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Kitabı oku: «Im Reiche des silbernen Löwen IV», sayfa 13

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»Wählen?« fragte ich. »Wer kann es wagen, mich vor eine Wahl zu stellen, die mir von dem, was mir beliebt, nichts bietet! Gibt es hier eine Wahl, so lautet sie: Du oder ich; nichts weiter. Natürlich wähl ich mich!«

Da trat er mir wieder einen Schritt näher und fragte mich in giftig zischendem Tone:

»Nicht Schatten willst du sein? Der Schatten von mir, der ich der Herr und Meister bin, dem Keiner widersteht?«

»Versuch es doch, ob ich nicht widerstehe!«

»So bleibt dir nur der Tod!«

»Der eine deiner größten Lügen ist!« lachte ich. »Mit diesem Tode konntest du nur jene schwachen Köpfe schrecken, die nicht erkannten, daß er nur ein Hirngespinst zu ihrer Knechtung sei. Indem sie ihren Leib vor dieser Vogelscheuche retten wollten, verfielen sie dem Geist- und Seelenmorde. Zeig mir doch diesen Tod, den lächerlichen Schatten, den nur das Leben der Betrognen wirft, weil ihm das falsche Licht der Lüge leuchtet!«

»Du hast ihn schon gesehen!« rief er aus. »Ich stand von Weitem, als du öffnetest und ihm ins kalte, feuchte Antlitz schautest. Wagst du vielleicht, es noch einmal zu tun?«

Da riß ich die Tür auf, zeigte hinaus und sagte:

»Geh doch voran, zu zeigen, wo er steht! Hast du den Mut? Ich laß nicht auf mich warten!«

Es stieg bei diesen Worten in mir ein Entschluß auf. Woher er kam? Ich weiß es nicht. Wohin er führte? Hier durch diese Tür. Ich fühlte, daß seine Kühnheit mir die Wangen rötete und meine Augen leuchten ließ. Und während ich dies empfand, kam mir im Traume das Bewußtsein, daß ich träume und daß ich ich und nicht der Ustad sei. Sonderbar! Auch in den Zügen meines Gegners ging eine sichtbare Veränderung vor. Er sah mich starren Blickes an, erst überrascht, dann verwundert, staunend, endlich gar betroffen. War es ein Wehe- oder ein Jubelruf, den ich hierauf von seinen Lippen hörte:

»Ustad, Ustad – – – was ist mit dir?! – – – Dein Gesicht wird ein ganz anderes! – – – Du bist nicht mehr der Ustad, nein, nein – – – nein! – – – Wer aber bist du denn? Etwa der fremde Effendi, der jetzt bei ihm im hohen Hause wohnt und unten im Birs Nimrud verwegen in die Tiefe stieg, um ihr Geheimnis an das Licht zu bringen?«

»Ja, der bin ich,« antwortete ich. »Doch träumte ich bisher, daß ich der Ustad sei.«

Da sprang er auf mich zu, faßte mich am Arme, schüttelte mich und schrie:

»Du träumst, du träumst und bist ein Anderer! Was soll geschehen; was habe ich zu tun! Ich weiß es nicht; ich weiß es wahrlich nicht! Wach auf; wach auf! Ich öffne dir sofort des Berges Tore! Du sollst nicht Schatten sein und auch nicht sterben! Nur eile fort von hier! Ich selbst will dich hinaus ins Freie lassen, damit dein Traum ein frohes Ende nimmt und du zu deinem Körper wiederkehrst, damit er jetzt erwache!«

Da schob ich ihn von mir, sah ihm ruhig in das erregte Angesicht und entgegnete:

»Dieser Körper ruht in Frieden. Er mag weiterschlafen! Warum soll ich nicht vollenden, was ich begonnen habe? Ich bleibe hier! Grad deine Angst zeigt mir, daß ich es bin, der hier Audienz erteilt! Ich fordre jetzt von dir, daß du erfüllst, was du mir drohtest: Mach mich zum Schatten, oder töte mich! Tu das, was du von Beiden fertig bringst!«

Da zog sich seine Gestalt noch weiter zusammen. Doch versuchte er, seiner Stimme die alte Kraft zu geben, als er mir versicherte:

»Wenn du hierauf bestehst, so bist du verloren, denn ich habe die Macht, Beides wahr zu machen! Indem ich dir folgte, ließ ich sämtliche Fackeln hinter dir auslöschen und verbergen. Du hast die einzige in deiner Hand, und sie ist nur noch ein kleiner Stumpf, der kaum noch einige Minuten brennen wird. Dann kannst du meine Schatten nicht mehr scheuchen. Sie drängen sich an dich und nehmen dir den Willen und die Kraft, bis du das bist, was du nicht werden willst: mein Sill!«

»Wer kann mich zwingen! Verlöscht das Licht, so steht die Tür hier offen!«

»Doch draußen auch der Tod!«

»Deine Scheuche! Mich aber schreckt er nicht!«

Was war denn das? Es ging jetzt wie ein frohes, verklärtes Staunen über sein Gesicht. Und doch klang es wie Angst, als er mich aufforderte:

»Du bist also entschlossen, zu sterben, Effendi! So fordere ich dich auf, dich vorzubereiten. Du stehst vor deinem letzten Augenblick und hast dich dem Gebete zuzuwenden. Falte also deine Hände, und sprich nach, was ich dir vorzubeten habe!«

Er legte die seinigen zusammen und sah mich an, als ob er ganz bestimmt erwarte, daß ich diesem seinem Beispiele folgen werde. Ich aber sprach:

»Meinst du, daß ich dich brauche, dich, dich, wenn ich zu beten habe? Für mich ist das Gebet von göttlicher Natur, und darum ist das rechte, wahre Beten wenn nicht die allergrößte, so doch die schwerste und die heiligste der Künste. Hier aber sah ich nichts als Trug und Fälschung, und darum glaube ich, daß du sogar betrügst, indem du betest!«

Da ballte er die Fäuste wie zum Kampfe und schrie mich an:

»So stirb in deinen Sünden und fahre hin zur Hölle!«

Er holte aus und schnellte sich mit aller Kraft auf mich, um mich hinabzustürzen, der ich in fast unmittelbarer Nähe der Tür stand. Ich aber wich blitzschnell zur Seite.

Die Gewalt des Sprunges trieb ihn also, anstatt mich zu treffen, in die Türöffnung hinein. Er brüllte vor Schreck laut auf und faßte hüben und drüben an, um sich zu halten.

»Voran mit dir, damit ich Wort zu halten habe!« rief ich. »Ich laß nicht auf mich warten!«

Ein Stoß von meiner Faust, und er flog hinaus ins Bodenlose. Die Fackel in meiner andern Hand stand im letzten Flackern. Ich schleuderte sie ihm nach. Von unten klang ein Schrei und dann ein dumpfer Schlag. Vor mir die tiefste Finsternis und hinter mir das Grausen aller Schatten! Ich trat auf die Schwelle. Ein einziges Wort, ein allereinziges, klang betend in mir auf. Dann schnellte ich mich, um nicht am Gemäuer anzuschlagen, mit weitem Sprung hinaus in das, was mir als »Tod« bezeichnet worden war.

Die Beine zusammenhaltend, die Arme angezogen und die Augen geschlossen, fuhr ich in eine Eiseskälte, die mich sofort erstarren machen wollte. Aber sie hatte auch noch eine zweite Wirkung: Es war mir, als ob ich in eine Flut der Kraft, des Lebens tauche, die nur im ersten Augenblick erschrecke, dann aber grad das Gegenteil von der Erstarrung bewirke. Der Sprung war hoch gewesen, so hoch, daß ich bis auf den Boden des Wassers niederkam, zu den Verkalkten, die da unten lagen. Dann breitete ich die Arme aus, tat den bekannten Schlag, um wieder hochzukommen, und legte mich hierauf, leicht paddelnd, auf die Flut. Nun horchte ich.

Hier um mich her war Alles still. Jedoch in einiger Entfernung klang das Wasser. Es war, als schwimme Jemand dort und hole ängstlich Atem. Ich kannte wohl die Stelle, an der ich mich befand, jedoch noch nicht die Richtung. Ich war mit dem Gesicht nach Süd herabgesprungen. Hatte ich das beibehalten, so mußte die Mauer hinter mir liegen. Dort schwamm ich hin und fühlte schon nach einigen Stößen den Stein. Das konnte auch ein Pfeiler sein. Darum griff ich mich an ihm hin. Es war die Mauer. Ich hatte sie rechter Hand und lag also mit dem Kopfe nach dem inneren Bassin hin auf dem Wasser.

Von dorther klang Geräusch. Es rauschte, und es stöhnte. War das der »Zauberer«? Hatte er sich gerettet? Kannte er die Oertlichkeit? Wußte er Etwas von dem Kanal? Wenn nicht, so war er verloren, wenn ich ihn im Stiche ließ. Ich schwamm also hin, leise, leise, um ihn nicht durch Zurufe vor der Zeit in Angst zu bringen. Wenn er mich hörte, mußte er denken, daß ich ihn verfolge, und das konnte ihn verwirren, so lange er noch auf offenem Wasser war. Ich berechnete hierbei jeden Stoß und jeden Schlag, den ich tat, um zu wissen, wo ich immer sei.

Als ich nach meiner Schätzung unter der in der Luft hängenden Mauer hindurchgekommen war, hörte ich ein lautes, schweres Atmen, als ob sich Jemand anstrenge, an irgend Etwas emporzukommen. Das war dort beim Riesenpostamente. Ich näherte mich ihm. Nun hörte ich nichts mehr. Dann aber klang eine halblaute, doch hier in diesem akustischen Raume sehr vernehmliche Stimme:

»Ist er tot? Ich hörte nichts! Mein Gott und Herr, laß ihn doch leben! Erhalte ihn, den Ersten, den Allerersten und den Einzigen, der über unsre »Vogelscheuche« lachte!«

Das war ja ein Gebet! Und zwar für mich! Kein angelerntes, sondern eingegebenes! Da durfte und mußte ich allerdings antworten!

»Ich lebe, denn es gibt ja keinen Tod!« sagte ich in gewöhnlichem Tone, und doch erdröhnte es, als ob es mit aller Kraft der Stimme hinausgerufen worden sei. Die Schallwellen fluteten unter der hängenden Mauer hinaus in das vordere Bassin, und da hörte ich es von Säule zu Säule durch die Finsternis weiter und weiter klingen: »Keinen Tod – – keinen Tod – – keinen Tod – – keinen Tod – – Tod – – Tod – – Tod!«

»Du bist es, Effendi, du?« fragte er.

»Ja.«

»Komm, rette mich!«

»Sogleich! Wo befindest du dich?«

»Da, wo du mich – – mich – – mich – – ich darf es dir nicht sagen. Das muß von selbst geschehen!«

»Was?«

»Komm herauf!« wiederholte er, ohne auf dieses mein »Was?« einzugehen.

Ich erreichte den Sockel. Im Wachen war er mir ganz unersteigbar vorgekommen; jetzt aber, im Traume, gelang es mir fast leicht, mich hinaufzuschwingen. Er hockte auf der einen Seite der Figur; ich setzte mich auf die andere.

»Sei still!« bat er.

»Warum?« fragte ich doch.

»Warte! Es wird kommen. Wir werden auch noch sehen!«

Ich schwieg also.

Wie kam es doch, daß ich nicht fror, obgleich ich mich in dem eiskalten Wasser befunden hatte und nun so still auf dem ebenso kalten Steine saß? Wohl, weil ich doch nur träumte! Es herrschte die tiefste Stille um uns her, und nur von weitem war es, als ob es draußen im vordern Bassin ein leises, leises Flüstern gebe, wie Gedanken, welche aus dem Wasser steigen und lebendig zu werden beginnen. Und aber dieses Wasser! Und die auf ihm liegende, dichte Finsternis! Wie war es doch mit diesen beiden?! Man spricht von Wärme und Kälte. Je größer die Kälte wird, umso deutlicher fühlt man sie als Wärme. Man sagt dann »meine Ohren brennen«. Ist es mit Licht und Finsternis vielleicht so ähnlich? Kann die Finsternis verdichtet werden, so verdichtet, daß sie die Wirkung des Lichtes bekommt? Das schien jetzt hier von unserm Sitze aus der Fall zu sein.

Das war hier nur so im ganz, ganz Kleinen. Aber so wie hier konnte es, freilich im unendlich Großen, gewesen sein, als sich einst am Anfange das Licht von der Finsternis zu scheiden begann. Das Licht wurde aus seiner Gefangenschaft errettet, aus seiner Latenz befreit, aus seiner Verzauberung erlöst und schwamm zunächst als Phosphoreszenz, so fast wie Wasserleuchten, auf dem Dunkel. Dann zog es Fäden, erst feine, doch immer deutlicher werdende Fäden, die nach und nach Maschen bildeten, in denen es wie von geschliffenen Perlen strahlte. Und in gewisser Höhe darüber erzitterte es von märchenzarten, orangebunten Wölkchen, in denen es von Liliputelektrizitäten beständig wetterleuchtete, bis sich die Luft von aller Finsternis gereinigt hatte und eine Schicht entstanden war, in der man endlich, endlich das, was sich in ihr bewegte, sehen konnte.

Und diese Schicht war es, die uns nach einiger Zeit erlaubte, zu bemerken, daß draußen im vorderen Bassin Wellenkreise geworfen wurden, welche unter der schwebenden Mauer hereinkamen und bis zu unserm Postamente fluteten, an dem sie sich leicht kräuselnd brachen.

»Es beginnt!« flüsterte der »Zauberer«.

Das klang so ängstlich, und ich hörte, daß er sich wie nach innen schüttelte. War das nur die Folge seines Sturzes? Oder gab es außerdem noch andere, wohl innerliche Ursachen?

Die erwähnten Wellenlinien wurden enger und bewegter. Es kam Etwas geschwommen. Wer oder was? Menschen auf keinen Fall! Gab es Tiere hier, größere Tiere? Denn nach dem Radius der geworfenen Kreise konnte es kein kleines sein! Da kam es – – unter der Mauer hindurch – – ein Totenkopf – zwei Schlüsselbeine – zwei halb im Wasser verschwindende Schulterblätter – zwei Knochenarme, welche nach beiden Seiten ausgriffen, um zu schwimmen – – – Ich kannte das: Es war das Gerippe von dem Säulensteine am zweiten Seitenkanale. Es kam bis fast an das Postament herangeschwommen, hielt da an, schaute zu uns herauf und sagte:

»Nicht bloß Einer – – – sondern Zwei?! Ihr armen, armen Menschen! Den Leib gerettet, wie ich einst den meinen – – – auf einen Stein, der kein Erbarmen kennt – – —! Doch nur für kurze Zeit, bis Ihr verschmachtet, verfluchend niedersinkt und zum Skelette werdet, so wie ich!«

»Wer bist du?« fragte ich ihn.

»Ich bin der erste Fluch, der hier erschallte. Und du?«

»Ich bin vielleicht, vielleicht der erste Segen.«

Da tat das Gerippe mit den entfleischten Armen einen Schlag auf das Wasser, daß es bis an die Lendenwirbel emportauchte, und rief aus:

»Verstehe ich dich recht? Du willst nicht fluchen, sondern segnen, segnen?«

Seine Stimme drang in das vordere Bassin hinaus. »Segnen – – – segnen – – – – segnen – – – – – segnen!« ertönte es dort von Säule zu Säule, wie ein Befehl für die Toten, zu erwachen.

»Das wird sie wecken,« sagte er, »sie alle, alle, alle. Denn solches Wort ist hier noch nicht erklungen!«

Und sie kamen, Viele, Viele, Viele! Unhörbar, vollständig unhörbar! Kopf an Kopf versammelten sie sich hinter ihm! Kopf an Kopf zog ihre Menge sich unter der Hängemauer in die Unsichtbarkeit hinaus. Wie mich das packte, so ungefähr muß es den letzten Menschen sein, wenn der Hammer aushebt, um die Stunde des Gerichtes zu schlagen. Segen oder Fluch? Seligkeit oder Verdammnis! Still war es, still. Keiner der Köpfe regte sich und keines der Wasser bewegte sich mehr. Nur der »Zauberer« hier oben bei mir bebte; denn alle, all die leeren Augenhöhlen waren starr herauf nach uns gerichtet. Und das Gerippe sprach:

»Heut ist der erste Tag des neuen Mondes, der Tag, an dem wir stets aus unserm Schlaf erwachen, um zu vollenden, was wir einst beschlossen. Der Tag der Arbeit an dem Werk der Rache!«

Er gab dem letzten Worte einen solchen Nachdruck, daß der Schall desselben im vorderen Becken wie eine Brandung wirkte. »Rache – – Rache – – – Rache – – – – Rache!« wiederholte dort das Echo brüllend. Es folgte ihm ein lautes Knarren, Knattern, Knirschen, als ob der Fels vor dem Zerbersten stehe, und dann klang jener langgezogne, fauchend scharfe Ton, der warnend übers Eis erklingt, wenn Risse sich erzeugen.

»Habt Ihr‘s gehört, wie mächtig schon das Wort an Säulen rüttelt?« fragte er zu uns empor. »Wie müssen sie dann erst vor unsrer Kraft erzittern! Wir wuschen seit Jahrtausenden sie aus, zernagten ihre Stärke und kratzten an dem alten Gleichgewicht, bis von ihm nur so viel noch übrig war, daß es verschwinden wird, sobald wir wollen! Das ist die Hälfte unsers Werkes, die Zerstörung!«

»Zerstörung – – Zerstörung – – – Zerstörung – – – – Zerstörung!« donnerte draußen der Widerhall, und das gefährliche Fauchen ging von Neuem durch das zerbröckelnde Gestein der Decke. Denn daß sie bröckelte, hörten wir am Klange des Wassers, in welches die Bruchstücke fielen. Das Gerippe lauschte auf diese Geräusche, bis nichts mehr zu hören war, und sprach dann weiter:

»Doch wir zerstören nur, um zu erzeugen. Vernichten wir da draußen allen Trug, so fordern wir in diesem Traum die Wahrheit. Sinkt dort der Fels zertrümmert in den Tod, so geben wir ihm hier Gestalt und Leben. Und an demselben Tag, da drüben Alles stürzt, wird hier das Wunder neu geboren werden, daß Steine schreien, wenn man Gott nicht hört! Ihr wißt es nicht, bei wem Ihr Rettung suchtet. Es ist der Fluch, an dessen Fuß ihr hockt! Der Fluch, der Fluch, der hier so oft erklungen, daß er des Steines Seele werden mußte! Wir wuschen diesen Stein mit unsern Tränen aus. Wir meißelten mit unsern Fingernägeln. Und von dem Blute Derer, die bei dem Sturz zerschmetterten, bekam der Hintergrund die dunkle Farbe. Nun ist es bald vollbracht. Nur noch zwei Mondestage, den heut und dann noch einen, so sinkt der falsche Segen in die Nacht, und unser Fluch, die Wahrheit, tritt zu Tage! Doch fehlt uns noch das Wort für seinen Sockel, die Zeilen, welche droben sagen sollen, was wir dann nicht mehr selber sagen können, weil wir da draußen mit zerschmettert werden. Und diese Zeilen fordre ich von Euch.«

»Von uns?« fragte ich. »Warum?«

»Es wurde so beschlossen. Der Letzte, der vor der

Vollendung kommt, hat auch das Letzte für das Werk zu geben. Das ist die Schrift. Wer ist es von Euch Beiden?«

»Hier mein Gefährte ging voran; ich folgte hinterher.«

»So, also du! Was du bestimmst, wird auf den Sockel kommen. Doch höchstens nur vier Zeilen, keine mehr!«

»Und wenn Euch nicht gefällt, was ich bestimme?«

»Es hat uns zu gefallen und muß genommen werden.«

»Muß?«

»Ja, muß! Jedoch bedenke Eins: Die Seele dieses Bildes ist der Fluch; die Unterschrift wird ihm den Geist verleihen. Gibst du ihm einen Geist, der ihm die Seele stört, so wird das Werk ein Bild des Wahnsinns sein und du zwingst uns, von Neuem zu beginnen. Hast du gehört? Und hast du auch verstanden?«

»Beides.«

»So sprich nun du!«

Ich folgte dieser Aufforderung sehr gern, stand auf, lehnte mich, um nicht hinabzuschlüpfen, an die Figur des Beters und begann:

»Heut ist der erste Tag des neuen Mondes, der Tag, an dem er aus dem dunkeln Schatten der Erde tritt, um wieder ihr zu leuchten. Und dieser Tag, so hoffe ich, soll auch für Euch das wiederbringen, was Euch der Schatten dieser Erde nahm – – der Sonne goldnes Licht!«

Ich hatte so laut gesprochen wie er, und darum wurde das letzte meiner Worte auch hinausgetragen zu den morschen Säulen, an denen es auch ganz dieselbe Wirkung hervorbrachte, nur daß die glucksenden und klatschenden Geräusche der fallenden Steine dieses Mal viel, viel länger anhielten als vorher. Und hierauf ging statt jenes fauchenden Geklinges ein tiefes Rollen am Gewölbe hin, wie wenn am Horizont ein fernes Donnergrollen das Nahen schwerer Wetter uns verkündet.

»Habt Ihr‘s gehört?« so fragte ich hinunter. »Wenn schon mein Wort um so viel stärker wirkt, um wieviel mehr wird erst die Kraft Euch überlegen sein! Ihr selbst gestandet ein, daß Euer Wort Euch mit zerschmettern werde. Glaubt an das meinige, so werdet Ihr von ihm hinaus zur Sonne und an das goldne Tageslicht geführt!«

»An die Sonne? An das Tageslicht?« fragte das Gerippe! »Niemals, niemals werden wir sie beide wiedersehen! Auch du nicht! In keiner Ewigkeit!«

Er hauchte das verzweifelt vor sich hin.

»In keiner Ewigkeit – – – in keiner Ewigkeit!« so seufzte es ihm nach von Kopf zu Kopf.

»Was höre ich? Ihr gebt ja mir schon Licht!« fuhr ich fort. »Um wieviel mehr kann ich nun Euch es bringen! Nur die Verzweiflung war‘s, die Euch zur Rache trieb. Das liegt in Sonnenklarheit hier vor meinen Augen! Die Hoffnungslosigkeit ließ Euch den Fluch ersinnen! Du nanntest uns: »Ihr armen, armen Menschen«; ich aber sag: Ihr armen, armen Geister! Ihr kamt zu diesem Berg, mit Schatten Euch zu streiten. Ihr nanntet Wahn, was Ihr vernichten wolltet. Und doch war es ein noch viel größrer Wahn, der es für möglich hielt, daß es auf Erden Strahlung ohne Schatten und Wahrheit ohne Täuschung geben könnte! Ihr hättet alle Wesen töten und jedes Licht im All verlöschen müssen, und damit nur erreicht, daß dieses All in Finsternis versank. Dann freilich gab es keine Schatten mehr; an ihre Stelle war der eine, einzige, der ewige getreten! Und nicht bloß Wahn, nein, Wahnsinn ist‘s gewesen, und Wahnsinn ist es noch in diesem Augenblick, daß Ihr den Schemen flucht, anstatt der eignen Torheit! Wer zwang Euch denn, hinauszutreten in den Schlund, wo jeder Menschengeist den festen Halt verliert?«

»Gab es denn einen andern Weg ins Freie?« fragte er. »Der Eingang war verschwunden!«

»Auch ich sah ihn nicht mehr. Doch wußte ich, daß er sich dem Gebete zeigen werde, auf welches mich der Warnende verwies. Hat er nicht auch zu Euch davon gesprochen?«

»Er sagte es, doch beteten wir nicht!«

»Warum nicht?«

»Ist das Gebet für so erhabne Geister, die wir waren?«

»Für so erhabne Geister! Ach so! Entschuldigt mich! Verzeiht, daß ich, der arme, kleine Mensch, es wage, zu Euch zu sprechen, die Ihr so erhaben seid, daß Ihr nicht einmal mehr mit Gott, dem Höchsten, redet! Wie sehe ich Euch doch so groß und herrlich hier in den Fluten Eures Irrsinns liegen! Ihr kamt mit Ueberhebung zu dem Berge, gingt stolz erhobnen Hauptes durch die Schatten und hobt in selbstbewundernder Vermessenheit den Fuß, auch noch die letzte Türe zu durchschreiten. Und nach dem Sturz in dieses Geistesdunkel, was tatet Ihr? Was habt Ihr unternommen? Ihr wurdet von dem Warnenden auf das Gebet verwiesen. Es hätte Euch sofort das Licht gebracht. Habt Ihr gebetet? Nein, geflucht, geflucht! Und wem habt Ihr geflucht? Etwa dem eignen Wahnsinn, der Euch stürzte? Nein, sondern denen, die sich wehren mußten, weil Ihr es ihnen nicht einmal erlaubtet, zu bleiben, was sie waren – – – arme Schatten! Ist Einer unter Euch, der etwa glaubt, sich gegen mich verteidigen zu können?«

Es blieb eine Weile still; dann sagte das Gerippe:

»Du wirfst uns vor, daß wir nicht beteten, damit der Eingang sich uns wieder öffne. Sag, betetest denn du?«

»Nein.«

»Hast also ganz dasselbe unterlassen und darum nicht das Recht, uns anzuklagen!«

»Ich unterließ es nicht; ich kam nur nicht dazu. Mich führten überhaupt ganz andre Gründe als Euch in dieses drohende Gemäuer. Ich kam nicht, zu verderben, nein, sondern zu erretten! Auch hatte ich das Ende wohl bedacht und war nicht so verrückt, die Bodenlosigkeit für festen Grund zu halten. Ich habe Alles, was ich sah, studiert, kalt und gemessen, wohlbedacht und ruhig. Und eben als ich damit fertig war, erschien der Zauberer und – – —«

»Du erschrakst und sprangst herab zu uns!« fiel das Gerippe schnell ein.

»Nein. Ich blieb stehen, ließ ihn herankommen und sprach mit ihm.«

»Du bliebst – – – stehen? Du sprachst – – – sprachst mit ihm? Das hat Keiner, Keiner, kein Einziger von uns gewagt! Hast du denn nicht gewußt, daß dieser Zauberer der Wahnsinn ist? Auf wen sein fürchterliches Auge fällt, der wird verrückt, verrückt – – – sofort verrückt! Wir alle, alle flohen, als er von fern erschien, und das Entsetzen trieb uns hier herunter. Und du bliebst stehn! Hast gar mit ihm gesprochen! Mensch, solche Kühnheit ward noch nicht gesehen!«

»Da wiederhole ich: Ihr armen, armen Geister! Wo bleibt da die Erhabenheit, wenn jeder Unsinn sie in Wahnsinn stürzt!«

»Du kamst doch auch herab!«

»Jawohl, ich kam. Doch aber nicht vor Schreck! Ich sprang aus freiem Willen, ganz ohne Zwang herunter, damit er sehen möge, daß ich nicht ihn und auch den Tod nicht fürchte.«

»Selbst – – selbst – – – selbst heruntergesprungen!« stieß das Gerippe hervor, und das Wasser, in dem es lag zitterte, als ob an und in dem Skelette alles in Erschütterung sei.

»Selbst – – selbst – – – selbst heruntergesprungen!«, so klang es von Kopf zu Kopf bis weit hinaus ins vordere Gewölbe.

»Er fürchtet nicht den Tod!« sagte das Gerippe.

»Nicht den Tod – – nicht den Tod – – – nicht den Tod!« ertönte es hinter ihm weiter und weiter.

»Warte, warte, warte! Wir kehren bald zurück!«

Diese Worte galten mir. Dann setzte sich die ganze Schar in unerwartet schnelle Bewegung, um aus dem hintern Wasserbecken zu verschwinden. Durch das vordere aber ging ein Flüstern, Raunen, Murmeln und Summen wie von vielen Tausenden, die nicht auf dem Wasser, sondern unten auf dem tiefen Grunde miteinander sprächen. Nach einiger Zeit kehrten sie wieder, genau so, wie sie zuerst gekommen waren. Das Gerippe nahm seine alte Stellung dem Sockel gegenüber ein und sprach:

»Heut ist der erste Tag des neuen Mondes, der Tag, an dem er aus dem dunkeln Schatten der Erde tritt, um wieder ihr zu leuchten. Und dieser Tag, so hoff ich, soll auch uns das wiederbringen, was uns die Erde nahm, der Sonne goldnes Licht! Du hörst, ich spreche schon mit deinen Worten. Vielleicht geschieht es noch, daß wir nach diesen Worten handeln. Kennst du die Sage vom verzauberten Gebete?«

»Nein,« antwortete ich.

»Nicht! So dürfen wir dir um so mehr vertrauen! Der Letzten einer, welche zu uns kamen, herabgestürzt wie wir, durch eigne Schuld, war vorher drüben in dem Land gewesen, wo seit fast ungezählten, vielen Jahren ein wunderbarer Geist in tiefer Höhle wohnt. Man nennt ihn darum Ruh-y-Kulian, doch, steigt er einmal zu den Menschen nieder, so naht er sich in weiblicher Gestalt, trägt weißes Haar, fast bis zur Erde nieder, und führt den Namen Marah Durimeh. Er traf auf sie in ärmlich kleiner Hütte und sprach mit ihr vom großen Menschheitsweh. Doch war ihm ihre Rede nicht begreiflich, denn was sie sagte, klang so wirr, so falsch, daß er sehr bald sich ärgerlich entfernte, vollständig überzeugt, daß er mit einem alten, verrückten Weib gesprochen habe. Als aber er am nächsten Tag erfuhr, daß ihm das seltne Glück beschieden sei, den Ruh-y-Kulian gesehn zu haben, erschien ihm jedes Wort in andrem Lichte. Er dachte nach, und wie er weiterdachte und das, was sie gesagt, sich wiederholte, stieg in ihm mehr und mehr die Ahnung auf, daß er im Irrtum sei, nicht aber sie. Sie gab ihm, als er ging, die Sage vom verzauberten Gebete auf den Weg. Doch er, der sich für klug und weise hielt, warf sie von sich, als lächerliches Märchen. Erst hier, im allertiefsten Erdenweh, stieg diese Sage wieder in ihm auf, und als wir einst hier an dem Bilde schafften, erzählte er von jenem andern Bilde und von der Greisin Marah Durimeh. Das war für uns der erste Mondestag, nach welchem wir, still hoffend, schlafen gingen. Was wir bisher für ganz undenkbar hielten, das war nach dieser Sage Möglichkeit! Doch schwer, unendlich schwer, weil nicht an eine, nein, an soviel Bedingungen geknüpft, daß sie ein Mensch fast nicht erfüllen konnte. Denn merke wohl, ein Mensch war vorgeschrieben, ein Einziger, der aber Alles tat! Und ohne Ahnung hatte er zu handeln, genau wie du, der nichts von Allem weiß!«

Wie sonderbar! Das klang ja wie ein Märchen!

»Hab ich denn schon bereits Etwas getan, was in der Sage vorgeschrieben ist?« fragte ich.

»Du kamst nicht, um die Schatten zu vernichten. Du hieltest jenem Zauberer fest Stand. Du schenktest dem Gebete vollen Glauben. Du hattest vor dem Tode keine Angst. Du sprangst aus freier Absicht in die Tiefe. Das Uebrige muß noch verschwiegen bleiben, weil du ja ohne Wissen handeln mußt. Doch sag uns jetzt das Eine, furchtbar Eine, vor dem wir beben, sei es »ja«, seis »nein«! Wer stürzte diesen Andern zu uns nieder, der noch kein Wort bisher gesprochen hat?«

»Ich. Er wollte mich hinaus ins Dunkle stoßen. Ich wich ihm aus und gab ihm einen Hieb, daß er es war, der zu Euch niederflog.«

»Und dann?«

»Dann warf ich ihm den Stumpf der Fackel nach und folgte hinterher.«

»Warum, warum, warum sodann auch du?« fragte er schnell und dringend.

»Um ihn vielleicht zu retten.«

»Zu retten! Ihn – – ihn – – – ihn!«

Er warf den Knochenarm als Zeichen der Verwunderung empor und fragte dann fast schreiend:

»Wer ist er aber denn? Sag, wer, wer, wer!«

»Wer, wer, wer!« rief jeder Kopf, und »Wer – – wer – – – wer – – – wer!« scholl es hinaus, daß alle Säulen dröhnten.

»Der Zauberer!« antwortete ich.

»Der Zauberer!« wiederholte das Skelett, und mit versinkender Stimme fügte er hinzu: »Also doch er, er, er!«

»Er – – – er – – – er – – – er – – —«

verklang es hier im Bassin. Draußen aber war es still, unheimlich still!

Jetzt drehte sich das Skelett den Köpfen zu. Es ging ein hier oben bei mir unverstehbares Wispeln und Lispeln herüber und hinüber. Dann wendete es sich mir wieder zu und sagte:

»Ich weiß, du hattest uns noch viel zu sagen, um uns zu überzeugen, was wir waren, und daß wir durch Jahrtausende hindurch nur unserm Wahn und Hirngespinste dienten. Du hättest uns wohl niemals überführt; da kam die Sage Marah Durimehs und zeigte uns, was wir vorher nicht sahen. Nun muß ich dir gestehn: Du hast gesiegt, gesiegt, noch ehe du zu Ende bist! Soll ich es dir beweisen?«

»Nein. Ich kenne den Beweis.«

»Mensch! Du bist unheimlich!«

»Das glaube ich! »Erhabenen Geistern« wird es stets beklommen, wenn auch der Mensch einmal zu denken wagt, und können sie nicht auf Gedanken kommen, so wird dann gütigst er um Rat gefragt! Euer Beweis ist der Zauberer. Wenn er in andrer Weise unter Euch geraten wäre, so würdet Ihr statt Geister Teufel sein. So aber steht er unter Menschenschutz und ist darum selbst hier am Bild des Fluches der Menschlichkeit, der früheren, empfohlen!«

»Du sprichst so spitz, wie seine Augen blickten. Du triffst so tief, wie wir ihn treffen wollten. Wir haben es verdient. Vergib uns unsre Schuld!«

»Vergib uns unsre Schuld – – – vergib uns unsre Schuld!« klang es von Kopf zu Kopf und auch hinaus ins vordere Bassin.

Da bog ich mich in großer, großer Freude so weit wie möglich vor und sprach:

»Was habe ich gehört? Das war ja ein Gebet! Die Seele naht, die Seele Eures Bildes. Der Fluch kann niemals, niemals Seele sein. Und soll der Stein an Gottes Stelle reden, der nichts und nichts und nichts als segnen kann, so gebt ihm Hände, welche benedeien!«

»Und du, gib ihm die Worte für den Sockel!«

»Wann?«

»Jetzt, sogleich!«

»So hört!«

Sie drängten sich zusammen und kamen näher herbei. Dadurch wurde Platz für noch viele von denen, welche draußen waren. Sie kamen herein. Ich sagte, nicht überlaut, doch langsam und vernehmlich:

»Gesegnet sei, wer nach der Wahrheit suchte

Und ihr zu Füßen auch den Irrtum fand.

Drum leg ich ihn, den ich bisher verfluchte,

Mein Gott und Herr, in deine Gnadenhand!«

Nach diesen Worten gab es da unten im Wasser eine so tiefe Stille, daß ich den befreiten, seligen Atemzug hörte, der mir von drüben, wo der »Zauberer« saß, zugeweht wurde, und hierauf die leise, leise Wiederholung:

»Mein Gott und Herr – – – in deine Gnadenhand – – —! Den Irrtum – – – also mich – – mich – – mich! Nun nur noch Eins, noch Eins!«

Da regte sich das Gerippe, und es klang wie schluchzend zu mir herauf:

»Er flucht dem Irrtum und der Täuschung nicht! Aber er segnet sie auch nicht, sondern er gibt sie in Gottes Hand! So, genau so will es auch die Sage! Diese Worte müssen unbedingt, unbedingt eingegraben werden! Noch haben wir zwei Mondestage Zeit, des Bildes Rachefaust verzeihend zu gestalten. Es soll die Seele haben, die du ihm geben willst!«

Da stand der Zauberer von seinem Platze auf, hielt sich am Alabaster fest und machte eine Bewegung, als ob er sprechen wolle. Ich aber kam ihm zuvor und fragte hinab:

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30 ağustos 2016
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