Kitabı oku: «In der zweiten Reihe», sayfa 4

Yazı tipi:

Ich hatte mich auf die gemeinsame Zeit gefreut und musste tief durchatmen. Diesem reiselustigen Mann, dem seine Begeisterung für das nächste Abenteuer anzusehen war, konnte ich diese Möglichkeit nicht abschlagen. Er fragte mich zwar wie damals vor der Dänemarkreise nach meiner Meinung, aber die Frage erschien mir eher rhetorischer Art. Er fuhr natürlich lieber mit meinem Segen als gegen meinen Willen. Welche Möglichkeiten hatte ich denn? Wollte ich seinem Glück im Wege stehen? Wäre ich kleinlich, wenn ich ihn für mich haben wollte? Schon in der nächsten Woche hatte er seinen Koffer gepackt und war wieder weg, und ich wartete brav auf seine Wiederkehr.

Vor seiner Abreise hatte er mich gebeten, ein schönes Foto von mir machen zu lassen. Ich hatte ein neues Kleid in gerader Linie und ohne Gürtel bekommen. Die Taille war ganz modern bis auf die Hüfte gerutscht. Es war dunkelblau und hatte einen V-Ausschnitt mit Revers aus Satin. Natürlich zog ich es für das Foto an und war selbst zufrieden mit dem Ergebnis. Vielleicht guckte ich ein bisschen zu ernst. Wilhelm hatte mir gesagt, dass er eines davon seiner Mutter als Neujahrsgruß schicken wollte. Vielleicht war es deshalb besser, nicht zu heiter zu gucken? Ich kannte sie schließlich nur als eine sehr ernsthafte Frau. Anderseits schaute ich auch so, weil der Fotograf ein großes Theater um mich machte. So etwas verunsicherte mich eher. Wilhelm freute sich jedenfalls sehr darüber.

An dem Nachmittag seiner Abreise hatte ich frei bekommen und begleitete ihn zum Bahnhof. Es war für mich eine traurige, aber auch feierliche Stunde, die wir noch miteinander hatten. Zum Glück war ich nie zimperlich. Wann immer er gehen musste, war ich stark. Keine Träne rollte mir aus den Augen. Diesmal war es eine lange Zeit der Trennung. Es war Anfang Dezember und vor Mai sollte er nicht wiederkommen, die Reise wäre einfach zu teuer geworden. Eineinhalb Millionen Mark für eine Strecke, das war für ihn und auch für mich nicht möglich.

Mal wieder war es gut, dass ich so gerne Briefe schrieb. Noch viel besser war, dass die Währungsreform endlich diese furchtbare Inflation gestoppt hatte. Zuletzt musste ich mir gut überlegen, ob ich Wilhelm überhaupt noch einen Brief schreiben konnte. Ein Jahr vorher, im Oktober 1922 kostete das Porto von Paderborn nach Tübingen immerhin schon sechs Mark. Dann stieg es allmählich immer höher. Anfang November dieses Jahres sogar binnen einer Woche von 100 Millionen auf eine Milliarde, für einen einzigen Brief. Dann kam der Schnitt. Heute kostete das Briefporto nur noch zehn Pfennige.

Dadurch schrieb ich noch viel lieber. Ich erzählte ihm von meiner Arbeit, von Vater und Martha, von den Veränderungen nach der Inflation und dem Wetter. Auch er meldete sich in Briefen häufig und ausführlich. Manchmal kam eine kleine Postkarte zwischendurch, wie neulich. Auf der Rückseite stand einfach nur: »Kann i auch nicht immer bei dir sein, hab i doch mei Freud an dir.« So war er.

Immer wieder schrieb er auch über unsere Liebe. Er konnte so kunstvolle Worte schreiben, sie waren oft viel schöner als die gesprochenen. Allerdings hatten sie manchmal eine Klarheit, dass ich beim Lesen nach Luft schnappte. Es waren viele ernste Worte und ich merkte, wie viele Gedanken er sich um uns und sich in Bezug auf mich machte. Ein wenig jagten sie mir Angst ein. Mein Leben kam mir neben dem seinen dann so klein vor. Anderseits war ich mit meinem Leben, mit den Menschen um mich herum und unserm Zusammensein, dem Lachen und Singen beim Stopfen und meiner Büroarbeit meistens ganz zufrieden. Überhaupt fand ich Zufriedenheit eine gute Sache. Das Gute zu finden ist ein hilfreicher Weg zur Zufriedenheit. Wilhelm dagegen war oft getrieben, ein Suchender. Könnte das der Sinn meines Lebens sein? Ihm Halt zu geben? Damit wäre klar, dass ich ein ganz klassisches Frauenleben führen würde, das einer Pfarrfrau. Das heißt bekanntermaßen überwiegend Dienen.

