spielfiguren auf dem geopolitischen Schachbrett. Dieses wurde zeitweise schlauer, dann wieder brutaler von den jeweils „Großen“ in ihrem Spiel beansprucht. Der Begriff „the great Game“ aus dem 19. Jahrhundert wird auch im Wettlauf um Ressourcen und Einfluss in unserer Zeit gerne verwendet. Unter die Räder kommen hierbei regelmäßig die Menschen.

Als die Terroristenmiliz Islamischer Staat (IS) im Sommer 2014 ihr Kalifat proklamierte, wurde die nordirakische Stadt Mossul die Hauptstadt des kurzlebigen Staatsgebildes, das sich über die syrisch-irakische Staatsgrenze hinweg erstreckte. In einem der vielen Propagandavideos waren im Juni 2014 vermummte Milizionäre zu sehen, die Grenzsteine der Demarkation von 1923 im Wüstensand zu zerstören versuchten. Die dabei skandierten Slogans drehten sich um das Sykes-Picot-Abkommen, das nun der IS endgültig vernichtet hätte. Die IS-Kämpfer erlagen wie manche Historiker, arabische Nationalisten und andere der Überzeugung, dass die Korrespondenz zwischen dem französischen Diplomaten Georges Picot und seinem britischen Kollegen Mark Sykes den Grundstein für die Aufteilung des Nahen Ostens gelegt hätte. Dem war aber nicht so.

Die Tatsache, dass Paris und London einander Territorien zuschanzten, Völker und gewachsene Wirtschaftsräume zerstörten, ist historisch richtig. Doch vergleicht man die Karten, wie sie die geheimen Briefe zwischen Sykes und Picot von 1915 und 1916 vorsahen, mit jenen Karten, die einige Jahre später entlang von Erdölinteressen in einem Hotel im italienischen Badeort San Remo gezeichnet wurden, dann wird eines deutlich: Jene von Sykes und Picot hätten geradezu die „arabische Sache“ noch gerettet. Als die beiden Diplomaten, die mit der Orientfrage betraut waren, wie damals das Dossier „Nahostkonflikt“ hieß, die Aufteilung von französischen und britischen Einflusszonen skizzierten, dominierte Frankreich die Levante. Französische Schulen, Klöster, Konsuln und damit auch die französische Sprache bestimmten Generationen der vielen Ethnien in diesem Teil des Osmanischen Reiches. Im Libanon hatte Frankreich bereits seit 1830 infolge einer humanitären Intervention, übrigens der ersten dieser Art, ein wesentliches Standbein. Frankreich verfestigte damit seine Rolle als Schutzmacht christlicher Minderheiten im Osmanischen Reich. Wäre es nach den Karten von Sykes und Picot gegangen, hätte sich die französische Zone über die armenischen Siedlungsgebiete weit nach Norden gezogen. London hatte an der Region nur sehr bedingtes Interesse; entscheidend war aus britischer Sicht eigentlich nur die Kontrolle über den Suezkanal, um die freie Durchfahrt nach Indien zu kontrollieren. „Free Passage to India“ lautete die Devise, denn das Interesse Londons galt in erster Linie der Kronkolonie Indien, ohne die sich die Briten das Leben nicht vorstellen wollten. Im Persischen Golf errichteten sie nur kleine Handelsniederlassungen für den Nachschub, diese wurden von Stammesfürsten verwaltet. Der etwas despektierliche Ausdruck „Tribes with Flags“, also Stämme mit Flaggen, wird dem ägyptischen Diplomaten Tahsin Bashir (1928 bis 2002) zugeschrieben, der in jenen späteren arabischen Staaten keine Nationen sah. Am interessantesten war aber wohl der britisch-französische Kompromiss zu den heiligen Stätten in Palästina, für die eine Art Kondominium unter internationaler Verwaltung vorgesehen war. Die Geschichte des Nahen Ostens wäre nun wirklich ganz anders verlaufen, wenn das Sykes-Picot-Abkommen die territoriale Referenz geworden wäre.

Nichts von alledem wurde umgesetzt, zumal die britische Armee sich viel intensiver am nahöstlichen Schauplatz engagierte, als dies anfänglich geplant war. Mit dem Einmarsch des britischen General Allenby im Dezember 1917 in Jerusalem hatte sich definitiv das Blatt gewendet. Fortan würden die Briten über ihre Mandate in der Region an vorderster Front mitspielen. Akribisch nahm sich London der Neugestaltung der Region im Namen des Erdöls an.

Den Pipelines folgten die Staatsgrenzen: das Erdölabkommen von San Remo 1920

Im April 1920 trafen einander die Vertreter der wesentlichen Erdölkonzerne im Kurort San Remo an der italienischen Riviera. Die Konkursmasse des Osmanischen Reiches wurde zwar zunächst im Vertrag von Sèvres 1920 neu geordnet, doch sollte dieser nur drei Jahre später vom Vertrag von Lausanne abgelöst werden. Ein aus Saloniki stammender Offizier namens Mustafa Kemal Pascha (1881 bis 1938) organisierte die militärische Rückeroberung Anatoliens, er wurde mit dem Ehrentitel Atatürk (Vater der Türken) zum Begründer des Nationalstaats Türkei. So wurde der Weg frei für die Revision von Sèvres und den neuen Vertrag von Lausanne. Die Grundlage für Letzteren bildete wiederum teilweise das Erdölabkommen von San Remo. Dieser mondäne Kurort reihte sich mit internationalen Konferenzen in die sogenannte „Thermaldiplomatie“ jener Epoche. In eleganten Kurorten wurde nicht nur gebadet, sondern auch konferiert. Hier war das Hotel Londra Schauplatz der Besprechungen, wobei weniger Diplomaten, die mit der „Orientfrage“ von ihren jeweiligen Außenministerien betraut waren, das Sagen hatten. Vielmehr leiteten die „Ölbarone“ die Gespräche. Es handelte sich um die Vertreter der gerade aufstrebenden wichtigen europäischen Erdölfirmen.

Mit dem Ende des Deutschen Kaiserreiches und der Niederlage der „Achsenmächte“ und wurden auch die Konzessionen neu geordnet. Berlin hatte erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts seine Orientpolitik begonnen, bei der es vor allem um deutsche Ingenieurskunst und Archäologie ging. Eisenbahnkonzessionen waren vor den Erdölkonzessionen bereits das große Thema im Wettlauf um Einflusssphären von der Levante über die Arabische Halbinsel bis hinein in den Persischen Golf. Deutsche Ingenieure läuteten ein Kapitel ungeahnter Mobilität im Nahen Osten ein. So entstand die Hedschasbahn, welche quer durch das Osmanische Reich zu den heiligen islamischen Stätten verlief, ebenso wie die legendäre Bagdadbahn, die letztlich Berlin mit Bagdad hätte verbinden sollen.

Die Deutschen verloren den Krieg und damit ihre Konzessionen, wobei sich die Grabungsrechte für Erdöl als noch interessanter für die Alliierten herausstellten als die Bahnverbindungen. Die Anglo-Persian Oil Company übernahm deutsche Konzessionen als Feindvermögen. Die Unternehmensgeschichte von BP, ursprünglich „British Petroleum“, nunmehr „Beyond Petroleum“ im Sinne eines umweltfreundlichen Energiekonzerns, spiegelt wie ein Mikrokosmos die geopolitischen Umbrüche im Erdölgeschäft des 20. und auch 21. Jahrhunderts wider. Der Erdölmarkt und damit die gesamte Geschichte unserer Mobilität waren von Anbeginn von politischen Entwicklungen mitbestimmt. Seinen Ausgang nahm manches damals vor 100 Jahren in San Remo.

Während die Europäer, also vornehmlich Briten und Franzosen, im Hotel Londra, der Anekdote zufolge mit einer Skizze auf dem Tischtuch, den Verlauf zukünftiger Pipelines aus dem britisch kontrollierten Mossul quer durch die syrische Wüste in die Hafenstadt Haifa im britischen Mandatsgebiet Palästina beschlossen, musste der amerikanische Delegierte im Garten sitzen und Zeitung lesen, wie es Yergin detailreich beschreibt. Die USA waren noch Zaungäste, ihre Stunde als die wesentlichen Akteure im Erdölzeitalter würde aber noch schlagen.

Die Geschichte des Nahen Ostens folgte demnach der territorialen Aufteilung im Namen von Erdölinteressen und Pipelines. Vom Recht auf Selbstbestimmung hatte der US-Präsident Woodrow Wilson im Jänner 1918 noch feierlich gesprochen, es sollte das Grundprinzip der Gründung der Vereinten Nationen 1945 werden, doch für die arabischen Völker würde es eine Idee bleiben. Denn Kriege, unter anderem um das Erdöl, haben die Geschichte der Region bis in unsere Zeit hinein mitbestimmt. Ohne das billige arabische Erdöl wären weder die Industrialisierung der letzten 100 Jahre noch der rasche Aufbau und der Wohlstand in unseren Breiten nach 1945 möglich gewesen. Für die Staaten des Nahen Ostens, die über die kommenden Jahrzehnte unabhängig wurden, wurde das Erdöl zum Segen und Fluch gleichermaßen. Ihre Staatsgebiete waren von Konzessionen und Pipelines geprägt. Das leichte und rasche Geld floss dann in Fülle mit den Erdölpreisspiralen von 1973 und 1979. Die Erdölproduzenten am Persischen Golf wurden nicht nur zu wichtigen Umschlagplätzen für große Geschäfte, sondern stiegen zu Regionalmächten auf, die im Chaos der vielen militärischen Interventionen der USA nunmehr selbst intervenieren und Politik machen. Die Erdöleinnahmen machen vieles möglich.

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