Kitabı oku: «In der zweiten Reihe», sayfa 2

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»Ist das dein Schatz?«

Am Ende der Weihnachtsferien, so hatten wir beschlossen, wollten wir auf gleichem Weg wieder gemeinsam nach Bonn fahren. Herr Franke und Herr Simon, im Stillen nannte ich sie schon lange Ernst und Wilhelm, waren mir nicht aus dem Kopf gegangen. Was für eine unbeschwerte Freundschaft hatte sich da entwickelt. Dass es so etwas zwischen Männern und Frauen geben konnte, ja, geben durfte, überraschte mich. War so das Studentenleben?

Ernst saß im letzten Waggon. Als der Zug in Paderborn einfuhr, sah ich ihn schon aus dem Fenster heraus winken. Seinen Kopf ohne den Hut erkannte ich sofort.

»Da hinten ist Herr Franke«, sagte ich zu Vater und Martha, die mich an die Bahn gebracht hatten. Vater nickte.

»Der Kommilitone aus der Theologie.«

»Ist das dein Schatz?« fragte Martha. Die Antwort sparte ich mir, weil Vater schon den schweren Koffer aufnahm und für mich bis zum letzten Wagen schleppte. Dort nahm Ernst ihn entgegen. Die beiden musterten sich kurz und wortlos. Eine Weile schauten wir gemeinsam aus dem Fenster dem Bahnsteig hinterher und sahen Martha mit Vaters großem weißen Taschentuch winken. Sie trug zum Glück leicht daran, dass ihre große Schwester schon wieder davon fuhr.

Wir berichteten uns von unsern Familienerlebnissen. Er hatte nicht viel zu erzählen, seine Weihnachten waren eher karg gewesen. Seine Eltern starben früh, er war bei seinen alten Großeltern gewesen, die auch nicht mehr gesund waren. Doch freute er sich mit an meinen Erzählungen über Marthas noch kindliche Begeisterung für das Weihnachtsfest. Erst recht jetzt, wo er diesen Wirbelwind kurz hatte erleben können.

Als wir in Barmen ausstiegen, hörte ich einen Pfiff, den Ernst erwiderte. Er richtete sich auf und ließ seine Blicke über den Bahnsteig schweifen. Er erblickte Wilhelm und beide winkten. Ich hatte noch beide Hände am Gepäck, als Wilhelm meine Hand vom Griff löste, in die seine nahm und sie vor Freude drückte. Die beiden Freunde begrüßten sich ebenso herzlich. Wilhelm hob meinen Koffer an, zog mit mir los zum anderen Bahnsteig und wir drei bestiegen den Zug in Richtung Bonn. Wir erzählten uns von den Ferien und sangen wieder, dass die Reise im Nu verging.

In Bonn versprachen mir die beiden, meinen Koffer später abzuholen und zu mir in die Reuterstraße zu bringen. Nachdem sie ihr eigenes Gepäck in ihren Zimmern ausgepackt hatten, zogen sie wieder los und schleppten den schweren Koffer herbei. Oben saß ich schon am geöffneten Fenster und hielt nach ihnen Ausschau. Die Nachmittagssonne schien so warm, ich hatte fast den Eindruck, dass ein Frühlingsahnen zu spüren war. Für einen Moment schloss ich die Augen und genoss die Wärme. Wie sollte ich den beiden bloß danken für ihre Mühe?

»Kann ich denn nicht auch einmal etwas für Sie tun? Ich könnte Ihnen doch einmal Ihre Strümpfe stopfen. Sie könnten dabei sitzen und lernen, wie man es macht.«

Sie lachten.

»Das haben wir in unserm Soldatenleben mehr als genug lernen müssen. Wir können es längst.«

Vergnügt zogen sie ab.

Vokabeln und Freundschaft

Jemand hatte ein Foto von der Krippenszene gemacht. Ernst und ich beschlossen, es zu vervielfältigen und an die Kommilitonen als Gruß zu verschenken. Als Gruß schrieben wir auf die Rückseite:

»Zur Erinnerung an unser Weihnachtsspiel von Helene Schmidt und Ernst Franke.«

Seinem Freund schrieb Ernst einen besonderen Gruß:

»Meinem Wegbruder!«

Das Semester ging weiter. Ich stürzte mich hinein in das Hebräische, eine Sprache mit den fremden und ungewohnten Buchstaben, ähnlich wie im Griechischen. Es machte mir große Freude, sie zu malen, und wenn ich es schaffte, einen Text zu übersetzen, war ich glücklich über meinen Erfolg. In meiner Tasche trug ich stets kleine Zettel mit Wörtern in beiden Sprachen und in Deutsch mit mir herum. So konnte ich in jeder freien Minute schnell ein paar Vokabeln lernen.

Wilhelm traf ich fast täglich im Kolleg und wir plauderten stets miteinander. Neulich erzählte er mir von seiner Freundschaft zu Ernst. Sie wohnten inzwischen zusammen in einer kleinen Zweizimmerwohnung, so dass sie abends oft lange zusammen saßen und sich das Herz gegenseitig ausschütteten. Sie hatten in ihrem Leben viel gemeinsam, zum Beispiel waren beide die Ersten in ihrer Familie, die studierten. So konnte ein tiefes Verständnis füreinander entstehen und die Notwendigkeit, einander zu unterstützen.

Eine solche Freundin hatte ich leider nicht. Im Gegenteil. Es gab nicht viele Frauen an der Universität und ich musste mich meistens alleine durchschlagen. Ich freute mich mit den beiden und für sie.

»Das ist fein, wenn man sich mit einem Menschen so gut versteht.«

Ernst dagegen sah ich leider nicht so oft, wie ich es gerne hätte, denn er gefiel mir ziemlich gut. Ich erinnerte mich immer wieder an unser Wiegenlied und seine Hände an der Krippe, ganz dicht an meinen. Er war außerdem so ein lustiger Vogel. Wir hatten einen ähnlichen Humor und er brachte mich oft zum Lachen. Ich ertappte mich dabei, dass ich bei den Andachten nach ihm Ausschau hielt und oft versuchte, mich neben ihn zu setzen.

Spaß oder Ernst

Als Wilhelm mich eines Tages zur Universität begleitete, lud er mich auf seine Bude ein, einen Kaffee zu trinken, bevor wir weiter ins Kolleg gingen. Ich lehnte es ab.

»Ich darf es nicht. Es könnte zu leicht falsch aufgefasst und beurteilt werden. Ein Mädchen darf nun einmal bei einem jungen Mann, der alleine wohnt, keinen Besuch machen. Und ich darf auch auf meiner Bude keinen empfangen.«

»Dann dürfen wir also auch nicht zu Ihnen kommen?«

»Lieber hätte ich es, Sie kämen nicht. Ich sage das nicht Ihretwegen. Wohnte ich hier bei meinen Eltern oder Verwandten, dürften Sie so viel kommen, wie Sie wollten. Dann würde ich mich freuen. Aber nicht hier, wo ich alleine bin in meinem Zimmer. Wenn es andere erfahren, können sie leicht Verkehrtes denken und erst recht, wenn ich es Ihnen gewähre und anderen nicht. Es sind nicht alle Menschen wie Sie beide. Man kann eben nicht allen jungen Männern so trauen wie Ihnen. Ich wollte das auch Ernst Franke sagen, weil auch er mich besuchen möchte. Erzählen Sie es ihm doch schon, damit es mir nicht so schwer fällt.«

»Das wird ihm sicher leidtun«, meinte er.

»Ja, das habe ich auch gemerkt und ich habe deshalb lange überlegt, wie ich Ihnen das sagen sollte. Aber ich finde keinen anderen Ausweg und sagen muss ich es. Es ist das Schlimmste für eine junge Frau, wenn sie ihren guten Ruf verliert.«

»Gut, ich gebe es an ihn weiter, aber es wird ihm weh tun. Sehen Sie, ich treffe Sie fast täglich im Kolleg und kann mit Ihnen sprechen. Er sieht Sie doch so selten. Darauf freut er sich immer. Es hat sich nun einmal unsere Bekanntschaft so entwickelt und da tut es weh, wenn sie droht abzubrechen. Machen Sie ihm doch die Freude, lassen Sie sich von ihm nach Hause begleiten oder setzen Sie sich in den Andachten neben ihn. Dann sieht er Sie auch zuweilen.«

Ich hörte es gerne, dass Ernst ein Interesse an mir hatte. Er gefiel mir, weil bei ihm mein Humor ein Echo fand. Wie Bälle flogen unsere Scherze manchmal zwischen uns hin und her. Er lachte oft laut über meine Witze von Tünnes und Schääl. Da ich in Köln aufgewachsen bin, habe ich diese beiden verinnerlicht. Mein Lieblingswitz ist:

»Guck mal, da is dinne Aahl. – Für dich immer noch das Fräulein Schmidt.«

Oder den, den meine Schulfreundin Gerti so gerne erzählte:

»Was gucken Sie mich so an? Ich habe mich heute für lange Ärmel gewaschen und musste dann kurze anziehen.«

Eines Tages wurden Ernst und ich von Elisabeth Dauner, der Frau unseres Professors, zum Kaffee eingeladen. Sie schaute mit prüfenden Augen zwischen uns hin und her. Ich fühlte mich nicht ganz wohl dabei. Was dachte sie und wie dachte sie über mich? Das Gespräch verlief jedoch sehr freundlich und ebenso verabschiedete sie uns auch.

Anschließend machten wir einen langen Spaziergang am Rhein entlang, meinem Rhein, der mir von Kindesbeinen an ein guter Freund war. Stundenlang konnte ich dem Vorbeiziehen des Wassers zusehen, ich hatte das Gefühl, meine Sorgen spülte er von mir und nahm sie mit sich fort. Im Moment allerdings hatte ich keine Sorgen, jetzt war ich zufrieden mit Ernst an meiner Seite.

Am nächsten Tag bekam ich eine Nachricht von Frau Dauner, dass sie mich gerne besuchen wolle. Das überraschte mich, doch natürlich empfing ich sie. Ich hatte mich in ihrem prüfenden Blick also doch nicht getäuscht. Zunächst sprach sie ganz allgemein.

»Ein Mädchen kennt keine Kameradschaft zwischen Mädchen und Jungen«, erklärte sie mir. »Zumindest im Unterbewußtsein spricht das Sehnen eine Rolle, das auf eine innigste, dauernde Verbindung zugehen will. Wenn es einmal durchbricht, gibt es kein Zurück mehr. Dann ist es, als hätten sie ihr Herz nicht mehr in Händen. Sie haben es jemand anderem gegeben. Will er es nicht, dann fällt es hin und zerbricht. Mädchen haben nicht die physische Kraft, über solch einen Bruch hinweg zu kommen. Sie brechen dann zusammen und sind für ihr Leben unglücklich.«

Worauf wollte sie hinaus? Ich hörte ihr aufmerksam weiter zu.

»Herr Franke muss sich sehr hüten im Umgang mit Ihnen, damit er nicht die Verantwortung für einen Zusammenbruch tragen muss.«

Das überraschte mich.

»Wie kommen Sie darauf, dass er es ernst oder auch nicht ernst mit mir meinen könnte?«

Darauf antwortete sie ganz eindringlich.

»Herr Franke hat eine ganz eigene Ansicht über das Verhältnis zwischen Mädchen und Jungen. Ich hörte, dass er in Ihnen einen guten Kameraden sieht, mit dem er ein paar Schritte Wegs gemeinsam gehen möchte. Wollen Sie das auch, ein paar Schritte Wegs gemeinsam?«

Ich überlegte schweigend. Noch bevor ich antworten konnte, fuhr sie fort.

»Es gibt jemanden, der nicht ein paar Schritte, sondern durch das ganze Leben mit Ihnen gehen möchte. Sie wissen, von wem ich spreche?«

Ich nickte.

»Schlafen Sie noch einmal darüber.«

Wie kompliziert plötzlich alles wurde. Ich wollte doch einfach bloß mit den beiden befreundet sein und ansonsten vor allem studieren. Warum sollte ich mich entscheiden müssen? Welch eine Sackgasse. Ich fand doch beide so klug, so belesen und fleißig. Ernst war außerdem sehr witzig, Wilhelm dagegen eher besonnen, allerdings auch ein Romantiker.

Ich fühlte mich überrumpelt und war auch erschrocken. Hatte ich etwa beiden Anlass gegeben, über eine nähere Verbindung nachzudenken? Hatte ich gar geflirtet? Ich wusste doch nicht einmal, wie das geht.

Ja, Ernst konnte flirten. Durch sein helles Lachen und intensives Strahlen hatte er mein Herz tatsächlich ein bisschen erobert. Es klopfte deutlich, wenn ich ihn sah. Ich musste es mir eingestehen. Aber auch Wilhelm war ich zugetan. Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr gefielen sie mir. Beide.

Wieder tauchte die Frage auf, warum ich mich überhaupt entscheiden sollte? Frau Dauner war bei dem Gespräch sehr eindringlich gewesen. Fürchtete sie um den guten Ruf der Fakultät? Sollte es wirklich keine Freundschaft geben können?

Ich überlegte und wägte ab.

Ich sei zwar lustig, aber auch sachlich, nüchtern und unromantisch, hörte ich manchmal. Vielleicht war mir das jetzt hilfreich in meiner Ratlosigkeit. Also entschied ich mich.

Am nächsten Morgen traf ich an der Tür zum Kolleg Wilhelm, der mich erwartungsvoll ansah. Mir schoss das Blut in den Kopf, als ich ihn sah. Ich reichte ihm die Hand zum Gruß und wir gingen hinein. Ich hatte eine Ahnung, dass die beiden Männer sich darüber unterhalten hatten, für wen ich mich wohl entscheiden würde. Es bedeutete also das Glück des Einen das Unglück des Anderen. Was für eine Verantwortung.

Wilhelm setzte sich eine Reihe hinter mich. Seine Anwesenheit so dicht hinter mir machte mich nervös, immer wieder hatte ich das Gefühl, mich umdrehen und ihn aufmunternd anlächeln zu sollen, denn nach vielem Abwägen hatte mich für Ernst entschieden. Das tat mir für Wilhelm wirklich leid. Im Anschluss ließ er sich nicht nehmen, sich mit mir auf die Suche nach meinem verloren gegangenen Schlüssel zu machen, den wir sogar fanden. Er begleitete mich noch ein Stück zum nächsten Kolleg. Wir plauderten über das Wandern und als er Ernst erwähnte, schwieg ich lieber.

Am Nachmittag besuchte mich unerwartet Frau Dauner.

»Nanu«, sagte ich, »Sie kommen ja schon wieder.«

»Ja, ich bin geschickt worden, aber ich wäre ohnehin gekommen. Es muss nun Klarheit geschaffen werden. Die Herzen Ihrer Freunde sind zum Zerreißen angespannt. Wem werden Sie nun Ihr Herz schenken?«

Ich zögerte.

»Ich bin doch noch so jung und weiß nicht, ob es sich um die große Liebe handelt.« Ich hielt inne, atmete tief durch und fuhr fort: »Aber ich denke, es ist Ernst Franke. Deshalb muss ich wohl mit ihm sprechen.«

»Und Herr Simon?«

»Herr Simon ist mir ein lieber Freund und Bruder. Ich habe ihn als Ernst Frankes Freund auch für den meinen gehalten. Das soll er mir auch bleiben. Oder glauben Sie, dass er mehr erwartet hat als Freundschaft?«

»Ja«, sagte sie darauf.

Ich schwieg. So viele Gedanken schwirrten mir durch den Kopf. Dann richtete ich mich auf und sagte: »Er soll mir ein Freund bleiben. Ich will ihm immer mit der entsprechenden Liebe entgegen kommen.«

Eine folgenschwere Entscheidung

Also ließ ich mich nach der nächsten Andacht von Ernst nach Hause begleiten und so kam eines zum anderen.

Von ihm bekam ich neben einem wild klopfenden Herzen meinen ersten Kuss, der mir erstaunlich gut schmeckte. Allerdings erzählte er mir auch, wie sehr Wilhelm für mich schwärmte. Mein etwas schlechtes Gewissen beschloss ich damit gut machen, dass ich Wilhelm das Du anbieten wollte, wenn ich ihn das nächste Mal sah. Ob ihn das wohl versöhnlich stimmen oder gar trösten könnte? Zumindest zeige ich ihm damit seinen Platz, dass er mein Freund bleiben könnte. Ich bat Ernst, es ihm auszurichten.

Am nächsten Abend fand ich vor meiner Tür ein kleines Maiglöckchen-Sträußchen, gebunden mit einem blau-seidenen Bändchen. Daneben lag eine Karte mit den Worten: »Glück auf den Weg! Wilhelm«

Er hatte es verstanden. Ich sah ihn nach der Vorlesung am nächsten Morgen, ging auf ihn zu und bat ihn in eine Fensternische.

»Komm, komm«, begrüßte ich ihn dabei und bot ihm meine Hand. Als er einschlug, sagte ich leise:

»Ich danke dir, Wilhelm«, und huschte davon zur Garderobe. Er kam hinter mir her und half mir in den Mantel.

»Helene, ich danke dir. Du schenkst mir viel Vertrauen.«

In seinem Gesicht stand geschrieben, dass er litt, aber auch, dass er sich Mühe geben wollte, mir ein Freund zu sein.

Am Sonntag ging ich mit Ernst in die Kirche. Wir hielten uns nicht an den Händen, das hätte sich nicht gehört. Dass Wilhelm erbleichte, als er uns zusammen kommen sah, bekam ich nicht mit.

Später erzählte Wilhelm mir von seiner zerstörten Hoffnung nach meiner Entscheidung und zeigte mir ein Gedicht aus diesen Tagen. Schwärmerisch wie er war, gab er so oft seinen Gefühlen Ausdruck.

»Nun muss ich schweigen und stille sein,

Darf heimliche Tränen dem Glück nun weihen,

Das ich verloren.

Muss schweigen und warten auf bess’re Zeit,

Bis mir der Himmel in Gnaden verleiht,

Was er erkoren.

Euch aber will ich als treuer Freund

Zur Seite stehen. - Doch wenn es scheint,

Dass ich genesen,

Denkt, dass dem Herze sein Liebstes geraubt,

Was ich erhoffte, was ich geglaubt,

Ist nie gewesen!«

Er hatte aber auch feststellen müssen, dass der Wettbewerb mit Ernst um mich ihn angespornt hat.

»Wer mich wohl lieber hatte? So hat sich die aus Selbstsucht mitbestimmte Liebe ins Unendliche gesteigert«, bekannte er. »Nach deiner Entscheidung hat sich eine Mattigkeit eingestellt. Was soll ich noch mitlaufen? Ernst hat das Ziel bereits erreicht. Ich frage mich, ob er ohne mich als Mitstreiter noch genauso laufen kann wie vorher?«

Er empfand sich zu der Zeit als einen mächtigen Einspanner, wie er später erzählte. Der Frühling zeigte ihm Menschen, die zu zweit zusammen waren, überall ein Knospen und Blühen. Und er war noch immer allein. Auf der Suche nach einem Inhalt für sein Liebe suchendes Herz machte er sich auf dem Papier Luft:

»Mein Herz ist von Liebe so übervoll,

Und ich weiß nicht, wem ich sie schenken soll.

Ruth gab ich sie erst, und sie nahm sie nicht an.

Helene bekam einen anderen Mann.

Drum bin ich sie heute noch immer nicht los!

Ach, lieber Himmel, was mach ich da bloß?«

Die beiden hatten beschlossen, ihre Männerfreundschaft sollte darunter nicht leiden. Ob sie das wirklich schafften?

Inzwischen war vorübergehend ein kurzes Frühlings-Ahnen eingekehrt. Trotz fleißigen Lernens fand ich viel Freude an Spaziergängen und gemeinsamem Singen, aber noch mehr an den interessanten Diskussionsrunden. Wilhelm sah ich nicht mehr so oft, er hatte sich in die Arbeit gestürzt und damit abgelenkt. Auch Ernst und ich mussten uns unsere gemeinsamen Stunden oft genug von den Lernzeiten abzweigen.

Wir verlobten uns. Trotz dieses aufregenden Ereignisses schien mir am Wichtigsten, zusammen weiter zu studieren zu können. Alles andere würde sich fügen.

Womit ich nicht gerechnet hatte, ist, dass ich nun mein Studium abbrechen musste. So waren die Universitätsregeln. Eine Frau, die das Eheleben vor Augen hatte, war als Studentin nicht mehr geduldet. Wofür auch, hieß es. Sie brauchte schließlich in Zukunft keinen eigenen Beruf. Die Verlobung bedeutete also mein akademisches Ende.

Ich war fassungslos. Hätte ich das vorher gewusst. Hätte ich mich dann auf Ernst eingelassen? Vielleicht nicht. Doch auf wen sollte ich nun ärgerlich sein? Er konnte doch auch nichts für diese Regeln.

Ich bestand darauf, dass ich dieses Semester wenigstens abschließen und noch das Hebraicum ablegen konnte.

Von der Universität bekam ich ein Abgangszeugnis, in dem steht, dass Fräulein Helene Schmidt als Studierende der Nationalökonomie an der hiesigen Universität immatrikuliert gewesen ist. Hinsichtlich ihres Verhaltens ist Nachteiliges nicht zu bemerken. In meinem Vorlesungsbuch wurde mir bescheinigt, dass ich Vorlesungen über hebräische Grammatik, Kirchengeschichte des Mittelalters, Einleitung in die Philosophie und allgemeine Volkswirtschaftslehre gehört habe. Die Prüfung im Hebräischen bestand ich schriftlich und mündlich mit sehr gut und erwarb damit das Zeugnis der Reife im Hebräischen. Immerhin.

Diese Dokumente wollte ich zwar gut aufheben, sie jedoch in der Schublade lassen. Denn sie waren der Beweis, dass ich einmal große Träume hatte und Freude daran, einen ganz anderen Lebensentwurf zu versuchen. Doch wirklich gewagt hatte ich es letztlich doch nicht.

Entzündungsfieber

Ernst wurde allmählich immer stiller, es fiel mir auf. Ich hatte mitbekommen, dass Wilhelm ihn scharf angegangen hatte, er würde sein Pensum nicht mehr schaffen, wenn ich an erster Stelle stünde – bei allem Verständnis.

»Nein nein, mir geht es gut, ich habe nur so viel Arbeit«, antwortete er auf mein besorgtes Nachfragen. Doch recht glauben konnte ich es ihm nicht, er war so blass. Am nächsten Tag in einer Diskussionsrunde sah ich, wie er dicke Schweißtropfen auf der Stirn hatte, obwohl es alles andere als warm im Raum war. Er glühte. Wilhelm und ich halfen ihm zurück in sein Bett. Am nächsten Morgen gab er mir Bescheid, dass das Fieber noch immer hoch war. Ich lief gleich hin und wir beschlossen, einen Arzt zu rufen, der auch bald kam. Er vermutete eine Rippenfellentzündung.

»Hier kann er nicht bleiben, es ist viel zu kalt. Wir müssen ihn wohl ins Krankenhaus bringen.«

Ich bekam einen großen Schrecken. Doch wusste ich ihn dort wenigstens gut versorgt. Leider konnte ich selber nicht mehr länger in Bonn bleiben, denn das Semester war vorbei und ich musste aus meinem Zimmer ausziehen. Also blieb mir nichts anderes übrig, als zurück nach Paderborn zu meiner Familie zu fahren. Von dort aus schrieb ich Ernst fast jeden Tag und schickte ihm Päckchen mit allerlei, was ihm guttun könnte.

Doch eine Besserung war nicht in Sicht. Nach drei Wochen hielt ich es nicht mehr länger aus. Ich musste mir ein eigenes Bild von ihm machen. Also packte ich meine Sachen und fuhr nach Bonn. Auf Nachfrage erlaubte mir meine Vermieterin, einzelne Nächte doch in meinem alten Zimmer zu schlafen, um meine Sorge zu mindern.

Endlich bei ihm erschrak ich noch mehr, als ich ihn sah. Er hatte mich in seinen kurzen Nachrichten stets zu beruhigen versucht. Er fieberte noch immer, bei meinem Besuch sogar hoch bis 40 Grad. Dann fantasierte er, zog an der Bettdecke und sagte immer wieder:

»Das muss weg, ich muss doch zu Helene.«

»Ich bin doch hier, lieber Ernst«, versuchte ich, ihn zu beruhigen, und strich ihm über sein verschwitztes krauses Haar. Er sah mich mit großen Augen an.

Nach einer Viertelstunde musste ich wieder gehen, versprach ihm aber, am nächsten Morgen noch einmal zu kommen.

Ich hatte ihm Eingemachtes mitgebracht, Kirschen und Mirabellen. Nur Obst konnte er essen, sonst lebte er von Wein und Kaffee, dazu etwas Zitronensaft, der das Fieber senken sollte. Wie sollte er von dem bisschen wieder gesund werden? Sein Ernährungszustand war schon vorher nicht gut gewesen. Ich hoffte sehr, dass es bald wieder mit ihm bergauf ging, aber, ob er im Sommer schon wieder würde studieren können?

Es wurde Mai, als ich ihn endlich aus dem Krankenhaus abholen konnte. Erst ganz allmählich kam er wieder zu Kräften. Er schrieb mir voller Freude, dass er zum ersten Mal wieder draußen in der Frühlingsluft gewesen war. Wilhelm hatte ihn abgeholt und sie hatten einen Spaziergang gemacht. Beim nächsten Besuch ist er zurück in sein Zimmer gegangen und hatte als Erstes zu seiner Laute gegriffen. Die Finger wollten zunächst nicht so richtig, doch fanden sie bald wieder ihren Weg über die Saiten. Allmählich dehnten sich seine Wege weiter aus und er wurde mit jedem kräftiger. Mich beruhigte das und wir überlegten, wie es weitergehen konnte. Dass er in diesem Sommersemester würde weiter studieren können, stand noch außer Frage, er würde aussetzen müssen.

Also beschloss ich, und Vater war davon nicht sehr begeistert, meinen Bräutigam über den Sommer zu uns nach Paderborn zu holen und zu hegen und zu pflegen.

Als ich ihn in Bonn abholte, wohnte in meinem Zimmer in der Reuterstraße inzwischen eine neue Theologiestudentin, Maren Ottsen. Eine fröhliche und sehr lebendige Frau, die mir sofort gefiel. Wilhelm, der mir half, meine Tasche aus der Reuterstraße zum Bahnhof zu bringen, bekam leuchtende Augen, als er sie sah. Fräulein Ottsen begrüßte ihn sehr keck, ich sah, wie ihm das gefiel.

»Sie müssen es machen wie Helene Schmidt,« meinte Wilhelm zu ihr, »Sie können Ihr Hebraicum gewiss auch nach einem Semester schon mit sehr gut machen.«

Auf dem Weg zu Ernst fragte ich ihn:

»Ist das nicht ein reizendes Mädel?« Und begann gleich, all ihre Tugenden aufzuzählen, die mir aufgefallen waren. Wie gut wäre es, wenn er auch endlich ein liebendes Herz fände, damit seine Seele Ruhe finden könnte.

Wilhelm brachte uns noch zum Bahnhof und rief uns nach:

»Glück auf den Weg!«

Zu Ernst meinte ich im Zug:

»Du, mir schwant was. Hast du Wilhelms Reaktion auf sie gehen? Sie bleibt wohl auch nicht lange hier.«

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