Kitabı oku: «Winnetou 2», sayfa 10
Das Beifallsrufen, welches sich jetzt erhob, war eher ein Brüllen zu nennen. Vorsitzender und Verteidiger mußten sich sehr anstrengen, Ruhe zu schaffen, damit der letztere zu Worte kommen könne.
»Was ich noch zum Nutzen meiner Klienten zu sagen habe,« meinte er, »ist folgendes. Ich finde das Urteil des hochachtbaren Gerichtshofes einigermaßen hart, doch ist diese Härte durch den letzten Teil der richterlichen Entscheidung, welcher Bier, Brandy, Tanz, Musik und Gesang betrifft, mehr als zur Genüge ausgeglichen. Darum erkläre ich mich im Namen derjenigen, deren Interessen ich zu vertreten habe, mit dem Urteile völlig einverstanden und hoffe, daß sie sich dasselbe als Aufforderung zum Beginn eines besseren und nützlicheren Lebenswandels dienen lassen. Ich warne sie auch, jemals wieder zu uns zu kommen, da ich in diesem Falle mich weigern würde, ihre Verteidigung nochmals zu übernehmen, und sie also nicht wieder einen so ausgezeichneten juridischen Beirat finden würden. Geschäftlich bemerke ich noch, daß ich für meine Verteidigung pro Klient zwei Dollars zu fordern habe, macht für neunzehn Mann achtunddreißig Dollars, wofür ich nicht schriftlich zu quittieren brauche, wenn sie mir gleich jetzt vor so vielen Zeugen ausgehändigt werden. In diesem Falle nehme ich nur achtzehn für mich und gebe die übrigen zwanzig für Licht und Miete des Saales. Die Musikanten können durch ein Entree entschädigt werden, welches ich vorschlage, auf fünfzehn Cents pro Gentleman zu stellen. Die Ladies haben natürlich nichts zu zahlen.«
Er setzte sich, und der Sheriff erklärte sich völlig mit ihm einverstanden.
Ich saß da, als wenn ein Traum mich befangen hielte. War das alles Wirklichkeit? Ich konnte nicht daran zweifeln, denn der Verteidiger erhielt sein Geld, und Viele rannten fort, um ihre Frauen zum Ball zu holen; viele Andere kamen und brachten alle möglichen Arten von Scheren mit sich geschleppt. Ich wollte mich gern ärgern, brachte es aber nicht fertig und stimmte in Old Deaths Gelächter ein, dem dieser Ausgang des Abenteuers außerordentlichen Spaß bereitete. Die Kukluxer wurden wirklich kahl geschoren. Dann begann die Versteigerung. Die Gewehre gingen schnell weg und wurden sehr gut bezahlt. Auch von den übrigen Gegenständen war bald nichts mehr vorhanden. Der dabei verursachte Lärm, das Kommen und Gehen, das Drängen und Stoßen war unbeschreiblich. Jeder wollte im Salon sein, obgleich derselbe nicht den zehnten Teil der Anwesenden faßte. Dann stellten sich die Musikanten ein, ein Klarinettist, ein Violinist, ein Trompeter und jemand mit einem alten Fagotte. Diese wunderbare Kapelle postierte sich in eine Ecke und begann, ihre vorsündflutlichen Instrumente zu stimmen, was mir einen nicht eben angenehmen Vorgeschmack der eigentlichen Leistung gab. Ich wollte gehen, besonders da jetzt die Ladies auf dem Schauplatz erschienen, aber da kam ich bei Old Death schön an. Er erklärte, wir beiden, die wir doch die Hauptpersonen seien, müßten nach all den Mühen und Gefahren nun auch das Vergnügen genießen. Der Sheriff hörte das und stimmte ihm bei, ja, behauptete mit aller Energie, daß es eine Beleidigung der ganzen Bürgerschaft von La Grange sein würde, wenn wir beide uns weigerten, den ersten Rundtanz anzuführen. Er stellte dazu Old Death seine Gemahlin und mir seine Tochter zur Verfügung, welche beide ausgezeichnete Tänzerinnen seien. Da ich ihm zwei Zähne ausgeschlagen habe und er mir einigemale in die Rippen geraten sei, müßten wir uns selbstverständlich als wahlverwandt betrachten, und so würde ich seine Seele auf das tiefste kränken, falls ich ihm seine dringende Bitte, hier zu bleiben, nicht erfülle. Er werde dafür sorgen, daß ein Extratisch für uns reserviert werde. Was konnte ich machen? Unglücklicherweise stellten sich in diesem Augenblicke seine beiden Ladies ein, denen wir vorgestellt wurden. Mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen! Ich sah ein, daß ich den berühmten Rundtanz riskieren müsse und vielleicht noch einige Rutscher und Hopser dazu, ich, einer der Helden des heutigen Tages und —Privatdetektiv inkognito.
Der gute Sheriff freute sich vielleicht außerordentlich, uns den Göttinnen seiner Häuslichkeit geweiht zu haben. Er besorgte uns einen Tisch, welcher den großen Fehler hatte, nur für vier Personen auszureichen, so daß wir ohne Gnade und Barmherzigkeit den beiden Ladies verfallen waren. Die Damen waren kostbar. Die amtliche Stellung ihres Gatten und Vaters erforderte, daß sie sich mit möglichster Würde gaben. Die Mama war etwas über fünfzig, strickte an einer wollenen Leibjacke und sprach einmal vorn Codex Napoleon; dann aber schloß sich ihr Mund für immer. Das Töchterlein, über dreißig alt, hatte einen Band Gedichte mitgebracht, in welchem sie trotz des uns umtobenden Höllenspektakels unausgesetzt zu lesen schien, beehrte Old Death mit einer geistreich sein sollenden Bemerkung über Pierre Jean de Béranger, und als der alte Scout ihr aufrichtig versicherte, daß er mit diesem Sir noch niemals gesprochen habe, versank sie in ein ewiges Stillschweigen. Als Bier herumgereicht wurde, tranken unsere Damen nicht; als aber der Sheriff ihnen zwei Gläser Brandy brachte, belebten sich ihre scharfen, menschenfeindlichen Züge.
Bei dieser Gelegenheit gab mir der würdige Beamte einen seiner bekannten Rippenstöße und flüsterte mir zu:
»Jetzt kommt der Rundtanz. Greift nur rasch zu!«
»Werden wir nicht abgewiesen werden?« fragte ich in einem Tone, welchem jedenfalls viel Vergnügen nicht anzumerken war.
»Nein. Die Ladies sind gut informiert.«
Ich erhob und verbeugte mich vor der Tochter, murmelte etwas von Ehre, Vergnügen und Vorzug und erhielt – das Buch mit den Gedichten, an welchem die Miß festhing. Old Death fing die Sache praktischer an. Er rief der Mama zu.
»Na, kommt also, Mis‘siß! Rechts herum oder links hinum, ganz wie es Euch recht ist. Ich springe mit allen Beinen.«
Wie wir beide tanzten, welches Unheil mein alter Freund anrichtete, indem er mit seiner Tänzerin zu Boden stürzte, wie die Gentlemen zu trinken begannen – davon schweige ich. Genug, als es Tag wurde, waren die Vorräte des Wirtes ziemlich auf die Neige gegangen, und der Sheriff versicherte, daß doch das aus der Versteigerung gewonnene Geld noch nicht alle sei, man könne morgen oder vielleicht heute abend noch einen kleinen Reel tanzen. In den beiden Parterrestuben, im Garten und vor dem Hause saßen oder lagen die Angeheiterten, teilweise wohl mit schweren Köpfen. Sobald aber die Kunde erschallte, daß der Zug nach dem Landungsplatze vor sich gehen solle, waren alle auf den Beinen. Der Zug war folgendermaßen geordnet: Voran die Musikanten, dann die Mitglieder des Gerichtshofes, die Kukluxer in ihrer seltsamen Bekleidung, ferner wir Zeugen und hinter uns die Masters, Sirs und Gentlemen nach Gefallen und Belieben.
Der Amerikaner ist ein wunderbarer Kerl. Was er braucht, ist stets da. Woher die Leute alles so schnell bekommen oder geholt hatten, das wußten wir nicht, aber so viel ihrer sich dem Zug anschlossen, und das waren wohl alle, die würdigen Prediger und die »Ladies« ausgenommen, jeder hatte irgend ein zur Katzenmusik geeignetes Instrument in der Hand. Als alle in Reihe und Glied standen, gab der Sheriff das Zeichen; der Zug setzte sich in Bewegung, und die voranschreitenden Virtuosen begannen das Yankee-doodle zu malträtieren. Am Schlusse desselben fiel die Katzenmusik ein. Was alles dazu gepfiffen, gebrüllt, gesungen wurde, das ist nicht zu sagen. Es war, als ob ich mich unter lauter Verrückten befände. So ging es im langsamen Trauerschritt nach dem Flusse, wo die Gefangenen dem Kapitän abgeliefert wurden, welcher sie, wie wir uns überzeugten, in sichern Gewahrsam nahm. An Flucht war nicht zu denken, dafür verbürgte sich der Kapitän. Übrigens wurden sie von den mitfahrenden Deutschen auf das strengste bewacht.
Als sich das Schiff in Bewegung setzte, bliesen die Musikanten ihren schönsten Tusch, und die Katzenmusik begann von neuem. Während aller Augen dem Schiff folgten, nahm ich Old Death beim Arme und trollte mich nun mit Lange und Sohn heim. Dort angelangt, beschlossen wir, einen kurzen Schlaf zu halten; aber er dauerte länger, als wir uns vorgenommen hatten. Als ich erwachte, war Old Death schon munter. Er hatte vor Schmerzen in der Hüfte nicht schlafen können und erklärte mir zu meinem Schreck, daß es ihm unmöglich sei, heute weiter zu reiten. Das waren die schlimmen Folgen seines Sturzes beim Tanze. Wir schickten nach dem Wundarzte. Dieser kam, untersuchte den Patienten und erklärte, das Bein sei aus dem Leibe geschnappt und müsse also wieder hineingeschnappt werden. Ich hätte ihm am liebsten eine Ohrfeige gegeben. Er zerrte eine halbe Ewigkeit an dem Beine herum und versicherte uns, daß wir es schnappen hören würden. Wir lauschten aber natürlich vergebens. Dieses Zerren verursachte dem Scout fast gar keine Schmerzen; darum schob ich den Pflastermann zur Seite und sah die Hüfte an. Es gab da einen blauen Fleck, welcher in einen gelben Rand auslief, und ich war darum überzeugt, daß es sich um eine Quetschung handelte.
»Wir müssen für eine Einreibung mit Senf oder einem andern Spiritus sorgen, das wird Euch aufhelfen,« sagte ich. »Freilich, wenigstens heute müßt Ihr Euch ruhig verhalten. Schade, daß Gibson indessen entkommt!«
»Der?« antwortete der Alte. »Habt keine Sorge, Sir! Wenn man die Nase so eines alten Jagdhundes, wie ich bin, auf eine Fährte richtet, so läßt er sicher nicht nach, bis das Wild gepackt ist. Darauf könnt Ihr Euch getrost verlassen.«
»Das tue ich auch; aber er gewinnt mit William Ohlert einen zu großen Vorsprung!«
»Den holen wir schon noch ein. Ich kalkuliere, es ist ganz gleich, ob wir sie einen Tag früher oder später finden, wenn wir sie eben nur finden. Haltet den Kopf empor! Dieser sehr ehrenwerte Sheriff hat uns mit seinem Reel und seinen beiden Ladies einen kleinen Strich durch die Rechnung gemacht; aber Ihr könnt Euch darauf verlassen, daß ich die Scharte gewiß auswetzen werde. Man nennt mich Old Death. Verstanden!«
Das klang freilich leidlich tröstlich, und da ich dem Alten zutraute, daß er Wort halten werde, so gab ich mir Mühe, unbesorgt zu sein. Allein konnte ich doch nicht fort. Darum war es mir auch sehr willkommen, als Master Lange beim Mittagessen sagte, er wolle mit uns reisen, da sein Weg vorläufig derselbe sei.
»Schlechte Kameraden erhaltet ihr an mir und meinem Sohn nicht,« versicherte er. »Ich weiß ein Pferd zu regieren und mit einer Büchse umzugehen. Und sollten wir unterwegs auf irgend welches weißes oder rotes Gesindel stoßen, so wird es uns nicht einfallen, davonzulaufen. Also wollt ihr uns mitnehmen? Schlagt ein!«
Natürlich schlugen wir ein. Später kam Cortesio, der noch länger geschlafen hatte als wir, und wollte uns die beiden Pferde zeigen. Old Death hinkte trotz seiner Schmerzen in den Hof. Er wollte die Pferde selbst sehen.
»Dieser junge Master behauptet zwar, reiten zu können,« sagte er; »aber unsereins weiß, was davon zu halten ist. Und einen Pferdeverstand traue ich ihm nicht zu. Wenn ich ein Pferd kaufe, so suche ich mir vielleicht dasjenige aus, welches das schlechteste zu sein scheint. Natürlich aber weiß ich, daß es das beste ist. Das ist mir nicht nur einmal passiert.«
Ich mußte ihm alle im Stalle stehenden Pferde vorreiten, und er beobachtete jede ihrer Bewegungen mit Kennermiene, nachdem er vorsichtigerweise nach dem Preise gefragt hatte. Wirklich kam es so, wie er gesagt hatte; er nahm die beiden, welche für uns bestimmt gewesen waren, nicht.
»Sehen besser aus, als sie sind,« sagte er. »Würden aber nach einigen Tagen schon marode sein. Nein, wir nehmen die beiden alten Füchse, die wunderbarerweise so billig sind.«
»Aber das sind ja die reinen Karrengäule!« meinte Cortesio.
»Weil Ihr es nicht versteht, Sennor, mit Eurer Erlaubnis zu sagen. Die Füchse sind Prairiepferde, haben sich aber in schlechter Hand befunden. Ihnen geht die Luft nicht aus, und ich kalkuliere, daß sie wegen einer kleinen Strapaze nicht in Ohnmacht fallen. Wir behalten sie. Basta, abgemacht!«
Ueber die Grenze
Eine Woche später befanden sich fünf Reiter, vier Weiße und ein Neger, ungefähr an dem Punkte, an welchem die südlichen Ecken der jetzigen texanischen Countys Medina und Uvalde zusammenstoßen. Die Weißen ritten zu zwei Paaren hintereinander, der Neger machte den Beschluß. Die voranreitenden zwei Weißen waren fast ganz gleich gekleidet, nur daß der Anzug des jüngeren neuer war, als derjenige des älteren, sehr hageren Mannes. Ihre Pferde waren Füchse; sie trabten so munter und ließen von Zeit zu Zeit ein lustiges Schnauben hören, daß anzunehmen war, sie seien einem anstrengenden Ritte in dieser abgelegenen Gegend wohl gewachsen. Dem folgenden Paare sah man es sofort an, daß sie Vater und Sohn seien. Auch sie waren gleich gekleidet, aber nicht in Leder, wie die Voranreitenden, sondern in Wolle. Ihre Köpfe waren von breitkrämpigen Filzhüten beschützt; ihre Waffen bestanden aus Doppelbüchse, Messer und Revolver, Der Neger, eine überaus sehnige Gestalt, war ganz in leichten dunklen Callico gekleidet und trug einen glänzenden, fast neuen Zylinderhut auf dem wolligen Schädel. In der Hand hielt er eine lange, zweiläufige Rifle, und im Gürtel steckte eine Machete, eins jener langen, gebogenen, säbelartigen Messer, wie sie vorzugsweise in Mexiko gebraucht werden.
Die Namen der vier Weißen sind bekannt. Sie waren Old Death, Lange, dessen Sohn und ich. Der Schwarze war Cortesios Neger aus La Grange, derselbe, welcher uns an jenem ereignisreichen Abend bei dem Mexikaner eingelassen hatte.
Old Death hatte drei volle Tage gebraucht, sich von der Verletzung zu erholen, welche ihm auf eine so lächerliche Weise zugefügt worden war. Ich vermutete, daß er sich dieser Veranlassung schämte. Im Kampfe verwundet zu werden, ist eine Ehre; aber beim Tanze zu stürzen und sich dabei das Fleisch vom Knochen treten zu lassen, das ist höchst ärgerlich für einen braven Westmann, und das ging dem alten Scout zu nahe. Die Quetschung war ganz gewiß weit schmerzhafter, als er sich merken ließ, sonst hätte er mich nicht drei Tage auf den Aufbruch warten lassen. An dem oftmals plötzlichen Zusammenzucken seines Gesichtes erkannte ich, daß er selbst jetzt noch nicht von Schmerzen frei sei. Cortesio hatte natürlich erfahren, daß die beiden Langes sich uns anschließen würden. Am letzten Tage war er zu uns herübergekommen und hatte uns gefragt, ob wir ihm nicht den Gefallen tun wollten, seinen Neger Sam mitzunehmen. Natürlich waren wir über diese Forderung sehr erstaunt gewesen, ohne es uns anmerken zu lassen. Es ist nicht jedermanns Sache, wochenlang mit einem Schwarzen zu reiten, der einen ganz und gar nichts angeht. Cortesio erklärte uns die Sache. Er habe nämlich aus Washington eine wichtige Depesche erhalten, infolge deren er sofort einen ebenso wichtigen Brief nach Chihuahua senden müsse. Er hätte uns denselben mitgeben können, aber er mußte Antwort haben, welche wir ihm nicht zurückbringen konnten. Darum sah er sich gezwungen, einen Boten zu schicken, zu welchem Amte es keine geeignetere Person gab, als den Neger Sam. Dieser war zwar ein Schwarzer, stand aber an Begabung viel höher als gewöhnliche Leute seiner Farbe. Er diente Cortesio seit langen Jahren, war ihm treu ergeben und hatte den gefährlichen Ritt über die mexikanische Grenze schon mehrere Male gemacht und sich in allen Fährlichkeiten höchst wacker gehalten. Cortesio versicherte uns, daß Sam uns nicht im mindesten lästig fallen, sondern im Gegenteile ein aufmerksamer und gutwilliger Diener sein werde. Daraufhin hatten wir unsere Einwilligung erteilt, die wir bis jetzt nicht zu bereuen gehabt hatten. Sam war nicht nur ein guter, sondern sogar ein ausgezeichneter Reiter. Er hatte diese Kunst geübt, als er mit seinem Herrn noch drüben in Mexiko lebte und zu Pferde die Rinderherde hüten mußte. Er war flink und sehr gefällig, hielt sich immer respektvoll hinter uns und schien von uns vieren besonders mich in sein Herz geschlossen zu haben, denn er erzeigte mir unausgesetzt eine Menge Aufmerksamkeiten, die nur ein Ausfluß besonderer persönlicher Zuneigung sein konnten.
Old Death hatte es nicht nur für überflüssig, sondern auch für zeitraubend gehalten, die Spur Gibsons aufzusuchen und von Ort zu Ort zu verfolgen. Wir wußten genau, welche Richtung das Detachement, bei welchem er sich befand, nehmen und welche Örtlichkeiten es berühren wolle, und so hielt der Scout es für geraten, direktement nach dem Rio Nueces und dann nach dem Eagle-Paß zu reiten. Es war sehr wahrscheinlich, daß wir zwischen diesem Flusse und diesem Passe, vielleicht aber schon eher, auf die Fährte des Detachements treffen würden, Freilich mußten wir uns sehr beeilen, da dasselbe einen so großen Vorsprung vor uns hatte. Ich wollte nicht glauben, daß es möglich sei, dasselbe einzuholen; aber Old Death erklärte mir, daß die mexikanische Eskorte der Angeworbenen sich nicht sehen lassen dürfe und also gezwungen sei, bald rechts, bald links abzuweichen und ganz bedeutende Umwege zu machen. Wir aber konnten in fast schnurgerader Linie reiten, ein Umstand, welcher einen Vorsprung von einigen Tagen wohl auszugleichen vermochte.
Nun hatten wir in sechs Tagen fast zweihundert englische Meilen zurückgelegt, eine Leistung, welche außer Old Death niemand unsern Füchsen zugetraut hätte. Die alten Pferde aber schienen hier im Westen neu aufzuleben. Das Futter des freien Feldes, die stets frische Luft, die schnelle Bewegung bekamen ihnen ausgezeichnet; sie wurden von Tag zu Tag mutiger, lebendiger und jünger, worüber der Scout sich außerordentlich freute, denn dadurch wurde ja erwiesen, daß er einen ausgezeichneten »Pferdeverstand« besaß.
Wir hatten jetzt San Antonio und Castroville hinter uns, waren durch das wasserreiche County Medina geritten und näherten uns nun der Gegend, in welcher das Wasser immer seltener wird und die triste texanische Sandbüchse beginnt, welche zwischen dem Nueces und Rio grande ihre größte Trostlosigkeit erreicht. Wir wollten zunächst nach Rio Leona, einem Hauptarme des Rio Frio, und dann nach der Stelle des Rio Nueces, an welcher der Turkey Creck in denselben fließt. Im Nordwesten von uns lag der hohe Leonaberg mit Fort Inge in der Nähe. Dort hatte das Detachement vorüber gemußt, aber ohne es wagen zu dürfen, sich von der Besatzung des Forts sehen zu lassen. Wir konnten also hoffen, bald ein Lebenszeichen von Gibson und denen, bei welchen er sich befand, zu bemerken.
Der Boden, welchen wir unter uns hatten, war außerordentlich geeignet zu einem schnellen Ritte. Wir befanden uns auf einer ebenen, kurzgrasigen Prairie, über welche unsere Pferde mit großer Leichtigkeit dahinflogen. Die Luft war sehr rein, so daß der Horizont in großer Klarheit und Deutlichkeit vor uns lag. Da wir nach Südwest ritten, so hatten wir vorzugsweise die dorthin liegende Gegend im Auge und schenkten den anderen Richtungen weniger Aufmerksamkeit. Aus diesem Grunde war es kein Wunder, daß uns ziemlich spät das Nahen von Reitern bemerkbar wurde, auf welche uns Old Death aufmerksam machte. Er deutete nach rechts hinüber und sagte:
»Schaut einmal dorthin, Mesch‘schurs! Für was haltet ihr das, was da zu sehen ist?«
Wir sahen einen dunklen Punkt, welcher sich sehr, sehr langsam zu nähern schien.
»Hm!« meinte Lange, indem er seine Augen mit der Hand beschattete, »das wird ein Tier sein, welches dort grast.«
»So!« lächelte Old Death. »Ein Tier! Noch dazu, welches dort grast! Wunderschön! Eure Augen scheinen sich noch nicht recht an die Perspektive gewöhnen zu wollen. Dieser Punkt ist wohl gegen zwei englische Meilen entfernt von uns. Auf eine so bedeutende Strecke ist ein Gegenstand von der Größe dieses Punktes nicht ein einzelnes Tier. Müßte ein Büffel sein, fünfmal so groß wie ein ausgewachsener Elefant, und Büffel gibt es hier nicht. Mag sich wohl einmal so ein verlaufener Kerl hier herumtreiben, aber sicherlich in dieser Jahreszeit nicht, sondern nur im Frühjahre oder Herbst. Ferner täuscht sich derjenige, welcher nicht geübt ist, außerordentlich leicht über die Bewegung eines Gegenstandes, welcher sich in solcher Ferne von ihm befindet. Ein Büffel oder Pferd geht beim Grasen höchst langsam Schritt um Schritt vorwärts. Ich wette aber um alles, daß der Punkt da drüben sich in sehr schnellem Galoppe bewegt.«
»Nicht möglich,« sagte Lange.
»Nun, wenn die Weißen so falsch denken,« sagte Old Death, »so wollen wir einmal hören, was der Schwarze sagt. Sam, was hältst du von dem Dinge da draußen?«
Der Neger hatte bisher aus Bescheidenheit geschwiegen. Jetzt aber, da er direkt aufgefordert wurde, sagte er:
»Reiter sein. Vier, fünf oder sechs.«
»Das denke ich auch. Vielleicht Indianer?«
»O nein, Sirrah! Indian nicht so direkt kommen zu Weißen. Indian sich verstecken, um Weißen erst heimlich anzusehen, ehe mit ihm reden. Reiter kommen grad zu auf uns, also es Weiße sein.«
»Das ist sehr richtig, mein guter Sam. Ich höre da zu meiner Befriedigung, daß dein Verstand heller ist als deine Hautfarbe.«
»O, Sirrah, o!« schmunzelte der gute Kerl, wobei er alle seine Zähne zeigte. Von Old Death gelobt zu werden, war eine außerordentliche Auszeichnung für ihn.
»Wenn diese Leute wirklich die Absicht haben, zu uns zu kommen,« sagte Lange, »so müssen wir hier auf sie warten.«
»Fällt mir nicht ein!« antwortete der Scout. »Ihr müßt doch sehen, daß sie nicht grad auf uns zuhalten, sondern mehr südlicher trachten. Sie sehen, daß wir uns fortbewegen und reiten also, um auf uns zu treffen, die Diagonale. Also vorwärts! Wir haben gar keine Zeit, hier still zu halten. Vielleicht sind es Soldaten vom Fort Inge, welche sich auf Rekognition befinden. Ist dies der Fall, so haben wir uns über das Zusammentreffen nicht zu freuen.«
»Warum nicht?«
»Weil wir Unangenehmes erfahren werden, Master. Fort Inge liegt ziemlich weit von hier entfernt im Nordwest. Wenn der Kommandant desselben solche Streifpatrouillen so weit entsendet, muß irgend etwas Unerfreuliches in der Luft liegen. Werdet es sicher hören.«
Wir ritten in unverminderter Schnelligkeit weiter. Der Punkt näherte sich jetzt zusehends und löste sich endlich in kleinere Punkte auf, welche sich schnell vergrößerten. Bald sahen wir deutlich, daß es Reiter waren. Fünf Minuten später erkannten wir schon die militärischen Uniformen. Und dann waren sie bald so nahe, daß wir den Ruf hörten, welchen sie zu uns herüberschickten. Wir sollten anhalten. Es war ein Dragonersergeant mit fünf Leuten.
»Warum reitet Ihr in solcher Eile?« fragte er, indem er sein Pferd parierte. »Habt Ihr uns nicht kommen sehen?«
»Doch,« antwortete der Scout kaltblütig, »aber wir sehen nicht ein, weshalb wir auf Euch warten sollen.«
»Weil wir unbedingt wissen müssen, wer Ihr seid.«
»Nun, wir sind Weiße, welche in südlicher Richtung reiten. Das wird für Eure Zwecke wohl genügen.«
»Zum Teufel!« fuhr der Sergeant auf. »Denkt ja nicht, daß ich Euch erlauben werde, Euern Spaß mit uns zu machen!«
»Pshaw!« lächelte Old Death überlegen. »Bin selbst gar nicht zum Scherzen geneigt. Wir befinden uns hier auf offener Prairie, aber nicht im Schulzimmer, wo Ihr den Lehrer machen dürft und wir Eure Fragen gehorsam und ergebenst beantworten müssen, wenn wir nicht Gefahr laufen wollen, den Stock zu bekommen.«
»Ich habe nur meiner Instruktion zu folgen. Ich fordere Euch auf, Eure Namen zu nennen!«
»Und wenn es uns nun nicht beliebt, zu gehorchen?«
»So seht Ihr, daß wir bewaffnet sind und uns Gehorsam verschaffen können,«
»Ah! Könnt Ihr das wirklich? Freut mich um Euretwillen ungemein. Nur rate ich Euch nicht, es zu versuchen. Wir sind freie Männer, Master Sergeant! Wir möchten den Mann sehen, der es wagen wollte, uns im Ernste zu sagen, daß wir ihm gehorchen müßten, hört Ihr es, müßten! Ich würde den Halunken einfach niederreiten!«
Seine Augen blitzten, und er nahm sein Pferd in die Zügel, daß es aufstieg und, seinem Schenkeldrucke gehorchend, einen drohenden Sprung gegen den Sergeanten machte. Dieser riß sein Tier schnell zurück und wollte aufbrausen. Old Death aber ließ ihn gar nicht dazu kommen, sondern fuhr schnell fort:
»Ich will gar nicht rechnen, daß ich zweimal so viel Jahre zähle wie Ihr und also wohl mehr erfahren und erlebt habe, als Ihr jemals zu sehen bekommen werdet. Ich will Euch nur darauf antworten, daß Ihr von Euern Waffen gesprochen habt. Denkt Ihr denn etwa, unsere Messer seien von Marzipan, unsere Gewehrläufe von Zucker und unsere Kugeln von Schokolade? Diese Süßigkeiten sollten Euch wohl schlecht bekommen! Ihr sagt, daß Ihr Eurer Instruktion gehorchen müßtet. Well, das gehört sich so, und ich habe also gar nichts dagegen. Aber hat man Euch auch anbefohlen, erfahrene Westmänner anzuschnauzen und mit ihnen in dem Tone zu sprechen, dessen sich ein General einem Rekruten gegenüber bedient? Wir sind bereit, mit Euch zu sprechen; aber wir haben Euch nicht gerufen und verlangen vor allen Dingen Höflichkeit!«
Der Unteroffizier wurde verlegen. Old Death schien ein ganz Anderer geworden zu sein, und sein Auftreten blieb nicht ohne Wirkung.
»Redet Euch doch nicht in solchen Zorn hinein!« sagte der Sergeant. »Es ist ja gar nicht meine Absicht, grob zu sein.«
»Nun, ich habe weder Eurem Tone, noch Eurer Ausdrucksweise große Feinheit angehört.«
»Das macht, daß wir uns eben hier und nicht im Salon einer vornehmen Lady befinden. Es treibt sich hier allerlei Gesindel herum, und wir müssen die Augen offen halten, da wir uns auf einem vorgeschobenen Posten befinden.«
»Gesindel? Zählt Ihr etwa auch uns zu diesen zweifelhaften Gentlemen?« brauste der Alte auf.
»Ich kann weder ja noch nein sagen. Ein Mann aber, der ein gutes Gewissen hat, wird sich nicht weigern, seinen Namen zu sagen. Es gibt jetzt besonders viele von diesen verdammten Kerlen, die hinüber zu Juarez wollen, in dieser Gegend. Diesen Halunken ist nicht zu trauen.«
»So haltet Ihr es mit den Sezessionisten, mit den Südstaaten?«
»Ja, Ihr doch hoffentlich auch?«
»Ich halte mit jedem braven Manne gegen jeden Schurken. Was unsere Namen und Herkunft betrifft, so gibt es keinen Grund, sie zu verschweigen. Wir kommen aus La Grange.«
»So seid Ihr also Texaner. Nun, Texas hat es mit dem Süden gehalten. Ich habe es also mit Gesinnungsgenossen zu tun.«
»Gesinnungsgenossen! All devils! Ihr drückt Euch da sehr hoch aus, wie ich es einem Sergeanten kaum zugetraut hätte; aber anstatt Euch unsere fünf Namen zu sagen, welche Ihr doch bald vergessen würdet, will ich Euch zu Eurer Erleichterung nur den meinigen sagen. Ich bin ein alter Prairieläufer und werde von denjenigen, welche mich kennen, gewöhnlich Old Death genannt.«
Dieser Name wirkte augenblicklich. Der Sergeant fuhr im Sattel empor und sah den Alten starr an. Die andern Soldaten warfen auch überraschte, aber dabei freundliche Blicke auf ihn. Der Unteroffizier aber zog seine Brauen zusammen und sagte:
»Old Death! Der, der seid Ihr? Der Spion der Nordstaaten!«
»Herr!« rief der Alte drohend. »Nehmt Euch in acht! Wenn Ihr von mir gehört habt, so werdet Ihr wohl auch die Ansicht haben, daß ich nicht der Mann bin, eine Beleidigung auf mir sitzen zu lassen. Ich habe für die Union mein Hab und Gut, mein Blut und Leben gewagt, weil es mir so beliebte und weil ich die Absichten des Nordens für richtig hielt und heute noch für richtig halte. Unter Spion verstehe ich etwas Anderes, als ich gewesen bin, und wenn mir so ein Kindskopf, wie Ihr zu sein scheint, ein solches Wort entgegenwirft, so schlage ich ihn nur deshalb nicht sogleich mit der Faust nieder, weil ich ihn bemitleide. Old Death fürchtet sich vor sechs Dragonern nicht, auch nicht vor zehn und noch mehr. Glücklicherweise scheint es, daß Eure Begleiter verständiger sind als Ihr. Sie mögen dem Kommandanten von Fort Inge sagen, daß Ihr Old Death getroffen und wie einen Knaben angepustet habt. Ich bin der Überzeugung, daß er Euch dann eine Nase ins junge Gesicht steckt, welche so lang ist, daß Ihr die Spitze derselben nicht mit dem Fernrohr erkennen könnt!«
Die letzteren Worte erreichten ihren Zweck. Der Kommandant war wohl ein verständigerer Mann als sein Untergebener. Der Sergeant mußte in seinem Bericht selbstverständlich unser Zusammentreffen und den Erfolg desselben erwähnen. Wenn ein Postenführer auf einen so berühmten Jäger trifft, so ist das von großem Vorteile für ihn, weil dann Gedanken und Meinungen ausgetauscht, Beobachtungen mitgeteilt und Ratschläge gegeben werden, welche oft von großem Nutzen sein können. Westmänner von der Art Old Deaths werden von den Offizieren ganz wie ihresgleichen und mit größter Rücksicht und Hochachtung behandelt. Was konnte nun dieser Sergeant von uns berichten, wenn er in dieser Weise mit dem bewährten Pfadfinder verfuhr? Das sagte er sich jetzt wohl im Stillen, denn die Röte der Verlegenheit war ihm bis an die Stirn getreten, Um diese Wirkung zu verstärken, fuhr Old Death fort:
»Euern Rock in Ehren, aber der meinige ist wenigstens ebenso viel wert. Es könnte Euch bei Eurer Jugend gar nichts schaden, von Old Death einige Ratschläge zu vernehmen. Wer ist denn jetzt Kommandant auf Fort Inge?«
»Major Webster.«
»Der noch vor zwei Jahren in Fort Ripley als Capt‘n stand?« fragte Old Death weiter.
»Derselbe.«
»Nun, so grüßt ihn von mir. Er kennt mich sehr wohl. Habe oft mit ihm nach der Scheibe geschossen und den Nagel mit einer Kugel durch das Schwarze getrieben. Könnt mir Euer Notizbuch geben, damit ich Euch einige Zeilen hineinschreibe, die Ihr ihm vorzeigen mögt! Ich kalkuliere, daß er sich ungemein freuen wird, daß einer seiner Untergebenen Old Death einen Spion nannte.«
Der Sergeant wußte in seiner Verlegenheit keinen Rat. Er schluckte und schluckte und stieß endlich mit sichtlicher Mühe hervor:
»Aber, Sir, ich kann Euch versichern, daß es wahrlich nicht so gemeint war! Bei unsereinem ist nicht alle Tage Feiertag. Man hat seinen Ärger, und da ist es kein Wunder, wenn einem einmal ein Ton ankommt, den man nicht beabsichtigt hat!«
»So, so! Nun, das klingt höflicher als vorher, Ich will also annehmen, daß unser Gespräch erst jetzt beginnt. Seid Ihr auf Fort Inge mit Zigarren versehen?«
»Nicht mehr. Der Tabak ist zu unser aller Bedauern ausgegangen.«