Kitabı oku: «Thomas More und seine Utopie», sayfa 4
In demselben Maße, in dem die Germanen sich die römische Produktionsweise aneigneten, erwuchsen auch deren notwendige Folgen: das Privateigentum und die Eigentumslosigkeit. Das Gemeineigentum an Wald und Weide und unbebautem Land, das sich neben dem Privateigentum an bebautem Land noch erhielt, hemmte die Verarmung der Bauern. Aber gerade in den Anfängen des Mittelalters traten oft Ereignisse ein, die ganze Landstriche in Not und Elend stürzten. Zu den ewigen Kriegen und Fehden der Feudalherren und der Fürsten kamen die Einfälle unsteter Horden, die für seßhafte Ackerbauvölker so verderblich werden, Nomaden oder Seeräuber, Normannen, Ungarn, Sarazenen. Mißwachs endlich war eine häufige Ursache der Not.
Wenn das Unheil nicht eine solche Höhe erreichte, daß es der Kirche selbst Verderben brachte, dann war sie der rettende Engel in der Not. Sie tat ihre großen Vorratshäuser auf, in denen ihr Überfluß aufgespeichert lag, und spendete den Bedürftigen. Und die Klöster waren große Versorgungsanstalten, in denen gar mancher herabgekommene, verarmte, von Haus und Hof vertriebene oder erblose Adelige seine Zuflucht fand. Durch Eintritt in die Kirche gelangte er zu Macht, Ansehen und Wohlleben.
Es gab keinen Stand der feudalen Gesellschaft, der nicht ein Interesse an der Erhaltung der Kirche gehabt hätte, – wenn auch nicht jeder in gleich hohem Maße. Die Kirche in Frage stellen, hieß im Mittelalter die Gesellschaft, das ganze Leben in Frage stellen. Wohl hatte die Kirche heftige Kämpfe mit den anderen Ständen zu bestehen, aber in diesen handelte es sich nicht um ihre Existenz, sondern nur um ein Mehr oder Minder an Macht oder Ausbeutung. Das ganze materielle und natürlich ebensosehr das geistige Leben wurde von der Kirche beherrscht, sie verwuchs mit dem ganzen Volksleben, bis schließlich im Laufe der Jahrhunderte die kirchliche Denkart zu einer Art Instinkt wurde, dem man blindlings folgte, wie einem Naturgesetz, dem entgegenzuhandeln als eine Unnatürlichkeit empfunden wurde, bis alle Äußerungen des staatlichen, gesellschaftlichen und Familienlebens in kirchliche Formen gekleidet wurden. Und die Formen des kirchlichen Denkens und Handelns erhielten sich noch lange fort, nachdem die materiellen Ursachen verschwunden waren, von denen sie hervorgerufen worden.
Naturgemäß entwickelte sich die Macht der mittelalterlichen Kirche am frühesten in den Ländern, die ehemals dem Römerreiche angehört hatten, in Italien, Frankreich, Spanien, England, später in Deutschland, am spätesten im Norden und Osten des europäischen Abendlandes.
Diejenigen germanischen Stämme, die es während der Völkerwanderung versuchten, im Gegensatz zu der römischen Kirche ihre Staaten auf den Trümmern des Römerreiches zu begründen, welcher Gegensatz dadurch Ausdruck erhielt, daß sie sich der dem Katholizismus feindlichen Sekte der Arianer anschlossen, diese Stämme sind entweder untergegangen, wie die Ostgoten und Vandalen oder sie retteten sich vor dem drohenden Untergang nur durch ihre Unterwerfung unter die römische Kirche, durch ihren Übertritt zum Katholizismus.
Demjenigen Stamm aber fiel die Vorherrschaft im Abendlande zu, der von Anfang an sein Reich im Bunde mit der Kirche der Römer begründete, dem Stamm der Franken. Der König von Franken im Bündnis mit dem Haupt der römischen Kirche begründete die Vereinigung der abendländischen Christenheit zu einem Gesamtkörper mit zwei Köpfen, einem weltlichen und einem geistlichen, eine Vereinigung gegen die von allen Seiten andringenden Feinde, die durch die Verhältnisse dringend geboten war. Aber weder den Königen der Franken noch ihren Nachfolgern aus dem sächsischen Stamme gelang es, diese Vereinigung auf die Dauer durchzuführen. Die römischen Päpste haben vollführt, was die römischen Kaiser deutscher Nation vergeblich angestrebt, die Zusammenfassung der Christenheit unter einem einzigen Monarchen. Kein feudaler König, welchen Stammes immer, war der Aufgabe gewachsen, zu deren Bewältigung nur eine Organisation ausreichte, die mächtiger war als die des Königtums, die zentralisierte Kirche.
2. Die Grundlagen der Macht des Papsttums.
Der Bischof von Rom war schon vor der Völkerwanderung das Haupt der abendländischen Kirche geworden; er war der Erbe der römischen Kaiser als Vertreter der Stadt, die noch immer die tatsächliche Hauptstadt des westlichen Reiches war, wenn sie auch aufgehört hatte, die Residenz der Kaiser zu sein.
Mit dem römischen Reiche zerfiel vorübergehend auch die Macht der römischen Päpste, die kirchlichen Organisationen der verschiedenen germanischen Reiche wurden von ihnen unabhängig. Aber die Päpste erlangten bald ihre frühere Stellung wieder, ja erweiterten sie. Wie herabgekommen Italien auch sein mochte, es war immer noch das höchstkultivierte Land des europäischen Westens. Die Landwirtschaft war dort noch auf einer höheren Stufe als in den anderen Ländern, die Gewerbe nicht ganz erstorben; noch gab es städtisches Leben und einen, wenn auch kümmerlichen, Handel mit dem Osten. Die Schätze, aber auch die Produktionsweise Italiens waren die Sehnsucht der Halbbarbaren jenseits der Alpen. Sie wurden um so reicher und erlangten um so viel mehr Wohlleben, je enger ihre Verbindung mit Italien. Die Mächte, welche an dieser Entwicklung ein besonderes Interesse hatten, weil sie ihnen zugute kam, das Königtum und die Kirche eines jeden christlichen Landes des Okzidents, mußten daher die Verbindung mit Italien möglichst fördern. Italiens Mittelpunkt war aber Rom. Je abhängiger in ökonomischer Beziehung die Länder des Abendlandes von Italien wurden, desto abhängiger wurden ihre Könige und Bischöfe von Rom, desto mehr wurde der Mittelpunkt Italiens der Mittelpunkt der abendländischen Christenheit.
Die ökonomische Abhängigkeit von Italien und der Einfluß Roms auf Italien (soweit sich dieses überhaupt im Bereich des Katholizismus, nicht der griechischen Kirche und des Islam befand) waren jedoch kaum jemals so überwältigend, um die enorme Macht zu erklären, die das Papsttum erlangte. Sie erklären bloß, warum die Leitung und Wegweisung der Christenheit zu den Päpsten kam. Die Wegweisung wird aber zum Befehl, wenn im Kampfe geübt; der Berater vor der Schlacht wird zum Diktator während der Schlacht. Sobald sich Kämpfe entspannen, welche die ganze Christenheit bedrohten, mußte das Papsttum als der einzige Faktor, der von allen Völkern derselben als Leiter anerkannt wurde, notwendig die Führung, die Organisierung des Widerstandes übernehmen, und je länger die Kämpfe dauerten, je gewaltiger sie wurden, desto mehr mußte der Wegweiser zum unumschränkten Herrn, desto mehr mußten ihm alle die Kräfte dienstbar werden, die gegen den gemeinsamen Feind aufgeboten wurden.
Und solche Kämpfe kamen. Der Zusammenbruch des Römerreichs hatte nicht nur die Germanen in Bewegung versetzt, sondern auch alle die zahlreichen, anscheinend unerschöpflichen Stämme halb oder gar nicht seßhafter Barbaren, die dem römischen Reiche und den Germanen benachbart waren. In demselben Maße, in dem die Germanen nach Westen und Süden vordrangen, drängten ihnen andere Völkerschaften nach. Die Slawen setzten über die Elbe; die Steppen Südrußlands entsendeten ein wildes Reitervolk nach dem anderen, Hunnen, Avaren, Ungarn (diese zu Ende des neunten Jahrhunderts), die längs der ungeschützten Donau und über diese hinaus ihre Plünderungszüge bis jenseits des Schwarzwaldes, ja des Rheins und jenseits der Alpen nach Norditalien ausdehnten. Aus Skandinavien, dieser vagina gentium, entströmte ein Zug kühner Seeräuber nach dem anderen, die Normannen, denen kein Meer zu breit war, es zu befahren, kein Reich zu groß, es anzugreifen. Sie beherrschten die Ostsee, bemächtigten sich Rußlands, setzten sich auf Island fest, entdeckten Amerika, lange vor Kolumbus; was aber für uns das wichtigste, sie drohten seit dem Ende des achten Jahrhunderts bis ins elfte Jahrhundert die ganze, mühsam entwickelte Kultur der seßhaft gewordenen deutschen Stämme zu vernichten. Nicht nur die Küstenländer an der Nordsee verödeten gänzlich infolge ihrer Plünderungszüge, mit ihren kleinen Schiffen fuhren sie auch die Flüsse hinauf bis tief ins Land hinein; sie fürchteten aber auch nicht die Gefahren langer Seefahrt, begannen bald Spanien anzugreifen und dehnten schließlich ihre Raubzüge bis nach Südfrankreich und Italien aus.
Der gefährlichste Feind der seßhaft gewordenen deutschen Stämme waren jedoch die Araber, oder besser gesagt, die Sarazenen, wie die Schriftsteller des Mittelalters alle jene orientalischen Völker nannten, die sich auf den Anstoß der Araber hin und infolge der durch diese erzeugten Umwälzung in Bewegung setzten, um in Ländern höherer Kultur Beute und Wohnsitze zu erlangen. Dies schließt natürlich nicht aus, daß die Sarazenen diese Kultur im Laufe der Zeit aufnahmen und weiter verbreiteten, so daß die den Ägyptern gegenüber barbarischen Araber den Deutschen gegenüber »Kulturträger«, das heißt Verbreiter einer höheren Produktionsweise wurden, wie diese, die den Italienern als Barbaren erschienen, »Kulturträger« waren für Slawen und Ungarn.
Im Jahre 638 brachen die Araber in Ägypten ein und eroberten rasch die ganze Nordküste Afrikas, erschienen im Anfang des achten Jahrhunderts in Spanien und bedrohten nicht ganz hundert Jahre nach ihrem Einfall in Ägypten das Frankenreich. Karl Martells Sieg rettete dieses vor dem Schicksal des Reiches der Westgoten; aber die Sarazenen waren damit keineswegs unschädlich gemacht. Sie blieben in Spanien, setzten sich in Süditalien und verschiedenen Punkten Norditaliens und Südfrankreichs fest, besetzten die wichtigsten Alpenpässe und unternahmen ihre Raubzüge bis in die Ebenen am Nordabhang der Alpen.
Die seßhaft gewordenen deutschen Stämme hatten während der Völkerwanderung den größten Teil Europas und einen Teil Nordafrikas besetzt; jetzt sahen sie sich auf einen kleinen Raum zusammengedrängt und waren kaum imstande, diesen zu behaupten: Burgund, so ziemlich der geographische Mittelpunkt des katholischen Abendlandes im zehnten Jahrhundert, war den Einfällen der Normannen ebenso preisgegeben, wie denen der Ungarn und Sarazenen. Das Ende der Völker des christlichen Abendlandes schien gekommen.
Und gerade in der Zeit, in der der Andrang der äußeren Feinde am mächtigsten, war die Ohnmacht der Staatsgewalt am höchsten, die Feudalanarchie am schrankenlosesten, das einzige, feste, zusammenhaltende Band die päpstliche Kirche.
Wie manche andere monarchische Gewalt ist auch die päpstliche im Kampfe gegen den auswärtigen Feind so mächtig geworden, daß sie die Kraft erlangte, auch den inneren Gegnern Trotz zu bieten.
Den zum Teil kulturell hoch überlegenen Sarazenen war nur mit dem Schwerte beizukommen: zu der Bekämpfung des Islam hat das Papsttum die ganze Christenheit aufgeboten und organisiert. Die unsteten Feinde im Norden und Osten konnten durch Waffengewalt für den Augenblick vertrieben, nicht aber dauernd gebändigt werden. Sie wurden unterjocht durch dieselben Mittel, durch die die römische Kirche die Germanen unterworfen hatte: sie mußten sich der höheren Produktionsweise beugen, wurden dem Christentum gewonnen, seßhaft und damit unschädlich gemacht.
Seinen glänzendsten Triumph feierte das Papsttum über die Normannen. Es verwandelte sie aus den furchtbarsten der nördlichen Feinde der Christenheit zu ihren streitbarsten und tatkräftigsten Vorkämpfern gegen den südlichen Feind. Das Papsttum schloß mit den Normannen ein Bündnis, ähnlich dem, welches es einst mit den Franken geschlossen. Es beruhte darauf, daß die Normannen noch nicht zur Ruhe gebracht waren, sobald man sie der feudalen Produktionsweise einverleibt hatte. Sie blieben das rastlose Räubervolk, bloß die Objekte ihrer Räuberzüge wurden jetzt andere. Dadurch, daß man sie zu Feudalherren machte, wurde die dem Feudalismus eigenartige Gier nach Land in ihnen erweckt, aus Plünderern wurden sie Eroberer.
Das Papsttum wußte diese Eroberungssucht trefflich zu benutzen, indem es sie gegen seine furchtbarsten Feinde, die Sarazenen, wendete. Das Papsttum hatte durch die Siege der Normannen ebensoviel zu gewinnen, als diese durch die Siege des Papsttums. Die Normannen wurden die Vasallen des Papstes, der sie mit ihren Eroberungen belehnte. Der Papst segnete ihre Waffen, und der päpstliche Segen war im elften Jahrhundert von großer Wirkung, indem er die mächtige Organisation der Kirche in den Dienst des Gesegneten stellte. Mit päpstlicher Hilfe haben die Normannen England und Unteritalien erobert.
Damit, daß das Papsttum die Normannen zu seinen Dienstmannen machte – allerdings zu ziemlich ungebärdigen – indes es gleichzeitig die Slawen und Ungarn bändigte – auch diese wurden Lehensleute des Papstes –, erreichte es den Höhepunkt seiner Macht. Es triumphierte nicht nur über seine inneren Feinde, es zwang nicht nur den deutschen Kaiser zur Demütigung von Kanossa, es fühlte sich stark genug, die Offensive gegen die Sarazenen zu eröffnen: das Zeitalter der Kreuzzüge begann. Folgende Zahlen dürften nicht ohne Interesse sein: Die Bekehrung der Ungarn in größerem Maßstab begann unter Stephan I. (997 bis 1038). Die Normannen setzten sich in Unteritalien fest im Jahre 1016, erhielten die päpstliche Belehnung 1053, eroberten England 1066; elf Jahre später demütigte sich Heinrich IV. in Kanossa und 1095 begann der erste Kreuzzug. Die Päpste waren die Organisatoren der Kreuzzüge, die Normannen ihre Vorkämpfer. Was diese nach dem Osten trieb, war die Ländergier: sie errichteten Feudalstaaten in Palästina, Syrien, Kleinasien, auf Cypern, ja schließlich auch im griechischen Reiche. In letzterem Falle fehlte selbst die Illusion eines Kampfes gegen die »Ungläubigen«.
Neben den Normannen wurde die Hauptmasse der Kreuzfahrer aus Leuten gebildet, denen der soziale Druck in der Heimat unerträglich geworden war, Leibeigenen, die von ihren Feudalherren übermäßig geschunden wurden, niederen Adeligen, welche der Übermacht der großen Feudalherren erlagen, und dergleichen mehr.
Im Ritterheer des ersten Kreuzzugs ragten die Normannen vor allen anderen hervor. Das Bauernheer wurde charakteristischerweise befehligt von mehreren verkommenen Rittern, von denen einer den bezeichnenden Namen führte: Walter von Habenichts. Im blühenden Orient hofften sie zu erreichen, was das Vaterland ihnen versagte: Wohlstand und Wohlleben. Zogen die einen mit der Absicht aus, im eroberten Lande als Herren zu bleiben, so die anderen mit der Absicht, mit reicher Beute heimzukehren.
Es beweist aber die große Macht des Papsttums, daß es auch Elemente zum Kreuzzug zu bewegen, ja zu zwingen verstand, die im Orient gar nichts zu holen hatten. Selbst mancher deutsche Kaiser mußte sich's sehr wider seinen Willen gefallen lassen, zur päpstlichen Armee rekrutiert zu werden, und mußte das päpstliche Feldzeichen, das Kreuz, tragen.
3. Der Sturz der päpstlichen Macht.
Die Kreuzzüge bedeuteten den Höhepunkt der päpstlichen Macht. Gerade sie waren aber das kräftigste Mittel zur raschen Entwicklung jenes Elements, welches die feudale Welt und ihren Monarchen, den Papst, erschüttern und schließlich stürzen sollte: des Kapitals.
Der Orient wurde durch sie dem Abendland näher gebracht, Warenproduktion und Handel mächtig gefördert. Damit begann die Kirche ein anderes Gesicht anzunehmen. Die oben gezeichnete Entwicklung des Grundbesitzes infolge der Entstehung der ländlichen Warenproduktion ging vielfach auch im kirchlichen Grundbesitz vor sich. Auch hier sehen wir seit dem vierzehnten Jahrhundert zunehmende Belastung der Bauern, Annexion von Gemeindegut und Bauernlegung vor sich gehen. Die erwachende Habsucht bewog aber auch die Kirche, ihre Armenpflege immer mehr einzuschränken. Was man früher gern hergegeben hatte, weil man es selbst nicht verwenden konnte, behielt man jetzt zurück, sobald es eine verkäufliche Ware geworden war, sobald man Geld dafür bekam, das man in Gegenstände des Luxus oder der Macht umsetzen konnte. Die Tatsache, daß Staatsgesetze erlassen wurden, welche die Kirche zur Armenunterstützung zwingen sollten, beweist, daß diese ihrer Pflicht nicht mehr in genügendem Maße nachkam. Bereits unter Richard II. von England wurde ein Gesetz erlassen (1391), welches den Klöstern befahl, einen Teil des Zehnten zur Unterstützung der Armen und der Pfarrgeistlichkeit zu verwenden.
Indes die Kirche das niedere Volk gegen sich erbitterte, weil sie es gegen die Proletarisierung zu wenig schützte, diese oft förderte, zog sie sich die Feindschaft des Bürgertums zu, weil sie immer noch einen gewissen Schutzwall gegen die Verarmung der Volksmassen bildete, deren Proletarisierung nicht rasch genug vorschreiten ließ. Der Besitzlose war dem Kapital nicht auf Gnade und Ungnade überliefert, solange er noch von der Kirche ein, wenn auch dürftiges, Almosen erhielt. Daß diese Tausenden von Mönchen erlaubte, ein müßiges Leben zu führen, anstatt sie aufs Pflaster zu werfen und den Kapitalisten als Lohnsklaven zur Verfügung zu stellen, war in den Augen des aufstrebenden Bürgertums eine Versündigung am Nationalwohlstand. Daß die Kirche an den zahlreichen Feiertagen der Feudalzeit festhielt, trotzdem nach der Maxime der aufkommenden bürgerlichen Gesellschaft der Arbeiter nicht arbeitet, um zu leben, sondern lebt, um zu arbeiten, das war geradezu ein Verbrechen.
Der zunehmende Reichtum der Kirche erregte den Neid und die Habsucht aller Besitzenden, vor allem des großen Grundbesitzes und der Landspekulanten. Auch die Könige wurden lüstern nach den Kirchenschätzen, um ihre Kassen zu füllen und sich »Freunde« zu erkaufen.
In demselben Maße, in dem infolge der Ausbreitung der Warenproduktion die Habsucht und der Reichtum der Kirche wuchs, in demselben Maße wurde sie überflüssiger in ökonomischer und politischer Beziehung. Eine neue Produktionsweise entwickelte sich in den Städten, die der feudalen überlegen war, und die Städte lieferten die Organisationen und die Männer, deren die neue Gesellschaft und der neue Staat bedurften. Die Geistlichen hörten immer mehr auf, die Lehrer des Volkes zu sein, das Wissen der Bevölkerung, namentlich in den Städten, wuchs über das ihre hinaus, sie wurden einer der unwissendsten Teile des Volkes. Wie überflüssig die Kirche als Grundbesitzer wurde, geht aus dem hervor, was oben über den Grundbesitz im allgemeinen gesagt worden ist.
Aber auch für die Staatsverwaltung wurde die Kirche immer überflüssiger. Allerdings bedurfte der moderne Staat auf dem Lande noch der Pfarrgeistlichkeit und einer diese umfassenden Organisation; heute noch hat die Pfarrgeistlichkeit in zurückgebliebenen Ländern administrative Aufgaben, allerdings ziemlich unbedeutender Natur, zu erfüllen, zum Beispiel die Zivilstandsregister zu führen. Erst zu einer Zeit, als die moderne Bureaukratie hoch entwickelt war, konnte man daran denken, die Pfarrgeistlichkeit als staatliche Institution ganz aufzuheben oder mindestens ihr alle weltlichen Verwaltungsgeschäfte zu nehmen.
Die Pfarrgeistlichkeit war noch notwendig im sechzehnten Jahrhundert; an ihre Beseitigung dachte niemand; aber das moderne, auf der Geldmacht beruhende Königtum wollte und konnte sich ihr und ihren Leitern, den Bischöfen, nicht länger beugen. Die Geistlichen mußten, soweit sie für die Staatsverwaltung notwendig waren, Beamte des Staates werden.
Zwei Elemente der Kirche aber wurden immer überflüssiger in ökonomischer und politischer Beziehung, ja vielfach geradezu ein Hemmschuh, zwei Elemente, die ihre vornehmsten Bestandteile im Mittelalter ausgemacht hatten: die Klöster und das Papsttum.
Wieso die ersteren überflüssig wurden, ist aus dem Gesagten bereits zu entnehmen: sie wurden überflüssig für die Bauern, wie jeder Feudalherr; überflüssig für das Volk als Lehrer; überflüssig als Schützer der Armut, der sie die Almosen entzogen; überflüssig als Bewahrer von Kunst und Wissenschaften, die in den Städten kräftig erblühten; überflüssig für den Zusammenhalt und die Verwaltung des Staates; sie wurden endlich überflüssig infolge der Überflüssigkeit des Papsttums, dessen kräftigste Stütze sie gewesen. Ohne jegliche Funktionen im gesellschaftlichen und politischen Leben, unwissend, träge, roh, dabei unermeßlich reich, versanken die Mönche immer tiefer in Gemeinheit und Liederlichkeit und wurden ein Gegenstand allgemeiner Verachtung. Boccaccios Dekamerone zeigt uns besser, als es die gelehrteste Abhandlung vermöchte, die Verkommenheit des Mönchswesens des vierzehnten Jahrhunderts in Italien. Im folgenden Jahrhundert wurde es nicht besser. Die Ausdehnung der Warenproduktion verpflanzte die moralische Verpestung der Klöster bis nach Deutschland und England.
Ebenso überflüssig, wie die Klöster, wurde die päpstliche Gewalt. Ihre hauptsächlichste Funktion, die Einigung der Christenheit gegen die Ungläubigen, wurde beseitigt durch die Erfolge der Kreuzzüge. Wohl gelang es den Abenteurern aus dem Abendland nicht, ihre Eroberungen in den Ländern des Islams und der griechischen Kirche zu halten. Aber die Kraft der Sarazenen wurde durch die Kreuzzüge doch gebrochen. Sie wurden aus Spanien und Italien vertrieben und hörten auf, eine Gefahr für das Abendland zu bilden.
An Stelle der Araber und Seldschucken trat freilich eine neue orientalische Macht auf, die Osmanen, die das griechische Reich vernichteten und das Abendland bedrohten. Aber der Angriff kam diesmal von einer anderen Seite; nicht vom Süden, sondern vom Osten; er richtete seine Wucht nicht gegen Italien, sondern gegen die Länder an der Donau.
Die Angriffe der Sarazenen hatten geradezu die Existenz des Papsttums in Frage gestellt. Dieses wurde im Interesse seiner Selbsterhaltung gezwungen, die Kräfte der ganzen Christenheit gegen die Ungläubigen aufzubieten. Von den Türken dagegen hatten die päpstlichen Gebiete wenig zu fürchten, solange die Venetianer und Johanniter ihnen im östlichen Becken des Mittelmeers Widerstand leisteten. Wohl aber wurden in erster Linie die Ungarn von den Türken bedroht, nachdem diese die Südslawen niedergeworfen hatten, in zweiter Linie Süddeutschland und Polen. Der Kampf gegen die Türken war keine Angelegenheit der ganzen Christenheit, sondern eine lokale Angelegenheit ihrer östlichen Bollwerke. Wie der Kampf gegen Heiden und Sarazenen die ganze Christenheit zur päpstlichen Monarchie zusammengeschweißt hatte, so wurden jetzt durch den Kampf gegen die Türken die Ungarn, Tschechen, Südostdeutschen in einem Staatswesen vereinigt, der habsburgischen Monarchie. Und daß die Inhaber dieser Monarchie die berufenen Schützer des deutschen Reiches vor den Türken waren, trug wohl am meisten dazu bei, daß die Kaiserkrone dauernd zu ihnen gelangte.
Bereits gegen das Ende des vierzehnten Jahrhunderts begannen die Streifzüge der Türken nach Ungarn und veranlaßten den König dieses Landes, Sigmund, gegen sie zu ziehen. Er erlitt eine furchtbare Niederlage bei Nikopolis im Jahre 1396. Eine zweite, ebenso große Niederlage erlitten die vereinigten Polen und Ungarn unter König Ladislaus bei Varna (1444). 1453 fiel Konstantinopel in die Hände der Türken. Damit wurde die Türkengefahr brennend. Von 1438 an blieb die Kaiserwürde dauernd bei den Habsburgern, solange sie überhaupt noch bestand, das heißt bis 1806. Die Türkengefahr hat vielleicht auch dazu beigetragen, daß Bayern und Polen während der Reformation kaiserlich und päpstlich gesinnt, das heißt katholisch blieben.
Eine Zeitlang hielt das Papsttum noch an seiner Tradition fest, obwohl diese immer gegenstandsloser wurde, und tat so, als wolle es auch die Aufgabe übernehmen, den Widerstand gegen die Türken zu organisieren. Aber es war ihm selbst immer weniger ernst damit, und immer mehr wurden die Hilfsmittel, welche die Päpste von den Völkern der Christenheit zum Kampfe gegen die Türken sammelten, zum Privatnutzen der Päpste selbst verwendet. Die Macht des Papsttums und der Glaube an seine Mission, die bis ins zwölfte Jahrhundert Mittel waren, die Völker der Christenheit zu retten, wurden seit dem vierzehnten Jahrhundert zu Mitteln, sie auszubeuten.
Die Zentralisation der Kirche hatte deren Machtmittel sämtlich in den Dienst des Papsttums gestellt. Dessen Kraft war damit enorm gewachsen, aber sein Reichtum wurde nur wenig vermehrt, solange die Warenproduktion noch schwach und unentwickelt blieb. Solange der bei weitem größte Teil der Einkünfte der Kirche in Naturalien bestand, konnte das Papsttum daraus keinen erheblichen Nutzen ziehen. Es konnte sich nicht von Fürsten oder Bischöfen Korn, Fleisch, Milch über die Alpen senden lassen. Geld war aber bis tief in die Zeit der Kreuzzüge hinein ein seltenes Ding. Allerdings erlangten die Päpste mit der Stärkung ihrer Gewalt auch das Recht der Verleihung kirchlicher Ämter außerhalb Italiens. Damit wurde der Klerus von ihnen abhängig. Aber solange mit diesen Ämtern soziale oder politische Funktionen verknüpft waren und der größte Teil ihrer Einkünfte in Naturalien bestand, mußten sie an Männer verliehen werden, die arbeiten wollten, die des Landes kundig waren und darin bleiben wollten. Der Papst konnte weder mit ihnen seine italienischen Günstlinge belohnen, noch konnte er sie verkaufen.
Alles das änderte sich mit der Entwicklung der Warenproduktion. Kirche, Fürst, Volk kommen jetzt in den Besitz von Geld. Geld ist leicht transportabel, verliert seinen Wert nicht unterwegs und kann in Italien ebensogut verwendet werden, wie etwa in Deutschland. Jetzt wuchs das Verlangen des Papsttums nach der Ausbeutung der Christenheit. Es hatte natürlich stets seine Nützlichkeit zu seinem eigenen Vorteil auszubeuten gesucht, wie jede Klasse – und das Papsttum war eine Klasse: es umfaßte nicht den Papst allein, sondern einen großen Teil der, namentlich romanischen, Geistlichkeit, die von ihm Ämter und Würden zu erwarten hatte, deren Einkommen um so größer war, je größer das Einkommen des Papsttums. Es hatte daher in demselben Maße, in dem seine Macht stieg, auch versucht, aus den kirchlichen Organisationen und der Laienwelt Geldabgaben herauszuschlagen, und es bedurfte solcher auch, wenn es seine Funktionen erfüllen wollte. Aber wie gesagt, diese Geldabgaben waren ursprünglich geringfügig. Mit der Entfaltung der Warenproduktion wuchs die Geldgier der Päpste, wuchs ihr Streben nach Ausbeutung, indes ihre Funktionen immer geringer wurden.
Ebenso erfinderisch wie die modernen Finanzkünstler waren die der Päpste des vierzehnten, fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts. Die direkten Beisteuern waren im allgemeinen unbedeutend. Der 1320 den Polen auferlegte Peterspfennig dürfte kaum einen hohen Ertrag geliefert haben. Einen höheren Ertrag warf der englische Peterspfennig ab, der schon seit dem achten Jahrhundert nach Rom gesandt wurde. Anfangs geringfügig – er diente zur Erhaltung einer Schule für englische Geistliche in Rom – schwoll er im vierzehnten Jahrhundert so an, daß er das Einkommen des englischen Königs überstieg.
Aber wie andere Finanzgenies zogen auch die päpstlichen die indirekten Steuern den direkten vor, welche die Ausbeutung zu unverhüllt erkennen ließen. Der Handel war damals das vornehmste Mittel, die Leute zu prellen und große Reichtümer rasch zu erwerben. Warum sollten die Päpste nicht auch Händler werden, Händler mit denjenigen Waren, die sie am billigsten zu stehen kamen? Der Handel mit Kirchenämtern und Ablässen begann.
In der Tat, die Kirchenämter wurden im Verlauf der Entwicklung der Warenproduktion sehr wertvolle Waren. Eine Reihe von Funktionen der Kirche verschwanden oder wurden gegenstandslos, reine Formalitäten. Die Ämter aber, die zur Vollziehung dieser Funktionen errichtet worden waren, blieben, oft wurden sie noch vermehrt. Ihre Einkommen wuchsen mit der Macht und der Habsucht der Kirche, und ein immer größerer Teil dieser Einkommen wurde Geldeinkommen, das man auch anderswo verzehren konnte, als an dem Ort, an dem das Amt haftete. Eine Reihe von Kirchenämtern wurde so zu bloßen Geldquellen, und als solche erhielten sie einen Wert. Die Päpste verschenkten sie an ihre Günstlinge oder verkauften sie, natürlich meistens an Leute ihrer Umgebung, Italiener und Franzosen, die gar nicht daran dachten, diese Ämter anzutreten, am allerwenigsten dann, wenn sie in Deutschland lagen, und die sich ihr Gehalt über die Alpen senden ließen.
Das Papsttum wußte indes noch andere Mittel, die Kirchenämter für sich auszubeuten, zum Beispiel die Annaten, Summen, die bei der jedesmaligen Besetzung eines Bischofsitzes vom neueingesetzten Bischof an den päpstlichen Stuhl zu zahlen waren.
Dazu kam der Handel mit der Sündenvergebung, den Ablässen, der immer unverschämter wurde. Die Ablässe folgten einer dem anderen (wir finden fünf Ablässe kurz vor der Reformation: 1500, 1501, 1504, 1509, 1517); ihr Verkauf wurde schließlich sogar verpachtet.
Eine treffliche Zusammenstellung der Methoden der Ausbeutung durch die Päpste findet man in den »Beschwerden der deutschen Nation« (Gravamina nationis Germanicae), die dem Baseler Konzil (1431 bis 1449) eingereicht wurden, das die Kirche reformieren sollte. Es heißt darin: 1. Die Päpste glauben sich an Bullen, Verträge, Privilegien und Urkunden, welche von ihren Vorgängern unbedingt ausgestellt wurden, durchaus nicht gebunden, sie erteilen auf irgend eines elenden Menschen Gesuch sogleich Revokationen und Suspensionen. 2. Keine Wahlen (zu den Kirchenämtern) werden respektiert, der Papst vergibt die Bistümer, Dekanate, Propsteien und Abteien nach Belieben, auch wenn man die Stelle vorher teuer erkauft hat (welch schnöde Verletzung der Gesetze des Warenhandels!). 3. Die besten deutschen Pfründen werden stets römischen Kardinälen und Protonotarien verliehen. 4. Die päpstliche Kanzlei verleiht so viele Expektanzen oder Anwartschaften auf Stellen und Pfründen, daß notwendig das Geld oft dabei verloren geht und daß unzählige Prozesse unvermeidlich werden. 5. Die Annaten (siehe oben) steigen immer höher; sie betrugen in Mainz zuerst 10 000, dann 20 000 und endlich 25 000 Dukaten. Wie nun, wenn in einem Jahre zwei Bischöfe sterben? 6. Man besetzt die geistlichen Stellen mit Italienern, welche weder die Sprache verstehen noch gute Sitten haben. 7. Man widerruft alte, längst bezahlte Ablässe, um neue verkaufen zu können. 8. Man läßt den Türkenzehnten erheben und verwendet doch das Geld nicht zum Zug gegen die Türken oder zur Unterstützung der Griechen. 9. Prozesse aller Art werden nach Rom gezogen, wo alles um Geld feil ist.«