Kitabı oku: «Das Herzinfarkt-Sutra», sayfa 4

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Prajñāpāramitā als Grund, Pfad und Ergebnis

Detailliertere Darstellungen von Prajñāpāramitā unterscheiden gewöhnlich vier Arten oder Aspekte von Prajñāpāramitā. Das heißt, wenn wir von »Prajñāpāramitā« sprechen, dann bedeutet das eines von vier Dingen – (1) Natürliche Prajñāpāramitā, (2) die Prajñāpāramitā der Schriften, (3) die Prajñāpāramitā des Pfades und (4) die Prajñāpāramitā als Ergebnis. Dignāgas Prajñāpāramitārthasaṃgraha beschreibt dies wie folgt:

Prajñāpāramitā ist nichtduale Weisheit,

Welche der Tathāgata ist.

Aufgrund der Verbindung zu dieser zu erlangenden Realität Beschreibt sie auch die Schriften und den Pfad.4

Natürliche Prajñāpāramitā ist nichtduale Weisheit und damit dasselbe wie das Ergebnis: ein Buddha oder Tathāgata. Aufgrund ihrer Verbindung zur natürlichen Weisheit des Geistes und deren vollständiger Manifestation (das, was zu erlangen ist), werden die Schriften, die sich auf Prajñāpāramitā beziehen, und der Pfad, der zu diesem Ergebnis führt, auch als »Prajñāpāramitā« bezeichnet. Gemäß dem Kommentar des Achten Karmapa zu den Prajñāpāramitā-Sūtren ist (1) die natürliche oder eigentliche Prajñāpāramitā definiert als »die Soheit, die niemals etwas anderes ist und den Namen ›die Weisheit bar jeglicher Dualität von Subjekt und Objekt‹ trägt«. Es gibt also zwei Aspekte der natürlichen Prajñāpāramitā. Auf der einen Seite ist sie die wahre Natur aller Phänomene, aber sie ist nicht nur ein Objekt. Sie ist auch das, was diese Natur wahrnimmt – die nichtgedankliche, nichtduale Weisheit, in der es keine Trennung zwischen Subjekt und Objekt oder Wahrnehmenden und Wahrgenommenem gibt. Wenn diese Soheit von unterschiedlichen bedingten Elementen verschleiert ist, trägt sie den Namen »das Grundelement, das das Sugata-Herz ist«. Mit anderen Worten sagt der Karmapa, dass Buddha-Natur und natürliche Prajñāpāramitā lediglich verschiedene Namen für dieselbe Sache sind.

Sobald diese natürliche Weisheit oder Buddha-Natur von allen Fesseln oder Verschleierungen frei geworden ist, wird sie (4) die Prajñāpāramitā als Ergebnis genannt – die Weisheit eines Tathāgata, die untrennbar vom Dharmakāya oder von der Buddhaschaft ist. Diese nichtduale Weisheit existiert also bereits in allen Lebewesen als die natürliche Prajñāpāramitā und wird durch den Pfad lediglich enthüllt.

(2) Die Prajñāpāramitā der Schriften, die diese Bedeutung lehrt, ist »der Geist, der als Ansammlungen von Namen, Worten und Buchstaben erscheint und dazu geeignet ist, im Bewusstsein der Schüler, das dualistische Erscheinungen in sich birgt, beobachtbar zu sein«. Diese Definition der Prajñāpāramitā der Schriften ähnelt der obigen Definition des Dharma der Schriften. Wiederum wird nicht gesagt, dass die Schriften Materie (wie etwa Tinte und Papier) sind, sondern dass sie das sind, was unter dem Einfluss eines Buddha oder Bodhisattva als Materie (also: Tinte, Papier) im Geist derjenigen Schüler erscheint, bei denen es immer noch dualistische Erscheinungen gibt. Denn dies ist die einzige Art und Weise, in der sie die Lehren (in diesem Fall die Prajñāpāramitā-Sūtren und ihre Kommentare) wahrnehmen können.

(3) Die Prajñāpāramitā des Pfades ist »die Prajñāpāramitā, die während des Ruhens in meditativer Ausgeglichenheit als die Natur nichtgedanklicher Weisheit entsteht«. Streng genommen geschieht dies nur von der ersten Bodhisattvabhūmi an. In einem weiteren Sinne aber bezieht sich dies auf jedwede Einsicht, selbst einen flüchtigen Blick, in die wahre Natur der Phänomene von Beginn des Pfades an. Natürlich ist diese Weisheit oder Einsicht am Anfang nicht nichtgedanklich, sondern sie ist immer noch gedanklicher Natur. Trotzdem wird sie als Prajñā bezeichnet, obwohl sie noch nicht die Pāramitā von Prajñā ist. Sie ist eine Art Baby-Prajñā, das noch erwachsen werden muss.

Manchmal sprechen die Texte auch von einem bloßen Spiegelbild von Prajñāpāramitā, was sich auf die Weisheit der Śrāvakas und Pratyekabuddhas bezieht. Die Prajñāpāramitā-Sūtren sagen, dass Śrāvakas und Pratyekabuddhas sich in ihrer Praxis ebenfalls auf nichts anderes als Prajñāpāramitā stützen, doch sie sind sich weder bewusst, dass es Prajñāpāramitā ist, noch nennen sie sie so. Im Allgemeinen besagen die Mahāyāna-Sūtren, dass jegliche Erkenntnis, die wir auf dem Pfad haben können, aus unserer Beschäftigung mit Prajñāpāramitā herrührt.

Die Prajñāpāramitā-Sūtren

Lassen Sie uns nun die Prajñāpāramitā der Schriften, das heißt die Sūtren unter diesen vier Arten von Prajñāpāramitā eingehender betrachten. Gemäß dem Mahāyāna wurden die Prajñāpāramitā-Sūtren von Buddha Śākyamuni auf dem bereits erwähnten Berg nahe Rājagṛha gelehrt, aber es heißt, dass sie danach nicht genügend wertgeschätzt wurden, sodass sie für ungefähr vierhundert Jahre verschwanden und nicht mehr im Umlauf waren. Später holte Nāgārjuna sie von den Nāgas zurück. Nāgas sind eine Gruppe von Wesen, die im Buddhismus im technischen Sinn unter die Kategorie der Tiere fallen. Im Westen finden wir sie in der Mythologie oder in Märchen als Drachen, unter der Erde lebende Kröten oder schlangenartige Kreaturen wie die Hydra mit ihren vielen Köpfen beschrieben. Für gewöhnlich schätzen Nāgas alle wertvollen Dinge, sie sammeln und horten sie. Von den besonderen Nāgas, die die Verwalter der Prajñāpāramitā-Sūtren waren, heißt es, dass sie im Meer leben und Nāgārjuna sie irgendwie überreden konnte, ihm die Schriften zu überlassen.

Es gibt viele verschiedene Prajñāpāramitā-Sūtren, sehr lange und sehr kurze. Der tibetische Kanon enthält dreiundzwanzig dieser Sūtren, deren Umfang sich zwischen einhunderttausend Zeilen und einer einzigen Silbe bewegt (der chinesische Kanon umfasst sogar noch mehr Prajñāpāramitā-Sūtren). Betrachten wir das schiere Ausmaß der Prajñāpāramitā-Sūtren, so machen sie zwanzig Prozent (einundzwanzig Bände) des gesamten tibetischen Kanon aller buddhistischen Sūtren und Tantras aus. In der tibetischen Tradition werden die zentralen dieser dreiundzwanzig Prajñāpāramitā-Sūtren »die sechs Mütter und die elf Kinder« genannt. Die sechs »Mütter« der Prajñāpāramitā-Sūtren sind leicht zu merken, weil wir uns nur an die Anzahl ihrer Zeilen erinnern müssen – einhundertausend, fünfundzwanzigtausend, achtzehntausend, zehntausend und achttausend, sowie die Prajñāpāramitāsaṃcayagāthā (eine verdichtete Fassung des letzteren Sūtra). Das Herz-Sūtra ist eines der »elf Kinder«.

Alle diese Sūtren drücken so ziemlich dasselbe aus und unterscheiden sich nur darin, in welchem Ausmaß sie ins Detail gehen. Im Herz-Sūtra finden wir Auflistungen wie »kein Auge«, »kein Ohr« usw. In den längeren Sūtren sind diese Listen dramatisch erweitert, sodass wir hunderte von Seiten haben, auf denen es »kein dies, kein das« heißt. Das ist der Grund, warum sie manchmal ein bisschen zäh zu lesen sind und es leicht ist, dabei einzuschlafen. Es ging bei diese Sūtren jedoch nie darum, dass sie eine Art leichter Lesestoff vor dem Einschlafen sein sollten. Sie sind als umfassende oder komprimierte Kontemplationshandbücher gedacht, die immer und immer wieder zu lesen sind. Aber diese Sūtren geben uns nicht nur diverse Listen, sondern sie sprechen auch über den Pfad des Bodhisattva im Sinne dessen, was zu kultivieren ist. Gleichzeitig sagen sie aber auch bei jeder Gelegenheit, dass wir an nichts, was wir kultivieren, erkennen oder erlangen, anhaften sollten. Einige Sūtren geben zum Beispiel ausführliche Erläuterungen über das Entwickeln von Bodhicitta, sagen aber gleichzeitig, dass Bodhisattvas es sich in Bodhicitta oder der Entwicklung von Bodhicitta nicht heimisch machen sollten. Somit sprechen die Prajñāpāramitā-Sūtren nicht nur über die letztendliche Wirklichkeit, sondern auch über die relative Wirklichkeit und relative Praxis, obwohl dies immer in Verbindung mit der letztendlichen Sichtweise geschieht.

Typischerweise werden alle diese Sūtren in Form von Dialogen präsentiert, mit Ausnahme desjenigen in einem einzigen Buchstaben, das wirklich ein Monolog ist. Es ist auch oft nicht der Buddha selbst, der lehrt, sondern jemand anderes, Avalokiteśvara etwa, der diese Aufgabe im Herz-Sūtra erfüllt. Der Buddha sagt am Ende nur »Gute Arbeit!« In anderen Sūtren gibt es mehrere lehrende Protagonisten. Einer der Hauptlehrer ist ein Śrāvaka namens Subhūti, der viele Dialoge mit Śāriputra führt. In der frühen buddhistischen Tradition ist Śāriputra der weiseste aller Schüler des Buddha, aber in den Prajñāpāramitā-Sūtren wird ihm das Leben schwer gemacht. Er ist immer derjenige, der Fragen stellt oder Bedenken erhebt, indem er die Dinge entweder nicht wirklich versteht oder zumindest so tut, als ob das der Fall sei. Dann antwortet Subhūti oder jemand anderes manchmal mit einer Gegenfrage, und daraufhin geht der Dialog hin und her.

Im Allgemeinen sind die Sūtren also Aufzeichnungen oder Transkripte von Unterweisungen oder Dialogen, genauso wie wir heute unsere Transkripte haben. Die Sūtren sind entweder Unterweisungen des Buddha selbst oder von Personen, die vom Buddha autorisiert oder gesegnet wurden. Am Anfang des Herz-Sūtra zum Beispiel begibt sich der Buddha in Samādhi. Daran schließen sich sowohl Śāriputras Frage als auch Avalokiteśvaras Antwort an, die möglich werden, weil sie vom Geist des Buddha in tiefer Meditation gesegnet wurden.

Als die Prajñāpāramitā-Sūtren nach Tibet kamen, wurden sie hauptsächlich während der frühen Übersetzungsperiode im achten und neunten Jahrhundert unserer Zeitrechnung übersetzt und danach mehrere Male redigiert. Es entwickelten sich auch verschiedene Traditionen, die Prajñāpāramitā-Sūtren zu interpretieren. Es gibt nicht nur die indischen Kommentare zu den Sūtren selbst, sondern zahlreiche Kommentare zu einem Text von Maitreya, der Schmuck der klaren Erkenntnis (Abhisamayālaṃkāra) genannt wird. Dieser Text ist im Grunde so etwas wie eine Zip-Datei der Prajñāpāramitā-Sūtren, denn er stellt eine extreme Verdichtung des Sūtra in fünfundzwanzigtausend Zeilen dar. Er ist eher ein Inhaltsverzeichnis oder ein kurzes Memo, das oft nur »A, B, C …« sagt. Es gibt keine große Chance, diesen Text zu verstehen, ohne ihn mit dem Sūtra in fünfundzwanzigtausend Zeilen zu vergleichen, um zu begreifen, wovon er handelt. Dieser Text und seine indischen und tibetischen Kommentare wurden schließlich zur Hauptgrundlage für die Interpretation der Prajñāpāramitā-Sūtren in Tibet.

Komplizierte Unkompliziertheit

Es gibt zwei Hauptthemen in den Prajñāpāramitā-Sūtren. Das offensichtliche ist natürlich die Leerheit – vorwärts und rückwärts, auf und ab, links und rechts und einfach überall. Leerheit ist die explizite Unterweisung dieser Sūtren, ihre offensichtliche Thematik. Es gibt aber auch eine verborgene Bedeutung, die aus der Abfolge der Pfade und bhūmis der Bodhisattvas besteht. Mit anderen Worten, die Lehren über die Leerheit sprechen über das Objekt oder das, was es zu erkennen gilt. Demgegenüber handeln die Lehren über die Pfade und Bhūmis von dem Subjekt, das dieses Objekt erkennt; sie beschreiben also, was im Geist von Bodhisattvas geschieht, die tatsächlich über die Leerheit meditieren und sie erkennen, von der Ebene eines Anfängers bis hin zur Buddhaschaft. Somit erläutern die Prajñāpāramitā-Sūtren zwei Seiten einer Medaille. Sie sagen nicht nur, dass alles leer ist, und wünschen uns dann »Viel Glück!« Sie geben auch Unterweisungen darüber, wie mit dieser Leerheit zu arbeiten ist, wie sie zu kontemplieren und zu erkennen ist.

In der Kommentartradition werden die Lehren über die Leerheit in den Prajñāpāramitā-Sūtren hauptsächlich in der Madhyamaka-Literatur besprochen und gründlich durch Beweisführungen begründet, während der Schmuck der klaren Erkenntnis und seine Kommentare das verborgene Thema der Pfade und Bhūmis in diesen Sūtren behandeln. Die Kommentarliteratur zum Schmuck der klaren Erkenntnis besteht aus einundzwanzig indischen Texten und vielen hundert weiteren in Tibet. Das ist ein interessanter Prozess, denn zunächst haben wir diese sehr langen Prajñāpāramitā-Sūtren, die kaum jemand selbst in einem ganzen Leben studieren und richtig verstehen kann. Dann verfasste Maitreya einen kurzgefassten Text, der Schmuck der klaren Erkenntnis in 273 Versen, aber den können wir auch nicht verstehen, weil er zu kurz ist. Daraufhin verfassten indische und tibetische Meister Kommentare zu diesem kurzen Text, um die Zip-Datei wieder zu öffnen. Dies führte dann aber wiederum zu einer Unmenge von Kommentarliteratur, die noch umfänglicher als die ursprünglichen Sūtren ist.

In gewisser Weise entbehrt das nicht der Ironie, wenn wir an das denken, worum es in diesen Sūtren geht, nämlich die Leerheit. Die Leerheit ist die simpelste und unprätentiöseste Sache, die wir uns nur vorstellen können, und doch haben wir diese ganze Literatur voll mit ausschweifenden Details und vielen Unterpunkten. Darin werden fünf Pfade und zehn Bhūmis beschrieben, und jeder Pfad ist in eine Anzahl von Stufen unterteilt, wobei auf jedem dieser Unterpfade eine bestimmte Anzahl von Verschleierungen aufgegeben werden muss. Die meisten Menschen denken dann nur: »Wer will oder braucht all das zu wissen? Haben wir nicht schon genug Gedanken? Ich dachte, hier geht es darum, alle Bezugspunkte loszulassen.« Natürlich will niemand alle diese Details wirklich wissen, und in einem gewissen Sinn kennen wir sie alle auch schon, denn sie sind die Details der vielen Bezugspunkte, die wir bereits in unserem Geist haben. Die Tatsache, dass diese Sūtren und ihre Kommentare über unsere Verschleierungen sprechen, ist genau der Punkt, warum sie so endlos und kompliziert wirken – nämlich weil unser Geist kompliziert ist. Die Leerheit ist äußerst simpel, aber unser verschachtelter Geist, der diese Unkompliziertheit nicht kapiert, ist sehr kompliziert. Es ist nicht so, dass der Buddha und die anderen Sprecher in den Sūtren wie auch die Kommentare dies wirklich gerne tun, aber sie müssen nun mal jeden einzelnen dieser Knoten in unserem Geist, die wie Knoten im freien Raum sind, ansprechen. Es gibt sehr viele Knoten im Raum unseres Geistes, und wenn sie alle ansgeprochen werden, dann kommen eben all diese dicken Bücher dabei heraus. Wenn wir diese Bücher lesen, stellen wir vielleicht fest, dass wir einen bestimmten Knoten nicht wirklich in unserem Geist haben, aber ich bin sicher, dass wir eine Menge anderer, die ebenfalls beschrieben sind, finden werden. Außerdem sind wir uns oft nicht bewusst, dass wir uns auf einem bestimmten Trip befinden, und machen uns selber vor, dass wir bestimmte Probleme nicht haben, selbst wenn alle anderen sie bei uns sehen. Diese knifflige Sache wird sehr schön von dem westlichen Philosophen Wittgenstein ausgedrückt, der sagte:

Warum ist die Philosophie so kompliziert? Sie sollte doch ganz einfach sein. – Die Philosophie löst Knoten in unserem Denken auf, die wir unsinnigerweise hineingemacht haben; dazu muß sie aber ebenso komplizierte Bewegungen machen, wie diese Knoten sind. Obwohl also das Resultat der Philosophie einfach ist, kann es nicht ihre Methode sein, dazu zu gelangen. Die Komplexität der Philosophie ist nicht die ihrer Materie, sondern die unseres verknoteten Verstandes.5

Das ist interessant, weil es genau das ist, was der Buddha sagte und was in den Prajñāpāramitā-Texten gelehrt wird. Lesen wir die Sūtras, sind sie ganz und gar nicht einfach. Lesen wir Madhyamaka-Texte, sind diese sogar noch schwieriger. Und wenn wir den Schmuck der klaren Erkenntnis und seine Kommentare lesen, sind sie sogar noch schlimmer als die Madhyamaka-Texte. Trotzdem ist es wichtig zu begreifen, warum alle diese Texte so kompliziert sind. Es ist nicht, weil die Thematik so kompliziert wäre, sondern weil unser Geist so kompliziert ist. Wenn wir alle Knoten in unserem Geist auflösen wollen, gibt es verschiedene Herangehensweisen. Wir können versuchen, sie einen nach dem anderen aufzulösen, was sehr viel Zeit erfordert und uns vom Hundertsten ins Tausendste führt. Natürlich gibt es andere Herangehensweisen, bei denen wir einfach versuchen, den gordischen Knoten unseres Geistes mit einem einzigen Hieb zu durchtrennen. Was die Prajñāpāramitā-Sūtren angeht, so ist die Herangehensweise jedoch stufenweise und nicht unvermittelt. Sie erwähnen auch eine unmittelbare Herangehensweise, aber nur für bestimmte, sehr fortgeschrittene Personen. Für die meisten Menschen gibt es den stufenweisen Weg, um ihre Knoten aufzulösen. Dieser besteht aus dem, was die fünf Pfade, die zehn Bhūmis usw. genannt wird.

Wenn in der tibetischen Tradition über »Prajñāpāramitā« als ein Themengebiet gesprochen wird, ist damit der Schmuck der klaren Erkenntnis und seine Kommentare gemeint, das heißt die Thematik der Pfade und Bhūmis. Das Madhyamaka ist eine getrennte Thematik und befasst sich nur mit der Leerheit, obwohl, wie oben erklärt, die beiden Thematiken einander ergänzen. Mādhyamikas sprechen jedoch kaum einmal über die Pfade und Bhūmis, sie sind schlicht und einfach nicht an den Details der Konventionen des Pfades auf der Ebene der scheinbaren Wirklichkeit interessiert. Sie betrachten die Leerheit einfach nur aus allen Richtungen, und danach heißt es dann »Viel Glück!«. Sie sprechen normalerweise nicht einmal darüber, wie man über Leerheit meditieren sollte. Es gibt ein paar wenige Mādhyamikas, die Meditation behandeln, aber für gewöhnlich gehen sie nicht darauf ein.

Es sollte noch angemerkt werden, dass die Chö-Lehren der tibetischen Yoginī Matschig Labdrön ihrem Wesen nach Prajñāpāramitā sind, aber dass sie auch mit Vajrayāna-Prinzipien übereinstimmen und somit Sūtra und Tantra kombinieren. Gemäß Dschamgön Kongtrul ist die Art und Weise, in der die Chö-Lehren mit Prajñāpāramitā verbunden sind, wie die Erde oder der Grund und Boden, auf dem wir einen Baum fällen. Wenn wir keinen Boden haben, gibt es weder einen Baum, den wir fällen könnten, noch haben wir eine Arbeitsgrundlage. In gleicher Weise ist Prajñāpāramitā der Boden, um unsere ego-aufblasenden Gedanken, die uns an Saṃsāra binden, durchzuschneiden. Dieses Durchschneiden muss irgendeinen Grund und Boden haben, auf dem es stattfindet, nämlich Prajñāpāramitā.

Prajñāpāramitā als buddhistische Ketzerei

Eines der schwierigen Merkmale der Prajñāpāramitā-Sūtren besteht darin, dass sie im Kontrast zu den frühen grundlegenden Lehren des Buddhismus stehen. Die Prajñāpāramitā-Sūtren scheinen alle prägenden Merkmale und heiligen Kühe des ursprünglichen Buddhismus, wie etwa die fünf skandhas, die zwölf Glieder des Abhängigen Entstehens, die Vier Edlen Wahrheiten, Nirvāṇa usw. zu verwerfen. Sie werden sozusagen alle über Bord geworfen. Im frühen Buddhismus entwickelte sich an einem gewissen Punkt die Tendenz zu einer übermäßig scholastischen und verdinglichenden Herangehensweise an die Lehren. Gelehrte ordneten alles, was der Buddha gesagt hatte, in Kategorien mit vielen Unterkategorien und vielerlei begrifflichen Wechselbeziehungen ein. Sie konstruierten sozusagen einen riesigen Schrank mit vielen Schubladen und Unterschubladen, und alles musste irgendwo hineinpassen. Ihrer Auffassung zufolge setzte sich die Wirklichkeit aus vielen verschiedenen Dingen zusammen, die alle wahrhaft und letztendlich existieren. Dieser ultra-realistische Ansatz mit seinen Listen an »Dharmas« oder Phänomenen wird abhidharma genannt. Es ist diese Abhidharma-Tradition mit ihren Klassifizierungen und Unterklassifizierungen sowie einer starken Tendenz, alles zu verfestigen, die eine der Hauptzielscheiben des dekonstruktivistischen Ansatzes der Prajñāpāramitā-Sūtren ist. Somit wirken die Prajñāpāramitā-Sūtren der Tendenz entgegen, die Lehren des Buddha dadurch übermäßig zu verdinglichen, dass man alles in schöne Kategorien einordnet und denkt, dies wäre die Art und Weise, wie die Welt tatsächlich existiert.

Edward Conze, einer der ersten Wegbereiter, der die Prajñāpāramitā-Sūtren übersetzt und studiert hat, sprach von fünf Punkten, in denen sich der Mahāyāna-Ansatz der Prajñāpāramitā-Sūtren und der frühe Buddhismus unterscheiden. Erstens: Die Ideale, Ziele und die Laufbahn eines Bodhisattva sind verschieden von denen eines Arhat. Arhats sind primär an Selbstbefreiung interessiert, wohingegen Bodhisattvas danach streben, alle Lebewesen zu befreien, indem sie sie darin unterstützen, Buddhas zu werden und nicht bloß Arhats. Dazu braucht es eine bestimmte Motivation, Bodhicitta, also den Wunsch, vollkommene Buddhaschaft zu erlangen, um allen Wesen zu nutzen. Bodhicitta ist der Wunsch, andere Wesen von ihrem Leiden zu befreien – Bodhisattvas wünschen sich also nicht, Buddhaschaft zu ihrem eigenen Wohl zu erlangen. Das ist sehr wichtig, weil wir gewöhnlich denken, dass der eigentliche Punkt von Bodhicitta darin besteht, ein Buddha zu werden, aber das ist immer noch sehr ego-orientiert. Der Kern des Bodhisattva-Gelübdes oder von Bodhicitta ist der Wunsch, alle Wesen vom Leiden befreien zu können. Aus diesem Grund streben Bodhisattvas danach, Buddhaschaft zu erlangen, da die Buddhaschaft der wirkungsmächtigste Zustand ist, um den Wesen zu helfen, von Leid frei zu werden. Anders gesagt ist Buddhaschaft aus der Perspektive von Bodhicitta lediglich ein Mittel zum Zweck, aber kein Selbstzweck oder Endziel. In der Tat ist es überhaupt kein Endziel, weil die Buddhaschaft der Punkt ist, an dem unsere Aufgabe, den Lebewesen zu helfen, wirklich erst in vollem Umfang beginnt.

Zweitens: Die Vorstellung von Weisheit in den Prajñāpāramitā-Sūtren steht im Kontrast zu den Vorstellungen des frühen Buddhismus. In ihm bestand Weisheit in der Erkenntnis, dass es kein persönliches Selbst gibt – bzw. in der Erkenntnis der Vier Edlen Wahrheiten. Weisheit bezieht sich ursprünglich einfach nur auf die eigenen fünf Skandhas und auf die Erkenntnis, dass es in diesen Skandhas kein Selbst gibt. Die Weisheit der Prajñāpāramitā-Sūtren ist jedoch viel umfassender. Diese Weisheit betrachtet nämlich die Skan-dhas aller Lebewesen wie auch alle anderen inneren und äußeren Phänomene und erkennt, dass keines dieser Phänomene eine Eigennatur besitzt.

Drittens: Die Prajñāpāramitā-Sūtren besagen, dass Bodhisattvas die Phänomene nicht bewerten sollten. Sie sollen also nicht an irgendwelchen Merkmalen der Phänomene festhalten oder sie verdinglichen, während das Abhidharma demgegenüber alles gemäß seiner Merkmale in langen Listen mit vielen Kreuzverweisen klassifiziert und die Phänomene mehr und mehr verdinglicht.

Viertens: Im Abhidharma wird die Erkenntnis des Prinzips der Vergänglichkeit, eines der prägenden Merkmale des buddhistischen Grundansatzes, als entscheidend angesehen. Dazu untersucht man die Momenthaftigkeit der Dinge, das heißt, ihr Entstehen, Bestehen und Vergehen, und beschreibt diesen Prozess. Im Kontrast dazu sagen die Prajñāpāramitā-Sūtren immer wieder, dass es kein Entstehen, Bestehen und Vergehen gibt. Somit ist es eines der prägenden Merkmale dieser Sūtren, dass »alle Phänomene ungeboren sind«; dies bedeutet, dass sie niemals wirklich ins Dasein treten und somit leer von jeglichem wahrhaften Entstehen, jeglicher inhärenter Existenz und jeglichem Vergehen sind.

Fünftens: Das Abhidharma spricht davon, dass die Wirklichkeit aus einer Vielzahl von Phänomenen besteht; selbst die letztendliche Wirklichkeit setzt sich aus vielfältigen Phänomenen zusammen, etwa winzigen materiellen Teilchen und kleinsten Geistmomenten, die alle wahrhaft existent sind. Die Prajñāpāramitā-Sūtren besagen, dass diese vielfältigen Phänomene nicht existieren, einfach, weil es von Anfang an keine Phänomene gibt. Es gibt auch keine voneinander getrennten Phänomene, weil wir keine klaren Unterscheidungen oder Grenzlinien zwischen ihnen etablieren können. Alle Unterscheidungen sind nichts anderes als vollkommen beliebige gedankliche Etiketten. Wir denken zum Beispiel, dass das Kissen und die Matte, auf der es liegt, zwei verschiedene, voneinander getrennte Dinge sind, aber für ein kleines Kind ist das überhaupt nicht offensichtlich. Wir denken auch, dass dieser Tisch und der Teppich unterschiedliche Objekte sind, aber von unserer visuellen Wahrnehmung her ist auch das nicht offensichtlich. Wenn wir lediglich das betrachten, was in unserem Sehfeld erscheint, wer könnte dann sagen, dass das, was darin links, rechts, oben oder unten auftaucht, wirklich verschieden voneinander ist? Wir könnten unser gesamtes Sehfeld genauso gut als ein vielfarbiges Objekt ansehen, was im Grunde auch genau das ist, was unser Sehbewusstsein uns zeigt. Nur aufgrund unserer Zuschreibungen und Etiketten unterscheiden wir zwischen verschiedenen Objekten. Unsere Augen sehen alles in diesem Raum einfach nur als einen großen vielfarbigen Fleck, aber dann zieht unser gedanklicher Geist Grenzlinien, wie etwa dass verschiedene Leute auf unterschiedlichen Kissen und Stühlen sitzen, verschiedene Kleidungstücke tragen usw.

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