»Wir sind zwei sehr verschiedene Menschen, wenn wir auch im Innersten unseres Lebens den Glauben an die Gnade gemeinsam haben. Doch in unserm Wesen sind wir völlig unterschiedlich. Unser beider Leben wird von zwei Polen aus bestimmt, vom leidenschaftlichen Ich und dem Du sollst der Pflicht. Bei mir wird das Erste vom Zweiten in Schranken gehalten. Bei Dir sollte das Du sollst ein wenig mehr von der wallenden Leidenschaft bewegt werden. Bei mir überwiegt das Impulsive, der starke Trieb, die Wucht des Ich. Bei Dir die stille alltägliche Art, das selbstverständliche Tun, die Nüchternheit. Damit ist uns die Hauptaufgabe für unser gemeinsames Leben gegeben. Du schreibst nie: ,Wie ich so lieb, so lieb Dich hab.‘ Statt dessen: ,Ich bin nicht verliebt in Dich.‘ Kalt, ohne Teilnahme erzählst Du, was Du so erlebt hast, kein Wort von der Freude auf das Wiedersehen, keine Spur von Sehnsucht, so scheint es. Aber ich müsste Dich schlecht kennen, wenn ich Dich danach beurteilen wollte. Ich mit meiner brennenden Leidenschaft, die ich im täglichen Kampfe bremsen muss, mein starkes Verlangen zur Zweiheit.

Ob Ernst deshalb von Dir ging? Ich bleibe bei Dir, liebe Helene. Ein Narr wäre ich und ein Verbrecher, wollte ich Dich von mir schicken. Gott hat uns einander als Aufgabe gegeben. Liebe haben wir beide viel. Ich habe die vom Sturm gepeitschten Wellen, Du hast die tiefe, ruhige See. Uns beiden fehlt etwas, mir die Tiefe, Dir die Leidenschaft. Was ist schwerer zu erwerben? Die völlige Verbindung wird Dir rasch geben, was Dir fehlt. Mein Erwerben muss lange, heiße Arbeit an mir sein.«

Zum Glück waren nicht alle Briefe so. Ich glaube, das hätte mich überfordert. Lieber erfuhr ich, was er machte und worüber er sich freuen konnte. Ab und zu fand ich in einem Brief tatsächlich ein bisschen Humor. Diese waren mir am liebsten, denn so erfuhr ich, dass es ihm gut ging. Humor machte das Leben eindeutig leichter. So berichtete er einmal von einer Zugfahrt nach Wien. Ihm gegenüber saß ein Paar. Er hatte ein wenig im Halbschlaf vor sich hin gedöst und wurde auf ein leises Tuscheln aufmerksam. Durch die Augenlider blinzelnd beobachtete er, wie das Paar seine Beine in den Kniebundhosen betrachtete. Auf eine Zeitung notierte der Mann etwas und schob sie hinüber zu seiner Frau, die daraufhin leise lachte. Nach einer Weile erwachte er demonstrativ, schaute ein wenig aus dem Fenster und tat gelangweilt. Schließlich fragte er sehr freundlich, als hätte er gerade den Einfall gehabt:

»Darf ich mir Ihre Zeitung einmal ausleihen?«

Da konnten sie natürlich nicht nein sagen. Gründlich arbeitete er sich Seite für Seite hindurch und fand schließlich die geschriebene Notiz: »Hat der Mensch Waden!«

1924

Zweiter Versuch

Es wurde Frühling. Von Wien aus fuhr Wilhelm direkt nach Soest ins Predigerseminar. Das war zum Glück nicht weit entfernt von Paderborn, allerdings wurde er dort sehr stark eingespannt. Sonntags konnte er erst am Mittag zu mir kommen und musste Montag in der Frühe schon wieder zurück. Aber immerhin, wir sahen uns fast jeden Sonntag, was für ein Unterschied zu Dänemark und Wien.

Wir beschlossen mit dem Kauf unserer Ringe, unsere Verlobung bekannt zu geben. Die Verwandtschaft wartete schon darauf und kam auf unsere Einladung gerne zusammen. Den 25. Mai 1924 hatten wir als Verlobungstag festgelegt. Vor lauter Vorbereitungen fanden wir erst am späten Abend endlich einen Moment der Stille. Wir legten unsere Hände ineinander und steckten uns die Ringe an.

Am nächsten Tag feierten wir mit der Verwandtschaft. Natürlich hatte ich dafür eine Menge zu tun. Wilhelm beschwerte sich, dass er an diesem Wochenende so wenig von mir hatte. Aber der Kuchen musste ja gebacken, der Tisch gedeckt und der Kaffee gekocht werden. Johanna, unsere langjährige gute Seele, half mir dabei und Martha auch. Vater und Erich rückten die Möbel. Tante Elschen, Mutters Schwester, Onkel Hugo und Tante Jutta kamen aus Rheda und Onkel Robert und Tante Gerda aus Bethel. Von Wilhelms Seite kam seine ganze Familie, seine Eltern Fritz und Bertha, sein Bruder Alfred mit seiner neuen Braut Anne und seinem kleinen Töchterchen Rita aus erster Ehe, Wilhelms Patenkind. Martha, seine erste Frau starb kurz nach ihrer Geburt. Friedrich mit seiner Braut Emmy, Roland und Heinrich und die Schwestern Erna und Lore. Es wurde ein fröhliches Fest mit einem großen Gedränge in unserm Wohnzimmer.

Wir mussten allerdings noch eine ganze Weile warten, bis wir endlich heiraten konnten. Denn wir hatten fast nichts. Vater wollte uns einen Anschub geben und kaufte uns ein Schlafzimmer und ein Esszimmer mit Schreibtisch. Das war schon mal ein gutes Stück unseres künftigen Zuhauses.

Jetzt gehörte ich mit zur Familie Simon. Meine Schwiegermutter feierte im September ihren 50. Geburtstag und ich fuhr ganz selbstverständlich mit nach Barmen. Wilhelm kam am Abend vorher nach Paderborn, um mich abzuholen. Wir hatten am Abend ein gemütliches und sehr sinnliches Stündchen miteinander. Wieder musste ich als die tiefe, ruhige See, wie er mich genannt hatte, alleine die Verantwortung tragen und ihm als vom Sturm gepeitschter Welle die Grenze aufzeigen. Er war solch ein leidenschaftlicher Mann, dass es mir schwerfiel. Es gefiel ihm nicht, aber anders ging es nicht. Hier wurde ich sehr klar, denn unsere Hochzeit war noch nicht in Sicht. Als er sich wieder besinnen konnte, dankte er mir dafür.

»Danke, dass du mich warten lässt. Auch darin liegt ein Segen. Denn sich sehnen bringt Leben, ist Leben. Haben ohne Sehnsucht ist Tod.«

Meist kam Wilhelm zu uns nach Paderborn, doch ich habe ihn auch einmal im Predigerseminar besuchen dürfen. Es war in einem alten Kloster und natürlich durfte ich nur tagsüber in sein Zimmer. Er hatte sich große Mühe gegeben und es extra für mich zurechtgemacht. Alle Spuren der Arbeit beseitigte er, soweit es ging. Einen neuen Lampenschirm hatte er angeschafft und saubere Decken besorgt. Damit wollte er es mir gemütlich machen.

»Verlobt oder verheiratet zu sein ist eine Aufgabe und nicht allein ein gedankenloses Genießen«, fand er.

Im Gegensatz zu mir hatte er sich wieder viele Gedanken um uns gemacht.

»Es ist Geben, Helfen und Dienen, nicht Nehmen, Befehlen und Haben. Da gibt es noch viel zu lernen. Einer passt sich den Besonderheiten des anderen an. Um es einmal modern auszudrücken: Wir erziehen einander. Das sehen und sich gefallen zu lassen, das ist Glück.«

Meist schwieg ich zu solchen Aussagen, sie kamen mir so theoretisch vor. Ich hatte das Gefühl, es gefiel ihm selbst, sich zuzuhören. Doch wenn diese Theorien drohten, mich zu sehr einzuengen, legte ich klar und eindeutig mein Veto ein. Das gefiel ihm längst nicht immer, entsprach es doch nicht seiner romantischen Sicht. Vielleicht könnten wir einander einfach lieben und sich alles entwickeln lassen? Es sollte sich doch gewiss das Meiste fügen, hoffte ich.

1925

Kopf über Wasser

Oft sahen wir uns in der kommenden Zeit nicht. Ich ging täglich ins Büro, während sein zweites Staatsexamen vor der Tür stand. Zu Beginn des Jahres hatte er vor allem damit zu tun. Ich bedauerte es, dass wir uns noch nicht einmal Weihnachten sehen konnten. Da wollte er nach Barmen zu seiner Familie.

Manchmal stritten wir tatsächlich darum, wer was von dem anderen erwartete. Beide waren wir zu selbständigem Leben erzogen und sollten nun mit einem Mal darauf verzichten. Es war natürlich unsere Entscheidung, den Lebensweg zusammen gehen zu wollen. Doch zunehmend merkte ich, dass Wilhelm seine eigenen Wege ging und ich entscheiden konnte, ob ich mitkam oder nicht. War so die Ehe? Stets Kompromisse eingehen zu müssen? An meinem verwitweten Vater hatte ich kein rechtes Vorbild, an dem ich mich orientieren konnte. Eine zweite geplatzte Verlobung konnte ich mir nicht leisten. Davor hatte ich, wenn ich genauer darüber nachdachte, mehr Angst als vor allem anderen. Manchmal hatte ich das Gefühl, alleine sehen zu müssen, wie ich neben Wilhelm meinen Kopf über Wasser halten konnte. Eines stand fest: Zumindest würden wir nicht aus allen Wolken fallen, wenn wir erst verheiratet waren. Ich wollte versuchen, das Gute in allem zu sehen und blickte eher pragmatisch auf diese vor uns liegende Zeit.

Ich bekam wohl einfach nur kalte Füße. Das käme oft vor, meinte Johanna.

Wilhelm teilte mir seine klare Vorstellung am liebsten in einem Brief mit. Denn dann konnte er seinen Gedanken freien Lauf lassen, ohne meine Reaktion sehen zu müssen. Meine fehlende freudige Zustimmung stand mir manches Mal ins Gesicht geschrieben. Ob ich das alles so leben konnte?

»Die Ehe ist eine geistig-seelische Gemeinschaft zweier Menschen, im Gleichgewicht mit den natürlichen Banden zwischen Mann und Weib. Für solch eine Ehe ist es nicht gut, wenn die geistigen Probleme immer wieder erstickt werden im Sinnlichen. Sie kommen dann wieder und sprengen die Ehe, sobald der Reiz des Sinnlichen der Gewohnheit des Alltags Platz macht.«

Natürlich würden wir keine normale Ehe führen, das war auch mir klar. Sondern eine, die auch unter dem starken Einfluss der Öffentlichkeit stand. Wilhelm wurde schließlich Pfarrer und ich damit eine Pfarrfrau. Ein Pfarrer war ein Hirte und alle anderen die Schafe. Vielleicht könnte ich in Zukunft wenigstens eine ergänzende Hirtin sein?

Während wir dabei waren, die Grundlagen für unser Miteinander neben der Liebe auszudiskutieren, veränderte sich mein Vater. Er wurde ganz weich und offen, seine Augen strahlten und ich kam erst allmählich dahinter, was mit ihm los war. Er war verliebt. Auf seine alten Tage hatte er einer jungen Frau, die dreißig Jahre jünger und damit nur zwei Jahre älter war als ich, sein Herz geschenkt. Zunächst war ich etwas erschrocken. So ein alter Mann und so eine junge Frau. Solche Verbindungen gab es jedoch öfter. Mich überzeugte, wie glücklich beide zusammen waren. Luise Hösen hieß sie, war katholisch und stammte aus dem Elsass. Es dauerte nicht lange und die beiden heirateten. So bekam ich eine Stiefmutter, die mir zur Freundin wurde, denn wir mochten uns auf Anhieb. Immerhin konnte ich auf diese Weise meinen Vater, der ja inzwischen auch schon achtundfünfzig Jahre alt war, in ihren Händen gut versorgt wissen. Denn ich würde demnächst das Haus verlassen.

Eine neuer Funken

Kurz vor seinen Prüfungen Ende März kam Wilhelm plötzlich unerwartet zu einem kurzen Besuch. Wieder hatte er eine neue Idee. Während wir auf der Promenade entlang eines Militärkonzertes spazieren gingen, berichtete er mir gegen die laute Musik an von seinem Plan. Die Volkshochschule Lindenhof in Bethel plante die Gründung einer zweiten Volkshochschule in Westfalen. In Lienen bei Tecklenburg hatte man einen geeigneten Hof dafür gefunden und gekauft. Nun wurde nach einem Leiter dieser neuen Einrichtung gesucht und jemand hatte seinen Namen ins Gespräch gebracht. Er war begeistert von dieser Chance, die er gerne ergreifen wollte, wenn er es selbst auch kühn fand, mit erst 26 Jahren schon zu den Sternen zu greifen.

Zunächst war ich etwas befremdet. Wollte er denn nicht Pastor werden? Doch je begeisterter er mir davon erzählte, desto mehr konnte ich mich dafür erwärmen. Die Zusammenarbeit mit jungen Menschen reizte mich bald. In mir still begann eine winzige Hoffnung zu keimen. Ob ich vielleicht auch dort arbeiten könnte, anstatt eine Pfarrfrau zu werden? Vielleicht unterrichten? Das wäre besonders reizvoll für mich. Ich sagte dazu noch nichts, diese Hoffnung wollte ich in mir erst noch weiter betrachten, bevor ich mich davon verabschieden musste.

Als wir nach Hause kamen und Vater davon erzählten, sagte dieser gleich:

»Fahr hin und stell dich vor.«

Das tat er. In der Folge kam nach wenigen Tagen ein Telegramm.

»Erbitte Volkshochschule Mittwoch Donnerstag besuchen - Bibelbesprechung halten - Braut mitbringen.«

Braut mitbringen? Ich bekam einen großen Schrecken. So konkret wurde es plötzlich? Warum sollte ich dabei sein?

»Ob ich wohl kochen muss?«

Kochen war gar nicht meine Stärke. Wenn sie meine Haushaltsfähigkeiten überprüfen wollten, bekam er die Stelle nie.

Mein Vorgesetzter, der gerne zur Flasche griff, gab mir für diese Reise zum Glück frei. Schon manches Mal war er mir ein wenig zu nahe gekommen, was mir schrecklich unangenehm war. Wieder schien er nicht ganz nüchtern zu sein, als Wilhelm mich abholte, wie so oft. Frei heraus sagte er:

»Sie können mir glauben, Herr Simon, Ihre Braut liegt mir mehr am Herzen als Ihnen.«

»Nanu?« erwiderte Wilhelm.

»Sie ist wirklich ein liebes Mädel.«

»Da gebe ich Ihnen Recht.«

Ich zog an Wilhelms Ärmel, es wurde höchste Zeit, dass ich aus diesem Büro endlich heraus kam.

Am nächsten Tag besichtigten wir die Volkshochschule Lindenhof in Bethel. Zunächst hospitierten wir bei einer Deutschstunde der jungen Frauen, sie besprachen die Gretchen-Tragödie des Faust. Das war genau das Richtige für mich, Nahrung für meinen Verstand. Begeistert hörte ich zu. Am Nachmittag hielt Wilhelm für die jungen Männer eine Religionsstunde. Am Abend trafen wir die gesamte Lindenhof-Gemeinde. Dazu gehörten die Schülerinnen und Schüler, die Lehrer, die Familie des Leiters und das Haushaltspersonal aus Wäscherei und Küche.

Ich glaubte, dass wir ein recht gutes Bild von uns gezeigt hatten, obwohl wir beide noch sehr jung waren.

Bald war es tatsächlich so weit. Wilhelm bekam die Stelle als Leiter der Außenstelle des Lindenhofes in Lienen. Ich freute mich für ihn und für mich. Gerechnet hatte ich im Heeresunterkunftsamt täglich, Rechnen lag mir schon immer. Da kein Lehrer zur Verfügung stand, wurde ich tatsächlich damit beauftragt. Ich freute mich sehr, der kleine Keim in mir wuchs. Allerdings gab es dazu gleich eine Einschränkung.

Bei der Ehefrau des Leiters des Lindenhofes hatte ich den Eindruck hinterlassen, dass ich noch sehr »im Gebiet des Intellektuellen leben« würde. So wurde sie zitiert. Ich hätte anscheinend noch »zu wenig Fühlung mit dem alltäglich Fraulichen gehabt«. Wilhelm hatte dem entgegengesetzt, dass ich einen humanistischen Bildungsweg durchlaufen hatte und in den entscheidenden Jahren die Mutter entbehren musste. Dennoch würde ich gewiss Freude am Beruf der Hausfrau haben. Ich fürchtete, dass er sich darin irrte, schwieg aber dazu. Er versuchte, sich für mich einzusetzen, und empfahl, sich im Pfarrhaus in Wehrendorf über mich erkundigen. Dort hatte ich ja alles gelernt, was es für den Haushalt zu lernen gab.

Mit dem Lindenhofleiter kam er überein, dass ich noch ein paar Monate dort in die Aufgabe als junge Hausmutter eingearbeitet werden sollte. Ich stimmte zufrieden zu, da meine Zukunft rosig vor mir lag.

Endlich konnte ich meine Bürostelle kündigen. Endlich bekam ich einen Beruf, der mir Freude machte und wobei ich meinen Verstand einsetzen konnte. Noch dazu gemeinsam mit Wilhelm. Heiter und beschwingt packte ich meinen Koffer für den Lindenhof. Natürlich konnte ich mich auch in die Rolle der Hausfrau hinein versetzen, es war nur nicht meine Leidenschaft. Aber nicht Pfarrfrau zu sein, sondern Hausmutter für viele junge Menschen, und auch noch Lehrerin, das gefiel mir. Dafür nahm ich die Schürze in Kauf.

Wilhelm hatte schon im Mai in Lienen seine Stelle angetreten, um die Umbauarbeiten zu überwachen und Kontakte zu knüpfen. Über den Himmelfahrtstag besuchte er mich im Lindenhof und über Pfingsten trafen wir uns in Paderborn. Endlich einmal wieder Zeit für uns alleine, in der wir planen und uns freuen konnten.

Wir ließen ein erstes Foto von uns beiden machen. Darauf sitzt Wilhelm vor mir und ich schaue mit glücklichem, ganz weichem Blick auf ihn herab. Mein Bräutigam blickt mit verklärten Augen in unsere allmählich näher rückende, gemeinsame Zukunft. Meine Hand mit dem Verlobungsring hängt deutlich sichtbar über seiner Schulter. Das wollte der Fotograf unbedingt so, ich fand es etwas übertrieben.

Ich war sicher, diesen Mann zu lieben. Ich war jetzt hoffnungsvoll, dass es eine gute Ehe mit ihm werden würde, denn auch er liebte mich eindeutig. Wir führten kluge Gespräche und malten uns unsere gemeinsame Zeit in der Volkshochschule aus. Dieser neue Lebensentwurf machte mir Mut. Jetzt ging es nicht mehr um Wilhelms Theorien zur Ehe, sondern wir würden zusammen arbeiten können. Zwar hatte ich kein abgeschlossenes Studium, aber diese Verbindung war Teil unserer gemeinsamen Basis. Alles Weitere würde sich fügen.

Ich war vierundzwanzig Jahre alt und glücklich.

Schürze mit Zukunft

Im Lindenhof lernte ich viel über die Bedeutung der Frau für den Geist eines Hauses, wie es hieß. Wilhelm fuhr noch einmal auf Reisen. Er wollte sich ganze zehn Wochen lang in Dänemark die dortigen Volkshochschulen anzusehen. Sie waren Vorbild für die unseren in Deutschland. Er erhoffte sich von der langen Reise viele gute Anregungen und Erfahrungen für den Lehrplan, Handwerkszeug, Ideen und Regeln, die sich schon bewährt hatten.

Wie gerne wäre ich mitgefahren. Davon hätte ich gewiss mehr profitiert als von dieser erneuten Haushaltszeit. Doch das stand überhaupt nicht zur Debatte. Zehn Wochen, das war fast ein Vierteljahr. Auch Pastor Severinsen wollte er wieder besuchen. Als er endlich zurückkam, war zum Glück von Mor keine Rede mehr. Ich war in der langen Zeit ein bisschen unsicher geworden, hatte mir allerdings fest vorgenommen, ihm zu vertrauen. Was auch sonst? Schließlich wollte er mich zu seiner Ehefrau machen und nicht sie.

Nun dauerte es nicht mehr lange und es wurde September. Wir konnten endlich heiraten.

Kartoffeln und ein fehlender Finger

Mein zukünftiger Ehemann feierte kurz vor der Hochzeit seinen sechsundzwanzigsten Geburtstag. Er war ein sehr attraktiver Mann mit einem weichen Gesicht, dichtem zurückgekämmtem Haar und einem kleinen Oberlippenbärtchen über seinem sinnlichen Mund. Seine Augen funkelten lebhaft und sahen hell und klar in die Welt.

Seine Kriegserlebnisse als junger Soldat an der Front in Frankreich schienen fast spurlos an ihm vorbei gegangen zu sein. Bis auf seine Handverletzung, die war natürlich stets sichtbar. Er erzählte lange nichts aus dieser Zeit. Lieber berichtete er von der lustigen Kartoffelgeschichte. Ich war froh, dass er überhaupt Lustiges zu erzählen hatte. Vielleicht konnten die Anekdoten diese schwere Zeit in den Schützengräben etwas leichter klingen lassen?

Ein Kamerad hatte eines Tages vor Hunger Kartoffeln von einem Feld neben der Division geklaut, war vom Bauern erwischt worden und musste sie abgeben. Mehr passierte ihm zum Glück nicht. Das hätte auch anders ausgehen können. Wilhelm selber durfte sich häufig in der Küche des Bauernhofes aufwärmen und auch zum Lesen dort aufhalten, weil die Bäuerin ihm zugetan war. Er erinnere sie ein wenig an ihren eigenen Sohn, der auch ein Bücherfreund war. Vielleicht würde auch ihm jemand eine warme Stube geben, hatte sie erklärt. An diesem Abend fragte sie ihn, ob sie ihm ein paar Pommes frites machen sollte. Sie habe nämlich von den Amerikanern gerade gutes Fett bekommen. Pommes frites kannte er bis dahin nicht, aber sie schmeckten ihm außerordentlich gut. Die Portion war allerdings für seinen Magen so ungewohnt riesig, dass er es nicht schaffte, alles aufzuessen. Ob er noch einen Kameraden holen dürfte? Aber gerne. Wilhelm holte seinen Freund, es war eben jener, dem die Kartoffeln vorher abgenommen wurden. Er hatte sich inzwischen gründlich gewaschen und sogar rasiert. Dennoch war er nervös und hatte große Sorge, wiedererkannt zu werden. Jedoch blieb der Bauer auf dem Feld. So entstand unerwartet eine völkerverbindende Mahlzeit, wie ihnen plötzlich bewusst wurde: Kartoffeln von einer freundlichen Französin, ausgebacken in amerikanischem Fett und zwei deutsche Kameraden mit vollem Magen.

Wilhelm erlebte natürlich auch viel Elend, mich erschreckten seine seltenen Erzählungen. Am liebsten wollte ich ihnen nicht zu viel Bedeutung zumessen. Meine Art war grundsätzlich ein offener Blick in die Zukunft, wenn möglich sogar ein humorvoller. Doch das kam bei Wilhelm nicht immer gut an. Er schmunzelte höchstens leicht, Missbilligung zeigte er zunächst durch ein winziges Hochziehen seiner Augenbrauen. Ich kannte das schon. Vielleicht war der heitere Blick meine Aufgabe an seiner Seite?

Er war in Frankreich in einem Schützengraben verschüttet gewesen und bekam später eine Verwundung am Bein, die er bei Berlin auskurierte. Wieder zurück in Frankreich wurde ihm bei der Gefangennahme durch die Engländer sein rechter Zeigefinger abgeschossen. Eine große Wunde klaffte bis hinunter zum Daumen. In der englischen Gefangenschaft in Dorchester hatte Wilhelm nicht zu leiden. Die Wunde wurde versorgt, er wurde gut behandelt, bekam genug zu essen und die Hand konnte in Ruhe heilen. Einen Freund für das Leben fand er dort auch, Walter Serkott, mit dem er später zusammen studierte.

Im November 1918 kam er wieder nach Hause. Die Entscheidung, evangelische Theologie zu studieren für den Fall, dass er den Krieg überleben sollte, war nun klar. Schon als Schüler hatte er darüber nachgedacht.

»Der Herr hat während des Krieges so oft seine schützende Hand über mich gehalten«, sagte er.

Als ich die vernarbte Hand zum ersten Mal sah, war ich erschrocken. Ich wollte natürlich wissen, was mit ihr passiert war, mochte aber nicht gleich fragen oder sie gar anstarren. Wilhelm merkte damals mein Interesse, erzählte mir jedoch erst später, dass ihm der Finger in Frankreich abgeschossen worden war. Als ich sah, wie viele junge im Krieg verwundete Männer ohne Arme oder Beine oder mit verbrannten Gliedmaßen und Gesichtern auf den Straßen zu sehen waren, hatte er mit nur einem verlorenen Finger großes Glück gehabt.

Wenn wir uns an der Hand hielten, fühlte sie sich für mich zunächst fremd an. Der Handteller war schmaler, die Proportionen waren anders als normal. Ich musste mich daran gewöhnen. Doch ich war beeindruckt, mit welcher Energie und Geduld er das Schreiben und sogar das Gitarrenspiel wieder gelernt hat und wie gut er den fehlenden Finger ausgleichen konnte.

Wilhelm war nur selten fröhlich und leichten Sinnes. Er hatte einen eher vernünftigen Humor, der nicht immer zu meinem passte. Meist war er ernst und machte sich viele Gedanken um Gott und die Welt. Ihm war schon immer eine klare Haltung wichtig, zum einen sie zu haben und auch dazu zu stehen, komme was wolle. Er hat sich und uns im Leben damit nicht nur Zustimmung einhandelt, er brachte damit oft Zündstoff in seine Beziehungen und gefährdete später damit sogar unsere ganze Familie.

Am 6. August 1898 wurde er in Wuppertal-Barmen in eine freie evangelische Gemeinde hinein geboren und wuchs in diesem Geiste auf. Mit der Überlegung, vielleicht anschließend evangelische Theologie zu studieren, ließ er sich taufen, bevor er 1917 nach Frankreich in den Krieg zog.

Schon als Kind musste Wilhelm zuhause mitarbeiten, indem er bereits morgens vor der Schule Wäschepakete austrug. Seit die Firma seines Vaters Fritz bankrott ging, ernährte vor allem seine Mutter Bertha die große Familie. Sie baute zuhause eine Wäscherei auf (Waschen, Stärken, Bügeln) und spannte alle sieben Geschwister mit ein. Bertha hatte stets alles im Griff und packte die Dinge, die getan werden mussten, beherzt und patent an.

Da ich nie eine leidenschaftliche Hausfrau war, hatte ich es mit meiner Schwiegermutter oft nicht leicht. Ich versuchte, gelassen zu bleiben, wenn sie zu Besuch kam, aber vor allem in den ersten Jahren musste ich schlucken, wenn sie mir mein Unvermögen zwar durch die Blume, aber doch deutlich zeigte.

Wilhelms älterer Bruder Alfred ist zwei Jahre älter, ihm folgten Erna, Friedrich, Roland, Lore und Herbert. Bertha bekam sieben Kinder in acht Jahren. Das allein war neben ihrer Berufstätigkeit schon eine echte Lebensleistung und hatte immer meine Hochachtung.

»Helene und ich«

Wilhelm war sehr in mich verliebt. Einmal noch packte er sein Gedichtbüchlein aus und schrieb einen letzten Text:

Am 25. September 1925

Morgen haben wir Hochzeit.

Helene und ich.

Gott hat nun unsere Wege gewusst.

Er hat uns nicht unsere Wege laufen lassen.

Seit ich Helene habe, habe ich keine Gedichte mehr geschrieben.

Seit ich lebe, träume ich nicht mehr.

Morgen feiern wir Hochzeit!

Helene und ich!

Vormittags hatten wir den Termin in Paderborn beim Standesamt. Ich ging als Fräulein Helene Schmidt hinein und kam als Frau Helene Simon wieder heraus. Das war der erste Schritt. Am frühen Nachmittag wurden wir kirchlich getraut. Wir hatten so wenig Geld, dass mein Hochzeitskleid entsprechend ausfiel. Meine hellen Spangenschuhe wurden noch einmal auf Hochglanz poliert, das dunkelblaue Kleid mit der tiefen Taille und dem Satinkragen neu aufgebügelt. Tante Liesel, Vaters zweite Frau, die er erst vor kurzem geheiratet hatte, lieh mir ihre weißen Strümpfe und auch ihren Schleier, den ich mir mit ein paar Sonnenhutblüten im Haar feststeckte. Septemberzeit ist Sonnenblumenzeit, also trug ich einen Brautstrauß aus fünf Stielen, zusammengebunden mit Efeu.

Wie glücklich war ich an diesem Tag. Mein Leben mit diesem Mann lag wie ein offenes Buch vor mir, ich freute mich darauf.

Vater hatte uns zwei Kutschen von der Standortverwaltung gemietet, mit der wir zur Abdinghofkirche fuhren. Wilhelm, den eine Sonnenhutblüte am Knopfloch als den Bräutigam auswies, saß mit Martha im ersten Wagen. Sie war damals fünfzehn Jahre alt und konnte kaum still sitzen vor Aufregung, dass gerade sie mit ihrem neuen Schwager vorausfahren durfte. Sie hatte so lange gebettelt, bis ich auch ihr eine Blüte ins Haar gesteckt hatte.

»Du siehst schön aus«, hatte sie gesagt. Sie war so beeindruckt, dass sie entgegen ihrer Natur immer stiller wurde.

»Ob ich auch einmal heiraten werde?«

»Bestimmt«, beruhigte ich sie. »Warte nur ab.«

₺484,94

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Hacim:
364 s. 8 illüstrasyon
ISBN:
9783754137383
Yayıncı:
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre