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Kitabı oku: «Waldröschen III. Matavese, der Fürst des Felsens. Teil 1», sayfa 21

Yazı tipi:

Gerard gab dem Hüter das Buch hin, das er bei sich stecken hatte, dieser nahm und las es. Je weiter er hinein kam, desto eifriger wurde er, bis er es endlich, als er ganz damit fertig war, ruhig in seine eigene Tasche steckte.

»Nun?« fragte Gerard. – »Es ist spanisch.« – »Was ist der Inhalt?« – »Das ist nichts für Sie.« – »Oho! Sie haben wohl die Güte, mir das Heft zurückzugeben!« – »Nein, diese Güte werde ich nicht haben.«

Da richtete sich Gerard, der Garotteur, langsam auf und fragte:

»Darf ich erfahren, warum Sie mir die Rückgabe verweigern?« – »Weil dieses Heft nicht Ihr Eigentum ist«, antwortete Tombi gleichmütig. – »Ach! Wem sollte es denn sonst gehören?« – »Dem Grafen Alfonzo de Rodriganda. Ich ersehe es aus dem Inhalt.« – »Nun gut, so habe ich es ihm wiederzugeben, denn er hat es verloren.« – »Das ist nicht wahr!« – »Nicht wahr?« rief Gerard zornig. »Mein Herr, reizen Sie mich nicht; ich bin nicht gewohnt, Widerstand zu finden.« – »So haben wir beide ganz dieselben Gewohnheiten, wie es scheint«, sagte Tombi ruhig. »Eine solche Handschrift hat kein Graf; man sieht, daß dies hier nur eine Abschrift ist. Sie haben das Buch gefunden und abgeschrieben. Dem Grafen gaben Sie das Original zurück, die Abschrift aber behielten Sie, um sie zu verwerten.«

Der einfache Waldhüter stand wie ein Examinator vor dem riesigen Garotteur. Dieser blickte ihn mit zornig glühenden Augen an und erwiderte:

»Und selbst wenn es so wäre, gehörte doch diese Abschrift mir. Sie ist ein Produkt meiner Arbeit, und Sie werden sie mir herausgeben!« – »Nein, das werde ich nicht«, antwortete Tombi. – »So werde ich Sie zu zwingen wissen!« rief Gerard, indem er die mächtigen Fäuste ballte und drohend erhob.

Da lächelte der Waldhüter und sagte:

»Sie kennen mich nicht, sonst würden Sie in einem anderen Ton mit mir sprechen. Aber im Gegenteil habe ich das Glück, Sie zu kennen, und das kommt mir sehr zustatten. Sie werden nie wagen, Hand an mich zu legen. Ich erkannte Sie sofort, als ich Sie sah, obgleich ich mich wundere, Sie hier in Deutschland zu sehen.« – »Ach, wirklich? Sie wollen mich kennen?« fragte Gerard erschrocken. – »Ja. Sie sind ein Schüler unseres famosen Friseurs, den wir Papa Terbillon nennen! Habe ich recht?«

Mason trat einen Schritt zurück und rief:

»Bei Gott, Sie kennen Terbillon?« – »Ja. Sie sind Gerard Mason, der berühmte Garotteur.«

Gerard erbleichte; Tombi aber fuhr in beruhigendem Ton fort:

»Erschrecken Sie nicht, wir sind ja Freunde! Papa Terbillon gehört zu uns. Ich bin Zigeuner; ich bin Tombi, der Sohn der Mutter Zarba. Sie kennen Sie doch?« – »Zarba?« rief der Franzose erstaunt. »Oh, wer sollte diese nicht kennen! Sie ist überall und nirgends; sie ist nicht nur die Königin der Zigeuner, sondern sie beherrscht alle Leute, die vom Gesetz aus der Gesellschaft gestoßen sind.« – »Ja, sie hat ein Verzeichnis aller ihrer Verbündeten. Ihr Name, Monsieur Gerard, ist auch mit dabei. Ich war längere Zeit in Paris, daher kenne ich Sie. Sie wissen nun, daß Sie mir vertrauen können. Wie sind Sie zu diesem Buch gekommen?« – »Das darf ich nicht sagen.« – »Warum nicht?« – »Ich habe nicht das Recht, einem Mann zu schaden, dem ich diene. Sollte ich aber seinen Dienst verlassen, so bin ich bereit, Ihnen alles mitzuteilen.« – »Gut. Sie sind mir sicher. Ich will nicht forschen, was Sie nach Deutschland führt, es hat ein jeder das Recht, seine Geheimnisse zu bewahren. Muß ich es dennoch später wissen, so werden Sie es mir doch sagen. Für jetzt genügt mir der Besitz dieses Buches, das für mich sehr wichtig ist, und ich bin überzeugt, daß Sie es mir nun, da Sie mich kennen, freiwillig überlassen werden. Wie lange gedenken Sie, sich in Deutschland aufzuhalten?« – »Ich reise baldigst ab.« – »So weiß ich, daß Sie bald in Paris zu finden sind. Der Sohn Zarbas, der zukünftige König der Gitanos, hat das Recht, eine solche Rücksicht zu fordern. Haben Sie sonst noch einen Wunsch oder einen Befehl?« – »Nein. Lassen Sie uns also als Freunde scheiden, nachdem wir uns einen Augenblick lang scheinbar als Feinde gegenübergestanden haben.«

Die Männer nahmen Abschied voneinander.

Als der Franzose die Hütte verlassen hatte, schlug Tombi das Buch abermals auf, überflog den Inhalt und sagte mit triumphierender Miene:

»Welch ein Zufall! Welch ein Glück! Da kommt dieser Mason, der mich nicht erkannt hat, weil ich in Paris falsche Frisur trug, aus Frankreich nach Deutschland, weiß nicht, welchen Schatz er besitzt, und gibt mir mit demselben den Schlüssel zu dem Rätsel, das wir bisher vergebens zu lösen trachteten! Jetzt endlich ist es in unsere Hand gegeben, klar zu blicken und mit der Rache zu beginnen. Das muß ich Zarba sofort melden.«

Auch Gerard wunderte sich über das Zusammentreffen, obgleich es ihm bereits oft begegnet war, daß er in einem scheinbar völlig fremden Menschen ein Mitglied jener großen Verbrüderung kennengelernt hatte, welche sich über ganze Länder verbreitet hatte und zu der auch Zarba mit den Ihrigen gehörte.

Er ging durch den Wald und dachte an Rosa. Dieses herrliche Weib hatte einen tiefen, nicht sinnlichen, sondern ethischen Eindruck auf ihn gemacht. Diese Frau sollte er ermorden? Nein und abermals nein! Sie war ja noch dazu die Frau desjenigen Mannes, der seine Schwester vom Tod des Ertrinkens errettet hatte.

Aber an seinem gegenwärtigen Herrn wollte er auch nicht zum Verräter werden. Er war ein gewalttätiger Mensch, der vor keinem Raub, vor keinem Mord zurückbebte, aber eine Lüge machte er nicht gern. Darum beschloß er, seinem Herrn alles zu sagen.

Er kam erst spät am Abend nach Hause. In dem Zimmer des Grafen war kein Licht; dieser befand sich bei der Familie des Lehrers.

»Ach!« sagte der Garotteur zu sich. »Das paßt! Töte ich die schöne Frau nicht, so komme ich um die Summe, die ich noch zu erhoffen habe. Dieser sogenannte Marchese d‘Acrozza ist ein Schurke, ich trete aus seinem Dienst, und dann ist es keine Untreue, wenn ich mich bezahlt mache.«

Er schlich sich also leise zur Wohnung Alfonzos empor und brannte das Licht an. Da stand der Handkoffer, in dem die Wertsachen aufbewahrt wurden, der Schlüssel steckte dran. Gerard öffnete und sah eine gefüllte Brieftasche, deren Inhalt er untersuchte. Sie enthielt sechzigtausend Franken. Daneben lagen zwei Beutel, mit Goldstücken gefüllt.

»Eine schöne Summe!« schmunzelte der Garotteur. Jetzt kann ich Hochzeit machen und ein ehrlicher Mann werden. Wie wird sich mein Mädchen freuen! Es ist kein Verbrechen, dieses Geld zu nehmen. Der Marchese, der sicherlich nicht d‘Acrozza, sondern Rodriganda heißt, benutzt es, um Verbrechen auszuführen, ich aber benutze es, um glücklich zu sein und glücklich zu machen!«

Er steckte darauf alles zu sich, verschloß den Koffer, verlöschte das Licht und schlich sich leise wieder zur Treppe hinab. Nun erst tat er, als ob er von seinem Ausflug zurückkehrte, trat unten ein und wurde von seinem Herrn bedeutet, ihm nach oben zu folgen. Als sie aber aus dem Wohnzimmer des Lehrers in den Hausflur traten, sagte er zu Alfonzo:

»Monsieur, gehen wir nicht hinauf in das Zimmer! Was wir zu sprechen haben, das eignet sich am besten für die dunkle Nacht.«

Darauf trat er hinaus ins Freie, und Alfonzo folgte ihm. Als sie sie nun überzeugt hatten, daß kein Lauscher vorhanden sei, fragte Alfonzo:

»Warum führst du mich nach hier? Was gibt es so Geheimnisvolles?«

Der Gefragte stellte sich breitspurig vor ihn hin, steckte die Hände in die Taschen, in denen sich das Geld befand, und sagte im Vollgefühl eines reichen Mannes, der mit einem armen Schlucker spricht:

»Sehr vieles gibt es, sehr vieles, was Sie gar nicht erwarten werden, Monsieur. Unsere Mission ist nämlich gescheitert!« – »Alle Teufel! Ist Rosa de Rodriganda nicht in Rheinswalden?« – »Sie ist da. Ich habe aber von meinem Bekannten, dem Jäger, so vieles gehört, was der Sache eine ganz andere Wendung gibt.« – »So rede!« gebot Alfonzo drängend. – »Hören Sie zunächst, daß Rosa de Rodriganda verheiratet ist!« – »Alle Teufel!« rief der Graf. »Mit wem?« – »Mit Herrn Doktor Sternau. Und dieser ist verreist, um einen Seekapitän Landola aufzusuchen.« – »Tollheit!« sagte Alfonzo; seiner zitternden Stimme war der Schreck leicht anzumerken. – »Warten Sie, Monsieur, es kommt noch toller! In Rheinswalden weiß man, daß ein gewisser Graf Alfonzo de Rodriganda von Spanien nach Deutschland gekommen ist.« – »Bist du verrückt?« – »Nein«, kicherte der Franzose listig, »man hat mir kein Gift gegeben, wie der Gräfin Rosa, ich bin also noch nicht wahnsinnig.« – »Mensch!« brauste Alfonzo auf. – »Pst, Monsieur, lassen Sie uns leise reden!« warnte Mason in überlegenem Ton. »In Rheinswalden weiß man sogar, daß dieser Don Alfonzo sich bereits in Deutschland befindet, ja, daß er hier unter dem Namen eines Marchese d‘Acrozza bei einem Lehrer wohnt.«

Alfonzo antwortete nicht. Er brauchte einige Zeit, um sich zu sammeln, dann sagte er:

»Ist das möglich?« – »Ja. Ich glaube sogar, daß man bereits unterwegs ist, um diesen Alfonzo, der aber ein geborener Cortejo ist, festzunehmen.«

Da verriet sich der Spanier, indem er sagte:

»Pah, sie mögen kommen! Sie werden mich nicht erkennen, denn ich trage ja die Maske, die mir Papa Terbillon angefertigt hat.« – »Oh, diese Maske ist bereits sehr hinfällig geworden, Monsieur. Die Schminke entfärbt sich, die Falten trocknen aus, und der Bart wird von dem natürlichen Haar, welches nachwächst, abgestoßen. Ein leidlicher Polizist wird sofort erkennen, daß alles Kunst ist; ich bin überzeugt davon.« – »So gehen wir von hier fort und suchen einen sicherern Ort. Ich verlasse Deutschland jedenfalls nicht eher, als bis diese Rosa tot ist!« – »Sie wird nicht sterben; sie ist bereits gewarnt, Monsieur.« – »Ah! Wer sollte sie gewarnt haben? Es weiß niemand von unserem Vorhaben!« – »Ich selbst habe sie gewarnt«, sagte Gerard aufrichtig. – »Du?« fragte Alfonzo. »Mensch, fällt es dir ein, Spaß mit mir zu treiben?«

Da trat der Franzose näher, legte ihm seine mächtige Faust auf die Schulter und sagte:

»Monsieur, hören Sie, daß ich im Ernst zu Ihnen spreche! Ich bin Gerard Mason, der Garotteur; man kennt mich in meinen Kreisen als einen braven Kerl, mit dem aber nicht gut zu spaßen ist. Dieser Doktor Sternau hat meine Schwester mit eigener Lebensgefahr aus der Seine gefischt; ich werde es nicht dulden, daß ihm oder einem der Seinigen ein Haar gekrümmt werde. Sie wollen seine Frau töten, die für Ihre Schwester gilt. Wir stehen uns gleichberechtigt gegenüber. Sie sind weder ein Marchese, noch ein Graf. Ich bin Gerard Mason, der Garotteur, und Sie sind Alfonzo Cortejo, der Betrüger, Giftmischer und Mörder. Wir sind uns ebenbürtig, und ich sage Ihnen, daß Doktor Sternau mit all den Seinen unter meinem Schutz steht. Ich war bis jetzt in Ihren Diensten und werde nicht hinterlistig an Ihnen handeln. Ich habe die Familie Sternau zwar gewarnt, aber ich habe Sie nicht verraten. Sie haben Zeit zur Flucht. Kehren Sie augenblicklich nach Spanien zurück! Ich werde Frau Sternau überwachen und sage Ihnen: Geschieht ihr das geringste Leid von Ihnen, so sterben Sie unter den unerbittlichen Fäusten des Garotteurs. Denken Sie nicht, daß Sie mächtiger sind, als ich es bin. Ihre Macht bestand in dem Geld. Sie haben keins mehr; diese Macht befindet sich jetzt in meinen Händen. Vergessen Sie nicht, was ich Ihnen sagte, ich werde Wort halten. Leben Sie wohl, Monsieur!«

Er preßte mit seiner Faust die Schulter Alfonzos, daß diesem ein lauter Schmerzensschrei entfuhr, und trat zurück – um dann im Dunkel des Abends zu verschwinden.

Alfonzo stand da, als hätte ihn der Schlag gerührt. Alles war vergebens. Er erkannte, daß mit diesem schrecklichen Mann nicht zu spaßen sei.

»Diese Macht befindet sich jetzt in meinen Händen! Was wollte er damit sagen?«

Mit diesen Worten kehrte Alfonzo in das Haus zurück und begab sich nach seinem Zimmer. Dort angekommen, zündete er die Lampe an und öffnete den Koffer. Mit einem Ruf des Schreckens fuhr er zurück.

»Fort! Alles fort! Die Brieftasche und die Beutel! Sechzigtausend in Scheinen und zehntausend in Gold! Dieser Dieb!«

Alfonzo starrte mit offenen Augen auf die leeren Stellen, an denen sich das Verschwundene befunden hatte, und murmelte:

»Es bleiben mir noch dreihundert Franken, die ich zufälligerweise in meiner Börse habe. Ich muß fliehen, sogleich! Er sagte ja, daß die Verfolger unterwegs seien. Aber diese kleine Summe wird reichen, bis ich zu einem Bankier komme, dem ich mich ohne Gefahr vorstellen kann. Glücklicherweise habe ich meine Legitimationen nicht im Portefeuille gehabt, sonst wären auch sie verschwunden.«

Er packte in den Koffer, was unumgänglich notwendig war, und verließ dann heimlich das Haus. Auch er verschwand ebenso im Dunkel der Nacht, wie vorhin der Garotteur. Rosa Sternau war einer großen Gefahr entgangen.

Nur zwei Stunden später erschien der Mainzer Staatsanwalt in Begleitung mehrerer Gendarmen im Schulhaus, wo sich alles bereits zur Ruhe gelegt hatte. Die Familie des Lehrers wurde geweckt, aber als man die Stube des Marchese untersuchte, fand man die überzeugendsten Beweise, daß beide, er und sein Diener, die Flucht ergriffen hatten. Es wurden sofort alle Maßnahmen getroffen, ihrer habhaft zu werden, aber vergebens, sie waren glücklich entkommen.

31. Kapitel

Einige Tage später brachte der Rheindampfer, der in Mainz anlegte, einige fremde Passagiere, die sich nach dem vornehmsten Hotel der Stadt begaben. Es waren ein älterer und ein junger Herr, eine Dame von großer Schönheit, und dann noch ein männlicher und ein weiblicher Domestik.

Der alte Herr schien schwer krank gewesen zu sein, ging aber jetzt aufrecht und hatte ein höchst distinguiertes, gebieterisches Aussehen. Den jüngeren Herrn konnte man für einen Künstler halten, und der Dame sah man es an, daß sie es gewöhnt sei, sich in den exklusiveren Kreisen zu bewegen.

Es waren der Herzog von Olsunna, Flora, seine Tochter, und Otto von Rodenstein, deren Verlobter. Sie erkannten, daß ihre Ankunft hier den Beginn großer, entscheidender Ereignisse bilden werde. Besonders bewegt war der Maler, dessen kindliche Liebe beim Anblick der heimatlichen Gegend doppelt stark entflammt war. Da der Herzog baldigste Gewißheit haben wollte, diktierte er seiner Tochter, nachdem sie es sich in der Hotelwohnung bequem gemacht hatten, folgendes Billett in die Feder:

»An Frau Rosa Sternau in Rheinswalden.

Wir melden Ihnen, gnädige Frau, hiermit unsere Ankunft. Da wir noch nicht wissen, ob unser Besuch dem Herrn Hauptmann von Rodenstein genehm ist, so ersuchen wir Sie um eine gütige, kurze Benachrichtigung. Gründe, die wir brieflich nicht andeuten können, lassen uns jedoch wünschen, Sie möchten persönlich kommen, damit wir uns vor unserem Aufbruch vorstellen können.

Mit der ergebensten Hochachtung Franz, Baron von Haldenberg.«

Mit diesem Billett wurde ein Diener des Hotels nach Rheinswalden gesandt Er traf die Bewohner des Schlosses beim Oberförster versammelt. Rosa konnte, als sie die Zeilen gelesen hatte, den Inhalt derselben nicht verschweigen. Sie teilte ihn den übrigen mit und verursachte damit große Freude, da man sich auf den bereits von Frankreich aus angesagten Besuch vorbereitet hatte.

»Gott sei Dank, daß dieser Baron Haldenberg endlich anmarschiert kommt!« meinte der Hauptmann in seiner derben Weise. »Nun werden wir ja auch ausführlich erfahren, in welcher Weise er unseren guten Sternau kennengelernt hat.« – »Und ob er die Spur meines armen, verschwundenen Vaters verfolgt hat«, fügte Rosa hinzu. »Was mich aber wundert, ist, daß der Herr Baron eine Frauenhand schreibt. Mir fiel dies bereits an dem ersten Brief auf, und es ist mir ganz so, als ob ich diese Schriftzüge schon einmal gesehen hätte.« – »Ja, es gibt Männer, die so zierlich schreiben wie die Frauen«, sagte der Hauptmann, und lachend fügte er hinzu: »Meinem Duktus merkt man es sogleich an, welcher Bär ihn geschrieben hat. Aber, meine liebe Frau Sternau, spannen Sie uns nicht so lange auf die Folter, sondern fahren Sie sogleich mit dem Boten nach Mainz, um diesen Baron schleunigst herbeizuholen!«

Diesem Wunsch wurde Genüge getan. Der Wagen rollte bereits nach kurzer Zeit zum Tor hinaus, seinem Ziel entgegen. Als der Herzog die Ankommende aussteigen sah, führte er den Grafen Emanuel in ein Nebenzimmer, um ihn bis zur geeigneten Zeit daselbst zu verbergen.

Rosa ließ sich durch den Diener anmelden und wurde sofort vorgelassen. Als sie beim Eintritt die Anwesenden erblickte, zauderte ihr Fuß vor Überraschung.

»Mein Gott, ist es möglich!« rief sie erstaunt. »Durchlaucht von Olsunna! Sie hier! Und auch Durchlaucht Flora?«

Flora eilte ihr entgegen, um sie zu umarmen.

»Ja, wir sind es, meine Liebe«, sagte sie. »Sie konnten uns in Deutschland allerdings nicht erwarten, ebensowenig wie wir Sie. Desto größer aber ist meine Freude, Sie zu sehen.« – »Oh, auch ich bin ganz glücklich«, meinte Rosa. »Meine Freude ist größer als meine Überraschung. Ich suchte einen Baron von Haldenberg und bin wohl in ein falsches Zimmer gewiesen worden. Dennoch aber will ich …« – »Nein«, unterbrach sie der Herzog, »man hat Sie nicht in ein falsches Zimmer gewiesen, sondern wir sind es, die Sie erwarten.« – »Sie selbst?« fragte Rosa befremdet. »Wie ist das möglich?« – »Wir hatten Gründe, unseren Namen einstweilen zu verschweigen, und so nannte ich mich Baron von Haldenberg.« – »Ah, und Durchlaucht Flora hat den Brief und auch das heutige Billett geschrieben?« – »Allerdings.« – »So ist es mir klar, warum diese Damenhand mir so bekannt erschien.« – »Ja, ich habe Ihnen einst einige Zeilen geschrieben, wie ich mich erinnere«, bestätigte Flora. »Lassen Sie sich nieder, liebe Gräfin! Wir haben einiges zu besprechen, was Ihnen Freude machen wird.« – »Sie meinen von meinem Mann?« – »Ja. Wir haben mit Herrn Doktor Sternau gesprochen. Wir teilten Ihnen dies bereits in dem Brief mit, den ich Ihnen schrieb.«

Flora erzählte von der Krankheit Ihres Vaters, von der Hoffnungslosigkeit, in der sie geschwebt hatten, und von der unerwarteten Hilfe, die Sternau gebracht hatte. Rosa lauschte ihren Worten; es war ihren Mienen, ihren strahlenden Augen und ihren hochgeröteten Wangen anzumerken, wie sehr sie ihren Gemahl liebte und wie glücklich sie sich fühlte, ihn von diesen hochstehenden Leuten so geachtet zu sehen. Der Herzog verhielt sich schweigsam; er beobachtete die junge Frau und sagte sich im stillen, daß es auf Erden kein schöneres und lieblicheres Wesen geben könne als sie.

Otto von Rodenstein saß ebenso still dabei. Er war Rosa mit Absicht nicht vorgestellt worden und hielt sich und seinen Freund Sternau für die beiden glücklichsten Menschen unter der Sonne, von zwei solchen Frauen geliebt zu sein.

Als Flora geendet hatte, fragte Rosa:

»Sie schrieben mir von einer Spur meines Vaters, die Sie erst nach der Abreise meines Mannes entdeckt haben?« – »Ja«, antwortete Flora. »Es hat uns ernstlich leid getan, daß der Doktor Sternau nicht mehr zugegen war.« – »O bitte, erzählen Sie, erzählen Sie! Haben Sie die Spur verfolgt?« – »Wir haben sie verfolgt«, antwortete der Herzog, der sich jetzt des Gesprächs bemächtigte, um zu verhindern, daß die Aufregung der jungen Frau eine zu große werde. – »Haben Sie Glück dabei gehabt? O bitte, sagen Sie es schnell!« bat diese. – »Vielleicht«, antwortete Olsunna reserviert. – »Vielleicht! Was soll dies heißen, Durchlaucht?« – »Es befand sich ein Wahnsinniger in unserer Nähe. Er wurde versteckt gehalten, und wir erfuhren, daß er immer die Worte ausspreche: ›Ich bin der gute, treue Alimpo.‹ Wir forschten nun weiter und fanden, daß eine alte Zigeunerin bei dieser Angelegenheit die Hand im Spiel habe.« – »Eine alte Zigeunerin? Wie hieß sie?« fragte Rosa schnell. – »Zarba.« – »Zarba, ah, wenn sie es ist, so ist‘s der Vater sicherlich gewesen. Gott, ach Gott, Sie haben die Spur doch sicher nicht aus den Augen verloren?« – »Nein, Gräfin. Ich hoffe, daß wir zum Ziel gelangen werden.« – »Wann? Doch bald, ja, recht bald!« – »Vielleicht. Es ist möglich, daß wir den Aufenthalt Ihres Vaters baldigst kennenlernen.« – »Ich denke, Sie wissen ihn bereits?« – »Er befand sich auf einem Leuchtturm in halber Gefangenschaft. Er sollte, wie es scheint, heimlich wieder von da entfernt werden. Jetzt befindet er sich …« – »Wo, wo …?« – »Bitte, meine liebe Gräfin, beherrschen Sie sich! Eine übermäßige Freude ist ebenso gefährlich wie ein großer Schreck.« – »Eine Freude! Sie sprechen von einer Freude! Oh, Sie haben eine gute, eine glückliche Nachricht für mich!« – »Ich will das nicht ableugnen. Versprechen Sie mir, sich zu fassen, falls wir Ihnen diese Nachricht mitteilen?«

Rosa blickte ihm forschend ins Gesicht, erhob sich von dem Sessel, auf dem sie Platz genommen hatte, und antwortete ernst:

»Durchlaucht, ich habe so Schweres und Trauriges erlebt, daß mein Herz fest geworden ist. Ich könnte beides, das Schrecklichste und das Seligste erleben, ohne so schwach zu sein, in eine Ohnmacht zu fallen. Antworten Sie! Lebt mein Vater noch?« – »Ja.« – »Im Wahnsinn?« – »Ja, leider.« – »Sie wissen, wo er sich befindet?« – »Ja.« – »Weit von hier?« – »Nein.«

Da zuckte trotz ihrer vorigen Versicherung eine tiefe Erregung über Rosas schönes Angesicht, aber sie beherrschte sich doch und sagte:

»Ah, ich danke Ihnen! Nun weiß ich, warum Sie sich so sehr befleißigen, in Ihren Antworten so vorsichtig wie möglich zu sein. Soll ich Ihnen sagen, was ich denke und vermute?« – »Ich bitte darum.«

Der Strahl ihrer Augen wurde inniger; ihre Lippen zuckten leise, und auf ihren Wangen wechselte die Röte mit der Blässe. Sie hatte die drei durchschaut und sagte mit bebender Stimme:

»Durchlaucht, Sie haben den Vater bei sich, und ich werde ihn mir holen.«

Rosa blickte im Zimmer umher. Ihr Auge fiel auf die Tür, die zum Nebenkabinett führte. Mit einem raschen Schritt eilte sie dorthin, streckte die Hand aus und öffnete. Ein lauter Jubelruf erscholl, und als die anderen herbeitraten, sahen sie Vater und Tochter innig umschlungen, sie unter lautem, erschütterndem Schluchzen Freudentränen vergießend, ihn aber kalt und teilnahmslos, das geistlose Auge auf sie gerichtet. Er fühlte ihre Arme um seinen Hals und ihr Köpfchen an seiner Brust, aber er wußte nicht, wer sie war und was mit ihm vorging.

»Vater, mein Vater, mein lieber, armer, guter Papa, kennst du mich denn nicht?« fragte sie. »Ich bin es, ich, deine Rosa! Antworte, oh, antworte mir doch ein Wort, ein einziges, einziges Wort nur!«

Sie blickte erwartungsvoll zu ihm auf, aber in seinem Gesicht gab es keinen Zug, der auf eine Spur von Seelenbewegung hätte schließen lassen. Nur seine schmalen, bleichen Lippen öffneten sich, und mit monotonem Klang sagte er.

»Ich bin der gute, treue Alimpo.«

Die Dabeistehenden erwarteten, daß dieser Mißerfolg Rosa erschüttern werde, aber dies war keineswegs der Fall. Sie küßte dem Wahnsinnigen wieder und wieder die Hände und den Mund und rief:

»Ja, du bist krank, mein lieber Papa, aber wenn du heute unseren Alimpo siehst, so wirst du dich nicht länger mit ihm verwechseln. Und wenn auch das nicht helfen sollte, so wird mein Mann zurückkehren und dich gesund machen. Er hat ja das Mittel, das auch mir geholfen hat«

Sie zog den Kranken hinaus zu den übrigen und zu sich auf das Sofa nieder, und während sie sich da in tausend Liebkosungen erschöpfte, mußten sie erzählen, wie es ihnen gelungen war, seiner habhaft zu werden. Dabei kam natürlich auch Otto von Rodenstein zur Sprache, der ihr nun erst vorgestellt wurde. Als sie seinen Namen hörte, stutzte sie.

Sie hatte während ihres Aufenthalts auf Rheinswalden von dem Zerwürfnis zwischen dem Hauptmann und seinem Sohn gehört, wußte aber auch, daß dieser letztere stets und zu aller Zeit ein treuer Freund ihres Mannes gewesen sei.

»Wie wunderbar!« sagte sie. »Herr von Rodenstein, Sie haben so sehr viel zur Entdeckung meines Vaters beigetragen, das wird bei dem Ihrigen gar sehr in die Waagschale fallen. Ich schmeichle mir, seine ganze Liebe zu besitzen, und ich hoffe, daß meine Bitte bei ihm keine Fehlbitte sein wird. Sie stehen durchaus nicht ohne Schutz und Hilfe da!«

Rosa reichte dem jungen Maler das Händchen dar, das er achtungsvoll an seine Lippen zog.

»Was die Hilfe betrifft«, wandte sich jetzt der Herzog an Rosa, »so sind Sie nicht die einzige, auf deren Beistand Herr von Rodenstein rechnen kann. Ich selbst und auch Flora werden uns aus allen Kräften bemühen, ihn mit dem Vater zu versöhnen, und ich hoffe ein glückliches Gelingen, da es kaum denkbar ist, daß der Herr Hauptmann seiner Schwiegertochter gleich die erste Bitte abschlagen wird.« – »Seiner Schwiegertochter?« fragte Rosa befremdet. – »Ja.« – »Ah, ich wußte nicht… hat er vielleicht einen Sohn, der verheiratet ist, Durchlaucht?« – »Nein.« – »So sind Sie verheiratet, Herr von Rodenstein?« – »Nein, sondern einstweilen erst verlobt«, antwortete der Gefragte, mit dem glücklichsten Lächeln, das es nur geben kann. – »Ah, darf ich fragen, mit wem?« – »Gewiß, meine Gnädige. Gestatten Sie, Ihnen meine Braut vorzustellen!«

Otto nahm Flora bei der Hand, und beide machten vor Rosa eine tiefe, halb zeremoniös ernsthafte, halb spaßhafte Verbeugung.

Rosa wußte nicht, wie ihr geschah. Sie blickte das Paar erstaunt an; aber da hier eine Mystifikation ganz unmöglich am Platz war, so sagte sie:

»Ist das wahr, ist das möglich?« – »Es ist nicht nur möglich, sondern wirklich und wahr«, antwortete der Herzog. »Sie hatten sich lieb, und meine Tochter behauptete, sie könne ebensogut die Gattin eines Malers werden, wie Gräfin de Rodriganda die Gemahlin eines Arztes geworden ist.« – »Oh, Durchlaucht, sagen Sie nicht bloß Gemahlin, sondern glückliche Gemahlin!« rief Rosa, indem sie aufsprang und Flora innig umarmte.»Das ist ein Ereignis, das ich mit Entzücken begrüße. Oh, nun wird der alte, brave Isegrim nicht länger zögern, seine Hand zur Versöhnung zu bieten, und wir alle wollen nur dem Herzensglück leben, das an keine Rangstufe gebunden ist. Fahren wir sogleich nach Rheinswalden!« – »Gern«, sagte Olsunna; »aber Herrn von Rodenstein möchte ich für jetzt doch noch raten, nicht dort zu erscheinen. Sein Auftreten kann nur dann erst erfolgreich sein, wenn die Einleitungen vorüber sind.« – »Allerdings«, antwortete Rosa. »Aber zu entfernt darf er auch nicht sein, er muß bei der Hand sein und zu unserer Verfügung stehen.«

Da entschied Otto selbst:

»Ich fahre mit nach Rheinswalden, gehe aber nicht aufs Schloß, sondern bleibe auf dem Vorwerk bei der Frau Steuermann Helmers.« Dies wurde als das Beste anerkannt, und nachdem der Herzog sich noch vorher nach der Anwesenheit und dem Befinden von Sternaus Mutter erkundigt hatte, trat man die Fahrt nach Rheinswalden an, zu der allerdings der Wagen Rosas nicht genügend war, es mußte noch ein zweiter genommen werden.

Es war dabei rührend anzuschauen, mit welcher kindlichen Liebe und Aufmerksamkeit Rosa um ihren Vater besorgt war. Sie wich nicht von seiner Seite, und wollte ihr Angesicht beim Anblick seines Leidens ja einen Zug tiefen Leides annehmen, so wurde er doch sofort wieder durch den glücklichen Gedanken ausgewischt, den Vater wiedergefunden zu haben. Dies war ja für jetzt die Hauptsache, das übrige stand in Gottes Hand, und Rosa war überzeugt, daß die Kunst ihres Mannes auch den gefangenen Geist des Grafen sicher von seinen Fesseln befreien werde.

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
30 ağustos 2016
Hacim:
440 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain