Kitabı oku: «Die Welt, die meine war», sayfa 10

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1981
18.

Manchmal, wenn Movitz auf seinen Knien liegt, mit scheußlichen Bissen nach nächtlichen Kämpfen mit anderen Katern und doch so friedlich, denkt er, dass sich vielleicht alle wilden Tiere danach sehnen, zahm zu werden. Er dachte an die Enten, die angelaufen kamen, wenn er sie im Frognerpark mit Brot fütterte. Wollten sie eigentlich mit ihm nach Hause kommen? Neben ihm auf dem Sofa liegen und sich streicheln lassen, ein bisschen quaken und dann sicher und geborgen schlafen in einem warmen Zimmer, nachts?

Diese Vorstellung konnte ihn in ihrem existenziellen Ernst überwältigen. Er lag oft im Halbschlaf da und dachte an Tiere. Wie einsam sie sein mussten, draußen in der Wildnis, im ewigen Kampf, um zu überleben und sich fortzupflanzen. Wie groß war die Freude für eine Möwe, wenn sie über den Fjord flog? Oder dachte sie nur daran, dass sie Nahrung finden musste?

Und was war mit den zahmen Tieren? Sehnten die sich danach, wieder wild zu werden? Nach der Freiheit in der Unabhängigkeit? Der Möglichkeit, Entscheidungen zu treffen, die in den Abgrund führten?

Die USA ersuchen Norwegen um die Erlaubnis, auf norwegischem Boden Atomwaffen zu stationieren. Die amtierende Regierung, ja, die große Mehrheit im Parlament, ist einverstanden. Elf Abgeordnete aber sehen das anders.

Was aber nichts hilft.

Die Mehrheit, die das Spektrum von den Sozialdemokraten bis zu den Konservativen abdeckt, sieht keine Probleme darin, dass unsere nächsten NATO-Verbündeten ein an die Sowjetunion grenzendes Land als Depot nutzen, das im Falle eines Krieges von Nutzen sein kann. Die Angst vor der Aggression des Nachbarlandes wächst. An Evensens Vision einer atomwaffenfreien Zone im Norden zu glauben kann uns teuer zu stehen kommen.

»Wir sind wieder bei 1960 angelangt«, sagt Vater. »Damals, beim U-2-Skandal, erfuhr nicht einmal der norwegische Ministerpräsident, was die Amerikaner mit dem Flugplatz in Bodø vorhatten. Und was wissen wir jetzt darüber, welche grauenhaften Zerstörungswaffen da oben im Norden bei nichtsahnenden Bauern und Fischern platziert werden sollen?«

»Oder in Kolsåstoppen«, sage ich.

Es ist der Tag vor Ronald Reagans Amtseinführung als Präsident der Vereinigten Staaten. Ungefähr gleichzeitig werden endlich die amerikanischen Geiseln im Iran freigelassen, nach heftigen diplomatischen Aktivitäten, durch die einige der Milliarden des Schahs, über die die USA verfügen, dem neuen islamischen Regime im Iran zufallen sollen. Die USA versprechen, sich nicht in interne iranische Angelegenheiten einzumischen. Die Geiselaffäre ist für die Amerikaner inzwischen fast von existenzieller Bedeutung. Sie haben an Häusern und Bäumen gelbe Bänder aufgehängt, um ihre Solidarität mit ihren Landsleuten zu bekunden.

Ministerpräsident Odvar Nordli erzählt der norwegischen Bevölkerung, dass seine Gesundheit nachlässt. Er kann die große Verantwortung nicht länger tragen. Es ist offenbar etwas mit seinen Augen. Wenn ich ihn im Fernsehen sehe, denke ich oft an einen treuen Hund. Einen, der niemals aufgeben würde. Ich weiß nicht, wie lange die Sozialdemokraten in aller Heimlichkeit daran gearbeitet haben, eine neue Ministerpräsidentin einzusetzen, die junge Ärztin Gro Harlem Brundtland, die bisher nur Umweltministerin war. Einer der Drahtzieher, Ingjald Ørbeck Sørheim, wird mir diese Geschichte später erzählen. Alles kam so ganz anders, als er erwartet hatte. Aber jetzt, zu Beginn der achtziger Jahre, ist die Begeisterung der Bygdøy-Clique noch groß. Ich wüsste gern, wie viel Kjell Bækkelund mit allem zu tun hat. Und der Möbelhändler aus Jessheim.

Gro Harlem Brundtland.

Unsere erste Ministerpräsidentin. Das ist wichtig, vielleicht das Wichtigste von allem, wenn man die politische Geschichte betrachtet, die sich von den Eidsvollmännern bis in unsere Gegenwart zieht. Aber es ist auch wichtig, dass sie jung ist. Wir hatten so viele alternde Ministerpräsidenten. Gro ist direkt. Man hört es ihrer Stimme an, dass sie sich nicht dieselbe Redeweise zugelegt hat wie ihre Vorgänger, die Parlamentarier, die grauen Arbeitstiere des Storting. Außerdem hat sie Ähnlichkeit mit Mutter, denke ich. Eine offenkundige Ähnlichkeit, durch ihre Locken und das runde und doch energische Gesicht. Ich traue mich nicht, das zu sagen, wenn ich mit Mutter telefoniere. Aber ich merke, wie begeistert sie ist. Nach all diesen Jahren im Schattenland des Feminismus. Endlich eine Frau am Steuerruder! »Das wurde aber wirklich Zeit!«, sagt sie zu mir. Dennoch ist Gro nicht die Freundin aller jungen Leute. Die ehemalige Umweltministerin wird die, die die Verantwortung dafür trägt, dass sich die vielen Alta-Demonstranten oben in Finnmark aneinanderketten und schließlich fortgeschleppt werden bei ihrem letzten verzweifelten Versuch, den Ausbau der Wasserkraft zu verhindern, der schon wenige Jahre darauf als vollkommen überflüssig eingestuft werden wird.

Das wichtigste samische Territorium.

600 Polizisten im Einsatz gegen die Demonstranten.

Ja, es liegt wie eine Düsternis über diesem Winter, so, wie eine Düsternis auf dem ganzen Jahrzehnt lasten wird. Ein Satz bleibt haften: Mit den Erwartungen brechen.

Die sechziger Jahre: das Jahrzehnt der Befreiung. Die siebziger Jahre: das Jahrzehnt der Freiheit. Die achtziger Jahre stehen noch am Anfang. Das Jahrzehnt der Inszenierung. Aber sucht ein Dramaturg der neuen Schule nach einer Hauptlinie, dann wäre es wohl diese: dass so viele mit den Erwartungen brechen.

Meine eigenen Erwartungen?

Physisch bin ich ganz unten, fühle mich aber obenauf. Ich bin ja immer noch dünn. Wenn ich das Bedürfnis danach verspürte, könnte ich ins Noble Dancer im Drammensvei gehen und wen immer ich will zu Champagner einladen.

So gesehen, ist es weit bis Hadeland.

Dort oben gibt es eine Brücke. Sie befindet sich zwischen Leirsjøen und Avalssjøen, oberhalb von Lunner. Samstag, 22. Februar. Ich bin wieder mit Ole auf Tournee. Wir waren überall in Rogaland bis hinauf nach Stord. Am folgenden Tag werden wir in Voss spielen, aber wir haben einen freien Tag in Bergen, im Hotell Norge. Ich denke, dass es eins der letzten Male ist, dass ich so eine landesweite Tournee mit Ole mache. Er ist jetzt so groß durch die Paus-Post und die vielen Revuen. Dennoch hat er zugesagt. Als wir im Grill sitzen und reden, denke ich, dass es vieles gibt, das wir einander nicht erzählen. Sein Leben, ein Wirbelwind aus Verabredungen. Mein Leben, dasselbe, nur nicht dermaßen in der Öffentlichkeit. Am nächsten Tag kommt die Nachricht, dass zwei junge Männer von 19 und 23 Jahren auf einer Brücke in Nannestadskogen erschossen worden sind. Die beiden Täter wissen nicht, dass die Polizei sie bereits umzingelt hat, denn einer der Ermordeten war bereits vernommen worden und hatte geplaudert. Die Morde geschehen, damit nicht bekannt wird, was wirklich vor sich geht in Norwegens Germanischer Armee, bei der Heimwehrjugend und bei der regulären Heimwehr. Fünf Jungen. Einer von ihnen nicht anwesend bei der Hinrichtung auf der kleinen Brücke. Dennoch wird er verurteilt. Die Toten waren an einem Diebstahl aus den Waffenlagern der Heimwehr beteiligt. Der Abwesende, möglicherweise das Gehirn hinter den Morden, hatte Angst, die beiden Jungen könnten zur Polizei gehen.

Februarnacht in Hadeland. Zuerst verpasst Johnny Olsen den Opfern mit einer Pistole einen Nackenschuss. Danach schießt John Charles Hoff mit einer MP40. Insgesamt werden 29 Schüsse abgegeben. Auf Malmøya bei Oslo sitzt Espen Lund. Er wird am Ende zu achtzehn Jahren Gefängnis verurteilt werden, die gleiche Strafe, die Olsen bekommt wegen Beihilfe zum Mord. Hoff bekommt nur zwölf Jahre.

Als Olsen und Hoff versuchen, den Tatort im Auto zu verlassen, sehen sie die erste Polizeisperre. Sie schaffen es, daran vorbeizufahren, und schießen scharf. Nun folgt eine wahnwitzige Verfolgungsjagd, bis die beiden Mörder mit ihrem Wagen im Schnee steckenbleiben.

Ich denke an die zwei in Truman Capotes Kaltblütig. Ich denke an Oles Lied über Neonazis, das eine Einladung zum Dialog mit den Extremisten war, was aber dazu führte, dass er fast von der Bühne gebuht worden wäre. Ich denke daran, wie jung sie sind, 18, 19 und 20. Der in der Mitte wird als der Stratege bezeichnet. Der Wichtigste.

Es gibt einen Menschen hinter all diesen Untaten. Aber Norwegen war seit vielen Jahren nicht im Krieg. Diese Morde auf einer einsamen Landstraße in Hadeland schockieren die ganze Nation. Wer sind diese Jungen, die einander in Bekkelaget in der Jugendorganisation der Heimwehr kennengelernt haben, die sich Norwegens Germanische Armee nannten? Der mit der Hütte auf Malmøya besitzt militärische Erfahrung. In der Armee hat er es bis zum Sergeanten gebracht. 1980 war er sogar in einer Garnison in Finnmark als Ausbilder an der Waffe tätig.

Ausbilder an der Waffe? Mit neunzehn Jahren? Der Älteste war Hoff. Zwanzig Jahre, als es passiert ist. Er ging aufs Nissen, das Gymnasium, das auch ich drei Monate besucht hatte, ehe ich ausgestiegen war. Frognerjunge. Ich habe ihn garantiert oft im Lebensmittelladen im Elisenbergvei gesehen.

Dann haben wir Johnny Olsen. Lagerarbeiter aus Haugerud. Der in die Waffenlager der Heimwehr eingebrochen war und so viele AG3-Gewehre und solche Mengen an Dynamit gestohlen hatte, dass er Espen Lund anrufen und um Rat bitten musste. Der Prozess gegen die drei Jungen wird einen einzigartigen Einblick in die aktuelle Neonaziszene ermöglichen. Plötzlich ist die Familienhütte von Espen Lund auf Malmøya vollgestopft mit Waffen und Sprengstoff. Olsen und zwei Gehilfen bei den Diebstählen sind das schwache Glied. Die wissen, dabei waren und singen können. Denen Geld versprochen worden war, wenn die 43 Gewehre verkauft wären. Die sich die Sache anders überlegten und das Geld sofort wollten. Plötzlich hatte sich Oslo in Chicago verwandelt. Die Waffen konnten in so kurzer Zeit ohnehin nicht verkauft werden. Aber was, wenn die beiden Helfer bei der Polizei plauderten?

Der Mordplan wogt auf wie Novemberflut im Bunnefjord. Den beiden Helfern wird erzählt, dass die IRA möglicherweise Interesse daran hat, einige der gestohlenen Waffen zu übernehmen, und dass die Jungs mit zur Übergabe kommen müssten, dann könnten sie ihr Geld an Ort und Stelle bekommen.

Hadeland.

Johnny Olsens Territorium. Er kennt diese Wälder und Wege seit seiner Kindheit. Der Plan ist fertig. Olsen wird die nichtsahnenden Jungen aus dem Auto steigen lassen und mit einem Genickschuss töten, wie das mit zum Tode Verurteilten in China passiert. Hoff wird später sagen, seine Aufgabe sei es gewesen, Schmiere zu stehen, dass Lund ihn jedoch gebeten habe, danach Olsen zu töten. Olsen habe zu oft auf eigene Faust gehandelt. Die Waffen- und Dynamitdiebstähle waren nicht Lunds Idee. Plötzlich hat sich Olsen in eine Bedrohung für Lund und Hoff verwandelt. Und Bedrohungen gibt es wirklich schon genug. Hoff wird erzählen, dass Lund bereits gedroht habe, ihn und seine Familie umzubringen, wenn er sich nicht anständig benimmt. Sein Großvater sei schließlich ein richtiger Nazi gewesen.

Sie wissen nicht, dass die Polizei bereits informiert ist. Dass sie in den tiefen Wäldern postiert sind und auf den Mazda warten, der auf dem Riksvei 4 durch Nittedal und weiter nach Lunner hoch unterwegs ist, wo der Wagen an den steilen Hängen in Richtung Gardermoen im Osten abbiegt.

Es ist mitten in der Nacht, und das Thermometer fällt auf minus 20. Außerdem weht ein scharfer Wind.

Aber es gibt unterschiedliche Pläne. Olsens Plan ist nicht wie der von Hoff. Olsens Plan sieht vor, den Wagen in der Nähe der Brücke anzuhalten und danach um die Kurve zu gehen, gewissermaßen auf die fiktiven IRA-Leute zu. Dann sollte er zurückkehren, die beiden nichtsahnenden Jungen aus dem Auto holen und sie sofort erschießen. Hoffs Plan sieht dagegen vor, Olsen mit seiner eigenen, deutschen Maschinenpistole zu stoppen und die Jungen zu retten.

Wer sagt die Wahrheit? Plötzlich ist das nicht mehr wichtig.

Olsen schießt zuerst.

Der eine Junge hat das Gesicht nach oben gedreht. Das Blut fließt, färbt den Schnee rot. Der andere ist nicht tot. Olsens Pistole klemmt. Hoff wird befohlen zu schießen.

Er schießt.

Sie ziehen das Opfer zur Brücke. Sie hören, dass auch der andere nicht tot ist.

Die Geräusche eines sterbenden Jungen.

Er schießt wieder. Viele Male.

Das Geräusch ist noch immer da.

Über das Geländer mit ihnen. Hinab in den Fluss.

Aber das schaffen sie nicht, trauen sie sich nicht?

Sie verlassen den Tatort in wildem Tempo.

Am Ende des Waldweges wartet ein Auto. Sie jagen hinterher. Hoff erkennt den Wagen. Er hat ihn gesehen, als sie in den Wald abgebogen sind.

Olsen und Hoff allein in einem Mazda 626. Diesmal fährt Hoff. Der vorige Fahrer liegt tot auf einer Brücke zwischen Leirsjøen und Avalssjøen. Im Rückspiegel kann er sehen, dass sie von mehreren Autos verfolgt werden. Streifenwagen. Was glauben sie? Dass die IRA in den Wäldern von Hadeland gewartet hat? Was können die Jungen gesagt haben?

Hoff behält das hohe Tempo bei. Olsen sitzt mit den Waffen auf der Rückbank. Erst, als sie Gjelleråsen passieren und den Trondheimsvei erreichen, entdeckt er die Schützen, die bei der Straßensperre warten. Er kollidiert fast mit jemandem, der versucht, eine Nagelsperre auszurollen.

Olsen kurbelt das Rückfenster herunter und fängt an, wild um sich zu schießen. Bald hat er keine Munition mehr. Aber Hoff reicht ihm vom Vordersitz her Nachschub.

Ich sitze in Westnorwegen und lese zusammen mit Ole die Zeitungen. Wir schweigen. Wir lesen über die Liquidierungen, über die wahnwitzige Verfolgungsjagd, über die Festnahme von Olsen und Hoff im Odvar Solbergs vei in Romsås, wo die Jagd ein Ende nimmt. Wir lesen über Olsen, den die Polizei zurück zum Tatort bringt, während gleichzeitig Espen Lund auf Malmøya festgenommen wird. Auch seinen Vater verhaften sie, denn in Hütte und Wohnhaus werden Waffen gefunden. Naziuniformen und allerlei Requisiten aus Kriegstagen, als der Vater NS-Mitglied war, werden beschlagnahmt.

Ich präge mir eine kleine Notiz ein: Dass eine Namensliste von Personen mit Verbindungen zur Linken beschlagnahmt wurde.

Ole sitzt auf der anderen Seite des Frühstückstisches und schaut mich über seine Brillengläser an.

»Auch das ist Norwegen«, sagt er lakonisch.

Sicher, denke ich, unser Land, in diesem Moment.

Sandøya schien plötzlich so weit weg zu sein. Die Idylle. Die bewusste Idylle. Die wir beide wollen, die Andere und ich. Als wäre jede neue Vase, jedes neue Bild, jede neue kleine Seifenschale im Badezimmer ein weiterer Stein in der Mauer, auf dem Weg zu einem Schutz. Aber Schutz wovor?

Viele Jahre später treffe ich Hoff im Gefängnis Ila. Ich weiß jetzt so viel über ihn, nach all den Zeitungsartikeln. Ich weiß, dass er der Sohn eines Jazzmusikers ist, des Schlagzeugers Karl Otto Hoff. Er spielt selbst. Wir unterhalten uns angeregt miteinander. Sein Vater war bei der Big Chief Jazzband. Der Bandleader war der Klavierhändler und Posaunist Gerhard Aspheim. Ich erzähle Hoff von Onkel Aage, der ebenfalls einen Klavierladen hatte, in der Universitetsgate. Er und Gerhard waren eng befreundet und oft hatte ich in Gerhards Laden und in seiner Werkstatt in der Hausmannsgate vorbeigeschaut, um Instrumente auszuprobieren und ein bisschen zu reden.

»Dann bist du meinem Vater sicher manchmal begegnet«, sagt Hoff lächelnd.

Ich nicke, denke an das bunte Jazzmilieu, das es damals gab, die vielen weltberühmten schwarzen Musiker, die nach Oslo kamen, um mit dem Big Chief zu spielen. Ich weiß nichts über die Familiengeschichte, von der John Charles mir später erzählen wird. Der Großvater, der in der NS war, der Vater, der viele dieser Musiker zu Hause in Frogner zu Besuch hatte. Ich sage, dass wir vielleicht eines Tages zusammen spielen können.

Er lächelt warm, fast dankbar. Sein Wesen hat etwas Sanftes und Aufmerksames. Ich denke, dass es leichtfällt, ihn zu mögen.

19.

Ich jogge über die Insel. Warum laufe ich? Alles hier ist langsam, lässt sich die Zeit, die es braucht.

»Warum läufst du?«, ruft Kitt unten vom Anleger her. Seine Stimme klingt wütend, fast beleidigt. Er war in japanischer Kriegsgefangenschaft. Mehr Krach und Unfug kann er nicht ertragen. Deshalb ist er zurück nach Sandøya gezogen.

Ich kann nicht antworten. Die Zeit ist mir egal, aber ich will das, was ich brauche. Einen dünnen Körper. Einen Panzer gegen die Welt. Ich habe mir mein erstes Selbsthilfebuch gekauft, als ich zuletzt mit der Anderen in London war: Feeling Fit.

Dann entdecke ich den Kapitän. Den, der so viele Jahre lang alle Weltmeere bereist hat. Den, der am D-Day vor der Normandie im Meer geschwommen ist. Da geht er die Straße entlang, einige hundert Meter von mir entfernt, zusammen mit seiner Liebsten. Eine Stunde jeden Tag. Rasch. Sein Anblick wirkt immer beruhigend. Dieses gute Leben bei Tvedestrand, nach allem Entsetzlichen, das er durchgemacht hat. Wie kann es hier zum Drama kommen? Die Engländer haben bei der Blockade im 19. Jahrhundert zwar für ein gewaltiges Blutbad gesorgt, als die Najade von der englischen Dictator versenkt wurde. 133 wurden getötet und 102 verletzt. Aber der 6. Juli 1812 ist lange her, denke ich, als ich bis hinaus nach Hella laufe, eine Strecke von insgesamt sechs Kilometern. Der Kapitän hat im Moment nicht viel zu befürchten. Weder von Deutschland noch von England, Dänemark oder Schweden. Außerdem haben wir die NATO. Die Alten hier auf der Insel erinnern sich an den Krieg. Wie Kitt, wie alle anderen, die torpediert wurden oder in Gefangenschaft gerieten. Geschichten, die hinter den Rollläden der idyllischen Häuser verborgen werden. Aber der Friede hat sich wie ein frischgewaschenes Laken über die ganze Insel gelegt. Ich laufe. Schwitze den ganzen Scheiß aus. Nichts soll uns hier draußen bedrohen. Wenn jemand ertrinkt, dann nur in einem meiner idiotischen Angstträume. Ich laufe. Ich komme vorbei am Haus von Birthe und Eyvind mitten auf der Insel. Ich winke, obwohl ich sie nirgendwo sehe.

Der fast 45 Jahre alte Leiter des Pflege- und Altenheims von Orkdal wird festgenommen unter dem Verdacht, einen älteren Patienten ermordet zu haben. Der Lockruf des Todes. Abermals Chapman: Der Tod ist viel zu groß, um ihn zu erfassen. Vier Tage später gesteht Arnfinn Nesset die ersten der 22 Morde, für die er am Ende schuldig gesprochen werden wird. Angestellte des Pflegeheims hatten Lieferungen von Suxamethonium entdeckt. Wie sie selbst bei der Verhandlung sagten: »Ein solches Mittel hat in einem Pflegeheim nichts verloren.« Ole interessiert sich schon seit vielen Jahren für Curare. Es war ein beliebtes Gesprächsthema bei unseren Versuchen, Jens Bjørneboes Hauptwerk Die Geschichte der Bestialität jeder auf seine Weise weiterzuentwickeln. Bei Kalbsfilet und Rotkohl im alten Bagatelle konnte er leise schmatzen diesen leicht hingerissenen Blick bekommen, während er, immer überzeugt, es sei das erste Mal, mir von dem Arzt erzählte, der dieses Mittel, das er für muskelentspannend, aber auch schmerzstillend hielt, an sich selbst testen wollte. Deshalb bat er einen Kollegen, ihn zu operieren, nachdem er eine Spritze mit diesem Mittel bekommen hatte. Er war sofort gelähmt, konnte nicht sprechen und kaum noch atmen. Gerade noch rechtzeitig stellte er fest, dass dieses Mittel durchaus nicht schmerzstillend wirkte. Er war nicht betäubt. Er spürte jeden Schnitt, den sein guter Freund mit dem Skalpell ausführte.

Das Ganze hatte etwas Unwirkliches. Ein Pfeilgift, das die Indianer in Südamerika seit Jahrhunderten verwendet hatten und das die USA bald zum Tode Verurteilten verabreichen würden. Ein Gift, hervorgebracht von dem, was sich im Hohlraum eines Bambusrohrs befand oder in der Schale mehrere Kürbissorten zu finden war. Die alten indianischen Krieger verpassten diesen Giftstoff Menschen und Tieren, die sie lähmen wollten. Niemand verlor das Bewusstsein, aber alle hatten Atembeschwerden. Man erstickte bei lebendigem Leib.

Das hatten die alten Leute im Pflege- und Altersheim von Orkdal erfahren müssen. Bei vollem Bewusstsein zu sterben, ohne atmen zu können.

Dieser sanfte, liebenswürdige Mensch. Wer hätte ihm so etwas zugetraut? Abends saßen wir mit Tore und dessen Freundin zusammen und sprachen darüber. Was hat er gedacht, als er diese Spritzen setzte? Wusste er, dass die Opfer nichts verraten könnten, dass sie gelähmt da liegen würden, bis sie erstickten? Ich erzählte von meinem Erlebnis mit Céline, den ich die beiden zu lesen gebeten hatte. Ich dachte an vieles von dem, was Bjørneboe geschrieben hatte. Vielleicht war es keine Bestialität, sondern etwas ganz anderes.

Aber was? Kann man sich eines Mordes schuldig machen, ohne zu begreifen, dass man selbst der Mörder ist? Ich hatte nicht gemordet, jedenfalls noch nicht. Aber ich hatte ein System für meine Gedanken gefunden, eine Möglichkeit, mich in mehr Situationen, als mir lieb war, vor der Verantwortung zu drücken. In den folgenden Jahren würde ich mein eigener Richter sein. Ich brauchte weder Verteidiger noch Anwalt. Ich war mein eigener Gerichtssaal, allein, ohne Publikum.

Meistens erfolgte ein Freispruch in sämtlichen Punkten, oder, wie ich gern zu mir sagte: Unzurechnungsfähig im Augenblick der Tat.

Als Präsident Ronald Reagan das Hilton Hotel in Washington verlässt, nachdem er bei einem Mittagessen der Gewerkschaft AFL-CIO eine Rede gehalten hat, richtet John Hinckley jr. seine Röhm RG-14-Pistole auf den Präsidenten und gibt in weniger als zwei Sekunden sechs Schüsse ab. Reagan wird nur von einem getroffen. Der erste Schuss jedoch trifft den Kopf von James Brady, dem Pressesprecher des Weißen Hauses. Der zweite trifft den Polizisten Thomas Delahanty im Nacken. Der dritte trifft ein Fenster in einem Gebäude auf der anderen Straßenseite. Der vierte trifft Tim McCarthy vom Secret Service im Unterleib, während der Spezialagent Jerry Parr versucht, Reagan so schnell wie möglich in die Limousine zu schaffen. Der fünfte Schuss trifft das kugelsichere Glas der Präsidentenlimousine, und der sechste wird von dem kugelsicheren Fahrzeug zurückgeworfen und dringt unter dem linken Unterarm des Präsidenten zwischen einer Rippe und dem einen Lungenflügel ein, ehe die Kugel 25 Millimeter von Reagans Herzen entfernt zum Stillstand kommt.

Und das alles nur wegen der Schauspielerin Jodie Foster.

Hinckley hatte den Film Taxi Driver gesehen. Ebenso wie ich besaß er eine vielleicht übertriebene Fähigkeit, sich mit den Filmstars auf der Leinwand zu identifizieren. In Taxi Driver ist das der Taxifahrer Travis Bickle, gespielt von Robert de Niro, der versucht, die zwölf Jahre alte, von Jodie Foster gespielte Prostituierte zu beschützen. Dass Bickle außerdem plant, einen Senator zu ermorden, der Präsident der USA werden will, spornt Hinckley an und macht ihn kreativ auf eine Weise, die ihn, wenn auch negativ, in die Weltgeschichte bringen soll. Dennoch denke ich, dass Hinckleys Handlungsplan sich durchaus mit dem Wunsch eines besonders ehrgeizigen Autors messen kann, einen Roman zu schreiben, der alle Grenzen sprengt, der ihm den Nobelpreis, den Pulitzerpreis einbringen kann, der ihn sichtbar macht. Das hilflose Mantra: Seht mich an! Ja, aber, nun seht mich doch an, verdammt noch mal!

Hinckley wird zum Stalker. Er meldet sich zu einem Schreibkurs an der Yale University an, als er entdeckt, dass Foster dort einmal studiert hat. Zugleich schreibt er ihr eine endlose Menge von Briefen, und er gibt auch nicht auf, als sie versucht, seinem Treiben ein Ende zu machen. Für Hinckley geht es vor allem darum, gesehen zu werden, weltberühmt zu werden, so wie Jodie Foster. Einen Präsidenten zu ermorden, jedenfalls in den USA, ist die einfachste Methode. Das Land legt sich jetzt eine Geschichte zu. Nur neun Tage vor diesem Attentat hatte Ronald Reagan das Ford’s Theatre in Washington besucht, wo Abraham Lincoln ermordet worden war. Der Präsident hatte zu der Loge hochgeblickt, in der das Attentat stattgefunden hatte, und gedacht, egal, wie viele Secret Service-Leute sich auch in seiner Nähe befänden, es würde immer möglich sein, ihn zu ermorden.

So muss auch Hinckley gedacht haben, als er trainierte, indem er Jimmy Carter verfolgte. Im Flughafen von Nashville war er festgenommen worden, weil er in der Nähe des Präsidenten bewaffnet gewesen war. Einmal hatte er nur dreißig Zentimeter von Carter entfernt gestanden. Aber das FBI hatte die Gefahrensignale nicht erkannt und deshalb den Secret Service nicht verständigt. Hinckleys Eltern entdeckten, dass etwas mit ihrem Sohn ganz und gar nicht stimmte, und schickten ihn zu einem Psychiater, was jedoch nicht zu einer Einweisung führte. Hinckley seinerseits erzählte seinen Eltern, er glaube, Reagan werde ein guter Präsident für die USA sein.

Einige Wochen vor dem Attentat schickte Hinckley vier Briefe an Jodie Foster, die diese an die Polizei von Yale weiterreichte. Nun stand Hinckley auf der Liste der Polizei, die jedoch nichts mehr unternehmen konnte, ehe Hinckley am 30. März am Hintereingang des Hilton Hotels auftauchte, das aufgrund der geschlossenen Passage, die President’s Walk genannt wurde und die 1963 nach dem Mord an John F. Kennedy erbaut worden war, als das bestgesicherte Hotel von Washington galt. Von der Hoteltür bis zur wartenden Limousine waren es nur zehn Meter. Deshalb hatte es niemand aus dem Sicherheitssystem für nötig befunden, dem Präsidenten an diesem Tag eine kugelsichere Weste anzulegen. Hinckley war vor zwei Tagen in Washington angekommen und hatte sich im Park Central Hotel einlogiert. Als er den Terminplan des Präsidenten las, der normalerweise in den Zeitungen veröffentlicht wird, beschloss er, tätig zu werden.

Zwei Stunden vor dem Attentat schrieb er Foster, er würde auf den Mord am Präsidenten verzichten, wenn er nur ihr Herz gewinnen und für den Rest seines Lebens mit ihr zusammen sein könnte.

Die Bilder des Attentats werden nur wenige Minuten später in aller Welt ausgestrahlt. Auf Sandøya sehe ich Bilder von derselben Brutalität wie 1963, als John F. Kennedy sich an den Hals fasste. Diesmal ist es der Pressesprecher, James Brady, der sich blutend am Boden windet. Die Bilder sind stark, unverblümt. Sieht so ein Mensch nach einem Kopfschuss aus? Ich weigere mich, bringe es nicht über mich, das so direkt und so brutal zu sehen. Es ist unvorstellbar, dass er überleben, dass er erst 2014 sterben wird, dann jedoch als Spätfolge dieser Schussverletzung. Alle Kugeln in Hinckleys Pistole waren sogenannte Devastators, die explodieren sollten, wenn sie ihr Ziel erreichten, aber das tat nur die, die Bradys Kopf traf. Zwei Tage darauf legten deshalb die Chirurgen kugelsichere Westen an, als sie die Kugel aus Thomas Delahantys Nacken entfernen wollten.

Hinckley wird unmittelbar nach den Schüssen zu Boden gerungen und unschädlich gemacht. Mehrere der Anwesenden denken, dass er nicht das gleiche Schicksal erleiden darf wie Lee Harvey Oswald. Man will wissen, wer er ist, woher er kommt, warum er das hier getan hat.

Reagan selbst steht unter Schock. Sein Blutdruck ist von 140 auf 60 gefallen. Die Entscheidung, ihn sofort ins George Washington University Hospital zu bringen und nicht ins Weiße Haus, rettet ihm vermutlich das Leben. Reagan hat arge Schmerzen in der Brust, glaubt jedoch, dass daran Parr schuld ist, der ihn in die Limousine gestoßen hat. Als nach der Schusswunde gesucht wird, hustet Reagan hell schäumendes Blut, meint aber, sich nur in die Lippe gebissen zu haben. Noch begreift er nicht, dass eine Kugel nur 25 Millimeter von seinem Herzen entfernt steckt. Reagan will unbedingt zu Fuß gehen, aber unmittelbar vor der Tür hat er Atembeschwerden und fällt auf die Knie. Parr und einige andere Leibwächter helfen ihm auf die Notstation und wissen nicht, ob der Präsident vielleicht einen Herzinfarkt erlitten hat. Eine Krankenhausangestellte erkundigt sich nach Reagans Adresse. Erst, als jemand aus Reagans Begleitung sagt, »1600 Pennsylvania«, begreifen alle, wer hier gekommen ist. In den nun folgenden hektischen Minuten trifft auch Reagans Gattin Nancy ein. Der alte Filmschauspieler lässt sich die verbalen Möglichkeiten dieses Dramas nicht entgehen und übernimmt Jack Dempseys berühmte Bemerkung an seine Frau, an dem Abend, an dem er gegen Gene Tunney verloren hatte: »Honey, I forgot to duck.« Ist es die Euphorie des Schocks? Die Wirkung der beruhigenden Medikamente, wie viele sie auf dem Operationstisch verspüren, ein plötzlicher Drang nach Heiterkeit. Während vor der Narkose der Plastikschlauch zur Intubation in seine Lunge eingeführt wird, kritzelt er auf einen Zettel den oft zitierten Spruch des amerikanischen Schauspielers und Komikers W. C. Fields auf die Frage, wo sein Grabstein stehen soll: »All in all, I’d rather be in Philadelphia.«

Die Operation dauert etwas mehr als anderthalb Stunden. Die Kugel wird entfernt. Reagan verliert die Hälfte seines Blutes, ist aber in bester physischer Verfassung, nimmt gleich danach die Sauerstoffmaske ab und sagt: »I hope you are all Republicans.«

Der Oberarzt, Joseph Giordano, der zu Reagans Verzweiflung vor der Operation dessen »thousand dollar suit« aufgeschnitten hatte, und der zudem ein profilierter Demokrat ist, erwidert: »Today, Mr. President, we are all Republicans.«

Weniger als einen Monat darauf sitzt Präsident Reagan wieder im Oval Office.

Ich sitze zu Hause vor dem Fernseher und denke an Mads. Meinen Kindheitsfreund von der Waldorfschule und der Straßenbahnhaltestelle Smestad, wo wir Stunde um Stunde standen und die großen Weltprobleme lösten. Wir waren Sowjetfreunde, Chruschtschowfreunde. Wir mochten Amerika, aber nur bis zu einem gewissen Punkt. Wir hatten uns so gewünscht, dass ein Russe oder jedenfalls ein Kosmonaut aus der Sowjetunion die Ehre haben würde, den ersten Fuß in den Mondstaub zu setzen. Obwohl ich 1960 zu Nixon gehalten hatte, Mads dagegen zu Kennedy, waren wir Freunde geblieben. Wir waren erst acht Jahre alt. Die Welt stand uns offen.

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