Kitabı oku: «Winnetou 2», sayfa 6
Als wir uns niedersetzten, rückten sie zusammen, so daß zwischen ihnen und uns ein freier Raum entstand, ein leiser Wink, daß sie nichts von uns wissen wollten.
»Bleibt immerhin sitzen, Mesch‘schurs!« sagte Old Death. »Wir werden euch nicht gefährlich, wenn wir auch seit heut früh fast gar nichts gegessen haben. Vielleicht könnt ihr uns sagen, ob man hier etwas Genießbares bekommen kann, was einem die liebe Verdauung nicht allzu sehr malträtiert?«
Der eine, den ich für den Vater des andern hielt, kniff das rechte Auge zusammen und antwortete lachend:
»Was das Verspeisen unserer werten Personen betrifft, Sir, so würden wir uns wohl ein wenig dagegen wehren. Übrigens seid Ihr ja der reine Old Death, und ich glaube nicht, daß Ihr den Vergleich mit ihm zu scheuen brauchtet.«
»Old Death? Wer ist denn das?« fragte mein Freund mit möglichst dummem Gesicht.
»Jedenfalls ein berühmteres Haus als Ihr, ein Westmann und Pfadfinder, der in jedem Monate seines Herumstreichens mehr durchgemacht hat, als tausend andere in ihrem ganzen Leben. Mein junge, der Will, hat ihn gesehen.«
Dieser »Junge« war vielleicht sechsundzwanzig Jahre alt, tief gebräunten Angesichtes, und machte den Eindruck, als ob er es gern und gut mit einem halben Dutzend anderer aufnehmen würde. Old Death betrachtete ihn von der Seite her und fragte:
»Der hat ihn gesehen? Wo denn?«
»Im Jahre Zweiundsechzig, droben im Arkansas, kurz vor der Schlacht bei Pea Ridge. Doch werdet Ihr von diesen Ereignissen wohl kaum etwas wissen.«
»Warum nicht? Bin oft im alten Arkansas gewandert und glaube, um die angegebene Zeit nicht weit von dort gewesen zu sein.«
»So? Zu wem habt Ihr Euch denn damals gehalten, wenn man fragen darf? Die Verhältnisse liegen jetzt und in unserer Gegend so, daß man die politische Farbe eines Mannes, mit welchem man an einem Tische sitzt, genau kennen muß.«
»Habt keine Sorge, Master! Ich vermute, daß Ihr es nicht mit den besiegten Sklavenzüchtern haltet, und bin vollständig Eurer Meinung. Daß ich übrigens nicht zu dieser Menschensorte gehöre, konntet Ihr daraus ersehen, daß ich deutsch spreche!«
»Seid uns willkommen. Aber irrt Euch nicht, Sir! Die deutsche Sprache ist ein trügerisches Erkennungszeichen. Es gibt im andern Lager auch Leute, welche mit unserer Muttersprache ganz leidlich umzugehen wissen und dies benutzen, um sich in unser Vertrauen einzuschleichen. Das habe ich zur Genüge erfahren. Doch wir sprachen von Arkansas und Old Death. Ihr wißt vielleicht, daß dieser Staat sich beim Ausbruche des Bürgerkrieges für die Union erklären wollte. Es kam aber unerwartet ganz anders. Viele tüchtige Männer, denen das Sklaventum und ganz besonders das Gebaren der Südbarone ein Greuel war, taten sich zusammen und erklärten sich gegen die Sezession. Aber der Mob, zu dem ich natürlich auch diese Barone rechne, bemächtigte sich schleunigst der öffentlichen Gewalt; die Verständigen wurden eingeschüchtert, und so fiel Arkansas dem Süden zu. Es verstand sich ganz von selbst, daß dies besonders unter den Einwohnern deutscher Abstammung eine große Erbitterung erweckte. Sie konnten aber vorderhand nichts dagegen tun und mußten es dulden, daß namentlich die nördliche Hälfte des schönen Landes unter den Folgen des Krieges außerordentlich zu leiden hatte. Ich wohnte in Missouri, in Poplar Bluff, nahe der Grenze von Arkansas. Mein Junge, der da vor Euch sitzt, war, wie sich ganz von selbst versteht, in eines der deutschen Regimenter getreten. Man wollte den Unionisten in Arkansas zu Hilfe kommen und schickte eine Abteilung zur Kundschaftung über die Grenze. Will war bei diesen Leuten. Sie trafen unversehens auf eine erdrückende Übermacht und wurden nach verteufelter Gegenwehr überwältigt.«
»Also kriegsgefangen? Das war damals freilich schlimm. Man weiß, wie die Südstaaten es mit ihren Gefangenen trieben, denn von hundert derselben starben mindestens achtzig an schlechter Behandlung. Aber direkt ging es doch nicht ans Leben?«
»Oho? Da seid Ihr gewaltig auf dem Holzwege. Die braven Kerle hatten sich wacker gehalten, alle ihre Munition verschossen und dann noch mit Kolben und Messer gearbeitet. Das ergab für die Sezessionisten gewaltige Verluste, und darüber erbost, entschlossen sie sich, die Gefangenen über die Klinge springen zu lassen. Will war mein einziger Sohn, und ich stand also ganz nahe daran, ein verwaister Vater zu werden, und daß ich es nicht wurde, habe ich nur Old Death zu verdanken.«
»Wie so, Master? Ihr macht mich außerordentlich neugierig. Hat dieser Pfadfinder etwa ein Streifkorps herbeigeführt, um die Gefangenen zu befreien?«
»Da wäre er zu spät gekommen, denn bevor solche Hilfe erscheinen konnte, wäre der Mord geschehen gewesen. Nein, er fing es als echter, richtiger und verwegener Westmann an. Er holte die Gefangenen ganz allein heraus.«
»Alle Wetter! Das wäre ein Streich!«
»Und was für einer! Er schlich sich in das Lager, auf dem Bauche, wie man Indianer beschleicht, eine List, die ihm durch einen Regen, welcher an jenem Abende in Strömen niederfiel und die Feuer auslöschte, erleichtert wurde. Daß dabei einige Vorposten sein Messer gefühlt haben, versteht sich ganz von selbst. Die Sezessionisten lagen in einer Farm, ein ganzes Bataillon. Die Offiziere hatten natürlich das Wohnhaus für sich behalten, und die Truppen waren untergebracht worden, wie es eben ging; die Gefangenen aber, über zwanzig an der Zahl, hatte man in die Zuckerpresse eingeschlossen. Dort wurden sie von vier Posten bewacht, je einer an jeder Seite des Gebäudes. Am nächsten Morgen sollten die armen Teufel füsiliert werden. Des Nachts, kurz nach der Ablösung der Posten, hörten sie ein außergewöhnliches Geräusch über sich, auf dem Dache, das nicht vom aufprasselnden Regen herrührte. Sie lauschten. Da krachte es plötzlich. Das aus langen, aus Weichholz geschleißten Schindeln bestehende Dach war aufgesprengt worden. Irgend jemand arbeitete das so entstandene Loch weiter, bis der Regen in die Presse fiel. Dann blieb es wohl über zehn Minuten lang still. Nach dieser Zeit aber wurde ein junger Baumstamm, an welchem sich noch die Aststummeln befanden, und der stark genug war, einen Menschen zu tragen, herabgelassen. An demselben stiegen die Gefangenen auf das Dach des niedrigen Gebäudes und von demselben zur Erde herab. Dort sahen sie die vier Posten, welche wohl nicht bloß geschlafen haben werden, regungslos liegen und nahmen ihnen augenblicklich die Waffen. Der Retter brachte die Befreiten mit großer Schlauheit aus dem Bereiche des Lagers und auf den nach der Grenze führenden Weg, den sie alle kannten. Erst hier erfuhren sie, daß es Old Death, der Pfadfinder sei, der sein Leben gewagt hatte, um ihnen das ihrige zu erhalten.«
»Ist er mit ihnen gegangen?« fragte Old Death.
»Nein. Er sagte, er habe noch Wichtiges zu tun, und eilte fort, in die finstere, regnerische Nacht hinein, ohne ihnen Zeit zu lassen, sich zu bedanken oder ihn sich anzusehen. Die Nacht war so dunkel, daß man das Gesicht eines Menschen nicht erkennen konnte. Will hat nichts bemerken können als nur die lange, hagere Gestalt. Aber gesprochen hat er mit ihm und weiß noch heute jedes Wort, welches der wackere Mann zu ihm sagte. Käme Old Death uns einmal in die Hände, so sollte er erfahren, daß wir Deutsche dankbare Menschen sind.«
»Das wird er wohl auch ohnedies wissen. Ich kalkuliere, daß Euer Sohn nicht der erste Deutsche ist, den dieser Mann getroffen hat. Aber, Sir, kennt Ihr vielleicht hier einen Master Lange aus Missouri?«
Der Andere horchte auf.
»Lange?« fragte er. »Warum fragt Ihr nach ihm?«
»Ich fürchte, daß wir hier im »Geier« keinen Platz mehr finden, und erkundigte mich bei dem Commissioner am Flusse nach einem Manne, der uns vielleicht ein Nachtlager geben werde. Er nannte uns Master Lange und riet uns, diesem zu sagen, daß der Commissioner uns zu ihm schicke. Dabei meinte er, daß wir den Gesuchten hier finden würden.«
Der ältere Mann richtete nochmals einen prüfenden Blick auf uns und sagte dann:
»Da hat er sehr recht gehabt, Sir, denn ich selbst bin Master Lange. Da der Commissioner Euch sendet, und ich Euch für ehrliche Leute halte, so seid Ihr mir willkommen, und ich will hoffen, daß ich mich nicht etwa in Euch täusche. Wer ist denn da Euer Gefährte, der noch gar kein Wort gesprochen hat?«
»Ein Landsmann von Euch, ein Sachse, gar ein studierter, der herübergekommen ist, um hier sein Glück zu machen.«
»O wehe! Die guten Leute da drüben denken, die gebratenen Tauben fliegen ihnen nur so in den Mund. Ich sage Euch, Sir, daß man hier hüben viel, viel härter arbeiten und bedeutend mehr Täuschungen erfahren muß, um es zu etwas zu bringen, als drüben. Doch nichts für ungut! Ich wünsche Euch Erfolg und heiße Euch willkommen.«
Er gab nun auch mir die Hand. Old Death drückte sie ihm noch einmal und sagte:
»Und wenn Ihr nun noch im Zweifel seid, ob wir Euer Vertrauen verdienen oder nicht, so will ich mich an Euern Sohn wenden, welcher mir bezeugen wird, daß ich kein Mißtrauen verdiene.«
»Mein Sohn, der Will?« fragte Lange erstaunt.
»Ja, er und kein anderer, Ihr sagtet, daß er sich mit Old Death unterhalten habe und noch jedes Wort genau wisse. Wollt Ihr mir wohl mitteilen, junger Mann, was da gesprochen worden ist? Ich interessiere mich sehr lebhaft dafür.«
Jetzt antwortete Will, an den die Frage gerichtet war, in lebhaftem Tone:
»Als Old Death uns auf den Weg brachte, schritt er voran. Ich hatte einen Streifschuß in den Arm bekommen, welcher mich sehr schmerzte, denn ich war nicht verbunden worden und der Ärmel war an der Wunde festgeklebt. Wir gingen durch ein Gebüsch. Old Death ließ einen starken Ast hinter sich schnellen, welcher meine Wunde traf. Das tat so weh, daß ich einen Schmerzensruf ausstieß, und —«
»Und da nannte der Pfadfinder Euch einen Esel!« fiel Old Death ein.
»Woher wißt Ihr das?« fragte Will erstaunt.
Der Alte fuhr, ohne zu antworten, fort:
»Darauf sagtet Ihr ihm, daß Ihr einen Schuß erhalten hättet, dessen Wunde entzündet sei, und er riet Euch, den Ärmel mit Wasser aufzuweichen und dann fleißig die Wunde mit dem Safte von Way-bread zu kühlen, wodurch der Brand verhütet werde.«
»Ja, so ist es! Wie könnt Ihr das wissen, Sir?« rief der junge Lange überrascht.
»Das fragt Ihr noch? Weil ich es selbst bin, der Euch diesen guten Rat gegeben hat. Euer Vater sagte vorhin, ich könne mich recht gut mit Old Death vergleichen. Nun, er hat sehr recht, denn ich gleiche dem alten Kerl freilich so genau, wie eine Ehefrau der Gattin gleicht.«
»So – so – so seid Ihr es selber?« rief Will erfreut, indem er von seinem Stuhle aufsprang und mit ausgebreiteten Armen auf Old Death zueilte; aber sein Vater hielt ihn zurück, zog ihn mit kräftiger Hand auf den Stuhl nieder und sagte:
»Halt, junge! Wenn es sich um eine Umarmung handelt, so hat der Vater das erste Recht und zunächst die Pflicht, deinem Retter die Vorderpranken um den Hals zu legen. Das wollen wir aber unterlassen, denn du weißt, wo wir uns befinden, und wie man auf uns achtet. Bleib also ruhig sitzen!« Und sich zu Old Death wendend, fuhr er fort: »Nehmt mir diesen Einspruch nicht übel, Sir! Ich habe meine guten Gründe dafür. Hier ist nämlich der Teufel los. Daß ich Euch dankbar bin, dürft Ihr mir glauben, aber gerade darum bin ich verpflichtet, alles zu vermeiden, was Euch in Gefahr bringen kann. Ihr seid, wie ich weiß und oft gehört habe, als Parteigänger der Abolitionisten bekannt. Ihr habt während des Krieges Coups ausgeführt, welche Euch berühmt gemacht, den Südländern aber großen Schaden gebracht haben. Ihr seid Heeresteilen des Nordens als Führer und Pfadfinder beigegeben gewesen und habt sie auf Wegen, auf welche sich kein Anderer gewagt hätte, in den Rücken der Feinde geführt. Wir haben Euch deshalb hoch geehrt; die Südländer aber nannten Euch und nennen Euch heut noch einen Spion. Ihr wißt wohl, wie jetzt die Sachen stehen. Geratet Ihr in eine Gesellschaft von Sezessionisten, so lauft Ihr Gefahr, aufgeknüpft zu werden.«
»Das weiß ich sehr wohl, Master Lange; ich mache mir aber nichts daraus,« entgegnete Old Death äußerst kühl. »Ich habe zwar keine Leidenschaft dafür, aufgehangen zu werden, aber man hat mir schon oft damit gedroht, ohne es wirklich fertig zu bringen. Erst heut‘ wollte eine Bande von Rowdies uns beide an den Schornstein des Dampfers hängen, auch sie sind nicht dazu gekommen.«
Und Old Death erzählte den Vorfall auf dem Dampfer. Als er geendet hatte, meinte Lange sehr nachdenklich:
»Das war sehr brav von dem Kapt‘n, aber auch gefährlich für ihn. Er bleibt bis morgen früh hier in La Grange, die Rowdies aber kommen vielleicht noch während der Nacht hierher; dann kann er sich auf ihre Rache gefaßt machen. Und Euch ergeht es vielleicht noch schlimmer.«
»Pah! Ich fürchte diese paar Menschen nicht. Habe bereits mit andern Kerlen zu tun gehabt.«
»Seid nicht allzu sicher, Sir! Die Rowdies werden hier ganz bedeutende Hilfe bekommen. Es ist in La Grange seit einigen Tagen nicht ganz geheuer. Von allen Seiten kommen Fremde, welche man nicht kennt, und die in allen Winkeln und an allen Ecken beisammen stehen und heimlich tun. Geschäftlich haben sie hier nichts zu suchen, denn sie lungern müßig herum und tun gar nichts, was auf ein Geschäft schließen läßt. Jetzt sitzen sie da drinnen in der Stube und reißen das Mundwerk auf, daß ein Grizzlybär es sich zum Lager wählen könnte. Sie haben schon entdeckt, daß wir Deutsche sind, und uns zu reizen versucht. Wenn wir ihnen antworteten, würde es sicher Mord und Totschlag geben. Ich habe heut‘ übrigens keine Lust, mich lange zu verweilen, und Ihr werdet Euch nach Ruhe sehnen. Aber mit dem Abendessen sieht es nicht allzugut aus. Wir führen nämlich, da ich Witwer bin, einen Junggesellentisch und gehen des Mittags in den Gasthof speisen. Auch habe ich vor einigen Tagen mein Haus verkauft, da mir hier der Boden zu heiß wird. Damit will ich nicht sagen, daß die Menschen mir hier nicht gefallen. Sie sind eigentlich nicht schlimmer als überall, aber in den Staaten ist der mörderische Krieg kaum beendet, und die Folgen liegen noch schwer auf dem Lande, und drüben in Mexiko schlachtet man sich noch immer ab. Texas liegt so recht zwischen diesen beiden Gebieten; es gärt, wohin man blickt; aus allen Gegenden zieht sich das Gesindel hierher, und das verleidet mir den Aufenthalt. Darum beschloß ich, zu verkaufen und dann zu meiner Tochter zu gehen, die sehr glücklich verheiratet ist, und bei deren Mann ich eine Stelle finde, wie ich sie mir nicht besser wünschen kann. Dazu kommt, daß ich hier im Orte einen Käufer gefunden habe, dem die Liegenschaft paßt und der mich sofort bar bezahlen konnte. Vorgestern hat er mir das Geld gegeben; ich kann also fort, sobald es mir beliebt. Ich gehe nach Mexiko.«
»Seid Ihr des Teufels, Sir?« rief Old Death.
»Ich? Weshalb denn?«
»Weil Ihr vorhin über Mexiko geklagt habt. Ihr gabt zu, daß man sich da drüben abschlachte. Und nun wollt Ihr selbst hin!«
»Geht nicht anders, Sir. Übrigens ist es nicht in der einen Gegend Mexikos wie in der andern. Da, wohin ich will, nämlich ein wenig hinter Chihuahua, ist der Krieg zu Ende, Juarez mußte zwar bis nach EI Paso fliehen, hat sich aber bald aufgemacht und die Franzmänner energisch nach dem Süden zurückgetrieben. Ihre Tage sind gezählt; sie werden aus dem Lande gejagt, und der arme Maximilian wird die Zeche zu bezahlen haben. Es tut mir leid, denn ich bin ein Deutscher und gönne ihm alles Gute. Um die Hauptstadt wird die Sache ausgefochten werden, während die nördlichen Provinzen verschont bleiben. Dort wohnt mein Schwiegersohn, zu dem ich mit dem Will gehen werde. Dort erwartet uns alles, was wir nur hoffen können, denn, Sir, der wackere Kerl ist als Silberminenbesitzer sehr wohlhabend. Er befindet sich jetzt über anderthalb Jahre in Mexiko und schreibt in seinem letzten Briefe, daß ein kleiner Silberminenkönig angekommen sei, der ganz gewaltig nach dem Großvater schreie. Alle Teufel, kann ich da hier bleiben? Ich soll an der Mine eine gute Anstellung erhalten, mein junge, der Will hier, ebenso. Dazu kann ich dem kleinen Minenkönig das erste Abendgebet und dann das Einmaleins beibringen. – Ihr seht, Mesch‘schurs, daß es für mich kein Halten gibt. Ein Großvater muß unbedingt bei seinen Enkeln sein, sonst ist er nicht am richtigen Platze. Also will ich nach Mexiko, und wenn es Euch beliebt, mit mir zu reiten, so soll es mir lieb sein.«
»Hm!« brummte Old Death. »Macht keinen Scherz, Sir! Es könnte kommen, daß wir Euch beim Worte hielten.«
»Was, Ihr wollt mit hinüber? Das wäre freilich prächtig. Schlagt ein, Sir! Wir reiten zusammen.«
Er hielt ihm seine Hand hin.
»Langsam, langsam!« lachte Old Death. »Ich meine allerdings, daß wir wahrscheinlich nach Mexiko gehen werden, aber ganz gewiß ist es doch noch nicht, und wenn der Fall eintreten sollte, so wissen wir jetzt noch nicht, welche Richtung wir einschlagen werden.«
»Wenn es nur das ist, Sir, so reite ich mit Euch, wohin Ihr wollt. Von hier ausführen alle Wege nach Chibuahua, und es ist mir ganz gleich, ob ich heute dort ankomme oder morgen. Ich bin ein eigennütziger Kerl und sehe gern auf meinen Vorteil. ihr seid ein gewandter Westmann und berühmter Fährtensucher. Wenn ich mit Euch reiten darf, komme ich sicher hinüber, und das ist in der jetzigen unruhigen Zeit von großem Werte. Wo gedenkt Ihr denn das Nähere zu erfahren?«
»Bei einem gewissen Sennor Cortesio. Kennt Ihr den Mann vielleicht?«
»Ob ich den kenne! La Grange ist so klein, daß sich alle Katzen mit Du anreden, und dieser Sennor ist ja derjenige, welcher mir das Haus abgekauft hat.«
»Vor allen Dingen möchte ich wissen, ob er ein Schuft oder ein Ehrenmann ist.«
»Das letztere, das letztere. Seine politische Färbung geht mich natürlich nichts an. Ob einer kaiserlich oder republikanisch regiert sein will, das ist mir ganz gleich, wenn er nur sonst seine Pflicht erfüllt. Er steht mit der jenseitigen Grenze in reger Verbindung. Ich habe beobachtet, daß des Nachts Maultiere mit vollen, schweren Kisten beladen werden, und daß sich heimlich Leute bei ihm versammeln, welche dann nach dem Rio del Norte gehen. Darum meine ich, man habe mit der Vermutung recht, daß er den Anhängern des Juarez Waffen und Munition liefere und ihnen auch Leute hinüberschicke, welche gegen die Franzosen kämpfen wollen. Das ist bei den hiesigen Verhältnissen ein Wagnis, welches man nur dann unternimmt, wenn man der Überzeugung ist, selbst bei einem jeweiligen Verluste dabei gute Geschäfte zu machen.«
»Wo wohnt er? Ich muß noch heute mit ihm reden.«
»Um zehn Uhr werdet Ihr ihn sprechen können. Ich hatte heute noch eine Unterredung mit ihm, deren Gegenstand sich aber indessen erledigt hat, so daß sie nicht mehr nötig ist. Er sagte, daß ich um zehn Uhr zu ihm kommen könne, er werde kurz vorher ankommen.«
»Hatte er Besuch, als Ihr bei ihm waret?«
»Den hatte er. Es waren Männer, welche bei ihm saßen, ein junger und ein älterer.«
»Wurden ihre Namen genannt?« warf ich gespannt ein.
»Ja. Wir saßen fast eine Stunde lang beisammen, und während einer solchen Zeit bekommt man schon die Namen derjenigen, mit denen man redet, zu hören. Der jüngere hieß Ohlert, und der ältere wurde Sennor Gavilano genannt. Dieser letztere schien ein Bekannter von Cortesio zu sein, denn sie sprachen davon, daß sie sich vor mehreren Jahren in der Hauptstadt Mexiko getroffen hätten.«
»Gavilano? Kenne den Mann nicht. Sollte Gibson sich jetzt so nennen?«
Diese Frage war an mich gerichtet. Ich zog die Photographien hervor und zeigte sie dem Schmiede. Er erkannte die beiden sofort und bestätigte:
»Das sind sie, Sir. Dieser hier mit dem hagern, gelben Kreolengesichte ist Sennor Gavilano; der andere ist Master Ohlert, welcher mich in eine nicht geringe Verlegenheit brachte. Er fragte mich immerfort nach Gentlemen, die ich in meinem Leben noch nicht gesehen hatte, so z. B. nach einem Nigger, Namens Othello, nach einer jungen Miß aus Orleans, Johanna mit Namen, welche erst Schafe weidete und dann mit dem König in den Krieg zog, nach einem gewissen Master Fridolin, welcher einen Gang nach dem Eisenhammer gemacht haben soll, nach einer unglücklichen Lady Maria Stuart, der sie in England den Kopf abgeschlagen haben, nach einer Glocke, die ein Lied von Schiller gesungen haben soll, auch nach einem sehr poetischen Sir, Namens Ludwig Uhland, welcher zwei Sänger verflucht hat, wofür ihm irgend eine Königin die Rose von ihrer Brust herunterwarf. Er freute sich, einen Deutschen in mir zu finden, und brachte eine Menge Namen, Gedichte und Theaterhistorien zum Vorscheine, von denen ich mir nur das gemerkt habe, was ich soeben sagte. Das ging mir alles wie ein Mühlenrad im Kopf herum. Dieser Master Ohlert schien ein ganz braver und ungefährlicher Mensch zu sein, aber ich möchte wetten, daß er einen kleinen Klapps hatte. Und endlich zog er ein Blatt mit einer Reimerei hervor, welche er mir vorlas. Es war da die Rede von einer schrecklichen Nacht, welche zweimal hintereinander einen Morgen, aber das drittemal keinen Morgen hatte. Es kamen da vor das Regenwetter, die Sterne, der Nebel, die Ewigkeit, das Blut in den Adern, ein Geist, der nach Erlösung brüllt, ein Teufel im Gehirn und einige Dutzend Schlangen in der Seele, kurz, lauter konfuses Zeug, was gar nicht möglich ist und auch gar nicht zusammenpaßt. Ich wußte wirklich nicht, ob ich lachen oder ob ich weinen sollte.«
Es war kein Zweifel vorhanden, er hatte mit William Ohlert gesprochen. Sein Begleiter Gibson hatte jetzt zum zweitenmale seinen Namen geändert. Wahrscheinlich war der Name Gibson auch nur ein angenommener. Daß der Ver- und Entführer einen gelben Kreolenteint hatte, wußte ich auch, denn ich hatte ihn ja gesehen. Vielleicht stammte er wirklich aus Mexiko und hieß ursprünglich Gavilano, unter welchem Namen ihn Sennor Cortesio kennen gelernt hatte. Gavilano heißt zu deutsch Sperber, eine Bezeichnung, welche dem Mann freilich alle Ehre machte. Vor allen Dingen lag mir daran, zu erfahren, welches Vorwandes er sich bediente, William so mit sich herumzuführen. Dieser Vorwand mußte für den Geisteskranken ein sehr verlockender sein und mit dessen fixer Idee, eine Tragödie über einen wahnsinnigen Dichter schreiben zu müssen, in naher Verbindung stehen. Vielleicht hatte Ohlert sich auch darüber gegen den Schmied ausgesprochen. Darum fragte ich den letzteren:
»Welcher Sprache bediente sich dieser junge Mann während des Gespräches mit Euch?«
»Er redete Deutsch und sprach sehr viel von einem Trauerspiel, das er schreiben wollte, es sei aber nötig, daß er alles das, was in jenem enthalten sein solle, auch selbst vorher erlebe.«
»Das ist ja gar nicht zu glauben!«
»Nicht? Da bin ich ganz anderer Meinung, Sir! Die Verrücktheit besteht ja grad darin, Dinge zu unternehmen, die einem vernünftigen Menschen gar nicht in den Sinn kommen. Jedes dritte Wort war eine Sennorita Felisa Perilla, die er mit Hilfe seines Freundes entführen müsse.«
»Das ist ja wirklich Wahnsinn, der reine Wahnsinn! Wenn dieser Mann die Gestalten und Begebenheiten seines Trauerspiels in die Wirklichkeit überträgt, so muß man das unbedingt zu verhindern suchen. Hoffentlich ist er noch hier in La Grange?«
»Nein. Er ist fort, gestern abgereist. Er ist eben mit Sennor Cortesio nach Hopkins Farm, um von da nach dem Rio grande zu gehen.«
»Das ist unangenehm, höchst unangenehm! Wir müssen schleunigst nach, womöglich noch heute. Wißt Ihr vielleicht, ob man hier zwei gute Pferde zu kaufen bekommen kann?«
»Ja, eben bei Sennor Cortesio. Er hat immer Tiere, jedenfalls, um sie den Leuten abzulassen, welche er für Juarez anwirbt. Aber von einem nächtlichen Ritte möchte ich Euch doch abraten. Ihr kennt den Weg nicht und bedürft also eines Führers, den Ihr für heute wahrscheinlich nicht mehr bekommen werdet.«
»Vielleicht doch. Wir werden alles versuchen, heute noch fortkommen zu können. Vor allen Dingen müssen wir mit Cortesio sprechen. Es ist zehn Uhr vorüber, und da er um diese Zeit zu Hause sein wollte, so möchte ich Euch bitten, uns jetzt seine Wohnung zu zeigen.«
»Gern. Brechen wir also auf, wenn es Euch beliebt, Sir!«
Als wir aufstanden, um zu gehen, hörten wir Hufschlag vor dem Hause und einige Augenblicke später traten neue Gäste in die vordere Stube. Zu meinem Erstaunen und nicht mit dem Gefühle der Beruhigung erkannte ich diese Leute, neun oder zehn der Sezessionisten, welchen der Kapitän heute so schöne Gelegenheit gegeben hatte, sich an das Ufer zu retten. Sie schienen mehreren der anwesenden Gäste bekannt zu sein, denn sie wurden von denselben lebhaft begrüßt. Wir hörten aus den hin und her fliegenden Fragen und Antworten, daß sie erwartet worden waren. Sie wurden zunächst so in Beschlag genommen, daß sie keine Zeit fanden, auf uns zu achten. Das war uns auch sehr lieb, denn es konnte keineswegs unser Wunsch sein, ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Darum setzten wir uns einstweilen wieder nieder. Wären wir jetzt gegangen, so hätten wir an ihnen vorüber gemußt, und diese Gelegenheit hätten sie ganz sicher benutzt, mit uns anzubinden. Als Lange hörte, wer sie waren, stieß er die Verbindungstüre so weit zu, daß sie uns nicht sehen, wir aber alles hören konnten, was gesprochen wurde. Außerdem tauschten er und die Andern mit uns die Plätze, so daß wir mit dem Rücken nach der vorderen Stube saßen und die Gesichter von derselben abgewendet hatten.
»Es ist nicht notwendig, daß sie Euch sehen,« meinte der Schmied. »Denn schon früher herrschte eine für uns nicht eben günstige Stimmung da draußen, Bemerkten sie Euch, die sie für Spione halten und heute schon aufknüpfen wollten, so wäre der Krawall sofort fertig.«
»Das ist ganz gut,« antwortete Old Death. »Aber meint Ihr etwa, daß wir Lust haben, hier sitzen zu bleiben, bis sie sich entfernt haben? Dazu ist keine Zeit vorhanden, da wir unbedingt zu Cortesio müssen.«
»Das könnt Ihr, Sir! Wir gehen einen Weg, auf welchem sie uns nicht sehen.«
Old Death schaute sich in dem Zimmer um und sagte dann:
»Wo wäre das? Wir können ja nur durch die Vorderstube.«
»Nein. Da hinaus haben wir es viel bequemer.«
Er deutete nach dem Fenster.
»Ist das Euer Ernst?« fragte der Alte. »Ich glaube gar, Ihr fürchtet Euch! Sollen wir uns französisch empfehlen wie Mäuse, welche aus Angst vor der Katze in alle Löcher kriechen? Man würde uns schön auslachen.«
»Furcht kenne ich nicht. Aber es ist ein gutes, altes, deutsches Sprichwort, daß der Klügste nachgibt. Es genügt mir vollständig, mir selbst sagen zu können, daß ich es nicht aus Furcht, sondern nur aus Vorsicht tue. Ich will gar nicht erwähnen, daß da draußen eine zehnfach größere Zahl, als wir sind, sitzt. Die Vagabunden sind übermütig und ergrimmt. Sie werden uns nicht vorüberlassen, ohne uns zu belästigen, und da ich nicht der Mann bin, der dies duldet, und Euch auch nicht für Leute halte, die so etwas ruhig hinnehmen, so wird es eine bedeutende Keilerei geben. In einem Kampfe mit der Faust, mit Stößen oder mit abgebrochenen Stuhlbeinen scheue ich eine solche Übermacht nicht, denn ich bin ein Schmied und verstehe es, Köpfe breit zu hämmern. Aber ein Revolver ist eine verteufelt dumme Waffe. Der feigste Knirps kann mit einer erbsengroßen Kugel den mutigsten Riesen niederstrecken. Darum rät uns die einfachste Klugheit, diesen Kerlen ein Schnippchen zu schlagen, indem wir uns heimlich durch das Fenster aus dem Staube machen. Sie werden sich mehr darüber ärgern, als wenn wir uns stellen und einigen von ihnen die Schädel einschlagen, uns aber selbst dabei blutige Nasen oder gar etwas noch Schlimmeres holen.«
Ich gab dem verständigen Manne im stillen recht, und auch Old Death sagte nach einer Pause:
»So ganz unklug ist Eure Meinung freilich nicht. Ich will auf Euren Vorschlag eingehen und meine Beine mit allem, was daran hängt, zum Fenster hinausschieben. Hört doch einmal, wie sie brüllen! Ich glaube, sie sprechen von dem Abenteuer auf dem Steamer.«
Er hatte recht. Die Neuangekommenen erzählten, wie es ihnen auf dem Dampfer ergangen war, dann von Old Death, dem Indianer und mir, sowie von der Hinterlist des Kapitäns. Über die Ausübung ihrer Rache waren sie nicht einig gewesen. Die sechs Rowdies und deren Anhang hatten den Dampfer erwarten wollen, die Andern aber nicht Lust oder Zeit dazu gehabt.
»Wir konnten uns natürlich nicht eine ganze Ewigkeit lang an das Ufer setzen,« sagte der Erzähler, »denn wir mußten hierher, wo wir erwartet wurden. Darum war es ein Glück, daß wir eine naheliegende Farm fanden, auf welcher wir uns Pferde borgten.«
»Borgten?« fragte einer lachend.
»Ja, borgten, aber freilich nach unserer Weise. Sie reichten indessen nicht für uns, und wir mußten zu zweien auf einem Tiere sitzen. Später machte sich die Sache besser. Wir fanden noch andere Farmen, so daß schließlich auf jeden Mann ein Pferd kam.« Ein unbändiges Gelächter folgte dieser Diebstahlsgeschichte. Dann fuhr der Erzähler fort: »Ist hier alles in Ordnung? Und sind die Betreffenden gefunden?«
»Ja, wir haben sie.«
»Und die Anzüge?«
»Haben zwei Kisten mitgebracht; das wird ausreichen.«
»So gibt es ein Vergnügen. Aber auch die Spione und der Kapitän sollen ihr Teil haben. Der Steamer hält ja heute nacht hier in La Grange, und so wird der Kapitän zu finden Sein, und den Indianer und die beiden Spione werden wir auch nicht lange vergeblich zu suchen brauchen. Sie sind sehr leicht zu erkennen. Der Eine trug einen neuen Trapperanzug, und beide hatten Sättel mit, ohne aber Pferde bei sich zu haben.«
»Sättel?« ertönte es jetzt in fast freudigem Tone. »Hatten nicht die Zwei, welche vorhin kamen und da draußen sitzen, ihre – —«
Er sagte das übrige leiser, das galt natürlich uns.
»Mesch‘schurs,« meinte der Schmied, »es ist Zeit, daß wir uns von dannen machen, denn in einigen Minuten kommen sie heraus. Steigt Ihr schnell voran! Eure Sättel reichen wir Euch hinaus.«
Er hatte sehr recht, drum fuhr ich, ohne mich zu genieren, schleunigst zum Fenster hinaus; Old Death folgte, worauf die Schmiede uns unsere Sachen, auch die Gewehre, nachreichten und dann auch hinaussprangen.
Wir befanden uns an der Giebelseite des Hauses auf einem kleinen, eingezäunten Platz, welcher wohl ein Grasgärtchen sein sollte. Als wir über den Zaun sprangen, bemerkten wir, daß auch die andern Gäste, welche sich mit uns in der kleinen Stube befunden hatten, durch das Fenster gestiegen kamen. Auch sie durften nicht hoffen, von Sezessionisten freundlich behandelt zu werden, und hielten es für das beste, unserm Beispiele zu folgen.