Kitabı oku: «Das Herzinfarkt-Sutra», sayfa 2
Leerheit, Abhängiges Entstehen und Quantenphysik
In gewisser Hinsicht haben die Lehren über die Leerheit viele Parallelen zur Quantenphysik. Quantenphysiker sagen uns, dass es nicht wirklich eine Welt »da draußen« gibt. Tatsächlich gibt es da nicht viel, wenn überhaupt etwas. Sie suchen immer noch nach etwas, weil es besser klingt und wir dann keine Angst haben müssen, dass es wirklich überhaupt nichts gibt, an dem wir uns festhalten können. Wenn Physiker über ein Quantenfeld sprechen, besteht es fast gänzlich aus Raum, in dem sich ein wenig Energie befindet, jedoch keine Teilchen. Zwar sprechen sie unter Umständen gelegentlich von »Teilchen«, aber dieser Ausdruck bezieht sich nicht mehr auf irgendeine Art von Substanz, sondern nur auf statistische Wahrscheinlichkeiten von Beziehungen. Dies entspricht dem, worum es bei der Leerheit geht, nämlich, dass es überhaupt kein einziges Phänomen gibt, das unabhängig und eigenständig existiert. Die Beschreibung eines Quantenfelds gleicht sehr der Formel »Form ist Leerheit. Leerheit ist Form. Leerheit ist nichts anderes als Form, und Form ist nichts anderes als Leerheit« im Herz-Sūtra. Alles steht miteinander in Wechselbeziehung und verändert sich dauernd, in jedem Augenblick, ist aber völlig ungreifbar.
Nach den Erkenntnissen der Quantenphysik verändert sich, wenn sich bei einem Teilchen eines Teilchenpaars etwas verändert, zum Beispiel der Spin, auch das andere Teilchen, selbst wenn es sich am entgegengesetzten Ende des Universums befinden mag. Das Prinzip der wechselseitigen Abhängigkeit ist also nicht auf einen bestimmten Bereich oder ein bestimmtes Gebiet im Raum beschränkt; es ist tatsächlich unendlich und alldurchdringend wirksam. Der Buddha sagte dasselbe, indem er Abhängiges Entstehen als unendliches Geflecht von Ursachen und Bedingungen bezeichnete. »Ursachen und Bedingungen« beziehen sich nicht auf kleine Dinge, die sich umeinander drehen und sich irgendwie verhalten, denn wenn wir näher hinsehen, kann keines von ihnen wirklich gefunden werden. Solange wir alle diese Ursachen, Bedingungen und ihre Resultate nicht analysieren, scheint alles gut zu funktionieren (zumindest die meiste Zeit). Werfen wir aber einen tieferen Blick darauf, wie die Dinge tatsächlich funktionieren oder was die Dinge tatsächlich sind, wird es sehr verschwommen. Das gleiche Phänomen findet sich auch in der Quantenphysik – je intensiver die Physiker hinschauen und je mehr Elementarteilchen sie finden, desto kleiner und unfassbarer werden diese Teilchen, bis sie nicht einmal mehr als »Teilchen« bezeichnet werden können. Die Physiker verwenden bloß Namen und Beschreibungen für einen fortwährenden Prozess, was diesen, der unvorstellbar ist und sich immerzu verändert, in gewisser Weise zu etwas gefriert, was ein bisschen greifbarer ist, wie etwa mathematische Gleichungen oder Formeln. Das ist damit vergleichbar, wenn der Buddha aus der Perspektive der Leerheit sprach und er die Formel »Form ist Leerheit. Leerheit ist Form« verwendete. Ganz grundsätzlich können wir niemals wirklich exakt beschreiben, was geschieht. Wir können den Prozess im Labor beobachten und »Wow!« sagen, aber das ist es dann auch schon so ziemlich. Später versuchen wir dann auszudrücken, was geschehen ist, genauso wie es der Buddha tat, als er seinen Schülerinnen und Schülern beschrieb, wie die Dinge sind, wenn sie aus der Perspektive des Erwachens zur wahren Realität gesehen werden.
DIE DREI LEHRZYKLEN DES BUDDHA
Das Unausdrückbare ausdrücken
Die Erleuchtung des Buddha war wie dieser »Wow!«-Moment in einem Labor, und zuerst wollte er zu niemandem darüber sprechen. Gemäß dem Lalitavistarasūtra sprach er daraufhin spontan diesen Vers:
Ich habe diesen nektargleichen Dharma gefunden,
Tiefgründig, friedvoll, frei von Bezugspunkten, leuchtend und nicht bedingt.
Wem auch immer ich dies lehren würde, er oder sie könnte es nicht verstehen.
Deshalb werde ich einfach stumm in der Mitte des Waldes verweilen.2
Und das tat er dann auch eine ganze Weile lang; offenbar nahm er an, dass niemand verstehen werde, worin seine Erkenntnis der wahren Natur des Geistes bestand. Später jedoch wurde er von anderen ermutigt zu lehren, und tat dann auch die verbleibenden fünfundvierzig Jahre seines Lebens nichts anderes als das. Das mag merkwürdig erscheinen – wie konnte er fünfundvierzig Jahre lang etwas lehren, was sowieso niemand verstand? Der Buddha sagte zwar, dass seine Erkenntnis der Natur des Geistes in der Tat unausdrückbar und unvorstellbar sei, aber das bedeutet nicht, dass sie vollkommen unzugänglich ist – und das ist ein großer Unterschied. Sie ist unvorstellbar, aber es gibt dennoch einen Pfad, der uns schließlich die gleiche Erkenntnis erfahren lässt. Sie ist dann zwar immer noch unvorstellbar, aber unsere Erfahrung davon ist ebenfalls unvorstellbar. Er besaß diese Einsicht, aber auch das unendliche Mitgefühl und die Fähigkeit, anderen tatsächlich zu zeigen, wie geistige Freiheit zu erreichen ist, und so lehrte der Buddha das, was nicht gelehrt werden kann. Wir können den Geschmack von köstlichem Essen ja auch nicht erfahren, indem wir nur darüber reden oder davon hören. Es kann uns jedoch inspirieren, ein köstliches Essen zu kochen, um den Geschmack zu erfahren. Vielleicht werden wir ja genauso inspiriert, den Geschmack der Erleuchtung zu erfahren, ohne die Worte mit dem zu verwechseln, worauf sie sich beziehen.
Der Buddha erkannte, dass es Wege gibt, sein Erwachen zu kommunizieren. Alle diese Wege sind indirekte Unterweisungen, aber wenn wir ihnen folgen, können wir tatsächlich erkennen, was der Buddha gesehen hat. Der indische buddhistische Dichter Aśvaghoṣa sagte dazu:
Wir gebrauchen Worte, um frei von Worten zu werden,
Bis wir die reine wortlose Essenz erreichen.
Somit sind die buddhistischen Lehren so etwas wie Finger, die auf den Mond zeigen. Aber wenn wir nur auf die Finger blicken, werden wir nie den Mond sehen. Fünfundvierzig Jahre lang zeigte uns der Buddha immer wieder andere Finger, die immer auf denselben Mond deuteten, der nichts anderes als die wahre Natur unseres Geistes ist. Der Buddha benutzte so viele Finger, weil wir den Mond vielleicht übersehen hätten, wenn er nur mit einem einzigen Finger auf ihn gezeigt hätte. Wenn aber viele Personen mit vielen Fingern aus allen möglichen Richtungen auf den Mond deuten, kann man ihn nicht so leicht übersehen. Daher gab der Buddha viele verschiedene Unterweisungen, die alle wie Finger sind, die aus unterschiedlichen Richtungen deuten. Da sie aus unterschiedlichen Richtungen deuten, sagten natürlich manche Menschen: »Das ist genau das Gegenteil von dem, was er früher gesagt hat.« Das ist wahr, aber er deutete einfach nur aus einer anderen Richtung auf genau denselben Mond. Es ist, als würde man zwei Personen nach dem Weg zum Weißen Haus fragen, wobei eine links und die andere rechts davon steht. Die erste Person wird nach rechts deuten und die zweite nach links. Wenn wir denken, dass eine von ihnen Unrecht hat oder sie sich widersprechen, übersehen wir das, worum es hier geht (und das Weiße Haus).
Als kurzer Abriss im Hinblick darauf, was in der Lehrlaufbahn des Buddha geschah, bevor er das Herz-Sūtra lehrte, sollte erwähnt werden, dass er laut der Mahāyāna-Tradition drei Lehrzyklen lehrte, die »Dharma-Räder« genannt werden. Dies ist eine Unterteilung, die sich auf den Inhalt bezieht und nicht auf die zeitliche Abfolge. Der Buddha sprach zuerst über die grundlegende Befindlichkeit des Menschen, jene Lehren, die als die Vier Edlen Wahrheiten bekannt sind. Am Anfang gab er Belehrungen über das, womit wir uns vornehmlich beschäftigen – Leiden. Dann sprach er über die Ursachen des Leidens oder den Ursprung des Leidens. Danach lehrte er, dass wir tatsächlich unser gesamtes Leiden und seine Ursachen beenden können, was die Dritte Wahrheit, die von der Beendigung des Leidens, ist. Die Vierte Edle Wahrheit beschreibt den Pfad, die Methoden, um die Beendigung des Leidens zu erreichen. Der Buddha sprach zu Beginn also nicht über die Leerheit, das heißt, er lehrte die Prajñāpāramitā-Sūtren nicht am Anfang. Es ist ziemlich offensichtlich, warum er das nicht tat – es hätte keinen Buddhismus gegeben. Wenn er das Herz-Sūtra von Anfang an gelehrt hätte, hätten die Menschen einfach nur gesagt: »Bist du verrückt?« und wären gegangen. Stattdessen versuchte der Buddha, den Weg zu tiefgründigeren Einsichten, wie etwa die Leerheit, dadurch zu ebnen, dass er die Vier Edlen Wahrheiten lehrte. Das heißt, dass er uns Menschen zuerst über unsere grundlegende Situation unterrichtete. Mehr oder minder teilen wir alle die Erfahrung des Leidens, aber die meisten Menschen versuchen, ihr Leid zu ignorieren oder es beiseite zu schieben. Darüber hinaus sind sie unwissend bezüglich der Ursachen des Leidens, darüber, dass es ein für alle Mal beendet werden kann, und sie kennen nicht die Mittel, es zu beenden. Dies sind die ersten Lehren des Buddha, die er im Antilopenhain in Sarnath in Indien verkündete. Seine erste Lehrrede richtete sich nur an fünf Personen, nämlich seine früheren Weggefährten in asketischen Praktiken, bevor er sich unter den Bodhi-Baum gesetzt und Buddhaschaft erlangt hatte. Es heißt, dass diese ersten fünf Schüler des Buddha ihre Befreiung aus Saṃsāra (Arhatschaft) allein dadurch verwirklichten, dass sie seine Unterweisung über die Vier Edlen Wahrheiten hörten.
Im zweiten Zyklus der Lehren des Buddha findet sich dann das Herz-Sūtra. Dieser Zyklus besteht aus den Prajñāpāramitā-Lehren und wird das »Dharma-Rad der Merkmalslosigkeit« genannt. Diese Unterweisungen erteilte er auf einem Berg in Indien, dem »Geierscharberg«, der sich in der Nähe von Rājagṛha im heutigen Bihar befindet. Zu Zeiten Buddhas war diese Stadt der Sitz eines mächtigen Königs, eines Freundes und Gönners des Buddha. Als Buddha Śākyamuni den zweiten Zyklus seiner Unterweisungen lehrte, gab es eine riesige Zuhörerschaft; die Sūtren sprechen von tausenden von Mönchen und tausenden von Bodhisattvas sowie von vielen nichtmenschlichen Wesen, Götter etwa und andere Nicht-Erdenbewohner.
Sollten Sie jemals die Gelegenheit haben, den Geierscharberg aufzusuchen, so ist es die Reise wert. Wenn es irgendeinen Ort auf der Welt gibt, an dem wir durch unsere bloße Anwesenheit einen flüchtigen Blick auf die Leerheit erhaschen können, dann dort. Das ist natürlich nur meine Projektion, aber ich fand den Platz sehr beeindruckend und wollte ihn nicht wirklich verlassen; es fühlte sich dort so an, als wäre man aus Zeit und Raum herausgetreten.
In diesem zweiten Lehrzyklus spricht der Buddha vor allem über śūnyatā – dass nichts so ist, wie es scheint. Zugleich lehrte er aber auch Mitgefühl, denn dem Buddha zufolge leiden die Wesen aufgrund ihres Anhaftens daran, dass die Dinge so existieren, wie sie erscheinen. Sie greifen nach Luftschlössern, die niemals ihren Wunsch nach Glück erfüllen können. Sie müssen also aufwachen, sehen, was tatsächlich da ist, und in einer erfolgversprechenderen Art und Weise nach Glück streben. An diesem Punkt kommt Mitgefühl ins Spiel, denn der Buddha, der erkennt, wie die Dinge tatsächlich sind – dass die Wesen nur deshalb leiden, weil sie an nichtexistenten, täuschenden Erscheinungen festhalten –, will selbstverständlich darauf hinweisen, dass dieses Leiden nur auf einer falschen Wahrnehmung beruht und völlig unnötig ist. Letztendlich ist saṃsārisches Leiden nur ein Irrtum, wie der Fehler in einem Software-Programm – es sollte nicht passieren, geschieht aber trotzdem. Das ist der Grund, warum der Buddha fünfundvierzig Jahre lang lehrte. Er sah zwar, dass er nicht wirklich mitteilen konnte, was er erfahren hatte, konnte es aber nicht ertragen, die in ihr Leid versunkenen Wesen zu sehen – was, wenn wir sehen, wie die Dinge tatsächlich sind, völlig unnötig ist und behoben werden kann. Daher sind die zwei zentralen Punkte, die der Buddha im zweiten Zyklus lehrte, Leerheit und Mitgefühl.
Im dritten Zyklus lehrte er ebenfalls Leerheit und Mitgefühl, aber zusätzlich sprach er über das, was »Buddha-Natur« genannt wird. Buddha-Natur ist nicht wirklich etwas anderes als Leerheit, aber der Begriff bezieht sich mehr auf die subjektive Seite, darauf, Leerheit tatsächlich zu erfahren oder zu leben und sie nicht einfach nur als Objekt oder Vorstellung zu begreifen. Mit anderen Worten, Buddha-Natur bezeichnet die Leerheit unseres eigenen Geistes – die Natur unseres eigenen Geistes, seine Leerheit und gleichzeitige Klarheit, Leuchtkraft, Bewusstheit und Wachheit. Der dritte Zyklus unterscheidet auch zwischen dem, was in den Lehren des Buddha von vorläufiger Bedeutung und was von letztendlicher Bedeutung ist. Somit schafft der dritte Zyklus Klarheit über all die Fingerzeige, wie etwa, ob ein bestimmter Finger in diese oder jene Richtung zeigt, damit wir sie nicht verwechseln oder als widersprüchlich betrachten.
Die Lehren als Schriften und Erkenntnis
Die allgemeine Definition eines »Dharma-Rades« ist »die Lehren des Buddha, bestehend sowohl aus Schriften als auch aus Erkenntnis, welche die Faktoren im Geistesstrom der anzuleitenden Wesen, welche die Befreiung aus Saṃsāra und die Allwissenheit eines Buddha verschleiern, beseitigen«. Somit hat ein solches Dharma-Rad oder solch ein Lehrzyklus zwei Aspekte – der Dharma der Schriften und der Dharma der Erkenntnis. Dabei wird der Dharma der Erkenntnis definiert als »die Wirklichkeit der gereinigten Phänomene, die dadurch erzeugt werden, dass man vertraut geworden ist mit dem Geisteszustand, der die Phänomene gründlich unterscheidet«. Dieser Dharma besteht also aus der Beendigung des Leidens und dem Weg, der dorthin führt. Der Dharma der Erkenntnis ist das, worum es wirklich geht – er bezieht sich darauf, dass unser Geist tatsächlich der Geist eines Buddha wird, indem wir durch Schriften, mündliche Unterweisungen, Video-Dharma oder nichtverbale Symbole unterrichtet werden. Daher ist der wichtigere Dharma der Dharma der Erkenntnis, er bedeutet, das Gleiche zu erfahren oder zu sein, was der Buddha erfahren hat.
Interessanterweise wird die Natur des Dharma-Rades der Schriften definiert als »der Geist eines Schülers, einer Schülerin, der entweder in der Form der Rede eines Buddha erscheint (deren Hauptthemen entweder die Ursachen, die Resultate oder die Natur des Nirvāṇa sind) oder eben jener Geist, der als die Ansammlungen von Namen, Worten und Buchstaben erscheint, welche als die Grundlage für eine solche Rede dienen«. Natürlich ist dies in hohem Maße eine Definition aus der Perspektive der Leerheit oder der relativen, subjektiven Natur aller Dinge. Sie besagt nämlich nicht, dass es irgendwelche realen materiellen Texte oder Lehren »da draußen« gibt, irgendwelche äußeren Buddhas, die uns lehren, oder irgendwelche materiellen Laute, die von außen an unser Ohr dringen. Wie alles andere auch findet die Lehrsituation im Grunde nirgendwo anders statt als in unserem eigenen Geist. Es ist unser eigener Geist, der die Form der Texte, Laute, Buddhas und ihrer Unterweisungen annimmt und uns als solche erscheint. Er tut das aber nicht einfach von selbst, sondern unter dem richtungsweisenden Einfluss des Weisheitsgeistes eines Buddha. Mit anderen Worten, in Abhängigkeit von der vorherrschenden Bedingung, nämlich der Weisheit eines Buddha, und der ursächlichen Bedingung, den relativ reinen Geistesströmen bestimmter anzuleitender Wesen, ist das Dharma-Rad der Schriften nichts weiter als genau der Geist dieser Wesen, der für sie in der Form von Worten und Buchstaben erscheint. Buddhas haben keine latenten Tendenzen, ihre Rede an irgendein imaginiertes Gegenüber zu richten. In ihnen gibt es auch keine Unwissenheit mehr darüber, äußere Laute nicht als inneren Geist zu erkennen. Somit ist solch ein Dharma-Rad letztendlich keine Unterweisung, die aus dem Wunsch eines Buddha, lehren zu wollen, resultiert.
Wenn ein Buddha lehrt, ist dies daher auf der grundlegendsten Ebene ein direkter Austausch von Geist zu Geist. Natürlich wirkt dies auf die meisten Menschen nicht so, weil es unseren gewöhnlichen Sinnen und unserem gedanklichen Geist nicht zugänglich ist. Gewöhnliche Wesen wie wir müssen sich immer auf irgendeine Art von Form, von Vorstellung oder von etwas, woran wir uns festhalten können, stützen. Wir können den Geist eines Buddha nicht direkt wahrnehmen, sonst wären wir ebenfalls ein Buddha. Daher brauchen wir eine Art Spiegel oder eine Art Kommunikation »auf Umwegen«. Wir könnten sagen, dass der Geist eines Buddha in unserem eigenen Geist gespiegelt wird, nicht direkt, sondern in Form von Texten, Unterweisungen, Lehrern usw. Das sind dann die Gegenmittel für unsere Probleme und ihre Ursachen, wie etwa unsere falschen Vorstellungen, unsere unklaren Emotionen und die aus ihnen folgenden ungeschickten Handlungen.
Diese Darstellung des Dharma-Rades der Schriften zeigt, warum es oft heißt, dass der Buddha aus seiner eigenen Perspektive niemals ein einziges Wort lehrte. Die Sūtren sprechen davon, dass der Buddha von dem Augenblick an, als er die Erleuchtung erlangte, bis zu dem Moment, als er in das Nirvāṇa einging, nicht ein einziges Wort sprach. Gleichzeitig sagen die Texte, dass dieses Nicht-Sprechen die Bedürfnisse aller Wesen in Form eines fortwährenden Dharma-Regens erfüllt. Denn der Geist des Buddha wird im Geist anderer Wesen reflektiert, und durch diese Interaktion ereignen sich bestimmte Dinge im Geist dieser Wesen, die ihnen als Texte, Unterweisungen oder verschiedene andere Dinge erscheinen können und die ihnen als Instruktionen über ihren eigenen Geist dienen. In Nāgārjunas Ratnāvalī heißt es:
So wie ein Grammatiker
Am Anfang das Alphabet lehrt,
Lehrt der Buddha den Dharma
Genau so, wie ihn die Anzuleitenden aufnehmen können.
Für manche lehrt er den Dharma,
Damit sie sich von Schlechtem fernhalten;
Für manche, damit sie Verdienst erlangen;
Für manche das, was auf Dualität basiert;
Für manche das, was auf Nichtdualität basiert;
Für manche das, was tiefgründig und erschreckend für die Ängstlichen ist;
Und für manche das Mittel für die Erleuchtung,
Das die Leerheit mit einem Herz aus Mitgefühl ist.3
In diesem Zitat können wir die gesamte Bandbreite der buddhistischen Lehren erkennen. Unterschiedlichen Wesen werden äußerst unterschiedliche Dinge gelehrt. Alle diese Unterweisungen sind wie Finger, die auf den Mond zeigen, aber manche Finger zeigen direkter auf ihn und andere weniger direkt, wobei die Art und Weise des Zeigens von den Fähigkeiten der jeweiligen Wesen abhängt.
PRAJÑĀPĀRAMITĀ – PERFEKTE, TRANSZENDENTE WEISHEIT
Wie alle Prajñāpāramitā-Sūtren gehört auch das Herz-Sūtra zum zweiten Zyklus der Lehren des Buddha, den Lehren über die Leerheit (oder Prajñāpāramitā), die auch das »Dharma-Rad der Merkmalslosigkeit« genannt werden. Wie das Herz-Sūtra sagt:
Daher, Śāriputra, sind sämtliche Phänomene Leerheit, ohne Merkmale …
Was also ist Prajñāpāramitā? Im Grunde bedeutet der Begriff »Vollendung der Weisheit« oder »Vollendung der Einsicht«. Die Sūtren sprechen niemals von »Vollendung der Leerheit« oder »Vollendung der Natur der Phänomene«. Im Zusammenhang von Subjekt und Objekt liegt die Leerheit oder die Natur der Phänomene als das, was es zu erkennen gilt, mehr auf der Objekt-Seite. Natürlich gibt es in der Leerheit oder in der Natur der Phänomene sowieso nichts zu vervollkommnen; sie ist natürlicherweise in sich vollkommen. Es gibt jedoch einiges in unserem Verständnis und unserer Erkenntnis der Leerheit oder was die Natur der Phänomene betrifft zu vervollkommnen, also in unserer Einsicht in Bezug darauf, wie die Dinge wirklich sind. Diese Einsicht wird prajñā genannt; es bedeutet zu sehen, wie die Dinge tatsächlich sind, indem man sie genau und gründlich unterscheidet. Wenn diese Einsicht ihren höchsten Punkt erreicht hat, wird sie Prajñāpāramitā – »die Vollendung von Prajñā« – genannt. Somit bezieht sich Prajñāpāramitā sowohl auf das Resultat oder Ergebnis – die komplette Vollendung dieser Einsicht – als auch auf den Prozess, durch den wir zu einer solchen Vollendung gelangen. Wenn wir über Prajñāpāramitā sprechen, sprechen wir über unseren Geist und dessen grundlegende Fähigkeit zu erkennen, wie die Dinge tatsächlich jenseits oberflächlicher Erscheinungen sind. Zu dieser Erkenntnis gelangen wir, indem wir dieses Prajñā, das nicht etwas ist, was wir neu erfinden oder uns von irgendwoher besorgen müssten, trainieren. Es ist im Geist aller Wesen gegenwärtig und muss bloß zu seiner vollsten Blüte entwickelt werden. Buddhaschaft bedeutet, das grundlegende Potential eines jeden Lebewesens zu seiner vollständigen Reife zu entwickeln.
Prajñā bezieht sich nicht auf angesammeltes, passives Wissen, wie etwa Fakten aus dem Guiness Buch der Rekorde im Kopf zu behalten oder zu wissen, wie man von Seattle nach New York kommt. Prajñā ist vielmehr die aktive Wissbegierde unseres Geistes, seine grundlegende Neugierde, wissen zu wollen und herausfinden zu wollen, wie die Dinge wirklich sind. Das ist das Wesen von Prajñā. Betrachten wir die Lebensgeschichte des Buddha, so stand genau dies an ihrem Anfang. Er hatte anfangs keine Antworten und folgte auch nicht irgendeiner Religion, Tradition oder einem Verhaltenskodex. Aber er hatte Fragen. Als Prinz Siddhārtha lebte er in einer behüteten Existenz im Palast seiner Eltern, die ihn vor der schlechten Welt beschützen wollten (so wie alle Eltern). Schließlich aber stahl er sich mit seinem Wagenlenker davon und sah Dinge, die er noch nie vorher gesehen hatte, wie etwa einen alten Menschen. Er zeigte auf ihn und fragte seinen Wagenlenker: »Was ist das?« Der Wagenlenker antwortete: »Das ist ein alter Mensch.« Siddhārtha fuhr fort: »Geschieht das mit allen?« »Ja, selbst mit dir.« Der gleiche Austausch trug sich zu, als Siddhartha einen sterbenden Menschen und einen kranken Menschen sah. Das nächste Mal sah er einen Meditierenden unter einem Baum, und der Wagenlenker erklärte: »Dieser Typ da versucht, alle Probleme, die du zuvor gesehen hast, zu überwinden.« Jedes Mal erkannte Siddhārtha: »Ich weiß nicht wirklich, was hier vorgeht«, und er versuchte, es herauszufinden.
Dies ist das prägende Merkmal des buddhistischen Weges – zu versuchen, herauszufinden, was wirklich in jedem Augenblick vor sich geht, was in unserem Geist vor sich geht, was in unserer Umgebung vor sich geht und was mit anderen Leuten vor sich geht. Somit schließt Prajñā eine grundlegende Intelligenz mit ein – Intelligenz in ihrer ursprünglichen Bedeutung von tiefer Einsicht und der Fähigkeit, Dinge genau zu unterscheiden und zu differenzieren. Aus buddhistischer Sicht gibt es verschiedene Stufen von Prajñā – weltliches Prajñā und überweltliches Prajñā. Das erste besteht in jeglicher Form von Einsicht oder Weisheit, die nichts mit dem buddhistischen Pfad zu tun hat, wie etwa Dinge in der Schule zu lernen oder ein Wissenschaftler zu sein. Überweltliches Prajñā ist der primäre Geistesfaktor, der die treibende Kraft oder der Motor des buddhistischen Pfades ist. Es heißt, dass Prajñā die grundlegende Natur des buddhistischen Pfades ist, weil es dabei darum geht, zu erkennen, wie die Dinge wirklich sind. Somit ist Prajñāpāramitā die höchste Form überweltlichen Prajñās, denn es ist die hervorragendste aller Arten von Prajñā. Es ist Ausdruck der letztendlichen Wirklichkeit und lässt uns zu dem großen Nirvāṇa fortschreiten, bei dem wir weder in Saṃsāra noch im begrenzten Nirvāṇa persönlicher Befreiung und persönlichen Friedens verweilen. Mit anderen Worten löst es alle unsere gewöhnlichen Bezugspunkte und starren Vorstellungen auf und lässt uns die Welt, wie wir sie kennen, mit all ihren Problemen und Leiden, transzendieren.
Eine andere Bedeutung von Prajñāpāramitā ist »transzendente Einsicht«. Was transzendieren wir? Wir transzendieren alle unsere gewöhnlichen Schwierigkeiten und Probleme, die auch als Saṃsāra bekannt sind. Wo gehen wir hin? Wie üblich im Buddhismus geben verschiedene Personen verschiedene Antworten. Manche sagen, dass wir nirgendwo hingehen, weil es nichts gibt, wohin wir gehen könnten. Irgendwo hinzugehen würde bedeuten, außerhalb unseres Geistes zu gehen. Tatsächlich geht es beim buddhistischen Pfad nicht wirklich darum, irgendwo hinzugehen. Obwohl »Pfad« so klingt, als ob wir irgendwo anfangen und dann irgendwo anders enden, während wir dazwischen am Gehen sind, ist »Pfad« im Buddhismus eher ein Synonym für »Geist«. Der Pfad bezieht sich auf den geistigen Prozess, unser menschliches Potential zu seiner vollsten Blüte zu entwickeln. Daher ist der Pfad etwas, was im Inneren und nicht im Äußeren stattfindet. Ob wir auf dem buddhistischen Pfad sind oder nicht, wird nicht so sehr dadurch bestimmt, was wir sagen und was wir tun, sondern hauptsächlich dadurch, was in unserem Geist vor sich geht.
Prajñāpāramitā kann auch verstanden werden als »darüber hinausgegangen sein« oder »ans andere Ufer gegangen sein«. Traditionellerweise heißt es, dass wir fortwährend im großen Ozean von Saṃsāra mit all seinen vielen Arten von Leiden ertrinken. Das andere Ufer, wenn wir diesen Ozean überquert haben, wird »Nirvāṇa« genannt. Dies ist natürlich immer noch eine sehr dualistische Erklärung, denn sie besagt: »Zuerst sind wir an einem bestimmten Ort, dann müssen wir diesen Ozean überqueren, und schließlich sind wir irgendwo anders«. Daher ist dies nur eine vorläufige Beschreibung. Eine subtilere Art und Weise, dies zu verstehen ist, dass »darüber hinausgegangen sein« nicht wirklich bedeutet, irgendwo hinzugehen, sondern eine komplette Wandlung unserer Anschauung zu erfahren. Wir bleiben an genau demselben »Ort«, wenn es denn irgendeinen gibt, aber wir ändern ganz und gar unsere Anschauung darüber, was an diesem Platz geschieht und was dieser Ort letztendlich ist. Der Buddhismus spricht oft von »reinen Ländern« oder »Buddha-Bereichen«, aber diese existieren nicht wirklich irgendwo im Außen, sondern sie befinden sich in unserem Geist. Es hängt von unserer Geistesverfassung ab, ob wir uns in einem Buddha-Bereich befinden oder nicht. Wir alle erhaschen ab und zu einen flüchtigen Blick darauf, wenn wir wirklich gute Laune haben und uns alles wunderbar und vollkommen makellos scheint. Dann fühlen wir uns, als wären wir in einem Buddha-Bereich. Doch sobald wir richtig schlechte Laune haben, selbst wenn die Sonne scheint und alle nett zu uns sind, fühlen wir uns, als ob wir in der Hölle wären.