Kitabı oku: «Im Reiche des silbernen Löwen IV», sayfa 9
Ueber Halef freute ich mich. Er schien seit gestern einen bedeutenden Fortschritt gemacht zu haben und bat, bis zum Abende im Freien bleiben zu dürfen. Darum schlug ich vor, hier an diesem Platze später unser Abendbrot zu nehmen, worauf gern eingegangen wurde. Als Hanneh mich fragte, wo Kara geblieben sei, sagte ich nur, daß er gegen Abend wiederkommen werde, und ging dann in den Garten, wo, wie ich hörte, sich der Pedehr befand. Er saß auf der Bank, wo ich von Tifl als Pflaumendieb überfallen worden war. Ich setzte mich zu ihm.
»Kennst du den Scheik ul Islam?« fragte ich.
»Ja,« antwortete er, sofort aufhorchend; »doch nicht persönlich.«
»Hat man sich vor ihm zu fürchten?«
»Du wohl nicht, aber vielleicht wir.«
»Falsch! Ich bin jetzt Dschamiki, so vollständig Dschamiki, daß ich keine Gefahr kenne, die es nicht für mich gibt, sondern nur für Euch. Der Scheik ul Islam wird morgen zu uns kommen.«
»Ist das wahr? Wer hat es gesagt?« rief er erschrocken aus.
»Der Chodj-y-Dschuna.«
»So kommt er allerdings. Der Chodj ist stets gut unterrichtet. Er hat sich nie geirrt, wenn er uns warnte. Wenn der Scheik ul Islam persönlich zu uns kommt, so handelt es sich um eine Sache von allerhöchster Wichtigkeit. Er ist ein Fürst des geistlichen Standes und unternimmt sicher keine solche Reise, ohne die schweren Gründe sorgsam abgewogen zu haben. Effendi, es steht uns nichts Gutes bevor!«
»Warum nichts Gutes. Warum muß es unbedingt Böses sein, was er uns bringt?«
»Weil von dieser Seite überhaupt nichts Gutes kommen kann. Er ist, streng genommen, kein Perser, sondern ein Takikurde. Es gibt ein bekanntes Wort, das lautet: So oft der Taki seinen Blick fromm zum Himmel hebt, tritt er mit dem Fuße einen Menschen nieder. Und dieser tugendheilige Fürst schaut fast immerwährend empor. Wer mag sie zählen, die er schon unter seine leisen, weichen, geräuschlosen Sohlen trat! Wir werden seinen demütigen, gottseligen Augenaufschlag zu sehen, aber auch seine fanatischen Fußtritte zu fühlen bekommen. In seinen Stapfen hebt sich kein Grashalm wieder auf!«
»So lassen wir ihn nur in Dornen treten; das wird uns nützlich und ihm heilsam sein! Ich konnte leider nicht erfahren, ob er allein kommt oder nicht.«
»Allein? Daran ist nicht zu denken! Er muß sich doch mit Glanz und Stolz umgeben, damit seine Demut um so deutlicher hervortrete! Wir werden hohe, sehr hohe Gäste haben, und zwar nicht wenig. Es gilt also, uns vorzubereiten!«
»Nein! Er darf auf keinen Fall bemerken, daß wir von seiner Ankunft gewußt haben. Die Gäste bekommen nur, was grad vorhanden ist. Angeschafft oder zubereitet wird nicht das Geringste. In der Küche darf Niemand Etwas ahnen. Ganz besonders aber hast du dafür zu sorgen, daß Pekala und Tifl nichts erfahren. Das fordere ich streng!«
Er sah still vor sich nieder und sagte nichts dazu. Darum fuhr ich fort:
»Also keine Vorbereitungen, schon dieser Beiden wegen, die absolut nichts merken dürfen! Wo aber werden wir die Gäste unterbringen?«
»In der Halle.«
»Wo Hadschi Halef liegt?«
»Wenn du erlaubst, betten wir ihn fort. Es trifft sich gut, daß Hanneh mich vorhin fragte, ob sie ihn nicht bald hinauf zu sich bekommen könne. Die Pflege werde ihr dadurch erleichtert, und er habe dann auch mehr Ruhe als jetzt in der Halle, die doch stets offen sei.«
»So bettet ihn gleich nach dem Abendessen hinauf! Hanneh hat Recht; ihr Wunsch ist sehr vernünftig. Sag aber auch zu ihr nichts von dem Scheik ul Islam, überhaupt zu keinem Menschen. Wer es erfahren soll, dem sage ich es selbst. Dieser »Fürst« soll ganz den Eindruck haben, daß er uns vollständig überrasche. Und denke ja nicht an große Gasterei! Es ist sogar sehr möglich, daß weder er noch einer seiner Begleiter einen Bissen von uns bekommt.«
»Effendi, das nimm zurück! Das ist ausgeschlossen, vollständig ausgeschlossen!«
»Warum?«
»Bedenke zunächst die hohe Pflicht der Gastlichkeit!«
»Die kenne ich ebenso genau wie du, und Niemand kann lieber gastlich sein als ich. Nur habe ich abzuwarten, ob der Scheik ul Islam sich gegen uns so benimmt, daß ich ihm erlaube, unser Gast zu sein.«
Da sah er mich groß an.
»Das klingt ja, als ob du dir gar nichts aus diesem hohen Würdenträger machtest!« sagte er.
»Ich mache mir ganz genau das aus ihm, wozu er das Material besitzt, nicht weniger und nicht mehr. Teppiche, Polster, Pfeifen, Tabak, Kaffee, Wasser, das ist ja alles da. Wenn Weiteres gegeben werden soll, ist dann, wenn ich es sage, auch noch Zeit. Zugegen sein werden nur du, der Chodj-y-Dschuna und ich. Er ist der Einzige, mit dem du dich besprechen magst. Ob ich noch andere Dschamikun brauchen werde, das kann ich jetzt nicht wissen; es hat sich erst zu zeigen. Hast du vielleicht einmal vom »besten Pferd von Luristan« gehört?«
»Schon oft. Es gehört dem Scheik ul Islam und ist der schnellste und ausdauerndste Renner aus der Taki-Zucht. Er wurde nie besiegt, und der Besitzer hat schon manchen Preis mit ihm gewonnen.«
»Wie kam er zu diesem Tiere?«
»Der Stamm machte es ihm zum Geschenk, um seine beispiellose Frömmigkeit und Glaubensstrenge zu belohnen. Es gab noch keinen Taki, der so hoch gestiegen ist wie dieser Mann. Darum sind sie stolz auf ihn und halten es für eine Ehre, ihn den Ihrigen nennen zu dürfen. Er sagt, die Liebe zu dem Pferde sei die einzige irdische Liebe, die er sich erlaube. Und da er seinen Stall gern jedem Rennen öffnet, so ist es gar nicht ausgeschlossen, daß er sich morgen mit anmeldet, sobald er hört, daß hier bei uns gelaufen wird.«
»Soll ich annehmen?«
»Das ist deine Sache, Effendi. Ich sage weder ja noch nein. Ein Pferd, welches noch nie geschlagen wurde, ist ein gefährlicher Gegner. Um so ehrenvoller ist es dann aber auch, es besiegt zu haben. Es handelt sich da vor allen Dingen um den Preis, zu welchem er dich in die Höhe treiben würde.«
»Weißt du vielleicht, ob der Scheik ul Islam in irgend einem persönlichen Verhältnisse zu Ahriman Mirza steht?«
»Nein.«
»Oder zu Ghulam el Multasim?«
»Ja, die sind eng befreundet. Der Scheik ul Islam hat Ghulam sogar zu einem seiner Kasi26 ernennen lassen und sieht ihn oft als Gast in seinem Hause.«
»Das ist mir wichtig, außerordentlich wichtig! Doch jetzt zu etwas anderem: Ich ließ es bisher ruhen; nun ich aber an Stelle des Ustad stehe, ist es meine Pflicht, mich dieser Sache anzunehmen. Ich war nämlich beim Scheik der Kalhuran und freue mich, daß seine Genesung vorwärts schreitet. Er steht nicht unter Eurer Dschemma; aber du sagtest, daß sein Weib bestraft werden müsse, weil sie Blut vergossen hat.«
»So ist es. Sobald er das Lager verläßt, haben wir über sie zu richten.«
»Hättest du an ihrer Stelle anders gehandelt? Hättest du deinen Gatten vollends erschlagen lassen?«
»Was ich getan hätte, kommt nicht in Betracht. Wir haben das Gesetz, und nach diesem ist zu verfahren.«
»Also selbst bei Euch herrscht auch noch der Buchstabe, nicht der Geist des Gesetzes!«
»Du irrst. Wir werden die allergeringste Strafe wählen.«
»Aber doch Strafe! Ist es denn nicht möglich, daß sie freigesprochen wird?«
»Nein.«
»Wer hat das Recht der Begnadigung?«
»Der Ustad. Du weißt, daß in Persien jeder Weli oder Beglerbeg die Macht über Leben und Tod, also auch das Begnadigungsrecht besitzt, und der Ustad ist der Weli unseres Bezirkes.«
»Wer hat es jetzt, da er verreist ist?«
»Sein Stellvertreter, also du.«
»So bitte ich dich, zu dem Kalhuri zu gehen. Sage ihm, daß ich an Stelle seiner Frau gewiß auch Blut vergessen hätte. Ich halte sie also für ebenso unschuldig, wie mich und dich und gebe nicht zu, daß sie bestraft wird. Wer einen Menschen einer Tat wegen verdammt, zu der er unter Umständen selbst fähig gewesen wäre, der ist derselben Strafe wert. Gehe sogleich!«
»Effendi, das ist eine frohe Botschaft. Ich eile, sie zu überbringen. Du hast hiermit die Herzen aller Dschamikun und Kalhuran gewonnen!«
Nun ging ich nach meiner Wohnung um die Schlüssel zu derjenigen des Ustad zu holen. Es galt, mich für den morgigen Besuch so weit vorzubereiten, als es notwendig war, über alles Vorkommende genau unterrichtet zu sein. Ich fand eine Mappe, welche alle Schriftstücke enthielt, die sich auf die Abtretung des Gebiets, auf die Verwaltung desselben und auf die Rechte und Pflichten der Dschamikun bezogen. Der Ustad hatte überhaupt dafür gesorgt, daß ich mich sehr leicht zu orientieren vermochte. Es gab überall beschriebene Zettel, welche den betreffenden Inhalt anzeigten, und so fand ich auch ohne langes Suchen das wertvollste aller Dokumente, bei welchem die Notiz lag: Noch nie gebraucht und noch keinem Menschen gezeigt, doch unbedenklich zu benutzen!
Ich öffnete es mit Spannung und las es durch. Es enthielt Abmachungen, welche ohne alle Zeugen zwischen dem Schah und dem Ustad persönlich gepflogen worden waren, und sicherten dem Letzteren einen Schutz, wie ihn kein Weli oder Beglerbeg sich kräftiger wünschen konnte. Eine große Seltenheit war der eigenhändige Namenszug des Beherrschers und die dreimalige Wiederholung des ebenso eigenhändigen Siegels. Hierbei lag noch eine Karte von schwer vergoldetem Pergament. Die vier Ecken enthielten in Handmalerei das persische Wappen, den vor der Sonne liegenden Löwen. Und in der Mitte war, mit der Feder liebevoll kalligraphisch geschrieben, natürlich in persischer Sprache, doch gebe ich es deutsch: »Wer dieses vorzeigt, hat nur mir zu gehorchen!« Auch hierunter der eigenhändige Namenszug und das Siegel, dessen Inschrift aus den Worten bestand: »Als Nasr-ed-Din das Siegel in die Hand nahm, erschallte der Ruf der Gerechtigkeit vom Monde bis zum Fische.« Der Schah, bekanntlich ein eifriger Kalligraph, hatte diese Karte selbst gezeichnet und geschrieben, und sie war darum vorkommendenfalls selbst den Höchsten seines Reiches gegenüber eine Legitimation, welche zu sofortigem Gehorsam zwang.
Hiermit besaß ich schon viel mehr, als ich für morgen brauchte, und schon wollte ich wieder gehen, da wurde die Tür geöffnet, und Pekala trat herein. Ihr Gesicht glänzte in der gewöhnlichen, ganz wie begeisterten Freundlichkeit, und es war ein höchst vertraulicher Ton, in dem sie sagte:
»Ich sah den Schlüssel stecken, Effendi, und dachte mir gleich, daß du hier im Zimmer seist. Ich habe zwar keine Zeit, doch für dich immer, und so wollte ich dich fragen, ob ich dir das von meinem Aschyk sagen darf.«
»Laß es hören!«
»Und du wirst aber nichts verraten?«
»Ist es denn ein Geheimnis?« umging ich diese ihre Frage.
»Ja, natürlich!« antwortete sie wichtig. »Ich habe eine ganze Menge von Geheimnissen, von denen Niemand Etwas wissen darf. Dir aber sage ich vielleicht einige davon. Das notwendigste von ihnen allen sollst du jetzt gleich hören. Nämlich mein Aschyk kommt immer nach vier Wochen; das habe ich dir schon mitgeteilt. Kürzlich aber war er einmal außer dieser Zeit hier; das weißt du noch nicht. Kannst du vielleicht erraten, weshalb er kam?«
»Nein. Sag es, und mach es so kurz wie möglich!«
»Warum das? Ich spreche ja immer kurz, Effendi! Mein Aschyk hat nämlich beschlossen, mit unserem Ustad zu reden und ihm Vieles mitzuteilen, was ihn vom Tode erretten kann.«
»Wen erretten? Den Aschyk oder den Ustad?«
»Den Aschyk; vielleicht aber auch beide; ich weiß es nicht genau. Ich soll dem Ustad sagen, daß er nächsten Sonntag kommen werde, grad um Mitternacht. Ich aber komme schon eine Stunde vorher mit ihm zusammen.«
»Und hast du das dem Ustad mitgeteilt?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Weil – – – weil – – – weil ich mich vor ihm fürchtete.«
»Vor mir aber nicht?«
»Doch auch! Aber die Zeit verging; der Sonntag ist schon nahe, und wenn ich mich so weiter fürchte und nichts sage, so verliere ich meinen Aschyk. Er hat mir nämlich gesagt, daß er niemals wiederkommen werde, wenn ich nicht ganz gewiß dafür sorge, daß er mit dem Ustad sprechen dürfe. Darum habe ich mir endlich ein Herz gefaßt und diese Bitte zu dir gebracht, weil der Ustad nächsten Sonntag noch nicht wieder hier sein kann. Was sagst du nun dazu?«
Sie wischte sich die feucht gewordene Stirn und atmete erleichtert auf. Es war ihr doch schwer geworden, sich an mich zu wenden.
»Ist es denn dem Aschyk gleich, ob er mich oder den Ustad trifft?« fragte ich.
»Ich denke es. Du stehst ja an des Ustad Stelle, und da die Sache nicht aufgeschoben werden darf, so muß er einverstanden sein.«
»Weiß noch Jemand davon, daß er Sonntag kommt?«
»Nein.«
»Auch Tifl nicht?«
»Tifl? Diesem Schwätzer darf man solche Dinge nicht mitteilen. Er weiß kein Wort!«
Das war eine Lüge, wurde aber mit der ehrlichsten und aufrichtigsten Miene der Welt gesagt. Die kleinen Aeuglein blickten mich dabei so offen, so treuherzig an, daß ich fast glaubte, mich besinnen zu müssen, ob ich mich nicht täusche.
»Hat der Aschyk gesagt, an welchem Orte er mit dem Ustad zu sprechen wünscht?« fuhr ich fort.
»Nein. Das hast nun du zu bestimmen. Willst du mir sagen, wo?«
»Heut noch nicht. Ich werde es dir noch rechtzeitig mitteilen. Und nun höre mich an! Du schweigst gegen Jedermann, auch gegen Tifl! Wenn du einem einzigen Menschen sagst, daß dein Aschyk kommt, um mir etwas zu sagen, so rede ich nicht mit ihm und jage dich aus dem Hause!«
»Effendi,« rief sie aus, indem sie erschrocken zurückfuhr. »Was machst du mir da für fürchterliche Augen. Du hast ja plötzlich ein ganz anderes Gesicht!«
»Das ist mein Gesicht, wenn ich mir etwas vornehme, was ich unbedingt auch ausführe. Du hast es noch nicht gesehen. Hüte dich vor der Wiederkehr! Wenn du nicht schweigst, lasse ich dich noch mitten in der Sonntagsnacht über die Grenze schaffen, ohne zu fragen, was dann aus dir wird! Verstanden?«
»Ja, ja, ganz genau!« versicherte sie, vor Schreck in sich zusammenkriechend. »Effendi, der Ustad ist doch freundlicher als du. Wer hätte das gedacht!«
»Jedes an seinem Orte, die Strenge sowohl als auch die Freundlichkeit! Hast du noch etwas zu sagen?«
»Nein.«
»So geh!«
Sie machte in ihrer inneren Zermalmung einen ganz verkehrten Knicks und entfernte sich bedeutend weniger vertraulich, als sie hereingekommen war. Ich aber schloß die Wohnung sorglich ab und ging, mit Schakara zu sprechen.
Wie kam es doch, daß ich gar nicht nach ihr fragte, sondern daß es mir war, als wisse ich ganz genau, wo sie sei? Ich ging durch den Garten. Bei der Quelle angekommen, sah ich die »Schwester« bei den Pferden.
Die Sahm knusperte mit Ghalib im Grase herum. Assil aber hatte sich niedergelegt. Schakara saß neben ihm und flocht, über seinen Hals gelehnt, aus den Mähnenhaaren Zöpfe, in die sie Veilchen wand. Der Rappe langte von Zeit zu Zeit mit dem Maule herüber, um sie freundschaftlich in den Arm zu kneifen. Ich beobachtete das eine ganze Weile; dann ging ich hin und setzte mich zu ihnen.
Es war nichts Unaufschiebbares, was ich mit Schakara zu besprechen hatte. Ich wollte ihr nur mitteilen, wer morgen kommen werde. Aber indem ich dies tat, war es, als ob sich in mir alles Verschlossene öffne, um von ihr gesehen, geprüft und bestätigt oder verworfen zu werden. Sie sprach ganz wenig, und fast nur, wenn ich fragte. Und was sie dann sagte, war so selbstlos, so bescheiden und klang doch fest, bestimmt und zaglos sicher. Ich erkannte mehr und mehr, daß sie etwas unendlich Großes, Schönes, Klares in sich trug, und sann darüber nach, wie es zu nennen sei. Es war gewiß das, was wir »Gebildeten« eine Welt-, eine Lebensanschauung nennen, und doch noch mehr, viel mehr! Diese Anschauung erstreckte sich über noch ganz andere Schätze als diejenigen, welche die sogenannte »Welt« und das angebliche »Leben« uns bieten. Indem ich jetzt mit ihr sprach, tauchte der Augenblick wieder vor mir auf, an dem ich sie von meinem Krankenlager aus zum zweiten Male sah27: Unweit der Tür saß sie mitten im Pflanzengrün. Weiß war ihr Gewand. Sie hatte den Schleier nach hinten geschlagen. Ihr dunkles Haar hing in langen, schweren Flechten herab. Die schlanken Finger glitten über die Saiten der Sandurah. Darf man ein menschliches Wesen mit einem Gedicht vergleichen? Man sagt ja, daß der Mensch das herrlichste Gedicht der ganzen Schöpfung sei. Wenn nicht das herrlichste, aber gewiß eines der frömmsten sah ich hier!
Damals waren es Harfentöne, die ich von ihr hörte. Sie spielte, damit meine und Halefs Seele festgehalten werden sollten. Jetzt waren es Worte, die ich von ihr vernahm; aber Alles, was und wie sie es sagte, hatte eine tiefe, innige Verwandtschaft mit jenen Harfenklängen. Es war Alles so melodiös, so harmonisch, so voll, so rein, so ganz ohne jede Spur von Dissonanz. Ich sprach weiter und weiter, nur um diese Lippen antworten zu hören, aus denen nichts Trübes, nichts Entweihtes klingen konnte. Es war, als ob ich ihr alle meine Gedanken hinübergeben müsse, um sie geläutert und geklärt dann wieder in Empfang zu nehmen. Hatte Marah Durimeh das gewußt, als sie schrieb, daß ich der Geist sein solle, sie aber die Seele, meine Schwester? Psychologie, nicht theoretisch, sondern praktisch gelehrt! Nicht aus wissenschaftlichen Leitfäden getüftelt, sondern aus dem Geistes- und Seelenleben direkt und ohne Deutelei herausgegriffen!
So saßen wir viel länger, als ich beabsichtigt hatte, beieinander, bis Kara Ben Halef mit seinem Barkh kam und mir meldete, daß es ihm gelungen sei, meinen Auftrag auszuführen, ohne von Jemand gesehen zu werden. Er habe die betreffende Stelle genau untersucht und sei überzeugt, daß kein anderer Fuß sie inzwischen betreten habe. Da es Zeit zum Abendessen war, so forderte ich ihn auf, mit uns zu kommen, um an demselben teilzunehmen. Er lehnte aber ab, weil er für die langsame Abkühlung Barkhs zu sorgen habe, damit dieser ja nicht etwa verschlage. Er war in Allem, was in seinen Händen lag, so wohlbedacht, gewiß mehr ein Erbteil von seiten seiner Mutter als seines Vaters, des oft nur allzu schnellen Hadschi, dessen lebhaftes Temperament der ruhigen Ueberlegung gern aus dem Wege ging.
Nach dem Essen zog ich mich hinauf zu mir zurück, um Alles, was ich von den Sachen des Ustad zu verbrennen hatte, einer vorherigen Prüfung zu unterwerfen. Ich gewann da einen tiefen Einblick in sein Leben, in sein menschenfreundliches Wollen und Empfinden. Die Zeitungen widerten mich an. Ich hatte erklärt, sie nicht durchlesen zu wollen, und tat es auch nicht. Aber indem ich die Blätter einzeln durch meine Hände gehen ließ, blieb mein Auge doch zuweilen an dieser oder jener Stelle haften, und dann flog der zerknitterte Bogen so weit wie möglich fort von mir. Man sollte es kaum für möglich halten, mit was für Quatsch und Tratsch und Klatsch sich jenes sonderbare Wesen befaßt, welches denen, die es besitzen, weismacht, daß sie geistreich seien! Wenn der Ustad das Alles wirklich durchgelesen hatte, so war es sicher eines der größten Wunder, daß er der Menschheit seine Liebe noch immer treu bewahrte. Es muß doch etwas Großes um die wahre, nicht geheuchelte, sondern wirklich aus dem Herzen wirkende Humanität sein, wenn sie die Kraft besitzt, auf ihrem allgemein menschlichen Standpunkte selbst gegen diejenigen Widersacher auszuhalten, die sich nicht scheuen, nur mit den Waffen des Sonderinteresses anzugreifen und dabei doch zu versichern, daß sie die Verfechter der allgemeinen Menschheitsrechte, des edlen Menschentums seien. Hinweg also mit diesen Elaboraten! Ich warf sie auf den Herd, brannte sie an, und als die Flamme emporschlug, flog auch die »Rechtfertigung« hinein, die ganz ohne allen Grund geschrieben worden war.
Nachdem ich mich hierauf noch einige Zeit mit den Werken des Ustad beschäftigt hatte, ging ich schlafen und wachte nicht eher auf, als bis draußen an meine Tür geklopft wurde. Daß man mich weckte, mußte eine sehr triftige Ursache haben. Ich stand auf und öffnete. Der Pedehr war es.
»Verzeihe, Effendi, daß ich dich wahrscheinlich im Schlafe gestört habe!« sagte er. »Es wird nicht lange dauern, so ist der Scheik ul Islam da.«
»So zeitig? Woher weißt du es?« erkundigte ich mich.
»Ich sprach gestern abend noch mit dem Chodj-y-Dschuna. Er hielt es für gut, zu wissen, woran man sei. Darum ist er dann fortgeritten, in der Richtung nach Chorremabad. Er kam bis an den Grenzduar der Dschamikun und erfuhr, daß der Scheik ul Islam dort übernachte und heute mit dem frühesten Morgen aufbrechen wolle. Er gebot Verschwiegenheit und ist nun hier, weil du gewünscht hast, daß er anwesend sei. Sonst aber weiß Niemand davon. Wirst du jetzt herunterkommen ?«
»Nein. Schicke mir das Frühstück herauf! Wer kommt Alles mit?«
»Es sind, Herren und Diener zusammen, fünfzehn Personen, alle sehr gut beritten und bewaffnet. Man hat ihnen dort im Duar gesagt, daß kein Fremder ohne die besondere Erlaubnis des Ustad bei uns Waffen tragen dürfe, sondern sie abzugeben habe, sobald er das Gebiet der Dschamikun betritt. Sie haben sich aber geweigert, dies zu tun.«
»Nun, was dann? Hat man sie gezwungen?«
»Nein. Man hat geglaubt, nicht streng verfahren zu dürfen, weil es der Scheik ul Islam sei. Natürlich werden sie auch hier am ersten Hause angehalten. Wenn du willst, werde ich sie unbedingt entwaffnen lassen. Wollen sie es sich nicht gefallen lassen, so mögen sie umkehren, und ich lasse sie von einer Reiterschar begleiten, bis sie über die Grenze sind.«
»Recht so, Pedehr! So gefällst du mir! Es gibt keinen einzigen Menschen, vor dem wir Ursache, uns zu fürchten, hätten, und Furcht ist überhaupt die größte Torheit, die ich kenne. Aber Alles an seinem Ort und zu seiner Zeit! Faust gegen Faust, doch gegen List nichts Anderes als eben auch wieder List! Wenn man mich vor der Schlauheit dieses Scheik ul Islam warnt, werde ich mich hüten, wie ein dummer Bär mit Tatzen dreinzuschlagen. Und wenn wir fünfzehn Personen gleich am Eingange des Duar entwaffnen wollten, müßte ich so viele Dschamikun hinstellen, daß man sich sofort sagen müßte: die haben gewußt, daß wir kommen! Und grad das soll ihnen doch verheimlicht werden! Lassen wir es also laufen, wie es läuft! Ihr beide, nämlich du und der Chodj-y-Dschuna, habt sie mit allen Zeichen der Ueberraschung zu empfangen und in die Halle zu führen, wo Ihr Euch mit ihnen unterhaltet, bis ich komme.«
»Soll ich dich holen lassen?«
»Nein. Um die Ansicht, daß wir nichts gewußt haben, zu verstärken, sagst du, daß ich nicht daheim sei, sondern einen Spaziergang gemacht habe. Das werde ich auch tun, doch gar nicht weit. Ich sorge dafür, daß ich ihre Ankunft bemerke, und werde mich dann in der Halle einfinden. Jetzt geh! Also mein Frühstück möglichst schnell!«
Er entfernte sich und schickte es mir sofort herauf. Als ich es eingenommen hatte, schloß ich bei mir zu und ging in die Wohnung des Ustad, um die goldene Karte des Schah zu mir zu stecken. Es war leicht möglich, daß ich sie brauchte. Dann schloß ich auch hier zu und ging, aber nicht die Treppe, sondern hinten den Glockenweg hinab, der nach dem Garten, dem Bade und der Pferdeweide führte. Ich sah Niemand, der mich bemerkte. Da es mir darauf ankam, die Ankunft des Scheiks ul Islam zu beobachten, so suchte ich einen Ort, von welchem aus es möglich war, dies unbemerkt zu tun. Der ganze, lange Rand des Gartens und der Weide war mit dichtem Gebüsch eingefaßt, hinter welchem die Gigantenmauer senkrecht niederfiel. Durchdrang ich dieses Strauchwerk bis zur Mauerkante, so bot sich mir dann dort die freie Aussicht, die ich wollte. Ich wendete mich also nach einer Stelle, wo eine Lücke durch die Büsche zu führen schien, sah aber, als ich sie erreichte, daß sie nicht ganz hindurchführte. Sie war vielmehr wie eine Laube geformt und rundum mit einer Rasenerhöhung zum Niedersetzen versehen. Das Grün war hier so wirr und dicht, daß man nicht einmal hindurchsehen und also noch viel weniger hindurchdrängen konnte, ohne Aeste und Zweige loszubrechen. Aber gleich daneben standen einige Tamarisken so, daß ich mich zur Not hindurchdrängen konnte, ohne sie zu beschädigen. Ich tat es, konnte aber nicht ganz bis vor kommen, sondern mußte mich dann nach der Seite, also hinter die Laube, wenden. Dort fand ich, was ich suchte. Es gab genug Zweige, mich vollständig zu verstecken, und doch so viele Oeffnungen zwischen denselben, daß ich das ganze Tal und auch, nur einige Windungen abgerechnet, den zu uns heraufführenden Weg übersehen konnte. Ich machte es mir so bequem wie möglich und richtete mich auf längeres Warten ein, was aber gar nicht nötig gewesen wäre, denn eben, als ich mich lang ausgestreckt und den Kopf in die Hand gestützt hatte, kam von rechts unten eine Reitertruppe, die keine andere als diejenige des Scheik ul Islam sein konnte. Ich zählte freilich mehr als fünfzehn Pferde, doch kamen die überzähligen auf die Dschamikun, welche ihm von dem Grenzduar aus das Geleit gegeben hatten.
Fünf der Tiere waren nach reicher, persischer Reschma-Art geschirrt, eines von ihnen ganz besonders auffallend. Der Mann, welcher auf diesem saß, trug einen Taki-Turban von ungeheurem Durchmesser auf dem Haupte. Von dieser, mit einigen hohen, bunten Federn geschmückten Wulst ging ein weißer Schleier, welcher wie ein Mantel nicht nur den Reiter, sondern auch den ganzen hintern Teil des Rosses bedeckte.
Sollte diese so in die Augen fallende Gestalt etwa der fromme Würdenträger sein? Der Demütige? Der Mann mit den leisen, weichen, geräuschlosen Sohlen? Indem ich mir diese Frage vorlegte, betrachtete ich auch die Andern, welche völlig schmucklos ritten und natürlich dienstbare Personen vorstellen sollten. Einer von diesen hielt sich ganz am Ende. Er trug einen sehr gewöhnlichen Taki-Anzug, saß aber auf einem Pferde, welches meine ganze, übrige Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Die Entfernung war zu groß, als daß ich Einzelheiten bemerken konnte, aber dieser Adel in der Haltung, diese Lebensfülle in jeder Bewegung, diese graziöse Sicherheit des Schrittes und dieses spannkräftige Selbstbewußtsein trotz der Schenkel und Zügel, das war mir genug zu der Annahme, daß es das beste, das wertvollste Pferd von allen fünfzehn sei – – ein Hellbrauner mit zwei weißen Vorderstiefeln!
Der Trupp bog nach dem Wege zum hohen Hause ein. Weil hierdurch die Entfernung sich stetig verringerte, bekam ich dieses Pferd immer deutlicher zu sehen, und indem ich es auf einen Kaufwert von ganz sicher wenigstens neuntausend Mark deutschen Geldes abschätzte, sagte ich mir, daß der Daraufsitzende unmöglich zu den Sijas28 gehören könne.
Es waren also sonderbarerweise zwei Personen, welche mir nicht als das vorkamen, für was man sie allem Anscheine nach halten sollte. Der Weißverschleierte und der letzte Reiter waren beide höchst wahrscheinlich in ihrer äußern Erscheinung darauf berechnet, uns zu täuschen. Der Eine sollte höher, der Andere niedriger erscheinen, als er eigentlich stand. Die Würde des Ersteren konnte mir gleichgültig sein, die des Letzteren aber nicht. Wenn von diesen Leuten einer überhaupt mehr war, als er zu sein schien, so hatte ich gewiß alle Veranlassung, mit meiner Vermutung nicht nur bis zur nächsten, sondern gleich bis auf die höchste Stufe zu steigen: Der vermeintliche Reitknecht war der Scheik ul Islam selbst!
Indem mir diese Gedanken durch den Kopf gingen, sah ich Tifl, welcher drüben auf dem Wege erschien, um aus irgend einem Grunde hinab nach dem Duar zu gehen. Er wußte nichts von der Ankunft dieser Leute und blieb darum überrascht stehen, als er sie erblickte. Als sie ihn erreichten, sprach er auf sie, und da war es mir höchst interessant, zu bemerken, daß ihn die voranreitenden Vornehmen von sich ab und auf den letzten Reiter verwiesen. Das war ein Umstand, durch welchen meine Vermutung fast zur Gewißheit erhoben wurde.
Er winkte den Andern zu, weiter zu reiten, und blieb bei Tifl stehen. Dieser Wink verriet mir, daß er der eigentlich Befehlende sei. Sie sprachen eine kleine Weile miteinander; dann ließ der Fremde seinen Hellbraunen wieder vorwärtsgehen, und Tifl kehrte um und schritt, sich lebhaft mit ihm unterhaltend, an seiner Seite, bis beide hinter der letzten, obersten Biegung des Weges verschwanden.
Wie gut, daß ich hierher gegangen war, um zu rekognoszieren! Ich hatte dadurch erfahren, daß es dem Scheik ul Islam höchst wahrscheinlich beliebte, mit uns schauspielern zu wollen, und war nun also auf die beabsichtigte »Komödie der Irrungen«, falls sie wirklich versucht werden sollte, wohl gefaßt! Da ich nicht den geringsten Grund hatte, diese Gäste auf die Idee zu bringen, daß man vor Freude über ihr Kommen außer sich sei, so beeilte ich mich nicht im geringsten, sondern blieb noch eine ganze Weile auf meinem Platze sitzen. Und wie gut das war, stellte sich heraus, als ich Schritte hörte, welche sich sehr eilig der Laube näherten, hinter der ich lag. Zwei Personen traten ein.
»Niemand hat uns gesehen; das ist gut!« hörte ich Tifls Stimme sagen. »Er fragte, ob es einen Ort gebe, wo er unbemerkt mit dir sprechen könne. Darum eilte ich, dich hierher zu bringen. Nun schicke ich auch ihn.«
Nach diesen Worten ging er wieder fort. Wer war die Person, die sich nun allein in der Laube befand? Ich sollte nicht lange zu warten haben, es zu erfahren. Es kamen wieder Schritte, eilig aber leise, vorsichtig schleichend und wie auf weichen Sprungfedern fußend.
»Du bist die ungläubige Türkin Pekala?« wurde gefragt.
»Ja,« antwortete sie, die Falschheit ihrer Religion unbedacht mit bestätigend. »Und wer bist du?«
»Wie ich heiße, brauche ich nicht zu sagen; aber ich bin der Freund dessen, der sich deinen Aschyk nennt.«
Da schlug sie die Hände klatschend zusammen und rief aus:
»Der Freund meines Aschyk! Wie mich das freut! Wer hätte gedacht, daß – – —«
»Nicht so laut!« unterbrach er sie gebieterisch. »Kein Mensch darf wissen, daß ich ihn kenne und daß ich mit dir sprach – – – du Liebliche, du Blühende!« fügte er in plötzlich ganz weichem, schmeichelndem Tone hinzu. »Ich will dir aber beweisen, daß ich dich und ihn und eure Liebe kenne. Er wird nächsten Sonntag kommen, eine Stunde vor Mitternacht, und du wirst an einem hoch aufgerichteten Mauersteine auf ihn warten. Erkennst du hieran, daß ich sein Vertrauter bin, sein Freund und also auch der deinige?«
»Ja, ich vertraue dir,« versicherte sie. »Du hast gewiß auch so ein edles Männerherz wie er und weißt, was ein edles Frauenherz bedeutet!«
Es war ein Räuspern zu hören, als ob er mit einem unzeitigen Lachen zu kämpfen habe. Ich konnte beide nicht sehen, wußte aber, daß ich ihn an seiner Sprache sofort erkennen würde. Er sprach die gutturalen Spiranten mit mehr als gewöhnlicher kurdischer Schärfe aus und hatte ein so uvular schnarrendes Rrrrrr, als ob er an einer bösartigen Zäpfchenkrankheit leide.