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Kitabı oku: «Im Reiche des silbernen Löwen IV», sayfa 11

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Bei diesen Worten machte ich dem Heiligen und auch dem Seligen eine tiefe, ehrfurchtsvolle Verbeugung. Sie bedankten sich mit gütigem Kopfnicken. Der Mann mit dem großen Turbane aber sah mich mit einem zweifelhaft prüfenden Blicke an, ob nicht vielleicht hinter dieser meiner Unbefangenheit etwas Anderes stecke. Wahrscheinlich konnte er in meinem Gesicht nichts Verräterisches entdecken, denn er fuhr fort:

»Wir haben gehört, daß der Ustad beabsichtigt, mit diesem alten Bauwerke aufzuräumen. Er will die Ueberreste aus jenen götzendienerischen Zeiten abtragen. Warum? Wozu will er dieses kolossale Material verwenden, welches er doch nicht einfach verschwinden lassen kann? Wir können uns mit einem solchen Vorhaben unmöglich befreunden. Bis heut schwiegen wir dazu. Nun wir aber den Bund mit dir und ihm geschlossen und besiegelt haben, steht uns das Recht zu, Einspruch zu erheben. Diese Bauten haben zu bleiben, wie sie sind! Sie sind ein Denkmal der Vergangenheit, an welchem nicht gerüttelt werden darf. Denn selbst der Wahn wird heilig, wenn er so lange besteht, daß er durch sein Alter zur Ehrfurcht mahnt. Also, ich warne dich, Effendi, und ich warne den Ustad! Ich habe als Scheik ul Islam die heilige Pflicht, selbst den Irrtum zu erhalten, weil wir nur durch ihn zur Wahrheit kommen. Ihr gehört von jetzt an zu den Takikurden, und was ich als Oberster der Taki will, das hat auch jeder Dschamiki zu wollen!«

Ah! Bisher das weiche Pfötchen; jetzt kam schon die Kralle! Etwas vorzeitig! Sein eigentliches Interesse an der Erhaltung der Ruinen konnte er mir natürlich nicht mitteilen! Glücklicherweise war ich einer Antwort überhoben, denn die beiden »Generale« kamen soeben, und es wurde beschlossen, wieder aufzubrechen. Ich bemerkte gar wohl das befriedigte Lächeln, mit welchem sie dem »Schreiber« heimlich kundtaten, daß ihnen ihr Vorhaben wohlgelungen sei.

Die Heimkehr geschah in derselben Weise, wie der Ritt zum Berge; man ließ mich zurück, und es fiel mir gar nicht ein, mich darüber zu kränken. Als ich heimkam, sah ich, daß man nicht einmal mit dem Essen auf mich gewartet hatte; es war bereits im vollsten Gange. Ich nahm aber in der freundlichsten Weise meinen Platz ein und langte zu. Es gab mir heimlich Spaß, daß sich die Herren schon ganz wie zu Hause fühlten. Der Beturbante tat, als ob er nur so zu befehlen habe. Der Pedehr war hierüber so ärgerlich, daß er fast gar nichts genoß. Nicht etwa, daß man es an Höflichkeit hätte mangeln lassen; o nein! Man schmeichelte uns sogar in jeder Weise; zuweilen so auffällig, daß es gar nicht schwer war, zu erröten. Der Leutseligste von allen war der »Schreiber«. Er sprach nicht viel; aber was er sagte, war stets ein Kompliment für uns, welches Dankbarkeit erheischte. Er war so einfach, so bescheiden, so unendlich wohlwollend. Und all diese Einfachheit, diese Bescheidenheit, dieses Wohlwollen schien er mit Hilfe seines stetig wiederholten Augenaufschlages vom Himmel herabzunehmen. Er brachte Alles so still, so geräuschlos fertig. Die Andern schmatzten als Orientalen überlaut beim Essen; er als der Einzige nicht. Was bei ihnen klapperte und klirrte, das ging bei ihm so leise, so unhörbar von statten, als ob sein ganzer Körper nur von Watte sei. Aber zuweilen, wenn er sich unbeachtet wähnte, schoß aus seinem Auge ein Blick hervor, welcher, im Bilde gesprochen, noch lauter schnarrte, als das Rrrrrr an seinem Gaumen!

Wir erfuhren während des Essens, daß die Perser von uns weg nicht etwa zurück nach Chorremabad, sondern hinüber zu den Takikurden wollten. Man war so unvorsichtig, hinzuzufügen, daß man dies auch getan hätte, wenn unser »Vertrag« nicht zu stande gekommen wäre! Hierbei kam die Rede auf die Pferdezucht der Taki, und da geschah es, daß der »Schreiber« sich zum ersten Male zu einem zusammenhängenden Gespräch mit mir animiert zeigte. Er ahnte nicht, daß er durch dieses sein Interesse für die Pferde verriet oder vielmehr bestätigte, wer er sei. Er sagte:

»Wir haben gehört, daß bei Euch ein großes Rennen stattfindet, Effendi. Wer darf sich daran beteiligen?«

»Jedermann,« antwortete ich.

»Welches sind die Bedingungen, die Preise?«

»Der Sieger gewinnt den Besiegten.«

Da leuchtete sein Auge auf, und er fragte auffallend rasch:

»Auch Eure Haddedihnpferde?«

»Ja.«

»Darf man sich den Gegner wählen?«

»Nein. Jeder stellt, was ihm beliebt. Doch es darf kein Angebot abgewiesen werden. Die Ehre allein hat zu bestimmen. Es hat Niemand zu befürchten, daß ihm minderwertiges Material gegenübergestellt wird.«

»Darf ein Pferd nur einmal rennen?«

»Nein, sondern so oft es beliebt.«

»Das ist vortrefflich! Wir haben beschlossen, uns zu beteiligen. Ist es erlaubt?«

»Sehr gern!«

»Müssen wir sagen, mit wieviel und mit welchen Pferden?«

»Nein. Ihr bringt, so viele Ihr wollt.«

»Und Ihr dürft keines zurückweisen?«

»Nein.«

»Muß man vorher melden, wer sie reiten wird?«

»Auch nicht.«

»So setze ich den Fall, daß wir eines unserer Pferde von einem Dschamiki reiten lassen wollen. Würdet Ihr ihn daran hindern?«

»Ganz gewiß nicht. Wer so ehrlos ist, dies tun zu wollen, dem haben wir niemals mehr Etwas zu befehlen oder Etwas zu verbieten.«

»Seine Person bleibt also auf alle Fälle unangetastet?«

»So lange er sich nur als Renngegner, nicht auch sonst als Feind beträgt, ja.«

»Das ist es, was ich wissen wollte. Ich bin befriedigt. Wir betrachten uns also als angemeldet und werden sicher kommen.«

Er sah vor sich nieder, warf dann einen sehr freundlichen, beinahe zärtlichen Blick auf mich und fuhr fort:

»Eigentlich habe ich noch eine Frage. Sie betrifft deinen Glauben. Du bist Christ?«

»Ja. Du doch auch!«

Ich gab diese sonderbare Antwort, weil ich eine lange, unfruchtbare, religiöse Auseinandersetzung erwartete und die Sache so kurz wie möglich machen wollte. Die Zeit des Versteckenspielens war nämlich für mich vorüber. Ich wußte nun genug und hatte keinen Grund mehr, mich und meine Weltanschauung für geistig rückständig halten zu lassen. Er warf den Kopf wie erschrocken in die Höhe und rief aus:

»Ich? Ein Christ? Allah verhüte es! Wer hat dir diese größte aller Lügen weisgemacht?«

»Lüge, sagst du? Ist der Kuran ein Lügner?«

»Nein. Jedes seiner Worte, ist heilig und unsere Auslegungen sind ebenso heilig. Willst du etwa behaupten, das, was du sagst, aus diesen Quellen zu haben?«

»Ja.«

»So beweise es! Was aber kann ein Europäer, ein Christ vom Kuran und seine Auslegungen wissen!«

Er faltete mitleidig die Hände, schlug die Augen auf und holte sich einen Blick des himmlischen Erbarmens herab, den er mir ganz unverkürzt herüberschickte. Ich nahm ihn ruhig hin und fragte:

»Was steht dir höher, der Himmel oder die Erde?«

»Natürlich der Himmel,« antwortete er.

»Das Zeitliche oder das Ewige?«

»Das Ewige.«

»Ein Fürst und Richter über einige Millionen oder ein Fürst und Richter über Alles, was da lebte, lebt und auch noch leben wird?«

»Dieser Letztere.«

»Du verehrst Mohammed. Du glaubst an seine Lehre und richtest hier auf Erden nach den Worten, die er Euch hinterließ. Er ist also der Gesetzgeber aller Mohammedaner. Was aber wird er einst in jenem Himmel sein?«

»Der herrlichste von Allen, die Propheten waren.«

»Hast du von der Moschee der Omajjaden in Damaskus gehört?«

»Ja. Sie ist die prächtigste und hochberühmt, des jüngsten Gerichtes wegen. Denn Isa Ben Marryam39 wird sich an diesem Tage auf einen ihrer Türme niederlassen, um Alle zu richten, die da sind und waren, die Lebenden und die Toten. Wozu aber diese Fragen, die mir ganz zwecklos und überflüssig erscheinen ?«

»Wie du so fragen kannst, o Katib! Dein Herr, der Scheik ul Islam, welcher neben dir sitzt, wird scharfsinniger sein als du und dir sagen, daß du soeben zugegeben hast, ein Christ zu sein.«

»Ich?« fuhr er zornig auf. »Klüger als ich? Eff – – —«

Er hielt inne, denn er fühlte, daß er soeben ganz aus seiner untergeordneten Rolle gefallen sei. Sein Blick stieg himmelan, um sich die erforderliche Gemütsruhe herabzuholen, und als dies geschehen war, fuhr er fort:

»Ich verstehe dich nicht. Mach, daß ich dich begreife!«

»Du sagtest, daß Christus der himmlische Herr und Richter sei, der Spender der Seligkeit, dem aber auch die Verdammten zu gehorchen haben. Ich brauche dich gar nicht zu fragen, wer also höher stehe, er oder Mohammed, sondern ich bestätige nur, was du sagtest: Christus richtet einst Alle, auch die Moslemin. Er ist also Euer höchster Herr, und folglich seid Ihr Christen, so wie wir!«

Er war still. Die Andern auch. Tiefste Verlegenheit in allen ihren Gesichtern.

»Wer von Euch wagt es, mir zu widersprechen?« fragte ich. »Wer von Euch glaubt, in dem Kuran und seinen Auslegungen besser bewandert zu sein als ich, der Christ, der Europäer? Er widerspreche mir, und ich werde ihm mit den Worten des Kurans und seiner Erklärungen antworten!«

Da versuchte der Schreiber eine Ausrede:

»Du bist uns gleich zu hoch gestiegen, Effendi. Man hat von unten zu beginnen. Du aber fängst gleich im Himmel an, beim großen Weltgericht!«

»Wer noch nichts weiß, der mag von unten beginnen. Wir Christen aber sind im Himmel wohlbewandert, denn dort ist unser Vaterhaus, wo Isa Ben Marryam unser wartet. Es gibt keine einzige Religion, über welcher nicht Jener steht, der nach Eurer eigenen Ansicht Tod oder Leben, Verdammnis oder Seligkeit verteilt, und also sind die Menschen alle Christen. Sträubt Euch, so viel Ihr wollt, über diesen Punkt kommt Ihr doch nicht weg! Gebt Eurer Religion den Namen, der Euch beliebt; hoch über allen diesen Namen steht doch der, nach welchem wir uns Christen nennen! Willst du noch mehr Auskunft über meinen Glauben, o Katib ? Ich gebe sie dir sehr gern!«

»Nicht mehr Religion, nichts weiter vom Glauben!« fiel da der angebliche Scheik ul Islam schnell ein, um seinen »Schreiber« aus der sichtlich sehr großen Verlegenheit zu reißen. »Wir befinden uns hier bei den Dschamikun, aber noch nicht im Himmel. Wir sind auf der Erde, und da muß ich dich bitten, Effendi, anzuerkennen, was hier im Lande gilt, nämlich die Oberhoheit Mohammeds!«

Er glaubte, einen Trumpf ausgespielt zu haben; ich aber antwortete:

»Ja, wir sitzen hier bei den Dschamikun und haben uns nach dem zu richten, was hier im Lande gilt. Das ist aber nicht die Hoheit Mohammeds!«

»Doch!« fuhr er auf. »Ihr seid seit heute Taki-Dschamikun und habt also an Mohammed zu glauben! Das ist es ja, was wir erreichen wollten. Wir haben es mit Salz und Brot besiegelt und Ihr könnt nicht mehr zurück. Bei uns gilt das Wort: Ein Schurke, der nicht hält, was er bei Salz und Brot verspricht! Willst du ein Schurke sein?«

Da stand ich langsam auf, steckte die Hände gemächlich in den Gürtel und sprach:

»Was ist uns angetragen worden und was haben wir angenommen und besiegelt? Das ganze Gebiet der Takikurden solle heut in die Hand des Ustad übergehen! Er soll ihr Ustad sein, nichts Anderes! Du sagtest wörtlich: »Die Vereinigung der beiden Stämme soll sich in der Hand und unter der Aufsicht des Ustad vollziehen, und er wird der Gebieter dieses neuen Stammes sein!« Das ist mit Salz und Brot besiegelt worden. Nun frage ich, wer wird jetzt Schurke sein?«

Keiner antwortete. Da sprach ich weiter:

»Es gibt also für die Taki-Dschamikun keinen andern Gebieter als den Ustad. Und da ich an seiner Stelle vor Euch stehe, so bin ich der Herr, dem man hier zu gehorchen hat, hier und drüben bei den Taki. Wo ist der Andere, der uns befehlen will, was wir zu glauben haben? Er stehe auf wie ich und stelle sich vor mich her! Ich möchte nämlich gern wissen, was für Augen so ein Schurke macht!«

Keiner regte sich. Sie sahen alle vor sich nieder. Aber die Augen des Pedehr funkelten, und der Chodj-y-Dschuna lächelte leise vor sich hin.

»Ihr schweigt,« fuhr ich fort. »So beantwortet wenigstens meine andern Fragen! In wessen Machtvollkommenheit kamt Ihr hierher, um uns dieses vermeintliche Geschenk zu machen? Sandte Euch der Landesherr, der Schah-in-Schah? Wurdet Ihr vom Stamm der Taki-Kurden geschickt, die sich nach unserm Ustad sehnen? Haben sie eine Dschemma abgehalten und beschlossen, daß er ihr Herr und Gebieter werden solle? Seid Ihr die Gesandtschaft, welche sie schicken, uns dies mitzuteilen? Wo ist die Unterschrift des Schah? Wo sind die Siegel der Aeltesten des Stammes? Habt Ihr es denn wirklich für möglich gehalten, daß es Euch gelingen werde, mit uns ein solches Kara göz ojunu40 aufzuführen? Muß ich es für Wahrheit halten, daß Ihr so töricht waret, über den Fortbestand der Ruinen uns Befehle erteilen zu können? Ich glaubte, es sei ein schlechter Scherz! Welch ein Wahnsinn, zu denken, daß wir auf leere Worte hin Euch sofort alles, was wir sind und was wir haben, gehorsam vor die Füße werfen, um dann im neuen Stamm so viel wie nichts zu sein! Ihr habt ja nichts, doch sage ich: Gebt mir das ganze Land, gebt mir die ganze Welt, so könnt Ihr die Ruinen, die Euch so sehr am Herzen liegen, doch nicht retten! Kommt ihre Zeit, so brechen sie zusammen, denn diese Zeit wird keinen Scheik ul Islam um Erlaubnis fragen!«

Da sprang der »Schreiber« schnell wie eine Spannfeder auf. Seine Augen waren jetzt ganz andere. Sie blitzten mir in plötzlich offenem Haß entgegen, und er rief aus, indem auch die Andern sich erhoben:

»Das, das ist also der wahre, der wirkliche Effendi, nicht der kranke, schwache, der sich so wunderbar zu verstellen wußte! Der Effendi, der nichts, gar nichts ist in seinem Lande und doch hier den Herrn und Pascha spielen will! Ich weiß nun genug von dir, du aber nichts von mir. So will ich dir denn sagen – – —«

»Daß du der große Scheik ul Islam bist, der zu uns kommt, nur um uns anzulügen!« fiel ich ihm in die Rede. »Ich weiß noch mehr von dir, doch mag schon das genügen. Wer sich für Allahs höchsten Auserwählten hält und heimlich sich als Inbegriff des ganzen Kuran betrachtet, der sollte dies doch offen und ehrlich zeigen und nicht in trügerischer Demut zur Niedrigkeit des Katib niedersinken!«

Da verschlang er die Arme auf der Brust, richtete sich hoch auf und fragte:

»Bist du fertig?«

»Mit dir? Ja!«

»Aber nicht ich mit dir! Denke an das Rennen! Das wird nun ein ganz anderes! Nehmt Euch in acht; wir kommen. Ich sage dir nur einen einzigen Namen: Ich bringe Euch das beste Pferd von Luristan und lasse alle Eure Mähren niederreiten! Und noch ein anderes habe ich. Was das für eines ist, das werdet Ihr zu Eurem Leid erfahren!«

Er wendete sich ab und schritt in stolzer Haltung zur Halle hinaus. Die Andern folgten, ohne ein Wort zu sagen. Sie würdigten uns keines Blickes mehr. Bald ritten sie den Berg hinab, und der Pedehr sorgte dafür, daß sie, wenn auch nur von Weitem, bis zur Taki-Grenze begleitet wurden. Wir gingen zu ihm hinaus in den Hof. Er wendete sich zu mir.

»Das war ein Schlag über sämtliche Köpfe, Effendi!« sagte er. »Wer hätte das gedacht, nachdem du dir vorher Alles so ruhig gefallen ließest! Keiner konnte antworten! Nun reiten sie als offenbare Schurken fort! Das wird man überall erfahren, und Jeder, der auf Ehre hält, wird sich vor ihnen hüten! Aber die Rache nun, die Rache! Fürchtest du sie nicht?«

»Nein,« antwortete ich. »Sie wird ganz denselben Erfolg haben wie ihre heutige Pfiffigkeit – – – Hiebe über die Köpfe. Nur dürfen wir nicht so tun, wie du wolltest, nicht vorschnell handeln. Wir lauschen, bis wir wissen, was sie wollen. Dann aber warten wir nicht etwa, bis es ihnen beliebt, sondern wir machen es wie jetzt: Wir erheben uns ganz unerwartet von dem Sitze und schlagen derart los, daß sie sofort die Mäuler halten müssen. Der wahrhaft Kluge scheut sich nicht, für übertölpelt angesehen zu werden, weil er schweigt. Er ist nur still, die Feinde zu durchschauen. Doch kommt dann seine Zeit, so schont er selbst den Höchsten nicht, auch keinen Scheik ul Islam, um zu zeigen, wer eigentlich der Schuft, der Tölpel war!«

Eben als ich das sagte, kam Tifl aus dem Garten. Er saß auf der Sahm, die vollständig gesattelt war, und wollte zum Tore hinaus.

»Wohin?« fragte ich, indem ich mich ihm in den Weg stellte und nach dem Zügel griff.

»Ausreiten,« antwortete er. »Die Sahm auf das Wettrennen üben.«

»Du reitest sie nicht. Wozu also das Ueben! Steig ab!«

»Unser Ustad sagte es mir!« entgegnete er, indem er ruhig sitzen blieb.

»Der Ustad bin jetzt ich, und du steigst ab, sofort! Du wirst auf diesem Pferd nie wieder sitzen!«

»Warum?«

Der Mensch sah mich bei dieser Frage so an, als ob er entschlossen sei, mir Widerstand zu leisten. Es fiel mir natürlich nicht ein, mich selbst an ihm zu vergreifen. Ich drehte mich vielmehr zu dem Pedehr, dem Chodj und dem jungen Haddedihn um und forderte den Letztern auf:

»Kara, herab vom Pferd mit diesem Kerl!«

Ein fröhlicher Blitz ging über sein Gesicht. Ein schneller Sprung und Schwung, so saß er hinter Tifl auf der Stute, und im nächsten Augenblicke flog der Lahme herunter auf die Erde.

»Effendi, warum das?« fragte der Pedehr erstaunt. »Unser »Kind« hat doch die Erlaubnis, jederzeit zu – —«

»Warte!« unterbrach ich ihn. Dann wendete ich mich an Tifl, der sich vom Boden aufrichtete und nun ganz verlegen dreinschaute: »Warum hängen an der Sahm die Satteltaschen? Warum trägst du nicht bloß die Mütze, sondern auch das Turbantuch darüber? Warum hast du Schuhe an und auch den Mantel über deiner Jacke? Reitet man so aus, um zu üben?«

Er gab keine Antwort, doch verwandelte sich die Verlegenheit seines Gesichtes in den Ausdruck des Trotzes.

»Wo wolltest du hin?« fragte ich weiter. »Glaubtest du wirklich, nicht durchschaut zu sein und mir die Sahm entführen zu können, du undankbarer Bube? Vergiltst du so die Wohltat mit Heimtücke und Verrat? Du willst den Persern nach, mit ihnen zu den Taki-Kurden hinüber! Du sollst beim Rennen gegen uns und für den Scheik ul Islam reiten! Ich hindere dich nicht; ihr paßt ja gut zusammen. Ich spreche dich von unserm Stamme los und überlasse dich den Feinden drüben. Du magst getrost zum Rennen kommen; es wird dir nichts geschehen. Doch nach demselben trolle dich sofort! Verräter dulden wir in unserm Bereiche nicht!«

Er machte nicht den geringsten Versuch, mich zu widerlegen. Da rief der Pedehr aus:

»Ist das die Möglichkeit? Für solche Wohltat so verfluchter Lohn! Effendi, dieser Mensch sollte gepeitscht werden!«

»Nein! Ich will ihm sogar seinen Fortgang noch erleichtern. Er bekomme eines der zurückbehaltenen Soldatenpferde, doch mögen zwei Dschamikun ihn begleiten, bis er die Perser erreicht. Besorge das sogleich! Jetzt fort mit ihm!«

»Ich selbst werde ihn hinunterbringen. Komm!«

Er faßte ihn beim Mantel und schob ihn vor sich her zum Tore hinaus. Der Chodj-y-Dschuna verabschiedete sich von mir und ging ihnen nach. Zu Kara aber sagte ich:

»Du siehst, was du mir über diesen Tifl sagtest, hat schnelle Frucht gebracht. Heut abend habe ich Etwas vor, was Niemand wissen darf. Halte dich bereit, mit mir nach dem See hinunterzugehen, wenn Alle schlafen!«

Da schaute er in herzlicher Freude zu mir her und sagte:

»Ein Abenteuer, ein verschwiegenes! Mit dir, Effendi! Ich weiß, was dieses Vertrauen bedeutet, und danke dir dafür!«

Er zog meine Hand an sein Herz. Dann ging ich in die Wohnung des Ustad, um die Karte des Schah an ihre Stelle zurückzulegen. Ich hatte sie nicht gebraucht.

Der übrige Teil des Tages war nur dem Schlafe und der Sammlung weiterer, neuer Kräfte gewidmet. Am Abende aßen wir in der Halle. Ich hatte erfahren, daß nach dem Wettrennen eine Beleuchtung sämtlicher Höhen stattfinden solle. Es waren auch schon viele Fackeln angefertigt worden, darunter sehr lange und starke von Palmenfaser, welche mehrere Stunden lang brennen und nur schwer zu verlöschen sind. Ich ließ mir von Schakara heimlich ein halbes Dutzend von diesen geben und nahm sie nach dem Essen mit hinauf zu mir. Schakara wurde überhaupt mit in das Geheimnis gezogen, denn ich brauchte Jemand, der für mich und Kara das Tor offen zu halten hatte. Was ich tun wollte, war nicht ungefährlich. Darum teilte ich es ihr mit, daß ich die Absicht habe, vom See aus in den versteckten Kanal einzudringen, und forderte sie auf, nur höchstens drei Stunden auf uns zu warten und, falls wir da noch nicht zurückgekehrt seien, uns schleunigst Hilfe zu senden.

Als man zur Ruhe gegangen war, nach zehn Uhr, begab ich mich in den Hof. Kara stand bereit; Schakara war bei ihm. Ich wiederholte ihr, wie ich mir ihre etwaige Hilfe dachte. Er nahm die mitgebrachten Fackeln; dann gingen wir. Im Duar gab es kein Licht. Man schlief auch hier bereits. Am Landeplatze fanden wir das Boot. Es war nur angebunden. Die beiden Ruder hingen in den Dollen. Wir stiegen ein und paddelten uns leise nach der Stelle, welche ich untersucht hatte. Es war nicht schwer, die Maueröffnung hinter dem Gestrüpp aufzufinden. Wir stellten das Boot rechtwinkelig dagegen an und gaben hinten einige kräftige Ruderschläge. Es drang mit seiner ganzen vorderen Hälfte ein. Wir nahmen die Ruder in das Boot, bückten uns nieder und krochen unter dem nun auseinandergeteilten Rankengewirr bis an die Spitze des Kahns vor. Nun war der Sternenhimmel über uns verschwunden. Wir befanden uns in dichtester Finsternis. Die Ruder an uns nehmend, tasteten wir mit ihnen rechts und links aus dem Kahn heraus. Wir fühlten harte Wände und stießen uns an diesen so weit hinein, daß auch das Hinterteil des Fahrzeuges durch das Gestrüpp kam. Hierauf zog ich das Schibhata41 aus der Tasche, um eine der Fackeln anzubrennen. Bei ihrem Scheine sah ich ein ganz vorn im Schnabel des Bootes befindliches Loch, in welches ich sie steckte. Später hörte ich, daß dieses Loch genau zu diesem Zwecke angebracht worden sei, weil die Dschamikun des Abends gern rund um den See zum Nur-y-Saratin42 ruderten.

Der Kanal war hier, am Anfange, sehr schmal. Aber als wir uns eine Strecke weit fortgegriffen hatten, traten die Wände doppelt weit zurück, und auch die Höhe nahm in demselben Verhältnisse zu. Die Luft war kalt und feucht, doch gut und leicht zu atmen. Die Wände und die Decke bestanden aus den schon oft erwähnten Riesenquadern. Nun schoben wir uns statt mit den Händen mit den Rudern fort. Der Kanal ging stetig geradeaus. Das Wasser war tief und schwarz, dabei aber durchsichtig wie Kristall. Das Bild unserer ruhig brennenden Flamme schaute wie aus unergründlicher Tiefe zu uns herauf.

Ich war so vorsichtig gewesen, die Länge des Kanals abzuschätzen, natürlich nur so ungefähr, bloß mit dem Auge. Die Zahl der Quader gab mir den Anhalt hierzu. Vierzig, sechzig, achtzig Meter! Ein solcher Aufwand von Material und Arbeitskraft konnte nicht bloß den Zweck einer einfachen Zu- oder Ableitung des See- oder Bergwassers haben. Es mußte noch ganz andere Gründe gegeben haben, diesen Zu- oder Abfluß nicht oben vor aller Augen, sondern hier unten in der Verborgenheit geschehen zu lassen. Wenn ich mich in die ferne Zeit zurückdachte, in welcher diese Bauten entstanden waren, so drängte mir die von unserer Fackel kaum einige Bootslängen weit durchbrochene Finsternis die Frage auf, ob dieses Wasser wohl als lebenspendendes Element oder aber als verschwiegener, düsterer Helfer des Todes betrachtet worden sei.

Bereits über achtzig Meter waren wir vorgedrungen. Der Duar lag droben hinter uns. Wir mußten uns ungefähr an der Stelle befinden, wo draußen, auf fester Felsenunterlage, die Cyklopenmauer begann. Da hörten hier unten die behauenen Quader auf; der Kanal wurde noch breiter und höher, so daß wir die Ruder bequem ausstrecken und rühren konnten, und die Wände bestanden aus dem mühsam durchbrochenen Gestein des Berges. Die Decke war gewölbt.

Hierauf kamen wir an einen Seitenkanal, welcher rechtsab führte, und lenkten in ihn ein. Er war genau so breit und so hoch wie der Hauptkanal, aber nicht lang. Auch hatte man sich bei der Herstellung weniger Mühe gegeben. Die rechte Seite war Naturgestein, die linke aber Mauer, aus Riesenblöcken ausgeführt, doch nichts weniger als glatt behauen. Es gab hüben wie drüben hervorragende Ecken, Kanten und Spitzen, welche nicht beseitigt worden waren. Da, wo dieser Seitenkanal aufhörte, wich die Decke plötzlich zurück. Wir sahen in eine dunkle Oeffnung hinauf, deren Höhe nicht abzumessen war, weil unser Licht sich hierzu als unzulänglich erwies.

»Was mag da oben sein, Effendi?« fragte Kara. »Ich sinne darüber nach, wo wir uns jetzt wohl befinden. Unter den Ruinen jedenfalls, aber an welcher Stelle?«

»Ich habe soeben auch im Stillen gerechnet,« antwortete ich. »Wenn ich morgen am Tage in den Ruinen nachrechne, werde ich es wissen. Auf dem Rückwege nachher werde ich die Steine, die alle von gleicher Länge und Höhe sind, genauer zählen. Jetzt schätze ich nur so ungefähr, daß grad über uns der unterste Urbau liegt, in dessen Vordermauer die kleinen Oeffnungen sind, welche wahrscheinlich Fenster bilden sollen. Ich schließe das auch aus dem Umstande, daß dieser Bau auf derselben Gesteinsart liegt, aus welcher hier die rechte Seite des Kanales besteht. Die Steine der linken Seite habe ich gezählt. Ich werde es mir notieren.«

Ich nahm mein Buch aus der Tasche, um mir diese Anmerkung zu machen. Da sagte Kara, indem er nach oben wies:

»Dort hängt Etwas an einer Spitze im Gestein. Es sieht genauso aus, als ob Jemand von da oben, wo hinauf wir nicht sehen können, heruntergestürzt sei, wobei ein Fetzen seines Gewandes dort losgerissen und festgehalten worden ist.«

Ich schaute hinauf. Es war so. Der hängen gebliebene Fetzen war ganz mit Kalksinter überzogen und also nicht vermodert.

»Mich schauert, Effendi!«, fuhr Kara fort. »Wenn dieses finstre Loch da oben in der Decke erzählen könnte, wie Viele hier in diesem dunkeln, eiseskalten Wasser sterben mußten – – – Laß uns umkehren! Mich friert!«

Wir griffen zu den Rudern und brachten uns in den Hauptkanal zurück, welcher nur noch eine kurze Strecke weiterführte und dann auf ein großes, unterirdisches Wasserbecken mündete, an dessen südlichem Ende wir uns befanden. Die Decke war so hoch, daß wir sie bei unserm schwachen Licht nicht sehen konnten. Zu unserer linken Hand verlor sich die natürliche Felsenwand dieses Bassins in tiefe Dunkelheit. Rechts lag die unbewegte und scheinbar ununterbrochene Flut in drohender Finsternis. Die Luft war feuchter als vorher, beinahe nässend und von einer moderigen Schärfe, als ob sich hier Fäulnisprozesse abgespielt hätten, die nun zwar vorüber waren, doch ohne daß der stechende Duft der Verwesung sich vollständig niedergeschlagen hatte. Das war nicht gut zu atmen, doch auszuhalten immerhin. Dabei brannte die Fackel ziemlich hell. Es mußte irgendwo eine Stelle geben, durch welche dieser unheimliche Raum mit der äußeren Atmosphäre in Verbindung stand.

»Das stinkt wie alte, nasse Gräber!« sagte Kara, indem er sich schüttelte. »Mich friert jetzt noch mehr als dort. Ich habe das Gefühl, als müßten in dem Wasser unter uns nur lauter Leichen liegen! Was tun wir jetzt, Effendi?«

»Wir untersuchen dieses Wasserbecken.«

»Meinst du, daß wir uns zurückfinden werden?«

»Ja.«

»Du hattest aber doch Sorge! Das zeigt die Weisung, die du Schakara erteiltest.«

»Ich dachte dabei an ein Unglück durch schlechte, erstickende Luft. Wir können aber doch atmen, und diese natürliche Höhlung ist doch wohl nicht so groß, daß man sich trotz aller Aufmerksamkeit in ihr verirren müßte. Wenn wir bedächtig vorgehen, kann uns nichts geschehen. Bleiben wir zunächst am Rande des Wassers! Hier links ist es alle. Wenn wir nach rechts hinüber diesem Rande folgen, bis wir zur jetzigen Stelle zurückkehren, haben wir seine Ausdehnung kennen gelernt und wissen, was es uns hierauf noch bietet. Komm!«

Wir lenkten vom Kanale rechts ab und fuhren längs der überstark erscheinenden Mauer hin, an deren andern Seite wir uns im Nebenkanale befunden hatten. Ich zählte ihre Quadern. Sie war hier etwas länger als drüben und schloß einen zweiten Seitenkanal mit ein, welcher zu unserer andern Hand nicht durch eine feste, kompakte Wand, sondern durch natürliche Pfeiler eingefaßt wurde, deren Höhe eine so beträchtliche war, daß wir die Decke selbst dann, als ich noch eine Fackel anbrannte, nur undeutlich sehen konnten. Diese Decke reichte auch hier nicht bis ganz an das Ende des Kanales. Es gab auch hier eine dunkel gähnende Öffnung oben, die irgend einen Zweck gehabt haben mußte. Indem ich prüfend emporschaute, äußerte sich Kara:

»Wahrscheinlich stürzte man auch hier diejenigen Personen hinunter in den Tod, die man verschwinden lassen wollte! Es gibt zwar kein bestimmtes Zeichen hierfür, aber – – – Allah ‚l Allah! Sieh dorthin! Was liegt da auf dem Stein?«

Er deutete nach dem letzten der erwähnten Pfeiler. Dieser ragte in einem Durchmesser von wenigstens sechs Meter aus dem Wasser, verjüngte sich aber sofort in einer Weise, daß dieser Durchmesser kaum noch zwei Meter betrug. Hierdurch entstand eine ebene Platte von vier Meter Breite, und auf dieser lag das, was Kara veranlaßt hatte, seinem Satz ein so erschrockenes Ende zu geben. Wir paddelten das Boot hin und sahen, daß der betreffende Gegenstand ein menschliches Gerippe war, ganz zusammengekrümmt, die Kniee bis an den Leib herangezogen, die eine Hand geöffnet, um nach Hilfe auszufassen, die andere aber geballt, wie in fluchender Drohung ausgestreckt.

»Das ist einer der Unglücklichen, von denen ich sprach!« rief Kara aus. »Er hat schwimmen können und sich über Wasser gehalten, bis er in der Finsternis zufälligerweise an den Pfeiler stieß. Er fühlte die ebene Stelle und kroch hinauf. Da ist er dann elend verschmachtet, verhungert, zu Grunde gegangen. Wie mag er gebetet, geflucht, geschrieen, gewimmert haben in dieser schrecklichen, nassen, erbarmungslosen Unterwelt! Geächzt, gestöhnt, gebrüllt, gezetert in fürchterlichster Qual und Todesangst, bis ihm die Heiserkeit die Stimme raubte, so daß er nur noch innerlich zu fluchen vermochte und mit dem letzten Fluch zu Allah ging, der ihn erhören mußte!«

Ich sagte nichts. Die Untersuchung des Skelettes war mir wichtiger als alle Reflexionen. Es war feucht, aber hart wie Stein, von Kalk ganz durch- und überzogen. Ein ausgewachsener Mann in den kräftigsten Jahren. Eine hohe, breite Stirn. Im Leben wohl ein schöner, kluger Denkerkopf. Der erste Gedanke seines Lebens ein Segen für die Mutter, der letzte eine Verwünschung seiner Geburt! Wie lange lag das versteinerte Gerippe hier an dieser Stelle. Jahrhunderte? Jahrtausende? Welchem Volke, welchem Stande, welcher Religion gehörten die Gräßlichen an, die ihn in einen derartigen Tod geschleudert hatten? Ich vermutete grad über uns den zweiten Werkstückbau mit den beiden Hochreliefs. Also Heiden!

39.Jesus, Mariens Sohn.
40.Schattenspiel, Posse.
41.Zündhölzer
42.Krebsleuchten.
Yaş sınırı:
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30 ağustos 2016
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