Kitabı oku: «Im Reiche des silbernen Löwen IV», sayfa 31
»Nein, wir verschwiegen es ihm. Er wird zwar in seinem Zelte wohnen, ist aber für heute Mittag unser Gast. Wir richten es so ein, daß ihn sein Schwiegersohn hier in der Halle beim Essen überrascht.«
»So stehe ich freilich auf und mache es wie Hadschi Halef, der sich jedenfalls auch ganz vorn aufs Dach postieren wird, um unseren »früheren Bimbaschi und jetzigen Mir Alai« zu begrüßen.«
»Und ob er das tun wird!« antwortete sie heiter. »Er sitzt wohl schon jetzt bereit, denn Hanneh war im Hofe, als der Bote kam, und hat es ihm sofort berichtet. Der Ustad ist mit Dschafar Mirza dem Mir Alai entgegengeritten. Errätst du, auf welchem Pferde?«
»Auf der Sahm?«
»Nein, sondern auf dem Assil Ben Rih.«
»Wirklich, wirklich?« fragte ich, nicht verwundert und nicht erstaunt, aber außerordentlich erfreut.
»Ja; er hat den Rappen gleich schon gestern vorgenommen, als du hier oben eingeschlafen warst. Er muß sich doch für den Fall vorbereiten, daß du auf jede Teilnahme am Rennen zu verzichten hast, und grad auf Assil sind Hoffnungen gesetzt, die wir nicht täuschen dürfen. Jetzt gehe ich hinab, um dir dein Frühstück zu bereiten und Syrr für dich mit Aepfeln zu erfreuen.«
»Syrr! Daß ich nicht zu ihm hinunterdarf!«
»Sorge dich nicht um ihn. Er steht in meiner ganz besonderen Pflege und – – – er denkt an dich.«
Ich lächelte. Da fuhr sie fort:
»Er war während des gestrigen Tages unruhig, weil er dich nicht zu sehen bekam. Am Abend wollte er sich nicht niederlegen. Da holte ich deine Kamelhaardecke, unter welcher du so oft geschlafen hast. Ich hielt sie ihm zusammengefaltet vor die Nüstern. Da schnaubte er froh und leckte mir dankbar die Hand; hierauf tat ich sie auf den Boden, doch ohne sie auszubreiten. Da ließ er sich sogleich nieder und legte den Kopf auf sie. Als ich heute früh wiederkam, lag er noch ebenso und hatte aber den Kopf bis an die Augen in die Decke hineingewühlt. Und schau hierher!«
Sie ging dorthin, wo meine arabische Jacke lag, und zog drei Aepfel aus jedem Aermel.
»Die bringe ich ihm jetzt hinab,« sagte sie. »Das habe ich gestern zweimal und heut auch schon einmal getan. Diese frißt er; aber andere mag er nicht, auch wenn sie von demselben Baume sind. Nun wirst du glauben, daß er dich nicht vergessen hat.«
Sie ging. Als sie fort war, stand ich auf. Da sah ich denn, daß man unten am See sehr fleißig gewesen war. Man hatte am Fuße des nördlichen Berges die für uns bestimmte Tribüne vollständig fertiggestellt. In ihrer Nähe wurde jetzt das große Verkaufszelt Agha Sibils errichtet. Auf den höchsten Punkten der umliegenden Gebirgszüge waren Leute beschäftigt, mächtige Holzstöße für die geplante Höhenbeleuchtung aufzuhäufen. Auch an tiefer liegenden, aber hervorragenden Punkten wurde das Gleiche getan. Um den See kreisten die verschiedensten Reittiere in lebhaftester Uebung. Kamele trugen Holzscheite zum Beit-y-Chodeh hinauf, denn auch der Tempelplatz sollte erleuchtet werden. Was ich von meinem Dache aus nicht sehen konnte, schloß ich aus dem Umstande, daß ich viele auch mit Brennstoff beladene Maultiere und Esel auf dem steilen Pfade nach dem Alabasterzelte erblickte: Dort sollten ebenfalls die Festesflammen lodern.
Ein Teil der Tribüne war jetzt von der Dschemma besetzt, welche sich unter dem Vorsitze des Pedehr in einer, wie es schien, sehr wichtigen Beratung befand. Vor ihr hielten wohl über zwanzig mir unbekannte, sehr wohlbewaffnete Männer, welche von ihren Pferden gestiegen waren und dem Chodj-y-Dschuna zuhörten, der eifrig zu ihnen sprach. Das waren die Anführer der verschiedenen, nicht seßhaften Abteilungen des Dschamikun, die von unserm »Kriegsminister« ihre Instruktion entgegennahmen. Zu meiner Genugtuung bemerkte ich dort auch den Scheik der Kalhuran, der also nun genesen war und sich wieder an die Spitze seiner mit uns verbündeten Krieger stellen konnte.
Grad unter mir erschien jetzt Schakara, welche nach dem Weideplatze ging, um Syrr die Aepfel zu bringen. Er nahm einen nach dem andern, langsam und prüfend, nachdem er jeden vorher erst berochen hatte. Sie schaute zu mir herauf und nickte mir zu. Als der letzte verzehrt worden war, faßte sie den Kopf des Glanzrappen und richtete ihn so, daß er nach oben, herauf zu mir sehen mußte. Ich hatte die Jacke angezogen und den Fez aufgesetzt. Um den Blick des Pferdes auf mich zu lenken, bewegte ich die Arme. Syrr sah es; er stutzte. Seine Ohren begannen zu spielen; der prächtige Schweif wurde gehoben. So stand er eine kleine Weile prüfend still; dann schob er die Vorderbeine breit auseinander und schmetterte mir ein so frohes Wiehern herauf, daß gar nicht daran zu zweifeln war: er hatte mich erkannt. Aber hiermit war es noch nicht genug; er jubelte wieder und wieder, so daß ich mich gezwungen fühlte, zurückzutreten und mich seinem Auge zu entziehen, damit seine weithin schallende Stimme nicht die Aufmerksamkeit Unberufener auf ihn lenken möge.
Während ich dann frühstückte, richtete Schakara mir einen so hohen Sitz her, daß ich über die Brüstung hinunter in den Hof sehen konnte, ohne stehen zu müssen. Hierauf ließ sie mich allein, weil ich es so wünschte. Der Mittag war nahe. Da kam Agha Sibil mit den Seinen. Sie wurden in die Halle gewiesen.
Nur kurze Zeit später bemerkte ich, daß im Duar eine Bewegung entstand, die sich südwärts richtete. Sie galt den Bagdader Gästen, welche nun eingetroffen waren. Der kleine Zug kam den Berg herauf und dann durch das Tor geritten. Voran der Ustad und der Mirza, in ihrer Mitte mein alter Freund, der Mir Alai. Hinter ihnen einige Packpferde mit den Effekten des Offiziers. Hierauf ein Kamel mit der größten Sänfte, welche man hatte auftreiben können. Sie war rundum verhangen. Wer nicht wußte, wer drin saß, mußte also denken, daß es sich um etwas »ewig Weibliches« handle. Hintendrein die Dschamikun, welche den Besuch geholt hatten.
Weil die Aufmerksamkeit des Agha Sibil nicht sofort auf die Ankömmlinge gelenkt werden sollte, war befohlen worden, ihr Eintreffen hier oben in aller Stille und möglichst unbeachtet geschehen zu lassen; aber die liebe Neugierde hatte trotzdem zwei Personen herbeigezogen, die sich den ersten Anblick der Erwarteten auf keinen Fall versagen wollten – – – Tifl und Pekala.
Als die ersten drei Reiter zum Tore hineinkamen, flog der scharfe Blick des Ustad zu mir herauf. Er sah mich. Ich winkte ihm schnell, den Polen nicht auf mich aufmerksam zu machen. Er nickte mir zu, daß er mich verstanden habe. Dann legte er beide Schenkel an, stemmte die Hände in die Seiten und ließ Assil in der prächtigsten Natnata el mutarid98, die ich jemals gesehen habe, über den Hof hinüber und nach der Weide gehen, wo er abstieg. Er tat dies meinetwegen. Ich sollte sehen; daß Assil bei ihm gut aufgehoben sei. Wer eine so schwere Natnata in so meisterhafter Weise zu reiten vermag, dem kann man auch das kostbarste Pferd gern anvertrauen.
Dschafar Mirza und der Mir Alai stiegen ab. Der Erstere war unterrichtet. Er nahm den Letzteren bei der Hand und führte ihn nach der Halle, in welcher es gleich darauf sehr laut zu werden begann. Auch die begleitenden Dschamikun waren abgestiegen, um sich zunächst mit den Packpferden zu beschäftigen. Da rief ihnen Pekala zu:
»Und das Kamel laßt Ihr stehen? Man sieht doch, daß eine vornehme Harema drin sitzt! Soll diese Madama etwa warten, bis es Euch beliebt?«
Die Angeredeten lachten! Darum wendete sie sich an Tifl und sagte:
»Gib dem Kamele das Zeichen zum Niederknieen; du verstehst das besser als ich! Die Madama darf von keiner Männerhand berührt werden. Ich werde ihr also selbst heraushelfen.«
Tifl tat, wie ihm befohlen worden war; das Kamel gehorchte. Die hohe Sänfte bekam die drei bekannten, fürchterlichen Rucke; dann lag sie wieder still. In ihrem Inneren grunzte es. Pekala schob den Seitenvorhang auf, schaute hinein und meldete dann:
»Sie schläft. Aber ich muß sie wecken, sie mag es mir übelnehmen oder nicht.«
Sie griff hinein und zupfte am Gewande. Da bewegte es sich drin.
»Ich bitte dich, steig aus; du bist am Ziel!« rief sie hinein. »Du brauchst nur langsam herabzurutschen; ich helfe dir dabei!«
Indem sie das sagte, trat sie einen Schritt zurück und breitete die Arme weit aus, um ihr Versprechen wahr zu machen. Da ächzte es in der Sänfte; da stöhnte es; da murmelte es. Dann kamen zwei große, rote Pantoffel zum Vorscheine. Ein weites, faltenreiches Gewand wurde Falte um Falte herausgestopft. Man erkannte trotz dieser Falten die Umrisse von zwei Knieen. Hierauf wurde die Sache immer breiter und immer umfangreicher. Nun entwickelten sich mit Mühe und Not zwei Arme. Ueber ihnen erschien ein rotes, gelb befranstes Keffije99, welches vorn nur um eine Lücke geöffnet war. In dieser Lücke gab es einen Mund und eine Nase; sonst sah man weiter nichts.
Jetzt war die »Madama«100 auf dem »toten Punkte« angekommen. Sie lag im vollsten Gleichgewicht mit dem Rücken auf der unteren Sänftenkante. Der nächste Augenblick hatte darüber zu entscheiden, ob sie herunterrutschen oder rücklings wieder hineinfallen werde. Da bat die Festjungfrau in ermunterndem Tone:
»Fasse Mut. Gieb dir nur noch den einen kleinen Ruck, dann sinkst du grad in meine Arme. Ich fange dich auf!«
Das half! Der »Ruck« stellte sich ein. Was von der Gestalt noch in der Sänfte steckte, das quoll vollends heraus. Die Sache kam in Schuß. Zuerst die Pantoffel, doch allerdings separat. Dann tat es einen gewichtigen Plumps. Die Masse stand auf den nackten Füßen, genau zwischen den beiden Pantoffeln. Sie wankte hin und her, ungewiß, nach welcher Seite sie sich zu neigen habe. Die Arme streckten sich aus, um sich irgendwo festzuhalten. Da trat Pekala schnell wieder näher, und im nächsten Augenblicke hielten sich Beide innig umschlungen, so fest und so lange, als ob sie nie, nie wieder von einander lassen dürften. Erst nach einer Weile klang es aus der Umarmung heraus:
»Wie glücklich bin ich, daß du gekommen bist! Niemand soll dich mir wieder nehmen! Komm mit mir, du Liebling meiner Seele! Ich führe dich in meine Küche!«
»Küche – Küche – Küche?!« fragte es da schnell und dreimal hinter einander.
»Ja. Beeile dich, sonst nimmt man dich mir weg!«
»Mich? Dir? Niemals, niemals, niemals! Komm schnell; ich habe Hunger – – Hunger – – – Hunger!«
Die Umarmung ging nur halb auseinander. Die Hände hielten wie unzertrennlich zusammen. So schritten beide, eng aneinander geschmiegt, die eine Gestalt strahlend vor Wonne und Glück, die andere unter dem Keffije hustend und pustend, in seliger Eintracht über den Hof hinüber, um in der Sphäre zu verschwinden, der sie mit Leib und Seele angehörten. Ich aber lächelte ihnen mit innigster Befriedigung nach. Wer seinen Lebenszweck im niedern Stoffe sucht, den läßt man gern in diesem Stoff verschwinden!
Tifl stand da und schaute die Pantoffel an. Sie lagen noch da, weil Kepek, der Dicke, vor Freude über das Wort »Küche« gleich barfuß fortgelaufen war. Das »Kind« machte ein höchst bedenkliches Gesicht und kratzte sich unter der Spinnenmütze. Er war mit irgend Etwas nicht einverstanden, aber womit, das sagte er den Pantoffeln nicht. Er hob sie schließlich auf, betrachtete sie hin und her, warf sie wieder hin, hob sie abermals auf, schüttelte den Sand heraus und trug sie dann langsamen Schrittes nach der Küche, den einen in der rechten und den anderen in der linken Hand, beide aber nur mit den äußersten Fingerspitzen festhaltend.
Da kam der Ustad durch den Garten.
»Wie geht es dir?« fragte er zu mir herauf.
»Gut, sagte Schakara,« antwortete ich.
»So darf ich ruhig nach der Halle gehen?«
»Ganz unbesorgt. Widme dich deinen Pflichten und deinen Gästen. An mich soll man nicht denken, doch grüße den Mir Alai von mir!«
Hierauf sah ich Schakara nach der Weide gehen. Sie fütterte den Syrr und dann auch den Assil Ben Rih, nachdem sie ihm das Reitzeug abgenommen hatte.
Einige Zeit später erschienen vier fremde Reiter auf dem Hofe, welche nach dem Ustad fragten. Sie waren Dinarun, wie ich nachher erfuhr. Ihr Scheik Ben Hidr101 befand sich selbst dabei. Sie waren unten im Duar von dem Pedehr als vermutliche Feinde sehr kurz behandelt und herauf an den Ustad gewiesen worden. Darum stiegen sie gar nicht ab, als dieser aus der Halle trat, und Ben Hidr rief ihm in beinahe verletzender Weise die Meldung zu, daß sie gekommen seien, ihre Teilnahme am Wettrennen anzusagen, weiter nichts! Jeder Andere als der Ustad hätte sie nun in ganz derselben Weise sofort entlassen. Dieser aber war menschenfreundlich und klug genug, sich zu beherrschen. Er ging auf sie zu, reichte ihnen die Hand und lud sie ein, mit hinauf in seine Wohnung zu kommen. Das überraschte sie. Sie sahen einander fragend an und sprangen dann doch von ihren Pferden, um ihm zu folgen.
Sie waren wohl zwei Stunden lang bei ihm in seinem Zimmer. Auf den Balkon führte er sie nicht, weil sie Syrr nicht sehen sollten. Ich hatte mich inzwischen wieder niedergelegt und hörte ihre Stimmen unter mir, konnte aber nicht verstehen, was gesprochen wurde. Als sie sich entfernt hatten, kam er herauf zu mir und sagte mir, wer diese Leute gewesen seien und was er mit ihnen verhandelt habe.
»Das sind die sogenannten Klugen,« fügte er hinzu. »Sie lächeln nach beiden Seiten und sagen einstweilen zu Allem »Ja«, um abzuwarten, nach welcher Seite sich der Zeiger neigen werde. Dann aber sind sie die Schlimmsten, die Unerbittlichsten, die keine Schonung kennen. Ich bin überzeugt, daß sie unsern Feinden ihre Hilfe zugesagt haben, und daß sie aber dennoch heut zu uns kamen, um nachzuschauen, ob es nicht vielleicht doch geraten sei, sich den Weg zum Rückzuge offen zu halten. Ich habe sie bedient, wie man so unsichere Kantonisten zu bedienen hat: Kein Wort zu wenig, aber auch keins zu viel. Sie werden sich zum Rennen einstellen; ob sie sich aber dann auch beteiligen, steht noch in Frage. Erst waren sie zornig über den Empfang, den sie im Duar gefunden hatten; dann wurden sie immer freundlicher und zutraulicher, um von mir so viel wie möglich zu erfahren, was ihnen aber natürlich nicht gelang, und zuletzt bot mir Ben Hidr die Hilfe seines ganzen Stammes an, die ich aber sehr höflich ablehnte, weil ich an die Feinde, von denen er gesprochen habe, unmöglich glauben könne. Noch am Schlusse behauptete ich mit aller Bestimmtheit, daß es ganz gewiß keinen einzigen Menschen gebe, der die Absicht habe, uns hier zu belästigen oder gar zu überfallen. So sind sie also in der festen Ueberzeugung fortgeritten, daß wir von der Gefahr, die sich in diesen Tagen um uns zusammenziehen soll, nicht das Geringste ahnen. Aber ich habe ihnen die goldene Karte des Schah-in-Schah gezeigt und sie dann noch viel Wichtigeres ahnen lassen. Nun haben sie Angst!«
Wir unterhielten uns noch einige Zeit, besonders über Assil Ben Rih, für den er ganz begeistert war. Dann kam Schakara, um mir die Grüße des Mir Alai zu bringen. Er ließ mir sagen, er sehe nun ein, daß es nichts Herrlicheres gebe als so einen Glauben und so ein unerschütterliches Gottvertrauen, dem nichts auf Erden widerstehen könne.
Sehr erfreulich war es mir, daß der Ustad sich über mein Befinden höchst befriedigend äußerte, doch behauptete er, mich erst Freitag, also übermorgen, aus seiner Behandlung entlassen zu können. Ich hatte mich zu fügen und tat es gern.
Als es dunkel werden wollte, nahm ich mein Abendessen ein und sank dann dem auch in Kurdistan und Persien sehr wohlbekannten Morpheus in die Arme. Er hielt mich möglichst fest, konnte es aber doch nicht verhindern, daß ich, grad wie gestern in der Nacht einmal für kurze Zeit erwachte. Das geschah auf eine ganz eigentümliche Weise. Ich träumte nämlich nicht, und doch war es, als flüstere mir Jemand leise in das Ohr, aber nicht in das äußere, sondern in das innere:
»Wache auf! Ich komme nur für einige Augenblicke wieder, um dir Etwas zu zeigen, worüber du dich herzlich freuen wirst!«
Das hörte ich ganz deutlich. Da schlug ich die Augen auf. Die Sterne leuchteten hell. Ich schaute hinüber, wo Schakara gesessen hatte. Da kniete Einer im Gebete. Er hatte die gefalteten Hände auf die Ballustrade gelegt und das Gesicht emporgehoben. Ich erkannte ihn. Ich sah sogar, daß er die Lippen bewegte.
Es war der Aschyk. Ich wußte genau, daß ich wach sei, und doch hörte ich die leise Stimme in meinem Ohre weitersprechen:
»Er betet für dich! Das ist der beste Dank, den wir in Euerm Erdenleben kennen. Schlaf wieder ein!«
Weiter vernahm ich nichts. Die Lider wurden mir plötzlich so schwer, daß sie niedersanken. Dann wußte ich nichts mehr, weder von mir noch von sonst Etwas. Man nennt das »Schlaf«. Das richtige Wort hierfür hat sich erst noch zu finden!
Dann war es, grad auch wie gestern, gegen Mittag, als ich wieder erwachte. Jetzt saß Schakara da. Sie sah mich an, nickte mir lächelnd zu und sagte:
»Noch eine solche Nacht, Effendi, dann ist die Gefahr vollständig überstanden.«
»Hast denn auch du dich ausgeruht?« fragte ich.
»Ich wollte nicht. Dschanneh wacht gern für dich. Ich saß schon hier. Da kam der Aschyk vom Glockenwege herüber. Er hatte Einiges für dich aufgeschrieben und wollte es dir in das Zimmer legen. Er bat so nachhaltig und so rührend, meine Stelle hier einnehmen zu dürfen, daß ich es ihm erlaubte. Bist du mir bös darüber?«
»O nein! Ich wachte auf und sah ihn beten. Dann schlief ich sogleich wieder ein.«
»Und ich kam gegen Morgen wieder, als er fort mußte. Da sagte er mir, daß er für dich gebetet habe. Es sei dann ein Gefühl des Glückes über ihn gekommen, wie fast noch nie in seinem ganzen Leben.«
»Wo ist das, was er für mich aufgeschrieben hat?«
»Ich trug es dem Ustad hinunter, weil du mit solchen Dingen jetzt noch nicht behelligt werden sollst. Horch!
Was ist das für ein Rufen im Hofe? Es kommt Jemand, den man begrüßt.«
Sie stand auf und schaute hinab.
»Kara Ben Halef!« fuhr sie fort. »Aber der Reitknecht des Mirza ist nicht bei ihm, sondern ein Anderer. Man sieht ihm an, daß er kein Diener, sondern ein Herr ist, und zwar ein vornehmer. Kara ist stehend abgesprungen; das andere Hedschin aber muß sich legen, damit der Fremde bequem herunter kann. Jetzt kommt der Ustad. Er staunt, doch ist sein Erstaunen ein freudiges. Sie kennen einander. Ihre Begrüßung ist eine herzliche. Jetzt schaut der Ustad herauf. Er sieht mich. Er winkt, daß ich kommen soll. Ich muß also fort, Effendi, werde dir aber bald berichten.«
Sie ging. Es dauerte über eine Stunde, ehe sie wiederkam. Sie hatte dem neuen Gaste die im Wartturme unter Dschafars Wohnung liegenden Gemächer herrichten müssen. Nun sagte sie:
»Es ist ein Hauptmann der kaiserlichen Leibwache. Er besitzt das Vertrauen des Schah-in-Schah und wurde von ihm gesandt, um sich unter den Befehl des Ustad zu stellen. Es kommen hundert Mann der Leibgarde nach, lauter auserlesene Krieger, die hoch im Range stehen. Der Reitknecht des Mirza wird ihr Führer sein, weil er den Weg nun kennt. Kara ist sehr gut aufgenommen und auch mit einem Ehrenkleide beschenkt worden. Er hat ein eigenhändiges Schreiben an den Ustad mitgebracht und der Hauptmann ein ebensolches an Dschafar Mirza. Den Inhalt wird dir der Ustad selbst mitteilen. Jetzt speisen sie. Dann wird ein weiter Außenritt rund um das Tal gemacht, denn der Hauptmann will hinter den Bergen rekognoszieren, weil dies jetzt noch unbemerkt geschehen kann. Die Gegner sollen nämlich erst im letzten Augenblick erfahren, wer er ist und wozu er sich bei uns befindet. Der Ustad wird jetzt nicht zu dir kommen. Ich habe ihm Bericht über dein Befinden erstattet und soll dir sagen, daß du dich als genesen betrachten darfst. Doch hat er Gründe, zu wünschen, daß du noch für krank gehalten wirst. Er läßt dich also bitten, dich den Leuten so wenig wie möglich zu zeigen, bis er dich hier aufsucht und dir Alles sagt. Er gab mir eine große, starke Papierrolle mit, die ich dir herein auf den Tisch gelegt habe. Es sei, um dich zu beschäftigen, meinte er.«
Jawohl, es war eine Beschäftigung, und zwar was für eine! Als Schakara wieder gegangen und ich aufgestanden war, öffnete ich die Rolle, welche aus mehreren größeren und kleineren Blättern bestand. Das erste große Blatt war eine Federzeichnung, welche die jetzige westliche Seite des Sees darstellte, von der Mitte desselben aus gesehen. Unten der Duar, links der Weg nach dem Tale des Sackes und rechts der Pfad nach den Gebieten der Takikurden und der nördlichen Dschamikun. In der Mitte, am Berge aufsteigend, die Ruinen, trotzig, düster, verschwiegen, ohne eine Spur innern oder äußern Lebens. Südlich von ihnen das Haus des Ustad, auf hoher Gigantenmauer, den Stürmen ausgesetzt. Von ihm ausgehend der Glockenpfad hinauf zum Alabasterzelt. Indem ich dieses Blatt betrachtete, kam mir der Gedanke, es zeige viel zu viel und dennoch fehle Alles! Ich griff also zum zweiten.
Was sah ich da? Nicht mehr die massige Materie, sondern an ihrer Stelle das Geistige, das Seelische. Die Veränderung erstreckte sich nur auf die Ruinen, und doch hatte sie alles Fehlende gebracht. Die Hand des Menschen hatte dem Gestein eine andere Gestalt und mit ihr ein neues Leben gegeben. Da, wo jetzt der Landeplatz lag, führten hier sehr breite Stufen durch die geöffnete Mauer nach dem freien Platze, der durch den Wegfall der Etagen entstanden war. Rosen, viele Rosen, nichts als Rosen blühten hier, grad wie drüben vor dem Beit-y-Chodeh. Alle Wege, die es zwischen ihnen gab, führten nach einer gradezu imposanten, prächtigen Säulenhalle, zu deren Bau die sämtlichen Kolossalquader der Ruinen verwendet worden waren. Ich dachte an Baalbek, an den Kailafa von Ellora, an die aztekischen Teocalli; aber alle diese berühmten Bauten schienen von dieser einen Halle in den Schatten gestellt zu sein. Ihr Hintergrund bildete eine hohe, runde, dunkle Nische mit einem Riesenpostamente, welches jedenfalls bestimmt war, eine entsprechend große Figur zu tragen.
Die Halle trug kein eigentliches Dach, sondern, ähnlich wie die schwebenden Gärten der Semiramis, eine zweite, umfangreiche Blumenanlage, aus welcher zu meinen frohen Erstaunen ganz genau jenes kleine Dorfkirchlein emporstieg, dessen Bild in meiner Schlafstube hing, darunter die kindlich einfachen Worte:
»Kirchlein mein, Kirchlein klein,
Könnt so fromm wie du ich sein!
Deine Höhe zu erreichen,
Will ich dir an Demut gleichen.
Kirchlein mein, Kirchlein klein,
So wie du will stets ich sein!«
Man sollte denken, daß diese kirchliche Bescheidenheit sich auf so gigantischer Unterlage gradezu lächerlich habe ausnehmen müssen; das war aber keineswegs der Fall. Es schien mir vielmehr ganz im Gegenteile, als ob es gar nicht anders sein könne. Ein von Gottes Felsen getragenes Menschenwerk wird nur dann lächerlich, wenn es sich mit dem Anscheine brüstet, auch aus Gottes Felsen zu bestehen!
Das war die Mitte des Berges, von dessen Höhe, genau über der Spitze des Kirchturmes, das Alabasterzelt herniederschaute. Auf den beiden Flanken lagen in fruchttragenden Gärten zwei villenähnliche, freundlich blickende Häuser. Unter dem einen war das Wort »Pfarrhaus«, unter dem andern aber »Schulhaus« zu lesen.
Die übrigen Blätter enthielten die architektonischen Risse und Zeichnungen zu diesen drei Gebäuden. Sie interessierten mich dermaßen, daß ich mich sofort hinsetzte und sie zu studieren begann. Zu einer so klaren, liebevollen Beantwortung alter, düsterer Ruinenfragen kann man doch wohl keinen Augenblick lang gleichgültig sein! Ich ließ mich darum nur kurze Zeit durch das Essen stören und saß noch gegen Abend rechnend, messend und kalkulierend da, als der Pedehr kam, um, wie er sagte, mir etwas Wichtiges mitzuteilen.
Es war nämlich ein Bote dagewesen, welcher gemeldet hatte, daß der Scheik ul Islam und Ahriman Mirza gemeinschaftlich und in höchster Eintracht mit einander den hochverdienten Ghulam el Multasim zum Ustad der Taki-Kurden ernannt hätten. Man gebe uns das zu wissen, weil er beim Rennen auch erscheinen werde und dieser seiner Würde entsprechend von uns zu empfangen und zu behandeln sei. Unser Ustad war von seinem Ritte noch nicht heimgekehrt, und so hatte der Pedehr es für geboten erachtet, diese Neuigkeit herauf zu mir zu bringen. Ich sagte ihm:
»Das hat nicht die geringste Wichtigkeit für uns. Man mag diesen »Henker« zum Kaiser von China oder gar zum Dalai Lama ernennen, so ist es uns doch im höchsten Grade gleichgültig. Er kann dem Schicksale, welches er sich selbst bereitet hat, durch keine Spiegelfechterei entgehen. Er griff zum Messer, um mich zu vernichten. Womit man sündigt, damit wird man bestraft. Wir haben es noch hier, unten in der Rumpelkammer. Warten wir ruhig ab, was geschieht!«
Da ging er wieder. Hätte mich Jemand gefragt, warum ich ihn grad mit diesem Bescheide gehen ließ, so wäre es mir wohl nicht gelungen, eine zufriedenstellende Erklärung abzugeben. Es soll vorkommen, daß der Mensch grad dann am klarsten spricht, wenn er sich selbst ein Rätsel ist!
Bald darauf sah ich, daß der Ustad mit dem Hauptmann heimkehrte. Er ließ sich nach dem Abendessen für kurze Zeit bei mir sehen. Wir sprachen nur über den geplanten Kirchenbau; alles Andere wurde vermieden. Doch bevor er ging, sah er mir lächelnd in das Gesicht und sagte:
»Ich belästige dich nicht mit Dingen, die ich verpflichtet bin, auf mich selbst zu nehmen. Du sollst nicht Arbeiter sein bei mir, sondern mein lieber, hochwillkommener Gast, den ich nur dann mit der Bitte um Hilfe belästige, wenn ich sie nötig habe. Die geistige Gastfreundschaft hat genau dieselben Rücksichten zu nehmen wie die materielle. Ich weiß, daß du verstehst, was ich meine, und bin deiner Approbation gewiß!«
Da reichte ich ihm die Hand und antwortete:
»Du denkst da ebenso tief wie richtig. Du fragtest mich früher einmal, wer ich eigentlich sei; jetzt höre ich, daß du es weißt. Wollte man doch endlich einmal begreifen, daß der soi-disant Menschengeist kein Spezialblock ist, an dem die sogenannte Erziehung herummeißeln kann, wie es ihr beliebt! Wir sind mit einander verbunden und dennoch nicht nur Einer. Sobald du mich brauchst, bin ich du!«
Er sah mich an, sann einige Augenblicke nach, nickte dann und sprach:
»Sehr richtig! Du treibst doch immer und immer Psychologie! Bisher war ich mir ein Rätsel. Kamst du, um mich zu lösen?«
»Ein Jeder löse sich selbst! Er hat ja Augen und Ohren und um sich herum eine ganze, ganze Welt, die ihn über sich selbst belehren soll und kann! Jetzt, gute Nacht, mein Freund. Du hast außer mir noch andere Gäste, deren Hände gestalten helfen, was zu gestalten ist. Hoffentlich sind es nur gute!«
»Sie sind es. Mit den bösen rechnen wir in den nächsten Tagen ab. Du hörst, ich psychologiere nun auch!«
Soll ich nun wieder erzählen, daß und wie ich geschlafen habe? Es ist eigentlich eine Schande, von Tag zu Tag sagen zu müssen, daß man erst gegen Mittag aufgewacht sei; aber ich muß dieses Geständnis schon wieder machen, wünsche aber, zum letzten Male. Jedenfalls war mir dieses ausgiebige Schlafen sehr nötig gewesen; der Erfolg bewies es mir. Nun aber war es genug! Ich ging hinab, ohne erst um Erlaubnis zu fragen.
Zu wem? Natürlich zunächst zu Syrr, nach welchem ich mich förmlich sehnte. Wer aber kam da eiligen Schrittes gelaufen? Der Ustad!
»Willst du gleich wieder hinauf!« lachte er. »Schau dir die Welt von oben an! Unten darf man ja noch gar nicht wissen, wie gesund und energisch du bist!«
»Ja, richtig; daran hatte ich gar nicht gedacht! Aber arretiere mich nicht sofort, sondern erlaube mir, Syrr vorher einige Aepfel zu holen!«
»Das werde ich tun, und zwar bringe ich seine Lieblingssorte. Schakara hat sie mir verraten.«
Während er nach dem Garten ging, war es gradezu rührend für mich, zu sehen, wie der Glanzrappe sich darüber freute, daß ich wieder einmal bei ihm war. Er gab mir das nicht etwa in drolliger Weise zu erkennen, sondern so still, so ruhig, fast möchte ich sagen, so innig oder so herzlich, als ob es eine menschliche Anmaßung sei, daß Tiere absolut keine Seele haben sollen. Man pflegt ihnen höchstens sogenannte »psychische Funktionen« zu gestatten. Nun wohlan, die psychischen Funktionen meines Syrr waren ehrlich, aufrichtig und ohne eine Spur von Falschheit oder Verstellung. Hoffentlich ist das bei den Menschenseelen in entsprechend höherem Grade ebenso der Fall!
Als er wiederkam, reichte er Syrr einen der Aepfel hin. Das Pferd roch die Frucht gar nicht einmal an. Es legte die Ohren nach hinten und wich einige Schritte zurück. Der Ustad tat einen zweiten Apfel zu dem ersten und folgte nach. Syrr ging abermals rückwärts, und der Ustad avancierte wieder, ihm die Aepfel hinhaltend. Da drehte sich der Rappe um und hob den hintern Fuß, zum Zeichen, daß er sich nun wehren werde.
»Was? Schlagen will er mich!« verwunderte sich der Ustad. »Er ist also wirklich edler als Assil, der keinen Unterschied macht zwischen mir und dir!«
»Ja. Der höchste Adel zeigt sich eben darin, daß er distinguiert, nicht aber in den Fransen und Quasten, mit denen der Herr ihm Zaum und Sattel behängt. Teilen wir die Früchte zwischen beide Pferde!«
Wir taten es. Der Ustad gab Assil die eine Hälfte; die andere bekam Syrr von mir. Er nahm sie jetzt ohne Weigern, und ich liebkoste ihn dafür. Indem wir dann fortgingen, sagte der Ustad:
»So; nun gehst du wieder hinauf, doch nicht, ohne daß ich dich für deine Folgsamkeit belohnen werde. Du sollst dich am Tage so wenig wie möglich zeigen; aber heut Abend reiten wir im Dunkel mit Kara zusammen nach dem Dschebel Adawa, um zu versuchen, Etwas über die dortige Zusammenkunft zu erfahren. Ist dir das recht?«
»Sogar sehr, falls du glaubst, daß ich nicht zu schwach zu diesem Ritte bin.«
»Zu schwach?« fragte er lächelnd. »Nach einer so ausgiebigen Schlafmützigkeit? Uebrigens wird es interessant, auch wenn wir nichts Neues sehen und hören. Du reitest den Syrr, ich den Assil und Kara den Barkh. Das gibt heimwärts ein Vorrennen, welches uns zeigen wird, wie weit wir in unsern Berechnungen gehen dürfen.«
Ich war mit dem geplanten, abendlichen Ritte natürlich sehr gern einverstanden. Man wird sich erinnern, daß der Fürst der Schatten seine Pädärahn für heut um Mitternacht nach dem Dschebel Adawa, dem »Berge der Feindschaft«, bestellt hatte, um ihnen seine letzten Weisungen zu erteilen. Zwar kannten wir die Stelle nicht, an welcher diese Unterredung stattfinden sollte, doch bot uns der alte Holunderbaum, in dem Kara die Agraffe gefunden hatte, einen Halt, den wir benutzen konnten. Als ich das dem Ustad jetzt sagte, antwortete er: