Читайте только на Литрес

Kitap dosya olarak indirilemez ancak uygulamamız üzerinden veya online olarak web sitemizden okunabilir.

Kitabı oku: «Im Reiche des silbernen Löwen IV», sayfa 12

Yazı tipi:

»Fort von hier!« sagte ich. »Ich habe mich absichtlich warm angezogen, weil ich mir sagte, daß es hier unten naßkalt sein werde. Aber ich glaube, hier friert auch mich!«

Das Bassin bog sich von hier nach links, um erst einen dritten und dann noch einen vierten Seitenkanal zu bilden. Und sonderbar: Erstens lagen diese Kanäle meiner Vermutung nach genau unter der dritten und vierten Etage der Ruinen. Und zweitens endete jeder mit einer ähnlichen Deckenöffnung, wie wir bei den beiden ersten beobachtet hatten. Wozu diese schauerliche Verbindung der sonnigen Oberwelt mit dem lichtlosen, unterirdischen Becken? Wasser war da oben doch stets und für alle Bedürfnisse mehr als genug vorhanden gewesen! Waren die Gründe vielleicht ebenso finster und unerbittlich wie die eiseskalte Flut, die unser Boot jetzt trug?

Indem wir wenden wollten und darum die Ruder tief in das Wasser tauchten, brachten wir dieses in lebhaftere Bewegung als bisher. Dieser Wellenschlag vervielfältigte in der Tiefe die Bilder unserer Fackelflammen. Die Brechung des Lichtes bewirkte ein scheinbares Emporsteigen alles Dessen, was sich da unten befand, und so erhob sich vor unsern Augen eine Menge menschlicher Gestalten, welche sich zu bewegen und drohend auf uns zuzuschwimmen schienen. Kara stieß einen gellenden Ruf des Schreckens aus, und auch auf mich wirkte dieser Anblick so, daß mir fast das Ruder entfallen wäre.

»Leichen, nichts als Leichen, über denen wir uns befinden!« preßte der junge Haddedihn hervor. »Effendi, leben wir noch, oder sind wir gestorben und müssen selbst auch da hinunter?«

»Fasse dich, Kara!« ermutigte ich ihn. »Wir leben, und auch unter uns ist nicht der Tod, sondern etwas ganz Anderes. Was das Verbrechen früherer Zeiten zu verbergen und zu vernichten suchte, das wurde durch das schwer kalkhaltige Wasser in Stein verwandelt, damit man später wisse, was der, welcher wirklich Mensch ist, von dem zu erwarten habe, der sich mit seinem Menschentum nur brüstet. Was du jetzt sahst, war Kalk, war Gips, war aufgelöster, weißer Ruchamstein. Denk dir, es seien bloß nur Marmorbilder, die man hier tief versteckte, damit sie nicht in falsche Hände kommen möchten! Rudern wir ruhig weiter!«

»Ja. Aber brenn noch eine Fackel an, damit es lichter um uns werde! Mir ist, als schaute rings der Tod aus tausend leeren Augenhöhlen zu uns her, und das ist eine Vorstellung, die mich peinigt!«

Ich tat es. Dann setzten wir die Untersuchung fort.

Diese ergab, daß wir es nicht mit einem, sondern mit zwei Wasserbecken zu tun hatten, einem vorderen, in dem wir uns befanden, und einem hinteren, welches wir einstweilen noch unbeachtet ließen, um das erstere vollständig kennen zu lernen. Wir vermuteten über uns eine hohe Wölbung. Sehen konnten wir sie nicht. Sie wurde von natürlichen, regellos stehenden Pfeilern getragen, Ueberreste der Steinwände, deren weiche, erdige Zwischenfüllung das Wasser weg- und in den See gespült hatte. Auch diese Wände waren nach und nach aufgelöst und zerfressen worden, und was von ihnen noch übrig war und von mir als »Säulen« bezeichnet wurde, sah so zerrissen, zerklüftet und durchlöchert aus, als ob es jeden Augenblick zusammenbrechen müsse. Diese Deckenträger hatten alle, ohne Ausnahme, das Aussehen, als ob sie aus weißem Pfefferkuchen beständen, der im Wasser gelegen habe und nur notdürftig getrocknet worden sei, um wenigstens einen Anschein von Festigkeit zu bekommen. Es gab in diesen ausgelaugten Gebilden Stellen, bei deren Anblick es mir war, als ob ich sie laut krachen und prasseln höre und als ob sie sich schon bewegten, um zusammenzubrechen. Wenn ich an die ungeheuren Mauerlasten dachte, welche auf diesem höchst unzuverlässigen Gewölbe ruhten, unter dem ich mich befand, so wollte mich eine Gänsehaut überlaufen, und es prickelte mir ängstlich in allen Fingerspitzen. Kara schien ganz dieselbe Empfindung zu haben, denn er sagte:

»Wer hier auf den Gedanken käme, eine Pistole abzufeuern, der wäre unrettbar verloren, denn der ganze Berg würde von dieser kleinen Erschütterung über ihm zusammenbrechen und ihn unter sich begraben! Wollen uns beeilen, fortzukommen, Effendi! Mir will fast bange werden!«

»Nur noch das hintere Becken!« sagte ich. »Vermutlich ist es nicht so groß wie dieses, und wir werden also schneller mit ihm fertig.«

»Aber, um Allahs willen, nur leise, leise; das bitte ich dich! Ich sehe Alles um und über uns wackeln!«

Daß dieses Gefühl nicht falsch war, das sollte sich uns später mehr als deutlich zeigen! Jetzt aber ruderten wir uns nach dem Hintergrunde, wo wir sonderbarer Weise wieder auf Menschenarbeit trafen. Es gab eine breite Mauer von gewaltigen, unbehauenen Blöcken, welche auf kompaktem Fels errichtet worden war. Es schien, als ob man durch diese Mauer das hintere Bassin habe vollständig verschließen und verbergen wollen. Warum wohl das? Doch bestand dieser Fels aus Kalk. Das Wasser hatte auch hier so auflösend und zerstörend gewirkt, daß nur noch die allerhärtesten Teile von ihm vorhanden waren. Und auf diesen wenigen, leichten Ueberresten lag die ganze Wucht der Riesenmauer! Wie war es doch nur möglich, daß nicht schon längst hier Alles, Alles zusammengebrochen war! Ein Halt war hier nicht mehr zu suchen und zu finden. Er mußte anderswo liegen, seitwärts oder oben, in irgend einem an sich geringfügigen Gegendrucke. Hörte dieser auf, so stand die Katastrophe zu erwarten! Ein Gewitter, ein kleiner Erdrutsch oder etwas dem Aehnliches konnte die letzte, wenn auch unbedeutende Veranlassung zu dem gewaltigen Zusammenbruche sein, welcher längst schon vorbereitet war. Einen längst entwurzelten Baum wirft, sei er noch so groß und stark, schließlich doch ein kleiner Druck schon um.

Wir schlüpften an einer der Stellen, wo die Mauer frei in der Luft schwebte, unter ihr weg und befanden uns dann im hintern Becken. Es war, wie ich vermutet hatte, nicht so groß wie das vordere. Säulen schien es nicht zu geben. Wir umruderten es in kurzer Zeit. Es bildete einen Halbkreis, dessen schnurgerade gebauter Durchmesser die Mauer war. Der Bogen bestand aus lückenlosem Fels, der sich hoch oben nischenförmig zusammenzuneigen schien. Als ich dies bemerkte, fiel mir die Sage von »Chodeh, dem Eingemauerten« ein, welche Schakara mir erzählt hatte. Fast unbegreiflicher Weise war dieser Fels fast glänzend schwarz, so ungefähr wie recht dunkler, polierter Serpentin. Wie das wohl kam?

Nachdem wir nun den Umfang dieses Innenbeckens kennengelernt hatten, beschlossen wir, es auch einmal zu durchqueren. Da stießen wir schon nach wenigen Ruderschlägen auf einen aus dem Wasser ragenden Riesenblock von genau rechteckiger Gestalt. Er war feucht, schlüpfrig, unten weiß überkalkt, je höher hinauf aber um so trockener und dunkler. Seine Kanten waren so geradlinig und scharf, daß ich diese Regelmäßigkeit für Menschenarbeit halten mußte. Seine oberen Linien lagen im Bereiche unserer Flammen. Auch sie waren genau wie nach Schnur oder Wasserwage gebildet. Das Ganze hatte so sehr das Aussehen eines allerdings gewaltigen Sockels oder Postamentes, daß ich eine der Fackeln nahm, mich aufrichtete und in die Höhe leuchtete, um zu sehen, ob sich Etwas darauf befinde, was seinen ganz ungewöhnlichen Dimensionen entsprechend war. Und richtig! Fast glich meine Ueberraschung einem frohen Schrecke! Das Licht fiel auf etwas wunderbar rein weiß Glitzerndes, etwas so schneeig Zartes und Unbeflecktes, daß ich zunächst meinen Augen gar nicht trauen wollte. Dieses lautere, keusche, unschuldige Weiß, auf welchem Millionen Flammenkörnchen brillierten, kam mir nach Allem, was wir hier unten bisher gesehen hatten, so heilig, so unbegreiflich vor, als ob mein Blick auf etwas Ueberirdisches, vollendet Seelisches gefallen sei!

»Siehst du Etwas, Effendi?« fragte Kara unter mir.

»Ja,« antwortete ich, noch immer staunend.

»Was?«

»Etwas wie aus dem Paradiese! Wir haben die Dschehenna43 hinter uns, den Ort des steingewordenen Erdenfluches. Hier aber ist es mir, als sei der Fluch in Segen umgewandelt, und was dort Kalk im Todeswasser war, das kniet hier erlöst im alabasternen Gebete!«

»Ich höre dich, aber ich verstehe dich nicht!«

»Das glaube ich! Auch ich kann nicht verstehen, wie das, was ich jetzt sehe, hierher gekommen ist. Es kniet hier Jemand, den ich bloß nur ahne. Ein betender Gigant! Mir leuchtet nur das Glied, das er vor Gott, dem Allerhöchsten beugt; das Andre steigt empor in Nacht und Grauen. Hebt er die Hände fordernd auf zum Himmel? Hält er sie still gefaltet in Ergebung? Hebt er kühn seine Stirn? Ist sie gesenkt zur Erde? Wirft er den Blick vertrauensvoll ins Weite? Bedeckt er zaghaft ihn mit demutsvollen Lidern? Was frage ich? Es ist genug, daß ich hier beten sehe!«

Ich ließ die Fackel sinken, steckte sie an ihren Ort und setzte mich wieder nieder. Es war mir, als müsse ich hier bleiben, bis irgend ein Ereignis nahe, diese »Anbetung in der Verborgenheit« nach Matthäus 6 Vers 6 zu beantworten. Aber ich nahm mir vor, recht bald zurückzukehren und diesen Ort so genügend zu beleuchten, daß ich die ganze Figur, die hoffentlich kein Torso war, vollständig und deutlich vor mir stehen hatte. Für heute war unser Werk vollbracht.

Wir verließen das zweite Bassin, nachdem ich mir einige Notizen über dasselbe gemacht hatte. Das vordere nahm ich noch sorgfältiger auf. Und als wir wieder in den Hauptkanal einfuhren, maß ich mit Hilfe einer Leine, die wir im Boote fanden, einen der Steine bis auf den Zentimeter genau, und da diese Quader alle die ganz gleiche Länge und Höhe hatten, so war es später leicht, eine Zeichnung anzufertigen, die es mir ermöglichte, die unterirdischen Linien zu Tage festzulegen. Wir passierten das verschließende Gestrüpp ganz in derselben Weise wie bei unserm Kommen, und als wir dann den Sternenhimmel wieder über uns hatten und die Zeit bestimmen konnten, sahen wir, daß während unsers Aufenthaltes in der Unterwelt doch mehr als zwei Stunden vergangen waren. Die Fackeln hatten wir natürlich verlöscht, bevor wir wieder in das Freie gelangten. Am Landeplatze angekommen, banden wir das Boot fest. Kara nahm die Fackeln, ich die Maßleine, und dann traten wir den Heimweg an.

»Effendi, glaubst du, daß ich froh bin, wieder festen Boden unter den Füßen und den Himmel über mir zu haben?« fragte er. »Dieses fürchterliche, tief verschwiegene Wasser! Diese lügnerischen Säulen! Und dieser unermeßliche Druck von oben, den sie zu halten vorgaben und doch unmöglich halten können! Ich habe fast gezittert, und es ist mir, als ob ich einem beinahe unvermeidlichen und gräßlich heimtückischen Tode entronnen sei!«

Er hatte ganz meine eigenen Gefühle ausgesprochen. Bei mir kam ja noch dazu, daß ich schwer krank gewesen war und für solche Eindrücke also empfänglicher sein mußte als er. Es war eigentlich höchst unvorsichtig von mir gewesen, diese Untersuchung des Erdinnern schon jetzt vorzunehmen; aber die Zeit und die Ereignisse drängten, und glücklicher Weise hatte ich mich weder erkältet, noch fühlte ich mich sonstwie körperlich geschädigt. Es hatte ganz im Gegenteile den Anschein, als ob durch dieses Unternehmen die Energie sowohl des Leibes wie auch der Seele gehoben worden sei. Ich fühlte mich eher gekräftigt als ermüdet oder gar abgespannt.

Schakara freute sich, als wir kamen. Sie sagte, daß sie bereits begonnen habe, um uns besorgt zu werden. Als Kara mich fragte, ob er ihr Alles erzählen dürfe, sagte ich, daß dies ganz selbstverständlich sei, forderte ihn aber auf, gegen Jedermann sonst zu schweigen. Dann ging ich hinauf zu mir, brannte die Lampe an und setzte mich an den Tisch, um die Zeichnung der beiden Bassins jetzt sofort anzufertigen. Die Eindrücke waren jetzt so frisch, daß ich fast jede Einzelheit in größter Deutlichkeit vor mir sah, und als ich fertig war, konnte ich überzeugt sein, mich um keinen einzigen Meter geirrt zu haben. Es galt nur noch morgen am Tage diese Grundebene mit der Neigung des äußern Terrains in Einklang zu bringen.

Ganz von selber versteht es sich, daß die unverlöschlich tiefen Bilder, welche ich mit nach Hause gebracht hatte, mich noch auf das Lebhafteste beschäftigten, als ich mich hierauf zur Ruhe legte. Der Schlaf wollte nicht kommen, und als er sich endlich doch einstellte, nahm er sie mit in jenes seelische Gebiet hinein, welches für uns noch im Geheimen liegt und mit dem Verlegenheitsnamen Traumwelt bezeichnet wird.

Ich träumte, und zwar mit einer Lebhaftigkeit und Deutlichkeit, als ob ich nicht schlafe, sondern wache. Und ich träumte sonderbarer Weise, daß ich nicht ich, sondern der Ustad sei. Ich war völlig identisch mit ihm und kannte jede verflossene Minute seines Lebens und jedes Wort, welches er geschrieben hatte. Und das verwischte sich nicht; das blieb auch nach dem Traume. Sein Inhalt war folgender:

Ich kam als Ustad in das Land der Dschamikun und sah die Bauten hier am Berge liegen. Ich nahm ihr Aeußeres in Augenschein, und was ich dabei sah, das ließ den Wunsch in mir erwachen, auch mit dem Innern genau bekannt zu werden. Ich fragte Jemand, wo der Eingang sei. Da sah er mich mit kalten Augen an und sprach:

»Ich bin kein Dschamiki. Ich bin der Geist, der jeden Nahenden vor der Versuchung warnt, den kühnen Schritt in diesen Bau zu lenken. Wer ihn betritt, der hat für alle Ewigkeit auf sich, auf Leib und Geist und Seele zu verzichten. Wer das nicht tut, verläßt ihn niemals wieder, nicht lebend und nicht tot. Die Schatten dulden nicht, daß sie verraten werden.«

»Die Schatten?« lachte ich. »Wo ist der wesenlose, impotente Sill, der eine wirkliche Persönlichkeit wohl fürchten machen könnte!«

»Frag anders! Frage so: Wo ist die mächtige Persönlichkeit, die Jeden, der ihr dunkles Reich betritt, zum Schatten macht, verzaubert oder tötet? Sie wohnt und herrscht in diesem Riesenbau. Willst du hinein, so halte ich dich nicht; ich habe nur zu warnen, nicht zu zwingen. Unzählige schon hörten nicht auf mich. Die Starken sah ich niemals wiederkehren; die Andern aber waren ihm, dem Zauberer, in andrer Art verfallen. Sie kamen zwar zurück, doch nur als seine Schatten, die geist- und körperlos an mir vorüberschlichen, um vampyrgleich der Menschen Blut zu saugen.«

»Und fand sich Keiner, der ihm widerstand?«

»Nicht Einer!«

»Das schreckt mich nicht. Was Zauber heißt, ist Lüge. Nur wer die Lüge glaubt, ist ihr verfallen. Ich tue so, wie Alle, die nicht hörten: Ich will hinein, ja nun erst recht hinein! Gib mir den Mächtigen zu sehen, von dem du sagst, daß Jedermann dem Tode oder ihm verfallen sei! Ich glaube nicht an seine Macht und auch nicht an den Tod!«

»Du glaubst nicht an den Tod?« fragte er, indem er mich ganz eigen ansah. »Kannst du beten?«

»Ja.«

»Richtig?«

»Ich hoffe es.«

»So geh hinein! Wenn du nicht anders willst! Du bist der Erste, der Einzige, bei dem ich es wage, einen Wink zu geben. Er heißt: Such dir den Rückweg selbst; laß ihn dir ja nicht zeigen!«

Nach diesen Worten winkte er unter sich. Da öffnete sich die Erde, und ich sah die Stufen einer Treppe.

»Ich danke dir! Mich siehst du nicht als Schatten wieder!« sagte ich und stieg hinab.

Da kam ich denn zunächst in jenen Urzeitbau, der auf dem festen Felsengrunde steht. Der Tag gab durch die Maueröffnungen ein falbes Dämmerlicht. Ich wanderte im Innern auf und ab, sah aber nichts; der Raum war völlig leer. Es schien, man habe ihn vollständig ausgeraubt, wie man zum Beispiel hier und da mit gottesdienstlichen und philosophischen Systemen tat. Da werden die Gedanken fortgeschleppt wie Möbelgegenstände, die man, gehörig ausgeklopft und wieder neu poliert, in eine neue Wohnung stellt und auch als neu bezeichnet! Das Ende dieses Baues gegen Süden war zugeschüttet worden. Ich wußte wohl, warum: Das war der Ort des Sturzes in das Wasser.

Auf Binnenstufen ging‘s hinauf zum zweiten Bau, der mich an Altiranisches, an Zarathustra mahnte. Auch er war leer, vollständig leer. Kein Mensch, kein andres Wesen ließ sich sehen. Auch ausgeraubt und Alles fortgeschafft! Man sollte doch Vergangnes heilig halten! Nicht es dem eignen Zwecke dienstbar machen und dann die Zeit verdammen, die es schuf! Der Schluß nach Süden war vermauert worden.

Nun ging es wieder stufenauf ins doppelte Geschoß mit den zersprungenen Tafeln. Da lag wohl hier und da ein alter Gegenstand, den man des Raubes nicht für wert gehalten hatte, auch gab es Spuren, die mich schließen ließen, daß Menschen hier zuweilen noch verkehrten, doch jetzt war ich allein. Wirklich? Ganz allein? Wurde ich nicht beobachtet? Der letzte Raum nach Süden war verschüttet, doch nicht bis an die Decke. Man konnte sich da oben wohl verstecken, und in dem losen Schutt sah ich die Spuren, daß man noch kürzlich hier hinaufgestiegen war. Das war zwar ungefährlich für Vertraute, doch nicht für Fremde, die vielleicht hier einen Ausgang suchten; denn jenseits ging der Sturz jäh ins Bassin hinab. Und als ich so von Weitem stand und nach der Decke schaute, schob sich ein Kopf da oben leise vor, um mich in scharfen Augenschein zu nehmen. Das Haar war weiß wie Schnee, der Blick spitz wie die Klinge eines Dolches. Ein Mensch, der solche Augen hat, weiß, was er will, und kennt die Schonung nicht. Er hat sogar den Mut, sich dicht am Abgrund lauschend zu verbergen, wenn es nur Hoffnung gibt, daß dann ein Andrer stürzt. Ich tat natürlich so, als ob er von mir ungesehen sei, und ging zur nächsten Treppe, um nach dem obersten Geschoß, dem vielgestaltigen, emporzusteigen.

Sie führte nicht direkt zu ihm empor. Sie mündete auf eine offene Tür, an welcher eine dunkle Schattenhaftigkeit sich tief vor mir verbeugte und mit gedämpfter, hohler Stimme sprach:

»Wir kennen deinen Wunsch und haben dich erwartet. Du glaubtest gleich hinauf zum Oberbau zu kommen, mußt aber erst durch die Gewölbe hier, als deren Resultat er stein- und ziegelweis entstand. Hier sind die Schätze alle aufgespeichert, die sich der Mensch seit Anbeginn erdacht. Wir trugen sie zusammen, woher, wozu, warum, das wirst du dann erst hören, wenn dich die Gnade unsers Herrn erleuchtet. Er ist bereit, mit dir zu sprechen. Er ist sogar gewillt, dich seinem Dienst zu weihen. Damit du siehst, wie reich er lohnen kann, wie übervoll er spendet, soll ich dich vorher erst durch diese Räume führen. Doch hast du mir dein Wort zu geben, nie zu verraten, was ich dir hier zeige. Von Andern fordere ich den heiligsten der Schwüre, doch von dir weiß ich, daß dein Wort genügt. Willst du es geben?«

»Ja,« antwortete ich, obgleich ein Etwas in mir sagte: »Gib es ihm nicht, und berühre ihn nicht, sonst bist du ihm verfallen!«

»So reiche mir die Rechte!«

Ich tat es. Seine Hand fühlte sich so gegenstandslos weich, so leichenkühl, so gallertglatt und schlangenschlüpfrig an! Es war, als ob er durch diese meine Berührung nun erst Leben und Energie bekäme.

»Komm, folge mir!« forderte er mich in plötzlich befehlendem Tone auf. »Und sprich mit Niemand als mit mir allein! Denn durch die Hand, die du als Schwur mir gabst, bist du mein Eigentum in Gott, dem Herrn geworden. Du hast kein Recht, an Andre dich zu wenden, als nur an mich, den für dich Sorgenden!«

Er faßte meine Hand kräftiger, und darum bemerkte ich deutlicher, daß er mir die Kraft entzog, die von mir auf ihn überging. Dann richtete sich die Gestalt, die sich soeben noch so tief vor mir verneigt hatte, so hoch auf, daß sie mich weit überragte, und fuhr in höchst bestimmter, gebieterischer Weise fort:

»Mein ist dein Geist; mein ist auch deine Seele, und nur der Leib bleibt einstweilen dein, bis ich bestimme, wie und wo er uns zu dienen habe. Aus meiner Hand strömt dir das höchste Glück, das es für Menschen gibt in Zeit und Ewigkeit: Du bist vollständig willenlos und folglich frei von jeder Schuld und Sühne! Tu Alles, was ich sage, ob Gutes oder Böses, der Rechenschaft bist du fortan enthoben, denn ich bin es, der sie zu leisten hat. Auch ich gehorche nur, um frei zu sein. Das tut ein Jeder, bis hinauf zum Höchsten! Im Auftrag meines Herrn belohne ich dir schleunigst jede Tat, durch welche du uns nützest. Und in derselben Machtvollkommenheit verzeihe ich dir Alles, wodurch du Andern schadest, nur nicht uns! Drum sei getrost, mag kommen, was da will! An unsrer Macht geht jeder Feind zu Grunde!«

Hierauf zog sich die, wie es schien, ganz beliebig dehnbare Gestalt in ihre vorherige Bescheidenheit zusammen und begann mit mir den Gang durch die Gewölbe, meine Hand nicht einen Augenblick aus der ihrigen lassend. Es war mir, als ob ich mit ihr durch ein unsichtbares Röhrchen verbunden sei, durch welches der Abfluß meiner Lebensenergie zu diesem Schatten hinüber stattfinde. Es konnte nicht sehr lange Zeit dauern, so war mein Mut dahin und mit ihm auch die Kraft zum Widerstande. Ein Vampyr geistiger Natur! Ein schwammiges Gespenst von unersättlicher Porosität! Durfte ich mir zumuten, ihm die Hand so lange zu lassen, bis ich gesehen hatte, was ich sehen wollte? War ich dann nicht wahrscheinlich schon so willenlos, daß ich sie ihm nicht mehr entziehen konnte? Ich wagte es, denn ich glaubte, mich genau zu kennen! Wer Vampyre entlarven will, der muß es wagen, sie an sich saugen zu lassen, bis sie so voll sind, daß sie ihm nicht entfliehen können!

Es waren viele Räume, durch welche wir kamen, weit mehr, als ich für möglich gehalten hätte. Lange, niedrige Gewölbe mit schmalen Mauernischen, in denen düsterrot die wenigen Fackeln brannten. Alles Wertvolle, was sich einst in den untern Etagen befunden hatte, war hier aufgestapelt. Dazu die köstlichsten Schmuggelwaren aus allen Ländern, Zonen und Gedankenreichen. Ich dachte an unsern Fund im Innern des Birs Nimrud. Aber was wir dort gesehen hatten, war Bettelarmut gegen diesen Reichtum hier! Und dort gab es kein Leben in der Tiefe. Hier aber huschten zwischen diesen Schätzen geschäftige Dämonen hin und her, die alle Hände voller Arbeit hatten. Unhörbar waren alle ihre Schritte, und Alles, was sie taten, erzeugte nicht das mindeste Geräusch. Die Gieresblicke, die sie auf mich warfen, verrieten mir, wie heiß sie mich begehrten. Doch wenn sich einer nahte, die Hand nach mir zu strecken, so schwoll mein Führer zum Giganten auf und schleuderte den Schwachen auf die Seite. Das war die Kraft, die er von mir zu sich hinüberzog. Da er mich hatte und sie aber Keinen, von dessen Uebermacht sie zehren konnten, war er für sie der große Held des Tages, von dem sie sich für heut beherrschen ließen.

Ich wollte wissen, was sie alle taten, und blieb zuweilen stehn, um zuzusehen. Mein Führer glaubte, mich für immer in seiner Hand zu haben, und zeigte mir ganz offen, was man trieb. Es wurde hier gefälscht, gefälscht und nur gefälscht! Das Echte hatte man der Außenwelt entzogen, das Wahre, Reine, Edle hier versteckt. Die Täuschung und den Schein, die Falschheit und Entstellung verfertigte man hier und trug sie dann hinaus als ehrliche, rechtschaffne, gute Ware! Und diese Arbeit ging sehr flott von statten. Ich sah, es war ein glänzendes Geschäft! Ein einziger Verrat, dem es gelang, ans Tageslicht zu kommen, bedeutete für dieses Fälschertum sofortigen Ruin! Daher die einz‘ge Wahl: Mitmachen oder Tod! Wozu von Beidem würde ich, wenn man mich zwingen sollte, mich wohl entschließen?

Bei diesem Gedanken entriß ich dem Schatten meine Hand mit einem so unerwarteten, kräftigen Rucke, daß er überaus schnell und klein zusammenfuhr. Er dehnte sich aber hierauf sofort zur riesenhaften Größe aus und donnerte mich an:

»Was fällt dir ein! Diese Hand gehört mir, denn du bist mein Eigentum! Gib sie augenblicklich wieder her!«

Ich wußte, daß jetzt der Kampf zwischen mir und ihm beginnen werde. Und die anwesenden Sillan ahnten das wohl auch. Sie drängten sich herbei. Ich schob sie auseinander, um zur nächsten Nische zu gelangen, ergriff die dort brennende Fackel und drehte mich dann mit ihr nach ihnen um. Was geschah? Sie verschwanden. Sie versteckten sich hinter ihre aufgehäuften Waren; sie waren eben Schatten, die, bei Licht betrachtet, hinter ihre Gegenstände gehören. Nur der Eine blieb. Er allein hatte Mut, nämlich meinen Mut, von mir in seine wesenlose Schwammigkeit hinübergesaugt. Wir standen, beide hoch aufgerichtet, vor einander. Er schaute mir mit einem vernichtend sein sollenden Blicke in die Augen; ich ihm ebenso! Jetzt galt es, Wahrheit gegen Lüge, Person gegen Schatten, Individualität gegen Scheinmenschlichkeit, Licht gegen Finsternis!

Ich sprach kein Wort, er auch nicht. Ich wollte nicht, und er konnte nicht. Ich sah ihn fest und unverwandt an und zuckte mit keiner Wimper. Er wollte diesem Blicke standhalten, mußte aber bald die Augen senken. Ich stand still, fest, unbewegt; er begann zu wanken, zu zittern, endlich gar zu flackern wie die Flamme meiner Fackel. Dann wurde er kleiner, immer kleiner, sank nieder, bis er auf dem Boden lag und kroch da langsam an mir vorüber, um nach hinten zu kommen. Und als er da so vor mir bebte und sich so ängstlich vor mir wand, da fühlte ich, daß die mir gestohlene Kraft und Energie zurückkehrte, bis er nicht mehr eine Spur von ihr besaß und in seiner ganzen Ohnmacht hinter mir am Boden lag. Da drehte ich mich zu ihm um, die Fackel in der Rechten. Er floh zur linken Seite, nach der Wand, und versuchte, sich an dieser aufzurichten. Als ich hinüberschaute, wendete auch er das Gesicht. Denn ein wahrhaftiger und ehrlicher Mensch hat es noch nie erlebt, daß so ein entlarvter Lügner und Betrüger es wagte, ihn offen anzusehen. Diesen Mut besitzt er nur dann, wenn es ihm gelungen ist, sich durch den Diebstahl fremder Charakterhaftigkeit das Ansehen zu geben, daß er auch eine Art von Person und nicht bloß nur ein nichtiger, bedeutungsloser Schatten sei!

Das war der Sieg, in aller Stille, ohne jeden Zorn und ohne alle Worte! Und nun auch dieser Schatten überwunden war, begann ich den Rundgang durch die Gewölbe von Neuem, um besser und tiefer zu sehen, als ich vorher gesehen hatte. Ich war allein. Es getraute sich nichts mehr an mich heran. Wo ich mit meiner Leuchte erschien, verkroch sich jeder Schatten augenblicklich. Der meinige schlich zwar beständig hinter mir her, wagte aber nicht, sich wieder zu erheben.

Bei diesem meinem zweiten Rundgange bemerkte ich, wenn nicht zu meinem Schrecken, so doch zu meiner Ueberraschung, daß die Tür, in welche die Treppe eingemündet hatte, nicht mehr vorhanden war. Ich wußte die betreffende Stelle ganz genau. Die Gegenstände, welche ich bei meinem Eintritte zuerst gesehen hatte, standen und lagen alle noch an ihrem Orte. Aber anstatt der Tür gab es jetzt nur Mauer, starke, dicke, undurchdringliche Mauer! Ich suchte darum mit allem Fleiße nach einem zweiten Ausgange, fand aber keinen andern als nur den am Südende dieses Baues. Auch dieser führte zum jähen Sturz hinunter in das Bassin. Er war weder vermauert noch verschüttet, sondern bestand aus einer hölzernen, unverschlossenen und unverriegelten Tür, welche durch einen leisen Druck geöffnet werden konnte. Das sah so unschuldig aus, ganz genau so, als ob sie in ein weiteres Gemach oder Gewölbe führe; aber wehe dem, der diesem Betruge traute! Ich öffnete sie und leuchtete hinaus. Gleich hinter der Schwelle hörte der Fußboden auf. Der Abgrund gähnte aus dem tiefen Wasser herauf, und eine kalte, feuchte Luft roch nach Verwesungsgasen.

Ich machte wieder zu und wendete mich zurück. Wie hatte der Warnende draußen vor dem Bau gesagt? »Die Starken sah ich niemals wiederkehren!« Ja, sie hatten zwar widerstanden, waren aber nicht auf den Gedanken gekommen, nach einer Fackel zu greifen, um die Schatten von sich abzuweisen. Nach einem Ausgange suchend, waren sie von ihnen zu dieser Tür gewiesen worden und hierauf ahnungslos hinabgestürzt.

Ich dachte an die verkalkten Leichen auf dem Grunde des Bassins, welche grad unter dieser Tür im tiefen Wasser lagen, da hörte ich Schritte, welche vom andern Ende des Gewölbes kamen, und als der Betreffende in den Scheinkreis meiner schon fast ganz herabgebrannten Fackel trat, erkannte ich ihn sofort. Er war der Lauscher mit dem weißen Haare und den Dolchaugen, der mich in der vorigen Etage von dem Schritthaufen aus beobachtet hatte. Hinter ihm eine so große und so dicht zusammengedrängte Menge von Schatten, daß sie gar nicht einzeln unterschieden werden konnten, sondern zusammen eine kompakte Finsternis bildeten. In meine Nähe gekommen, blieb er stehen und rief mich an:

»Was will der Ustad hier in meinem Reiche? Der größte Feind, den ich auf dieser Erde habe! Du suchst nach einer Tür, mir wieder zu entschlüpfen! Für dich, der mich vernichten will, gibt‘s keine!«

Er trat noch mehrere Schritte auf mich zu. Indem er dies tat, wurde er höher und immer höher. Nun überragte er mich um Kopfeslänge und auch um eine ganze Schulterbreite. Seine Stimme klang fest, stark, keinen Widerspruch erwartend. Ich sah ihm ruhig in die stechenden Augen, denn es galt hier einen zweiten, aber andern Kampf, und wer siegen will, muß ruhigbleiben können.

»Es wurde dir gesagt, daß ich dich sprechen wolle,« fuhr er fort. »Es sei dir hier die Audienz gestattet. Nun sag, um welche Gunst du mich zu bitten hast!«

»Ich höre, daß ich mich im Schattenreich befinde,« antwortete ich. »Es sei die Wahrheit noch so sonnenklar, der Schatten wendet sie gewiß zur Lüge! Mir fiel es nicht im tiefsten Traume ein, mit dir auch nur das kleinste Wort zu sprechen. Du aber ließest mir durch eines deiner Nichtse sagen, daß du den Wunsch besäßest, mich zu sprechen. Wer ist es nun, der Audienz erteilt? Wer ist der Wünschende, und wer ist der Gewährende? Und eine Gunst? Von dir? Für mich? Du bist verrückt! Doch wird es mir vielleicht ergötzlich sein, zu hören, was die Narrheit von mir fordert. Drum sprich!«

Täuschte ich mich, oder war es wirklich so? Seine Höhe nahm wieder ab, auch seine Breite. Und seine Stimme klang nicht so voll und so gebieterisch wie vorher, als er jetzt erwiderte:

»Du sprichst ja ungeheuer stolz, Ustad! Doch werde ich dich schnell zur Demut bringen. Du bist der Erste nicht und sicherlich auch nicht der Letzte! Ich weiß es, was geschah, als du den Berg betratest, das Reich des Zauberers, des Schwachheitshassenden zu sehen. Man warnte dich. Man sagte dir, daß du nur zwischen Schatten oder Tod zu wählen habest. Du kannst trotz alledem. Nun bist du mir verfallen. Nun wähle!«

43.Hölle.
Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
30 ağustos 2016
Hacim:
710 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 5, 1 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre