Kitabı oku: «Im Reiche des silbernen Löwen IV», sayfa 14
»So ist also der Rache nun entsagt, und Ihr verzichtet auf den Fluchgedanken?«
»Ja,« antwortete das Gerippe, und »ja, ja – – ja!« ertönte es im ganzen Chore nach.
»So habe ich mein letztes Wort zu sagen.«
Ich bog mich hinüber, griff nach des Zauberers Hand und sprach:
»Hier halt ich ihn, den unbedacht Verfluchten. Was er an Andern tat, ist nicht von mir zu richten. Daß er auch mich bedrohte, verzeihe ich ihm gern. Denn ich will ihn aus seiner Finsternis hinaus zum Lichte leiten! Er sei von dieser Schuld erlöst, sei von ihr – – – frei!«
»Das, das, das war es, das Eine, Eine noch!« hörte ich ihn leise sagen. »Aber was werden nun diese, diese tun da unten?!«
Da schob sich das Gerippe noch einmal weiter vor und richtete seine Worte nicht an uns, sondern an seine Wahngefährten:
»Auch was er uns getan, verzeihen wir ihm gern. Er sei erlöst von seiner Schuld, sei von ihr – – – frei!«
»Er sei erlöst von seiner Schuld, sei von ihr – – – frei!« riefen alle, alle Köpfe. Kein einziger war, der schwieg.
»Frei – – frei – – – frei – – – – frei!« erschallte das Echo draußen von Wand zu Wand, von Säule zu Säule.
Und nun erhob auch der Zauberer seine Stimme. Sie klang nicht etwa gedrückt, beklemmt oder gar unterwürfig, sondern hell, rein, klar und selbstbewußt, als ob er es sei, der zu verzeihen habe:
»Ihr gebt mich frei, sagt Ihr? Laßt das die letzte Torheit sein, die hier von Euch geschieht! Wer stürzte Euch? Nicht ich! Es war die Angst vor mir, die Furcht vor dem Gespenste! Dazu der Stolz, der sich zu beten schämte! Ihr dünktet Euch so groß und so erhaben und wagtet es doch nicht, mir Stand zu halten, daß ich euch sagen konnte, wer ich sei! Und wenn ich es nun jetzt Euch sagen wollte, so könntet Ihr es doch unmöglich fassen, weil Geisterwahn nicht schnell, nicht plötzlich heilt. Doch merkt Euch das erlösend wahre Wort: Wer keinen Schatten wirft, der kann kein Wesen sein und wird vom Menschheitskörper nicht empfunden. Wenn eine Schuld, ein Frevel auf mir ruht, so seid Ihr wohl die Letzten, Allerletzten, an die ich mich um Gnade wenden würde. Denn daß Ihr‘s wißt: Wer mir verzeiht, hat nur sich selbst verziehen. Und weil Ihr dies getan, so will ich Euern Wahn und Euern Selbstbetrug nicht länger strafen. Ihr habt gesühnt; so geb ich Euch denn Eure Schatten wieder: Es werde also Licht!«
»Licht!« rief ich. »Licht!« rief das Gerippe. »Licht, Licht, Licht!« wiederholten alle die Geister, und »Licht – – Licht – – – Licht – – – – Licht!« klang es hinaus bis in den tiefsten Winkel, und alle Säulen zitterten und bebten.
Da plötzlich war die lichte Schicht verschwunden, die auf der dunkeln Flut gelegen hatte, und Finsternis lag wieder um uns her. Doch es erklang ein Ton, so weich und doch so hell, so lind und mild und doch so siegreich klar. Wo kam er her, und wo ließ er sich nieder? Aus einer andern Welt – – – im Bilde neben mir. Erst war er nur zu hören, doch bald dann auch zu sehen, ein wunderbarer, heilger Farbenton! Wie Sonnengold, vermählt mit Himmelsblau! Wo seine Quelle lag? Im Alabaster! Das Bild ward nicht von außen her beschienen. Es trug das Licht in sich und warf darum auch keine Spur von Schatten. Erst leise, wie ein Morgenhauch beginnend, entwickelte die reine, keusche Klarheit sich nach und nach zum tageshellen Glanze, so daß es war, als leuchte uns die Sonne. In dieser Helligkeit erschien mir das Gerippe und Alle, die in tiefem Staunen lagen, so fratzenhaft, so schrecklich widerwärtig, daß ich mit meinem Blick von ihnen floh und ihn an der Figur nach oben sandte.
Was ich da sah, das ward noch nie gesehen, weil keine Kunst noch je so Schönes schuf! Doch leider stand ich ja so dicht am Bilde, daß jetzt nur seine Größe auf mich wirkte. Wie klein, wie klein kam ich, der Mensch, mir vor!
Da sprach der Zauberer:
»Es wurde Licht! Soll es nun wachsen, bis es Euch verzehrt? Flieht schnell hinaus, der Schatten wird Euch retten!«
»Es gibt ja keinen Weg; wir sind für ewig, ewig eingeschlossen,« antwortete das Skelett. »Wird dieses Licht zur Schattenlosigkeit, so sind wir alle, alle hier verloren! Die Sage zwar erzählt von diesem Einen, daß er den Schlüssel Hephata besitze, und bis zu diesem Augenblick ist Alles, was sie sagte, eingetroffen, doch diese Felsen und Gigantenmauern sind für das Hephata ja wohl zu stark!«
Da rief ich aus:
»Ich habe ihn, den Schlüssel, und keine Stärke kann ihm widerstehen! Ich war schon einmal hier; da wurde er erprobt. Gebt Raum für uns da unten! Wir kommen jetzt hinab und führen Euch hinaus!« – »Hinaus, hinaus!«, jauchzte das Gerippe.
»Hinaus, hinaus, hinaus!« jubelten die Andern.
»Hinaus – – hinaus – – – hinaus – – – – hinaus!«, frohlockte es im vorderen Bassin, daß alle Säulen dröhnten und Stein um Stein sich vom Gewölbe löste.
Ich sprang in das Wasser, der Zauberer mir nach. Indem die Köpfe sich bemühten, eine Gasse für uns zu bilden, schaute ich zurück und aus dieser weiteren Entfernung an dem Bilde hinauf. Es strahlte schon so stark, daß mich sofort die Augen schmerzten. Da wendete ich mich schnell wieder zurück und griff mit beiden Armen aus, um durch die Wasserflut der Lichtflut zu entgehen. Der Zauberer hielt sich an meiner Seite. Die Andern folgten; Keiner blieb zurück!
Der Glanz drang unter der hängenden Mauer auch in das vordere Becken und verbreitete dort eine Art von Dämmerung, welche mir den Weg genügend deutlich zeigte. Ich schwamm nicht an den Seitenkanälen vorüber, sondern quer zwischen den Säulen hindurch gleich nach dem Hauptkanale, wo der letzte Lichtreflex verloren ging und wir uns infolgedessen in dieser tiefsten Finsternis befanden. Das konnte aber nicht stören, weil der Weg uns durch die engen Seitenmauern vorgeschrieben war. Wir konnten weder rechts noch links abweichen, sondern nur immer vorwärts, vorwärts, vorwärts, und daß die Andern folgten, das hörten wir an ihrem Schwimmgeräusch, welches in dieser steinernen Röhre wie dumpfes Meeresbrausen rauschte.
Viel leichter als früher mit dem Boote kam ich durch das Gestrüpp hinaus ins Freie, in den See. Um Platz zu machen, schwamm ich da erst eine Strecke gerade aus und drehte mich dann um. Der Zauberer war bei mir. Vor mir hielt das Gerippe. Hinter ihm sah ich seine Scharen, die so zahlreich waren, als ob der Kanal sich gar nicht entleeren könne. Es kamen immer mehr, immer mehr aus ihm hervor. Ich sah sie deutlich, denn die Sterne leuchteten, und die schmale Sichel des ersten Viertels stand grad über uns am Himmel. War es möglich, daß alle, alle diese Vielen, die ich erblickte und die noch immer nachdrängten, sich da drin im Berg befunden hatten? Kann es wirklich eine solche Menge von Geistern gegeben haben, die von ihrer Gedankenhöhe stürzten, weil ihnen plötzlich dort der feste Boden schwand?
Endlich, als die Letzten erschienen waren, erhob das Skelett seine Stimme und sprach:
»Heut ist der erste Tag des neuen Lebens, der Tag, an dem das Licht uns wiederkehrte. Wir sind voll Dank und sagen Lob und Preis. Schaut dort hinauf, zur halben Bergeshöhe! Der Mondesstrahl zeigt uns die Rosensäulen; ein Tempel ragt, geweiht dem Dienste Dessen, den unser Hochmut einst nicht anerkannte. Wir haben es gebüßt, jedoch nicht bis zum Ende. Noch ist das Werk des Fluches nicht vollbracht, den wir in Segen umzuwandeln haben. Es soll und muß geschehen, uns zur Buße. Wir haben nun den Schlüssel Hephata. Und was uns tödlich war, des Bildes Eigenlicht, wird sich im Bergesdunkel schnell verlieren. Dann kehren wir zurück und lassen jene Faust, die sich im Grimm des Fluches ballen sollte, zur offnen Hand des Fürgebetes werden. Jetzt aber kommt mit mir hinauf zum Tempel! Adan, der Stern der Erdenmitternacht, erglüht grad über uns am Firmamente. Wir haben also heilge Geisterstunde und müssen dort hinauf, dem einzig Einen zu sagen, daß wir wieder beten werden!«
Er wendete sich schwimmend der Stelle des Ufers zu, von welcher aus man nach dem Weg zum Beit-y-Chodeh kam. Die Andern folgten ihm. Ich aber blieb zurück. Wenn Geister beten, sei der Mensch bescheiden; er kann ihr Kyrie doch nicht verstehn!
Auch der »Zauberer« blieb halten. Wir sahen ihnen eine kleine Weile nach; dann fragte ich:
»Kommst du mit mir ans Ufer?«
»Nicht nur ans Ufer,« antwortete er. »Ich gehe mit dir heim, hinauf in deine stille Denkerklause. Da setzen wir uns an das Sternenlicht, und ich erkläre dir, warum es Schatten gibt und Fehler bei den Menschen. Komm!«
Wir schwammen nach der Landestelle und – sonderbar! als ich da aus dem Wasser stieg, war ich nicht naß; auch mein Gewand war trocken. So auch bei ihm. Er nahm mich bei der Hand. Wir wandelten durch den Duar, den Weg zum Haus empor. Das Tor war zu. Es öffnete sich selbst, sobald wir es berührten. Die andern Türen auch, bis wir in meinem Mittelzimmer standen. Da hörte ich von rechts her ein Geräusch, als ob ein Schlafender sich anders wende. Ich wollte schnell hinaus; er aber hielt mich fest und flüsterte mir zu:
»Du darfst dich noch nicht wecken! Ich habe dir so viel, so Wichtiges zu sagen, daß du erstaunen wirst, wie sicherlich noch nie im ganzen Leben.«
Wir traten auf das platte Dach hinaus und schauten nach dem Beit-y-Chodeh hinüber. Der Sterne Glanz lag auf dem ganzen Tal; der Tempel aber stand in jenem Lichte, das aus dem Alabaster hell ertönte – – – im Sonnengold, mit Himmelsblau vermählt. Die Geister lagen alle auf den Knieen. Ein süßer Rosenduft umwehte uns. Kam er von drüben? Sollte er es sein, der uns die leise, leise Strophe brachte:
»In allen Himmeln leuchten heut die Sonnen;
Auf allen Erden wird zum Tag die Nacht,
Denn was der Wahn im blinden Haß begonnen,
Wird von der Wahrheit segensreich vollbracht!«
»Hörst du?« fragte der »Zauberer«. »Du wirst es nicht begreifen; ich aber will dir sagen, was sie meinen. Doch sollst du es nicht nur hören, sondern auch sehen. Schau mich an!«
Ich tat es. Was ging da mit ihm vor? Seine Gestalt begann, zu verschwinden, sich wie in Nebel zu verwandeln. Doch nahm dieser Nebel sehr rasch wieder Formen an, und wer, wer stand da vor mir? Nicht mehr er, der »Zauberer«, sondern der »Warnende«, mit dem ich gesprochen hatte, ehe ich in den Berg gestiegen war. Ich sah nicht mehr den weißbehaarten Kopf mit stechend scharfen, kalten Feindesaugen, nein, sondern jene freundlich ernsten Züge und jenen weichen, väterlichen Blick, der bei der Frage, ob ich beten könne, besorgt und doch voll Hoffnung auf mir ruhte.
»Du wunderst dich,« sagte er. »Und doch ist nichts geschehen, was zum Verwundern wäre! Wer geistig Mündel ist, den mag der Vormund warnen. Doch den Erwachsenen, den reifen Denker, den warnt des Irrtums eigne, andre Stimme, die stets die volle, reine Wahrheit spricht. Und dieser ist kein Vormund überlegen! Du hast dein Wort gehalten. Bist weder meinem andern Ich noch jenem Wahn verfallen, der aller Welt den Schatten rauben will, weil er sich selbst für ohne Schatten hält. Du hast mich nicht besiegt und aber doch besiegt. Ich fühle mich verschuldet und werde quitt mit dir, indem ich dich in das Geheimnis führe, daß Beide, Licht und Finsternis, den Tod bedeuten würden, wenn sie sich nicht versöhnt die Hände reichten, grad ihn in ewges Leben zu verwandeln. Darum die Wahl, die keine Lüge war, obgleich es Tod nicht gibt und doch kein Schatten lebt: Tod oder Schatten!«
Er setzte sich; so tat ich‘s also auch. Und nun begann er zu erzählen: Ein Menschenleben, ein Geistesleben, und aber doch das ganze Menschheitsleben. Die Sterne wanderten am Himmel weiter; ich sah es nicht; die Zeit war wie für mich nicht mehr vorhanden. Die Sterne schwanden; auch dieses sah ich nicht. Ich achtete allein auf seine Worte. Im Osten stieg der Morgen bleich empor, doch schaute ich nicht hin. Mir war ein andrer Morgen aufgegangen. Nun aber kam der erste Sonnenstrahl und fiel verklärend auf sein Angesicht. Da sprang er auf, zog mich zu sich empor, berührte mit den Lippen meinen Mund und sprach:
»Hier diesen Kuß für den, der drinnen schläft! Komm mit hinein, daß er dich wiederhabe! Du wirst gebraucht. Und ich – – – – – —? Wohl noch viel mehr!«
Er nahm mich bei der Hand. Schon unter der Tür blieb er nocheinmal stehen und sagte leise:
»Er liegt so still und schläft; ich höre seinen Atem. Sobald du dich ihm nahst, wird er zu träumen haben, was du bei mir erlebtest. Geh langsam, langsam hin, und gib ihm meinen Kuß! Nicht übereilt sei deine Wiederkehr, weil er des Traumes sich nach dem Erwachen genau erinnern soll. Kein Wort sei ihm verloren!«
Ich folgte dieser Weisung und ging nur Schritt um Schritt quer durch das Mittelzimmer, dann durch die offne Tür ins Schlafgemach, in welches grad mit mir der Sonne Licht auch trat. Sein Angesicht begann, sich geistig zu beleben, und dieses Leben ward um so bewegter, je näher ich ihm kam. Nun war ich dort und bog mich zu ihm nieder, gab ihm den Gruß des »Zauberers«, der an der Tür noch stand, und – – – – —
– – – und erwachte aus dem Schlafe, riß beide Augen auf, sah mich aber schon nicht mehr stehen, sprang eiligst aus dem Bett und dann schnell durch die Tür hinaus ins Mittelzimmer. Der Zauberer war fort, das Zimmer leer und auch das platte Dach!
»Geträumt, geträumt!« rief ich. »Und aber wie geträumt! So deutlich ist noch nie ein Traum gewesen? War das vielleicht ein sogenannter Wahrheitstraum? Es ist ganz so, als hätte ich‘s erlebt, als hätte ich es wirklich durchgemacht. Ich sehe Alles noch. Ich höre jede Silbe. Ich werde es mir rekapitulieren. Dann setze ich mich her, es zu Papier zu bringen. Man kann nicht wissen, ob «
Infolge dieser Arbeit war es ziemlich spät, als ich mein Frühstück nahm. Dann ging ich hinab, um zunächst mit Schakara zu sprechen. Sie saß in der Halle, ganz allein, sich einen Schleier säumend.
»Hat dir Marah Durimeh vielleicht einmal die Sage von dem »verzauberten Gebet« erzählt?« fragte ich sie.
Sie sann nach und antwortete dann:
»Nicht mir, sondern einem Fremden. Das war im Dorfe Ohtian des Stammes Bulanuh.«
»Wer war der Fremde?«
»Das weiß ich nicht mehr, habe es vielleicht auch gar nicht gewußt. Er gefiel mir nicht. Es war eine alte Frau gestorben, die weit draußen vor dem Dorfe in einer elenden Hütte lebte. Niemand bekümmerte sich um die Leiche, weil sie eine Tumasa44 gewesen war. Da nahm Mara Marah Durimeh mich mit; wir hielten Totenwache. Ich war noch klein und erst seit Kurzem ihre Schülerin. Der Fremde reiste durch das Dorf und hielt da draußen vor der Hütte an, denn Marah Durimeh saß vor der Tür und fiel ihm auf. Als er auf einige Fragen Antwort bekommen hatte, stieg er vom Pferde, um noch weiter mit ihr zu sprechen. Er kam auch einmal herein, spuckte aber vor der Leiche aus. Warum, das weiß ich nicht. Das, was er sagte, war so gelehrt, daß ich es nicht verstehen konnte, und so hochmütig, daß ich die Tote leise bat, ja nicht auf ihn zu hören, weil es die Sammlung störe, die ihr jetzt nötig sei. Das war der Mann, dem Marah Durimeh die Sage, bevor er weiterritt, mit auf die Reise gab.«
»Also ist es noch gar nicht so lange her, daß jene »Letzten« in die Tiefe stürzten!«
»Ich verstehe dich nicht. Was meinst du da?«
»Das erzähle ich dir nachher. Kannst du mir die Sage wohl berichten?«
»Leider nein. Ich merkte sie mir nicht. Ich war so jung, sie aber tief und mir ganz unverständlich.«
»Wie schade, jammerschade!«
»Warum.«
»Leg deine Arbeit weg, und komm mit mir hinaus zur Pferdeweide! Da sind wir ungestört. Ich träumte heut, und wenn der Geist in solcher Weise träumt, kann er es seiner Seele nicht verschweigen.«
Wir gingen durch den Garten nach dem Steine, an dem wir schon einmal gesessen hatten. Dort setzten wir uns nieder. Ich erzählte. Sie hörte zu, ganz still, ganz still, doch zeigte sich in ihren dunkeln Augen, den wunderbaren und geheimnisvollen, von Zeit zu Zeit ein Glanz, der mich an jenes Eigenlicht des Alabasters mahnte —
– wie Sonnengold, vermählt mit Himmelsblau. Und auch als ich geendet hatte, blieb sie noch immer still. Sie hatte ihren Kopf zur Seite an den Stein gelehnt und hielt die Augenlider fest geschlossen. Ich störte sie in ihrem Sinnen nicht und wartete geduldig, bis sie sprach. Sie tat es, ohne ihren Blick zu öffnen:
»Ich sehe eine Linie, von rechts nach links gezogen. Am Ende rechts gibt‘s eine Sonnenglut, die Alles, was da lebt, verbrennen würde, wenn es so unbesonnen wäre, sich ihr zu weit zu nähern. Das linke Ende taucht in eine Finsternis, die jeder Kreatur mit augenblicklicher Vernichtung droht. Die Linie ist unser Menschenleben. Zu weit nach rechts, zu weit nach links bringt sicheres Verderben. Grad in der Mitte liegt die Unverletzlichkeit und auch die Durchschnittslänge der geworfnen Schatten. Wer diesen Durchschnitt haßt, der wendet sich nach einer von den Seiten. Nun denke nach, Effendi, denke nach! Stehst du vielleicht grad in der Mitte?«
»Ich hoffe es nicht,« antwortete ich.
»So bist du also kühn, vielleicht sogar verwegen! Betrachte deinen Schatten! Wird er zu klein? Wird er zu groß! In beiden Fällen ist‘s um dich geschehen! Weißt du es nun, wozu die Schatten sind? So sag ich nur als Mensch, als ungelehrtes Weib. Die Allmacht aber wird wohl noch ganz andre Gründe haben, warum sie Finsternis und Licht vermählte und beiden die Erlaubnis gab, im Zwielicht unfaßbare Schemen zu erzeugen und an der Sonne jene äffenden Gebilde, die uns als Schatten sagen, daß wir sind.«
Nun schlug sie die Augen auf, sah mir so lieb, so herzlich in die meinen, hielt mir das kleine, aber feste Händchen her und sagte:
»Gib mir jetzt einmal deine Hand!«
Ich tat es. Da fuhr sie fort:
»Erlaube mir, daß ich für diese Schatten bitte! Verfahre nicht so streng, wie du wahrscheinlich wolltest. Du weißt ja wohl, daß Schatten keinen Willen haben!«
Da mußte ich doch lächeln!
»So ist es also wahr, daß sich die Seele immerdar erbarmt, selbst wenn der Geist auch nicht den kleinsten Grund zur Milde findet! Wer keinen Willen hat, den darf man billig schonen, doch aber den, der ihm den Willen nahm, den trete man zu Boden!«
»Trotz deines Traumes heut – – —? Und trotz des Zauberers – – —?« fragte sie.
»Trotz alledem! Ich glaube, daß ich diesen Traum verstehe. Er kam zwar aus dem Schattenreich zu mir, doch war er keinesweges selbst ein Schatten. Ich träumte ihn beim ersten Sonnenstrahl und fühlte ihn verschmolzen mit mir selbst, von gleicher Wesenheit mit meinem eignen Wesen. Er hat mich viel gelehrt und handelt in mir weiter. Der Schatten, der mich vor sich selber warnt, ist Menschenfreund, ist ohne Falsch, ist ehrlich. Er rettet mich vor fremden Gaukeleien und auch vor meinen eignen Truggebilden, und Wahnsinn wäre es, wenn ich ihn hassen wollte. Für ihn hast du gebeten, Schakara. Du siehst, es war nicht nötig! Gebeten aber hast du nicht für Andre, für welche ich dein Auge schärfen möchte. Ich meine jene pfiffigen Gesellen, die sich als Schatten stellen, doch aber keine sind. Die stets verführten – Verführer! Die in Demut zerfließenden – Tyrannen! Die tugendreinen – Sünder! Die opferbereiten – Feinde! Die aufrichtigen – Heuchler! Die arglos treuherzigen – Schlangen! Und noch viele, viele tausend Aehnliche, die sich sofort als Schatten des nächsten Gegenstandes in Sicherheit bringen, wenn du zur Fackel greifst, sie anzuleuchten. Sie flüchten sich vollständig waffen-, wehr- und willenlos in irgend eines Starken Schutz und Schirm. Er sinkt und sinkt und sinkt; sie aber steigen. Und dann, wenn er am Abgrund steht, von aller Welt verlassen, nur nicht von Dem, der liebevoll den Fuß erhebt, um dankbar ihn vollends hinabzutreten, erkennt er endlich, aber viel zu spät, daß sie nichts weniger als arme Schatten waren. Die Willenlosigkeit war höchste Energie, die Schwäche nur die Maske der Gewalt, und jede Bitte, welche er gewährte, in Wahrheit ein Befehl, dem er gehorchen mußte. Das Allerschlimmste aber ist, o Schakara, daß diese Büberei nie eignen Schatten wirft, weil sie ja stets im Schatten Andrer schwelgt. Darum erscheinen diese Fleckenlosen der heiligen Einfalt drei- und zehnmal heilig, und wenn sie noch dazu so glücklich sind, vor ihrem Tode nicht entlarvt zu werden, so glaubt die liebe, liebe Unvernunft, daß sie an ihnen viel, sehr viel verloren habe, der Himmel aber viel, sehr viel gewonnen! Wenn die Ruinen da erzählen könnten! Ich sah im Traume, wie man sich verkroch! Da ging ich ruhig weiter. Doch, sollte das Geträumte sich erfüllen, so wird statt nur gefackelt, dann geleuchtet! Du weißt, wie gut wir hier versehen sind: an Fackeln fehlt es nicht!«
Hier wurde unser Gespräch unterbrochen. Drüben in den Ruinen, im obern Teile derselben, erschien nämlich Kara Ben Halef. Er sah uns sitzen und winkte uns zu, daß er zu uns kommen werde. Er ging nicht grad auf dem Glockenpfade, sondern er stieg über das Gestein gleich quer herab und kletterte an einer verwitterten Mauerstelle zu uns herauf.
»Effendi, ich habe einen Gefangenen!« sagte er.
»Wie? Einen Gefangenen?« fragte ich. »Hat man hier im tiefsten Frieden Gefangene zu machen?«
»Ist das Friede, wenn Jemand sich nicht friedlich zu mir verhält?«
»Wer ist es?«
»Kein Dschamiki, sondern ein Fremder. Ich kenne ihn nicht, und er weigerte sich, Auskunft zu geben.«
»Wo?«
»Da drüben, in einer der alten Kirchen. Ich ging heut schon sehr früh wieder einmal durch die Ruinen. Man spricht im Duar davon, daß es dort wohl noch versteckte Plätze und verborgene Dinge gebe, die man noch nicht entdeckt habe. Ich bin derselben Meinung. Die vertriebenen Massaban, die in dem Gemäuer hausten, kennen es wahrscheinlich besser als wir, da sie dort ihre Schlupfwinkel hatten. Und wer zu dieser Sorte von Menschen gehört, weiß besser Bescheid, als jeder Dschamiki. Darum muß uns jeder Fremde, der die Ruinen ohne unser Wissen betritt, verdächtig erscheinen. Folglich war ich sofort argwöhnisch, als ich in so früher Morgenzeit Schritte hörte, die sich der Stelle näherten, in der ich mich befand. Das war in dem runden Quaderturme, der trotz seiner starken Mauern schon fast in sich zusammengestürzt ist. Es führt nur eine Tür hinein, keine andere hinaus. Ich stand in der Nähe derselben und drückte mich fest an die Wand, um nicht sogleich gesehen zu werden. Der, welcher kam, trat ein. Ein hagerer Mann, nicht groß, aber stark; das habe ich dann gespürt. Er fühlte sich so sicher, daß er sich gar nicht umschaute, und ging zum nächsten, großen Brocken der eingefallenen Mauer, und sich da niederzusetzen. Dabei drehte er sich um und mußte mich nun sehen. Ich war schnell an den Eingang getreten, um ihm die etwaige Flucht zu versperren. Er erschrak, nahm sich aber zusammen und fragte mich, wer ich sei und was ich hier wolle. Das klang so gebieterisch, als ob er der Herr an diesem Orte sei. Und als nun aber ich Auskunft forderte, wurde er grob und warf sich plötzlich auf mich, um zu entkommen. Dabei hatte er ein langes Messer gezogen und schrie mich an, daß er mich sofort erstechen werde, wenn ich nicht darauf verzichte, ihn festzuhalten. Er stach auch wirklich zu. Schau hier, den Schlitz im Aermel! Das war auf das Herz abgesehen! Ich entging der Gefahr aber durch eine schnelle Wendung, entriß ihm die Waffe, warf sie fort und rang ihn auf den Boden nieder. Das war aber nicht leicht. Dieser Mensch besaß viel Kraft und Gewandtheit. Er rang meisterhaft, ruhig, still, den Atem berechnend und jeden Griff genau überlegend, ohne dabei ein einziges Wort zu sagen. Es scheint mir, als habe er schon oft in dieser Weise um seine Freiheit oder gar um sein Leben ringen müssen. Er hatte Uebung! Aber er kam trotz aller Mühe nicht auf; ich hielt ihn unter mir, bis seine Kräfte schwanden und ich dadurch eine Hand frei bekam, ihm die Halsader zusammenzudrücken. Da stockte ihm das Blut im Kopfe; er wurde ohnmächtig. Zwar nur für ganz kurze Zeit, aber das genügte mir, ihn zu binden.«
»Womit?«
»Die Arme, nach hinten gezogen, mit den Flügeln seiner eigenen Perserjacke. Die Beine schnallte ich ihm mit seinem Gürtel zusammen. Er kann sich nicht befreien.«
»Untersuchtest du seine Taschen?«
»Ja. Sie waren leer. Er hatte nichts bei sich gehabt, als nur das Messer. Dann eilte ich fort, um dir diesen Vorgang zu melden. Als ich in das Freie kam, sah ich dich hier sitzen. Nun bestimme, was geschehen soll, Sihdi!«
»Zunächst das Eine: Kein Mensch darf davon wissen, am allerwenigsten Pekala. Ich ahne, wer dieser Fremde ist, nämlich ein entflohener Verbrecher, welcher uns im Auftrage des Scheik ul Islam ausspionieren soll. Ich muß ihn selbst sehen. Du führst mich also zu ihm, holst aber vorher einige feste Riemen oder Stricke aus dem Hause, doch heimlich. Für so einen Menschen genügen die jetzigen Fesseln nicht.«
Kara ging nach dem Hause. Ich fand es sehr erklärlich, daß Schakara mich bat, uns nach dem Turme begleiten zu dürfen, und erlaubte es sehr gern. Mein Plan war schon fertig. Dieser Spion verriet uns freiwillig sicher nichts. Er mußte gezwungen werden. Und da gab es ein Mittel, welches vielleicht sogar dem Teufel den Mund geöffnet hätte! Aber das konnte nur im Geheimen angewendet werden, und darum war es mir lieb, daß Schakara mitging. Ihre Anwesenheit gab der Sache den Anschein eines bloßen Spazierganges, der keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen hatte.
Als Kara wiederkehrte, schlenderten wir also nach dem Glockenwege und dann auf schmalem, aber bequemem Wege bis grad zum Quaderturm, um den es sich handelte. Sein eigentliches Tor war längst schon zugemauert. Wir konnten nur durch das Nebengebäude zu der Tür gelangen, von welcher Kara gesprochen hatte. Als wir durch sie getreten waren, sahen wir den Gefangenen liegen. Der Blick, den er auf uns richtete, war nicht etwa verlegen, sondern trotzig, und geradezu unverschämt klang es, als er uns sofort entgegenrief:
»Ihr habt mich augenblicklich freizugeben! Ich bin ein hochgestellter Mann, kein Lump, den man in dieser Weise behandeln darf! Gib mich frei, Effendi!«
Ah, der kannte mich ja schon! Also scharfe Augen und feine Ohren! Aber pfiffig war es keinesweges, es mir zu verraten! Ich blieb vor ihm stehen und fragte ruhig:
»Wer bist du?«
»Das sage ich nur dir allein!«
»Woher?«
»Auch das nur dir!«
»Was willst du hier?«
»Auch das darf Niemand wissen, als nur du!«
»So? Dann mag ich es überhaupt nicht wissen! Kara, binde ihn fester, aber so, daß ihm die Schwarte knackt! Wer uns mit solcher Frechheit kommt, der sehe zu, was für ihn daraus entsteht!«
Der Haddedihn kniete zu ihm nieder, zog das Zeug aus der Tasche und begann, ihn fester zu schnüren. Da rief der Fremde aus:
»Ich bin ein Abgesandter des Schah-in-Schah!«
»An wen?«
»An den Ustad, also an dich!«
»Und kommst nicht offen und direkt zu mir, sondern versteckst dich hier wie ein Verbrecher?«
»Ich habe meine Gründe!«
»Das glaube ich. Aber auch ich habe welche, und diese gelten, nicht die deinigen!«
»Ich kam zu Eurem Glück zu Euch!«
»Und stichst mit dem Messer auf meine Leute? Wir danken für solches Glück!«
»Du bist ein Christ. Darum sage ich dir: Ich komme als Missionar!«
»Willst uns wohl Frieden predigen? Heil verkündigen?«
»Ja!«
»Das kennen wir! Sorg für dein eignes Heil; das unsere liegt in den besten Händen!«
Das brachte ihn zum Schweigen. Er schien zu überlegen. Kara vollzog seine Arbeit so gut, daß dem »Missionar« alle Glieder zu schmerzen begannen.
»Er hat das Messer gegen dich gezogen, um dich zu erstechen,« sagte ich. »Das bestrafe ich mit dem Tode. Wirf ihn dort hinter die Steine! Da mag er liegen, bis er in den Duar geschafft wird, um gehenkt zu werden.«
Hierauf wendete ich mich nach der Tür, scheinbar um zu gehen. Das wirkte.
»Bleib hier, Effendi!« bat er. »Ich werde antworten!«
Ich ging weiter. Da schrie er auf:
»Effendi, Effendi, geh nicht fort! Ich gebe dir Auskunft, und du wirst dich freuen!«
Da drehte ich mich um, langsam, wie widerwillig, und befahl:
»So antworte kurz auf das, was ich dich frage! Anderes mag ich nicht wissen. Seit wann bist du jetzt hier?«
»Seit dieser Nacht. Ich kam, als in dem Duar schon alle Leute schliefen.«
»Warst du schon öfters hier?«
»Vor einem Jahre zum ersten Male. Seitdem in jedem Monat nur einmal.«
»Sonst nicht?«
»Nein.«
»Du warst also vor einem Monate zum letzten Male da?«
»Ja.«
»Kamst heut in dieser Nacht und weißt doch so genau schon, wer ich bin? Wer täuschen will, muß besser lügen können!«
»Ich wußte nicht, wer du bist; ich vermutete es nur. Effendi, glaube mir!«
»Gibt es bei uns Jemand, auf den du dich berufen kannst?«
»Pekala und Tifl.«
»Wer noch?«
»Niemand.«
»So ist es schlecht um dich bestellt. Tifl ist ein Abtrünniger und Pekala eine Plaudertasche, die Alles verraten wird, was sie von dir weiß!«
»Das mag sie immerhin! Sie weiß von mir nur Gutes. Ich habe eine Mission vom Schah und bin sein Diener, bin sein Auserwählter. Als Bote seiner Liebe und auch zugleich der wahren Menschenliebe, bin ich gekommen – —«
»Um deine eigentliche Absicht zu verstecken,« fiel ich ein, »hier Jahre lang von unsrer dummen Pekala zu leben und dann den Frieden deines falschen Schah uns mit dem Messer vorzuschreiben!«
»Meines falschen Schah?« fragte er. »Ich verstehe dich nicht!«
»Wenn du mich nicht verständest, wärest du sogar noch dümmer als Pekala, die es gewiß und wahrhaftig glaubt, daß ihr Aschyk imstande sei, ihr bei dem Schah die Wonnen aller Paradiese zu vermitteln. Doch mich betrügst du nicht mit dieser deiner Seligkeit! Uns ist der Schah in Wirklichkeit bekannt, doch in den Löchern Teherans, in denen du und deinesgleichen stecken, lernt man ihn niemals kennen. Dich schickt der Scheik ul Islam, doch nicht der Schah-in-Schah!«
Da reichte seine ganze Frechheit nicht aus, den Schreck zu verbergen, der über sein Gesicht zuckte.
»Der – – Scheik – – ul – – Islam – —!« wiederholte er. »Wie kommst du auf diesen Gedanken?«
»Ich habe es aus seinem eignen Munde, und wenn ich dir das sage, so ist es wahr! Willst du es eingestehen?«
»Nein, denn es ist Lüge!« schrie er zornig auf.
»Es ist wahr! Und ich sage dir: Nur kurze Zeit, so wirst du mich auf deinen Knieen bitten, die Beichte anzuhören, welche du mir jetzt verweigerst. Für hier und jetzt bin ich mit dir fertig!«
Kara hatte ihn derart gefesselt, daß an einen Fluchtversuch gar nicht zu denken war. Dieser Verführer unserer strahlenden »Festjungfrau« versuchte zwar noch immer, uns zu einem andern Verhalten gegen ihn zu bereden, doch vergeblich. Er wurde zwischen die hier liegenden, hohen Steinhaufen gesteckt, und dann gingen wir. Als wir dann draußen im Freien standen, sagte Schakara, indem sie mich fast ängstlich anschaute: